Gisulf stirbt!
Mehrere Enden stellten mich vor eine gehörige handwerkliche Herausforderung, denn sie müssten sowohl hinreichend anders sein, um überhaupt den nötigen alternativen Spaß bieten zu können, zugleich aber wiederum in etwa gleichwertig unterhaltsam sein, andernfalls produzierte mindestens eines Enttäuschungen. Das würde mich auf eine sehr, sehr vorausschauende Spielregie verpflichten, denn mit einem Ende, das ganz zum Schluss hingeknallt wird, ist es ja nicht getan. Vielmehr müsste die Erzählung darauf hinleiten - bei zwei möglichen Enden ergäbe das zwei parallel zu führende Erzählungen. Ich müsste also neben den bisherigen Abwägungen einer halbfreien Spielwelt und ihren kleinen Herausforderungen (Wenn der Spieler etliches in beliebiger Reihenfolge machen kann, wie struktiere ich dann die Handlung, damit die Geschichte nicht völlig untergeht?) noch zusätzlich jeweils die die sich aufaddierenden Gesinnungszustände berücksichtigen. Ist Gisulf jetzt schon ordensaffin beziehungsweise hexenhörig?
Damit nicht genug: Machte ich das Ende von den Spielerentscheidungen abhängig, reichten ein ordenstrenger und ein hexenlässiger Pfad nicht aus. Ich bräuchte mindestens drei Enden, denn die Spielerentscheidungen können sich ebenso gut zu einem fröhlichen Mal-so-mal-so summieren; also eine dritte Erzählung mit passendem Finale. Jeder Kontakt mit Gesprächspartnern, jede Interaktion mit der Umgebung müsste bei so einem Spielzuschnitt auf Gisulfs aktuellen Gesinnungszustand abgeklopft und mit entsprechenden Verlaufszweigen ausgestattet werden. Es kämen nicht einfach drei Bearbeitungsgegenstände hinzu - also dass statt 10 Arbeitsschritten nun halt 13 nötig würden -, nein, der Aufwand verdreifachte sich, aus 10 würden 30.
Viel Arbeit. Gut, anderes ist auch aufwändig und ich mache mir die Arbeit trotzdem. Der Aufwand allein ist noch kein absolutes Kriterium. Aber er muss sich lohnen, der Nutzen muss dazu im Verhältnis stehen. Und spätestens hier beginnt es zu wackeln. Ich mag nämlich gar keine alternativen Enden. Mein Geschmack bevorzugt es, wenn es DIE Geschichte gibt. Gelingt die Mission? Was wird aus den Helden? Was passiert wann und warum währenddessen? Und am Ende gibt es ein Finale, in dem alles verbindlich zusammengeführt wird. Für mich ist das befriedigender. Auch, weil ich es auch Büchern so gewöhnt bin ("Blättern sie jetzt zur Seite 95, falls sich Hamlet umbringen soll oder lassen Sie ihn leben und lesen auf S. 127 weiter"). Aber auch, weil ich parallel geführte Geschichten als zaghafte Buffetangebote beargwöhne.
Wolfenhain wird genau ein Ende haben. Durch die Entscheidungen während des Laufs auf dieses zu hat es der Spieler in der Hand, auf welchen Wegen und mit welchem Stil er dorthin gelangen möchte. Mehr Konzessionen an postmoderne Unentschlossenheiten gibt's nicht.