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Thema: [Sky] Rollenspielthread #1 (Signatur aus)

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  1. #1

    Himmelsrand, Einsamkeit

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    »Willkommen im Hafen von Einsamkeit«, brummte ein abgewetzter Nord in wetternassem Wollumhang und ließ von einem dicken Tau ab, dessen Sitz um einen Pfosten des Stegs er wohl gerade prüfte. »‘n Anlegeplatz gibt’s für fünf’n’dreißig Septime ‘n Tag«, verkündete er gleich darauf, rieb die in dicken Handschuhen steckenden Hände an- und verschränkte anschließend die Finger vor dem Mund ineinander. Lange seufzend stieß er einen schwall Wasserdampf aus, der sich in seinem strohigen Bart als Reif niederschlug und zu den graupeligen Kristallen aus der grauen Luft gesellten, die sich dort verfangen hatten. »Un‘er is‘ für nich‘ Geschäftstreib‘nde auf ‘ne Woche Anlegedauer b‘fristet«, setzte er nach, senkte die Hände und zog derart laut Rotz in der Nase hoch, dass es Amelia eiskalt den Rücken hinablief. Schaudernd wandte sie ihren ob der direkten, unfreundlichen Art ohnehin schon entgeisterten Blick von seinem zerklüfteten Gesicht ab, ließ ihn stattdessen die Uferböschung hinauf zur Straße gleiten. Zunächst dieser nach Süden folgend fand sie irgendwo im zwielichtigen Dunst der Mittagszeit die Konturen eines Wachturms und huschte im Anschluss über die Klippen nach Norden zur Stadtmauer, die hoch über den schroffen Felsen thronte.
    »Sagen wir vierzig Septime – und vergessen die Frist«, erwiderte Natalios und die Bretonin vernahm das leise Klimpern von Münzen, als ihr Onkel nach dem Geldsäckel an seinem Gürtel griff.
    Kurz pausierte der Nord. »Aye, mei‘ Herr.« Gierige Leichtigkeit schwang in der Stimme des Hafenmeisters mit und sie glaubte, das Funkeln in seinen Augen beim Geräusch des Geldes in ihrem Nacken brennen zu spüren. Sachte den Kopf schüttelnd entfernte sie sich etwas von der Gruppe, während diese die restlichen Formalitäten klärte. Vorsichtig setzte sie einen kleinen Schritt vor den anderen auf den von Nässe schimmernden, schmierigen Planken der Stege. Unbekümmert trottete Rasvan neben ihr her. Weder der schneidende Wind, noch die Flocken oder die Nässe auf dem Holz schienen dem weißen Halbwolf etwas auszumachen. Beneidenswert, wie Amelia fand. Mit den Händen unter den Stoff des Umhangs vor Brust und Bauch ineinander verschränkt, wartete sie auf den Rest der Gruppe, wanderte mit den Augen aber über die Taue und Takelage der anderen angelegten Schiffe. Vereinzelt machte sie Männer der zugehörigen Mannschaften in den Seilen oder auf den Decks aus. Niemand beachtete ihre kleine, zierliche Gestalt, wie sie wohl reichlich verloren wirkend unnütz in der Gegend stand.
    »Wäre das auch geschafft«, seufzte ihr Onkel, legte ihr im Vorbeigehe eine Hand in den Rücken und mit sanftem Druck verleitete er sie dazu, neben ihm zu gehen. Schwere, dumpf polternde Schritte, die selbst die dicken Planken der Stege zum Knarzen brachten, gingen von ihren gepanzerten Begleitern aus, als diese hinter ihnen folgten. Erst jetzt fiel ihr auf, dass ihre Wachen die Umhänge vor den Harnischen zusammengezogen hatten. Zweifelsohne um die Wappen zu verbergen.
    »Ich will es ihm nicht verübeln«, gestand sie und hob die Hände vor den Mund. Vergeblich hauchte sie gegen diese, die Wärme ihres Atems verklang noch ehe er sie erreichte. Natalios Schmunzeln hörte sie nur leise neben sich.
    »Dass er Geldnöte hat, nehme ich ihm auch nicht übel«, erwiderte ihr Onkel als sie gemeinsam die Treppen zum Ufer hinaufstiegen und anschließend auf den steilen, verschneiten Weg zur Stadt einbogen. Der Wind hier, zwar dicht an den Klippen, aber doch deutlich über dem Wasser und aus Richtung der Bucht ungeschützt, schnitt deutlich schärfer und verbiss sich schmerzhaft in ihre freien Hautstellen im Gesicht und an den Ohren. »Aber es ist kein Freischein für Unfreundlichkeit.«
    »Wohl wahr«, nickte sie und folgte einer Stadtwache mit den Augen, als sie von oberhalb die Straße hinabstieg. Ein rotbrauner, abgetragener Überwurf lag über der gefütterten Rüstung, verdeckte das gesteppte Wams. Ein Rundschild, ebenfalls rotbraun gestrichen und mit einem gezeichneten Wolfskopf darauf pendelte mit dem linken Arm an der Seite des Gerüsteten. Zwar beäugte der Mann die Bretonen misstrauisch, aber offenbar stand ihm in diesem Wetter nicht der Sinn danach, sich mit Fremden draußen zu befassen. Zumindest deutete Amelia seinen unverhohlenen Blick in Verbindung mit der an ihnen vorbeiführenden Laufbahn so.
    »Sybille erwartet uns, Herr?«, wandte sich Lida an Natalios, als der Stadtsoldat gerade so in Hörweite sein mochte.
    »Sie weiß, dass wir auf dem Weg zu ihr sind«, erwiderte der Angesprochene und schien wohl gar nicht bemerkt zu haben, was die Magierin eigentlich bezweckte. Amelia schenkte dem entgegenkommenden Wächter ein mildes Lächeln, nickte ihm zu und ließ ihn die für ihn deutlich unbequeme Situation damit entschärfen, dass er seinen starrenden Blick abwandte. Hatte die Wache bis dahin noch etwas unentschlossen gewirkt, so blieb nun wenig Zweifel, dass sie sie nicht behelligen würde. Ein Paradebeispiel für die Macht, die Namen allein entfalten konnten, und wie sie in ihrer Heimat schon so manches mehr gesehen hatte.
    »Wir werden im Palast unterkommen, Nat?«, wandte sich die Adelige an ihren Ohm.
    »So hatte es Sybille in ihrem Brief geschrieben, ja.«
    »Gut. Der Weg zur Stadt deucht mir nämlich reichlich lang zu sein.«
    Natalios lachte auf. »Das ist er, ja. Aber es ist nicht mehr allzu weit.« Er hob die Linke und deutete auf eine Ansammlung von Häusern am Straßenrand. Einem hoch aufragenden, dunklen Wachturm gegenüber duckten sie sich furchtsam von einzelnen, kahlen Bäumen umringt in eine Senke im Abhang. Kinder spielten im Schnee und im Hintergrund, umringt von den Gebäuden und einem vom Pferdeatem dampfenden Stall, hievte ein älterer Nord Heu quer über den Platz. Der Wind trug eine sich in der Kälte schnell verflüchtigende Note von Dung mit sich, die Amelia die Hand vor die Nase heben ließ. »Der Weg von den Ställen zum Stadttor ist kürzer als der zum Hafen«, erklärte der zweite Adelige.
    Erleichtert seufzte sie und beobachtete die vier Jungen und das Mädchen, wie sie sich gegenseitig durch das tiefe, pulvrige Weiß hetzten und gegenseitig mit diesem bewarfen. Ihre hellen Stimmen und die gegenseitigen Rufe, sie wären doch alle langsamer als wer auch immer gerade rief, schwangen auf den Windböen zu den Bretonen hinüber. Schmunzelnd verlangsamte Amelia ihre Schritte, ließ sich vom Rest ihrer Gruppe überholen und blieb letztlich einen Moment stehen, um dem kindlichen Treiben zwischen blätterlosen, störrischen Sträuchern und überfrorenen Baumstämmen zuzuschauen. Dass die Echos ihres wilden Chors gespenstisch und leicht verzerrt von den Klippen hinter Amelia auf den Böen ritten, blendete die Adelige weitestgehend aus und schob die Schuld an dem leichten Anflug von Gänsehaut auf ihren Armen der Kälte zu, die ihre gierig grabschenden Finger unter die schichten ihrer Kleidung schoben.
    Die fünf Knirpse bemerkten sie indes gar nicht und setzten ihre Schlacht im Schnee fort. »Du bist«, rief einer der Jungen, als er einen anderen erwischte und stiebend zu Fall brachte. Vom Anblick des Gestürzten vereinnahmt, als er sich weißgepudert abklopfte und schnaufte, verlor die Bretonin die Übrigen aus den Augen und suchte sie anschließend ebenso wie der neue Fänger vergeblich im Gestrüpp und zwischen den großen, dunkelgrauen Felsen am Wegesrand. Das tat sie, bis der zuvor Gefällte plötzlich lospreschte und auf ein Gebüsch zu rannte. »Seh Dich!«, rief er glucksend und hüpfte munter durch den Schnee, als hätte es seinen Sturz nie gegeben.
    Noch im selben Augenblick sprang das Mädchen in einer Woge aus Flocken aus dem zugeschneiten Strauch und rannte quer über die Straße. Abwechselnd kichernd und aufgeregt kreischend schaute sie über die Schulter zurück zu ihrem Verfolger, hielt blindlings auf Amelia zu. Obwohl diese das bemerkte, faszinierte sie das unbekümmerte Spiel zu sehr und überlagerte sich mit so mancher Erinnerung aus ihren eigenen wilden Jahren, als dass sie reagieren konnte. Als das Mädchen letztlich doch wieder nach vorn schaute, war es bereits zu spät. Aus vollem Lauf stieß es mit der Bretonin zusammen und riss sie nieder.
    Der kurze Schmerz in den Beinen und dem Bauch wich schon nach wenigen Herzschlägen der brennenden Kälte des über sie hereinbrechenden Schnees. Schnaufend, bald mit rasselnden Atemzügen kämpfte sich Amelia in eine sitzende Position hoch, stützt die Hand auf den raugefrorenen Boden und stand auf. Erst danach vernahm sie das leise Schluchzen des kleinen Mädels neben sich. Die Mundwinkel zum Kinn gezogen hockte es auf dem Boden, eine kleine Schramme zeichnete die Wange ihres aufgeplusterten, sommersprossigen Gesichts und dicke Tränen rannen ihr aus den Augenwinkeln.
    Keiner der vier Burschen schien es zu wagen, sich der leicht als solche zu erkennenden Adeligen und ihrem Pechvogel zu nähern. Eine zweifelsfrei typische Reaktion. Kurzerhand hockte sich Amelia vor das Mädchen, klopfte sich nicht einmal ab und richtete stattdessen die schneeverkleisterte Fellkleidung des Sprösslings. »Verzeiht«, raunte die Kleine und schlang die Arme um die Knie. »‘s war kei-«
    »Nichts passiert«, unterbrach die Bretonin sie und gewann ihr Lächeln wieder, obgleich der unter ihre Kleidung geratene Schnee und die über ihre Haut rinnenden eisigen Tropfen dieses zu verzerren versuchten. Mit großen Augen starrte sie das Kind nun an. Eine freundliche und nachsichtige Blaublütige schien sie wohl dann doch nicht allzu oft zu sehen. Kurz legte eben diese ihre schlanken Finger an die Wange des Mädchens wo sich der Schmiss hellrot auf der blassen Haut abzeichnete. Nichts weiter Schlimmes, die Kälte würde es zunächst ohnehin betäuben. Vorsichtig nahm sie ihre Finger von dem Kind und formte anschließend mit beiden Händen eine lose Kugel. Lider geschlossen, konzentrierte sie sich einen Moment und sammelte etwas Mana in den Fingern, wie sie es sonst auch bei den Übungen mit ihrem Onkel tat. Gleich darauf ließ sie es in die Luft herausfließen und formte es zwischen ihren Händen.
    Erst dann öffnete Amelia die Augen und beobachtete zufrieden den vom schwachen leuchten zwischen den Fingern der Bretonin gefangenen Ausdruck auf dem von zahllosen Pünktchen gezeichneten, kindlichen Gesicht. Wenig später endete das Spektakel und sie öffnete die Hände. Zum Vorschein kam eine gletscherblaue Blütenknospe aus Eis, die sie vorsichtig mit der Linken aufhob während sie ihr mit der Rechten noch einen schlanken Stiel verlieh und sie anschließend dem Mädchen reichte. Mit offenstehendem Mund nahm sie das zerbrechliche Pflänzchen entgegen, doch kaum hatte Amelia ihre Schöpfung aus den Fingern gegeben, begann erst der eigentliche Trick.
    Nochmals sammelte sie etwas magische Energie und sandte sie dem Blümchen zu. Leise knirschend lösten sich die Blütenblätter voneinander und quollen auf, bis die Eisblume in voller frostig-schöner Entfaltung stand. »Sei in Zukunft etwas vorsichtiger«, lächelte Amelia das Kind an und erhob sich. Obgleich die Menge an Magie kleiner war, als was sie sonst bei Übungen mit Natalios in Eispfeile oder ähnliches verwandelte, die Finesse und Detailstufe der Übung verlangte nach deutlich größerem Fokus. So atmete sie erst noch einmal tief durch und suchte ihr Gleichgewicht im Angesicht schmerzlich in den Schläfen stechenden Schwindels, bevor sich Amelia daran machte, zur stehengebliebenen Gruppe um ihren Ohm aufzuschließen.
    Ebenso wie diese, hatte auch Rasvan das Geschehen beobachtet und kam nun schwanzwedelnd auf sein Frauchen zu. Offenbar schien er die Situation als ungefährlich, aber kein Spiel eingestuft zu haben. »Alles gut«, flüsterte sie ihm zu als er ihr um die Beine strich und sie ihm durchs Fell fuhr. Kurz darauf schwappten auch wieder fröhliche Kinderrufe von hinten über sie hinweg und zauberten ihr ein breiteres Lächeln auf die kalten, vom Schnee benetzten Lippen, trieben Wärme in ihr Herz, das der Eisblume gleich auf magische Weise aufzublühen begann und wenigstens temporär die eisigen Schauer ihres Leibes verdrängte.
    »Vorsicht, Herrin, sonst lernen Euch die Menschen dieses Landes noch lieben.« Ein bäriges Lächeln umspielte Koljas rauen Lippen im dichten Bart, bevor er sich abwandte und die Führung auf ihrem Weg zur Stadt übernahm. Das Schaben und Rasseln seiner Rüstung, welches jeden Schritt begleitete, dämpfte der schwere Umhang, ebenso wie bei ihren anderen gerüsteten Begleitern. Beinahe klang es wie das Knirschen des Schnees unter ihren schweren Schritten.
    »Wäre das so schlimm?«, fragte sie und versuchte vergeblich, die letzten Reste des Schnees aus den Falten ihrer Gewänder zu klopfen.
    »Die Liebe der Nord mag innig sein, aber sie ist ebenso wild wie ihr Land. Eine fragile Eisblume mag zwischen ihren groben Händen schnell zerbrechen«, erwiderte der Hauptmann unterdessen Amelia ihre Mühen einstellte und resigniert die Arme unter ihren schweren, roten Umhang zurückzog.
    »Solch Weisheit. Ich werde sie berücksichtigen.« Kurzes, heiteres Schnaufen folgte ihren Worten. Tänzelnd schwang der kurze, das obere Kopfhaar zusammenhaltende Pferdeschwanz hin und her, als seine Schultern in stillem Lachen bebten. Kolja wusste, dass er ihren leichten Spott nicht ernst nehmen brauchte, dafür kannte er sie bereits zu lang.
    Erschrocken zuckte sie plötzlich zusammen und sah über die Schulter. Irgendetwas machte sich an ihrer Kapuze zu schaffen. Mit geschlossenen Lidern seufzte sie und schüttelte kurz das Haupt, bevor sie die Augen erneut öffnete und ihren Onkel anlächelte. Natalios drückte den fellgefütterten, weiten Überwurf von unten nach oben durch und klopfte den darin gefangenen Schnee heraus. Ein verschmitztes Lächeln zupfte an einem seiner Mundwinkel unter dem blonden, leicht rötlich eingefärbten Schnauzer und schenkte ihr ein Zwinkern. Irritiert und verwirrt von der Geste wandte sie sich letztlich nach vorn, um nicht noch einmal der Länge nach im weißen Pulver zu ihren Füßen zu landen und folgte dem schwer gerüsteten Hauptmann weiter die steile Straße hinauf. Die Zwillinge Bedrich und Franos sowie Lida folgten hinter ihr und Natalios.
    »Ein wenig Wohlwollen von den Menschen hier kann uns sicher nicht schaden«, erklärte ihr Ohm schließlich. »Aber vielleicht sollten wir es langsam angehen lassen.«
    »Gewiss, Nat«, räumte Amelia ein und lächelte, indessen sie ihren verrutschten, bis zum Gürtel reichenden Zopf erneut um ihren Hals und Schal wickelte.
    »Auf direktem Wege zum Blauen Palast, Herr?«, wechselte der dunkelhaarige Kolja daraufhin das Thema.
    »Es wird später Zeit bleiben, die Stadt zu besichtigen. Jetzt ist erst einmal wichtig, dass wir einen Platz im Palast bekommen und uns einrichten können.«
    »Gut.«
    Damit erreichten sie auch schon die deutlich breitere und ebenmäßigere Straße, die oberhalb des Gehöftes mit den Ställen und spielenden Kindern, direkt unterhalb bedrohlich wirkender, weit aufragender und schroffer Felswände zur Stadt führte. Zu ihrer Linken verlor sich der Weg irgendwann zwischen Bäumen, Felsen und dem leichten, grauen Geriesel in der Luft, wirkte mehr gespenstisch als alles andere. Zu ihrer Rechten schob sich die Straße am Wachturm vorbei, eingepfercht zwischen scharfen Klippen zu beiden Seiten und hielt direkt auf ein geöffnetes Torhaus zu, hinter dem der festgetrampelte, braun verfärbte Schnee der stärker begangenen Straße einfach weiter geradeaus und leicht bergauf führte. Wie weit, das vermochte Amelia nicht zu erkennen.
    »Lügner«, murmelte sie und stieß ein leises Schnaufen aus.
    Ihr Onkel schien die Anspielung zu bemerken und lachte verhalten. »Zugegeben, der Weg zur Stadt ist von den Ställen womöglich doch nicht kürzer als bis zum Hafen. Die Karten sind recht ungenau und ich war nur einmal hier, vor etlichen Jahren.«
    »Hm. Schon gut.« Sie atmete durch und verdrängte den Ärger ob des langen Marsches. Ihre erste Reise soweit fern der Heimat und in einem fremden Land sollte Grund für Aufregung bieten und nicht an langen Fußwegen leiden. Zumal sie auf diesem Wege etwas vom Land sah und es zukünftig wohl noch so manche längere Wanderung geben mochte.
    Der Weg bis zum eigentlichen Stadttor, das hinter dem ersten und am Ende einer langen Mauer zu ihrer Rechten auftauchte, verstrich letztlich schneller, als Amelia es befürchtet hatte und die Tatsache, dass die Straße deutlich flacher als der Weg zum Hafen verlief, löste ihren unsinnigen Ärger letztlich ganz auf wie die Sonne Morgennebel.
    Ein unüberwindbares Bollwerk, so ragte das riesige, granitgraue Torhaus aus groben Steinquadern vor ihnen auf, gesäumt von Türmen, die jene des vorgelagerten Portals und jenen an den Stallungen nochmals überragten und Schwindel über die Bretonin brachten. Ihren Kopf leicht in den Nacken gelegt, folgte sie den Bauwerken nur kurz mit den Augen, bevor sie sich wieder auf die Wachen am geöffneten Durchgang konzentrierte. Mit ihren roten Überwürfen, den runden Schilden und die Gesichter verdeckenden Helmen boten sie einen einschüchternden Kontrast zu Kolja und den anderen bretonischen Gerüsteten.
    »Wer seid Ihr und was wollt Ihr in Einsamkeit?«, begehrte prompt einer der Männer blechern unter seinem Kopfschutz hervor zu wissen und rückte demonstrativ das runde, von einem Eisenring umfasste Holz in seiner linken Hand zurecht. »Ärger hoffentlich nicht.« Auch wenn Amelia die Augen der Männer durch die Sehschlitze kaum zu erkennen vermochte, dem grauen Zwielicht des trüben Wetters sei Dank, so glaubte sie dennoch den skeptischen Blick auf sich und ihren Begleitern ruhen zu spüren, trieb ihr eine dünne, glühende Lanze durch die plötzlich unruhige Brust.
    »Gewiss keinen Ärger«, erwiderte Natalios und verlor einen großen Teil der Wärme in seiner Stimme. Für die Wachen bliebe der plötzliche Wandel unbemerkt, aber der jungen Adeligen jagte es dennoch einen Schauder über den Nacken. »Wir sind auf dem Weg zum Blauen Palast und werden erwartet. Mehr müsst Ihr nicht wissen.«
    »Ist dem so?« Die Worte des Torwächters klangen in Amelias Ohren ätzend, aber das mochte nur ihr so gehen. Als unfreundlich dürften sie aber wohl alle empfinden. »Und woher soll ich das Vertrauen nehmen, Euch dies zu glauben?« Rasvan, der sich in seiner Neugier für das unbekannte Land bislang ruhig verhalten hatte, schien mit den Wolfssinnen seiner Mutter inzwischen allerdings auch bemerkt zu haben, dass eine gewisse Spannung, einem fernen, zunächst noch dunkel am Horizont drohenden Gewitter gleichkommend, in der Luft lag. Seine Ohren standen hoch, der Blick starr auf die unter roten Überwürfen mit bronzenen Broschen des Wolfswappens der Stadt steckenden Wächter gerichtet und dickt an Amelias Hüfte geschmiegt. Unwillkürlich griff sie mit der Linken in das Fell zwischen seinen Ohren, um ihn zu beruhigen. Es würde gewiss nichts passieren, davon ging sie aus, obgleich sich dennoch eine leicht zitternde Unruhe in ihre Eingeweide schlich.
    »Wie oft kommt es vor, dass bretonischer Adel nach Einsamkeit reist?«, hielt ihr Ohm ungerührt dagegen, offenkundig unwillig ihre genauen Beweggründe preiszugeben. »Wir werden von der Hofmagierin des Jarls erwartet. Lasst uns warten und sprecht mit ihr, bevor Ihr uns einlasst. Ich bin sicher, sie wird Euch für Euren Eifer belohnen.«
    Seiner Nichte entlockte diese Bemerkung, die nicht frei von einer feinen, kaum zu bemerkenden Note spitzer Ironie daherkam, ein kurzes Japsen in Heiterkeit. Den Wachen hingegen schien dies gar nicht zugefallen, strafften sie doch merklich die Schultern, wuchsen dabei noch einige Fingerbreiten über die ohnehin schon kleineren Bretonen hinaus und machten unmissverständlich klar, welchem Volk sie entstammten – wenn denn nach ihren rauen, ungehobelt klingenden Worten überhaupt noch Zweifel geblieben waren. Dennoch schwiegen sie.
    Es dauerte einen weiteren Moment, dann nickte der rechte, etwas größere der Beiden seinem Kameraden zu und trat zur Seite. »Willkommen in Einsamkeit, mein Herr«, brummte er noch, als die sechs Neuankömmlinge an ihm vorbeischritten. »Genießt Euren Aufenthalt am Hof.«
    Niemand ging weiter auf die Bemerkung ein, stattdessen verdrängte die quellwassergleich aufkeimende Aufregung in Amelias Brust die meisten Gedanken an das Geschehen und ließ ihren Blick in Neugier durch die Straßen- und Häuserfluchten der Stadt schweifen, als sie durch die dicken Wälle hindurchschritten und die Hauptstadt von Himmelsrand endlich betraten. Überwältigend brandete die Geräuschkulisse aus hunderten und aberhunderten Kehlen auf sie ein, drückte schwer auf die Ohren nieder und reicherte sich mit dem Duft zahlloser Leiber an, der trotz der betäubenden Kälte nicht verschwinden wollte. Nach all der Zeit auf See und umgeben von salziger Gischt befand Amelia den Odem von Schweiß, altem Leder und den üblichen Düften großer Märkte für eine zumindest vorrübergehend willkommene Abwechslung.
    »So viel zum Thema Wohlwollen sammeln«, spöttelte sie letztlich aber doch noch, ohne die Augen von den dunkleren Gassen zwischen den hohen, engstehenden Gebäuden aus ebenso dunklem Stein wie die Wälle und Fachwerk zu lösen. Hohe Giebel türmten sich überall auf, die Schindeln ihrer Dächer bereits verdeckt von festgefrorenem Schnee des längst angebrochenen, hier im Norden winterlich daherkommenden Herbstes verdeckt.
    »Die Wachen werden darüber hinwegkommen, sobald sie von Sybille entsprechende Weisungen erhalten. Sie müssen nicht wissen, weswegen genau wir hier sind«, erwiderte Natalios.
    »Ich weiß, Nat. Ich weiß.« Sie dämpften ihre Stimmen, als sie im Getümmel der Menschen eintauchten, die jetzt zur Nachmittagszeit unverändert emsig ihren Wegen nachgingen. Den Gerüsteten in ihren schweren, blauen Mänteln, dem blonden Bretonen mit auffällig gut gepflegtem Schnauzer und Ziegenbart und der jungen Frau unter ihrer rubinroten Wolle schenkten sie jedoch kaum Beachtung. Stattdessen mussten Kolja, Bedrich und Franos – bullig, wie sie waren – einen Weg durch die Mengen Bahnen, während Lida und Rasvan dicht bei den beiden Adeligen blieben. »Sie erschienen mir ohnehin recht knausrig mit Wohlwollen, ja Etiketten allgemein, umzugehen«, fügte Amelia nach einem Moment hinzu und versuchte sich erste Wegmarken zu suchen, an denen sie sich orientieren konnte – sie mochte es nicht, blind auf die Ortskenntnis anderer angewiesen zu sein.
    Beherztes Lachen quittierte ihren Kommentar und entstammte mehr als nur einer Kehle. »Du hast einen wahrhaft eigenen Weg mit Worten, Lia«, räusperte sich Natalios schließlich, indessen sie an einem Laden vorbeikamen, der Amelias Interesse weckte. Glänzende Gewänder stand auf dem im seichten Wind zwischen den Mauerwerken schwingenden Schild, das vom Vordach hing. Hier würde sie sicherlich mehr als einmal untertauchen. »Wie sonst niemand«, fuhr ihr Ohm fort, »vermagst Du es freundlich zu klingen und gleichzeitig beleidigend zu sein.« Kurz pausierte er und fing sich letztlich gänzlich zurück in ruhiger Ernsthaftigkeit auf. »Himmelsrand ist derzeit ein gefährliches Pflaster. Misstrauen und Vorsicht an den Toren sind dieser Tage besser als Nachsicht auf den Straßen dahinter.«
    Amelia rang es einen Moment des Schweigens ab, währenddessen sie noch eine Taverne und eine Handvoll weiterer Geschäfte bemerkte. Offenkundig mussten sie sich hier im Händlerviertel der Stadt befinden. Leinen mit bunten Wimpeln spannten sich zwischen Dachfirsten, Giebelbalken und Vordächern von einer Seite der Hauptstraße zur anderen und setzten sich einem farbenfrohen Spinnennetz gleich auch in den Seitengassen fort. Die Menschen mussten wohl gerade erst ein Fest gefeiert haben – Vielleicht den Abschluss der Ernte oder etwas in der Art.
    Gleich darauf schalte sie sich selbst ob ihrer initialen Verwunderung, immerhin ergab es Sinn, sich als Händler nahe an den Toren niederzulassen. Irgendwo voraus verbreiterte sich das Areal nochmals, bevor es sich im Hintergrund an hohe Mauern schmiegte und eine steil den Berg hinaufgewundene Straße zu einer Art Festung führte. »Ist es um dieses Land wirklich so schlecht bestellt, Nat?« Mitleid und ein seltsames Gefühl von Schwere, von dem sie nicht recht wusste, woher es kam, hängten sich bleiern an die Zunge der Bretonin.
    »Nun, ich kenne mich selbst gewiss nicht besonders gut aus und Hochfels ist dieser Tage sicherlich kein viel friedlicheres Pflaster … Aber ja. Der Bürgerkrieg hier im Norden hinterlässt tiefe Wunden.« Mehr als ein knappes Nicken gab sie nicht zur Bestätigung ab und suchte unwillkürlich das Haupt ihres weißen Halbwolfs, der wachsam neben ihr trottete und jeden zu nahe kommenden Streuner aus der Meute um sie herum mit einem drohenden Knurren davon abhielt, seiner Herrin zu nahe zu kommen. »Es wäre sinnvoll, am Hofe mit Meinungen zu diesem Thema großzügig hinter dem Berg zu halten, Amelia.«
    Dass sich der übliche, erhabene und weise Tonfall des Lehrmeisters Natalios, ihrem Mentor seit Kindertagen, in seine Worte schlich, entging ihr nicht. »Weshalb?«, fragte sie dennoch. »Weshalb genau, meine ich.«
    »Zunächst, weil Du noch weit weniger über die Geschehnisse in diesem Land weißt, als ich.« Eine Note von Tadel und noch mehr der Schulmeisterlichkeit schwangen in seiner Antwort mit. »Und zum anderen, weil es am Hofe hier mehr noch als in anderen Landesteilen ein sensibles Thema sein wird, von dem wir besser die Finger lassen, wenn wir nicht darauf angesprochen werden.«
    »Jarl Elisif – So lautete ihr Name doch, nicht? – ist direkt betroffen«, stellte sie mehr fest, als dass sie fragte und sich mental direkt selbst nochmals Bestätigung auf ihre Unsicherheit gab. All die neuen Eindrücke und der unverhofft imposante Anblick eines weiteren, gigantischen Torbogens, der von der hoch liegenden Festung zu ihrer Linken über die Stadt zu den östlichen Wehrmauern führte wie der natürliche Felsbogen sich über die Bucht spannte, zerstreuten ihre Gedanken und Erinnerungen an all die Dinge, die ihr Natalios im Vorfeld erzählt hatte, in alle Winde.
    »Ulfric Sturmmantel hat ihren Gatten, den eigentlichen Großkönig Himmelsrands, getötet, ja.«
    Amelia schluckte schwer und ließ das Thema letztlich fallen, wandte den Blick stattdessen hinauf, als sie unter den riesigen Bogen aus gemauertem Stein hindurchschritten und offenkundig noblere Stadtteile erreichten. Weit weniger geschäftig, von größeren Häusern und ausladenden Straßen mit Büschen und Sträuchern gezeichnet, die im Sommer zweifelsfrei wohl beschnitten und blühend für farbenprächtige Abwechslung sorgten, unterschied sich das Bild doch deutlich von den engen Gassen und dichten Gebäuden abseits der Hauptstraße.
    »Meinst Du, es gibt am Hofe einen Historiker, der Zeit erübrigen kann?«, hakte sie nach, als sie gerade die abschüssige Straße zwischen so manche Villa hinabschritten und vermochte zum ersten Mal einen Blick auf das Ziel ihrer Wanderung zu erhaschen. In diesem Augenblick überkam sie auch die Erkenntnis, warum genau das große Bauwerk Blauer Palast genannt wurde. Prunkvoll mochte es ob des tristen Steins des Mauerwerks nicht genannt werden, aber imposant nichtsdestotrotz. Die ganze Breite des monumentalen Klippenbogens ausfüllend, erhob sich die Fürstenresidenz mit spitzen, tiefblauen Dächern, Türmen und sogar einem großen Dom in den Himmel.
    Natalios belustigtes Schmunzeln ging in ihrem abwesenden Mustern, halb staunend, halb enttäuscht, unter. »Da ist sie wieder, die Neugier meiner Schülerin.« Amelia hörte es kaum, blieb zu vereinnahmt vom Anblick und ihren Gedanken. Obgleich der Sitz der mächtigsten Frau Himmelsrands und ihrer Vorgänger, empfand die Bretonin den Palast keinesfalls als außerordentlichen groß oder schön. So manche Villa entlang der Straße, die sie hinabschritten und auf der sie nun doch mehr als nur vereinzelte Blicke der sporadischer verstreuten Anwohner erhielten, besaß mehr architektonische Finesse als das Äußere des Palastes. Selbst Nevenaste, die Burg ihrer Familie – eine Burg – besaß mehr Feingefühl als dieser Klotz.
    »Sybille ist nicht nur Hofmagierin, sondern auch Historikerin«, fügte ihr Ohm einen Moment später hinzu und riss Amelias Aufmerksamkeit schließlich doch noch an sich. Hoffnungsvoller und die erste Enttäuschung mit ihrem neuen Heim für die nächsten Tage und vermutlich Wochen rasch beiseiteschiebend, wandte sie sich ihm zu. »Allerdings«, fuhr er gedehnt fort, »ist sie eine beschäftigte Frau und nicht unbedingt … einfach. Ich bezweifle aber nicht, dass sie so manches lehrreiches Buch für Dich erübrigen können wird.«
    »Es soll mir genügen«, nickte die junge Adelige und setzte ein zufriedeneres Schmunzeln auf. »Wir sind ja ohnehin nicht für Geschichte hier.«
    »Nein, in der Tat. Dennoch soll auch dafür Zeit bleiben, wenn Du Dich dafür interessierst, keine Sorge. Geschichte – egal welche oder wessen – ist wichtig.«
    »Ich interessiere mich für viel zu viele Dinge, Nat, das weißt Du,« feixte sie und wandte sich mit etwas mehr Wohlwollen in ihrem Blick erneut dem Blauen Palast zu, die neugierigen Blicke der Anwohner und Adeligen dieser palastnahen Stadtteile soweit möglich ignorierend. Eigentlich hätte sie es wohl gewöhnt sein müssen, immerhin wollten auch in ihrer Heimat die Menschen auf den Straßen einen Blick auf sie erhaschen, wenn sie sich unter das Volk mischte – soweit dies mit einer Entourage aus schwer gerüsteten Leibwächtern denn gelang. Allerdings gelang ihr dies in dieser fremden, unwirtlichen Umgebung dann doch nicht vollkommen.
    »Das ist mir nur allzu gut bewusst. Aber genau deswegen hängst Du ja schon vierzehn Jahren an meiner Backe und quälst mich mit Fragen.« Den grimmigen Seitenblick aus übertrieben zu ärgerlichen Schlitzen zusammengekniffenen Augen heraus, den seine Nichte ihm zuwarf, ignorierte Natalios geflissentlich mit starr auf den immer näher rückenden Palast und seine Wächter ausgerichtetem Gesicht und gehobenem Kinn. Oder er nahm ihn gar nicht erst wahr. Manchmal wusste die Bretonin den Unterschied nicht wirklich zu erkennen.
    Aber letztlich wandte sich Amelia ebenfalls nach vorn und spürte unvermittelt neuerliche, heiße Aufregung in ihr Herz fahren, wie sie dieses höher schlagen ließ und mit blitzartigen Stichen quälte. Ein verspieltes, träumerisches Schmunzeln stahl sich auf ihre schmalen, von der Kälte trocken gewordenen Lippen. Besuche an den Höfen großer Fürsten oder gar Könige zählte sie nur wenige in ihrem bisherigen Leben. So verdrängte dieser hier mit rauschendem Blut in ihren Adern vorübergehend jeden Bedarf zu Reden und vertrieb ihre klaren Gedanken weit außerhalb ihrer Reichweite.
    »Dann wollen wir mal. Hoffentlich ist Sybille nicht zu beschäftigt und wir stehen nicht zu lange unangenehm im Rampenlicht«, seufzte Natalios gerade in dem Moment, als sie auf das hohe, wuchtige Torhaus des Palastes zuhielten. Aus irgendeinem Grund erschien es Amelia fehl am Platze, zu wuchtig und unpassend, schob es sich über die Mauern der umliegenden Palastteile hinaus. Selbst der Stein schimmerte heller, als wäre es nachträglich eingepasst worden.
    »Herr Natalios Gael Belton Val Nurinia und seine Nichte Amelia Melina Yoni Val Nevenas aus dem Geschlecht der Nevenas, Herren über Neven und Burg Nevenaste in Hochfels auf dem Weg zu Sybille Stentor, Hofmagierin. Sie werden erwartet«, stellte unaufgefordert Kolja seine adeligen Schützlinge vor, als sie die vier Wächter am Tor erreichten. Obwohl ihre Rüstungen nicht wesentlich anders aussahen, als jene der Soldaten am Stadttor, so wirkten sie mit stählernen Blättchen verstärkt und schweren Schulterkappen aus glänzendem Metall schwerer gepanzert. Offenkundig mussten sie zum engeren Kreis der fürstlichen Wachen gehören. Ihre Helme baumelten an ihren Gürteln, den von ihren Schulden versteckten Schwertern gegenüber.
    »Aye. Eure Namen sind bekannt«, erwiderte der kleinere, schlankere Wächter mit pockennarbigem, wettergegerbtem Gesicht. »Tretet ein, mein Herr«, nickte er anschließend Natalios zu und trat zur Seite. »Hrundal wird Euch in den Palast begleiten.« Daraufhin setzten sie sich erneut in Bewegung und folgten einem blonden Nord von kraftstrotzender Statur, die selbst Kolja im Vergleich wie ein Zündholz aussehen ließ. »Herrin«, nickte ihr der sicherlich in seinen hohen Dreißigern, vielleicht sogar frühen Vierzigern befindliche, kleine Wächter noch zu, als sie an ihm vorüberging. Wenigstens kannten die Palastwachen die nötigen Etiketten und sie nickte sie ihm zwar nicht zu, aber gewährte ihm ein so hauchfeines Zupfen an den Mundwinkeln, dass er es zumindest als freundliche Erwiderung erahnen konnte.
    Dann erreichten sie auch schon die andere Seite des Torhauses und schickten sich an, den verschneiten, friedlich schlafenden und doch irgendwie verwildert erscheinenden Hof zu durchqueren. Nadelfeine Stiche neuerlicher Enttäuschung mischten sich unter die heiß pochende Aufregung, während Amelia deutlich steifer auf dem Weg zum kuppelversehenen Haupthaus den Blick über die schmucklosen Fassaden der Seitenschiffe gleiten ließ. Einen gewissen Charme besaß dieses Anwesen, das spürte sie tief im Bauch, aber was für einen, wusste sie noch nicht genau zu bestimmen. Neugier würde es aber zumindest für den Anfang noch spannend machen.



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    Geändert von Bahaar(iger_ZA) (13.08.2017 um 12:54 Uhr)

  2. #2

    Himmelsrand, Einsamkeit, Blauer Palast

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    Der Weg zum Haupthaus des Palastes blieb ein kurzer, verstrich noch schneller ob Amelias Kopf in den Wolken und Augen auf den Fassaden, bevor dieser der säulengetragene Vorbau des Haupttraktes abschnitt. Nur für einige Herzschläge kam es ihr so vor, als bliese der Wind stärker in die Kolonnade. Dann jedoch schob ihr Wegführer, Hrundal, wie ihn sein Kamerad nannte, die schweren Portalflügel aus massivem bronzeverzierten Holz auf und gebot ihnen, einzutreten. Wärmere, aber keinesfalls sonderlich warme Luft schlug ihr unvermittelt entgegen, derweil sie und ihr Ohm sich ins Innere begaben und letztlich kurz stehenblieben, um auf den Rest zu warten.
    Zugegeben, der Anblick der weitläufigen Halle mit Kolonnaden und Emporen zu allen Seiten, gearbeitet aus deutlich kunstvoller behauenem Stein in hellem und dunklem Grau, mancherorten sogar düsterem Anthrazit, verschlug der Bretonin schließlich doch einen Moment den Atem. Trübes Licht funkelte durch die Bogenfenster an der Basis der Domkuppel und zerstreute sich im schummrig von Leuchtern erhellten Empfangsbereich. So manche geschäftige Bedienstete des Hauses und weitere Wachen in den deutlich schwereren Rüstungen, wie sie auch ihr Wegführer trug, die mit den Rücken zu einigen der eckigen Säulen standen, bevölkerten diesen Teil des Palastes. Während die Gerüsteten ihre Posen nicht merklich veränderten, glichen die Diener dieses offenkundige Desinteresse aus und warfen so manchen neugierigen Blick zu den eintretenden Bretonen hinüber, ehe sie hastig zu den Seiten des Saals zwischen Pflanzkübeln mit blässlichem Grün und den Pfeilern verschwanden.
    »Es ist üblich, dass Besucher des Hauses den Jarl persönlich über ihre Anwesenheit in ihren Hallen unterrichten, auch wenn sie Gäste anderer Bewohner des Palastes sind«, meldete sich unvermittelt Hrundal zu Wort, seine Stimme rauchig und spröde, einer rostigen, blätternden Eisenstange nicht unähnlich. Erstmals nahm Amelia ihn richtig wahr und betrachtete seine markanten, kantigen Züge, die sich nicht vollends unter seinem dichten, brustbeinlangen Vollbart zu verstecken vermochten. Stahlblaue Augen leuchteten unter seiner starken Stirn und buschigen Brauen hervor. Ein Nord, wie er im Buche stand – Wildes Schimmern in den Augen, kraftvoll. Aufregend.
    »Wenn es die Gepflogenheiten des Hauses sind, so werden wir uns ihnen selbstverständlich beugen«, willigte Natalios schließlich ein, als sie alle das trockene Innere des Palastes betreten hatten. Neuerliches Herzklopfen erfasste Lia in der Gewissheit, einer echten Königin gegenüberzutreten. Nach all den kleinen und größeren Fürsten, Herzogen und Burgherren in Hochfels, die ihre Familie kannte, so besaß diese Begegnung eindeutig Besonderheit. Dennoch verspürte sie dieselbe, leichte Unzufriedenheit mit dieser Art des Empfangs, wie sie auch ihr Ohm zu empfinden schien, immerhin wollten sie sich nicht allzu groß bekannt machen. Mehr noch als das einfache Volk tratschte der Adel unter sich – und kam dabei noch weit mehr herum, als ersteres. Von allen Gerüchteverbreitern mochten Blaublütige die Schlimmsten sein – und damit kannte sich Amelia nicht nur bestens aus, sondern musste zu ihrer Schande gestehen, oft genug dazuzugehören. Adelsdamen unter sich. Nichts zeterte mehr.
    Unterdessen die junge Bretonin ihren Gedanken nachhing, verpasste sie beinahe den kunstvollen Aufgang am gegenüberliegenden Ende der Halle, ignorierte ihn fast völlig, obwohl sie eine der geschwungenen Treppen nach oben stiegen. Schwere Schritte voraus und folgend, blieben ihr Onkel und sie doch weiterhin von ihren Wächtern eingefasst.
    So imposant der Empfangssaal hinter ihnen sein mochte, so schlicht bot sich der eigentliche Thronraum an, mehr eine zu dunkel geratene Nische mit Bannern und einigen Holzbänken. Wenig Licht drang durch die zu klein geratenen Fenster an der rechten Seite und nicht einmal ein großer Teppich, so wie in der Eingangshalle, sorgte für etwas mehr Gemütlichkeit. Amelia fröstelte es unvermittelt.
    Darüber hinaus fielen die Bretonen im Vergleich mit den anderen Anwesenden hier nicht nur durch ihre feinere, filigranere Erscheinung und kleinere Größe auf. Wenn sich Amelia die Kleidung der Nordadeligen betrachtete, so mochten diese bisweilen in Hochfels als gewöhnlich durchgehen, wenn sie einmal von den schweren, gut gearbeiteten Fellen absah, die den meisten um die Schultern lagen. Schwere Stoffe, oftmals Samt, überbordet mit schwerem Goldschmuck, gröberen Untergewändern und farblichen Kombinationen, bei denen Amelia die Augen bluten wollten. Ihre Hoffnungen, in diesem Kleiderladen nahe des Haupttores der Stadt den einen oder anderen Septim wohl investieren zu können, welkten nur einen Lidschlag später.
    Dennoch blieb ihr nur ein flüchtiger Moment, die Umgebung aufzunehmen, bevor Hrundal ihre Gruppe näher zu einem Podest lotste, auf welchem sich ein deutlich kunstfertiger geschnitzter, hoher Lehnstuhl befand. Eine schmale, älter erscheinende Nordfrau saß auf dem Thron, trug das rot schimmernde, lange Haar mit einem goldenen Stirnband nach hinten gelegt und entblößte damit ihr spitzes Gesicht. Graue Augen, die auf Lia einen traurigen Eindruck machten, musterten die Neuankömmlinge, welche das Gerede zwischen den Anwesenden zum Verstummen gebracht hatten.
    Langsamen Schrittes näherten sich letztlich lediglich die beiden bretonischen Adeligen dem Thron. Ihre Wachen und Hrundal hielten sich indes im Hintergrund und nahe der Brüstung oberhalb der gewundenen Treppen ins Erdgeschoss. »Gäste aus Hochfels sind in diesen Hallen selten«, eröffnete Elisif. Was genau Amelia erwartet hatte, wusste sie nicht, aber keinesfalls eine solch tonlose Stimme, auch wenn sie wohl unfraglich zum blassen Jarl passte. Natalios und seine Nichte blieben stehen, als die Regentin sich erhob. Derweil sich ihr Ohm tief verbeugte, senkte Amelia das Kinn und den Blick, um einen makellosen Knicks zu vollführen, auf den ihre Mutter zweifellos stolz gewesen wäre, lange genug wie es gedauert hatte, ihrer Tochter diesen beizubringen.
    »Sybille unterrichtete mich, dass sie Gäste aus dem Westen erwartete«, fuhr der Jarl fort und trat auf die mittlere Stufe des Podestes hinab. »Ich gehe recht in der Annahme, dass Ihr diese seid?«
    Auf diese Weise angesprochen, richtete sich Nat auf und Amelia folgte seinem Beispiel. »Sehr wohl, Jarl. Natalios Val Nurinia.« Während er sprach und eine neuerliche Verbeugung andeute, meinte die junge Bretonin an seiner Seite das leichte Zucken seiner Kiefermuskeln zu erkennen. »Und Amelia Val Nevenas, meine Nichte«, stellte er im Anschluss Amelia vor, die ebenfalls einen erneuten Knicks andeutete.
    »Sybille deutete an, Ihr wärt für persönliche Angelegenheiten hier?« Elisif blieb auf der mittleren Stufe stehen und ignorierte die neugierigen Blicke der umstehenden Adeligen und Palastbewohner ebenso wie ihre neuen Gäste.
    »Recht so. Als Hexenmeister der Magiergilde in Urvanus bin ich für magische Studien nach Himmelsrand gekommen. Amelia ist dabei nicht nur meine Nichte, sondern auch Schülerin«, erklärte Natalios und musste dabei nicht lügen, auch wenn es nicht der ganzen Wahrheit entsprach.
    »Nun, dann seid Ihr bei Sybille in den richtigen Händen.« Größere Zufriedenheit mit der Antwort des Bretonen zeichnete sich auf Elisifs scharfen Gesichtszügen und um die blassen Mundwinkel ab. »Unglücklicherweise«, fuhr sie gedehnt fort, »ist Sybille gerade noch verhindert und treibt wohl irgendwo im Palast ihr Unwesen.« Sie hob den Blick an ihren Gästen vorbei. »Du, Wächter, Dein Name?«
    »Hrundal, Jarl.« Ergebenheit weichte die rauche Stimme des Nord auf und Amelia meinte seine Verbeugung am knirschen des Wamses und der stählernen Panzerplatten zu hören.
    »Suche Sybille und sage ihr, dass ihre Gäste eingetroffen sind.«
    »Gewiss, Jarl. Sofort, Jarl.«
    Gerade wollte er sich bereits mit schweren, rasselnden Schritten entfernen, da hielt ihn die Regentin nochmals auf. »Fange im Verließ an.« Darauf folgten schnell frequente Schritte, die irgendwo in der Weite der Empfangshalle verklungen und letztlich ganz verschwanden. »Erikur«, wandte sich Elisif im Anschluss von den Bretonen ab und kehrte zu ihrem Thron zurück, »sei so gut und zeige unseren Besuchern den Gästetrakt. Die Zimmer sind hergerichtet.« Damit setzte sich der Jarl und betrachtete erneut Amelia und ihren Ohm. »Bei Speis und Trank zum heutigen Abend wäre ich sehr an Eurer Verbindung zu Sybille und Euren magischen Studien interessiert, Natalios.«
    »Gewiss, Jarl. Mit Vergnügen«, entgegnete der Angesprochene und deutete eine erneute Verbeugung an.
    »Folgt mir«, sprach unvermittelt ein kräftiger, aber keinesfalls muskulöser Nord von der Seite. Sein schwerer Mantel in goldbesticktem Himmelblau wollte so gar nicht mit dem giftigen Grün seines Untergewands harmonieren und biss sich obendrein mit den ins Rosa abgleitenden Quarzkristallen, die im klobigen Goldschmuck um seinen Hals eingefasst auf seiner Brust lagen. Nicht, dass die Kristalle zur Farbe des Metalls gepasst hätten. Lia erschauderte.
    Mühsam konzentrierte sie sich auf sein langes Gesicht mit der riesigen Knollnase. Engstirnig geschnitten, fasste kinnlanges, blondes Haar, das in Zöpfen über den Schläfen lag, das Antlitz ein und vertuschte somit die wahrhaft hohe Stirn zumindest teilweise. »Erikur, Thane von Jarl Elisif«, stellte er sich nochmals selbst vor, derweil er ihnen gebot, den Nordflügel des Palastes mit ihm anzusteuern. »Erfreut Eure Bekanntschaft zu machen.«
    »Gleichsam.« Natalios schüttelte im Gehen seine Hand. Gleichzeitig kam hinter ihnen wieder das schwere, wenn auch gedämpfte Scheppern ihrer eigenen Wächter auf, und kündete von ihrem schweigsamen Folgen.
    »Thane?«, hakte Lia in diesem Moment ein. Der Begriff klang fremdartig und unbekannt, entsprechend interessiert sah sie den Nord von der Seite an, indessen er mit ihnen über die Empore des Eingangssaals in den Nordflügel verschwand.
    »Ein ritueller Titel für jene, die in der Gunst des Jarls und der Menschen seines Fürstentums stehen. Besondere Leistungen und dergleichen.«
    »Also eine Art Ritter?«
    Erikur schien kurz zu überlegen, dann jedoch nickte er in Laufrichtung. »Ja, vermutlich. Obwohl es wirklich mehr eine Volkssache ist. Ein Thane muss sich im Dienste des Volkes ebenso verdient machen wie im Dienste seines oder ihres Jarls, bevor er den Titel verliehen bekommt. Für Ritter gilt dies wohl nicht in der gleichen Weise«, erwiderte er dann, folgte einem kurzen, mit schmalem Teppichband ausgelegten Flur bis sich dieser Teile. »Links liegen die Gemächer des Jarls. Der Gästetrakt befindet sich im zweiten Stockwerk, wenn Ihr mir also weiter folgen würdet?«
    Nachdenklich ob Erikurs Antwort schenkte sie seinen Ausführungen zum Lageplan des Palastes nur bedingt Aufmerksamkeit, aber sah wenigstens den langen, von zahllosen Leuchtern erhellten Korridor hinab, bevor sie den schweren Schritten des Nords die schmalen Stufen hinauf folgte.
    »Befinden sich viele Gäste im Palast?«, wechselte Amelia letztlich das Thema. Dass ihr die Gesellschaft des Jarls im Thronsaal ziemlich klein erschien, sprach sie nicht laut aus. Es wäre unangebracht gewesen und vermutlich fiel der Grund für die geringe Größe in eine ähnliche Kategorie der Erklärung wie das ruppige Verhalten der Wachen am Stadttor.
    Ihre Vermutung sollte sich bestätigen. »Ich bin sicher, dass Ihr von der gegenwärtigen Lage in Himmelsrand gehört habt. Besucher am Hof sind selten geworden. Darüber hinaus verbringen die Thane ihre Tage zwar durchaus im Palast, leben jedoch nicht hier. Der Gästeflügel ist deshalb völlig frei.« Just in diesem Moment erreichten sie das obere Ende der Stiege und traten auf einen weiteren Flur hinaus, der jenem ein Stockwerk tiefer zum Verwechseln ähnelte. Graues Mauerwerk, vereinzelte rote Banner und Wandteppiche, schummriger Kerzenschein. Einigermaßen wohnlich, aber keinesfalls warm.
    »Hier, dies ist das größte Schlafgemach und der Dame sicherlich besonders gefällig«, fuhr Erikur schließlich fort und lief eiliger zu einer nahen Tür hinüber, um sie für Amelia zu öffnen. Mit einem dankenden Nicken und schmalen Lächeln trat sie unter dem beinahe aufdringlichen Blick des Thane durch die schwere Pforte in ein hergerichtetes Gemach, das zwar kleiner als jenes in der Burg ihrer Familie war, aber zumindest in seiner Einrichtung keine Abstriche bot. Ein großes, von Schleiern verhangenes Doppelbett, mehr als genug Schränke und Kommoden, um all ihre mitgeführten Kleider und Sachen zu verstauen und sogar eine Feuerstelle ebenso wie ein Raumteiler, hinter welchem sie nach kurzem Umherlaufen einen Badezuber entdeckte. Die Fenster wiesen zwar nach Norden, weswegen nie die Sonne hineinscheinen würde, aber die Aussicht, die sich der jungen Adeligen bot, mochte diesen Umstand wohl mehr als ausgleichen.
    So glitten ihre Augen einige lange Momente über den Mund der Bucht und die nördlichen Küstenlinien nach Westen und Osten hin bis sie sich ebenso im tristen Grau verloren wie das Schwarz des Geistermeers. Erst danach beachtete Amelia erneut den Raum und nahm die weichen Felle auf dem Dielenboden wohlwollend zur Kenntnis. Ebenso wie Rasvan, der sich prompt auf einem Bärenpelz zum Fußende des geräumigen Doppelbetts niederließ.
    »Diese Tür dort«, deutete der Thane auf eine schmale, unauffällige Pforte am Westende des Raumes, »führt in eine Zwischenkammer. Ideal für Eure Magd, wenn Ihr eine mit Euch brachtet. Sie öffnet sich auch in den angrenzenden Raum, welchen ich Euch anraten möchte, Natalios.«
    »Wird Raum für unsere Wachen hier oben sein?«, hakte ihr Onkel daraufhin nach. Ihr Hausführer hielt kurz an der Türschwelle inne, sah aus, als ob er gerade schon weitergehen wollte, dann wog er das Haupt unschlüssig von einer zur anderen Seite. »Das solltet Ihr mit Sybille besser direkt besprechen. Da Ihr ihre Gäste seid, wird sie sich um solcherlei Fragen kümmern und ich weiß nichts darüber, ob bereits Absprachen geführt worden sind.«
    »Dann werden wir uns gedulden«, bestätigte Nat und folgte Erikur zurück auf den Korridor, wo sie aus Amelias Sichtfeld verschwanden. Diese blieb in ihrem Gemacht und kniete sich neben den Mischling aus Eiswolf und Schäferhund, der sich wonnig und ruhig atmend auf dem Fell ausbreitete und die langen, kräftigen Beine von sich streckte. Festen Boden unter den Füßen zu haben, musste unzweifelhaft auch er genießen.
    »Du scheinst Dich ja richtig wohl zu fühlen«, flüsterte sie dem Halbwolf zu und zerzauste ihm mit ruppigen, aber liebevollen Bewegungen der Hände das Haar am massigen Hals. Anstatt wirklich darauf einzugehen gähnte das Tier bloß und glotzte sie lediglich aus seinen großen, goldbraun leuchtenden Augen heraus an. Unbekümmert streichelte sie ihn zwischen den Ohren, bis er den langen Lappen aus dem Maul hängen ließ und das wuchtige Haupt niedersank. »Ja ja, Faulpelz. Steh auf«, wies Amelia den Vierbeiner an und beobachtete zufrieden, wie er die schläfrig immer wieder zufallenden Lider hochriss und sich anschickte, aufzustehen. »Gut so.« Wehleidig wimmernd wandte sich ihr der Hund zu. Doch anstatt sich weiter kraulen zu lassen und sich gleichzeitig darüber zu beschweren, nicht liegen bleiben zu dürfen, drückte er sich mit den Vorderpfoten ab und legte die schweren Tatzen auf Amelias Schultern.
    Überrumpelt entwand sich ein helles Quieken ihrer Kehle, bevor sie nach hinten stürzte und sich einige noch immer vom geschmolzenen Schnee nasse Stofffalten gegen ihren Leib drückten. »Nicht so ungestüm«, lachte sie und schob sich mit verrutschten Gewändern und dem abgewickelten Zopf zwischen ihren Gliedern unter dem hochbeinigen Halbwolf heraus.
    Schwere, eilig klingende Schritte näherten sich auf dem Flur und hielten vor ihrer Tür inne. »Alles in-«, hob Lida an und die Adelige warf einen schnellen Blick zu ihr hinüber, wie sie an der Tür unvermittelt innehielt und ihre vom schnellen Lauf verwehte, brustlange Goldmähne richtete. »Oh.«
    »Schon gut, Lida. Der Herr wünschte deutlich zu machen, dass ihm nicht an Spielen gelegen ist«, erklärte die Bretonin und begann damit, aufzustehen. Bevor Erikur und ihr Onkel zurückkehren konnten, richtete sie ihre Gewänder und den Überwurf neu und löste den verhedderten Schal. Schwer wog der Zopf über ihrer Schulter, richtete sie das silberne Netz an ihrem schlanken Hals gerade in dem Moment, als der Nord und ihr Verwandter zurückkehrten.
    »Ich bin sicher, dass Ihr Euren Aufenthalt im Blauen Palast genießen werdet«, verkündete der Thane gerade und hielt hinter Lida auf dem Korridor inne, warf einen Blick in Richtung der jungen Bretonin, die ihren mit winzigen Saphiren bestückten Halsschmuck gerade fertig justiert hatte und sich anschickte, die ungeschützte, helle Haut und das Metall vor der kühlen Luft in den noch ungeheizten Zimmern mit dem seidenen Schal zu schützen. »Und ich bin sicher, dass wir Eure Gegenwart ebenso genussvoll aufnehmen werden.« Kurz hielt er seine felsengrauen Augen auf sie gerichtet und rang ihr ein etwas widerwilliges, dankendes Nicken bei leichter, unwillkürlicher Röte in den Wangen ob des gezwungenen Kompliments ab. Auf der einen Seite schmeichelte es ihr, ohne Frage, andererseits blieb Erikur nicht ihre erste Wahl unter jenen, von denen sie solch schöne Worte hören würde.
    »Wärt Ihr so frei, diesen beiden Herren hier Geleit zu organisieren, damit sie einige unserer Sachen bereits von unserem Schiff holen können?« Erst im Näherkommen erkannte Amelia, dass Natalios auf Bedrich und Franos zeigte. Die kräftigen Zwillinge mit den fast schwarzen, fingerlangen Haaren und gleichfarbigen Murmeln von Augen ließen in Synchronie die Kiefermuskeln unter den buschigen Backenbärten spielen.
    »Natürlich. Wenn Ihr wünscht, steht Euch derweil dieser Flügel und der Rest des nördlichen Palastes zur Verfügung. So Ihr wünscht, stellt Euch die Küche sicherlich etwas für die nachmittägliche Stärkung zusammen.« Noch wartete der Thane auf eine Reaktion der Bretonen, aber schien sich allmählich auf den Weg machen zu wollen.
    »Meinen Dank. Wir werden uns sicherlich zurechtfinden«, erwiderte Natalios und nickte Erikur dabei anerkennend zu. Der erwiderte die Geste und wollte sich bereits zum Gehen wenden. Aber Amelia hielt ihn noch einmal auf.
    »Ihr sagtet, der Nordflügel?«
    »Ah, richtig. Eine gut gemeinte Warnung«, antwortete Erikur und setzte ein wenig erfreutes Lächeln auf. »Der Pelagius-Flügel ist schon seit Längerem für alle Besucher und Bewohner des Palastes gleichermaßen geschlossen. Ausnahmslos.«
    »Ich denke, dass wir unseren Weg dorthin so ganz ohne Hilfe ohnehin nicht finden würden«, willigte ihr Ohm ein und warf nur einen kurzen Seitenblick auf Amelia, die unbemerkt von ihrem Hausführer mit den Schultern zuckte.
    »Abermals: Eine Freude«, verneigte sich Erikur und verschwand anschließend in Begleitung der zwar kleineren, aber kraftvolleren Zwillinge. Lia und ihr Ohm sahen ihnen nach, bis sie die Stufen der Treppe hinab verschwanden.
    »Also warten wir?«, hakte die junge Bretonin nach.
    »Kolja«, wandte sich Natalios ohne auf ihre Frage einzugehen an den Hauptmann, der einige Schritte in Richtung des Zimmers ihres Verwandten auf dem Korridor die Stellung hielt.
    »Herr?« Der muskelstarke Kämpfer strich sich eine lockere Strähne aus der Stirn und richtete im Anschluss seinen Mantel wieder so aus, dass er das Wappen auf seiner Brust verdeckte.
    »Offenkundig ist es nicht die beste Idee gewesen, sich am Hof einzuquartieren, wenn es darum geht, unsere Anwesenheit möglichst verdeckt zu halten. Aber…« Er warf einen Blick auf seine Nichte. »… in diesen Zeiten ist das Bewusstsein des Jarls über unsere Anwesenheit sicherlich nützlicher und in jedem Falle sittlich wie schicklich. Deswegen erwarte ich, dass unsere Späher aufbrechen, sobald wir mit Sybille gesprochen haben.«
    »Wie Ihr es wünscht.« Koljas tiefe Stimme klang in den engen Verhältnissen des Flurs wie eine Lawine an fernen Berghängen und jagte Amelia Gänsehaut auf die Arme.
    »Sollten wir Jarl Elisif über unsere anderen Aufgaben hier unterrichten?«, wandte sie junge Adelige ein und warf ihrem Onkel einen fragenden Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu.
    »Unbedingt. Aber nicht im Beisein des gesamten Hofstaates.«
    Daraufhin nickte sie lediglich. Ihnen fehlten so manche Güter für längere Reisen hier, die für über zwanzig Mann zu beschaffen sicherlich nicht einfach werden würde ohne die Unterstützung des Hofes. Pferde, um nur eines zu benennen.
    »Ein Spaziergang in den Hof, derweil wir warten?«, schlug sie im Anschluss vor und griff erneut in das dichte Fell zwischen Rasvans Ohren. Nat nickte lediglich und folgte ihr die Treppen hinab. Sie nahmen nicht den Weg durch die Thronnische, sondern folgten der Stiege einfach bis hinab ins Erdgeschoss, um von dort direkt in den Eingangssaal und hinaus ins Freie zu gehen. Niemand hielt sie auf oder behelligte sie in irgendeiner Weise und so traten sie letztlich hinaus in die frostige Luft des fortgeschrittenen Nachmittags. Längst senkte sich die Sonne den Berggipfeln im Westen entgegen und es fehlte nicht mehr viel, bevor sich der frühe Abend über die Stadt legte – wenn es denn an einem trüben Tag wie diesem einen Unterschied machte.
    »Lauf!«, befahl sie unvermittelt und warf die linke Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger vor. Bellend und freudig knurrend sprintete Rasvan aus dem Stand los und querte unter den irritiert zu ihnen gewandten Blicke der Wachen am Torhaus des Palastes in Windeseile den Hof, bis er in einer der Ecken Stellung bezog. Bellend tänzelte er auf der Stelle und provozierte ein gefälliges Schmunzeln seines Herrchens. Die Rechte auf Hüfthöhe neben sich haltend, als schwenkte sie einen großen Weinkelch, sammelte Amelia Mana in ihren Fingern, entzog mit diesem der umliegenden Luft noch mehr Wärme, dass sich um ihre Hand ein dichter, glitzernder Nebel bildete und verlieh der Energie in einer bläulich bis leicht violett schimmernden Wolke Kraft ihrer Gedanken die Form eines Balls. Simpel, wie der weiße, perfekt gepresste Schnee war, kostete es sie auch bei weitem nicht die Konzentration, die ihr die Blume abverlangt hatte, zumal sie ihn nicht zu Eis verdichten musste. Ohne Vorankündigung gab sie dem schwebenden Ball mit weiterer Magie einen kräftigen Schubs und das Geschoss flog pfeilschnell davon, entzog sich gänzlich dem Fokus ihrer Augen.
    Blitzartig sprang der große Halbwolf aus dem Stand in die Höhe, katapultierte sich mit den mächtigen Hinterläufen vom Boden weg und schnappte den Schneeball aus der Luft, bevor er die Wand hinter ihm treffen konnte. »Guter Junge«, schmunzelte sie, mehr zu sich selbst, als zu den zwei Männern und der Frau, die neben ihr standen.
    »Er hat seinen Biss gewiss nicht verloren, Herrin«, lobte Kolja dennoch und trat an den Rand des Weges, der durch den Hof führte. Arme vor der Brust verschränkt, halb unter seinem Mantel verborgen, blieb er stehen und betrachtete das hechelnd umhertänzelnde Tier, welches ob seines beinahe komplett weißen, nur stellenweise gräulichen Pelzes mit dem flockenbedeckten Boden verschmolz. »Sendet ihm noch einen, oder gleich zwei, dann wird Euch in Zukunft niemand hier behelligen, solange er an Eurer Seite steht«, fuhr er fort und deutete vor deren Blicken verborgen in die Richtung der verunsichert dreinblickenden Torwächter. »Verehrer wie Erikur eingeschlossen.« Ob eine Spitze von Ironie in seinem letzten Satz lag, wusste Amelia nicht recht zu bestimmen, aber sie entschloss sich, es so zu verstehen.
    Offenkundig ahnten die Wachen, welches nicht-hündische Blut durch die Adern des Mischlings floss, und wussten um die tierische Urgewalt, die dieses zu entfalten vermochte. Sie trainiert und abgerichtet am Werk zu sehen mochte wohl durchaus Respekt – oder gar Furcht – abverlangen und schnell die Runde machen.
    »Was meinst Du, Nat? Wohlwollen oder Furchtsamkeit?«
    »Ein bisschen von Beidem, vielleicht?«, erwiderte er.
    Sie stieß ein heiteres Schnauben aus und formte neuerliche Magie, diesmal in beiden Händen, und spürte wie die Anstrengung und Konzentration an ihren körperlichen Kräften zu zehren begannen, sich ihr Leib von innen erwärmte, als ertüchtigte sie sich gerade – und das obwohl kalte Nebelbänke ihre feinen, behandschuhten Finger umschwirrten. Kein unangenehmes oder auslaugendes Gefühl, aber eines, das sich dazu aufschwingen konnte, wenn sie nur lange genug fortführte, was sie gerade tat – auch wenn es bei dieser leichten Übung sehr lange dauern mochte.
    Von der schwindenden Kälte in ihren Gliedern beflügelt, schmunzelte sie und sandte die Schneebälle zeitlich und in ihrer Flugbahn leicht versetzt in Rasvans Richtung. Den ersten schnappte er im Sprung aus der Luft, bevor er sich noch im Flug in seinem flexiblen Rückgrat wandte und mit den Hinterläufen von der nahen Wand abdrückte, um sich dem zweiten Geschoss entgegen zu katapultieren.
    »Herzlichen Glückwunsch, Herrin, die Nord dieser Stadt werden Euch als Jungfer heimkehren lassen, ohne dass Ihr sie abweisen müsst«, scherzte Kolja diesmal offener.
    »Das ist genug«, erwiderte sie ehrlich empört. Sie nahm es ihm nicht übel. Aber gewisse Grenzen der Etikette mussten bestehen bleiben und auch wenn Kolja sie von Kindesbeinen an als Soldaten und Leibwächter im Dienste ihrer Familie kannte, der sich in diversen Konflikten und Gefahrensituationen verdient gemacht hatte, so musste er diese ebenso wie alle anderen einhalten. Deutlich straffer und ergebener nickte er am Rande ihres Sichtfeldes.
    »Unrecht hat er nicht.« Auch wenn sie Natalios nicht sah, hörte sie sein Schmunzeln.
    Bevor sie auch ihm einen empörten Kommentar angedeihen lassen konnte, sprintete Rasvan plötzlich zu ihnen zurück. Allerdings ohne seine Pfoten freudig tänzelnd über den Schnee zu heben, sondern weitaus kraftvoller und bestimmter, als befände er sich auf der Jagd, pflügte er hindurch. Im Näherkommen erkannte Amelia auch die angelegten Ohren. Ihr Gesicht verlor binnen eines Herzschlages jede Entrüstung, jede Freude und spannte sich zu einer steinernen Maske an. Dann gelangte der Halbwolf auch schon neben ihr an und sie hörte das tiefe Knurren, welches seinen Leib unter ihrer schnell auf seinen Rücken gelegten Hand zum Vibrieren brachte.
    »Was is-« Dann bemerkte sie, wie sich die Männer und Lida bereits umwandten, weil der Hund starr und mit gefletschten Zähnen an der Seite seines Herrchens in die Schatten unter dem säulengetragenen Vorbau des Haupthauses starrte. Geifer troff ihm von den Fangzähnen. Schließlich straffte sich auch die junge Adelige und machte auf der Stelle kehrt.
    Eine dünne, kleine Gestalt stand dort im Halbdunkel, wo selbst an sonnigen Tagen kein Licht hingereicht hätte, hüllte sich in die schlichten, blauen Gewänder eines Magiers und versteckte sein Gesicht zu großen Teilen unter einer Kapuze. »Sch, ganz ruhig, Rasvan«, flüsterte Lia ihrem Gefährten zu und strich zwischen seinen Ohren entlang. Gleichsam spürte sie jedoch auch, wie die Anspannung ihres Vierbeiners beim Anblick der stillen und geräuschlos hinter sie getretenen Person auf sie selbst übersprang.
    »Er ist nicht der einzige, der auf diese Weise reagiert«, schnitt die Stimme einer Frau unter der Kapuze hervor und ein schiefes, wenig freundliches Lächeln umspielte die schmalen, femininen Lippen, die zu sehen blieben und unter einer schlanken Nase saßen.
    »Und Ihr seid?«, fragte Amelia vorschnell zurück, biss sich aber gleich im Anschluss verärgert auf die Zunge, um weitere Kommentare zurückzuhalten.
    In diesem Moment schob sich Natalios an seiner Nichte vorbei und trat zwischen den unverändert knurrenden Hund, den wohl lediglich Amelias Hand und deren beruhigende Streichbewegungen davon abhielten, auf die schmale Frau loszugehen. »Sybille, wie ich sehe, scheinst Du Deine Angewohnheit, Normalsterbliche zu Tode zu erschrecken, nicht abgelegt zu haben.«

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