Ich find Leute in dem Moment unheimlich dämlich, wenn sie sich aus irgendeiner Modehaltung heraus in eine pseudophilosophische Krise stürzen, à la "Zwischen zwei Individuen kann es niemals zu vollständigem Verständnis kommen.", die sich damit so allein gelassen und verloren vorkommen und erstmal einen auf mega tiefgründig und an der Welt scheiternd machen. Die dann aber nicht den Schritt weiter gehen können und verstehen, dass es allen so geht und sie deshalb konsequenterweise auch nichts vollständig hintersteigen. Die einen dann noch verurteilen für Dinge, zu denen sie keinerlei Vorwissen haben, nachdem man sich tagelang mit ihrer aufmerksamkeitsgeilen Pseudokrise beschäftigt hat.
Ich habe da also diesen einen Kommilitonen, mit dem ich mich in den letzten Monaten ziemlich stark angefreundet habe. Der hat sich Ende Mai auf Antidepressiva und Schmerztabletten betrunken und dazu gekifft, ist in eine paranoid-schizoide Psychose gerutscht und kam für eine Weile mit der Diagnose "bipolare Störung" in die Psychiatrie, war zwischendrin mal wieder draußen mit einer unheimlich auffälligen manischen Phase, ist jetzt wieder eingewiesen. Ich habe die Sache schonmal durch, ich weiß, dass ich damit nicht umgehen kann (mindestens ein zweites Mal nicht), ich habe festgestellt, dass mich allein schon die ersten Anzeichen völlig mitgenommen und aus der Bahn geworfen haben, dass mich das an Sachen erinnert, an die ich nich erinnert werden möchte, kurzum, ich komme damit nicht klar und habe deshalb den Kontakt abgebrochen.
Darüber muss natürlich die ganze Welt völlig bestürzt sein, wie kann man denn und man muss doch und überhaupt, denn immerhin. Und da kommen eben die Leute, die meinen, was äußerst wichtiges von der Welt erkannt zu haben (das seit gefühlten 1500 Jahren stiller Konsens ist) und die zu allem übel auch noch einer Linguistikschule und einer Gesellschaft angehören, die beide dezidiert davon ausgehen, dass der Mensch nur aus sich heraus handelt, die sich für Nietzsche-Kenner halten, die ihr ganzes Leben derart geringe Übel durchgemacht haben, dass sie nicht mehr zum bedauern haben, als dass sie aus Arbeiterfamilien stammen und wie schlimm das doch ist und was für ein Glück ich mit meinem diplomierten Vater habe. Die kommen also und schwingen prätentiöse Moralkeulen. Wie kann man nur und man muss doch und überhaupt, denn immerhin.
Von nix ne Ahnung haben, außer davon, wie sprachliche Prozeduren funktionieren und wie man cum control praktiziert, aber die Fresse aufreißen und irgendeine Freundschaftsmoral raushängen lassen, obwohl man selbst viel zu sehr mit Rumvögeln und Schwafeln beschäftigt ist, um irgendeine halbwegs ernsthafte zwischenmenschliche Beziehung aufrecht zu erhalten. Die Fresse aufreißen und irgendeine Moral über zwischenmenschliche Verpflichtungen raushängen lassen, obwohl man seine letzte Beziehung beendet hat, weil man zu viel Foucault gelesen hat und meint, da irgendwas verstanden zu haben (like, look at me, I'm soooo sophisticated!!), das einem sagt, dass man ein anderes Leben führen muss. Keine Ahnung von der Welt haben, aber einfach mal die Fresse aufreißen.
Und wenn's wenigstens nur der eine wäre. Nein, da muss natürlich jeder sein Urteil zu abgeben, denn wir kann man denn und man muss doch und überhaupt, denn immerhin. Ich mit der Weltformel, dem alles zufällt und der mit allem so gut klarkommt. Ich glaube langsam, Jesus hat Selbstmord begangen, nur um dieser scheiß Hilflosigkeit der Leute zu entkommen, die ihn für alles verantwortlich machen wollten.
Ja, ich hab mich grad mit Jesus verglichen. Ich darf das, schließlich wird man mich morgen fragen, warum ich noch nichts gegen den Welthunger unternommen habe und weshalb ich die letzten Tage nicht mit dem Fahrrad zur Uni gefahren bin, ob ich mir denn nicht meiner gesteigerten Verantwortung gegenüber der Menschheit bewusst sei. Und überhaupt, denn immerhin. Mir wächst Gras aus den Taschen.
@Gala
Bevor du nachfragen musst: Meine Mitbewohnerin hat sich für 40 Euro einen Sitzsack mit 600 Liter Styropor-Füllung bestellt und das Ding im Flur befüllt. Dort liegen seit heute Mittag geschätzte 50 Liter Styropor-Kügelchen herum und dümpeln vor sich hin, ich vermute, die Katzen haben inzwischen davon gefressen, Madame ist im Kino. Ich will ich aber nicht beschweren, habe sogar eine Weile darüber nachgedacht, mir spontan so einen Kinderstaubsauger zu besorgen, bei dem der gefangene Dreck im Innern sichtbar ist, dann hätte ich nämlich was zum Spielen gehabt. Außerdem bekomme ich wohl ihr Sofa, wenn die Sitzsäcke ihr gefallen. (Oh, habe ich erwähnt, dass sie einen zweiten bestellt hat? Den ersten hat der Paketbote in einem Paket her hoch gehievt, das in etwa so fett war wie steels Mudda. Ich erwarte Schmerzensgeldforderungen und erneute Flurverstyroporisierung.)
Zitieren