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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Eorlund hatte seine Schmiede längst verlassen und in der wiederkehrenden Eiseskälte wagte sich kaum noch jemand vor die Türen des eigenen Heims. Auch der Übungsplatz stand verlassen, als ihn die Kaiserliche überquerte und einen kurzen Blick auf die sich in Graustufen abzeichnenden Holzplanken warf, die noch am Vormittag zum Üben mit Olen gedient hatten.
Im Schutz der einbrechenden Dunkelheit kletterte die Wölfin durch die Dachluke zurück ins Gildenhaus. Das helle Kerzenlicht brannte ihr wie erwartet in den empfindlichen Augen, der Duft des Wachses kroch ihr in die Nase und schien sie zu verkleistern. Wenigstens vernahm sie keine außerordentlich lauten Geräusche, ausgenommen des schweren Atmens des Gefangenen, der wimmernd und zitternd auf seinem Stuhl hockte. Ein kurzer Seitenblick verriet Vesa, dass die Kommode noch immer genau so vor der Tür stand, wie sie sie zurückgelassen hatte. Erleichtert schüttelte sie das triefend nasse Fellkleid aus, in dem sich das kalte Wasser des Teiches festgesetzt hatte, in dem sie stets nach einer Jagd badete. Die eisigen Tropfen, die sie durch den Raum sandte, schienen letztlich auch das Mitglied der Silbernen Hand darauf aufmerksam zu machen, dass er nicht mehr allein war.
Heftig zuckte er in sich zusammen, dass sein Stuhl verrückte und sie ihm ein bestialisches Grinsen mit gefletschten Zähnen schenkte. Von der Jagd gesättigt verspürte sie in diesem Moment jedoch kein Bedürfnis danach, ihm noch weiter Angst einzuflößen. Stattdessen knurrte Vesana lediglich leise und ließ sich im Rücken des Kerls, nahe ihrer Kleidung, auf dem Boden nieder. Gerade schloss sie die Augen, da schreckte sie das Knarzen Tilmas Bettes hoch. Die Ohren senkrecht und den Kopf gehoben, lauschte sie in die Kammer hinein. Hatte sie jemanden übersehen? Unmöglich. Und dennoch hörte sie eindeutig langsame, schwere Schritte näherkommen.
»Bist Du stolz auf Dich?« Die raue, trübe Stimme des Herolds zerriss das Seidentuch der Spannung, das sich über sie gelegt hatte. Grollend stand die Wölfin auf und blickte von unten zu dem Grauen hinauf, als er schließlich neben dem Raumteiler stehen blieb. Auf seinen faltigen Zügen zeichnete sich Sorge ab und seine Augen funkelten mit glasiger Enttäuschung. Vesa zog die Lefzen zurück, es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass er sich hier aufhielt. »Tu nicht so überrascht, ein Wolf weiß wie er sich an seine Artgenossen anschleichen muss«, tadelte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn Du etwas sagen willst, schlage ich vor, dass Du wieder zum Mensch wirst und dieses Tier schlafen schickst. Ansonsten höre mir einfach zu.«
Schnaufend starrte die Jägerin den Alten einen Moment lang an, dann wandte sie sich ab und versuchte den Wolf aus ihrem Verstand zurückzudrängen. Das Jagdfieber, die Lust nach Blut und Fleisch. Als versuchte sie die Erregung mitten im Spiel der Liebenden niederzuringen. Keine leichte Aufgabe, die für gewöhnlich der Schlaf des Gesättigten übernahm. Einzig der volle Magen half ihr dabei und nach einigen lang erscheinenden Augenblicken zog sich schließlich ihr Fellkleid zurück, hellte sich ihre Haut auf. Die langen Klauen schrumpften zu menschlichen Fingernägeln und bald darauf spürte sie ihr wild fallendes, offenes Haar auf den bloßen Schultern. Mit dem Rücken stand sie zu Kodlak und begann in Ermangelung eines Kamms mit den Fingern die feuchten Strähnen zu ordnen. Letzte Perlen kalten Wassers rannen ihr über die nackte Haut vom Nacken hinab bis zum Gesäß, von den Brüsten bis zum Nabel oder auch noch weiter. Es kitzelte sie empfindlich, doch unterdrückte gleich darauf der aufkeimende Zorn über den Eindringling jedes Gefühl von Annehmlichkeit.
»Danke«, bewegte sich der Graue nach einigen Momenten des Schweigens schließlich zu einer Bemerkung. »Vesa, ich weiß, wie …«
Die Kaiserliche hob die Linke über die Schulter und streckte den Zeigefinger aus. Sofort brach Kodlak ab. »Nicht hier.« Den langen Schopf einigermaßen ausgekämmt, warf sie ihn in den Rücken und begann damit sich anzukleiden. Kurz darauf schritt sie an dem alten Nord vorüber, warf ihm einen verbitterten Blick zu und begann damit die Kommode vor der Tür in ihre eigentliche Position zurückzuschieben. Im Anschluss verließen sie Beide die Kammer und suchten sich, weitestgehend unbeachtet von den übrigen Mitgliedern der Gefährten, ein dunkles Eck in der Haupthalle.
»Ich weiß, wie Du Dich fühlst«, wiederholte der Alte, als sie endlich saßen. Die Kaiserliche starrte an ihm vorbei und beobachtete stattdessen einige Welpen am Tisch, die gelegentlich verstohlen einen Blick zu ihnen warfen und betreten in eine andere Richtung blickten, als Vesa sie erwischte.
»Tust Du das?«, fragte sie zurück und presste die Lippen aufeinander. Vilkas kam gerade die Treppe aus dem Keller hinauf und blieb an ihrem oberen Ende stehen. Kurz sah er sich um, bis seine Augen auf dem Herold und der Kaiserlichen ruhen blieben. Er wirkte, als überlegte er zu ihnen zu kommen, entschied sich wohl aber dagegen und setzte sich stattdessen neben die Welpen an den Tisch.
»Du bist wütend, zornig. Verständlich, nachdem wir Dich außenvorgelassen haben.« Eine milde Untertreibung, obgleich ihr die Worte fehlten, ihrer Rage Ausdruck zu verleihen. »Und sicherlich auch enttäuscht.« Oh ja. »Nach all der Zeit, die er verschwunden ist, hast Du immer noch Hoffnung, er könne am Leben sein. Ich erlaube mir kein Urteil, ob dies gut oder schlecht ist.« Kurz verstummte er. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er ihr versuchte ein Lächeln zu schenken, doch prallte es an ihr ab wie Kiesel an einem Schild. »Wir … ich … habe wohl unterschätzt, welche Wirkung ein Gefangener vom Schlage desjenigen in unserem Hause auf Dich haben würde. Wie Du Vilkas bereits sagtest, hatten wir kein Recht, es Dir vorzuenthalten. Dafür entschuldige ich mich«, redete Kodlak weiter und zum ersten Mal richtete sie ihren Blick nur auf ihn.
Feine Fältchen zierten seine Augenwinkel, obgleich das Lächeln, das sie hervorrief, nicht von Freude zeugte. Traurigkeit spiegelte in seinen Augen, nur ansatzweise durchbrochen von aufkeimender Erleichterung, nicht völlig gegen eine Wand zu reden. Sie würde ihm verzeihen, mit der Zeit, nicht jetzt, vielleicht nicht morgen, aber bald. Das wusste er, kannte er sie doch gut genug. Trotzdem schwieg Vesa ihn weiter an, die Lippen zu einem dünnen Strich verengt und die Gesichtsmuskeln hart wie Stahl verkrampft.
»Aber verrate mir eines: Denkst Du, es hat sich gelohnt von Hass und Zorn gelenkt, auf eine Stufe mit denen zu steigen, die wir zu unserem Feind haben?«
Sie wusste, was er versuchte zu erreichen. Die Kaiserliche sträubte sich noch mit allen Mitteln dagegen, so etwas wie Reue zu empfinden. Wütend auf Kodlak und die anderen zu sein, half ihr dabei. Aber das würde bald verfliegen und die Furcht, der Gefangene könnte trotz allem weiterhin schweigen, mochte nur allzu bald Schuld und Bedauern in ihr aufkeimen lassen. Selbst zum Kriminellen geworden, gab es nur noch wenig, dass sie von diesem Bastard in der Kammer unterschied, sollte ihre Methode keine Ergebnisse produzieren. »Er wird reden«, wich sie der Frage des Alten aus. Der nickte lediglich, wohl wissend, was in ihr vorging.
Kommentarlos erhob sich Vesana, warf einen letzten Blick in Kodlaks sorgenvolles Antlitz, dann überließ sie ihn sich selbst. Von der Jagd gesättigt, verspürte sie wenig Lust darauf, sich am Tisch mit Vilkas und den Welpen niederzulassen. Letztere senkten in ihrer Gegenwart die Häupter, nur das Zirkelmitglied verfolgte sie mit den Augen, blieb ansonsten jedoch stumm, als sie zügig vorüberging. Kurz darauf eilte sie die Stufen in den Keller hinab und verschwand in ihrer Kammer.
Erst dort ließ die Anspannung von ihr ab und plötzlich kraftlos sackte sie auf die Knie nieder. Gerade so schaffte sie es die Tür ins Schloss zu drücken, bevor es geschah. Tiefes, missmutiges Grummeln entstieg ihrer Kehle und in glühender Wut, die ihr das Herz schneller schlagen ließ, schlug sie mit der Faust gegen die nahe Anrichte. Einmal, zweimal, so oft bis ihr die Knöchel schmerzten. Dicke Tränen rannen ihr über die Wangen, Hoffnung, Zorn und Verzweiflung rangen in ihr um die Vorherrschaft, legten ihre Eingeweide in Asche und raubten ihren Muskeln die Kraft. Widerstandslos sackte sie auf das zwischen dem Fußende des Bettes und der Kommode ausgebreitete Schneesäbelzahnfell, vergrub die Finger im weichen Flaum und rollte sich auf die Seite.
So harrte die Kaiserliche aus, bis es an der Tür klopfte und sie aufschreckte. Hastig griff sie sich einen Kupferkamm aus einer Schublade der Anrichte, wischte die getrockneten Tränen mit dem Ärmel der Tunika aus dem Gesicht und begann damit, ihr Haar zu ordnen. »Ja?«, rief sie schließlich.
»Ich bin’s.« Aelas Stimme drang durch die Tür.
»Komm rein.«
Die rothaarige Nord trat ein, Vesas Jacke und Handschuhe über einem Arm. »Skjor meinte, das wären Deine Sachen.«
»Sind sie, danke.« Ihr Gast legte sie auf das Bett, blieb anschließend jedoch stehen und verließ das Zimmer noch nicht. Vesana hielt in ihren Bewegungen inne und wandte sich der Nord zu.
Einen Moment lang schwiegen sie sich an, doch war es Aela, die schließlich die Stille zerriss. »Ich habe von Vilkas gehört, was passiert ist. Falls es Dir etwas bedeutet, ich war von Anfang an dagegen, es Dir nicht zu sagen«, erklärte sie und die Kaiserliche fuhr damit fort, sich das Haar zu kämmen. »Skjor ebenfalls. Vilkas und der Alte hatten ihre Zweifel, Farkas hat sich seinem Bruder angeschlossen.« Vesa neigte kaum merklich das Haupt, unschlüssig, was sie von den Worten der Nord halten sollte. »Was ich damit sagen möchte: Ich glaube, Du hast das Richtige getan – und sollte der Mistkerl reden und Dir etwas nützliches verraten, Du kannst auf meine Unterstützung zählen.«
»Danke«, flüsterte die Jägerin, unfähig die Stimme zu heben. »Er weiß etwas, ganz sicher«, setzte sie nach kurzem Zögern fort. »Er war da, als Darius mit seinem alten Rudel eingefallen ist, er kann sich an die Ereignisse erinnern. Ich glaube auch, dass er Darius direkt kennt, wenigstens vom Sehen.«
Aela nickte und trat einen Schritt auf sie zu. Einen Augenblick verharrte sie so, dann legte sie der Kaiserlichen eine Hand auf die Schulter. »Dann bringen wir ihn zum Reden«, bekräftigte die Nord, nickte Vesa zu und verließ anschließend deren Zimmer. Mit der Tür im Schloss, warf sie den Kamm achtlos auf die Kommode, schlug die Hände vor das Gesicht und brüllte ihren Frust gegen die Handballen, dass es kaum mehr als ein animalisches Stöhnen war. Ein schneller, unüberlegter Tritt gegen den Bettpfosten, sandte heiße Flammenzungen durch ihren Fuß und lüftete den Schleier der Wut wenigstens ein Stück.
Schleifend die Luft einsaugend, gewannen ihre Gedanken einen Teil ihrer Klarheit zurück. Sie wollte sich selbst zur Geduld mahnen, in Erinnerung rufen, dass es eine Weile dauerte, bis ihre Druckmittel bei dem Gefangenen Wirkung entfalten mochten. Doch Geduld war etwas, dass sie nach all der Zeit, die Darius inzwischen verschwunden war, nicht mehr aufzubringen vermochte. Sofort wollte sie wissen, ob ihn die Silberne Hand dahingerafft hatte und wenn ja, wo seine Leiche lag. Oder ob er vielleicht doch noch lebte, nach all der Zeit. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, das er derart lange in Gefangenschaft überlebt hätte. Und dennoch wusste Vesa auch, dass all das Auf- und Ablaufen, all das Fluchen und zornige Schlagen gegen Möbel nichts daran änderte, dass sie warten musste.
Letztlich raffte sie sich dazu auf, ihre Jacke und Handschuhe zusammenzulegen und auf der Kommode zu deponieren. Vielleicht würde es ihr helfen, zu lesen. Das Buch über Dwemer stand noch immer angebrochen in ihrem Schrank. Obgleich sie wenig Hoffnung hegte, dass es funktionierte, legte sie sich mit der Lektüre auf ihr Bett und begann zu blättern.
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Geändert von Bahaar (07.03.2015 um 10:33 Uhr)
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