Eine Weile noch blieb Goliath bei den anderen Schafen stehen und malte sich in einem kleinen Tagtraum aus, wie er den nur allzu verdreckten Mike mal mit einem wirklich kräftigen Stoß ins kalte Nass des Düstersees befördern würde und sich bei diesem Dreckspatz endlich mal wieder ein Hauch von weißer Wolle zeigen würde! "Zum Glück gibg es keine andere Heide mit Schafen nebenan, die ihn so sehen könnten, das wäre wohl für die ganze Herde ein peinlicher Moment", dachte sich Goliath im Stillen.

Dann hörte auch Goliath auf einmal den lauten Pfiff aus Wolkes Maul und neugierig wackelte er zu dem großen wollenen Schaf hin, verfolgt von den Blicken aller anderen Schafe, die ebenalls Wolkes Ruf vernommen hatten. Am alten Apfelbaum angekommen, sah er auch schon das kleine Nest mit den beiden Eiern, das ungeschützt vor dem Apfelbaum lag und bestimmt bald von einem unvorsichtigen Schaf kapuut getreten oder gar aufgefressen werden würde, sollte es nicht schnellstmöglich wieder ganz hoch auf den Baum nahe den Wolkenschafen kommen. Vorsichtig schnupperte Goliath an den kleinen Eiern, die einen seltsamen braunen Farbton angeommen hatten und sah sich intensiv das Geflecht aus Zweigen an, aus denen das Nest geflochten worden war.

Als Wolke ihm erklärte, dass ausgerechnet er sich durch den hohlen Baum nach oben zwängen sollte, um das Nest auf einen sicheren Platz zu legen, so zierte sich Goliath keinen Moment, dieser Bitte nachzukommen. Natürlich würde er keine Bitte von Wolke ausschlagen, zumal er sich davon viele viele Kuscheleinheiten und lange spannende Gute-Nacht-geschichten erhoffte, doch vor allen Dingen, weil er auch wiedermal unter Beweis stellen wollte, wie unglaublich mutig er war und kein Risiko scheute, nicht zuletzt um damit auch Glöckchen ein wenig zu imponieren, auch wenn er sie in diesem Moment leider nicht sehen konnte.

Der Apfelbaum stand dort in der Mitte der Heide schon seit sehr vielen Wintern, lange vor Goliaths Geburt. Die vielen Ringe am Baumstamm zeugen von einem hohen Alter, was man vor allem am Inneren des Stammes sehen konnte, denn diesr war im verlauf der Jahre immer weiter ausgehöhlt worden durch eine unsichtbare Kraft. Von einem Astloch am Fuße des Baums konnte man durch den schmalen hohlen Schacht mit ein wenig Mühe und Kraft weiter nach oben bis unterhalb der Baumkrone gelangen, von wo ein weiteres Astloch wieder hinausführte. Trotz dieser Tatsache wuchsen dennoch jedes Jahr an diesem Baum die größten und herrlichsten Äpfel weit und breit, um welche andere Tiere die Schafe nur beneiden würden!

Etwas Anlauf und zwei Versuche waren nötig, bis das kleine Lamm auf dem untersten Ast stand, um in den hohlen Baum zu gelangen. Ein größeres oder schwereres Schaf hätte zweifellos Probleme gehabt, die Balance halten zu können, ohne dass ihm der Ast unter den Hufen wegbricht. Goliath hoffte, dass es noch lange Zeit dauern würde, ehe er ebenfalls so groß oder schwer sein würde, denn sonst könnte er auch gar nicht mehr so wil herumtoben wie früher. Mithilfe der kleinen Astgabel konnte Wolke ihm das Nest an dessen Position reichen. Mit viel Gefühl und einer sehr langsamen Bewegung senkte Goliath seinen Kopf und versuchte, das kleine Nest zwischen seine Hörnerchen zu nehmen un rutschfest einzuhaken, damit es während des Kletterakts nicht plötzlich von ihm herunterfiel.

Vorsichtig betrat das Lämmche den Baumstamm, der aufgrund der sich senkenden Sonne recht düster aussah. Von oben fiel ein kleiner Lichtschein aus dem Astloch ganz oben hinein und nach wenigen Augenblicken ließen sich die leichten Konturen der runden Stammwand erkennen. Leise Schrittgeräusche machten Goliath darauf aufmerksam, dass er nicht alleine war, doch vermutlich handelte es sich eh nur um Ameisen und kleine Tierchen, die vermutlich große Angst vor dem ungebetenen Gast haben mussten. Die Wand war nicht glatt, sondern ziemlich rauh und uneben, übersät mit kleinen Kerben und Einbuchtungen. Es war nicht das erste Mal, dass sich ein Schaf hier hineingewagt hatte. Mit dem Kopf stets geradeaus gestreckt, um die Eier nicht womöglich fallen zu lassen, versuchte Goliath, sich mit seinen Hufen Halt zu verschaffen und erklomm langsam aber stetig den Stamm. Der Baum war recht hoch, und so musste selbst Goliath ein zwei mal kräftig Schnaufen und sich zusammenreißen, um nicht herunterzustürzen...

Nach einer für ihn schier unendlichen Weile kam Goliath endlich am oberen Astloch heran und er konnte schon wieder den blauen Himmel sehen. Mit etwas Schwung befreite er sich aus seiner unangenehmen Lage und mit etwas Elan landete er auf dem großen breiten Ast. Durch die vielen Blätter sah er zunächst nur wenig, doch dafür genoß er den kühlen Wind hoch oben und verspürte ein Gefühl von Freiheit! Nach einem geschickten Wendemanöver glitt er über die Baumkrone hinweg Richtung Osten, zu einem der höchsten Äste das Baumes, der noch einigermaßen stabil war. Mit schmalen und behutsamen Schritten tappte er den Ast entlang, bis dieser langsam schmaler wurde. Vor ihm lag nun ein dichtes Geäst aus zahllosen kleinen weigen und dünneren Nebenästen, einem idealen Ort für das kleine Vogelnest!

Wieder senkte Goliath seine Kopf und löste das Nest von seinen Hörnern. Sanft gleitete es hinab auf die kleinen Ästchen, bis es einen sicheren Halt hatte. Von hier aus würden die Wolkenschafe darauf aufpassen und jemand wie Mike hätte bestimmt keine Chance, so einfach an die Eier zu gelangen! Zufrieden über die getane Arbeit hopste Goliath zurück über die Baumkrone zum großen Astloch, doch diesmal wollte er sich nicht wieder durch den hohlen Baumstamm durchquetschen, seine Rückkehr sollte schon etwas eleganter und verwegener ausfallen!

Nicht ganz ungefärhlich und mit einem wirklich großen Satz sprang Goliath von dort oben hinunter und landete im hohen Bogen auf der Wiese, wo er zunächst lautstark zur Seite hin umplumpste. beinahe hätte man meinen können, er hätte sih ernsthaft etwas weh getan, doch dann rappelte er sich wieder auf und schüttelte sich so gut wie möglich den Dreck ab, ehe er wieder zu Wolke lief, der ihn die ganze zeit nicht aus den Augen gelassen hatte...