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Provinzheld
Himmelsrand, Helgen
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Noch ehe Vesana wirklich realisierte, was gerade geschah, schnitt erneut ein Pfeil durch die Nacht, erwischte einen weiteren Berittenen, der gerade nach dem Schild an der Seite seines Rosses langte. Auch er verschwand in einer Woge aus weißen Flocken, als er von seinem Reittier glitt. »Hinterha-«, weiter kam der gerüstete Reiter nicht, bevor Vesa aus ihrer Schockstarre schnappte, eingefroren mit dem gespannten Bogen in den Händen, und die eiserne Spitze auf ihn richtete. In Aelas Strategie einsteigend, ließ sie die Sehne todbringend vorschnellen. Das Geschoss bohrte sich dem Befehlsführer durch den Hals, erstickte seinen Ruf in Gurgeln und ein weiterer Pfeil in die Brust aus der Richtung der Nord bereitete seinem Leiden ein jähes Ende.
Doch inzwischen hatten die übrigen vier Berittenen und ihre Begleiter zu Fuß die Gefahr erkannt. Ohne, dass es irgendwelcher Befehle bedurfte, rotteten sich die Männer zusammen, rückten die Schilde aneinander und versteckten sich hinter ihnen. Die Kommandanten schwangen sich aus ihren Satteln, versteckten sich hinter dem Schildwall und gaben aufgrund der Nähe zu ihren Untergebenen nun leiser Anweisungen, die Vesana von ihrer Position aus nicht mehr verstand. Ihre Waffe senkte sie nach drei vergebens entsendeten Pfeilen, die surrend im Holz der Schutzwaffen stecken geblieben waren. Einen hatte sie noch am Arm erwischt, aber insgesamt reagierten die Mitglieder der Hand schneller, als es den drei Gefährten lieb sein konnte. Auch die Nord im anderen Haus sparte ihre Munition nun auf.
Unruhig wanderten die Augen der Kaiserlichen über die Szenerie, betrachteten die wie ängstliche Hasenjunge im Bau zusammengekauerten Sklaven hinter den Karren, wie sie sich duckten und furchtsam sich nur hin und wieder einer von ihnen traute den Kopf zu heben um die Umgebung zu sondieren. Den Karrenführern war es gelungen sich mit hinter den Schildwall zu retten. Egal ob sie bei den Männern auf den Kutschböcken lagen, oder sich doch in den Händen der Offiziere befanden, die Schlüssel zum Öffnen der Eisenschellen der Gefangenen befanden sich weit außerhalb der Reichweite der Angreifer. Knurrend und einen Schwall Zornesröte in die Ohren steigen spürend schlug die Jägerin mit der Faust gegen den Balken, auf dem sie hockte.
Im selben Moment sandten die Kämpfer auf der Straße ein militärisch klingendes »Huah!« aus und mit dem nächsten Herzschlag löste sich eine kleinere Gruppe von ihnen, die ovalen, hohen Schilde in Aelas Richtung weisend. Vier oder fünf mochten es sein, drei in der ersten Reihe, die ihre Schilde nebeneinander in eine Mauer schichteten, die zwei dahinter hoben ihre quer über die anderen. Wenn überhaupt noch Lücken blieben, selbst die Rothaarige wäre wohl nicht in der Lage gewesen sie zu treffen.
Unruhig scharrte die Kaiserliche mit den Zehen in ihren Stiefeln. Augenscheinlich war ihre Anwesenheit noch nicht bemerkt worden, sonst bekäme wohl auch sie einen ähnlich unerfreulichen Besuch. Diesen Vorteil musste sie ausnutzen, wenngleich sie noch keine Gelegenheit sah, dies tatsächlich umzusetzen. Andererseits mochte sie von ihrem Unterschlupf aus Aela Rückendeckung geben, denn mit fünf Widersachern zur gleichen Zeit wäre wohl auch sie überfordert. Aber weiter kamen ihre Überlegungen nicht. Der Wall aus Schilden, der als Viertelkreis geformt sowohl der Jägerin, als auch der zweiten Bogenschützin die Sicht auf Ziele versperrte, teilte sich in der oberen Reihe. Zum Vorschein kamen blitzende Metallspitzen und noch während Vesana blinzelte, vernahm sie bereits das markante Zischen langer, federbesetzter Schäfte. Ein schneller Blick verriet, dass die Gruppe der Silbernen Hand einige Bogenschützen dazu abgestellt hatte, das Versteck der Nord unter Beschuss zu nehmen. Während sie nachluden, versteckten sie sich hinter den großen Brettern ihrer Kumpane und machten es so unmöglich für Aela, sie zu treffen.
Es half nichts. Mit einem derart verschobenen Kräfteverhältnis blieb der Kaiserlichen nichts anderes übrig, als ihrer Gefährtin zu helfen. Während sich die Gruppe der fünf Nahkämpfer dem Gebäude, in dem sich die Rothaarige verbarg, immer weiter näherten, belagerten die Schützen das Haus Salve um Salve. Bei der vierten hatte Vesana den Rhythmus verinnerlicht und bereits angelegt. Noch bevor sich die Schilde auseinanderschoben, kaum mehr als den Bruchteil eines Herzschlages machte der Zeitunterschied aus, sandte sie den ersten Pfeil davon. Kaum, dass dieser sein Ziel seitlich am Kopf traf, lag auch schon das nächste Geschoss auf der Sehne und fauchte durch die Nacht. Erst als auch dieses tödlich einschlug, erkannten die Schergen der Silbernen Hand die Gefahr und verschanzten sich abermals, ohne sich erneut zu entblößen.
Im Augenwinkel erkannte Vesa einen schnell durch die Nacht huschenden Umriss, der quer über die Straße spurtete, ehe die blitzenden Rüstmänner ihn erreichen konnten. Aela war ihrer Falle entkommen und lenkte sie nun in die Richtung von Skjor. Für einen kurzen Moment erlaubte es sich die Kaiserliche die Augen zu schließen und aufzuatmen. Scharfes Pfeifen auf Kopfhöhe und hochfrequentes Vibrieren, als erste Pfeile im Holz der verkohlten Balken einschlugen, schreckten sie jedoch hoch. Nun war sie zum Ziel geworden und es blieb nicht viel Zeit zum Reagieren.
Schnellstmöglich schnappte sich die Jägerin ihren zweiten Köcher und schwang sich von ihrem Horst hinab. Die Kapuze nach hinten vom Haupt rutschend, spürte sie gleich darauf den Lufthauch eines schnell an ihr vorüberschwirrenden Geschosses am Hinterkopf noch während sie ins Erdgeschoss fiel. Wuchtig schlug sie auf, die Beine ächzten als der Aufprall sie stauchte. Doch mit Glück war sie dem Projektilhagel entgangen, der noch anhielt, aber nun über ihr tobte. Herzschlag bis zum Kinn und stoßweiser Atem raubten ihr die Klarheit der Gedanken, Instinkte übernahmen und steuerten sie durch die Dunkelheit auf die Gasse hinter ihrem Haus hinaus. Unschlüssig, in der Hocke wartend und der Blick von links, auf den Stadtwall gerichtet, nach rechts über die kleinen, ruinierten Schuppen bis zum Ende der Gasse schweifen lassend, harrte sie einen Moment und versuchte die Aufregung niederzuringen.
»Habt ihr ihn?«, vernahm Vesana nun zum ersten Mal seit Beginn des Überfalls wieder einen der Anführer rufen. Seine harsche Stimme dämpften die alten Balken und Wände der Ruine in Vesas Rücken.
»Nein«, antwortete ein anderer Kerl nicht minder laut.
»Lasst ihn und kommt zurück. Der ist nicht allein«, brach der Erste ihre Verfolgungsaktion ab, augenscheinlich gerade rechtzeitig, bevor sie Skjor in die Arme laufen konnten. Wütend grollend schlug die Jägerin mit den geballten Fäusten in den tiefen Schnee, verlor kurzzeitig sogar ihren Bogen aus den Fingen und fischte plötzlich federleicht im Magen wild nach ihrer Waffe. Tief ein- und ausatmend beruhigte sie sich selbst, als sie sie schließlich zu fassen bekam.
Bevor ihre Widersache in Versuchung gerieten, doch noch die Verfolgung zu ihr aufzunehmen, setzte sich Vesana wieder in Bewegung, huschte zurück in das Haus, in dem sie zuvor bereits ausgeharrt hatte, und arbeitete sich anschließend parallel zur Straße durch die Ruinen. Ein kurzer Seitenblick durch eines der Fenster verriet, dass die fünf Streuner langsam rückwärts zur Hauptgruppe aufschlossen, dann verschwanden sie auch schon wieder hinter einer pechschwarzen Holzwand und Vesa stolperte beinahe noch wegen der kurzen Ablenkung.
Plötzlich packte sie jemand am Arm und riss sie schmerzhaft zur Seite. Fast hätte sie vor Schreck laut aufgeschrien als ihr das Herz in der Brust zersprang, doch noch im selben Augenblick presste ihr jemand einen stinkenden Lederhandschuh auf den Mund. Erst danach erkannte die Kaiserliche mit weit aufgerissenen Augen das raue Gesicht des Einäugigen in der Dunkelheit. Ohne, dass es einer Geste ihrerseits bedurfte, nahm er seine Pranke von ihr. Aela trat hinter ihm aus den Schatten. »Vesa, klettere über die Schuppen und die Palisade aus Helgen. Aela und ich lenken sie ab, während Du durch das Tor schleichst und die hintere Gruppe Sklaven befreist«, erklärte Skjor, die Stimme so weit gedämpft, dass sie sie über dem Rauschen in ihren Ohren beinahe nicht mehr verstand.
Widerspruchslos nickend machte sie sich auf. Schnell huschte sie durch die Schatten, auf die Nebenstraße und anschließend, mit einem beherzten Tritt gegen einen der Stützbalken, katapultierte sie sich in den Dachstuhl eines der Schuppen. Noch im selben Augenblick spurtete sie einen der Sparren hinauf zum First und auf der anderen Seite wieder hinab, nahm einen tiefen Atemzug und sprang. Im Moment der scheinbaren Schwerelosigkeit frei, wie von tausend Bienen im Bauch getragen, segelte die Kaiserliche durch die pechschwarze Nacht, dann trafen ihre Füße auf die dicken Holzpfosten der Palisade, bekamen ihre Hände deren obere Enden zu fassen. Beinahe wäre sie abgerutscht als die Finger der Rechten an einer überfrorenen Stelle keinen Halt fanden, doch krallte sich die Linke dafür umso fester am alten Holz fest. Das Leder knirschte, die Sehnen im Arm ächzten und die Schulter stach, doch nachdem die Jägerin die Füße nachgesetzt und mit den abgeglittenen Fingern erneut an die Pfosten griff, erledigte sich dieses Problem. Schnaufend, mehr schon animalisch grollend, hievte sie sich hoch und schwang sich über den Schutzwall.
Als sie sich auf der anderen Seite hinuntergleiten ließ, verschwanden auch die neu aufgekommenen Rufe der Silbernen Hand. Zurück blieben ihr stakkatoartiger Atem und das Krampfen in der Brust. Schnell pirschte sie durch den Schnee dicht an die Palisade geduckt und umrundete das ruinierte Dorf bis irgendwann vor ihr schwacher Lichtschein auftauchte. Die Aura der Laternen, die durch das geöffnete Stadttor in die Wildnis drang wie das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels. Mit sich bringend das Gefühl von Erleichterung, das von der aufkeimenden Furcht vor dem, das auf der anderen Seite lag, vergiftet wurde: Der Tod.
Vesana festigte ihren Griff um den Bogen und presste den Rücken gegen die grobe Steinmauer des Torhauses. Immer wieder vernahm sie das scharfe Surren als Pfeile durch die Luft schossen, hörte, wie sie foppend irgendwo stecken blieben – ob Schilde oder Holzbalken spielte keine Rolle, schmerzhaftes Geschrei blieb allemal aus. Kurz schloss sie die Augen, atmete durch die Nase mehrere Male tief ein und aus, dann schob sie vorsichtig das Haupt um die Ecke, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Völlig verstört kauerten die Sklaven des hinteren Wagens soweit möglich in dessen Schutz. Über die Plane auf dem Karren hinweg erspähte sie den Hauptpulk von Kämpfern der Hand. Die Schilde zu einem dichten Wall verengt sahen sich die in ihrem Schutz kauernden und zum Schießen aufstehenden Bogenschützen kaum einer Gefahr ausgesetzt. Unwillkürlich glitt ihre Linke hinauf zum Köcher, wollte einen weiteren Pfeil zücken und auf die Sehne legen, doch liefe dies ihrem eigentlichen Plan zuwider und so musste sich die Kaiserliche zähneknirschend und mit schmerzhaften Stechen im Bauch zurücknehmen. Auch noch dann, als ihr Blick auf die zweite, kleinere Gruppe von Gerüsteten fiel, die sich ebenfalls mit Bogenschützen in ihrer Deckung immer weiter auf Skjor und Aela zubewegte, während Pfeile aus beiden Richtungen über ihre Köpfe hinwegschossen.
Die Fäuste geballt huschte die Jägerin aus ihrem neuen Versteck hinaus auf die Dorfstraße und möglichst schnell zu den Gefangenen hinüber. Heftig zuckten diese zusammen, als sie bei ihnen eintraf und mit auf die Lippen gelegtem Zeigefinger und abwehrend gehobener Rechten zu bedeuten gab, dass sie keine Bedrohung darstellte, jedenfalls nicht direkt. »Darius?«, flüstere sie, der Mund in Hoffnung leicht offenstehend, doch erntete sie zunächst nur irritierte Blicke und musste auch selbst mit unangenehmem Ziehen in den Eingeweiden feststellen, dass sie unter den sicherlich fünfzehn, oder vielleicht auch mehr, Gesichtern kein ihr vertrautes ausmachte. »Wo ist der Schlüssel?«, fragte sie einen Moment später und gab sich kaum Mühe ihre Verstimmung zu verbergen. Niemand antwortete ihr. »Wollt ihr frei sein?«, zischte sie letztlich und packte den ihr nächsten am Kragen seiner abgewetzten Kleidung.
»D-d-der K-K-Kutscher hat ihn«, gab der zurück und deutete irgendwo in eine nahe Ruinen hinein.
»Ist er allein?«
»Es sind beide Kutscher dort«, erwiderte nun ein anderer.
»Wenn ihr frei sein wollt, kämpft darum«, knurrte die Kaiserliche, sandte einen langen Blick in die Runde und huschte anschließend in einem Moment, in dem die nahen Streiter der Hand damit beschäftigt waren, Aela und Skjor mit einer Salve Pfeilen einzudecken, auf die Ruinen zu. Mit den Zähnen zusammengebissen versuchte sie zumindest ihre Atemzüge zu beruhigen, wenn sie schon nicht die heiß in den Adern pulsierende Aufregung niederzuringen vermochte. Kurzerhand verstaute sie ihren Bogen im Köcher auf dem Rücken und wechselte auf zwei der Dolche am Gürtel.
Langsam, zeitlupenhaft, setzte sie ihre Schritte und ließ die Augen angestrengt das Dunkel durchdringen. Doch war es nicht ihr geschärfter Blick, der fand, wonach sie suchte obwohl er einen schwer gerüsteten im Dunkel des Erdgeschosses ausmachte, sondern ihre Ohren, als über ihr eine der Holzplanken des Zwischenbodens knirschte. Sofort in ihrer Bewegung eingefroren hob sie das Kinn und lauschte weiter. Schritte. Jemand befand sich im Geschoss über ihr – und genau dorthin würde sie sich nun begeben, denn von den ihrer Erinnerung nach ungerüsteten Karrenführern hielt sich niemand hier unten auf. Die Treppe an einer der Außenwände ließ sie außer Acht, beschrieb in der Finsternis unbemerkt und leise einen Bogen um den wachehaltenden Kämpfer, und suchte sich stattdessen ein ausreichend großes Loch in der Zimmerdecke. Auf leisen Sohlen durch den Raum schreitend verstaute sie ihre Kurzwaffen und mit einem beherzten Sprung aus der Hocke katapultierte sich Vesana nach oben. Zielsicher griffen ihre Finger die Kante eines Querbalkens und zogen sie hinauf.
Zwei Männer befanden sich mit ihr im ausgebrannten Raum, liefen unruhig auf und ab, sprachen ansonsten jedoch kein einziges Wort. Sie bemerkten den Neuankömmling nicht, obgleich dieser fürchtete, sie könnten ihn allein anhand seines Herzschlages aufspüren. Dennoch schnell und von neu entfachtem Jagdfieber angetrieben duckte sich die Kaiserliche in den Schatten einer verkohlten Anrichte und zückte ihre Dolche. Mit geschlossenen Augen konzentrierte sie sich auf die Geräusche ihrer Umgebung, versuchte das Pfeifen und Surren, Rufen und Fluchen, das von der Straße hereinschwappte, auszublenden und sich einzig und allein auf die schweren Schritte und das Knarzen der Planken zu konzentrieren.
Der erste der beiden Männer näherte sich wieder, trieb Vesa dazu, die Luft anzuhalten. Als er schließlich fast neben ihr angekommen zu sein schien, sprang sie auf. Dem fast zu bemitleidenden Kerl blieb nicht einmal Zeit zum Zucken, bevor ihm die Jägerin die kurzen Stahlklingen in den Hals trieb, sie wieder herauszog und noch während ihr sein Lebenssaft ins Gesicht spritzte eine der todbringenden Schneiden scharf heulend durch die Luft in Richtung des Zweiten sandte. Gurgelnd sackte der Kutschführer vor ihr auf die Knie, griff sich an den Hals, doch Vesana spurtete längst an ihm vorüber, zog den dritten Dolch vom Gürtel und hastete auf den anderen Kerl zu, den sie nur mit dem Griff ihrer Waffe an der Schläfe erwischt hatte. Wenigstens schien dieser so benommen von dem Treffer, dass er kein noch so leises Geräusch von sich gab und erst wieder richtig zur Besinnung kam, als die Kaiserliche längst in Armreichweite vor ihm stand. Rechts tiefer gegen die Brust geführt, links höher von der Seite gegen den Kehlkopf. Jene zwei Stiche reichten und der Bastard brach zusammen.
Zum Verschnaufen blieb nun kaum Zeit. Der Geruch des warmen Blutes stieg ihr verführerisch in die Nase, doch musste es genügen, dass sie sich die zahlreichen Tropfen von ihren spröden Lippen leckte. Schnell verstaute sie die Waffen am Gürtel, las ihre dritte auf, und machte sich anschließend an ihnen zu schaffen, bis sie fand, wonach sie suchte. Gerade rechtzeitig, denn das Knarren der nahen Stiege ließ darauf schließen, dass der Wächter im Erdgeschoss die zwar gering gehaltenen, aber dennoch verdächtigen Geräusche aus dem Obergeschoss bemerkt hatte.
Bevor sich der Kerl richtig gewahr werden konnte, was da auf ihn zukam, zog die Kaiserliche ihr Schwert, obgleich das markante metallische Schleifen sicherlich Warnung genug sein mochte, und spurtete zur Treppe hinüber. Der stämmige Mann, der sich die Stufen hinaufschob, trug dieselbe Ausrüstung wie seine Kumpane auf der Straße. Dicke Stahlrüstung und ovaler Schild mit einem silbernen Schwert in der Rechten. Doch als die Jägerin mit reichlich Anlauf von der obersten Stufe abhob und mit Waffenspitze und Füßen voran die Stiege hinabsegelte, sah er sich trotz der deutlich besser schützenden Ausrüstung im Nachteil. Reflexe ließen sich nicht einfach abstellen und einen der stärksten Reflexe stelle noch immer jener dar, der Menschen dazu trieb, ihr Gesicht zu schützen. So hob der Gerüstete den Schild, den Vesana sogleich als Landefläche nutze, während ihre Klinge von beiden Händen gepackt unter der Wucht ihres Leibes das Holz durchstieß und jedem Schrei des Entsetzens ein Ende bereitete, bevor er überhaupt aufkommen mochte.
Dass der Mann mit ihr nach hinten kippte, ließ sich vorhersehen und so drückte sich die Jägerin vom Holzschutz des Mannes ab, um im Handgemenge nicht doch noch von seiner silbrigen Klinge verletzt zu werden. Das heftige Stechen in der Schulter, als sie ungebremst gegen die Wand am unteren Ende der Stiege prellte, schien ihr da angenehmer, auch wenn sie anschließend den Halt auf den Füßen verlor und umknickte. Stöhnend drang das Scheppern des Gerüsteten, wie er gerade lawinenhaft den Aufgang hinabrollte, in diesen Augenblicken nur gedämpft zu ihr durch.
Es dauerte einen Moment, bevor Vesa die Schmerzen in ihren geprellten Gliedern zur Seite schob, doch letztlich hievte sie sich auf die Füße und zerrte mit einiger Mühe ihre Waffe aus Brust und Schild des Gefallenen. Auch sein Schwert eignete sie sich an und huschte anschließend mit etwas Schlagseite zurück zur Straße. Erst dort vernahm sie die Schreie und das metallische Klirren, als Stahl auf Stahl prallte. Kein Wunder, dass niemand den Tumult um sie herum bemerkt hatte. Zunächst erleichtert aufatmend zog sich gleich darauf ihr Herz zusammen, als ihr gewahr wurde, dass nun Eile geboten war. Lange würden Skjor und Aela den eintreffenden Kämpfern nicht standhalten können, schon gar nicht in einem frontalen Kampf. Ihnen blieb nicht das Privileg der Überraschung.
Schon mit den nächsten Herzschlägen kehrte sie zu den Sklaven zurück und gab ihnen wortlos, stattdessen schwer atmend die Schlüssel für die Handschellen, damit sie sich gegenseitig selbst befreien konnten. »Befreit die anderen und dann kämpft«, wies Vesana sie an, als die ersten sich die geschundene, aber freien Handgelenke rieben.
»Womit sollen wir denn bitte kämpfen?«, brummte sie einer von der Seite an und ließ ihr Haupt herumschnappen.
Einen Moment lang starrte sie ihn an, unschlüssig, was sie sagen sollte. Doch die von der Aufregung geschärften und vom hilfsbereit in ihr grollenden Biest geschärften Sinne verschafften ihr den Eindruck, dass sie es nicht – oder zumindest nicht nur – mit eingepferchten Wölfen zu tun hatte. »Hier liegen wenigstens vier Tote rum, nehmt deren Waffen. Sobald die nächsten tot sind, nehmt ihr deren«, zischte sie zurück und packte den abgemagerten Freien an der Schulter. Ihre Lippen bebten inzwischen, dass es ihr schwer fiel noch länger auszuharren. Ihre Freunde waren in Gefahr. Jeder Moment, den sie hier vergeudete, mochte sie dem finalen Hieb näher bringen. »Ich lenke sie ab, während ihr die zweite Gruppe Gefangener befreit«, beschloss die Kaiserliche und erntete gemischtes Grummeln als Antwort. Einige von ihnen würden sicherlich die Beine in die Hand nehmen – allen voran wohl die feigen Hunde – das ließ sich nicht verhindern, aber sie musste einfach hoffen, dass eine genügend große Anzahl ausreichend Ehre in den Knochen stecken hatte und sie in ihrem Vorhaben unterstützte.
Abermals den Bogen zückend, lag der erste Pfeil bereits auf der gespannten Sehne, als sie sich erhob. Auf diese kurze Distanz brauchte sie nicht lange suchen, um ein Ziel zu finden. Der durch seinen edleren Umhang auffallende Kämpfer würde als erster sterben. Noch einen letzten, schnellen Blick aus dem Augenwinkel den ehemaligen Sklaven schenkend, biss sie anschließend die Zähne aufeinander, presste die Lippen zusammen und sandte das Geschoss durch die Nacht. Kaum schlug es mit dumpfem Foppen ein, zückte sie das nächste und brachte dem Nachfolger in der Befehlskette den Tod. Chaos. Das unkoordinierte »Hinter uns!«, bestätigte nur, was alle zweifelsfrei schon wussten.
Zum dritten Pfeil kam sie nicht mehr, da sich die ersten feindlichen Schützen umwandten und sie ins Visier nahmen. Blitzschnell verschwand sie ein weiteres Mal in der Ruine, verstaute die Schusswaffe und zog ihr Schwert. Das aufgelesene Silberschwert beließ sie zunächst noch auf dem Rücken. In derart beengten Verhältnissen mochten zwei lange Klingen eher hinderlich sein, aber vielleicht benötigte sie später Ersatz. Erst in dem kurzen Moment des Verschnaufens fühlte sie das feurige Zwicken an ihrem linken Oberarm und spürte wie etwas Heißes über ihre Haut rann. Scharf die Luft einsaugend senkte sie den Blick und hob den Arm. Kein Pfeil ragte dort heraus, doch musste sie einer gestreift haben. Ein kleines Lock prangte in ihrem Ärmel, wo das Geschoss ihre Kleidung durchlagen hatte.
Weiter bekam sie keine Zeit, darüber nachzudenken. Ein erster Kämpfer stieß ungestüm die Reste der Eingangstür zur Seite und preschte anschließend mit gehobenem Schild direkt auf die Kaiserliche zu. Hastig rollte diese sich zur Seite hin aus seiner Bahn, kam auf die Füße und hörte im selben Augenblick bereits einen zweiten Gerüsteten durch die Pforte zur Dorfstraße eintreten. Die stählerne Klinge hoch über den Kopf gehoben, parallel zu den Schultern, schnappte sie sich mit der Linken einen der Dolche vom Gürtel und hielt ihn vor der Brust. »Großer Fehler«, knurrte sie der Mann hinter ihr an, als sich die Kaiserliche einzig auf ihre Ohren konzentriert zu ihm umwandte. Ein dritter Kämpfer schob sich hinter ihm ins Haus.
Metallisches Schaben verriet der Jägerin, dass sich der einzelne Mann in ihrem Rücken in Bewegung setzte. Schnell und von der Aufregung inzwischen keuchend rollte sie sich erneut zur Seite und hieb noch während sie auf die Füße kam mit dem Schwert nach hinten. Helles Klirren quittierte den blinden Schlag, als ihre Schneide auf seine Beinschiene traf. Überrascht, wenn auch nicht verletzt, schnaufte der Kerl und Vesana bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. Jeden Herzschlag, den sie hier länger mit diesem Abschaum verbrachte, ließ ihr Herz schneller schlagen, beschleunigte die Atemzüge, trieb die Gedanken zu immer wilderem Kreiseln an.
Die Hand des verletzten Armes zitterte leicht, doch ließ sich die Jägerin davon nicht beirren. Im Gegensatz zu ihrem ersten Kampf auf Solstheim, als sie sich von Aufregung und Schrecken, unwissend, wofür sie überhaupt kämpfte, von ihren Gefühlen beinahe hatte übermannen lassen, wusste sie diesmal nur zu genau, was auf dem Spiel stand. Ihre letzten Funken Unsicherheit trieb das Biest, mit all seiner Rage und triebhaften Sehnsucht, in die Vergessenheit.
Grollend raffte sich Vesa auf, setzte zwei Schritte vorwärts und drückte sich dann vom Boden ab. Im Flug hieb sie die Waffe ihres Widersachers zur Seite und trat ihm gegen den Schild. Ein in die Knochen fahrender Schmerzensschrei folgte lautem Knacken, als die Wucht des Aufpralls ihm den Arm brach und sie gemeinsam zu Boden gingen. Doch war es die Kaiserliche, die sich als erste aufraffte und gerade rechtzeitig den Hieb eines seiner Kameraden abfing. Der Schlag erschütterte ihr Glied, durchsetzte ihre Finger und Muskeln mit Taubheit ob der Kraft dahinter, doch hielt sie ihm stand.
Plötzlich brandete sturmartiges Tosen von draußen zu ihnen hinein und zog die Aufmerksamkeit aller Kämpfer auf sich. Vesana riss sich als erste mit zufriedenem, wölfischem Grinsen auf den Lippen los und spurtete auf den zweiten Anhänger der Hand zu, der erst im letzten Moment sein Schild hob und ihren Hieb ins Leere laufen ließ. Es stand außer Frage, dass der einfache Teil nun zu Ende ging, denn auch der letzte im Bunde schloss nun auf, reihte sich neben seinem Kumpan ein und formte einen kleinen Schildwall, mit dem sie ihren gerade erst wieder auf die Füße kommenden Mitstreiter abschirmten. Seinen Schild ließ er auf dem verheerten Grund liegen. Mit einem gebrochenen Arm wäre er ihm nur eine Last.
Zu zweit schoben sich die Krieger auf sie zu und trieben sie schrittweise zurück. Hin und wieder langte einer von ihnen vor, wobei sie die eher schwachen, ungezielten Schläge von oben mühelos ablenkte und den Kerl somit zurück in die Formation trieb. Doch das gehörte zum Abtasten, währenddessen Vesa konstant an Boden verlor bis sie irgendwann mit dem Rücken gegen eine Wand stieß.
»Endstation, Mäuschen«, zischte sie der bereits Verwundete aus der Deckung seiner Kameraden heraus an. Seine Worte klangen deutlich vom Schmerz verzerrt.
»Noch nicht«, fauchte sie zurück. Gleich darauf drehte sie sich etwas ein, trat mit einem Fuß gegen die Wand und warf sich nach vorn gegen einen der Schilde. Gemeinsam stürzten sie, bevor der zweite Gerüstete zu reagieren vermochte. Die Kaiserliche rollte sich ab, kam auf die Füße und hieb nach dem bereits verletzten, der gerade einen Schritt zurückweichen wollte, die Überraschung sah sie ihm zwar nicht an, aber das deutliche Luftholen verriet sie dennoch. Klirrend flog seine Waffe davon und kaum einen Lidschlag später vergrub Vesana ihre Schwertspitze in seinem Hals.
Zeit zum Ausruhen blieb jedoch nicht und so wandte sie sich um, blockte die in der Dunkelheit aufblitzende Silberklinge, und wurde dennoch zu Boden geworfen, als der letzte auf den Füßen gebliebene Kämpfer ihr seinen Holzschild kräftig gegen die Seite des Leibes schlug. Heiß sandte er Stiche quer von der einen Schulter durch den Rücken hinüber zur anderen Seite, ließ ihr den Griff des Schwertes entgleiten und es scheppernd über die verkohlten Dielen schlittern. Den überraschten Aufschrei beherrschte sie gerade so, konnte jedoch nicht das scharfe Luftholen verhindern.
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Geändert von Bahaar (17.05.2015 um 22:27 Uhr)
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Erneut sah sie die bedrohliche Silberspitze über ihr auftauchen und lenkte sie im letztmöglichen Augenblick mit dem Dolch ab, dass sie dumpf ins Holz schlug. Lange ließe sich dem nicht standhalten, zumal der zweite verbliebene Streiter gerade zurück auf die Füße fand. Als sich die todbringende Klinge abermals sensenartig auf sie niederschwang, rollte sich die Kaiserliche zur Seite, blieb zwar am Leichnam des Dritten hängen, entging jedoch dem Hieb und erarbeitete sich so genug Zeit um aufzustehen.
Scharf und unvorbereitet schnitt das Schwert an ihrem Ohr vorbei durch die Luft als sie sich ihren Gegnern zuwandte. Es zog so nah an ihr vorbei, dass es ein Stück der Ohrmuschel klippte, wie das spitze Stechen verriet. Doch schaffte es Vesana abermals dem Tod zu entgehen und setzte mehrere beherzte Schritte rückwärts, bis sie mit den Oberschenkeln gegen irgendein abgebranntes Möbelstück stieß. Scharf sog sie die Luft ein, zog allerdings noch im selben Moment das Silberschwert, das sie mit den Köchern auf dem Rücken verkeilt hatte.
»Willst Du wohl endlich verrecken, Miststück?«, knurrte sie einer der Männer an, im Dunkel sah sie sich unfähig zu erkennen, welcher von ihnen sprach.
Der gleich im Anschluss folgende Schlagabtausch gestaltete sich den Emotionen entsprechend deutlich dynamischer. Während der erste losstürmte und mehrere Hiebe mit ihr austauschte, kreiste der andere um sie herum, wollte sie von hinten angreifen. Vesa sah es aus dem Augenwinkel, versuchte in der Deckung schneller Schläge beide Widersacher gleichzeitig im Sichtfeld zu behalten. Das Klirren ihre Waffen erfüllte die Luft, brachte die Eiseskälte zum Schwingen und übertönte schnell den Kampflärm und die Schreie von der Straße, die immer mehr an Intensität gewannen. Doch mochte sich die Kaiserliche in diesen Momenten keine Sorgen um irgendetwas anderes, als sich selbst und ihren Kampf, machen können, wollte sie lebend aus ihm herauskommen.
Mit dem Dolch lenkte sie die Schneide ihres Kontrahenten ab, führte einen Stich gegen seine Brust, traf jedoch nur das Schild und taumelte zurück. Anschließend wiederholte sich das Spiel, sie trat ihm gegen das Knie, zwang ihn dazu einzuknicken, doch hob er erneut seinen Schutz und bereitete ihren Bemühungen ein Ende. Während sich der erste aufrappelte, sprang sein Kumpan ein und deckte sie seinerseits mit schnellen Hieben ein, drosch gelegentlich mit dem Schild dazwischen und trieb die Jägerin vor sich her. Diese verlegte sich inzwischen darauf, den Regen aus Schlägen einfach nur von sich abzulenken und auf eine Lücke oder Schwäche in der Deckung zu lauern. Ob sie diese noch erleben würde, gestaltete sich jedoch zunehmend fraglich, denn obwohl sie sich möglichst dynamisch unter der Hauptlast der Schläge wegzuwinden versuchte und diese ablenkte, so ermüdeten ihre Glieder dennoch zunehmend und wurden von den konstanten Erschütterungen taub.
Der reine Gedanke sorgte für genug Ablenkung, um den zweiten Gegner in ihre Flanke huschen zu lassen. Als er Schild voran und Schwert als Lanze über die Kante geschoben auf sie zustürmte, war es bereits zu spät. Zwar lenkte sie die gegnerische Klinge ab, doch prallte er anschließend wie ein Felsbrocken gegen sie und sandte sie wie einen Spielball einige Schrittlängen durch den Raum. Vom Schmerz durchzogen schrie Vesana auf, behielt zwar ihr Schwert in den Händen, verlor jedoch den Dolch und kroch im Anschluss von der Benommenheit mit plötzlich noch dunklerem Sichtfeld quer durch den Raum. Stöhnend und zähneknirschend gestand sie sich ein, dass sie gegen diese beiden Rüstmänner etwas Hilfe gebrauchen konnte.
In einer pechschwarzen Ecke griff sie wohl in eine gesplitterte Holzplatte. Kurz, aber heftig stach ihr etwas in die linke Handfläche. Der neuerliche Schmerz vertrieb jedoch auch den Schleier vor ihren Augen und so hievte sie sich abermals hoch. Zu ihrer Überraschung hatten die beiden Mistkerle der Hand nicht zu ihr aufgeschlossen, sondern standen ihr abermals Schulter an Schulter gegenüber.
Wut füllte ihre Eingeweide wie heißes Pech. Brodelnd brandete das Grollen der Bestie in ihrem Hals auf, ein letztes Aufbäumen des Wolfes, der den nur noch wenige Tage entfernten Neumond deutlich spürte und somit an Kraft verlor. Es genügte aber, dass der Wolf ihr seine feinen Ohren und scharfen Augen lieh. Diese Bastarde wähnten sich wohl in Sicherheit, spielten mit ihr. Das sollten sie noch bereuen. Flink zückte die Kaiserliche den zweiten Dolch mit der Linken und setzte sich anschließend in Bewegung. Erst langsame, maßnehmende Schritte, dann beschleunigte sie zu einem tänzelnden Spurt auf den Zehenspitzen, trat plötzlich zur Seite nach einem Balken aus und drückte sich nach oben von diesem ab. Mit dem Schwert nach dem Kopf des einen stechend, blockte der Dolch den Hieb des anderen bevor sie ihm vor die Brust trat und in einem Wust aus Gliedern mit beiden Gerüsteten zu Boden stürzte.
Sie rollte sich ab und kam rasch hinter den Streitern auf die Füße. In der Drehung hob sie ihre Silberklinge und schnitt ihnen über die Rücken, doch die dicke Panzerung verhinderte, dass sie ihnen auch nur ansatzweise Wunden zufügte. Gehässig und dank des Wolfes deutlich erkennbar grinste der eine mit dem wuchtigen Schädel, während sein Kumpan mit dem Rattengesicht die Zähne bleckte. Beide von ihnen keuchten nicht weniger, als Vesana, doch gab ihnen ihre Überzahl eindeutige Vorteile, die Vesa selbst mit besserem Schwertgeschick nicht zu überwinden vermochte.
Wieder tauschten sie Schläge, drehte sich die Kaiserliche unter ihren Hieben ein, entging dem einen, blockte den anderen. Kurz geduckt gelang es ihr den größeren an der Wade zu erwischen und ihn schmerzerfüllt aufstöhnen zu lassen, doch bevor sie dem auf das Knie gehenden Kerl noch einen Stoß ins Genick setzen konnte, schob sich sein Mitstreiter zwischen sie und hob den Schild. Für wenige, schmerzhaft schnelle Herzschläge blieben sie so auf Abstand zueinander, während sich der zuletzt verletzte langsam erhob und wieder einreihte. Verhärtete Frontlinien. Sicherlich hatten sie nicht damit gerechnet, dass die eher zierliche Kaiserliche einen derart langen Kampf aufbrachte, aber sie sah in ihren Augen, dass sie sich ihrer überlegenen Lage durchaus im Klaren waren und diese nicht ungestümer als ihnen guttäte ausnutzen würden.
In den Augenblicken der Ruhe vor dem nächsten Sturm erlaubte es sich die Jägerin, kurz auf die Geräusche des Kampfes auf der Straße zu lauschen. Schreie, lautes Brüllen, regelrecht animalisch knurrte der Tumult dort, wo Metall auf Metall traf. Das Surren von Pfeilen vernahm sie nur noch vereinzelt und hoffte, dass es Aela war, die nun da sie sich vor einem Übergriff der Kämpfer der Silbernen Hand sicher sein konnte, ihre tödlichen Geschosse ins Getümmel entsandte. Furcht und Rage, Wut und Verzweiflung mischten sich im Duft des vergossenen Blutes, der dort draußen die weiße Reinheit besudelte und ihr ihre Unschuld nahm.
Doch dann endete die kurze Pause so unverhofft, wie sie begonnen hatte. Klirrend kreuzte Vesana abermals die Klingeln, traf in einer Drehung die Ratte mit dem Dolch, versah sie jedoch mit nicht viel mehr als einem einfachen Kratzer bevor sein wuchtiger Kumpel dazwischen ging. Sie wechselten immer wieder die Seiten, mal hatte sie eine Wand im Rücken, dann wieder den offenen Raum bis zu den Fenstern hinüber. Die Drei führten einen morbiden Gruppentanz auf, bei dem jeder Fehltritt mehr als nur das Ende der Choreographie bedeutete.
Und es sollte an ihr sein, diesen zu leisten. Erneut wandte sich die Jägerin unter einem Hieb weg, da trat sie auf etwas am Boden, das ihrem Gewicht nachgab und sie rücklings stolpern ließ. Erst als sie auf den Dielen aufschlug und die Wucht ihr die Luft aus den Lungen trieb, erkannte sie den Kadaver des dritten Kämpfers der Hand, wie er aus leeren Augen zur Decke starrte. Dennoch sollte ihr Ungeschick nicht den Tod bedeuten. Gerade baute sich der massige Kerl über ihr auf, um zum Gnadenstoß anzusetzen, da warf sich eine schlanke, eher magere Gestallt gegen ihn und hebelte ihn von den Füßen.
Vesana benötigte einen Moment, bevor sie mit den langgewordenen, schwarzen Haaren und dem zerzausten, gleichfarbigen Bart etwas anfangen konnte. Als ihr die Erkenntnis schließlich kam, beflügelte es sie und warf sie förmlich auf die Füße zurück. Darius focht mit wogender Mähne und einem Silberschwert in der Rechten. Die Ratte benötigte einen Moment länger als die Kaiserliche, sich neu zu orientieren, und das gedachte letztere zu nutzen. Einen schnellen Satz über die Leiche am Boden setzend war sie auf Armlänge heran und begann damit auf den Dreckskerl einzudreschen. Nun nur noch mit einem einzigen Gegner beschäftigt, begann sie ähnlich wie im Kampf gegen Vilkas zu kreiseln, bis der Schildarm ihres Kontrahenten zu ermüden begann. Ein schneller Sprung zur Seite brachte sie neben ihn, ein kurzes Zucken aus dem Handgelenk ließ ihre Schneide die ihres Widersachers umgehen. Als ihre Spitze quer über sein Gesicht schnitt, schrie er auf, doch verdammte sie ihn gleich darauf zum Schweigen, als ihr Dolch die folgende Unachtsamkeit ausnutzte und ihm am Schild vorbei die Kehle durchschnitt.
Die Jägerin kümmerte sich nicht mehr um ihn und wandte sich direkt ihrem Geliebten und dem von ihm abgelenkten Gegner zu. Gerade hieb dieser mit dem Schild nach der schlaksigen Gestalt des Kaiserlichen. Einmal, zweimal. Beim dritten Mal schnappte Darius Kopf nach hinten in den Nacken, störte sein Gleichgewicht und sandte ihn taumelnd durch den Raum. Zum Schreien kam er nicht. Er stürzte und krachte mit der Seite des Hauptes gegen eine Anrichte. Regungslos sackte er zu Boden und blieb liegen. »Nein!«, schrie Vesa die bleierne Schwere in den Eingeweiden aus den wunden Lungen und fegte durch den Raum bevor der Kämpfer der Silbernen Hand zu Darius aufzuschließen vermochte.
Seinen finalen Stoß gegen den Liebsten fing sie ab und trieb ihm die Schulter in die Seite, wobei sie wohl mehr sich selbst als ihm Schmerzen zufügte ob seiner dicken Rüstung. Dennoch trieb sie ihn auf Abstand und bedachte ihn mit einem Schwall Hiebe. Die neue Wildheit, mit der die Kaiserliche auf ihn eindrosch, zeichnete sein Gesicht mit deutlicher Überraschung und trieb nun ihn rückwärts durch den Raum. Allerdings ließ sie über ihrem Schutzwillen dem Geliebten gegenüber zunehmend ihre eigene Lehre außer Acht und letztlich brach sich ihr Ungestüm an einem Schildschlag des Gegners, der sie taumelnd nach hinten sandte.
Diesmal war es an ihm, auf sie zuzustürmen und weit auszuholen. Atemlos im Reflex hob sie den Dolch in der Linken, versuchte den Schlag nach oben abzulenken, während sie mit dem Schwert aus der anderen Richtung von oben über den Schild hinweg zustach. Zwar glitt die Spitze seiner Klinge an ihr vorüber, doch fraß sich ihr unterer Teil über Vesas Unterarm. Das so an der ledernen Armschiene vorbei tief ins Fleisch schneidende Silber brannte wie die Höllenfeuer der Ebenen des Vergessens es kaum zu tun vermochten, entzog ihren Fingen die Kraft, dass ihr der Dolch entglitt. Der markerschütternde, ihre eigenen Ohren zerreißende Schrei, der sich ihrer Kehle entwand, erstarb jedoch, als der massige Leib des Feindes gegen sie prallte und sie mit sich auf die Dielen riss. Leblos blieb er auf ihr liegen und machte ihr das Atmen schwer, während ihre Gedanken von den gleißenden Flammen im Arm in alle Winde zerstreut wurden. Darius verblasste, der Lärm auf der Straße verflog, selbst die Erkenntnis, dass ihre Waffe es an der Schulter unter den Panzer des wuchtigen Bastards geschafft und ihn tödlich verwundet hatte, verschwamm im Rauch des Feuers, dass ihr Arm aussandte. Die Umgebung hüllte sich in immer dichtere Schwärze. Erst verlor sie die Zimmerdecke aus den Augen, dann zerlief ihr die eigene rechte Hand und letztlich der massige Leib auf ihr, der es ihr unmöglich machte, sich zu bewegen. Ihr verwundeter Arm jedenfalls blieb bleiern liegen, wo sie ihn hatte fallen lassen.
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Geändert von Bahaar (31.05.2015 um 21:15 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Helgen
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Es war nicht das erste Mal, dass Vesana von einer Silberwaffe verwundet wurde, nicht einmal die schlimmste Verletzung, die sie davontrug. Doch brannte dieses elende Metall stets wie die Sonne höchst selbst. Silber auf der Haut, selbst einfache Kratzer, machten Werwölfen nichts aus. Die zähe Körperoberfläche stellte so etwas wie eine natürliche Barriere dar, so wie Kleidung Schmutz abhielt. Doch kam dieses verführerisch schimmernde Zeug erst einmal mit dem in Kontakt, das unter der Haut lag – Blut, Fleisch, Sehnen und Nerven … nun, auf diese Schmerzen mochte sich niemand wirklich vorbereiten können.
Zusammen mit der Erschöpfung des Kampfes befand es wohl das Biest wie auch ihr Geist für besser, sich abzuschotten, und so driftete die Kaiserliche durch gedankenleere Dunkelheit. Für wie lange mochte sie ebenso wenig sagen können wie es für sie eine Rolle spielte. Doch letztlich gewann die Realität die Überhand und dumpfe Geräusche, die an Stimmen hinter einer dicken Haustür erinnerten, füllten ihre Ohren aus. Mühsam versuchte sie sich daran festzuhalten, es zu nutzen, sich in die Gegenwart, das Hier und Jetzt zurückziehen zu lassen. Aber so wirklich funktionieren wollte es nicht. Zu träge und zu erschöpft wehrte sich ihr Leib gegen jede Einwirkung der Wirklichkeit. Letztlich fiel es jedoch auch ihm schwer, gegen das kräftige Rütteln an der Schulter anzukämpfen und so blinzelte Vesa erst einige Male, bevor sie es schaffte murrend die Augen offen zu halten.
Langsam, Stück für Stück pellte sich Skjors grimmige Miene aus der Nacht, doch auch diese offenbarte, dass sie zu Gefühlen fähig war. Als der Nord bemerkte, dass die Jägerin auf seine Stöße an der Schulter ansprach, zeichneten dünne Fältchen seine Augen. »Willkommen zurück unter den Lebenden«, brummte er sie dennoch wenig freudvoll an.
Kurz verschwand er aus ihrem Sichtfeld, dann spürte sie wie jemand sie am rechten Arm packte und hochzerrte, bis sie saß. Unfähig zu sprechen legte sie sich ihr verwundetes Glied in den Schoß und tastete mit den Fingernd er Rechten den Stoff ihrer Jacke ab, bis sie den Schnitt fand und scharf die Luft einsog. »Du solltest Dich zeitnah verwandeln, wenn Du nicht willst, dass es eine Narbe wird«, wies der Einäugige auf den offensichtlichen Umstand hin, dass Silberwunden selbst in Wolfsform nur träge verheilten – Darius Gesicht legte dem Zeugnis ab. Sie winkte benommen ab und bedeutete ihm, ihr auf die Füße zu helfen. Schwankend, von dem Nord gestützt und überhaupt Kraftlos als leide sie gerade an einer schweren Erkältung kam sie zum Stehen.
Nur sehr langsam nahm ihre Umgebung wieder Konturen an. Die drei Toten, das sich um sie abzeichnende Blut, wie es inzwischen in pechschwarzen Lachen erstarrt war, und überhaupt das Chaos. Auf der Straße schien Ruhe eingekehrt zu sein, nur wenige leise Stimmen drangen von dort zu ihr hinüber. Und letztlich fiel ihr Blick auf die Stelle, an der sie Darius zuletzt gesehen hatte. Mit wild springendem Herzen musste sie feststellen, dass sich der Liebste nicht mehr dort befand, wo sie ihn vermutete. Skjor musste das kurze Zucken, das ihren Leib im Schrecken erfasst hatte, bemerkt haben. Er klopfte ihr sacht auf mit der Hand des um sie geschlungenen Arms auf die Schulter. »Aela kümmert sich im Lager um ihn. Er ist bewusstlos, aber er lebt.« Obwohl ihr mit dieser Bemerkung eine zentnerschwere Last abfiel, die sich erdrückend auf ihren Brustkorb gelegt hatte, fühlte sie sich kein bisschen leichter. Im Gegenteil. Plötzlich bleischwer in den Gliedern wäre Vesana beinahe in sich zusammengesackt, hätte sie der Einäugige nicht gestützt. »Bringen wir Dich besser auch ins Lager.«
Langsam setzten sie sich in Bewegung. Der Nord führte sie durch die Ruinen, nicht zurück auf die Straße, und somit unmittelbar vor die Pforte in der inneren Wehrmauer. »Nicht … der Turm?«, frage die Kaiserliche, als der Gefährte sie auf den großen Dorfplatz hinüber zum Haupthaus führte.
»Die Gefahr der Silbernen Hand ist gebannt«, gab er zurück und nur träge sank die Logik dahinter in ihren Verstand ein. Es gab keinen Grund mehr den guten Nachtplatz zu verschmähen, jetzt wo es keine Bedrohung mehr gab, die es irrezuführen galt. Sich von ihrem Freund führen lassend, schloss Vesa für einige Schritte die Augen und konzentrierte sich lediglich darauf, bewusst tief durchzuatmen.
Wenig später lehnte Skjor sie gegen die kalte, überfrorene Steinwand und öffnete die schiefhängende, dicke Pforte des Haupthauses. Anschließend führte er sie in eine Art Gemeinschaftsraum, der im hinteren Teil zwar eingestürzt war, aber mit dem entfachten Kamin an der langen Seite noch immer einen gewissen Komfort versprach. Zahlreiche in Lumpen gekleidete Männer der unterschiedlichsten Völker und auch ein paar wenige Frauen saßen, lagen, oder liefen in dem weiten Raum herum. Vom gegenüberliegenden Ende drang schmerzerfülltes Stöhnen, gelegentlich auch Schreie zu der Kaiserlichen hinüber, während andere kümmerliche Gestalten über den sich am Boden windenden Verletzten knieten und sich ihrer Wunden annahmen.
In der Ecke zu ihrer Linken erspähte Vesa nach kurzer Suche mit den trägen Augen den roten Schopf Aelas, der auffällig starr und dunkel am Haupt der Nord klebte. Gemeinsam schritten die zwei Neuankömmlinge hinüber. Auf den letzten Schrittlängen löste sie sich von Skjor und stolperte allein die niedrigen Stufen zu dem Podest hinauf, auf dem die Betten standen, ließ sich mit tränenverschwommener Sicht der Rothaarigen gegenüber auf der anderen Seite der Nachtstatt nieder und griff nach der Hand des bewusstlosen Kaiserlichen. Heftig zitternd ob der tiefen, kräfteraubenden Schnittverletzung umschloss sie die seinen mit all ihren Fingern, strich sanft mit dem Daumen über seinen Handrücken und verlor plötzlich jeden Sinn für die Geschehnisse in ihrem Umfeld.
Unter einer dünnen Wolldecke lag Darius tatsächlich vor ihr, lebend, atmend, friedlich. Abgesehen vom getrockneten Blut im Gesicht, das von verschiedenen Schmissen stammte, die er bei den Schildschlägen einkassiert haben musste, und den von den Eisenschellen aufgeriebenen Handgelenken wirkte er unversehrt. Bis auf die Sehnen und Knochen abgehungert, aber sonst wohlauf. In Fassungslosigkeit blieb der Jägerin der Mund offen stehen, bebten ihr die Lippen, dass sie ob ihrer Trockenheit zwickend einrissen, rann ihr der Rotz aus der Nase. Wie hypnotisiert zog sie sich die Handschuhe aus und hob anschließend die blutverschmierte Linke, um sie ihm an die Seite des Gesichtes zu legen, strich ihm durch den zotteligen Bart, zeichnete die lange, auffällige Narbe in der linken Gesichtshälfte nach und schob ihm zärtlich einige Strähnen aus der Stirn.
»Vesa«, flüsterte Aela und erst als ihr die Nord eine Hand auf die Schulter legte wandte sich die Kaiserliche in Trance zu ihr um, blickte über die Liege zu ihr hinüber und in ein seltenes, mildes Lächeln. »Ihm passiert hier nichts, lass mich also nach Deiner Verletzung sehen«, bat sie und nickte in Richtung Vesanas linken Unterarms. Träge, unfähig zu sprechen, starrte die Jägerin einen Moment länger in das von dunklen Blutkrusten gezeichnete Gesicht und die eisgrauen Augen. Vereinzelte Schrammen, aber nichts gefährliches, zierten ihre Züge. Erst nach einigem Warten nickte sie.
Vorsichtig, bei jeder Bewegung ächzend, entledigte sich die Kaiserliche ihrer Rüstung und anschließend ihrer Jacke. Der komplette linke Ärmel ihrer Tunika glänzte in feuchtem Schwarz, von der Stelle, wo sie der Pfeil gestreift hatte, abwärts bis zu dem klaffenden Schnitt im unteren Bereich, in dem ihr rotes Fleisch schimmerte. Die Silberwaffe hatte tief gegraben und es mochte nicht mehr viel bis zum Knochen fehlen. »Ziemlich bösartig«, meinte die Rothaarige, wusch die Wunde mit Wasser aus und machte sich anschließend mit grobem Nähzeug daran zu schaffen. Das Zwicken spürte Vesana fast gar nicht, während sie die Nord arbeiten ließ und auf einem Schemel nahe der Liege mit Darius ihre Augen weiterhin auf den Liebsten fixiert hielt.
Kaum beendete Aela ihre Arbeiten und hatte sie sich versichert, dass der Kaiserlichen sonst nichts fehlte, näherte sich ein stark ergrauender, kleiner Mann des Kaiservolkes. Seine Lumpen tränkten Mengen von Blut, die unmöglich allein von ihm stammen konnten. In respektvollem Abstand blieb er stehen und verneigte sich vor den drei Gefährten, die sich zurückgezogen in ihrer Ecke zunächst wenig um die anderen gekümmert hatten. »Corolas Tullius«, stellte er sich vor, legte die rechte auf den Bauch und verbeugte sich abermals. »Nicht verwandt mit General Tullius in Einsamkeit«, fügte er hinzu und rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Im Namen aller hier möchte ich mich bei Euch für unsere Befreiung bedanken«, setzte er fort.
»Danke für eure Hilfe«, erwiderte Aela nach einigen, betretenen Momenten des Schweigens.
»Es war das mindeste, das wir tun konnten.«
»Wie viele von euch hat es erwischt?«, hakte die Nord nach und bot ihm einen freien Schemel an. Corolas setzte sich.
»Genug. Aber es hätten deutlich mehr sein können, wenn dieser … Bär nicht dazwischen gegangen wäre. Wisst Ihr etwas darüber?« Der Kaiserliche zog eine silbergraue Augenbraue hoch und kratzte sich im Bart.
»Bär?«, fragte Vesana tränenrau nach, räusperte sich und beugte sich auf ihrem Hocker vor.
»Tauchte einfach aus dem Nichts auf und fegte durch die Reihen der Silbernen Hand wie ich es nie zuvor gesehen habe«, erklärte er. »Im Tumult habe ich ihn nicht richtig sehen können, aber einige andere beschreiben ihn als für einen Bär unförmig, aber kraftvoll wie die Urgewalten höchst selbst.«
»Ich habe ihn nur gehört, nicht gesehen«, erwiderte nun Skjor und fuhr sich mit der rechten Pranke über das grobe Antlitz. Erst jetzt, wo er Vesa direkt gegenübersaß, bemerkte sie die zahlreichen Scharten in seiner Rüstung, die ohne Zweifel von einigen direkten Treffern stammten. Der Nord wusste durchaus einzustecken und es schien ihr sicher, dass diejenigen, die ihn getroffen hatten, dafür mit dem Leben bezahlt haben mussten.
»Ebenso«, entgegnete Aela nach einigem offensichtlichen Überlegen.
»Weder das eine, noch das andere«, räumte schließlich auch Vesana ein. Die Erzählung kam ihr aber aus irgendeinem Grund unheimlich bekannt vor. Regungslos auf Skjors Knie starrend versuchte sie sich zu erinnern, woher, allerdings wollte es ihr nicht einfallen. Nur träge löste sie sich von ihrem Anblick und kehrte in die Gegenwart zurück.
Seufzend vergrub Corolas sein Gesicht in den hohlen Händen, rieb es sich ab und schaute in die Runde. »Jedenfalls kam er sehr gelegen«, resümierte er und zwang sich zu einem Lächeln. »Wie geht es jetzt weiter?«
»Für Dich und den Rest? Ihr seid frei«, antwortete ihm Vesa und erhob sich, rang einen Moment mit dem Gleichgewicht – der Blutverlust spielte ihr Streiche – dann wankte sie zu Darius Bett hinüber, setzte sich neben ihn ans Kopfende und lehnte sich gegen die Wand im Rücken. Die Rechte legte sie auf das Haupt und strich durch sein langgewordenes Haar.
»Wir sichten morgen im Tageslicht die Karren nach Dingen, die wir benötigen, alles andere gehört euch«, beschloss Skjor für die Gefährten. Es schien nur gerecht, dass sie es so handhabten. Auch die ehemaligen Sklaven hatten ihren Anteil an den Gütern verdient. »Einen Karren mit Gespann und ein weiteres Pferd werden wir behalten, alle anderen Tiere und der zweite Wagen gehören euch. Proviant, Kleidung und ähnliche Nutzgüter könnt ihr behalten.«
Für einige lang erscheinende Herzschläge kehrte Ruhe zwischen ihnen ein. Vesana lauschte nur noch, hielt die Augen fest auf das verschmutzte Antlitz ihres geliebten Partners gerichtet, doch glaubte sie in der spannungsgeladenen Luft das Staunen Corolas zu spüren. »Das … das ist … großzügig«, fand er letztlich doch noch einige Worte.
»Das Wichtigste, weshalb wir überhaupt hier sind, haben wir bereits geborgen. Einzig weitere Informationen über die Hand sind für uns nun noch von Interesse«, wiegelte Aela ab und zauberte der Jägerin ein verträumtes Lächeln auf die Lippen.
»Unseren Kenntnissen nach sollte dieser Konvoi wichtige Dokumente mit sich führen«, gab Skjor derweil zu.
»Darüber weiß ich nichts, als Gefangene sind unsere Kenntnisse über die Ziele und Waren der Hand eher begrenzt. Aber es war ein wichtiger Führer der Niederlassung, von der aus wir aufgebrochen sind, den ihr dort auf der Straße niedergestreckt habt«, erklärte Corolas. »Ich werde die Leute anweisen, alle potenziell wichtigen Funde, Dokumente, Insignien, oder dergleichen, zu euch zu bringen. Einige haben sich schon an den Gefallenen zu schaffen gemacht, vielleicht findet sich da auch etwas.«
»Danke«, entgegnete Aela.
»Nein, wir danken.« Den Geräuschen nach zu urteilen erhob sich der graue Kaiserliche. »Solltet Ihr jemals in Bravil sein, wisst, dass Ihr dort auf ewig einen Freund haben werdet.« Damit entfernte sich der Mann und überließ die Gefährten sich selbst.
Erst jetzt hob Vesana ihr Kinn und blickte von einem der beiden Nord zum anderen und wieder zurück. Neuerliche Tränen standen ihr in den Augen und rannen ihr mit dem nächsten Blinzeln über die Wangen. »Danke«, hauchte sie und schenkte jedem von ihnen einen langen Blick. Skjor nickte mit grimmiger Entschlossenheit im gesunden Auge und die Rothaarige erhob sich, kam zu ihr hinüber und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Immer.« Mehr brauchte sie nicht sagen. An ihren eigenen Liebhaber gewandt setzte sie ein »Komm« nach und führte das stämmige Zirkelmitglied vom Podest hinab zum Kamin. Dankbar die Lippen kräuselnd sah ihnen die Kaiserliche einen Moment nach, dann hob sie die schweren Beine mit auf das Bett, legte den Kopf in den Nacken und starrte zur Decke, während ihre Finger weiter durch den dreckverkrusteten Schopf von Darius strichen. Den schmerzenden Unterarm auf den Bauch gelegt, versuchte sie gar nicht erst die Freudentränen zurückzuhalten oder zu verbergen, genoss das leichte Salz auf den Lippen und der Zunge und spürte, wie das schwere Leichentuch der Trauer von ihr abfiel, Wärme in ihr aufbranden und zum ersten Mal seit Monaten so etwas wie goldenes Glück in ihre Brust einziehen ließ.
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Geändert von Bahaar (15.06.2015 um 14:14 Uhr)
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Die Nächte um und während Neumond boten für gewöhnlich immer die größte Erholung. Das Biest geschwächt, schlummerte es während dieser Zeit und ließ sich auch auf stärkstes Drängen nur noch schwer zum Ausbrechen bewegen. Somit fehlte ihm in dieser Zeit auch die Fähigkeit, nachts für Unruhe in Geist und Körper zu sorgen, die sich sonst nur mit Blut stillen ließ, und die menschlichen Eigenschaften des Leibes überwogen, erlaubten es dem Wandler im Bett zu entspannen und dem Körper den Schlaf nachzuholen, den er so sehnsüchtig verlangte.
Allerdings löste diese Zeit bei Vesana trotz dessen eher gemischte Gefühle aus. Nach all den Jahren, die sie nun schon die Kraft und Wildheit des Wolfes in sich trug, hatte sie mit ihm eine Symbiose gefunden, die sie völlig ausfüllte und die sie – das konnte sie aufrichtig jenen gegenüber behaupten, die um ihre Gabe wussten – wahrlich nicht mehr missen wollte. Die Bestie, ihre andere Hälfte, ihren Bruder und Freund, so geschwächt zu erleben, es entriss ihr stets einen Teil ihrer selbst, ließ schmerzhafte Leere zurück. Oft genug unterdrückte sie das Tier, aber das war ihre Entscheidung und häufig verstanden das sowohl der Wolf wie auch Hircine, immerhin machte sie es später stets wieder gut. Doch es gewaltsam entrissen zu bekommen …
Natürlich war es in den stillsten Stunden des Tages, während sie neben Darius auf dem Bett saß und zwischen seinem geschundenen, aber friedlichen Gesicht und dem leisen Treiben der befreiten Sklaven hin und her blickte. Die brennende, frisch vernähte Verletzung des Unterarms, die bei ungünstigen Bewegungen noch immer gleißend aufflammte, als gösse ihr jemand flüssiges Metall über den Arm. Oder auch die schlichte Sorge, Darius könne aus irgendeinem Grund nicht mehr aus seinem Schlummer erwachen, obwohl er allen Grund dazu hätte, es zu tun. Irrational, sicherlich, deswegen aber nicht minder real. Überhaupt plagten die Kaiserliche so einige Gedanken. Bilder aus der Erinnerung an ihre letzte gemeinsame Nacht am See, wie er sie zurückgelassen hatte und sie ihm nachsah. Das langsame Einsinken der Erkenntnis, der Liebste könne nicht zurückkehren und zuletzt die Schuld, die Hoffnung beinahe völlig aufgegeben zu haben – so wie alle anderen.
Vesa verbrachte einen Großteil der Nacht mit derlei Überlegungen, flickte in anderen Momenten die Löcher und den Schnitt im Ärmel ihrer Jacke und saß auch dann noch auf dem Bett, als die nur leicht oder gar nicht verwundeten Befreiten am frühen Morgen ihrer aller Unterschlupf verließen, um wohl mit dem ersten Tageslicht das komplette Ausmaß des Gemetzels der letzten Nacht zu begutachten und zu sehen, was oder wer sich denn noch retten und bergen ließe. Mit der dritten Welle von Ausschweifenden erblickte die Jägerin dann auch Aela und Skjor, die als einzige Gerüstete deutlich aus der Menge herausstachen. Während der Einäugige nahe dem großen Eingangsportal stehen blieb, kam die Rothaarige zu Vesana und Darius hinüber. »Du siehst weder freudsam noch erholt aus, Vesa«, stellte die Nord das Offensichtliche fest. Müde rang sich die Kaiserliche ein Lächeln ab. »Nicht geschlafen?« Sie schüttelte sacht das Haupt. »Etwas frische Luft wird Dir guttun und Deine Gedanken etwas zerstreuen«, riet die Gefährtin und blieb am Fußende des Bettes stehen. »Komm, er wird schon nicht weglaufen.«
Einen Froschmund ziehend ließ Vesana die Augen zu Darius sinken und seufzte im Anschluss. Ihr stand nicht der Sinn danach in der Kälte die Karren der Hand zu durchwühlen. »Ich sollte besser …«
»Mitkommen«, unterbrach sie die Nord. »Ich habe Corolas bereits gebeten, uns zu informieren, sollte sich Darius Zustand ändern.«
Resignierend nickte die Kaiserliche. »Von mir aus.« Träge und widerwillig trugen sie ihre Beine, griff sie sich ihre Jacke, die Köcher und den Bogen. Wenig später verließen sie zu dritt den schummrigen, von vielen Leibern und dem Feuer warmgewordenen Raum, traten ins Freie und gegen die Wand klirrend kalter, glasklarer Luft. Von den zahlreichen Leuten ausgetreten, die bereits vor ihnen diesen Weg gegangenen waren, führte ein breiter Pfad zur Dorfstraße. In der Morgendämmerung, bei noch immer anhaltendem, wenngleich abgeschwächtem Schneetreiben erkannte Vesana sogar die vier Gerüsteten, die in der vergangenen Nacht als erste ihr Leben lassen mussten. Sauber nebeneinander lehnten sie sicherlich steifgefroren an der Wehrmauer und reihten sich damit neben den unzähligen anderen ein, die Helgen ungeachtet der plötzlichen Flut von Lebenden in einziges Grab verwandelten.
»Haben wir überhaupt schon eine Vorstellung davon, wonach wir suchen?«, murmelte Vesa als sie das grotesk gezierte Tor der inneren Stadtmauer passierten.
»Nein, aber irgendetwas sagt mir, dass es nicht schwer zu finden sein wird«, erwiderte Aela und bog zeitgleich mit den anderen Gefährten auf die Dorfstraße ein. Bestimmt ein Dutzend von ehemaligen Gefangen tummelte sich hier, lief zwischen den von rotem Schnee begrabenen Gerüsteten der Silbernen Hand umher. Manche knieten neben den teilweise wieder eingeschneiten Kadavern, andere schleiften Leichen wie Bretter zur Seite und stapelten sie gegen die Wände und Balken umliegender Ruinen. Ein völlig widernatürliches, abstoßendes Bild, das der Kaiserlichen bitter in den Magen stieß. Der Morgen danach … nur anders.
Sie stieß mit dem Stiefel gegen etwas im Schnee und blieb stehen. Reflexartig blickte sie zu ihren Füßen und verzog das Gesicht. Zu ihr sah das blau angelaufene, bärtige Gesicht eines Mannes auf, das ähnlich entstellt aussah wie das Antlitz des Gefangenen in Jorrvaskr, nachdem sie ihn bearbeitet hatte. Sein stählerner Harnisch, den sie ob des schwarz verfärbten Blutes im Weiß mit der Fußkante freischarrte, wirkte zerrissen wie Papier. Eingeweide, Haut und Stoff der Kleidung mischten sich mit Metallsplittern zu dunklem, gefrorenem Brei. »Bär, sagtet ihr?«, flüsterte sie. Sie hatte viele entstellte Leichen gesehen und ihren Gutteil davon selbst zu verantworten, aber der Anblick gefiel ihr deswegen noch lange nicht. Da schien ihr menschlicher Reflex des nachempfundenen Leids – gerade jetzt zur Neumondzeit – und die ihn begleitenden eiskalten Schauer doch noch einen gewissen Einfluss zu besitzen. Angewidert wandte sie den Blick ab und bemerkte erst dann, dass Aela und Skjor bereits weitergegangen waren. Die Rothaarige stand neben dem Kutschbock des vorderen Wagens, der Einäugige stapfte weiter durch den Schnee an der Ladefläche vorbei.
»Unförmiger Bär war es«, schnurrte etwas neben ihr, von dem sie nicht sagen mochte, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Allerdings brauchte Vesana nicht aufschauen, um zu wissen, dass neben ihr ein wandelndes Fellknäuel stehen geblieben war.
»Hmhmm«, brummte sie und ging auf Abstand. Möglichst zügig schloss sie zu ihren Freunden auf und machte sich zusammen mit dem stämmigen Gefährten an der Plane des Wagens zu schaffen. Zum Vorschein kamen blitzendes Metall, unzählige Beutel und diverse Kisten. Vesa sog scharf die Luft ein, Skjor schnaufte deutlich.
»Mit der Menge an Waffen lässt sich eine kleine Armee versorgen«, knurrte er und lief um den Karren herum, die Plane weiter herunterzerrend. Die Jägerin kletterte derweil auf die Landefläche und stieß mit den Füßen gegen die scheppernden Silberklingen, die von Dolchgröße bis zum Zweihänder und verschieden großen Kriegsäxten alles vertreten zu haben schienen. Einige Köcher mit Pfeilen machte sie ebenfalls aus.
Willkürlich nahm sie einen der Lederbeutel auf und öffnete ihn. »Proviant«, meldete sie an Aela, die inzwischen mit auf den Wagen geklettert war, als sie die gefrorenen Brotlaibe sah.
»Nicht nur«, gab die Nord zurück und warf der Kaiserlichen einen der Säcke zu. Im letzten Moment schaffte sie es, ihn mit dem rechten Arm zu fangen und gegen den Leib zu pressen. Irritiert zog Vesa eine Augenbraue hoch, blickte einen Moment lang zu ihr hinüber, dann richtete sie die Augen auf den zwar prallen, aber leichten Beutel. Mit einem schnellen Handgriff lockerte sie die Schnur um den Bund und sah hinein.
»Blasenpilze?« Die Kaiserliche sah abermals zu der Nord hinüber, nun beide Brauen hochgezogen.
»Nicht nur das. Der hier ist voll mit blauen Bergblumen.«
»Und der hier mit Koboldschemel-Pilzen«, warf Skjor von der Seite ein, ließ Vesa herumfahren und ihn beobachten, wie er über den Rand des Wagens auf die Ladefläche langte und den nächsten Sack griff. Er zückte einen beigefarbigen Pilzkopf, schwieg jedoch.
»Mora Tapinella«, stellte Aela fest.
»Das sind Zutaten für Tränke zum Heilen von Wunden…«, setzte Vesana an.
»Nirnwurz«, warf die Rothaarige ein.
»Und für Gifte. Starke Gifte, die den Leib schwächen und zersetzen, nicht nur erschöpfen«, setzte sie fort.
»Wenn nur die Hälfte der Beutel mit dem Zeug voll ist, reicht das, um mehr als nur diese Waffen hier mit Giften einzuschmieren und mehr als nur die Menge an Leuten, die diese dann trägt, mit Wundheiltränken zu versorgen. Deutlich mehr.«
»Ich hab‘ ein ganz mieses Gefühl bei der Sache hier.« Vesana kniete sich hin und öffnete eine Reihe weiterer Säcke. »In dem hier«, sie hob einen etwas größeren, »ist Flusskrabbenchitin.«
»Fehlen nur noch«, setzte die rothaarige Nord und brach dann mit verkrampft wirkendem, ernsten Gesicht ab. »Falkenfedern.« Sie hielt ein kleines Bündel in die Luft.
»Gegen Krankheiten.«
»Wir sollten uns nach diesen offiziellen Dokumenten umsehen«, wandte Skjor ein und erntete zustimmendes Nicken.
Die Kaiserliche brauchte nicht einmal aufstehen, um zu wissen, wonach sie suchten. Mit ausgestrecktem Zeigefinger wies sie auf eine schwer aussehende, eisenbeschlagene Kiste direkt hinter dem Kutschbock. Ein dickes Vorhängeschloss verriegelte sie. »Ich vermute, wir werden einen Schlüssel brauchen.«
»Wo liegt der Anführer?« Aela hob das Haupt und betrachtete die Umgebung. Vesa tat es ihr gleich, ließ die Augen über das Treiben schweifen. Niemand schenkte ihnen außerordentliche Beachtung. Corolas schien es deutlich gemacht zu haben, dass zunächst nur die drei Gefährten auf den Karren wühlen durften.
»Ich geh ihn suchen«, brummte Skjor letztlich und setzte sich in Bewegung.
»Aela … bitte sage mir, dass ich einfach nur paranoid bin, wenn ich das Gefühl bekomme, dass wir es hier eindeutig mit Kriegsgütern zu tun haben«, flüsterte die Jägerin, ohne, dass sie es so gewollt hatte. Doch das nervöse Hauen und Stechen in den Eingeweiden brach sich so ohne ihr Zutun und dass sie es hätte verhindern können Bahn.
»Ich wünschte, ich könnte das«, erwiderte die Nord ebenso leise und setzte sich auf die Rückenlehne des Wagenführerstands. Der Kaiserlichen legte sich ein eiskalter Schleier auf den Magen und die Brust.
»Kriegsgüter wofür?«
»Wir haben es hier mit der Silbernen Hand zu tun, was glaubst Du wohl?«
»Das ist absurd, die Hand hat nicht einmal ansatzweise genug Leute, um so große Lieferungen zu rechtfertigen. Ich bezweifle, dass es auf dem anderen Wagen anders aussehen wird«, widersprach die Kaiserliche und setzte sich mitten zwischen die Beutel und Waffen.
»Wissen wir das so genau?« Damit traf Aela einen sehr empfindlichen Nerv und Vesana senkte das Kinn auf die Brust. Still wanderten ihre Augen über die Ladefläche, von Aelas hohen Stiefeln über ihre eigenen Fußspitzen bis zum langen Ende. Das glänzende Metall brannte ihr zunehmend in den Augen, ob als Teil ihrer innewohnenden Silberallergie oder doch, weil ihr die Ware suspekt und unverständlich erschien, sie mochte es nicht sagen.
»Hier«, eröffnete Skjor das Gespräch und klimperte mit irgendetwas Metallischem. »Ich schaue mir mal den anderen Wagen genauer an.« Aus dem Augenwinkel bemerkte Vesa, wie er den Gegenstand zu Aela warf, die ihn gerade so mit beiden hohlen Händen auffing. Erst als sie ihn in den Händen hin und her wog erkannte die Kaiserliche das Objekt als einen schweren Schlüsselbund. Träge und schnaufend erhob sie sich und machte sich mit der Rothaarigen am Schloss der Kiste zu schaffen.
Eine ganze Reihe verschiedener Schlüssel probierten sie durch, bevor letztlich einer von ihnen in die Öffnung des Verschlusses passte, leise klickend einrastete und sich drehen ließ, bis der dicke Eisenbügel aufsprang. »Na also«, brummte Aela und zog die Schließe aus der Metallöse an der Kiste. Als öffneten sie ein Geschenk, das aufwändig verpackt war, zwickte es Vesa in den Eingeweiden, obgleich sie die Nervosität und das aufgeregte Stechen in der Brust weit weniger angenehm fand. Quietschend stemmten die Frauen den Deckel auf und blickten zunächst beide ähnlich verdutzt auf eine rote Samtdecke. Zögerlich und mit Vorsicht schoben sie diese nach kurzem Betrachten nach hinten und offenbarten eine Vielzahl durcheinandergeratener und wie eine zweite Decke verstreut liegender Briefumschläge. Purpurrote Wachssiegel zierten sie und Vesana nahm eine der Papierhüllen auf.
»Das Symbol, das sie auch an den Händen tragen, schau«, bedeutete die Jägerin und hielt der Nord den Umschlag hin, nahm sich aber gleichzeitig schon den nächsten mit unsteten Fingern. »Keine Adressaten, nur Initialien.«
»Was haben wir denn da?« Aela wühlte plötzlich grobschlächtig durch die versiegelten Briefe. Mit zusammengebissenen Zähnen beobachtete die Kaiserliche sie und wartete ab, was sie meinte. Erst einen Augenblick später bemerkte auch sie die dunkelroten Säckchen aus Samtstoff. Manche passten im Paar in eine hohle Hand, die Mehrzahl aber gab sich deutlich größer und bauchig mit den Konturen von Münzen durch den Stoff drückend. Vorsichtig nahm sich Vesa einen der kleinen Beutel, schob die umklappbaren Fingerstücke ihrer Handschuhe zurück und zog am goldgelben Bundstrick. Scharf sog sie die Luft ein, als sich der Säckel öffnete. »Was?«, wollte die Nord wissen. Kommentarlos hielt ihr die Kaiserliche den Fund in der hohlen Hand hin. Als auch sie tief Luft holte, nahm die Jägerin ihren Arm zurück und zog rasch an der Schnur. Neugierige Augen, die einen Blick auf die unzähligen, verführerisch funkelnden Edelsteine und auf die mit ähnlichen, prallen Säckchen gefüllte Kiste warfen, konnten sie wahrlich nicht gebrauchen.
Rasch steckte Vesana das Bündel zurück, deckte es unter Beihilfe von Aela mit Briefumschlägen und anschließend der Samtdecke ab. Zum Schluss verriegelten die beiden Frauen die Kiste mit dem schweren Schloss. Nur kurz tauschten sie schmallippige Blicke aus, dann erhoben sie sich und kletterten vom Karren. Skjor mochte womöglich ihre Hilfe benötigen und so schritten sie zum zweiten Wagen hinüber. »Irgendwas Interessantes gefunden?«, fragte schließlich Aela, als sie sich neben Vesa mit dem Armen auf die Seitenwand des Gefährts stützte und zu dem Einäugigen hinaufsah.
»Nichts, was wir nicht schon auf dem anderen Karren gefunden haben. Waffen, Proviant, Zutaten und einige verschlossene Kisten«, erwiderte er. »Glück mit den Dokumenten gehabt?«, fragte er und nahm zum Öffnen einer kleinen Kiste den Schlüsselbund entgegen.
»Lass uns später darüber reden.« Vesana dämpfte ihre Stimme zu einem seidendünnen Flüstern und brachte den großen Nord damit ruckartig zum Stillstand. Gebückt und von ihr abgewandt nickte er nach kurzer Pause still der Ladefläche entgegen und kniete sich letztlich neben einen der kleinen Kästen. Mit etwas Probieren fand er einen passenden Schlüssel und öffnete den Deckel. »Glasfläschchen.«
»Passt zu den Zutaten«, kommentierte die Rothaarige und erntete kehlige Zustimmung.
Vesa rang sich ein tiefes Seufzen ab, das ihr die Lungen von innen gefrieren ließ. »Ich habe genug gesehen. Wir sollten uns mit Corolas Gedanken über die Aufteilung der Güter machen.« Skjor und Aela nickten. Während der Kahlköpfige noch den geöffneten Behälter verriegelte, machten sich die beiden Frauen bereits an der Abdeckplane zu schaffen und zogen sie rauschend über die Ladefläche als der Nord von ihr hinuntergeklettert war. Nach wenigen Handgriffen vertäut, wiederholten die drei Gefährten das Spiel am ersten Wagen und schickten sich anschließend an, zum Haupthaus zurückzukehren.
»Bevor wir mit Corolas reden, solltet ihr mir noch erzählen, was ihr gefunden habt«, gab Skjor zu bedenken, als sie außer Hörweite der Befreiten waren und über den Dorfplatz stiefelten.
»Briefe, die per Initialen adressiert sind, mehr Gold, als Du zählen könntest«, setzte Aela an.
»Und genug geschliffene Edelsteine, um den Wert in Gold doppelt oder dreifach aufzuwiegen«, vervollständigte Vesa. Völlig aus dem Nichts blieb Skjor stehen und starrte die Rothaarige und sie unverhohlen aus. Ihn derart unbeherrscht zu sehen reichte aus, um der Kaiserlichen wie eine Faust auf den Magen zu schlagen. Davon, dass ihr von dem Fund und dem Versuch, ihn irgendwie auch nur im Ansatz zu verstehen, die Gedanken kreiselten und regelrecht schwindelig wurde, ganz zu schweigen. Entgeistert kniff der Gefährte sein gesundes Auge zum Schlitz zusammen, sprach jedoch kein Ton.
Letztlich schüttelte er sacht das Haupt und somit wohl auch die erste Überraschung ab. Gemeinsam setzten sie sich wieder in Bewegung. »Wir sollten einige gründliche Fragen an Corolas richten«, knurrte er bevor sie die große Pforte erreichten. Aela brummte nur und Vesa nickte stumm vor sich hin.
Kurz darauf drückte die Rothaarige als erste die schwere Pforte des Hauses auf und hielt sie für die beiden anderen offen, nur um sie nach ihnen schwer klackend ins Schloss zu drücken. »Wir sollten gleich mit Corolas sprechen, bevor zu viele reinreden können«, befand die Nord.
Vesana wippte nur mit dem Haupt und suchte, an der Tür stehen geblieben, den Raum mit den Augen ab, wo der graue Kaiserliche denn gerade stecken mochte. Nach kurzer Sondierung der Lage fand sie ihn an einem runden Tisch nahe dem Podest an der linken Flanke. Er reichte einem abgehungerten Kerl mit fast schwarzem, schulterlangem Haar, der mit dem Rücken zu den neu Eingetretenen saß, einen Brotlaib und schien sich leise mit ihm zu unterhalten. Für die Dauer zahlloser, schmerzhaft lang erscheinender Lidschläge setzte der Kaiserlichen das Herz aus, krampfte dann in der Brust und begann so heiß zu glühen, dass sie fürchtete, es könne sie verbrennen. Mechanisch ruckte ihr Kopf herum zu Darius Bett, um sich der unruhigen Vermutung im Bauch zu vergewissern – Darius lag nicht mehr auf seiner Nachstatt. Als sie zurück zu den beiden Männern am Tisch schaute, hob Corolas den Blick und tippte seinen Gegenüber am auf der Holzplatte neben dem Brot liegenden Arm an.
Ihre Begleiter, überhaupt der Rest des Raumes – die Verletzten im Hintergrund, die sich ausruhenden oder noch schlafenden Befreiten am linken Rand und nahe am Kamin, die gedämpften Gespräche, schlicht alles – hörte von einem Atemzug auf den nächsten auf zu existieren. Vesas Lippen begannen zu beben, dann ihre Hände und Arme, letztlich der ganze Leib, als erfasst sie ein Erdbeben. Kaum im Stande, sich auf den Füßen zu halten, beobachtete die Jägerin wie angewurzelt Darius, als er sich erst auf dem Stuhl umdrehte, kurz stockte und anschließend erhob. Irgendjemand berührte sie an der Schulter, doch reagierte sie nicht, völlig vereinnahmt von der mageren Gestalt ihres Geliebten, der langsam auf sie zukam.
Tränen rannen ihr über die Wangen, als ihre Beine letztlich doch nachzugeben begannen und sie schwankend zur nahen Mauer taumelte, um sich kurz dort abzustützen. Unlängst schnürte sich ein dicker, unsichtbarer Strick um ihren Hals, erschwerte ihr das Schlucken und raubte ihr die Luft. Skjor und Aela ließen sich nirgendwo mehr ausmachen. Eher aus Reflex denn dass sie darauf Einfluss nahm, streifte sich Vesana Köcher und Bogen, gleich darauf auch ihre Handschuhe ab, ließ sie einfach zu Boden fallen und lehnte sich anschließend gegen das grobe, kalte Mauerwerk. Der dunkelhaarige Kaiserliche näherte sich derweil weiter mit langsamen Schritten, seine markante Narbe inzwischen deutlich zu erkennen und einen Ausdruck auf den eingefallenen Gesichtszügen, der irgendwo zwischen Bedauern, tiefster Reue und unendlicher Freude lag, dunkle Gräben unter seine Augen zeichnete und seinen Mund leicht offen stehen ließ.
Doch alles, was sich der Jägerin in diesen Momenten, in denen sie zum ersten Mal keine Sorge mehr empfinden musste, klar aufdrängte, waren Enttäuschung und Zorn. Enttäuscht von seinem gebrochenen Versprechen, zurückzukehren. Zorn für seinen dreisten Aufbruch, wo er doch hätte wissen müssen, dass er sein Versprechen unmöglich halten können würde. Dass auch Vesa selbst nicht anders gehandelt hätte, wäre es um ihre Schwester gegangen, spielte in diesem Moment keine Rolle. Freude und Erleichterung vermieden es sich mit diesen heiß brennenden Gefühlen anzulegen, liefen sie doch bloß Gefahr darin zu vergehen.
Bei in Schwerelosigkeit krampfenden Eingeweiden erschien es ihr quälend lange, doch letztlich befand sich Darius unmittelbar vor ihr. Gerade kam er in Armreichweite, da presste er mit Tränen in den Augen die merklich zitternden Lippen kurz zusammen und öffnete sie anschließend im Ansatz eines Wortes. Weiter ließ ihn die Kaiserliche aber nicht kommen. Ohne ihr Zutun hob diese die Rechte und verpasste ihrem Geliebten mit gestrecktem Arm eine derart schallende Ohrfeige, dass ihre Handfläche so heiß aufflammte, wie die linke Hälfte seines Antlitzes rot zu glühen begann.
Perplex und irritiert, aber tonlos hob er seine spindeldürre Hand und rieb sich die sicherlich heftig schmerzende Stelle. Es wirkte auf Vesana, als wüsste er selbst nicht recht, was genau er tun sollte. Seine Mundwinkel zuckten unregelmäßig zu einem tröstenden, entschuldigenden Lächeln nach hinten, während seine dunklen Augen unstet über ihr Gesicht wanderten, manchmal im Blickkontakt innehielten und ihn dann wieder brachen. Abermals setzte er an, doch noch etwas zu sagen und wieder zu versuchen, sich ihr zu nähern. Klatsch! Die Linke.
Diesmal strafte sich Vesa jedoch selbst. Die Wucht des Aufpralls erschütterte ihren Arm und zerrte auch an der frisch vernähten Wunde, ließ diese in ihrem Geist heiß aufleuchten. Erst fauchend, dann stöhnend umschloss sie ihren Unterarm mit der rechten, presste ihn an sich, als könne sie die Pein so niederringen und senkte das Kinn. Vergebens. Am Rand ihres tränenverschwommenen Sichtfelds machte sie eine Bewegung aus und riss noch im selben Augenblick die Finger von ihrem Arm, schlug nun knurrend und schluchzend mit der Faust zu. Aber diesmal ließ sich Darius nicht mehr beirren und drückte sich einfach solange gegen sie, bis er sie an der Wand fixierte, mit den eigenen Armen umschließen konnte und ihr so die Freiheit auszuholen nahm.
Zunächst widerwillig, dann völlig wehrlos ließ sie ihn gewähren und krallte sich zum Schluss im Stoff seiner Kleidung an den Seiten seines Leibes fest. Ihr Gefährte umschloss sie letztlich gänzlich, einen Arm quer über ihrem Rücken, die Hand des anderen in ihrem Nacken massierte die Schädelbasis durch ihr langes Haar hindurch. Seine Wange lag oben auf ihrem Haupt auf und gelegentlich glaubte sie irgendetwas schweres, aber weiches auf den Kopf schlagen zu fühlen. Als irgendwann Tropfen hinter ihrem Ohr hinab in den Hals rannen, Schauer ungekannten Ausmaßes ihren Leib hinabsendend, wusste sie, dass es sich dabei um Tränen handelte. Tränen, die sie in vielfacher Menge durch seinen Kragen unter seine Kleidung fließen ließ.
Heftig zuckend, atemlos schluchzend und plötzlich kraftlos, gaben Vesas Knie vom einen Augenblick zum anderen nach, als sank die Erkenntnis nicht zu träumen erst jetzt wirklich ein. Doch anstatt zu fallen, spürte sie nur, wie sich Darius Arme fester um sie schlossen und sie fester gegen die Wand drückten. Die Schmerzen, die dieser Druck bei all ihren Prellungen hervorrief, zerflossen schon kurz nachdem sie aufkamen in die Bedeutungslosigkeit. Unterdessen hob der Kaiserliche sein Haupt und hinterließ für einen kurzen Moment mit der nachhallenden Druckstelle tief schneidende Reue. Aber als er ihr im nächsten Augenblick durch ihren sich wild verteilenden Schopf einen langen Kuss auf die Schläfe gab und seinen Kopf anschließend wieder auf dem ihren ablegte, war das kurze Stechen des Bedauerns so schnell vergessen, wie es sie überfallen hatte.
Vesanas Mundwinkel zogen sich zu einem verträumten, geistesabwesenden Schmunzeln und der Fluss der Tränen verlangsamte sich, verebbte allerdings noch nicht gänzlich. Stattdessen löste sie ihre Finger aus der Verkrampfung an seinen Seiten und schob die Hände in seinen Rücken, nur um sich dort abermals in den Stoff seiner Kleidung zu krallen. Jetzt übernahm sie es, sich an ihn zu drängen.
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Geändert von Bahaar (29.06.2015 um 08:27 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Helgen, Weißlauf
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Verhaltenes Räuspern zog Vesana die Eingeweide zusammen und ließ sie heftig zucken, löste jedoch die Umklammerung keineswegs auf, krallte sich der offenkundigen Unterbrechung zum Trotz fester an den Kaiserlichen. »Wir haben mit Corolas die Aufteilung der Güter besprochen und laden sie auf den Wagen entsprechend um«, setzte Aela nach kurzem Warten an, hielt ihre Stimme aber gedämpfte, wohl um die seidenzarte Stimmung der Zusammenführung nicht zu zerstören. »Nehmt euch noch einen Moment Zeit und kommt dann nach. Wir dürften genug Hände für die Arbeiten haben«, führte sie dort. Erst jetzt hob Darius den Kopf und sah die Nord wohl an.
»Danke«, erwiderte er, die Stimme rau von Tränen und zum Zerreißen dünn.
»Corolas meinte, er hätte Dir einige wärmere, nicht zu zerschlissene Sachen von Leuten der Hand aufs Bett gelegt.«
»Ich schaue gleich nach, danke.« Ohne ein weiteres Wort verschwand die Rothaarige in einem Hauch kalter Luft, die durch das Öffnen der Tür eindrang. Der Kaiserliche ließ sein Haupt nicht wieder auf Vesas zurücksinken. Stattdessen schob er seine Finger in ihrem Nacken langsam und ohne Druck auszuüben am Hals herum, die Kieferlinie entlang bis zum Kinn und anschließend hoch über die Lippen zur Nase und den Augen. Gänsehaut stand ihr auf den Armen und leise begann ihre Atmung abermals zu rasseln. Nicht mehr von Tränen und Aufregung, in den scheinbar langen und doch zu kurz gewesenen Momenten der Umarmung hatten sich diese nahezu vollständig davongestohlen und wohliger, schläfrig machender Wärme in der Brust das Feld überlassen.
Sanft strich ihr Darius Strähnen ihres Haares aus dem Antlitz, während ihr seine tiefen Atemzüge über die freie Haut auf der Stirn streichelten und verstärkte so nur die vielzähligen Schauer, die ihr den Rücken hinabliefen. »Lass mich kurz nach der Kleidung sehen«, bat er und zwang die Jägerin so dazu, letztlich doch die tränenverkrusteten Augen zu öffnen. Das Salz brannte noch etwas und widerwillig nahm sie die Linke aus seinem Rücken, um sich die verklebten Wimpern auszustreichen. Wenig begeistert hob sie ihren Kopf aus der Mulde an seinem Hals und rang sich ein gepresstes Lächeln ab, nickte dann zwar, aber nicht ohne noch einen weiteren Moment an seinem dichten, lang gewordenen Vollbart zu zupfen und die Augen langsam über seine rauen, dreckstarrenden Züge schweifen zu lassen.
Darius erwiderte die Geste und ließ sie einen Moment gewähren, bevor er mit sanftem Druck ihre Finger umschloss und ihre Hand an seine Seite schob. Blickkontakt haltend senkte er sein Haupt bis er auf ihrer Höhe war und mit einem letzten, kurzen Rucken schloss er die Lücke zum Kuss. Im ersten Augenblick überrumpelt und in heiß glühender Überraschung zu neuen Tränen verleitet erwiderte Vesana die Geste einen Augenblick später und schloss die Lider. Völlig schwerelos merkte sie erst jetzt, wie sehr ihr die Nähe und Zärtlichkeit dieses elenden Sturkopfes gefehlt hatte, vergrub die Finger gieriger in seiner ranzigen Kleidung und zog ihn näher, während seine borstigen Barthaare zunehmend unsanfter über ihre empfindlichen Wangen scharrten.
Der Moment währte zu kurz. Der Kaiserliche löste sich von ihr, lehnte sich aber noch einen weiteren Moment Stirn an Stirn an sie. »Du…«, setzte sie an, brach jedoch ab und räusperte sich, um den noch immer in ihrer Kehle sitzenden Kloß zu lösen. »Kratzt«, vollendete sie gleich darauf.
»Ändern wir bald«, erwiderte er und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Für die Dauer einiger Herzschläge standen sie sich gegenüber, er seine Rechte an ihrem Gesicht und mit dem Daumen darüberstreichend, die Linke an seiner Brust auf ihre dort ruhenden Hände gelegt. »Gleich wieder da.« Ein letzter, sehnsüchtiger Blickkontakt, dann wandte er sich zum Gehen. Die Jägerin sah ihm nach, schlang einen Arm um ihren unruhig summenden Bauch und hob die Finger zu ihren Lippen, wo die zarte Berührung in vielfachem Echo nachhallte. Erst jetzt fiel ihr die leicht gebückte Haltung ihres Liebsten auf. Nicht auffällig, im Gegenteil. Es würde niemand wirklich bemerken, der ihn nicht annähernd so gut kannte oder so intensiv und oft beobachtet hatte, wie Vesa. Aber genau deswegen legte sich die Beobachtung wie ein schweres, kaltes Tuch über ihr Herz, zog an Mund- und Augenwinkeln. Darius gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, doch war genau dieser Umstand das Beunruhigende.
Gequält die Mundwinkel verziehend, senkte sie letztlich den Blick und sammelte anschließend ihre fallengelassenen Sachen auf. Ihr sturer Gefährte brauchte jetzt vor allem eines: Geduld. Das wusste sie, kannte sie es doch von sich selbst und auch von ihm bei früheren traumatisierten Erlebnissen. Es würde viel Disziplin kosten und sicherlich nicht immer so funktionieren, wie sie sich selbst ermahnte, aber drängen durfte sie ihn nicht. Zu viele hatten Vesana auf diese Weise auf Abstand getrieben und mit Darius wollte sie diesen Fehler nicht selbst auch begehen.
Wenig später trug ihr liebster Sturkopf eine dunkle, dickere Tunika, hohe Stiefel und einen schweren Umhang. Alles schien in den Kämpfen der letzten Nacht irgendwie mit Blut in Berührung gekommen zu sein und wirkte entsprechend verklebt und fleckig, aber es würde den gewünschten Dienst erfüllen und das reichte. Zur generell geschundenen Erscheinung des Kaiserlichen passte es allemal. Im Näherkommen schenkte er ihr ein mattes Lächeln, das kaum mehr als die Mundwinkel verzog und die Müdigkeit in seinen dunklen Augen nicht einmal im Ansatz vertreiben konnte. Dennoch erwiderte sie die Geste, sicherlich nicht weniger mitgenommen. Zeit. Die brauchten sie beide, um sich von ihren ganz eigenen Dämonen der letzten Monate zu distanzieren und wieder ineinander einzufühlen. »Gehen wir?«, fragte er und blieb vor ihr stehen.
Für einige Lidschläge betrachtete sie ihn, legte den Kopf kaum merklich schief und lächelte dann breiter, als zuvor. »Ja. Gehen wir.«
Skjor spannte gerade zwei dunkle, fast schwarze Pferde mit glänzendem, etwas längerem Fell vor einen Wagen. Aela zurrte währenddessen die Plane auf der Ladefläche fest. »Pünktlich«, kommentierte der Einäugige das Auftauchen der zwei übrigen Gefährten und schob den letzten Metallstift in die Zugvorrichtung des Gespanns. »Übernehmt ihr den Karren?«
»Machen wir«, kam Darius Vesa mit einer Antwort zuvor.
»Gut.«
Noch im selben Moment kamen die Rothaarige und Corolas zu ihnen herübergelaufen. Der kleine Kaiserliche verneigte sich tief in die Runde und auch vor Darius. »Du kannst Dich glücklich schätzen solche Freunde zu haben und ich stehe ebenso in Deiner wie deren Schuld dafür«, sprach der Ergrauende. »Ich werde sicherstellen, dass Euer Vertrauen und Eure Großzügigkeit weder vergessen noch vergeudet werden«, setzte er fort und reichte zunächst Vesana, dann den beiden Nord die Hand. »Denkt daran, dass Ihr in Bravil stets willkommen seid. Gehabt Euch wohl und sichere Wege, wo immer es Euch hin verschlägt.«
»Vorsicht auf dem Pass, der Schneefall dürfte es noch gefährlicher gemacht haben, diesen jetzt noch zu passieren«, entgegnete Aela.
»Die werde ich walten lassen.« Damit winkte der alte Kaiserliche und zwei hochgeschossene, trotz des sicherlich langen Hungers noch immer bullige Nord führten drei die Braunen der Gefährten und den Schimmel des Anführers der Hand zu ihnen.
»Die haben wir in einem der Häuser gefunden, sehen nicht aus wie von der Silberfaust«, brummte einer der Neuankömmlinge und hielt ein langes Stahlschwert sowie zwei Dolche hoch.
»Gehören mir«, entgegnete Vesa und streckte die Hände aus, verstaute die Waffen in den zugehörigen Scheiden. »Danke.« Der Nord nickte nur und im Gehen überprüfte er den Sitz des Sattels und der daran gebundenen Taschen, sowie Vesas Speer, den sie nicht einmal benötigt hatte, wie ihr dabei auffiel. Kurz darauf stiegen sie und Darius auf den Kutschbock und schlugen die Zügel, damit sich ihr Gespann in Bewegung setzte. Schnell auf dem Dorfplatz gewendet, ließen die Vier Helgen bald hinter sich und überließen die Befreiten sich selbst.
»Was habt ihr mit Corolas besprochen?«, fragte die Jägerin eine Weile später und wandte den Blick zur Seite, wo Aela mit einem der zwei unbesetzten Pferde neben dem Karren ritt.
»Weniger, als wir gehofft hatten. Seine Kenntnisse über die Hand sind relativ begrenzt«, erwiderte die Nord. »Aber er meinte, dass nicht alle der Kämpfer aus dem Tross zu den Leuten gehörten, die ihn gefangen gehalten haben.«
»Stimmt«, brummte Darius neben ihr so leise und tief, dass Aela ihn über dem Huftrappen und holpern der Wagenräder kaum hören konnte.
»Wem dann?«, fragte Vesa dennoch an die Nord und nicht ihren Geliebten gewandt. Aus dem Augenwinkel heraus gönnte sie ihm nur einen kurzen Blick, aber so wie er vorgebeugt auf der Bank saß und den Pferden auf mit leerem Blick auf die Hinterteile starrte, wirkte er nicht gerade, als ob sein Interesse an einem Gespräch darüber hoch stand.
»Das wusste er nicht. Er kennt keine Niederlassungen der Hand auf der Südseite der Jerall-Berge, aber augenscheinlich gehört ein Teil der Truppen genau einer solchen.«
»Hm. Das erklärt, warum so viele Kämpfer den Tross begleiteten und rechtfertig allemal die Güter«, sinnierte die Kaiserliche und senkte das Kinn.
»Das dachten Skjor und ich auch.« Für einen Moment schwieg die Rothaarige, dann hob sie aber nochmals die Stimme an. »Darius, Du musst uns unbedingt schildern, was Du über die Niederlassung der Hand weißt. Die bisherigen Neuigkeiten sind alleinstehend sehr verwirrend, vielleicht kannst Du noch etwas Licht ins Dunkel bringen.«
»Hmhmm. In Weißlauf«, erwiderte der Kaiserliche.
»Habt ihr ihm von den Briefen und dem Gold erzählt?«, lenkte Vesana die Aufmerksam von ihrem Liebsten ab. Es ließ sich kaum übersehen, dass ihm das Gespräch nicht gerade Spaß bereitete, denn geschweige Wohlbehagen hervorrief. Um ihm etwas Halt zu geben, schob sie ihre Hand zu ihm rüber und ließ sie auf seinem Oberschenkel ruhen.
»Weder von den Briefen, noch von den Edelsteinen weiß er etwas. Die Hälfte der Geldsäckel haben wir in einen leeren Proviantbeutel ausgeschüttet und ihm gegeben, damit er das Gold unter den Übrigen und sich aufteilen kann«, erklärte die Nord.
»Eine gute Lösung«, befand Vesa und ließ das Thema damit ruhen. Sie würden später noch genug Zeit haben, die Einzelheiten der gestrigen Nacht und allem davor zu erörtern. Für die Dauer der Reise reichte es ihr ohnehin, sich mit der Gegenwart von Darius zu begnügen. Und um das zu demonstrieren rückte sie gleich noch ein paar Fingerbreiten näher an diesen heran.
Fünf Tage dauerte ihre Reise, allem Tiefschnee und kalten Winden aus den Höhenlagen zum Trotz, während Darius in der Regel die doppelte oder dreifache Menge an Proviant erhielt, um seiner mageren Verfassung entgegenzuwirken. Letztendlich erreichten sie die Hauptstadt des Fürstentums und nachdem sie die vier einzelnen Rösser in den Stallungen untergebracht hatten, trieben sie den neu angeeigneten Wagen immerhin bis zum Marktplatz der Stadt. Erst dort sahen sie sich gezwungen ab der anschließenden Treppen hinauf zum Güldengrünbaum zu Fuß zu gehen. Jeder mit einem Handkarren vom um die Mittagszeit vakanten Übungsplatz hinter Jorrvaskr ausgestattet, schafften die Vier die Fracht, die immerhin noch die alchemistischen Zutaten, einen Großteil der Waffen und die Schatzkiste umfasste, zur Gildenhalle und ließen sie dort erst einmal ruhen.
»Bleibt ihr schon hier, Skjor und ich schaffen den Wagen zum Stall«, wies schließlich Aela die beiden Kaiserlichen an. Die nickten nur und warteten, bis die Nord um die Ecke des Hauses verschwanden.
»Wir können auch etwas warten, wenn Du noch einen Moment Deine Ruhe haben möchtest«, bot Vesana an, strich dem Vernarbten durch das Haar und schenkte ihm einen aufmunternden Blick.
Darius schüttelte sacht das Haupt und warf den Trübsinn aus seinen Augen. »Schon in Ordnung, nur einmal kurz durchatmen«, entgegnete er und die Jägerin nickte. Schweigend besah sie sich den noch immer schneefreien, aber gefrorenen Übungsplatz und wartete, bis ihr Darius das Zeichen zum Aufbruch gab. Ein Schmunzeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie den improvisierten Holzsteg in der Mitte des Terrains bemerkte, der, wenn sie sich nicht täuschte, kein bisschen bewegt worden war. Letztlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, hob die eigene und griff nach den Fingern. »Lieber jetzt, als es noch weiter hinauszögern.« Damit wandte sich Vesa um und betrat an Darius Seite die Halle der Gefährten.
Deutlich hörbar stieß er Luft aus, als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel und der Hauptsaal des Hauses erstaunlich leer vor ihnen lag. Fleischduft schwängerte die Luft, verkohltes Holz und die übliche rauchige Note. Dazu das Aroma von Met und allerlei Alkohol gepaart mit Männerschweiß. »Es hat mir gefehlt«, flüsterte der Kaiserliche und sah sich im Raum um, während Vesana mehr ihn als alles andere beobachtete. Kleine Muskeln an den Augenwinkeln zuckten immer wieder deutlich, zogen am für sie sichtbaren Ende der Braue. Unstet schwenkte er das Haupt von der einen Seite zur anderen und wieder zurück, sondierte das Umfeld und blieb letztlich mit den Augen auf etwas kleben. Die Jägerin folgte dem Blick. Vilkas und Kodlak saßen an der langen Tafel, deutlich in ein Gespräch vertieft und hatten somit wohl das Eintreten der beiden Gefährten nicht bemerkt. Ihre Worte schwangen nur als leises Säuseln durch den Raum, verschwommen und unklar.
Inzwischen begann sie unter ihrer dicken Kleidung zu schwitzen und streifte die Handschuhe ab. Erst danach stupste sie ihren Liebsten an und nickte mit hochgezogenen Brauen in Richtung der beiden Nord am Tisch. Schweigend setzte sich Darius in Bewegung, Vesa folgte ihm mit schweren Schritten. »Ich hoffe, Tilmas Kochkünste haben nicht gelitten?«, zerriss der geschundene Kaiserliche die schläfrige Stille, die Jorrvaskr ausfüllte.
Vilkas fuhr ruckartig herum, der Herold erstarrte einen Moment, nur um gleich darauf nach seinem Becher zu greifen, langsam aufzustehen und sich ihnen zuzuwenden. Der jüngere der beiden Männer am Tisch tat es ihm gleich und verzog das Antlitz in offenkundiger Erleichterung. »Wir haben uns bereits Sorgen gemacht, es könnte etwas schief gelaufen sein«, offenbarte der Graue und kam ihnen entgegen. »Es ist schön, Dich wieder in unserer Halle zu sehen, Darius.« Der Kaiserliche nickte und schlug sogleich mit Vilkas zur Begrüßung ein.
»Es ist in der Tat ausgesprochen schön, euch zu sehen«, bestätigte der jüngere Nord. Seine Züge trübten sich aber schon im nächsten Augenblick ein. »Ihr seht beide nur bedingt glücklich aus. Ist etwas passiert?«
Vesana bemühte sich ihr Lächeln ehrlich aufzubessern und am Rand ihres Sichtfeldes bemerkte sie, wie Darius die Schultern hochzog, um es ihr gleichzutun. »Wir freuen uns. Aber es gibt einiges, das wir bereden müssen. Der Zirkel – und Darius«, erklärte sie.
»Wo sind Aela und Skjor?«, wollte Kodlak wissen und bat die drei Übrigen per Geste, ihm in den Keller zu folgen.
»Wir haben die Gemeinschaft um … einige Ressourcen bereichert. Sie bringen sie gerade zurück zum Stall.« Die Jägerin hielt sich bewusst dicht an der Seite ihres Geliebten, ihre Schulter streifte stets seinen Oberarm und versicherte ihm so, dass sie gewiss nicht vor hatte, ihn in den bevorstehenden, zweifelsohne unangenehmen Gesprächen allein zu lassen. Zum Dank zwackte er sie gelegentlich mit Daumen und Zeigefinger in den Stoff ihrer Jacke.
»Die Sachen stehen draußen auf dem Platz«, fügte Darius hinzu während sie in den Hauptflur des Kellergewölbes traten. Laute Stimmen und Gelächter drangen aus dem Schlafsaal der normalen Mitglieder zu ihnen, die Tür stand nur einen Spalt breit auf und Schatten huschten durch den schmalen Ausschnitt, den Vesana so vom Inneren des Zimmers einzusehen vermochte. Dem Kaiserlichen an ihrer Seite musste dies nur allzu recht sein, vermied er so doch größere Aufmerksamkeit.
Zumindest vorrübergehend. Sie waren nicht einmal halb durch den Korridor, da trat Farkas scheppernd und schabend aus seiner Kammer, blieb plötzlich wie eingefroren stehen und grinste dann so breit, dass er Zähne zeigte. »Ha! Haha! Bursche, ich wusste, dass Dich Vesa raushauen würde!«, feixte er und stiefelte dann auf den Rückkehrer zu, drückte ihn in einer Umarmung, wie sie nur zwischen Männern stattfinden konnte und provozierte bei der Jägerin ein mitleidiges, aber auch amüsiertes Schmunzeln. Ein kurzes Lachen musste sie allemal unterdrücken. »Wo sind die anderen Beiden?«, fragte der große und bullige Nord im Anschluss.
»Kommen sicher in Kürze. Es ist gut, dass wir Dich nicht erst suchen müssen«, erwiderte Vilkas und bedeutete seinem Bruder ihnen zu folgen. Ehe noch jemand von dem Spuk auf dem Flur etwas bemerkte, schlüpften die Fünf in Kodlaks Räumlichkeiten.
»Was hat’s mit dem verschwörerischen Treffen auf sich?«, wollte der bärige Nord schließlich wissen, als jeder von ihnen einen Platz im Arbeitszimmer des Alten gefunden hatte. Vesa und Darius mit Kodlak am Tisch, ihre Waffen legte sie auf dem Tisch ab. Vilkas lehnte gegen eines der Bücherregale und Farkas hievte sich auf eine Kommode, die unter dem enormen Gewicht des Mannes gefährlich ächzte.
»Ich habe das Gefühl, dass nicht alles reibungslos verlaufen ist«, mutmaßte der Graue und nickte in Richtung ihres geflickten und blutverklebten Unterarms, den die Kaiserliche auf dem Tisch abgelegt hatte. Dass er damit nur das Offensichtliche feststellte, störte niemanden.
»So ist es wohl leider«, entgegnete sie. Kodlak schloss für einen Moment die Lider und atmete tief durch. »Allerdings haben wir nichts provoziert, das wohl nicht ohnehin schon lange in der Planung gewesen ist. Was auch immer es ist.« Der Alte hob den Blick, funkelte sie mit einer Mischung aus Überraschung und Sorge auf den faltendurchzogenen Zügen an. »Vielleicht die Geschehnisse zuerst, solange wir auf Skjor und Aela warten?«, die drei übrigen Zirkelmitglieder nickten stumm, Darius lehnte sich tief durchatmend zurück und warf ihr einen wehmütigen, aber dankbaren Blick zu. Sie lächelte zurück, wissend, dass er für jedes Wort aus anderem Munde als den seinen froh war.
Sie endete gerade an der Stelle, wo sie am Morgen nach dem Überfall mit den beiden Nord losgezogen war, um das Schlachtfeld und die Wagen zu durchsuchen, da schlug etwas heftig gegen die Tür. Mehrfach dröhnte es durch den Raum und ließ sämtliche Köpfe herumfahren. Farkas glitt von der Anrichte und lief zur Pforte hinüber. Auf der anderen Seite warteten Aela und der Einäugige mit jeweils beiden Händen an einer schweren, eisenbeschlagenen Kiste. Zur Begrüßung nickten sie in die Runde und setzen die Truhe dann in der Mitte des Raums auf dem Boden ab, während Farkas den Eingang wieder schloss.
»Und damit kommen wir zu den Funden«, erklärte Vesa und hob die hohle Rechte, um den Neuankömmlingen das Wort zu übergeben.
»Du hast den Überfall geschildert?«, hakte die Rothaarige nach und strich sich einige Strähnen aus dem Gesicht. Die Jägerin nickte lediglich. »Wir haben einen Großteil der Ladung noch oben auf den Handkarren. Silberwaffen. Schwerter, Äxte, Dolche, Speere. Genug, um ein Regiment damit auszustatten«, begann erstere zu berichten. »Wir haben alchemistische Zutaten und Geräte, genug um Regenerationstränke, solche gegen Krankheiten und Gifte zu mischen. Ebenfalls genug für ein Regiment, vermutlich sogar mehr«, setzte sie fort und bückte sich über die Kiste. Mit schnellen Handgriffen holte sie den Schlüsselbund des toten Anführers des Trosses hervor und öffnete das schwere Vorhängeschloss. »Und wir haben das hier.« Sie öffnete den Deckel, warf den ob der geschrumpften Goldmenge eingefallenen Samt zurück und entblößte so die Umschläge mitsamt den restlichen Säckeln für Münzen und Edelsteine. Im Anschluss stand sie auf und trat aus der Sichtlinie, damit jeder einen Blick darauf werfen konnte, der diese Aussicht noch nicht kannte. Das anschließende Schweigen verdickte die ohnehin schon stickige Luft im Zimmer bis zur Unerträglichkeit und Vesa öffnete ihre Jacke.
»Für wen ist das bestimmt?«, wollte der Herold nach einer langen Phase der Stille schließlich wissen. Er erhielt zunächst keine Antwort, bis Darius schwer seufzte und sich in seinem Stuhl vorbeugte. Vesana legt ihm die Hand in den Rücken und strich sanft mit dem Daumen darüber.
»Genau wissen wir das nicht, wusste es keiner von uns«, begann der Befreite nach einer weiteren Pause zu sprechen. »Wir wurden immer im Kerker gefangen gehalten und haben nichts außer den Trödeleien der Wachen mitbekommen. Aber auf der Reise … es schien nicht, dass all unsere Wächter aus der Niederlassung der Hand stammten, in der man uns gefangen gehalten hatte. Sie stritten, gängelten sich teils bösartig und über das Maß von normaler Brüderlichkeit hinaus«, erklärte er und zog sämtliche Augen im Raum auf sich. Mit Ausnahme von Kodlak, der sich zunächst eine Handvoll der Briefhüllen geben ließ. »Es stellte sich raus, dass wir über die Jerall-Berge zu einer anderen Zelle gebracht werden sollten.«
»Die Silberne Hand operiert unseres Wissens nach doch nur in Himmelsrand, nicht?«, wandte Vilkas ein und lief zum Tisch hinüber, um selbst einen der Umschläge aufzunehmen und diesen zu begutachten.
Darius schüttelte sacht mit dem Kopf. »Ich weiß es nicht. Aber diese Leute sind besser organisiert, als ich jemals eine Gruppe der Hand gesehen habe. Das waren sie damals schon, jetzt nur noch mehr.«
»Mannesstärke?«, fragte Farkas und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Irgendetwas musst Du doch mitbekommen haben. Beim Verlassen der … Festung, war es?«, brummte Skjor, der inzwischen an der Tür lehnte und ebenfalls die Arme verschränkt hielt.
»Festung. Als sie uns rausgebracht haben, band man uns die Augen zu. Und vor fünf …«, versuchte Darius zu erklären, brach allerdings ab, senkte das Kinn und fuhr sich durch den Bart. Er wirkte unendlich erschöpft, ausgelaugt. Andererseits spürte sie durch seine Kleidung hindurch das schwache, haarfeine Zittern seines Leibes unter ihren Fingern und versuchte mehr aus seinen geschundenen Zügen zu lesen, als er zeigen wollte. Obwohl er sie nicht ansah und sie nur von der Seite das unstete Kreisen seines Auges bemerkte, schien es ihr, als plagte ihn noch etwas anderes. Angst? Oder Zorn? »Alles, das ich weiß, ist Folgendes: Ich habe den Anführer der Niederlassung im westlichen Falkenring nie zu Gesicht bekommen. Jeden, den man zu ihm brachte, habe ich nie wieder gesehen. Er schart definitiv mehr Manneskraft um sich, als jede andere Zelle, die ich bislang gesehen habe und die Sachen, die wir im Konvoi mit uns führten, waren für irgendeine andere Niederlassung in Cyrodiil bestimmt«, sprach er schließlich und die Verbitterung und Ernsthaftigkeit in seiner tiefen Stimme jagten der Jägerin Gänsehaut auf die Arme. »Kodlak, Du hast eben einen Blick in die Briefe geworfen, was verraten sie Dir?«
Schweigend senkte der Herold seine silbergrauen Augen auf die Tischplatte, strich über das Pergament und den auseinandergefalteten Brief unter seiner flachen Hand. Dann hob er den Blick zu Vilkas, der ebenfalls in den Zeilen gelesen zu haben schien. Zuletzt sah er zurück zu Darius und schob ihm den Brief zu. »Schau selbst.« Der Rückkehrer griff nach dem Papier und ließ es wenig später auf den Tisch sinken.
»Das ergibt keinen Sinn.«
»Was ergibt keinen Sinn?«, hakte Aela nach.
»Die Briefe. Völlig durcheinander geratene Wörter und Silben«, erklärte der Graue.
»Verschlüsselt?« Kodlak nickte.
Abermals hielt Schweigen Einzug und Vesa spürte, wie sich nach und nach, je mehr die geschilderten Erzählungen einsanken, ihre Eingeweide zusammenzogen. Unwillkürlich nahm sie ihre Hand von Darius Rücken und strich sich über ihr Gesicht, als könne sie so wegwaschen, was eben sagt worden war. »Ich nehme an, es gibt keine Möglichkeit, diese Schriften zu entschlüsseln?«, fragte sie letztlich in die Runde, als die Stille unerträglich wurde.
»Ich kenne da jemanden, den wir anheuern könnten, um es zu versuchen«, räumte Vilkas ein, wirkte allerdings mit gesenktem Blick und wieder am Bücherregal lehnend zutiefst nachdenklich.
»Eines kann ich mit ziemlicher Gewissheit sagen: Wenn diese Leute dort unsere Gemeinschaft hier hätten auslöschen wollen in den letzten Monaten, ich zweifle nicht daran, dass sie es könnten«, warf Darius ein und trübte die finsteren Gesichter des Zirkels nur noch weiter ein.
»Und worauf warten sie dann?«, knurrte Farkes und ballte die Fäuste. Darius zuckte nur mit den Schultern. Bevor noch jemand etwas erwidern konnte, erhob sich der Herold und schritt zur Truhe hinüber. Sich schnell bückend, griff er hinein und holte einige der roten Samtsäckel hinaus. Leise knirschten sie in seinen prankenhaften Händen, als er sich erhob. Aela reichte er zwei, zu Skjor warf er zwei hinüber und als er sich wieder setze, ließ er vier auf den Tisch direkt neben Vesas Arm fallen.
»Den Rest verwahren wir und nutzen es, um uns dagegen zu wappnen, was auch immer es ist, das auf uns zukommt«, sprach er schließlich und hielt die Stimme deutlich gedämpft, nachdenklich. Keinem sah er noch ins Gesicht. »Ich habe mich geirrt, Vesa, und das tut mir Leid. Eure Befreiung hat keinen Ärger über uns gebracht, der nicht ohnehin schon auf dem Weg zu uns war. Stattdessen habt ihr uns eine Vorwarnung und Zeit zum Handeln verschafft«, räumte er ein, hob nur kurz den Blick zu ihr hinüber und starrte dann abermals auf die Briefe auf dem Tisch.
Die Jägerin griff derweil nach den Säckeln und musste überrascht luftholend feststellen, dass nur zwei davon mit Gold gefüllt waren. In den beiden kleineren rasselten Edelsteine. »Bitte lasst mich einen Moment allein«, bat der Herold schließlich. »Und Darius.« Er hob abermals das Kinn. »Es ist wirklich schön, Dich wieder hier zu haben.«
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Waldläufer
Himmelsrand, Fürstentum Reach, Broken Tower Redoubt
Sie bekamen es nicht hin. Sylaen hatte einen von den drei Eingangswächtern in den Kopf geschossen und ihn damit sofort getötet, Stephanus erwischte einen weiteren an der linken Schulter, bevor sich die zwei noch lebenden Riekmannen in die Festung verzogen hatten, wo sie höchstwahrscheinlich auf der Stelle einen Balken hinter die Tür schoben. Cocius musste sich zurückziehen, bevor er auch nur einen der Abgeschworenen erreicht hatte, um zu verhindern, dass er selbst mit Pfeilen gespickt wurde. Den Felsen, den sie zuvor als Deckung vor den Blicken ihrer Feinde genutzt hatten, nutzten die Söldner jetzt als Deckung vor herabregnenden Pfeilen. Die Bergleute in der Burg hatten einen klaren Höhenvorteil, so dass Sylaen, Cocius und Stephanus so schnell wie möglich wieder Distanz gewinnen mussten.
„Wirklich, Spurius! Du bist so ein Genie, warum gibst du dich überhaupt noch mit uns Trotteln ab?“ rief Stephanus mit vor wütendem Sarkasmus triefenden Worten.
„Ich-“
„Nein!“, unterbrach er den jüngeren Kaiserlichen barsch, während ein Pfeil mit Knochenspitze mit einem lauten „Klack!“ von ihrem Felsen abprallte, und sich Stephanus' Gesicht vor lauter Ärger rot färbte. Der Kragen war ihm sprichwörtlich und endgültig geplatzt. Und sein Arm wurde auch langsam müde, was seine Wut nur zusätzlich befeuerte. Sein Arm hielt nämlich den leichten Stahlschild über seinen Kopf. Der Bogen hing an seiner linken Schulter, damit er ihn nicht aus versehen mit dem gepanzerten Rücken zertrümmerte.
„Du hast jetzt Schicht im Schacht! Jetzt müssen wir deine neunverdammte Suppe auslöffeln! Würden die Neun doch nur Gehirne vom Himmel regnen lassen, oder wenigstens Ziegel, Hauptsache sie treffen ihr Ziel! Molag Bal möge dich holen, du verdammter-“
„Daneben, Bergjunge!“ schrie Sylaen, die sich gerade wieder hinter den Felsen geduckt hatte. Sie lieferte sich seit ungefähr einer Minute ein Duell der Bogenschützen mit dem Abgeschworenen, der zuvor auf dem Plateau Ausschau gehalten hatte. Sie atmete stoßweise, und ihr Mund war vor kindlicher Aufregung geweitet, und sie hatte wieder dieses irre Leuchten in den Augen.
„Habt ihr gesehen wie knapp das war? Der Kerl da kann wenigstens Zielen!“
Es verging ein stiller, nur von klackenden Pfeilen unterbrochener Moment, in dem sie sich alle mit dem Rücken gegen den Felsen pressten, Sylaen glücklich vor sich hin grinste, Cocius Spurius betreten zu Boden sah und sich wohl wünschte, im Boden versinken zu können, und Stephanus den Mund verzog, mit den Zähnen knirschte und den anderen Kaiserlichen so wütend anstarrte, als könnten Blicke töten.
„Oh, übrigens,“ verriet die Waldelfe unvermittelt im Plauderton, und hielt Stephanus so davon ab, das Schweigen zu nutzen, um Cocius einfach zu greifen und zu erwürgen. „Die vier Kerle, die Hrard zur Brücke geschickt hat, die sitzen am anderen Ende der Straße und verstecken sich auch hinter einem Stein. Die wissen, dass etwas nicht stimmt.“
„Gut“, seufzte der Bärtige. „Wenigstens etwas, dass uns in dieser •••• einer Situation zu Gunsten kommt.“
Er blickte auf, als er Bewegung etwas weiter vor sich vernahm, dort, wo der kleine Pfad lag, den sie zuvor genommen hatten. Der Rest ihrer Gefährten hatte wohl das Horn gehört und es endlich durch die schmale Ritze geschafft, die der Schleichweg im Vergleich zu den steilen Klippen um ihn herum darstellte. Mit erhobenen Schilden liefen einige von ihnen an dem Felsen der drei gescheiterten Späher vorbei, wobei andere sie mit Pfeil und Bogen und Armbrust deckten. Untermalt wurde dies durch das konstante Klimpern von Rüstungen und den Befehlen, die Hrard den Söldnern zurief.
Stephanus rappelte sich auf und ließ Cocius und Sylaen links liegen, um sich ihren Errettern anzuschließen. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Bogenschütze auf dem Plateau in der Brust getroffen zu Boden fiel. Auf der Spitze des Turmes, wo der Kaiserliche zuvor noch eine weitere Person ausgemacht hatte, rührte sich auch nichts mehr.
Anscheinend hatten die Verteidiger des Gemäuers sich zurückgezogen, um sich neu zu formieren und um sich zu verschanzen, wohl verschreckt durch das plötzliche Aufgebot an feindlichen Kämpfern.
Diese Ruhe nutzte die kleine Truppe, die die Abgeschworenen an der Brücke erledigt hatte, um sich wieder mit dem Rest der Gruppe zu einem großen Ganzen zu versammeln, in einigem Abstand zu den Mauern der uralten Festung.
Sie schienen, soweit Stephanus das sehen konnte, alle unverletzt, bis auf einen kleinen roten und frischen Schnitt, den Bärenpelz auf seiner Wange trug. Den massigen Nord störte diese Wunde jedoch offensichtlich nicht im geringsten, was den Kaiserlichen überhaupt nicht überraschte.
Stattdessen gesellte sich der Nordmann zu einer kleinen Gruppe, die sich um den von Sylaen getöteten Riekmannen versammelt hatte und dessen leblosen Leichnam von oben bis unten nach Wertgegenständen absuchten. Brarek nahm ihm gerade die mit Fell gesäumten Stiefel ab und Sylaen stritt sich mit Gramul gro-Ogdum um ein kleines Säckchen, dass gewiss einige Septime beherbergte.
Stephanus lief zu Hrard hinüber, der sich etwas erhöht auf einen kleinen Felsen gestellt hatte, um einen besseren Überblick über die Gruppe zu haben. Gerade gab ihm Berend einen kurzen Bericht über ihren Erfolg an der Brücke, doch als der Kaiserliche sich ihnen im Laufschritt näherte, drehten sich beide zu ihm um. Weder der eine noch der andere machte einen wirklich glücklichen Eindruck. Auf Hrards Gesicht zogen sich die Mundwinkel sogar nach unten, was nie ein gutes Zeichen war.
„Levinius,“ verlangte Hrard herrisch zu wissen, unterschwellige Ungeduld in der Stimme. „Wie in Oblivion konntet ihr das hier verbocken?“
„Es war Spurius,“ antwortete Stephanus ohne Rückhalt. „Er ist einfach aufgesprungen und auf die Festung zugelaufen.“
Berend drehte den Kopf suchend zu den restlichen Kaufklingen um, welche teils miteinander redeten, und teils die Festung hüteten und einen kleinen Belagerungsring bildeten. Dabei ging er methodisch vor und sah aus, wie ein Assassine der in einer Menschenmenge nach seinem Opfer sucht.
Hrard seufzte tief und begann sich die Stirn zu reiben. Alles war zwar verhältnismäßig gut gegangen, aber offensichtlich fixierten sich die Gedanken des Nordmannes auf das, was hätte sein können. Es hätte wirklich alles den Bach runter gehen können, wäre die Festungsanlage nicht so überraschend unzureichend bemannt.
Hrard drehte sich ruckartig wieder zu Stephanus um. „Und Euch ist es nicht in den verdammten Sinn gekommen, ihn aufzuhalten?“
Der Kaiserliche zuckte leicht die Achseln. „Ich hab's versucht, aber seine Idiotie war schneller als ich. Ich hätt es mir im Leben nicht geträumt, dass er entgegen aller Vernunft auf die Festung zuläuft, Hrard.“
Der Offizier schien mit dieser Entschuldigung nicht ganz zufrieden zu sein, aber er sah dennoch nicht mehr so wütend aus wie zuvor.
„Boss?“ fragte Berend, der sein Ziel wohl gefunden hatte, und Hrard wand sich ihm zu und von Stephanus ab, was bedeutete, dass das Gespräch zwischen dem Kaiserlichen und ihm glücklicherweise vorbei war, ohne für den Ersteren richtig unangenehm zu werden.
„Was ist?“
Der Dunkelelf lächelte, als er mit seinem Kopf ruckartig zur Seite nickte. Stephanus folgte dem Nicken mit den Augen und erblickte Cocius, wie er mit vor der Brust verschränkten Armen gegen einen der zahllosen Felsen lehnte. Seine Aufmerksamkeit schien allein auf der Festung zu liegen, und er bemerkte nicht, wie die drei Männer sich zu ihm umdrehten.
„Darf ich?“
Hrard wiegte den Kopf hin und her, und dann nickte er. „Ja.“
Zuerst verwirrt, und dann mit vorfreudigem Interesse erfüllt verfolgte Stephanus mit, was der Dunmer vorhatte.
Egal was es werden würde, es würde gut werden.
Berend schlenderte schlaksig zu Cocius hinüber und klopfte dem jungen Kaiserlichen auf die Schulter, und als dieser sich umdrehte, verpasste ihm der Dunkelelf unvermittelt eine kräftige Kopfnuss. Mit einem erschrockenen Schrei fiel Cocius zu Boden, und kleine Bluttröpfchen regneten auf den staubigen Boden herab.
Niemanden schien Cocius' Leid zu stören, einige lachten sogar laut auf, bevor sie sich wieder auf die veraltete Feste konzentrierten. Sylaen gackerte hysterisch und rieb sich freudig die Hände. Niemand machte auch nur Anstalten, ihm zu helfen. Andererseits begann auch niemand damit, dem Dunkelelfen zuzujubeln. Nichts weiter als der tagtägliche, geregelte Ablauf.
„Es gibt also doch noch Gerechtigkeit auf Nirn,“ dachte Stephanus sich, als sich seine Miene wegen des Schauspiels wieder aufhellte.
„Du saudummer Huhrensohn!“ schrie Berend auf den Kaiserlichen herab, welcher sich mit einer Hand die blutende Nase hielt und die andere abwehrend vor sein Gesicht hob.
„Warum haben wir diese ganze Scheiße veranstaltet, mit der Flussüberquerung und dem säubern der Brücke? Huh?“
Der Kaiserliche stammelte schluchzend vor sich hin und schaffte es dann mit gebrochener Stimme ein Paar Wörter herauszubekommen: „Was stimmt nicht mit dir? Oh Götter!“
Cocius versuchte rückwärts von Berend weg zu krabbeln, dem Dunmer reichte jedoch bereits ein einziger Schritt, um mit dem wimmernden Mann mitzuhalten. Bedrohlich hob er seine zur Faust geballte Rechte.
„Beantworte die Frage!“
„Lass mich in-“
„Die Frage!“
Berend untermalte sein Geschrei mit seiner Faust in Cocius' Gesicht. Der Kaiserliche schrie vor Schmerzen auf, doch Berend war noch nicht fertig mit ihm.
„Soll ich dir deine verdammten Beine Brechen? Beantworte die Frage, Spurius!“
„Okay, okay!“
„Warum. Haben wir. Dieses ganze Manöver durchgeführt?“
„W-weil-“
„Ja?!“
„Damit- damit sie die Tür nicht ve-ve-verrammeln!“
„Und was haben sie gemacht?“
Cocius drehte den Kopf zur Seite, um eine Mischung aus Blut und Speichel auszuspucken, dann sah er wieder hoch.
„Die Tür-“
„Und wieso?“
„S-s-sie haben uns bemerkt, weil-“
„Weil eine Schlammkrabbe mehr im Kopf hat als du! Und jetzt steh auf du dreckiger Wurm!“
Dann ließ Berend den gepeinigten Cocius auf dem Boden liegen, aber nicht ohne ihm einmal in die Seite zu treten. Daraufhin flanierte er zurück auf Stephanus und Hrard zu.
Das Lächeln war mittlerweile von Stephanus' Gesicht verschwunden. So einen Ausbruch hatte er nicht erwartet, auch wenn er wusste, wie sehr Berend Cocius hasste. Spurius hatte dem Dunmer an seinem ersten Tag wohl einen falschen Blick zugeworfen, und seit dem nutzte Berend jede Entschuldigung, um den Kaiserlichen zu misshandeln. So gewalttätig war der Dunmer bis jetzt aber nicht geworden.
Berend und Hrard fingen neben Stephanus an, sich wieder zu unterhalten, als sei nichts gewesen. Der bärtige Kaiserliche schüttelte den Kopf, als er dabei zusah, wie Cocius versuchte aufzustehen. Jemand ging zu ihm hinüber, um ihm beim Aufstehen zu helfen, doch er schlug seine Hand zur Seite und schrie ihm zu, er solle gefälligst die Finger von ihm lassen.
"Bärenpelz!" hörte der Kaiserliche dann Hrard neben sich rufen. "Hol die Axt!"
Einige Minuten später hatten sich die Söldner schon um den Zugang zum Kastell versammelt, in gebührendem Abstand zum massigen und äußerst haarigen Nord und seiner enormen Axt. Mit einem leisen Stöhnen hob Bärenpelz die Axt über seinen Kopf und ließ sie dann auf das Holz der Eingangspforte niedersausen. Tatsächlich brach er ein Loch in die verbarrikadierte Tür, während links und rechts Splitter in die Menge flogen und nutzlos an Rüstungen und Stoff und abgewandten Gesichtern abprallten.
Stephanus warf einen schnellen Blick nach oben zum Rand der Palisade, doch nichts bewegte sich dort. Erneut hob der aus allen Poren schwitzende Bärenpelz die Axt. „Nicht mehr lange, und wir sind drin.“
Ein weiterer mächtiger Hieb folgte, ein weiterer Regen aus Holzsplitter, unterdessen der Nord vorfreudig rief: „Hier kommt Pelzie!“
Wieder und wieder und wieder hieb der monströse Nord mit der Axt auf die Tür ein. Die restlichen Söldner bereiteten sich unterdessen angespannt schweigend darauf vor, in die Bresche zu springen, mit erhobenen Schilden und gezogenen Waffen.
Dann ertönte ein lautes Klacken, als der Balken, der die Türe von innen verschlossen hielt, in zwei Teile zersplitterte, aus der Verankerung rutschte und auf dem Boden aufkam. Bärenpelz trat zurück, derweil die anderen Söldner brüllend die nun nutzlosen Überreste der Tür aufstießen und ins Innere der Festung eindrangen. Jedenfalls hätten sie das, wäre nicht bereits der Erste von ihnen nach seinem ersten Schritt sofort zurückgeschleudert worden. Er krachte gegen seinen Hintermann, und dieser krachte gegen seinen Hintermann, und es ging so weiter, und bis auf jene, die geistesgegenwärtig schnell zur Seite traten, lagen bald alle Söldner stöhnend auf dem Boden. Jedenfalls alle, die vor Brarek Jungeiche standen. Der Junge Nord hatte den mittlerweile abgeschwächten Rums seiner umfallenden Kameraden unbeeindruckt dreinblickend weggesteckt und damit das Dominospiel aus Männern und Frauen frühzeitig unterbrochen. Domino-Day 4Ä201 war damit alles in einem ein großer Misserfolg, und irgendwo bereitete sich ein Mann namens Haskill auf den Wutausbruch seines Meisters vor.
Wäre da nicht sein Helm im Weg gewesen, würde Stephanus sich jetzt stöhnend die Stirn reiben. Ein Teil von ihm wollte auf dem Boden liegen bleiben, den leicht bewölkten Himmel ansehen und sich ausruhen. Ein anderer Teil erinnerte ihn meckernd daran, dass er sich gefälligst zur Seite hätte schmeißen sollen, und er lieferte eine Portion Schmerz als Argument. Der vernünftige Teil seines Bewusstseins versuchte ihn dazu zu zwingen, aufzustehen und sich kampfbereit zu machen. Die Schmerzen waren der Grund, der es dem ersten Teil erst ermöglichte, aus seiner modrigen Kiste zu klettern, denn unter anderen Umständen würde der Dritte auf dem Deckel sitzen.
Schließlich bewältigte er die Pein und kämpfte sich wieder hoch. Er sah zum Eingang hin, in dem immer noch der an Seilen befestigte Baumstamm hing, der nach unten geschwungen kam, als sie versucht hatten, reinzulaufen. Vor sich sah er einige seiner Mitstreiter immer noch am Boden liegen, und je näher sie zur Tür hin lagen, desto lauter stöhnten sie. Jedoch stöhnte die arme Seele, die als erste durch die Tür getreten war und so die volle Wucht der Gravitation in Aktion erleben musste, nicht mehr. Er wurde schnell von Zweien der Geistesgegenwärtigen zur Seite gezerrt.
Stephanus drehte seinen noch dröhnenden Kopf ein wenig und erblickte nun Hrard, der ungläubig und mit offenem Mund etwas versetzt neben der umgefallenen Reihe stand und sich nicht bewegte. Danach zeigte der Nord jedoch Emotion, und das war bei Hrard nie ein gutes Zeichen.
„Was sollte das denn, ihr Weichhirne? Steht gefälligst wieder auf und erobert mir diese beschissene Festung!“
Angestachelt von ihrem Anführer, der für seine Verhältnisse einen regelrechten Tobsuchtsanfall hatte, kam der Großteil von ihnen unter schlecht unterdrücktem und wehleidigem Jaulen wieder auf die Beine und bereitete sich erneut vor, die Feste zu stürmen. Dieses mal jedoch verzögerte sich das ganze, denn es war neben der variierenden Dosis an Schmerzen jeder für sich selbst damit beschäftigt, nicht an der Spitze zu stehen. Erst einige Sekunden später bohrte sich die Erkenntnis, dass Hrard immer noch neben ihnen stand, erneut in das kollektive Bewusstsein, und die Ersten stürmten durch die Pforte und an dem baumelnden Stück Holz vorbei.
Der letzte Abgeschworene fiel entsetzt zu Boden und versuchte von den herannahenden Söldnern rückwärts wegzukriechen und zeitgleich den Pfeil wieder aus seiner Schulter zu ziehen. Die Widerhaken ließen ihn sofort umdenken, und er stieß an die Steinmauer hinter sich. Gehetzt blickte er sich um, doch soeben wurde seine fallengelassene Waffe zur Seite hin weggetreten. Die auf ihn zukommenden rauen Männer und Frauen lächelten, doch es lag kein Quäntchen Freundlichkeit in ihren Gesichtszügen.
„Stop,“ befahl Hrards gebieterische Stimme von hinten. „Lasst den hier am Leben.“
Stephanus sah sich nun besser im Raum um, während einige seiner Mitstreiter den verwundeten Bergmann umringten, die verschiedenen Türen in der Halle sicherten oder sich daran machten, ihre gefallenen Gegner von ihren Habseligkeiten zu erleichtern. Sie brauchten sie sowieso nicht mehr.
Erneut war der Kaiserliche davon überrascht, wie wenig Widerstand auf sie zugekommen war. Nachdem sie durch das Tor stürmten, waren ihnen nur behelfsmäßige Holzpalisaden und fünf zu Tode verängstigte Abgeschworene im Weg gewesen. „Sechs“, verbesserte sich Stephanus. „Einer von ihnen ist durch die Tür dahinten entwischt.“ Aber diese Eingangshalle war sehr gut auf eine Verteidigung ausgelegt. Angreifer mussten erst durch eine Art offenen Tunnel durchlaufen, bevor sie eine Treppe nach oben erklimmen konnten. Sowohl im Durchgang als auch auf der Treppe konnten die Verteidiger ohne Mühe auf sie hinab schießen oder mit Speeren nach ihnen stechen. Eigentlich hätte es für die Söldner die Hölle sein müssen. Und doch sind sie mit nur einigen Verletzungen hier und da durchgekommen.
„Aber Hrard,“ flüsterte Fleisch ihrem Anführer zu, damit ihr geschlagener Widersacher sie nicht hören konnte. „Du hast 'sagt keine Gefangenen.“
„Hab ich,“ erwiderte der Nord trocken. „Ich hab auch nicht vor, ihn zurück nach Hause mitzunehmen.“
Fleisch nickte, und Stephanus schaute dabei zu, wie Hrard auf den wehrlosen Riekmannen zuging.
„Wo ist der Rest von euch?“ verlangte Hrard zu wissen.
Sein Gefangener schaute nicht zu ihm auf, sondern glotze schwer atmend auf die gepanzerten Stiefel vor ihm. Eine Wandfackel in der Nähe beleuchtete gespenstisch die Szene und ließ den kalten Schweiß auf der Stirn des Fast-Bretonen glänzen. Seine Augen lagen im Schatten.
Der Nord seufzte kurz und hob sein Schwert an den Hals des Mannes.
„Wo ist der Rest von euch?“ fragte er erneut.
Endlich reagierte der Abgeschworene. Er blickte hoch in Hrards hartes Gesicht, wischte sich zitternd etwas Blut von der Unterlippe, wobei er mit der Hand Abstand zum kalten Stahl des Schwerts hielt, und fing unerwartet an zu glucksen. In und unter seinen Augen glitzerten Tränen.
Im Raum war es still geworden. Die Söldner lauschten gespannt, ob sich gleich ein Schauspiel ereignen würde.
Hrard ließ sich keine Überraschung anmerken, sondern das Schwert wieder sinken und beugte sich über den schwach und leise lachenden Bergmenschen. Grob packte er mit seiner freien Hand den Pfeilschaft in der Schulter des Mannes und drehte ihn unsanft. Sofort verkrampfte sich der ganze Körper des Verletzten und er schrie gepeinigt auf, und erst nach einigen Sekunden ließ der große Nord den Pfeil wieder los. Der Abgeschworene sank stöhnend in sich zusammen und lachte nicht mehr.
„Antworte,“ sagte Hrard kalt.
„Er-er hat sie geholt,“ stotterte der Mann mit trockener Kehle hervor. Erneut hob er den Kopf und sah in Hrards leicht verwirrtes Gesicht.
„Er hat sie alle geholt, und jetzt wo ihr hier seit wird er euch auch holen.“
„Von wem redest du, Wurm?“
Doch der Riekmanne schien ihn nicht mehr zu hören, sondern eher mit sich selbst zu reden. „Jaja, sie haben ihm nicht gehuldigt. Hab'n sich nicht gebeugt. Sie haben seiner frohen Botschaft nicht gelauscht, und so hat er sie geholt, einen nach dem anderen...“
„Schluss mit dem Unsinn. Redet Klartext, oder ich dreh den Pfeil solange, bis er von alleine wieder rauskommt.“
Die schmerzliche Erinnerung an den Pfeil zog den Gefangenen zurück in das hier und jetzt. Hastig sprach er weiter, um einer wahrgemachten Drohung zuvorzukommen.
„Von wem ich rede? Von Gott natürlich, haha! Die Acht sind tot, jawohl, er hat sie gefressen und ihren Platz eingenommen! Es gibt die Acht nicht mehr, nur noch ihn, und ihn alleine, und alle, die sich ihm nicht unterwerfen, die wird er dem Erdboden gleichm-“
Hrard unterbrach das erratische Gestammel des Mannes durch einen Tritt gegen dessen Seite. Wie ein unbarmherziger Richter erhob sich der Nord erneut zu voller Größe und starrte auf das bemitleidenswerte Häufchen Elend hinab und sagte:
„Dieser hier ist hinüber. Macht mit ihm, was ihr wollt.“
Damit wand er sich von dem Mann ab und den restlichen Söldnern entgegen.
„Durchsucht die Festung. Stellt sicher, dass dieser Abschaum keine Rauchsignale sendet.“
Er warf ihnen einen vielsagenden Blick zu. „Was mich angeht, sind sie alle schon tot.“
Geändert von Kampfkatze2 (23.06.2016 um 22:53 Uhr)
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Waldläufer
Himmelsrand, Fürstentum Reach, Broken Tower Redoubt
„Schaurig,“ flüsterte einer der Söldner, als sie mit gehobenen Waffen vorsichtig die Treppe erklommen. „Nur zwei haben sich bis jetzt überhaupt gewehrt. Alle anderen, die waren sogar noch weicher in der Birne, sogar mehr, als der Bastard im Eingangsbereich.“
Die sechs Mann starke Gruppe nickte langsam, jeder für sich selbst. Erhellt wurden sie dabei von in Wandhalterungen steckenden Fackeln.
„Was bei Molag Bal geht in diesem Drecksgemäuer vor? Habt ihr die Küche ges-“
„Wir haben alle die Küche gesehen,“ unterbrach ihn Stephanus barsch. Er schritt an der Spitze der Gruppe voran.
Beim Gedanken an die Küche lief ihm ein mächtiger Schauer über den Rücken, und das reichte ihm schon. Er brauchte keine Wiederholungen. Hrard hatte ihm erneut das Kommando über eine kleine Gruppe gegeben, und er hatte nicht vor, zusammen mit seinen nervöseren Kumpanen in Hysterie zu verfallen.
Die Küche war ein muffiger, dunkler Raum mit von Rauch geschwärzter Decke gewesen, die einzige Verbindung zur Außenwelt war eine alte Tür und der baufällige Schornstein. Als Ort, an dem Essen zubereitet wurde identifizierten sie die Regale voller Teller, Töpfe und Gewürz. Von den letzteren verschwanden diverse Behälter in verschiedensten Taschen. Trotz der Szene um die ausgebrannte Feuerstelle herum ließen es sich manche einfach nicht nehmen zu nehmen.
Eine Abgeschworene hatte sich dort, gegen eine nahe gelegene Theke gelehnt, beide Handgelenke mit einem Messer aufgeschnitten und war verblutet, bevor die Gruppe in den Raum stürmte. Die anderen zwei Leichen hingen an Stricken von einem Balken herab. Dem Gestank nach zu urteilen war das erhängte Paar bereits lange tot gewesen, bevor die Söldnerarmee überhaupt in Karthwasten angekommen war. Es waren eindeutig keine Gefangenen gewesen, denn sie trugen Tierpelze, und zu ihren Füßen lagen noch die um getretenen Hocker.
Die Gruppe erreichte nun das Ende der Treppe und fand sich an einer schmalen Holztür wieder. Der Kaiserliche warf einen Blick nach hinten, und nachdem ihm die wahlweise harten, gleichgültigen oder unruhigen Gesichter seiner Kameraden ein Zeichen der Bereitschaft zugesendet hatten, holte er tief Luft.
Stephanus stieß die Tür auf und bewegte sich Schild zuerst in den länglichen Korridor hinein.
„Leer,“ sagte er, und klang dabei nicht so erleichtert wie es ihn eigentlich machte. Er musste den Eindruck aufrecht erhalten, dass er genau wusste, was er tat, sonst würde die ihm unterstellte Truppe in Panik ausbrechen und schnurstracks zurück nach Karthwasten laufen, und dann würde nicht einmal mehr ein wütend schreiender Hrard sie aufhalten. Der Kaiserliche musste sich selbst zusammenreißen, um nicht dem Fluchtinstinkt nachzugeben. Das alte Gemäuer triefte nur so vor „Hau-hier-bloß-ab“.
Die Söldner waren es gewöhnt, Tod, Trauer und Verzweiflung um sich zu haben, doch unter normalen Umständen waren sie selbst diejenigen, die sie verursachten. Dass diese Zustände bereits herrschten, bevor sie eintrafen war den meisten von ihnen neu und unangenehm. „Jedoch sollte es nicht so einen starken Einfluss auf uns haben,“ dachte Stephanus stirnrunzelnd. „Vermutlich ist hier Magie im Spiel. Neunverdammte Magie."
Hinter sich hörte er Stahlzapfen halbherzig rufen: „Wo bei Oblivion verstecken die sich?“ „Selbst er will hier nur noch weg,“ entschied der Kaiserliche. Er kannte Soldin nun seit einiger Zeit und erkannte die unterschwellige Unruhe in seiner Stimme. „Er brüllt und stampft nur herum, um altnordische Traditionen zu wahren.“
Die restlichen vier Söldner schoben sich nach dem muskelbepackten Nord nun ebenfalls durch die aufgestoßene Pforte. Durch die gesamte Festung hallten Rufe und das Schaben von Rüstungen während sich Hrards Einheiten Raum für Raum durch das Gemäuer arbeiteten.
Stephanus schritt weiter auf die nächste Tür zu. Der zwei Mann breite Korridor verlief wohl an dem kurzen Stück westlicher Außenmauer, denn zu seiner linken pfiff der Wind durch einige Schießscharten, welche gleichzeitig die einzige Lichtquelle boten. Hier gab es keine Fackeln.
Blinzelnd gewöhnte er sich an den Übergang von pulsierendem Fackelschein an das natürliche Halbdunkel und konnte nun eine Gestalt ausmachen, die zusammengesackt gegen die Mauer lehnte. Er kniff die Augen und runzelte die Stirn, und jetzt erkannte er, dass es sich um die verkohlten Überreste eines Menschen handelte, und jetzt wo er genauer hinsah stellte sich auch heraus, dass die Mauer gegenüber einer der Schießscharten rußgeschwärzt war. Die Figur war zu entstellt, um ein Geschlecht auszumachen. Nachdem er sich genähert und neben der Gestalt in die Hocke gegangen war untersuchte der Kaiserliche sie näher während hinter ihm einer seiner Gefährten bei dem Anblick der Leiche ungewöhnlicherweise leise wimmerte.
Was immer auch den Mann oder die Frau verbrannt hatte musste dies von außerhalb der Festung getan haben. Vor nicht allzu langer Zeit sogar. Dem Kaiserlichen richteten sich die Nackenhaare auf als er durch ein Gefühl auf der Haut erschrocken feststellte, dass die Leiche noch schwach wärme abstrahlte, und er sich plötzlich ganz deutlich daran erinnern konnte, dass keiner der Söldner beim Ansturm auf die Burg Zerstörungsmagie gewirkt hatte, so etwas hätte er bemerkt. War die Mauer außen auch angeschwärzt? Wenn ja, dann musste er dieses Detail beim Ansturm übersehen haben. Diese Leiche erklärte wohl auch, warum die Abgeschworenen absurderweise nur von den Zinnen herab auf sie geschossen hatten, nicht aber durch die zahlreichen Schießscharten. Dass die verkohlte Masse aus Fleisch und Knochen noch warm war deutete deutlich auf Magie hin, natürliche Flammen verursachten so etwas nicht.
Er richtete sich wieder auf und drehte sich kurz zu den anderen um. Die Anspannung war immer noch in der Luft zu spüren, denn jeder von ihnen spürte schon seit dem Theater in der Eingangshalle, dass etwas nicht stimmte, und laut gesagt werden musste es erst nicht. Gekauft oder nicht, Soldaten entwickelten ein Gespür für „etwas stimmt nicht“, oder sie wurden nicht sehr alt.
Stephanus stieß vorsichtshalber die Spitze seines Schwertes durch eine der ausgebrannten Augenhöhlen – Sicher war Sicher - und ging dann weiter zur Tür am anderen Ende des Ganges.
„Ich glaub ich hab's raus,“ sagte er, den Blick immer noch auf die Tür gerichtet, auf die er zuschritt.
„Was'n?“
„Irgendein Hexenmeister oder Daedrapriester hat diese Tölpel überwältigt und sich zu ihrem Gott erklärt, und...“
Er zuckte die Achseln. „Und die Überlebenden haben den Druck nicht mehr ausgehalten. Komisch nur, dass die ganzen Türen noch ganz sind. Nach einem Magierangriff hätte ich verkohlte Holzreste erwartet.“
Hinter ihm stieß eine seiner Kumpanen, eine Ork, ein tiefes „Hmm“ aus, was Stephanus' Erfahrung nach bei vielen von seinen Mitstreitern bedeutete, dass ein Denkvorgang langsam ins Rollen kam. Bei einigen von den dümmeren versuchte dieser Denkvorgang gegen ein Gefälle zu rollen, weswegen ein „Hmm“ manchmal von Nöten war, um ihn wieder auf die richtige Bahn zu bringen. „Vielleicht mehr als einer,“ sagte die massige Ork schließlich nach ausreichender Denkpause. „Wir wissen ja, wie dieses Magierpack tickt. Bestimmt n' Paar Schüler im Schlepptau.“
Wieder ein Nicken in Einigkeit. Die Söldner wussten sehr wohl, wie Magierpack tickte. Jedenfalls dachten sie das. Viele von ihnen benutzten selbst Magie – schließlich durchfloss die arkane Energie jedes selbst nur zweifelhaft zum Denken fähige Wesen auf Nirn - jedoch taten sie das in vergleichbar geringem Maße. Stephanus selbst beherrschte einen kleinen Zauber, der Schmerzen kurzzeitig etwas dämpfen konnte, und er konnte mit einem Schnippen eine kleine Flamme erzeugen, um Lagerfeuer und Fackeln zu entzünden, aber das war's auch schon.
Nein, mit Magierpack waren vollzeitige Magienutzer gemeint. Von denen gab es einige in der Kompanie, und die zu kennen war für die meisten Söldner bereits genug, um alle Magier zu kennen.
„Was ich mich aber frage,“ grummelte Stahlzapfen, „wo sind diese Robenträger jetzt?“
„Abgehauen, als sie erfahren haben, dass wir im Dorf nebenan aufgetaucht sind, denk ich mal,“ antwortete Stephanus und schloss eine Hand um den nun erreichten Türknauf und bereitete sich mental darauf vor, den Raum dahinter zu stürmen. „Und davor haben sie diese verdammte Festung so verflucht, dass jeder in ihr langsam dem Irrsinn anheim fällt.“
Laut sagte er: „Wir werden's sicherlich früh genug erfahren...“
Auf der anderen Tür befand sich eine von Fackeln gut beleuchtete, breite Wendeltreppe sowohl nach oben als auch nach unten. Zu seiner linken konnte Stephanus dort, wo die Treppe langsam in Richtung der tieferen Ebenen krümmte, eine weitere Fensterlaibung ausmachen, doch sie war so schmal, dass der orangen Fackelschein das durch sie hereinkommende Sonnenlicht übertünchte. Sein Orientierungssinn sagte ihm, dass sie wohl im großen runden Westturm der Festung angelangt waren.
Doch was auffälliger war als die Beleuchtung der Treppe war der klassische Stapel an Baustämmen, zurückgehalten nur durch die Abwesenheit einer Person, die den ersten, untersten Stamm zum Rollen brachte. Der Kaiserliche trat auf die altbewährte Abwehrmethode gegen mordlustige Treppensteiger zu und deutete seinen Gefährten, sie sollten ihm den Rücken decken.
Direkt neben dem Stapel blieb er stehen und reckte vorsichtig den Hals, um nach unten und weiter hinter die Biegung der Spirale blicken zu können. Von unten her drangen bekannte Stimmen zu ihm herauf und er entspannte sich ein wenig.
„Berend, wir sind hier oben fast fertig!“
Kurzes Schweigen, dann: „Levinius?“
Einige Sekunden später erreichte der Dunmer samt seinem Gefolge dann Stephanus.
„Bericht?“ Stephanus konnte an ihren Gesichtern ablesen, dass Berend's Begleiter genauso angespannt waren wie die Anderen und der Kaiserliche selbst auch. Der Dunmer selbst hingegen schien recht zufrieden mit sich selbst zu sein.
„Zwei haben uns angegriffen, der Rest war schon tot oder hat sich nicht gewehrt,“ antwortete Stephanus knapp. „Die zwei ersten Stockwerke auf der südwestlichen Seite sind sauber. Und geht nicht in die Küche.“
Der Dunmer nickte, und lächelte dann etwas breiter. „Wir haben uns einen der Bergmänner geschnappt. Sylaen ist gerade dabei aus ihm herauszukitzeln, warum sich die ganze Festung so schlappschwanzig wehrt.“
Er schien seinen Gesichtsausdruck bemerkt zu haben, denn er fügte noch hinzu: „Keine sorge, ich hab Harun bei ihr gelassen, damit er aufpasst, dass sie den Affen nicht umbringt, bevor er uns alles erzählt hat.“ Anschließend schüttelte er den Kopf und sprach dann in leicht erschöpften Tonfall weiter: „Was soll nur aus der Jungelfe werden? Sie ist einfach zu eifrig...“ Dabei klang er, als würde er über eines seiner Kinder reden, dass wieder einmal etwas Unruhe gestiftet hat.
Dann wurde er wieder ernst. „Hey, glotz mich gefälligst nicht so dumm an, Levinius.“ Stephanus stellte zufrieden fest, dass sein Blick also gereicht hatte, um auszudrücken, wie wenig er von Sylaen und Berend hielt.
Der Dunmer schnaufte verächtlich. „Tu nicht so, als ob du was besseres bist, Levinius. Flanierst hier andauernd mit deiner miesepetriger-Veteran-Visage herum und blickst auf die anderen herab, als wärst du klüger und moralisch besser als jeder hier. Fast wie ein Hochelf.“
Das traf bei Stephanus einen wunden Punkt, er versuchte aber verzweifelt Haltung zu bewahren. Folms Berend lächelte zufrieden, denn er musste wohl bemerkt haben, wie der Kaiserliche kurz zusammengezuckt war.
Das Stephanus Altmer nicht ausstehen konnte war gut bekannt, und mit ihnen verglichen zu werden rief bei ihm Übelkeit hervor, doch was ihn traf war etwas anderes, auf dass der Dunmer offensichtlich anspielte.
„Bist du jetzt fertig?“ fragte der Kaiserliche ungeduldig, erpicht darauf, das Thema zu wechseln.
„Ja. Nimm deine Leute und räum' das Plateau und die Türme,“ befahl Hrard's de-facto rechte Hand schließlich. „Bei der Treppe auf der anderen Seite gibt’s Komplikationen, die ist nämlich mit jeglichem Schrott verrammelt, und Bärenpelz will sich nicht bewegen, weil er sich angeblich irgendwas gezerrt hat. Verdammte Nords.“
Unweit stieß Stahlzapfen ein wütendes „Hey!“ aus, doch der Dunmer beachtete ihn nicht weiter.
„In Ordnung. Wie steht's mit dem Rest der Festung?“ erkundigte der Kaiserliche sich wieder in professionellem Tonfall. Berend's Dauerbeleidigungen größtenteils zu ignorieren war er schon längst gewöhnt – das sagte er sich selbst jedenfalls. Zudem hatten sie noch Arbeit zu erledigen.
„Nur noch ein Paar Gewölbe und das verdammte Plateau. Wenn ihr hier oben fertig seit, bewegt eure Ärsche zur Eingangshalle und wir verschwinden von hier.“
Die Aussicht darauf, diese verfluchten Mauern zu verlassen belebte Stephanus ein wenig.
„Berend, sag Hrard Bescheid, dass es vermutlich Magier waren, die diese Abgeschworenen so übel zugerichtet haben.“
„Magier, hmm?“
„Ja. Wir haben einen verkohlten Leichnam gefunden, offensichtlich Feuermagie. Ist sogar noch etwas warm.“
„Nun gut. Und jetzt mach dich gefälligst an die Arbeit, Kaisermann.“
Und damit ging der Dunmer samt Entourage wieder nach unten.
Stephanus sah ihm finster hinterher und fragte sich, ob Berend wirklich auf die zwei Morde angespielt hatte.
Vor etwa eineinhalb Jahren wurden zwei Altmer in Hrards Trupp gesteckt, und der Kaiserliche hatte sich nie die mühe gemacht, sich ihre Namen zu merken. Nach rund einer Woche war der erste bereits tot: Im Getümmel der Schlacht passierten oft Unfälle, vor allem wenn gerade niemand hinsah. Einen Monat später folgte auch der nächste seinem Vetter ins Grab. Stephanus hatte den Fehler gemacht, den zweiten einige Tage vor einem Kampf und seinem Tod wütend anzuschreien, und Gerüchte hatten damals schnell die Runde gemacht.
„Tu nicht so, als ob du was besseres bist, Hochelf. Du flanierst hier andauernd mit deiner hochwohlgeborenen Visage herum und blickst auf die anderen herab, als wärst du klüger und moralisch besser als jeder hier.“ Berend hatte ihn fast Wort für Wort zitiert.
Der Kaiserliche schüttelte den Kopf. Dass der Dunmer sich nach so einer langen Zeit noch an den genauen Wortlaut eines Wutausbruchs erinnerte war wohl Teil der elfischen Langlebigkeit. Stephanus selbst hatte seine eigenen Worte schon fast vergessen, und erst als er sie wieder gehört hatte wurde die Erinnerung daran geweckt.
„Na und? Warum fühlst du dich plötzlich schuldig? Schließlich hast du der Welt einen großen Dienst erwiesen. Nicht nur waren die beiden Gelbhäute gewissenlose Söldner gewesen, sondern dazu auch noch Hochelfen!"
Sein Blick lies sich wieder auf dem Stapel aus Baumstämmen nieder. Musste er jetzt Erpressung fürchten? Ein Paar rollende Stämme würden ihm gewiss Sicherheit verschaffen.
„Nein. Wie würde er mich damit erpressen? Unter Mördern ist Mord nichts besonderes. Außerdem ist es den ganzen Ärger nicht wert.“ Er seufzte und drehte sich zu seiner Truppe um, um sie mit einem Winken in Bewegung zu versetzen.
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Waldläufer
Himmelsrand, Fürstentum Reach, Broken Tower Redoubt
Die Söldner atmeten hörbar auf, als sie sich auf das höchstgelegene Plateau hinaus bewegten und nicht mehr auf der Innenseite der verfluchten Mauern steckten. „Deswegen haben wir die Abgeschworenen auch außerhalb der Festung erwischt,“ dachte Stephanus, als er und seine Mitstreiter von der Tür weg ausfächerten.
Hier oben überragten sie nur noch die beiden Türme am West- und am Ostende der Festung, und als sich ihnen niemand entgegenstellte und vom Ostturm auch nicht sofort auf sie geschossen wurde, entspannten sie sich. Eine grundlegende Bereitschaft behielten sie jedoch bei, die Waffen blieben gezogen und die Schildarme angespannt.
Einschließlich Stephanus waren sie zu viert; zwei seiner Leute hatte er hoch auf den Westturm befohlen, der jetzt in ihrem Rücken lag.
Dort oben hatten sie auch eine große Feuerpfanne mit daneben liegenden Tongefäßen voller Kräuter gefunden, ohne Zweifel das Brennmaterial für ihre Signalfeuer. Die Töpfe waren mit drei verschiedenen Farben markiert, und die daneben liegende auf Pergament geschriebene Liste ließ Stephanus vermuten, dass die Abgeschworenen doch nicht so primitiv waren, wie es zunächst den Anschein hatte. Auf ihr waren alle Bewegungen an der Festung vorbei aufgezählt, doch was Stephanus' Aufmerksamkeit wirklich erregt hatte, waren die auf ihr aufgelisteten Handelskarawanen: Die meisten von ihnen würden dem Stück Papier zufolge erst im Laufe der kommenden Wochen hier vorbeikommen.
Geistesabwesend klopfte er auf den Beutel, in dem er das gefaltete Papier nun aufbewahrte. Außer einigen Kisten und Zelten, die sie rasch durchwühlten, gab es neben der Leiche des Bogenschützen auf der Terrasse nur eines, dass einen zweiten Blick würdig war: Eine kleine Balliste, vom Typus der als „Skorpion“ seit Jahrhunderten bei der kaiserlichen Legion und damit auch bei so gut wie allen Militärs auf Tamriel bekannt war. Die Ork stieß ein zufriedenes „Hah!“ aus, als sie ihren Pfeil in der Brust des Bergmannes wiedererkannte.
Neben dem nach oben zielenden Kriegsgerät lagen ein halbes Dutzend armlange Bolzen verstreut, doch die Balliste selbst war weder geladen noch gespannt.
„Seltsam,“ sagte Stephanus laut, während er mit dem behandschuhten Finger über den in das Holz eingeätzten kaiserlichen Drachen fuhr, der den letzten Zweifel daran beseitigte, dass diese Waffe gestohlen und nicht etwa von den Abgeschworenen selbst gebaut worden war.
„Warum haben die das Ding hier nicht gegen uns eingesetzt?“
Hinter ihm zuckte Stahlzapfen mit einem hörbaren Klappern seiner Rüstung die Achseln. „Ist doch egal, oder? Ihr habt ja gesehen, wie weich die alle in der Birne sind. Und so wie ich die Abgeschworenen kenne haben die's wahrscheinlich als Gott angebetet oder so.“
„Du kennst doch die Abgeschworenen gerade mal seit ein Paar Tagen, Soldin.“
„Lang genug, um genug über sie zu wissen. Muss aber zugeben, dieses Ding sieht nicht gerade aus, als ob es die Neun im Alleingang verschlingen könnte. Vielleicht haben die hier noch irgendwo ein Katapult, das mitgeholfen hat. Mit hinterhältigem Kriegsgerät kann man das nie wissen.“
Stephanus richtete sich mit einem belustigtem grunzen wieder auf und winkte den Rest der Truppe weiter zum Ostturm.
„Was is ein Skorpion überhaupt?“, warf einer der anderen Söldner, ein weiterer Nord namens Olaf, plötzlich ein. „Hab mich das immer schon gefragt.“
„Keine Ahnung,“ antwortete Soldin, doch dann fuhr er mit der Sicherheit eines Teilzeitexperten fort. „Wahrscheinlich eine Art von exotischem Daedroth. Eine Art, die große Nadeln verschießt. Ist doch offensichtlich.“
„Quatsch,“ sagte Stephanus, unangenehm an seine Zeit in Hammerfell und die unbarmherzige Wüste erinnert. „Ist ein Spinnenvieh, dass in der Wüste lebt. So ein Ding hat mir vor Jahren mal fast in den Fuß gestochen.“
„Also haben sie doch Nadeln!“ rief Stahlzapfen mit einem selbstgefälligen Nicken.
„Ja,“ bestätigte der Kaiserliche, „am Schwanz.“
Nach einer kurzen, grübelnden Stille sagte Olaf: „Frauenskorpione tun mir echt leid.“
Ohne dies einer Antwort zu würdigen warteten Sie noch darauf, dass ihre Truppenmitglieder vom Westturm nach einem Ruf zu ihnen aufschlossen, danach betraten sie widerwillig den Ostturm.
Schon nach dem ersten Schritt zurück in das Gemäuer war die gute Stimmung verflogen. Stephanus' Hände fingen leicht an zu zittern, wenn er sich nicht bemühte, es zu unterdrücken. Unter seinen Handschuhen waren sie schon längst verschwitzt, und nicht nur wegen der vorangegangenen Anstrengungen beim Stürmen der Festung.
Wie erwartet war das Innere des Turms das Spiegelbild des anderen, und eine Untersuchung der Turmspitze bestätigte Stephanus' Vermutung, dass sich dort niemand befand. Auch hier gab es eine Feuerpfanne, aber die Gefäße mit den Rauch färbenden Kräutern waren alle zerbrochen. Darüber hinaus gab es für die Söldner nichts von Interesse und sie stiegen wieder hinab.
Auf dem Weg in die andere Richtung der Wendeltreppe, weiter nach unten, stießen sie schließlich auf die von Berend beschriebene Barrikade aus Möbeln, Kisten und einfach allem, was der Barrikadenbauer wohl gerade zur Hand gehabt hatte. Vor ihr saß einer der Abgeschworenen, mit den Händen auf den Ohren hin und her wippend, und von der anderen Seite her waren die anderen Söldner hörbar, die gerade versuchten, die Mauer aus Holz zu überwinden.
„Ich versteh nicht, warum wir dieses vermaledeite Ding nicht einfach abfackeln,“ drang Bodeados Stimme zu ihnen herüber. Jemand antwortete ihm, doch sie wurde von einem orkischen Stöhnen und den Klängen splitternden Holzes übertönt.
Der Abgeschworene bemerkte schließlich die von hinten an ihn herannahenden Söldner. Mit blutunterlaufenen Augen schaute er auf, dann zuckte sein Blick einige Male zwischen der Barrikade und Stephanus' Truppe hin und her.
„D-das- das ist einfach nicht fair!“ stammelte er und wollte nach dem Dolch an seinem Gürtel greifen, bevor er wortlos niedergestreckt wurde.
Während die Leiche des Riekmannen von seinen Mitstreitern durchsucht wurde, trat Stephanus an die improvisierte Sperre heran und musste beeindruckt nicken. Wer auch immer diese Barrikade aufgebaut hatte, wusste genau was er tat, oder eben auch nicht. Tischbeine und Schubladen waren miteinander verkeilt, einzelne Bretter hielten größere Einzellteile des großen Ganzen zurück... Das Ergebnis war eine Mauer aus Holz, die einige Schritt tief war und vom breit gestuften Boden bis an die Decke reichte und den Weg auf ganzer Breite versperrte, und die scheinbar niemals mehr mit bloßen Händen auseinander gezogen werden konnte.
„Bodeado?“ rief der Kaiserliche während er versuchte, ein Loch in der Barrikade zu finden, durch das er auf die gegenüberliegende Seite sehen konnte.
Auf der anderen Seite wurde die Arbeit eingestellt.
„Levinius? Seit das wirklich Ihr?“
„Ja. Auf dieser Seite ist alles frei.“
„Wir haben also umsonst wie die Blöden auf dieses Ding eingehackt?“ Diese verärgerte Stimme war nicht Bodeado, sondern Brarek Jungeiche.
„Sieht wohl so aus. Hrard will, dass wir uns unten am Eingang treffen.“
Wie erwartet atmeten die Leute auf der anderen Seite hörbar auf.
„Na endlich kommen wir hier weg! Bis gleich, dann!“
Der Kaiserliche seufzte. Sie konnten leider nicht wie die Anderen direkt die Treppe nach unten nehmen, aber wenigstens konnten sie noch einen kurzen Spaziergang im Freien genießen.
Geändert von Kampfkatze2 (23.06.2016 um 22:54 Uhr)
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Stephanus zückte seinen Bogen, legte eine Hand auf die Brustwehr und seufzte. Naja, wenigstens hatten sie einen Posten im Freien zugeteilt bekommen.
Hrard hatte, als sie ihm von ihrem Erfolg berichtet hatten und die Festung verlassen wollten, mit leicht gerunzelter Stirn zwischen seinen Söldnern hin und her geblickt. „Gehen? Niemand hat was von gehen gesagt.“
Der Nord hatte das Ende des sofort entstehenden Tumultes abgewartet und dann weitergesprochen: „Was bei Oblivion habt ihr denn erwartet? Die gesamte Kompanie soll an dieser Festung vorbeimarschieren. Wollt ihr etwa, dass uns diese Bergtrottel das Ding wieder unter'm Arsch wegschnappen? Nein, wir bleiben hier und stehen Wache, nur die Verwundeten werden zurückgeschickt. Nein, Meum-Te, du kannst nicht gehen, weil du von deinen Eltern ausgesetzt wurdest, seelische Wunden zählen nicht. Brarek, pack das Messer weg, selbst zugefügte Stiche zählen nicht. Nein, Stahlzapfen, du kannst nicht gehen, wenn du und Brarek euch gegenseitig abstecht. Bei den Neun, ihr benehmt euch ja wie ein verfluchter Haufen Kinder heute!“
Sie hatten gemurrt, geflucht, gezetert und geheult, aber am Ende hatten sie sich doch ihrem Schicksal gefügt.
Die kleine Gruppe aus Verwundeten und ihre Eskorte verließen gerade die Festung.
Der Kaiserliche winkte ihnen gedankenverloren hinterher und sah ihnen dabei zu, wie sie nicht weit im Osten in der Straßenkurve hinter den Bergen verschwanden. „Glückliche Bastarde.“
Neben ihm zogen Soldin und Brarek verärgert über Hrard her, wobei sie jedoch nicht sehr laut waren und dauernd nervöse Blicke über die Schulter warfen. Der kühle Nord hatte die Angewohnheit, trotz schwerer Rüstung leise und plötzlich hinter einem aufzutauchen, wo er dann eine weile schweigend dastand und zuhörte, bis jemand ihn bemerkte.
Bei ihrem Gezeter erwähnte Brarek immer wieder, dass die Abgeschworenen dafür berüchtigt waren, böse Naturflüche zu spinnen und sich mit dunkler Magie das Bett zu teilen, dass sie die Festung wahrscheinlich so verflucht hatten, das jeder in ihr wahnsinnig wurde, und dass es von Hrard unverantwortlich sei, seine Leute in ihr gefangen zu halten. Als Soldin fragte, warum die Riekmannen das machen sollten, während sie selbst noch in der Festung steckten, antwortete der Nord nur, dass es zeigte, wie hinterhältig und skrupellos sie wirklich waren.
Ein bisschen weiter weg spielten Bodeado, Gramul gro-Ogdum und Olaf mit der Balliste herum. Über den Dreien stieg blaugrauer Rauch auf, wurde vom Wind mitgerissen und verschwand dann wieder. Sie hatten in einer Kiste, die in der Barrikade im Ostturm gesteckt hatte, einige Säcke gemahlenen Tabaks gefunden und sofort beschlagnahmt. Bodeado hatte den anderen gezeigt, wie sie sich aus einem Stück Pergament eine improvisierte Pfeife basteln konnten, und sofort fingen die Söldner an, ihre Beute mit den von Bodeado „Zigarren“ genannten Rollen zu verrauchen und zu schnupfen. Der Rothwardon selbst benutzte seine eigene, echte Pfeife aus Holz (natürlich mit eingeschnitztem Totenschädel-Motiv), und nickte selbstzufrieden dem laut hustenden Gramul zu.
Stephanus griff seinen Bogen, der gegen die Mauer gelehnt hatte, und schlenderte zu der Gruppe am Belagerungswerkzeug hin, danach bestrebt, sich von der Aura der Festung abzulenken.
„Natürlich ist das hier ein kleines Exemplar,“ erklärte Bodeado gerade in fachmännischem Tonfall, als er das Kriegsgerät mit einem der Bolzen lud. „Die Rote Rhyssa hatte richtige Ballisten auf ihrem Schiff. Mann, was für 'ne Frau das war.“
Die Gruppe bemerkte Stephanus und nickte ihm vereinzelt zu, als er sich zu ihnen gesellte.
„Erbeutet aus einem Transportschiff voller Zwergenzeug. Ein Bolzen konnte die meisten kleineren Schiffe mit einem Schuss versenken. Pyrultimus, unser Zerstörungsmagier an Bord, der musste sich richtig anstrengen, um Schritt zu halten, wenn die Ballistenmanschaft erst mal in Fahrt gekommen ist.“
„Pyrultimus? Wer nennt sein Kind Pyrultimus?“ fragte Stephanus und spürte, wie seine Angespanntheit langsam verflog, unterdrückt durch die alte Tradition des Nonsens-reden beim Wache stehen.
Niemand nahm die Geschichte des Rothwardonen wirklich ernst, sie war wahrscheinlich frei erfunden, aber trotzdem war das Trockenland-Seemannsgarn unterhaltsamer, als stumm Wache zu stehen und auf die Ablösung zu warten.
„Ach, so hat er sich selbst genannt,“ erklärte Bodeado. „Sein echter Name war Stultus, Stultus Starco-, Stecco-, nein, Stercorintus, oder so.“
Stephanus grinste.
„Welcher seiner Vorfahren hat jemals gedacht, dass der Name gut ist? Ich kann verstehen, warum er seinen Namen geändert hat,“ sagte er.
Die drei Nicht-Kaiserlichen sahen ihn verwirrt an.
„Wie dem auch sei...“ sagte Bodeado langsam, vom kurzen Themawechsel etwas aus dem Konzept gebracht. „Die Zwergen-Ballisten, richtige Prachtexemplare waren dass. Was kleine Armbrüste mal sein wollen, wenn sie groß sind. Hatten sogar eingebaute, wie hießen die Dinger nochmal, Gyr-ro-skope, die das Schwanken auf hoher See kompensiert haben.“
„Was ist denn aus der Roten Alyss geworden?“ fragte Gramul, der davor nur nickend und rauchend zugehört hatte.
„Ryssa, nicht Alyss,“ verbesserte der Rothwardon ihn. Ein anderer Erzähler wäre durch den ungläubigen Ton ihn ihrer Fragerei wohl genervt gewesen, doch Bodeado schien er sogar zu erfreuen.
Stephanus vermutete, dass es für seinen Freund eine willkommene Herausforderung war, ohne Verzögerung kleine Details dazu zu dichten, und dass es ihm Zeigte, dass Leute überhaupt Interesse an seinen Geschichten hatten, selbst wenn sie nur versuchten, Unstimmigkeiten zu finden.
„Ach die, wurde in Sentinel in einer Kneipe erstochen. Auf dem Meer war sie unbesiegbar, kämpfte immer, als würde Molag Bal persönlich hinter der Tür des Todes auf sie warten, doch auf dem Land... Leute haben gesagt, sie wäre so sehr an das Leben auf dem Schiff gewöhnt, den Wellengang und den Herzschlag der See, dass ihr auf festem Boden das Schwanken gefehlt hätte, und dass das sie tolpatschig gemacht hatte. Schade eigentlich.“
„Und die Ballisten?“ fragte Olaf.
„Hat die Mannschaft schnell verscherbelt und sich dann mit dem Gold verzogen.“
„Hah!“
„Ja. Und lasst es euch gesagt sein, wenn diese Khajiit-Bastarde keine gewichteten Würfel benutzt hätten, wäre ich heute nicht hier, sondern in meiner Villa in Skingrad. Spielt niemals Drei-Tage-Sheogorath gegen Katzenpack. Also nicht, dass ich was gegen Khajiiten hätte, faszinierende Kultur und alles, interessanter Fokus auf die Monde, aber sie stehlen das Glück aus dem Glücksspiel.“
„Sagen Glücksspieler nicht andauernd, dass es kein Glück im Glücksspiel gibt?“ warf Stephanus ein.
„Ach, was wissen die schon?“
„Wo habt ihr eigentlich das Papier her?“
„Huh? Oh, für die Zigarren. Kurze Geschichte des Kaiserreiches, Band zwei. Diese ungebildeten Lümmel hier…„ er klopfte Gramul mit einem schiefen Lächeln demonstrativ auf die Schulter, „Die wollten ein echtes Buch nehmen, „Cherim’s Herz“. Ich hab’s beschlagnahmt und werd’s in der nächsten Stadt verkaufen, wo hoffentlich jemand noch den Wert von Literatur zu würdigen weiß. Rund sechzig Septime wert, und diese Trottel wollten es verbrennen.“
„Was ich mich frage,“ sagte Gramul, wobei er die Balliste hin- und her schwenkte und somit das Thema von Büchern und Papier weglenkte, „was ich mich frage, wenn wir in 'nem so kleinen Pass sind, was kann man mit diesem Ding schon treffen?“
Stephanus, Olaf und Bodeado wandten sich ihm zu.
„Ich mein', guckt mal, alles is' zu nah dran, wenn man was treffen will...“
„Die brauchen ja nur die beiden Enden der Straße hier zu treffen,“ sagte Olaf.
„Sie erwischen die Ochsen oder die Pferde, die die Wagen ziehen, und dann gehört der ganze Scheiß ihnen, egal, ob die Besitzer abhauen.“
Eine Wolke schob sich vor die Sonne, nur einen kurzen Moment lang.
„Aber, aber,“ sagte Bodeado, „die Riekmannen, in ihrem Bestreben ihre Heimat zurückzuerobern, legen eher Wert darauf, Furcht zu verbreiten. Da wäre es doch viel besser für sie, eine ganze Handelskarawane zu meucheln und vielleicht einen Überlebenden zu lassen, der es weiter erzählt, oder? Was bringt es ihnen, wenn sie ein Pferd erschießen und sich dann der Rest verzieht?“
Stephanus blickte nach oben. Weit und breit war keine einzige Wolke zu sehen. Die angespannte Aura der Festung entfaltete wieder ihre volle Wirkung, wie ein Jäger, der kurz von seiner Beute abgelassen hatte, um sie in Sicherheit zu wiegen. Sein Puls fing an zu rasen und er griff nach seinem Bogen.
„Ganz einfach,“ sagte Olaf, „sie erledigen einfach den letzten Wagen und blockieren den Weg nach hinten. Da vorne, blockieren sie den Pass einfach selbst mit einem Baumstamm oder so, und die Karawane ist gestrandet.“
Gramul blickte nun ebenfalls nach oben. Offensichtlich hatte er das gleiche bemerkt, wie der Kaiserliche.
„Es gibt keine Drachen, es gibt keine Drachen. Es war einfach nur einer dieser verfluchten Vögel, der vor die Sonne geflogen ist.“
Doch es war kein einziger Vogel am Himmel. Stephanus, der sich selbst immer stolz als gebildeten Menschen gesehen hatte, kannte sich besser mit Federvieh aus, als die meisten seiner Kumpane. Die Söldner kannten eigentlich nur Raben, Krähen, Aasgeier und Drosseln – Erdrosseln, genauer genommen. Doch Stephanus konnte einige weitere benennen. Normalerweise kreisten immer mindestens ein oder zwei Adler oder Falken in der Luft über den Tälern und Klüften des Reach. Aber jetzt nicht. Jetzt ertönte, außer den Gesprächen der Söldnern und dem leisen Wehen des Windes, kein Laut mehr. Stephanus spürte, wie ihm wieder kalter Schweiß über die Stirn rann.
Sein Instinkt sagte ihm, dass er es sich nicht einfach nur eingebildet haben konnte, dafür war die Stille einfach zu unnatürlich. „Götter steht uns bei.“
Olaf und Bodeado verstummten nun ebenfalls und wandten den Blick unsicher nach oben, als die Sonne erneut verdunkelt wurde. Ein großer Schatten schob sich in absoluter Stille und für seine Größe unnatürlicher Geschwindigkeit über den Himmel und verschwand wieder hinter den Gipfeln.
Auf der ganzen Festung verfielen die Söldner nach kurzer Starre fluchend in Bewegung.
„Die Balliste, Bodeado!“ schrie Stephanus, als er einen Pfeil aus dem Köcher zog und auflegte.
„Was bei allen Göttern?“ rief der Rothwardone, als er das Kriegsgerät hastig nach oben auf die Stelle zielte, hinter der das fliegende Monstrum verschwunden war. Olaf griff bereits nach dem nächsten Bolzen, bereit, die Wurfmaschine nach dem Abfeuern sofort nachzuladen. Gramul zückte den Bogen, den er einem getöteten Abgeschworenen abgenommen hatte.
„Keine Sorge,“ rief der irre lachende Soldin vom anderen Ende der Befestigungsanlage, ebenfalls einen Bogen in der Hand, „es ist nur eine komisch geformte Wolke!“
Wieder herrschte Stille, doch diesmal war sie eine andere: Zuvor war sie nur das Fehlen der üblichen Umgebungsgeräusche gewesen, jetzt war sie die schon fast hörbare Stille, die entsteht, wenn eine große Zahl an Menschen verstummt und angespannt abwartet. Es war, als hielte Nirn den Atem an. Sie blickten jeder auf den Rand der Klüfte, keiner wollte es wagen, im falschen Moment zu blinken.
Stephanus fühlte sich, als würde sein Herz gleich versagen. In der Lautlosigkeit schlug es so laut, dass er dachte, die ganze Welt könnte es hören.
„Da kommt es wieder!“
Tatsächlich tauchte die Kreatur unweit der Felsen wieder auf, hinter denen Stephanus es zuletzt gesehen hatte, und bewegte sich im Sturzflug auf sie zu. Die grünen in der Sonne glänzenden Schuppen, die enormen Flügel und der mit Hörnern versehene Kopf vertrieben jeden Zweifel: Sie wurden von einem Drachen angegriffen. Drachen waren vielleicht nur ein Mythos, aber dieses Exemplar hatte offensichtlich das Memo nicht erhalten.
Die Balliste schoss mit einem lauten Knattern und verfehlte ihr Ziel.
„Treff richtig, du Scheißkerl, bevor ich dich erwürge!“
„Halt die Klappe, Olaf, und leg Bolzen nach!“
Der Rothwardone war bereits dabei, wild am Mechanismus der Kriegsmaschine zu kurbeln, um den Schieber wieder in Position zu bringen.
Mehrere Pfeile kamen dem fliegenden Monster entgegen, prallten jedoch nutzlos an den Schuppen ab, während es unbeeindruckt und unaufhaltsam näher kam, die kleinen, bösartigen Augen geradeaus auf die Festung gerichtet. Stephanus zog panisch Pfeil nach Pfeil aus dem Köcher, nur um zuzusehen, wie jeder Schuss an der Panzerung des Dings zerschellte.
Vereinzelte Söldner flüchteten bereits durch die Türen in das Innere des Gemäuers.
Direkt vor der Festung breitete es plötzlich die ledrigen Schwingen aus und blieb mitten in der Luft stehen, der irre Sturzflug mit Kollisionskurs schlagartig beendet. Die Flügel des Ungetümes klangen dabei wie die sich ausbreitenden Segel eines Schiffes.
Bevor Olaf und Bodeado die Balliste wieder schussbereit gemacht hatten, öffnete der Drache sein Maul und stieß eine stille Welle aus gekräuselter Luft aus, die immer größer wurde und sich auf sie zu bewegte.
Stephanus begriff, dass sie zwar langsam war, aber es durch ihre Breite allein unmöglich war, ihr auszuweichen. Bei dieser Erkenntnis versagte ihm der Mut. Dann brach der Zauber des Wesens über sie herein.
Der Kaiserliche merkte, wie seine Muskeln versagten, ermüdet erschlafften, und ihm der Bogen aus den Händen glitt. Seine Knie wurden weich, und es wurde ihm immer schwerer, aufrecht zu bleiben und nicht auf die Knie zu fallen. Sein Blick fiel nach unten, starr auf seine zitternden Beine und Füße gerichtet.
Eine Stimme dröhnte in seinem Kopf, und es kam ihm vor, als ob sie einfach dort auftauchte, ohne zuerst die Entfernung zwischen ihm und dem Redner zu überwinden: „Ich bin Nahlotahdinok, und ich bin euer Gott. Eure alten Götter sind tot. Unterwerft euch mir, oder ihr werdet ihnen in folgen.“
Es kostete dem Kaiserlichen seine ganze Kraft, nicht hier und jetzt umzufallen. Angestrengtes und schmerzhaftes Stöhnen zu seinen Seiten verrieten ihm, dass es seinen Gefährten nicht besser ging. Die Schmerzen in seinen Gliedern verhinderten es, dass er in eine Angststarre verfiel, in der er aufhörte, nachzudenken, doch wie lange würde er noch durchhalten?
Die Furcht war beinahe überwältigend, und er spürte, wie sie wie ein wild aufgewirbelter Nebel seinen Kopf füllte und seine Gedanken lahmlegte. Diese Kreatur hatte sie alle mit einer einzigen Welle aus Magie betäubt und Kampfunfähig gemacht, und sie hatten es nicht einmal geschafft, es auch nur ansatzweise zu verletzen. Was für eine Chance hatten sie denn, sich diesem vor Kraft strotzenden Wesen zu widersetzen? Es war zeitlos und den Göttern gleich, Stephanus dagegen war nichts weiter als Staub im Wind, verflogen, bevor Nirn auch nur einen Lidschlag getan hatte. Im Großen und Ganzen war er unwichtig, ein kurzsichtiges Rindvieh, zu nichts zu gebrauchen, außer vielleicht dazu, geschlachtet zu werden...
Neben ihm presste Olaf laut „Raus aus meinem Kopf!“ zwischen den Zähnen hervor, und in diesem Moment realisierte Stephanus, dass diese Gedanken nicht seine eigenen waren, und der Zauber verlor an Stärke. Er gewann unter Anstrengung die Kontrolle über seine schmerzenden Glieder wieder und richtete sich langsam wieder auf, laut nach Luft schnappend. Er fühlte sich, als hätte er tagelang Holzstämme über einen steilen Berg geschleppt.
Einer der anderen Söldner gewann genug Herrschaft über seinen Körper wieder, um einen Pfeil auf das Biest abzufeuern, und das Klacken des abprallenden Pfeils und das anschließende empörte Brüllen der Bestie ließen den Zauber völlig zerbrechen.
Die Kaufklingen regten sich wieder ruckartig und stoben panisch und heiser schreiend auseinander. Stephanus folgte ebenfalls dem nun übermächtigen Fluchtinstinkt und sprintete auf die Tür des Ostturms zu. Im Lauf hörte er hinter sich, wie am anderen Ende des Plateaus, beim Westturm, mehrere seiner Gefährten aufschrien. Was folgte, war das Geräusch von mehreren beschuppten Tonnen Gewicht, die auf Stein aufkamen, das Schnappen eines übermächtigen Kiefers und ein spitzer, plötzlich abgebrochener Schrei, untermalt von dem Knacken einer Stahlrüstung, die von mächtigen Zähnen durchtrennt wurde, wie ein trockenes Stück Pergament.
Kurz danach brandete eine Hitzewelle über seinen Rücken, doch er drehte sich nicht um. „Nicht anhalten, nicht anhalten.“ Kurz darauf erreichte er die Öffnung und hastete in die zweifelhafte Sicherheit des Ostturms.
Geändert von Kampfkatze2 (29.10.2016 um 22:13 Uhr)
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Legende
Wälder östlich der Knochenspitze
Der Ork kniete über dem toten Hasen und begutachtete den Federschaft, der aus dessen Genick ragte. Er rieb sich mit der linken Hand über das Kinn, das sich durch die groben Bartstoppeln mehr wie die Metallraspel eines Schmiedes anfühlte, denn gerade gestern rasierter Haut. Ich muss den Dolch mal wieder schleifen... Seine Aufmerksamkeit wanderte wieder zu der Jagdbeute. Was er so besonders an dem Hasen oder vielmehr dem Geschoss fand war die merkwürdig bunte Befiederung. Er kannte die Einheitsfarben der meisten Jäger. Die imperialen Jäger hatten meist rot, da die Handvoll befugter Jäger aus Einsamkeit kamen. Jäger der Jarl befiederten in den Farben der Wappen des jeweiligen Jarltum. Hier aber war schwarz und ein hochgradig selstames Türkis kombiniert. Kein dem Druide bekannter Vogel besaß ein Federkleid mit so einer Farbe. Vielleicht sind sie auch gefärbt... Er wollte gerade nach dem Hasen greifen um sich den Schafft besser beäugen zu können.
'Griffel weg! Den habe ich erlegt!' Ertönte hinter ihm eine weibliche Stimme. Djure blickte sich über die Schulter. Hinter ihm stand eine Kaiserliche oder eine Bretonin, so genau konnte er das nicht sagen. Sie hielt einen Bogen gespannt vor sich und zielte auf ihn. Djure war in seiner hockenden Position bereits fast auf Augenhöhe mit der Frau. Er schnaufte hörbar und richtete sich dann auf. Er drehte sich zu ihr um und blickte auf sie herab. Der Frau fehlte locker eine halbe Armeslänge zu ihm. Sie musste den Kopf nach hinten biegen um ihm in die Augen blicken zu können. 'Wäred ihr wohl so freundliche, euren Bogen aus meinem Gesicht zu nehmen?' Fragte der Ork. Seine Stimme war die eines tiefen Basses, eines Basses, wie man ihn manchmal auf Paraden der Legion hören konnte. Seine Statur schien sie relativ wenig zu beeindrucken, sie hatte unbestreitbar schon einige Trolle gesehen. Sie machte auch nicht wirklich Anstalten den Bogen zu senken. 'Ihr dachtet ihr könntet mich beklauen?' Fragte die Frau. Immer wieder das selbe... seit dieses Arschloch in Windhelm der festen Überzeugung war einen unglaublich sinnfreien Krieg vom Zaun zu brechen hat jeder Trottel das Recht für sich gepachtet jeden anderen aus Misstrauen einfach angehen zu können...
Djure seufzte und neigte dann den Kopf etwas um in den Himmel über sich blicken zu können. 'Seht, ich wollte euch nicht beklauen, ich bin vermutlich ein besserer Jäger als ihr, ich habe mich lediglich über die mir unbekannten Federfarben gewundert.'
'Natürlich und als nächstes erzählt ihr mir, dass ihr kein Ork seid und eigentlich für die Legion kämpft und ...'
Weiter kam sie nicht. Der Ork nutzte ihre kurze Unkonzentriertheit aus indem er mit Wucht die freie linke Faust ausstreickte - zur Seite.
Sie krachte in den Stamm einer Tanne neben ihm. Der Stamm schwankte beeindruckend. Die Augen der Frau folgten dem wankenden Baum hinauf in die Spitze. Einen Herzschlag später wurde sie unter einer dicken Schicht Schnee begraben. Der Ork bekam natürlich auch etwas ab, aber ihm reichte die Schneeladung gerade einmal bis zur Hüfte und zudem war seine Statur viel zu massig als dass der Schnee ihn tatsächlich umreissen hätte können. Von der Frau waren jedoch nur noch zwei hilflos fuchtelnde Hände zu sehen. Eine seiner riesigen Hände fuhr zwischen den Händen durch den Schnee und ertastete ihr Gesicht. Mit einem Wisch legte er den Kopf der Frau zur Hälfte frei. Sofort begann sie zu brüllen und zu keifen. Und beinahe ebenso schnell verstummte sie wieder, als Djure ihr direkt wieder die Hälfte des Schnees, den er gerade erst vor ihrem Gesicht weggeräumt hatte, wieder auf selbiges drückte. Nur noch Augen und Nase waren frei. Mit der rechten Tatze fuhr Djure an der Seite ihres Kopfes durch den Schnee, drückte ihn zur Seite, sodass sie in dieser Richtung etwas Platz hatte, dann spreitzte er den kleinen Finger von der Hand ab, steckte ihn ins Ohr der Frau und drehte ihn einmal ruckartig in jede Richtung. Am Saum ihrer Kaputze, welche über ihrem Kopf ein wenig aus dem flockigen Weiß ragte, putzte er den Finger ab, dann kam er nahe an den Spalt neben ihrem Kopf. 'Wenn ich gleich den Schnee vor eurem Gesicht wieder entferne, tut mir den Gefallen und haltet die Schnauze, ihr werdet die Puste noch brauchen.' Er machte ihren Mund wieder frei und es wäre auch einfach zu schön gewesen, wenn sie getan hätte, was er gesagt hatte. Aber nein, sie brüllte direkt wieder los. Djure kniff entnervt die Augen zusammen. Ein weiterer Schlag gegen den Baum und es regnete einige Tannenzapfen. Er suchte sich einen schönen aus und drückte ihn der aus Leibeskräften kreischenden Frau zwischen die Kiefer. 'Shhh!' Machte er, dann grub er mit einigen Wischern seiner großen Hände das Kaninchen aus. 'Gut festhalten.' Sagte er übertrieben aufmunternd und drückte ihr das halb geforerene Tierchen in eine der hilflos geöffneten Hände. 'Wenn ihr euch dafür entschuldigen wollt, dass ihr diese ganze Sache hier unnötig provoziert habt, ihr findet mich heute und morgen in Kyneshain.' Dann wuchtete er seinen massigen Körper durch den Scheewall. Er drehte sich noch einmal um. 'Ich würde mich beeilen, es dämmert bereits, soll kalt werden nachts hier draußen...'
Djure ging davon aus, dass die Frau sterben würde. Sie hatte zwar die richtige Kleidung für die Jagd im Schnee gewählt, jedoch sah er nur geringe Chancen für sie, sich allein aus dem Schneeberg zu befreien. Er wusste selbst, wie schwer Schnee sein konnte lag man darunter begraben. Notwehr und so... Sie hatte ihn vermutlich für den üblichen Orkbarbaren gehalten. Naja geschuldet seinem Aussehen liefen diesem Irrtum doch immer wieder erstaunlich viele Fremde auf. Trotzdem, aus ihrer Sicht stammt sie aus einem zivilisierten Volk, hat sich aber aufgeführt wie ein Schläger aus der Gosse.
Es war bereits tiefschwarze Nacht, die Nordlichter tanzten in strahlendem Grün am Himmel als Djure in Kyneshain ankam. Er blieb noch einen Augenblick vor dem Gebäude stehen und betrachtete das Schauspiel am Himmel. Dann nahm er seine Kopfzier ab und hängte sie sich an einer daumendicken Kordel um die Schultern. Er war so bereits zu groß für die Türen, wenn er den Schädel trug war die Wahrscheinlichkeit groß, dass er am Türsturz hängen blieb und das Ding im schlimmsten Fall zu Schaden kam. Das galt es zu vermeiden, das Ziegengebein hatte einen unmessbaren ideellen Wert. Er zog die Tür auf. Der Schankraum war nicht voll, aber gut besetzt. Als der Riese eintrat und die Tür hinter sich ins Schloß zog und die Kälte aussperrte, wandten sich ihm einige Köpfe zu, beäugten ihn einige Augenblicke und drehten sich dann wieder weg. Djure schaute durch den Raum und fand auch sogleich, was er suchte. An einem Tisch drängte sich eine größere Runde um zwei sich gegenüber sitzenden Männer und feuerte die beiden Gestalten an. Die beiden Sitzenden hatten die Gesichter zu grimmigen Fratzen verzogen, während sie sich im Armdrücken maßen. Sehr gut... ich kann den Geldbeutel bereits klimpern hören... Djure hielt zwar nicht sehr viel von weltlichem Besitz, aber er war nunmal kein Hexenrabe, der von rohem Fleisch, Luft und Hass leben konnte. Manche seiner Vorräte konnte er nunmal nicht in den Wäldern eben so auffüllen wie manch andere. Und Met gabs auch nicht in Flüssen.
Er gesellte sich zu der Truppe. Ein Arm wurde umgeknickt und donnerte auf die Tischplatte. Jene, die auf den richtigen gesetzt hatten jubelte, einige andere begannen ärgerlich auf ihren Einsatz zu schimpfen, während der Geschlagene den Stuhl räumte. Schon wollte sich ein nächster Herausforderer setzen, ein brauchbar trainierter Nord, der dem Ork wenigstens bis ans Kinn reichte, doch Djure legte dem Nord eine seiner mächtigen Hände auf die Schulter und hielt ihn leicht zurück. Der Nord blickte sich um und wollte schon etwas sagen, machte aber angesichts der Erscheinung Platz. Djure blickte einem sehr drahtigen Rothwardonen in die braunen Augen. Hmm... kommt nicht so oft vor, ich bin gespannt. Männer die direkt hinter Djure standen mussten sich auf die Zehenspitzen stellen um über seinen Schultern sehen zu können. Ein Bosmer am Kopfende des Tisches war noch geschäftig dabei die Wetten anzunehmen. Trotz der physischen Überlegenheit Djures setzten doch noch einige nicht gerade kleine Beträge auf den Rothwardonen. Er musste wohl schon einen recht erfolgreichen Abend bestritten haben bisher. Dann beschied der Bosmer den beiden die Fäuste ineinader zu verschränken. Der Elf wartete noch kurz, dann gab er das Zeichen zum Anfangen. Sofort spannten sich die Muskeln des Rothwardonen an. Djure drückte zunächst lediglich dagegen. Er musste anerkennen, dass der Kerl eine sicherlich mit viel Disziplin trainierte Muskulatur besaß. Die Lefzen im Gesicht des Ork hoben sich, als er langsam begann dagegen zu drücken. Die ganze Sache war an sich schon lächerlich unfair. Djures Unterarm war bereits eine ganze Spur länger als der Des Menschen, der Hebel mit dem der braune Kerl agieren konnte war einfach nicht groß genug um dies hier gewinnen zu können. Aber er hielt trotzdem dagegen. In Djures Rücken krachte die Eingangstür ins Schloss, aber er kümmerte sich nicht weiter darum, obwohl ein Teil der Zuschauer verstummt war und sich umblickte. Der Arm des Menschen aus Hammerfell krachte auf die Tischplatte, doch der Jubel blieb aus. Jetzt fühlte sich Djure doch gewzungen, sich zur Tür umzudrehen um zu sehen, wer dort so spannendes eingetreten war.
Eine Frau, gehüllt in einen triefenden Umhang einer Farbe, die Djure sehr sehr bekannt vorkam. Die Frau hatte die Kapuze zurückgeschlagen und ihr schweißnasses Gesicht glänzte im Schein der Kaminfeuer. Djure musste anerkennen, dass das von goldenem Haar eingerahmte Gesicht recht hübsch anzusehen war. Eine nur ganz dezent nach oben gebogene Stupsnase, deren flacher Rücken zwischen zwei offenen Augen gebettet in eine runde Stirn mündete. Die an sich fröhlichen Augen - wäre da nicht die tiefe Zornfalte in der Stirn gewesen - wurden durch die im gesichtsmittigen relativ dicken Ansatz nach einer Fingerbreite bereits zu einer sehr dünnen Linie auslaufenden Augenbrauen betont. Die Bäckchen unter den Augen waren gewölbt und jetzt stark gerötet. Die Lippen wirkten im ersten Augenblick gedrungen und von links und rechts her gestaucht. Aber auf den zweiten Blick war es lediglich ein kleiner, Mund mit ästhetisch zum eher runden Gesicht passenden, vollen Lippen in einer Form, die gern lächelte. Wenn der Bogen nicht die Hälfte des Gesichtes verdeckt - oder eben Schnee - sieht sie doch schon sehr hübsch aus...
'Der da!' Sie zeigte keuchend auf ihn. 'Ist ein Spion der Legion!' Wirklich? Muss das jetzt sein? Die meisten im Raum blickten sie eher stutzig an anstatt wie sie sich vermutlich erhofft hatte mit Waffen auf ihn loszugehen.
'Schaut ihn euch doch an, wie plump er versucht die Uniform der Sturmmändel mit diesem Ziegenfilz zu kopieren!'
Das ist jetzt eine persönliche Beleidigung. Djure stand auf, wobei der Stuhl knackte und Knarzte fast so, als wäre er erleichtert endich das Gewicht loszusein. 'Was fällt dir eigentlich ein Weib?!' Er packte seinen Stab mittig, vollzog eine Drehung über die drei Meter Entfernung zu ihr durch den Raum und mit dem Schwung der Drehung schoß ein Ende des Stabes ihr entgegen und traf sie auf Brustbeinhöhe. Pfeifend wich ihr die Luft aus den Lungen und sie klappte zusammen. Sie japste nach Luft. Djure zog sie an ihrem Mantel hoch. Er hatte den Schlag sehr genau bemessen, sie würde keine Schäden davon tragen, aber er würde sie nun davontragen und einmal eingehend mit ihr darüber verhandeln, dass sie ihrer gesundheitlichen Unversehrtheit einen großen Gefallen täte, würde sie ihn nicht noch einmal derart provozieren.
'Halt!'
Djure drehte sich zu der Stimme um. Ein Soldat der Sturmmäntel stand hinter ihm. Überraschend entspannt, lediglich eine Hand ruhte auf dem Schwertgriff. Hinter dem Soldat versetzt stand ein Kundschafter, ebenfalls in der typisch blauen Uniform. 'Ja?' Machte Djure.
'Dürften wir euch einmal durchsuchen? Nur Routine versteht sich.'
'Nein?'
'Seht guter Mann, wir wollen keinen Ärger hier - und keine Spione der Legion. Wenn ihr kooperiert würdet ihr damit beweisen, dass ihr nicht zum Imperium gehört.'
'Welchen Teil von nein habt ihr nicht verstanden?'
'Herr, wir sind vom rechtmäßigen Großkönig in Windhelm dazu befugt Waffengewalt anzuwenden, wenn es sein muss...'
'Und ich bin befugt mir mit eurem Haupthaar den Arsch nach dem nächsten Haufen abzuwischen, wenn ihr nicht sofort umdreht und mich in Frieden lasst!'
Der Nord schien kurz verblüfft, blickte aber dann grimmit in die Augen des Ork: 'Hiermit seid ihr vestegnommen wegen des dringenden Verdachtes...'
Djure reagierte bevor der Soldat geendet hatte: Die Hand, welche die Frau am Kragen hielt warf diese über einen Dachbalken über dem Ork, wo sie zappelnd hängen blieb, während die andere Hand ausholte und den Stab vorschnellen ließ. Während der Stab durch die Luft schnitt, lockerte Djure seinen Griff, sodass er die Waffe nun an einem Ende Packte, während das andere Ende nun mehr Schwung generierte und krachend an der Schläfe des Soldaten landete. Der Mann kippte sofort bewusstlos um. Der wird die nächste Zeit nicht aufstehen... Kreischend stürmte der Kundschafter mit einem Dolche in der Hand an. Djure schlug die heranfahrende Klinge einfach zur Seite. Sein Knie fuhr nach oben und dem noch nach vorn stolpernden Jüngling in den Unterleib. Was ein Schmerzensschrei hätte sein können gipfelte lediglich in einem aufgerissenen Mund und damit, dass der Mann einen Meter zurück segelte und japsend auf dem Boden liegen blieb.
'Hol mich endlich runter du Sohn eines Horkers!'
Djure drehte sich um und grinste dreckig. 'Achso ja wegen den Stoßzähnen in den Mundwinkeln? Ja, der ist gut, den hab ich auch nicht schon mindestens ein oder zweimal vorher gehört...' Dann drehte er sich wieder zum Schankraum um. 'Noch jemand, der meint ich gehöre zur Legion?' Niemand regte sich. 'Sehr gut, ich bekomme hier noch Wettgeld.' Er klopfte auffordernd auf den Tisch, an dem er eben noch saß und den Rothwardonen besiegt hatte. Zitternd schob der Bosmer ihm ein Beutelchen mit Septimen hin. Der Ork schüttelte den Kopf. 'Ich will nicht alle Einsätze, ich will nur meinen Teil von gerade eben.' Er konnte ungefähr abschätzen, wie viel er gewonnen hatte, es würde wieder eine Weile genügen schätzte er. Er blickte zur Wirtin hinüber: 'Einmal eine Runde Honigbräumet für das Loch hier.' Zustimmender Jubel und vereinzeltes Klatschen wallte in dem Raum auf. 'Und einen Schlauch Gewürzwein für mich.' Sagte der Ork, nachdem er den Gewinn von dem Waldelf entgegengenommen hatte und zur Bar gegangen war. Er ignorierte die Frau auf dem Balken, wie sie wild zappelte und keifte. 'Holt ihr sie da noch runter?' Fragte die Wirtin. 'Wieso, wollt ihr sie behalten?'
'Nein, eben nicht, derart schrille und hysterische Gäste kann ich nicht gebrauchen.'
'Keine Sorge, ich nehm sie mit.'
Die Wirtin schob ihm den Schlauch Gewürzwein über die Bar. Djure griff danach, hängte ihn sich um und ging durch den Raum. Mit einem Ruck hatte er die Frau von dem Balken heruntergezogen. Sie war erstaunlich leicht, wie er jetzt feststellte. Er umgriff beide Handgelenke und hielt sie vor sich hoch, sodass ihre Füße nicht den Boden berührten. 'Folgt ihr mir unauffällig oder nicht?' Ihre Antwort war ein schwacher Tritt gegen ihn. 'Ich werte das als nein.' Ein Ruck ging durch den Körper der Frau als er sie über seine Schulter warf. Gezielt legte er die freie Pranke auf ihr Geßäs. Hm... nicht von schlechten Eltern... Er trat nach draußer und stieß die Tür ins Schloß. Er ging ein paar Schritte vom Eingang weg und warf die Frau dann mit einer flüssigen Bewegung in eine Pulverscheewehe an der Wand des Gebäudes. Er ging vor ihr in die Hocke. 'Wollt ihr mir jetzt verraten, was euch dazu bewegt mir derartig den Abend zu vermiesen?' Er sprach normal und ruhig. Sie kniff die niedlichen Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander. Djure seufzte. 'Wie heißt ihr?' Sie verschränkte die Arme vor der Brust und drehte bockig den Kopf zur Seite. 'Woher kommst...' Ihm fiel ein Fetzen Papier auf, der keinen Meter über dem Kopf des Menschen an die Holzwand der Herberge getackert war. Der Profilriss des Kopfes kam Djure aber sowas von bekannt vor. Er senkte nochmal den Blick und glich nochmal mit der zur Seite starrende Frau ab. Völlig verblüfft streckte er einen Arm nach oben und riss einen dicken Büschel Stroh aus dem Dach. Ein Schwall Schnee löste sich und fiel nach unten. 'HEY!' schreckte die Frau prustend auf. 'Sitzen bleiben!' Djure drückte sie zurück in ihren frostigen Sessel. Er schnippte dem Stroh entgegen und mit der improvisierten Fackel beleuchtete er den Steckbrief. 'Gesucht, möglichst lebendig: Julienn Moryn. Kaiservolk, etwa...'
'Stop!' Rief die Frau und wollte erschrocken aufspringen und nach dem Steckbrief grabschen.
'Sitzen bleiben sagte ich!' Djure drückte sie wieder zurück. Er las weiter: 'Etwa 24 Jahre alt, nackenlanges, krauses goldblondes Haar. Angeklagt des Raubes aus den Schatzkammen Mortal und Weißlauf. Des weiteren verantwortlich für mehrere Überfälle entlang der Hauptstraßen zwischen Weißlauf und Einsamkeit.' Er blickte auf das zierliche Geschüpf vor sich. Das muss entweder unglaublicher Zufall sein oder schlicht eine Verwechslung... 'Abgabe der Gefangenen gegen ein Kopfgeld von 500 Septimen, wenn tot 200 Septime, in der Kaserne von Einsamkeit. Er steckte die Strohfackel mit der Flamme voraus in den Schnee. 'Julienn...?'
'Ja?' Fragte sie aufblickend, realisierte aber im selben Moment, dass das ihre letzte Chance zum Schwindeln gewesen war. 'Scheiße!' Flüsterte sie. 'Ich... heiße nicht so!' Sagte sie bestimmt. Djure grinste breit. 500 Septime, damit könnte ich mir ein halbes Jahr den Gang zu Tavernen und das Handeln mit Fellen einfach sparen, heute muss mein Glückstag sein. 'Na dann hast du doch sicher nichts gegen einen Ausflug nach Einsamkeit, Julienn. Soll eine beeindruckende Stadt sein hab ich mir sagen lassen...' Der Ork glaubte selbst noch nicht ganz, dass dieses niedliche, nicht unbedingt sehr helle Ding in zwei Schatzkammern von Jarls eingebrochen war. Aber die Ähnlichkeit war groß genug, vielleicht würde er das Kopfgeld trotzdem einstreichen können. Er warf sich die zappelnde Kaiserliche wieder über die Schulter. 'Macht es euch bequem, wir haben einen längeren Weg vor uns.' Er überlegte noch kurz, ob er nicht erst lagern sollte um sie trocken zu bekommen. Achwas, auf dem Steckbrief stand lebend, nicht gesund. Er setzte sich seinen Schädelknochenhelm auf, riss den Steckbrief von der Wand und stopfte ihn sich in den Gürtel, dann stapfte er los der Straße nach Norden folgend.
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Legende
Kyneshain -> Weißlauf
Djure plante eigentlich nach Windhelm zu gehen und von dort aus mit einem Schiff über Dämmerstern nach Einsamkeit. Der Weg von Kyneshain nach Windhelm war kaum mehr als eine Stunde gemütlichen Spazierens - selbst mit seiner zusätzlichen Traglast. Links und rechts der Straße waren in der Dunkelheit die kantigen Umrisse von Felsen zu erkennen. Julienn schien sich fürs erste in ihr Schicksal ergeben zu haben und hing ruhig über seiner Schulter. Der Ork bog um einen letzten Felsen herum und vor ihm eröffnete sich eine sehr breite Kreuzung. Nach Norden ging die Straße in die Brücke nach WIndhelm über, rechts davon konnte er die Stallungen erkennen. Djure hielt sich kurz im Schatten des Felsens. Deutlich mehr Fackeln als üblich tanzten vor der Brücke auf und ab. In ihrem Schein glänzten die einfach zu erkennenden Hörnerhelme der ranghöheren Sturmsoldaten. Seit wann wird die Brücke nach Windhelm derart stark bewacht? Der Druide zählte 5, 6, 7. Deutlich mehr Blauröcke als normal. Der Bürgerkrieg schien sich wohl allmählich doch aufzuschaukeln.
'Was ist?!' Zischte Julienn. 'Seid ihr festgefroren?'
'Ruhe!' Fauchte Djure zurück. 'Die Route hat sich spontan geändert...' Er drehte sich ruckartig um und wollte die Straße zurückgehen. Er bemerkte wie die Kaiserliche den Kopf hob und wusste sogleich, was sie vorhatte, aber verhindern konnte er es nicht mehr. Julienn erspähte die Sturmmäntel und begann aus vollen Lungen zu kreischen. Die Soldaten mussten noch gesehen haben, wir er hinter der Kurve verschwand. 'Wer da? Stehen bleiben!' Djure drehte sich um und sah zwei der Fackeln auf sich zukommen. Knebel vergessen... ich bin halt kein Profi. Mit engen Schritten trippelte Djure quer über die Straße. Jeder seiner Fußabdrücke glimmte einmal kurz auf, dann stellte er sich mit ein wenig Abstand hinter die Linie seiner Spur. Julienn kreischte unentwegt weiter. Die Soldaten waren jetzt so nahe, dass er Details in Rüstung und Gesicht erkennen konnte. Sie blieben stehen. 'Wer seid ihr und wer kreischt hier so?'
'Ich bin ein Wanderer und das kreischende Weibsbild ist meine Gefangene. Beides sollte euch nicht weiter kümmern.'
'Was uns kümmert erfahren wir von Großkönig Sturmmantel, nicht von euch. Die Kontrollen wurden verdichtet, das schließt auch Wanderer und ihre Gefangenen mitein.'
Djure verdrehte die Augen. 'Dann kommt und kontrolliert mich.' Einer der Soldaten zog seine Axt und legte sie sich über die Schulter. 'Keine ruckartigen Bewegungen.' Sagte er relativ sicher. Es bestand kein Zweifel, Djure hatte hier die Jungs vor sich, welche im Falle einer Schlacht tatsächlich in der ersten Reihe standen und das Ende der Schlacht miterlebten. Aber es blieben trotzdem noch einfache Soldaten. Der Nord ahnte nicht, auf was er eben zuging. Mit dem nächsten Schritt würde auf eine der Eisfallen treten. Djure bleckte bereits die Zähne. 'Vorsicht, Fallen!' Brüllte die Kaiserliche hinter seinem Rücken. Die eben noch selbstsicheren Augen des Sturmmandels blickten nach unten, aber hier hatte er den Schritt bereits halb vollführt, er trat mit dem Fuß auf. Knarzend und knackend wurde der Fuß bis zur Hüfte in starres Eis gehüllt. Wedelnd suchte der Soldat das Gleichgewicht zu halten, kippte dann aber hilflos wie ein gefällter Baum zur Seite. Der Nord hatte es seiner natürlichen Kälteresistenz zu verdanken, dass er nicht komplett gefrostet wurde. Allerdings hatte Djure nicht zwingend die Absicht gehabt hier Blut zu vergießen. Der zweite Nord riss sich aus seiner Verblüffung. 'Das ist Verrat gegen Himmelsrand.' Brüllte er und zog sein Schwert, blieb allerdings stehen, er hatte wohl ausgemacht, dass er den Ork hier nicht direkt angreifen würde können. 'Nein, das ist Frostmagie du blinder Blaurock. Ich wünsche noch einen ruhigen Wachdienst.' Damit wandte sich Djure um und verschwand in der Dunkelheit abseits der Straße in der Dunkelheit Richtung Westen.
Ein Ball aus flüssigem Gold schien sich über die Gipfel der Velothiberge im Osten zu schieben und tauchte die Landschaft um Djure herum in Glitzernde und dampfende Flächen. Er war in der Nacht durch die Quelllandschaft um die Knochenspitze herum gelaufen und hatte sie halb durchquert. Im Westen direkt vor sich konnte er in einiger Entfernung über den Nebelschwaden das Schurspitzmassiv sehen. Weiter südlich davon wurde das Jerallgebirge und der Hals der Welt durch dicke weiße Wolken verhüllt. Djure suchte sich einen etwas kleineren Pool aus, der nicht gerade nach Schwefel stank, aber trotzdem warm war und etwas geschützt. Pah, geschützt... Er ließ den Blick herumwandern. Diese teils lebensfeindlich wirkende Ebene war so offen, man könnte ein Kaninchen über Meilen hinweg ausmachen. In der Ferne sah der Ork die Knochenspitze und hörte ganz leise immer wieder das dröhnende Brüllen des Drachen, der dort manchmal kreiste. Drachen... ich frage mich immernoch, was diese Biester so urplötzlich dazu bewegt hat wieder in Nirn aufzutauchen. Julienn war wohl hin und wieder in einen schlafähnlichen Zustand abgedriftet. Er ließ sie neben sich auf den Boden gleiten. Sie öffnete die Augen.
'Nein, ich sage euch nichts!' Begann sie direkt wieder zu fauchen.
'Sehr gut.' Djure wollte nichts wissen, er wollte seine Ruhe. Etwas zu überrascht von seiner Antwort setzte sich die Kaiserliche auf und sah den großen grünen Muskelberg neben sich an. Djure drehte den Kopf zur Seite und schaute sie an. Erstaunt stellte er fest, dass der äußere Rand ihrer sonst himmelblauen Iris einen feuerroten Schimmer hatte. Dann wandte er den Blick wieder vor sich und machte sich daran seine Stiefel auszuziehen. 'Wenn ihr Anstalten macht zu fliehen, werde ich euch fesseln müssen...' Grimmig blickte er nochmals zur Seite um seiner Dorhung Nachdruck zu verleihen. Doch dort wo die Kaiserliche eben noch lag war nur noch karger Fels. Djure zog verblüfft die Augenbrauen zusammen. Sein Kopf ruckte nach oben und sah einem wehenden Umhang hinterher, der sich jetzt schneller werdend von ihm fortbewegte. 'Ihr wisst, dass das ein Fehler war...' Grollte er, riss sich die Stiefel von den Füßen, sprang auf und hechtete der Frau nach. Julienn spürte den Boden unter ihren Schuhen zittern, als der Ork näherkam. Er hatte sie recht schnell eingeholt. Sie drehte sich um und und begann wild mit den Armen in der Luft zu fuchteln, hatte dabei einen konzentrierten Ausdruck im Gesicht. Djure kümmerte sich nicht weiter darum. Und sah sich plötzlich einem Atronachen gegenüber. Eine mehr oder weniger feminine humanoide Gestalt, gehüllt in Flammen. Stolpernd kam Djure zum Stehen. Sie beherrscht Beschwörungszauber?! Djure war so perplex, dass er den ersten Feuerzauber der Kreatur mit seinem Gesicht abfing. Sein Glück, die natürliche Resistenz eines Orks gegenüber Magie und die generell eher schwachen Zauber von Flammenatronachen. Trotzdem schluck die Haut in seinem Gesicht an einigen Stellen Blasen. Nichts mit was der Ork später nicht fertigwerden würde, aber zunächst musste er sich um dieses Ding kümmern. Magie flutete seine Arme, er formte die Macht mit seinen Fähigkeiten zu einer gleißen blauen Sphäre zwischen seinen Händen. Der Atronach wollte bereits den nächsten Zauber werfen, verpuffte dann aber vorher in einerExplosion aus Eis.
Völlig ungläubig schaute die Kaiserliche auf den Punkt, wo eben noch ihrer Beschwörung gestanden hatte. Ihr triumpfaler Ausdruck formte sich zu der Djure bereits bekannten Zornfalte. 'Was habt ihr getan.' Brüllte sie ihn an. Sie bückte sich nach einem handlichen Stein auf dem Boden, hob ihn auf und warf ihn dem Ork entgegen. Und zur Überraschung des Druiden war sie eine erstaunlich gute Schützing, Er neigte sich gerade rechtzeitig noch zur Seite um das Stück Getsein nicht wie den Feuerzauber zuvor mit dem Kopf zu fangen. Die Kaiserliche hatte bereits den nächsten Stein in der Hand und holte aus. Djure war schneller bei ihr und griff nach dem Arm mit dem Stein. Er bekam das Handgelenk zu fassen und stoppte die Aktion mitten in der Bewegung schneller als die Kaiserliche reagieren konnte. Mit einem sehr groben Ruck hatte er ihr das Wurfgeschoss aus der Hand geschüttelt. 'Jetzt pass mal gut auf! Das hier kann eine sehr entspannte Reise werden oder eine einseitig sehr sehr unbequeme Sache.' Julienn knirschte mit den Zähnen und starrte ihn hasserfüllt an. 'Noch so ein Fluchtversuch und ich schleife euch an einem Seil gefesselt hinter mir nach Einsamkeit.' Sie schnaubte nur. Er hielt sie wie sie da hing an dem einen Arm ausgestreckt nach oben, sodass es ihr unmöglich war ihn mit den Füßen zu treten oder sonstirgendetwas zu tun. Zurück am Lagerplatz setzte er sie sehr ruppig ab. Sie sackte zusammen und blieb sitzen.
Djure hockte sich ihr gegenüber und blickte sie an. 'Ihr seid also in der Lage Atronache zu rufen, euch ohne das geringste Rascheln wegzuschleichen, habt nicht wenig Ausdauer, trefft ein Kaninchen recht mittig zwischen die Ohren und habt es dennoch nötig in die Schatzkammern von Jarls einzubrechen?' Sie blickte ihn nur finster an und verschränkte trotzig die Arme. 'Wieso willst du das wissen? Du gibts mich in einigen Tagen in Einsamkeit ab und das wars dann...'
'Deine Fähigkeiten sind bis hierher recht beeindruckend. Viel zu schade um in einem Kerker der Legion zu verrotten.'
Die Falte in ihrer Stirn glättete sich. 'Du lässt mich gehen?'
'Habe ich das gesagt?'
'Nein.' Sie kniff wieder wütend die Augen zusammen.
'Aber der Weg nach Einsamkeit ist lang und auch wenn ich die Ruhe sehr schätze würde ich doch zumindest gerne wissen mit wem oder was ich unterwegs bin für 500 Münzen.'
'Wer ich bin geht dich gar nichts an.'
Djure musterte sie. Tatsächlich geht mich das nichts an, das verbietet mir aber nicht es vielleicht doch herauszufinden. Sie war gekleidet in eine graue Tunika, die ihre weiblichen Rundungen leicht betonte, Läuferschuhe und eine dunkelblaue Hose bekleideten die Beine. Über allem trug sie den matt blauen Umhang, der ihm bereits gestern schon aufgefallen war. 'Vor allem seht ihr aus wie eine Kaiserliche aus gutem Hause.'
Sie schnaubte.
Ihm fiel ein kleiner, matter Ring an ihrer Hand auf. 'Seid ihr vor eurem Ehemann geflüchtet?'
'Nein!' Blaffte sie und zog die Hand unter den Stoff ihres Mantels. 'Ich bin die Tochter einer wohlhabenden Familie nahe Bruma in Cyrodiil.'
'Weiter? Warum seid ihr weggelaufen? Wurde für euch eine Hochzeit durch eure Eltern arangiert?'
'Nein, der Ring ist... soetwas wie ein Erbstück. Ein unangenehmes Erbstück.'
'Wieso unagenehm?'
'Geht euch nichts an.'
'Darf ich ihn nochmal sehen?'
'Nein!'
'Wie seid ihr eine so gute Diebin geworden um in die Sch...'
'Ich bin keine Diebin, ich bin eine Jägerin!'
'Ja, das weiss ich bereits, aber jemand, der in Schatzkammern wühlt ist...'
'Keine Diebin, ich habe nichtmal etwas geklaut dort!'
'Ihr seid also wirklich eingebrochen?'
'Ja verdammt. Aber nicht um Gold oder Edelsteine zu klauen.'
'Was war dann der Grund?'
'Ich suche etwas.'
'Das habe ich bereits vermutet, aber was gäbe es für eine junge Frau aus dem herzland in den Schatzkammern Himmelsrands zu finden?'
'Ein persönliches Artefakt.'
'Ihr wurdet also von einem Jarl bestohlen.'
Julienn biss sich auf die Unterlippe und zögerte erst noch mit der Antwort. Aber sie bemerkte, dass es keinen Sinn hatte ihn anzuschweigen, der Ork hatte mehrere Tage um die Antworten aus ihr herauszuquetschen. Sie hatte schon zu viel verraten, er war bereits aufmerksam geworden. 'Nein, nicht direkt bestohlen. Von diesen Ringen gab es einmal zwei. Den, welchen ich besitze, gehörte meiner Mutter. Sie wiederum hatte ihn von ihrer Mutter. Der Ring geht laut unseres Stammbaumes nach mir 5 Generationen zurück bis in die 3. Ära während der Oblivionkrise. Der Ring, den ich suche gehörte meinem Urururururgroßvater. Laut den spärlichen Aufzeichnungen meiner Familie ein mächtiger Magier. Die väterliche Linie beschäftigte sich wohl schon immer intensiv mit Magie, jedoch war der Begründer der Familie ein beinahe unübertroffener Magier - so jedenfalls sagen es die paar Fetzen, die von damals noch an Aufzeichnungen vorhanden sind. Die Fähigkeiten der männlichen Linie nahm allerdings über die letzten drei Generationen rapide ab und jetzt hat die Familie keinen männlichen Nachkommen mehr. Mein Vater war bereits bei der Geburt meiner nicht viel jüngeren Schwester sehr alt. Mittlerweile ist er kaum noch fähig ohne Hilfe zu gehen... Ihr versteht das Problem?'
'Weil ich weißes Haar habe soll ich keinen mehr hochkriegen oder wie?'
'Nein... nein...' Ihr Gesicht rötete sich leicht. 'Ich meine ich weiss nicht... Um der neun Götter Namen bitte bleibt sitzen und lasst die Hose zu, ihr müsst mir das nicht beweisen... zumindest jetzt nicht...' Sagte sie und grinste undeutbar schief. Sie wedelte abwehrend mit den Händen.
'Ich verstehe das Problem nicht, Frauen sind doch genauso in der Lage Magie zu nutzen wie Männer.'
'Das dachte ich auch, aber die Götter treiben mit den Sterblichen manche komischen Späße und so war die weibliche Blutlinie meiner Familie nie so wirklich magiebegabt. Nur ich scheine ein ganz besonders bizarrer Scherz der Natur zu sein. Ich kann Magie weben, sie erkennen und irgendwie einsetzen. Meistens glücken meine Zauber aber nicht oder gehen schief. Mein Vater hat mich töglich wissen lassen, was für eine Lächerlichkeit ich doch für das Haus wäre. Da ist das erstgeborene Kind ein Mädchen statt eines Jungen und besitzt eine ausbaufähige Talentiertheit zur Magie direkt von Geburt an... und ist nicht in der Lage auch mit intensiver Schulung irgendeinen Zauberspruch halbwegs zu meistern.' Sie schaute betrübt zu Boden. Djure verstand das Problem nicht. Wie können nur derart versteifte Familiengebilde entstehen?! 'Aber ihr habt doch einige andere bemerkenswerte Fähigkeiten?' Bemerkte Djure aufmunternd. Julienn blickte auf und für eine Skeunde huschte ein freudiges Strahlen über ihr Gesicht, das sie für den Moment unglaublich anziehend wirken ließ. Dann trübte sich ihr Blick wieder. 'Ja, ich habe mir vieles angeeignet um zu zeigen, dass ich irgendetwas kann, doch es waren hauptsächlich praktische Dinge. Bogenschießen zum Beispiel. Darin bin ich doch recht gut würde ich behaupten. Und wenn man sich mit solch praktischen Dingen beschäftigt, lernt man auch irgendwann wie andere praktische Dinge funktionieren... Schlößer beispielsweise. Aber das zählte alles nichts. Die Linie der Magiebegabung muss irgendwie konserviert werden und meine Familie ist der Überzeugung, mit mir endet diese Begabung innerhalb der Blutlinie. Meine Schwester ist völlig unbegabt.'
Djure verstand das Problem noch immer nicht. 'Dann lasst diesen Schwachsinn doch enden...' Er zuckte die Schultern.
'Ihr versteht das nicht, ich WILL... beweisen, dass ich das kann. Aber ich kann es nicht allein. Der Ring meines Urururururgroßvaters ist verschollen. Er wurde mit ihm bestattet nach seinem Tod. Als die Tradition der Weitergabe mit der zweiten Generation anfing musste die Familie allerdings feststellen, dass das Grab geplündert wurde. Man konnte die Spur noch zu einem Händler in Himmelsrand verfolgen, doch der Ring blieb verschwunden.'
'Und ihr glaubt, der Ring wird euch helfen?'
'Naja, nachdem ich aus Cyrodiil fortgelaufen bin habe ich nicht mehr all zu viel zu verlieren...'
'Auch wahr...'
'Wie heißt ihr überhaupt?' Fragte sie nach einigen Augenblicken des Schweigens.
'Djure... Tyrex.'
'Ein untypischer Name für einen Ork... dafür passt euer Familienname recht gut, in älteren Dialekten bedeutet er soetwas wie Großer Beherrscher oder Grausamer Beherrscher...'
'Ja, liegt wahrscheinlich daran, dass meine Mutter eine Kaiserliche war und sich ein Hobby daraus gemacht hat, dem kleinen orkähnlichen Kind so viel vom Kaiservolk wie irgend möglich anzuhängen. Du kennst dich mit Sprachen aus?'
Julienn lächelte verlegen. 'Nein, ich habe viel gelesen und einige Dinge bleiben dann eben im Gedächtnis. Meine Mutter pflegte streng zu sagen,' sie zog die Augenbrauen hoch, schloss die Augenlider und sprach mit erhobenem Zeigefinger und verstellt alter Stimme, 'Julienn, du weisst sehr viel und doch irgendwie insgesamt nichts...' Sie mussten beide grinsen.
'Da wir schonmal hier sind mache ich jetzt mal das Beste aus der Lage und nehme hier ein Bad in der heißen Quelle.' Er deutet auf das kleine runde Steinbecken neben ihnen in dem dunkelblau dampfendes Wasser schimmerte. 'Äh ja... macht nur.' Djure nahm sich seinen Kopfschmuck ab, hielt aber in der Bewegung inne und schaute Julienn funkelnd in die Augen. 'Wenn ihr nochmal zu fliehen versucht, binde ich euch beide Beine zusammen, dann könnt ihr den restlichen Weg nach Einsamkeit hüpfend bestreiten - und ihr werdet hüpfen.'
Bockig streckte ihm die Kaiserliche die Zunge raus. Djure machte sich daran, sich auszuziehen. Den Umhang, die Tunika, die Lederhose und die Unterhose aus Leinen.
'Hallo?!'
'Ja?' Djure schaute zur Kaiserlichen, welche ihn ihrerseits überrumpelt anstarrte. 'Was ist? Habt ihr noch nie einen Mann nackt gesehen?' Fragte er spöttisch.
'Doch, schon... aber... noch nie einen... so großen.' Sie grinste schief, während ihr Blick ziellos zwischen ihm und der Landschaft hinter ihm kreiste.
'Ja irgendwann ist immer das erste Mal...' Gab er spottend zurück. Dann trat er auf spitze Steine achtend vorsichtig in das Becken und lehnte sich mit einem gedehnten Seufzer an eine Steinwand so, dass er Julienn wenigstens noch seitlich im Blickfeld hatte. 'Gesellt euch doch zu mir, die Temperatur ist angenehm.'
'Hmpf.' Machte die Kaiserliche nur und drehte sich demonstrativ zur Seite.
Er hatte nur kurz die Augen ob der angenehmen Wärme geschlossen, realisierte aber sogleich seinen Fehler und schrak hoch. Julienn war weg. 'Unglaublich.' Knurrte er und sprang aus dem Becken. In einiger Entfernung sah er den blauen Umhang flatternd davonfliegen. Sie ist wirklich flink... na warte... Djure packte seinen Stab und rannte los, zum Anziehen hatte er keine Zeit. Es dauerte doch eine Minute bis er sie eingeholt hatte trotz ihres Vorspurngs, seine Schritte griffen in den letzten Metern zu ihr nochmal mehr Raum als ohnehin schon. Julienn blickte entsetzt über die Schulter. Der Ork war heran, sein Steib raste in einem weiten Bogen durch die Luft und zog der Frau ein Bein weg, sie strauchelte und flog noch gut zwei Meter bevor sie auf dem Boden aufschlug. 'Ich habe dich gewarnt...' Er packte sie wieder und warf sie sich über die Schulter. 'Genieß die Aussicht.' Sagte er noch und drehte sich wieder zum Lager um. 'Das ist nicht witzig Djure!' Fauchte sie, während sie über seinen Rücken und den Hintern des Orks hinweg auf den Boden schaute. 'Ja doch, eigentlich ist es sehr witzig.' Sagte er zufrieden und tätschelte provokant ihr Gesäß, das nicht ganz auf seiner Schulterhöhe hing.
Djure hielt seine Drohung und fesselte und knebelte Julienn wie er es angekündigt hatte. Er ersparte ihr aber das Hüpfen und trug sie. Sie nahmen eine bewaldete Route unterhalb der Schurspitze auf der nördlichen Seite des Flusses. Am Mittag des zweiten Tages umrundeten sie einen weiteren Steilhang, der nach Norden zur Schurspitze hinaufgeführt hätte und vor ihnen tauchte Weißlauf aus der nun ihnen zu Füßen liegenden Ebene auf. Majestätisch thronte die Drachenfeste über der Stadt. Djure beschloss den Wegen nördlich der Stadt zu folgen wo die Ebene nicht besiedelt war. Weiter nach Westen nach Einsamkeit. In spätestens 5 Tagen würde er Julienn wieder los sein..
Geändert von weuze (18.09.2016 um 16:58 Uhr)
Grund: Titel
-
General
Cyrodiil, Kaiserstadt
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Allmählich nahm Revan seine Umgebung wieder bewusst wahr, im Gegensatz zu den kurzen Wachphasen davor, an welche er fast keine Erinnerungen mehr hatte. Vorsichtig öffnete der Dunmer seine Augen, dies brachte ihm jedoch nur die Erkenntnis dass er nichts außer Schwärze sah, abgesehen davon stank es fürchterlich. Plötzlich begann sein Körper zu zittern, dabei atmete er viel zu gierig den bestialischen Gestank ein, was ihm die Tränen in die Augen trieb und einen Hustenanfall provozierte. Er hielt sich, einem ersten Reflex folgend, die Nase zu, in dem vergeblichen Versuch atmen zu können ohne dabei ständig einen Würgereflex unterdrücken zu müssen. Selbst die Kanalisation stinkt selten so abartig.
Immer noch hustend, suchte Revan mit seinen Händen nach etwas dass ihm halt geben würde. Ein dickes, längliches, vierkantiges Stück Holz schien ihm geeignet und so packte er eine Kante mit beiden Händen zog mit aller Kraft daran. Entgegen seiner Erwartung gab das Holz mit einem Ruck nach und eine Ladung Sand, Staub und Dreck regnete auf seinen Kopf. Er versuchte seinen Kopf wegzudrehen, jedoch vergeblich, da bereits eine nicht unerhebliche Menge des Drecks den Weg in seine Augen, Mund und Nase gefunden hatte. Mit brennenden Augen, hustend, fluchend und spuckend schoss der Dunmer in die Höhe und stieß mit seinem Kopf gegen den Schutt. Der Schmerz raubte ihm sogleich seine Sinne, hallte in seinem Kopf wieder und verursachte eine heftige Übelkeit, welche ihn unweigerlich hätte erbrechen lassen, wäre da nicht sein leerer Magen gewesen. So blieb nur ein scheußlicher Geschmack in seinem Mund, während er gequält stöhnte und die schmerzende Stelle am Kopf mit den Händen bedeckte. Nachdem er mehrere Minuten bewegungslos auf dem Boden gelegen hatte, verschwanden die tanzenden Punkte vor seinen Augen und auch die Kopfschmerzen ebbten ab.
Weiterhin am ganzen Körper zitternd, drehte er seinen Kopf wieder in Richtung des viereckigen Stück Holzes. Dieses mal war eine Lücke im Schutt sichtbar, dahinter sah er undeutlich die Umrisse von kleinen Hütten und Baracken. Jede Bewegung kostete ihn unendlich viel Kraft, aber er musste hier raus. Ganz langsam, sehr darauf bedacht den kleinen Hohlraum nicht noch mehr zu beschädigen, kroch der Dunmer der Öffnung entgegen. Dazu immer wieder dieser stechende Kopfschmerz, das Zittern und die bleierne Müdigkeit; Gleichzeitig war sein Innerstes unruhig, aufgewühlt und rastlos. Revan hatte diesen Moment stets gefürchtet, auch wenn er es niemals zugeben würde. Die Sucht und damit auch die Realität hatte ihn endgültig eingeholt.
Der jahrelange Konsum von billigen Rauschmitteln, für Mondzucker und Skooma fehlte ihm stets das Geld, hatte ihn schleichend in die Abhängigkeit getrieben. Die teuren Drogen wurden sowieso weiterverkauft oder benutzt, um seine Informanten gefügig zu machen. Trotzdem war der Dunmer in eine ähnlich schwache Position gerutscht. Die Sucht war wohl schon viel früher erkennbar, zumindest für seinen ehemaligen Mentor, dagegen hatte Revan sich selbst belogen und mit Alkohol alle Zweifel und Bedenken ertränkt. Diese Flucht hatte ihn nun in eine Sackgasse geführt, seine Position geschwächt und ihn verwundbar gemacht. Wie weit diese Schwäche der Konkurrenz bekannt war, konnte der Dunmer nicht abschätzen.
Es würde auch keine große Rolle mehr spielen, da die Thalmor ihn jetzt töten wollten. Meine Antwort war eindeutig. Das Revan dabei ausgerechnet von Faldil verkauft wurde, überraschte ihn mehr als er sich eingestehen wollte. In ein paar Jahren wollte ich seine Stellung einnehmen, weil der Alte sowieso nicht mehr lange durchgehalten hätte. Revan lachte, hörbar war nur ein trockenes Husten. Nun wird Faldil wohl doch länger durchhalten. Er ist gerissen genug um mit dieser neuen Möglichkeit noch viele Jahrzehnte zu überleben. Und wenn er dafür seinen Kopf in die Scheiße stecken muss, er würde es tun solange er dabei einen Vorteil erhält. Er schüttelte den Kopf. Räudiger Sohn einer Kanalratte.
Mit den wenigen verbliebenen Kräften kroch der Dunmer das letzte Stück vorwärts, ehe er den Blick nach oben richtete und zu seiner unendlichen Erleichterung die vielen winzigen Lichtpunkte am Firmament entdeckte. Sonst ein Ärgernis, da sie die Nacht erhellten, waren sie jetzt mehr als willkommen. Mit einem schwachen Lächeln legte Revan seinen Kopf auf etwas angenehm warmes und weiches und verharrte für die nächste Zeit in dieser Position, froh dass dieser Schutthaufen nicht sein Grab geworden war.
Nachdem er die kleine Euphorie bis zum Schluss ausgekostet hatte, wollte Revan den Schutthaufen endgültig verlassen. Er kroch noch ein paar Meter vorwärts, damit er aufstehen konnte. Dabei stieg ihm wieder dieser bestialische Gestank in die Nase. Jetzt aber nichts wie weg. Langsam kam der Dunmer wieder auf die Beine und warf einen letzten Blick zurück in den Schutthaufen....welchen er sogleich bereute. Durch das Licht der Sterne und Monde konnte er einen Körper mit einer großen Wunde am Rumpf erkennen und durch eben diese war eine erhebliche Menge Blut und Gekröse auf den Boden gesickert. Einer bösen Vorahnung folgend, fuhr Revan mit seiner rechten Hand über seinen Hinterkopf, nur um eine feuchte, weiche und irgendwie leicht zähe, warme Masse zu ertasten. Ganz langsam hob er seine Rechte in sein Blickfeld. Wie in Trance betrachtete er die Masse, unfähig auch nur irgendwelche Details zu erkennen, während die Aufmerksamkeit für seine Umgebung sofort in den Hintergrund trat. Nach einer gefühlten Ewigkeit realisierte Revan, was er da an der Hand hatte, auf was er kurz zuvor Momente des Glücks erlebte. Sein Geist wollte weglaufen doch sein Körper versagte nach wenigen Schritten den Dienst und da sein Magen längst nichts mehr hergab, ergriff wieder die Ohnmacht Besitz von ihm.
In der Ferne war das Kreischen von Möwen zu hören, dazu wehte ein frischer Wind durch die Gassen. Müde öffnete Revan die Augen und sogleich ließ der Wind ihn frösteln. Ein Blick in Richtung Himmel verriet ihm, dass ein neuer Tag bevorstand. Die Sonne sollte bald aufgehen. Zu seiner Überraschung war er noch am Leben, dabei war er fest davon ausgegangen keinen neuen Morgen mehr zu erleben. Ich sollte trotzdem von der Straße verschwinden, man weiß ja nie... Schwerfällig, diverse Trümmer als Stütze nutzend, kam Revan wieder auf die Beine, welche ihn jedoch zuerst kaum tragen wollten. Nach ein paar Minuten erachtete er seinen Stand als sicher genug um langsam einen Fuß vor den anderen zu setzen. Während er Straße folgte, beobachtete der Dunmer seine Umgebung, die genau so gut hätte ein Schlachtfeld sein können. Hinter ihm war die Taverne völlig ausgebrannt und diverse andere Gebäude waren ebenfalls den Flammen zum Opfer gefallen. Sofern einige Häuser und Lagerhallen das Feuer überstanden hatten, waren sie meist aufgrund der daraus folgenden Instabilität eingestürzt.
Leichen lagen erstaunlich wenige auf den Straßen, das Feuer musste sie alle überrascht haben. Diejenigen, die den Flammen entkommen konnten, waren augenscheinlich alle von Trümmern erschlagen worden. Bei dem Gedanken daran fröstelte es ihm und er hielt einen Moment inne um das Gefühl wieder abzuschütteln. Plötzlich war ein leises Schaben zu hören und kurz darauf ein widerliches Knacken, begleitet von einem dumpfen Aufprall. Völlig perplex schaute Revan zu der Stelle direkt rechts neben ihm. Etwa ein bis zwei Schritte entfernt, war ein größeres Trümmerteil von einem der wenigen Steingebäude im Hafenviertel aufgeschlagen. Der Dunmer bemerkte erst beim zweiten Hinsehen die vor dem Trümmerteil liegende Leiche, allerdings stimmte etwas nicht. Irgendetwas fehlt... Immer noch leicht benommen dauerte es ein paar Sekunden ehe Revan die Entscheidung, hier verweilt zu haben, sehr stark bereute. Bloß weg hier.
So schnell ihn seine wackligen Beine trugen, eilte der Dunmer dem Ende der Straße entgegen. An der Biegung zu einer angrenzenden Straße hielt er inne. Ich habe keine Ahnung wohin ich gehen soll. Mein bisheriges zu Hause wird streng bewacht sein, ebenso die meisten anderen Verstecke. Das er damit auch seinen gesamten Besitz einschließlich seiner Ausrüstung verloren hatte, war zwar ärgerlich, bereitete ihm momentan aber weitaus weniger Kopfschmerzen als seine Entzugserscheinungen und der ganze Rattenschwanz an Problemen, der durch die Ereignisse der letzten Nacht hinzu gekommen war. Unschlüssig stand Revan an einer Hausecke und schaute abwechselnd in alle Richtungen, als ob er hoffte ein Zeichen zu erspähen, dass ihm den Weg weisen würde. Tatenlos auf der offenen Straße zu stehen war keine gute Idee, zumal die Dunkelheit langsam dem Zwielicht des Morgens wich. Ein Gedanke manifestierte sich in Revans Kopf, der fortan seine Marschrichtung bestimmen sollte. Die alte Lagerhalle. Dieses Gebäude sah aus als stammte es noch aus der 3. Ära und die Konstruktion weigerte sich beharrlich, dem Zahn der Zeit nachzugeben. Zum Glück musste der Dunkelelf nur eine kurze Strecke zurücklegen bis er das Gebäude erreichen würde. Immerhin funktioniert mein Orientierungssinn noch.... Das alte Gebäude schälte sich langsam aus dem Zwielicht und dem Nebel hervor. Meine Rettung! Hier sollte ich untertauchen können. Zumindest wäre Revan lange genug in Sicherheit um den Schock des Verrats zu verdauen und um angemessen auf die neuen Gegebenheiten reagieren zu können.
Vorsichtig und mit zitternden Händen schob der Dunkelelf die Tür zur Lagerhalle auf. Drinnen war es etwas wärmer und trockener als draußen. Ein Kohlebecken spendete kümmerliches Licht. Langsam ging Revan auf die Quelle zu, nur um plötzlich zu erstarren. Die Tür ist sonst mit einem Balken verriegelt und es sollte auch kein Kohlebecken brennen.....Seine Augen weiteten sich vor Angst und ehe er reagieren konnte, wurde die Tür hinter ihm verriegelt und Schritte waren zu hören, die langsam näher kamen. Jetzt ist es aus.
„Sieh an, sieh an. Für einen verkümmerten Süchtigen bist du äußerst zäh.“
Revan's Haare stellten sich auf und ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken runter.
„Faldil“, entfuhr es ihm, allerdings war es kaum mehr als ein trockenes Krächzen.
„Revan Azarius“, antwortete der Waldelf lakonisch.
„Das Feuer in der Taverne hat meiner Meinung nach viel zu viel Aufmerksamkeit erregt, ganz zu schweigen davon, dass der Brand etwas außer Kontrolle geriet. Sei es wie es sei, durch deine Weigerung und Flucht mussten wir unsere Säuberung ein wenig vorverlegen. Jetzt wissen immerhin alle dass die Unterwelt der Kaiserstadt einen neuen Herrscher hat. Allerdings werden viele mit dem Wissen nichts mehr anfangen können, da sie bereits tot sind. Die Wenigen die noch Widerstand leisten, werden ihnen sehr bald folgen.“
Revan war unfähig einen klaren Gedanken zu fassen oder irgendetwas zu tun, er war vor Angst gelähmt. Sein äußerst geschwächter Körper verweigerte ihm den Dienst.
„Was ist los? Du bist so schweigsam. Keine Widerworte? Kein Flüche und Verwünschungen? Willst du nicht mal mehr um dein Leben kämpfen?“ Faldil schüttelte verächtlich den Kopf.
„Du hattest großes Potential. Allerdings hast du ein paar Fehler zu viel gemacht. Nun wirst du dafür bezahlen.“
Trotz des spärlichen Lichts konnte Revan ein diabolisches Grinsen auf dem Gesicht des Waldelfen erkennen. Dieser zog einen Dolch aus seinem Mantel und ging zum Angriff über. Revan versuchte noch sich zu verteidigen und konnte sogar dem ersten Stich noch ausweichen, allerdings war es zu wenig. Er sah die Klinge auf sich zufliegen, hob seine Hände zum Schutz und fühlte einen brennenden Schmerz, als das Metall seine Hand durchbohrte. Tausende Punkte tanzten vor seinen Augen, das Brennen wurde immer schlimmer und breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Gift. Danach verlor der Dunkelelf das Bewusstsein, um ihn herum nur noch eine tiefe, schwarze Leere.
Plötzlich wurde Revan unsanft aus der Leere gerissen. Nach Luft schnappend riss er die Augen auf und sah sich panisch um. Ein weiterer Schwall eisigen Wassers nahm ihm den Atem und er japste mehrere Male.
„Das reicht, ich denke jetzt ist er bei vollem Bewusstsein.“
Panisch sah sich der Dunkelelf um. Ich sollte längst tot sein. Er war an einen breiten Pfeiler aus Holz gefesselt. Wo bin ich? Der Raum wurde von mehreren Lichtkugeln erleuchtet, die über den Köpfen einiger Kapuzenträger schwebten. Ihrer Gesichter wurden durch den Lichteinfall in Schwärze gehüllt. Ansonsten standen noch mehrere Gestalten, Menschen, Mer und Tierrassen im Raum und schauten alle mit nervösen bis ängstlichen Gesichtern in seine Richtung. Eine edel gewandete Gestalt trat vor die Gruppe. Ohne ihr Gesicht zu sehen, wusste Revan sofort wer es war, nachdem die Person zu sprechen begann.
„Seht nun gut zu. Dieses Schicksal droht allen Unwilligen, Verrätern, Talos-Anbetern und sonstigen Widerständlern, die sich der zukünftigen neuen Ordnung widersetzten.“
Der Altmer drehte sich um und ging auf Revan zu.
„Nun, zu Schade, dass es so Enden muss. Ich sage nicht lebe wohl, denn auch wenn du jetzt sterben wirst, der Weg bis zu deinem Tod wir sehr lange und sehr schmerzhaft sein“, flüsterte Eraami.
Aus Revans Augen sprach die pure Angst, er war zu keiner Erwiderung fähig. Diese ganze Situation überforderte ihn. Mit einem diabolischen Grinsen fügte der Hochelf hinzu: „Und deine Seele wird auch nach deinem Tod keinen Frieden finden, dafür werde ich höchstpersönlich sorgen.“
War es bis vor wenigen Sekunden noch Angst gewesen, sprach nun das pure Entsetzen aus Revan und sein ganzer Körper versuchte sich gegen die Fesseln und sein drohendes Schicksal aufzubäumen.....allerdings war es umsonst. Er war zu schwach und sein Körper zu fest angebunden. Ich kann schreien, vielleicht hört mich jemand......ja ganz bestimmt wird mich jemand hören und hier rausholen.
„Hilfe....“
Was zuerst nur ein leises Krächzen war, wurde mit jedem Mal lauter. Die Angst und Panik war trotzdem deutlich hörbar.
„Hilfe........Hilfe.........Hilfe.......HILFE!“
„HIIILLFFEE!!!“
Mit einem tadelnden Blick betrachtete Eraami den Dunkelelfen.
„Oh, verzeiht. Ich vergaß euch das hier zu geben.“
Mit einem Kopfnicken trat eine weitere Gestalt aus den Schatten und schob Revan äußerst grob einen Knebel in den Mund. Seine Schreie waren nur noch ein sehr gedämpftes Murmeln.
„Fangt an....und nehmt euch die Zeit die ihr benötigt.“
Mit diesen Worten ging Eraami zurück zu der Gruppe und beobachtete gespannt das folgende Schauspiel, sofern man ihn fragte. Für alle Anderen dürfte es eher ein lebendig gewordener Alptraum gewesen sein.
Zwei komplett in Schwarz gekleidete Gestalten machten sich an Revan zu schaffen. Der Pfeiler stellte sich als drehbarer Seziertisch heraus und auf den Kutten meinte Revan im trüben Licht Totenbeschwörer-Zeichen zu erkennen. Sein ganzer Körper wollte nur noch weg, alles in seinem Kopf schrie nach Flucht, aber wohin? Wie sollte er sich befreien? Um ihr Objekt ruhig zu stellen verpassten ihm die Kutten eine Flüssigkeit die seinen Körper beruhigte, sein Geist war weiterhin wach und vollkommen klar. Nachdem sie ihre Utensilien ausgebreitet hatten, begannen die schwarzen Gestalten mit ihrer Arbeit.
Revan hatte mit vielem gerechnet. Mit Schlägen, Verletzungen, Folter. Jedoch rechnete er nicht damit, dass sie ihn bei lebendigem Leib untersuchen und sezieren würden. Die Gestalten gingen sehr behutsam vor. Sie arbeiteten sich akribisch von außen nach innen vor. Dabei waren sie sehr darauf bedacht, den Dunkelelfen solange wie möglich am Leben zu erhalten. Seine Schreie wurden von dem Knebel fast vollständig verschluckt. Revan konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, er konnte noch nicht einmal zu einer göttlichen Macht beten. Alles was er fühlte und an was er dachte waren reine Schmerzen.
Nach einer unbestimmten Zeit, es konnten Stunden oder Tage gewesen sein, ging die ganze Prozedur ihrem Ende zu. Die Zuschauer waren längst verschwunden, was Revan allerdings nicht wusste. Sein Brustkorb wurde schon vor einer gefühlten Ewigkeit geöffnet und die Gnade der Bewusstlosigkeit wurde ihm jedes Mal verwehrt. Immer wenn er vor Schmerzen ohnmächtig wurde, holten ihn die Nekromanten zurück. Selbst wenn sie jetzt aufhören würden, der Dunmer war gebrochen. Sowohl körperlich, als auch seelisch war er vollkommen zerstört. Völlig apathisch starrte Revan die Decke an, einen Gedanken konnte er schon längst nicht mehr fassen und auch seine Schreie waren verstummt. Der Schmerz war einfach nur noch da und erinnerte ihn höhnisch daran, dass er noch lebte. Nun trat Eraami wieder in sein Sichtfeld und legte ein längliches, schwarzes Ei neben ihn. Kurz darauf fühlte er eine seltsame Energie die seinen Körper umspielte und vollständig durchdrang. Nach einem kurzen Nicken seitens des Altmers setzten die schwarzen Gestalten zum letzten Akt an. Hände drangen in seinen geöffneten Brustkorb hinein und er fühlte neben dem Schlagen einen Druck auf seinem Herzen, wie es von einer Hand fest umschlossen wurde. Dann waren da noch kurz aufflammende Schmerzen und danach fühlte er gar nichts mehr. Das Pochen hatte aufgehört und die Dinge um ihn herum begannen langsam zu verschwimmen. Kurz bevor ihn die Schwärze endgültig umfing sah er ganz verschwommen etwas zuckendes vor sich, das von zwei Händen gehalten wurde. Ist das....mein Herz? Er seufzte und mit dem letzten Atemzug war sein einziger Gedanke: Endlich ist es vorbei...
Eraami sah wie der Dunmer sein Leben aushauchte und in dem Moment, mit dessen letztem Atemzug, entfaltete der Seelenfallenzauber seine Wirkung und die Seele des Dunmers wurde von dem schwarzen Seelenstein absorbiert. Der Altmer nickte zufrieden.
„Sehr schön, ein Hindernis weniger. Sagt, war diese Exkursion hilfreich?“
Die beiden Personen in den schwarzen Kutten nickten.
„Ja, Herr. Das war der Letzte. Unser Meister hat nun alles was er braucht.“
„Richtet ihm meine Grüße aus“, antwortete Eraami mit einem lächeln. Er wollte den Raum verlassen, als ihm noch etwas einfiel.
„Ach ja, Faldil?“
„Ja, mein Herr?“
„Du wirst diese beiden Gesellen dort begleiten. Ihr Meister hat wohl in Himmelsrand einige Probleme. Ich will dass du dich darum kümmerst. Gleichzeitig hast du als mein Vertreter vor Ort erweiterte Befugnisse. Den Rest erfährst du oben, folge mir.“
„Ja, mein Herr.“
Raschen Schrittes verließen beide den Raum und nachdem die schwarzen Gestalten alles gereinigt und verpackt hatten, gingen sie ebenfalls nach oben. Um die Sauerei würde sich gleich jemand kümmern...
Geändert von Skyter 21 (02.10.2016 um 16:45 Uhr)
Grund: Verlinkung eingefügt.
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