Zitat Zitat von IronChef Beitrag anzeigen
Sensibilisierung kann natürlich äußerst hilfreich sein, wenn sie nicht in Voreingenommenheit und Befangenheit umschlägt. Was jedoch in meinen Augen keinesfalls sinnvoll ist, ist das verschließen von Diskursen nach Gruppenkonstruktionen, deren Grenzen zu überwinden und Konstruktion offenzulegen doch eigentlich das Ziel der meisten Gleichberechtigungsdiskurse ist. Solche Grenzen werden lediglich verhärtet, spricht man Personen, die man nach seiner eigenen soziokulturellen Weltkonstruktion nicht dazuzählt, die interpretatorische Freiheit und Fähigkeit betreffender Werken ab.

Um es mal an einigen plakativen Beispielen festzumachen: Ich muss nicht jüdischer Abstammung sein um „Mein Kampf“ als antisemitischen Schund auszulegen, genauso wenig muss ich eine Frau sein um Positionen zur gesellschaftlichen Rolle der Frau aus Marlene Haushofers „Die Wand“ herauszuarbeiten oder in der Internationalen tätig gewesen sein um die Stellung der „Ästhetik des Widerstands“ zur Internationalen zu erarbeiten, deren Autor selbst nichts persönlich mit dieser zu tun hatte.

Natürlich kann es wichtig sein, zu verorten aus welchem Blickwinkel ein Interpret ein Werk betrachtet, aber worin liegt der Sinn Aussagen generell die Bedeutung abzusprechen auf der Grundlage, dass der Aussagende nicht die Gruppenzugehörigkeit besitzt die man ihm nach den eigenen Vorstellungen abverlangt. Und werden Aussagen über Werke bereits alleinig dadurch gehaltvoller, dass der Interpret sich selbst in einer Gruppe verorten kann?

Natürlich kann(!) unter Umständen darüber eine gewisse Souveränität bei der Verknüpfung eines Werks mit unserer sozialen Wirklichkeit gewonnen werden, aber sämtliche anderen Interpretationen erfahren dadurch doch keine automatische Abwertung zur Nichtigkeit und es sollte zudem nicht vergessen werden das bei einer Werkinterpretation zunächst einmal auch die werkimmanente Welt betrachtet werden muss, bevor man Aussagen über deren referentielle Wertigkeit und Einordnung zu unserer Wirklichkeit trifft. Diskurse werden über Argumentation und Gegenargumentation und das Verhandeln des Gehalts von Aussagen und nicht primär die, selten überhaupt praktikable, Einordnung des die Aussage Treffende zu einer Gruppe vorangetrieben.
Ich stimme dir darin zu, dass bestimmte Menschen nicht generell aus dem Diskurs ausgeschlossen werden sollten, nur weil sie nicht der Gruppe, in der es um den Diskurs geht angehören.
Allerdings bin ich einfach nur der Meinung, dass die Menschen, die tatsächlich betroffen sind, ein höherer Stellenwert im Diskurs zugestanden werden. Bemerkt eine Person mit anderem ethnischer Zugehörigkeit als man selber einen rassistischen Kommentar in einem Medium, liegt es nicht an mir zu sagen, dass das nicht rassistisch ist.
Es kommt leider nur zu häufig vor, dass Diskussionen zu bestimmten Themen, von Menschen geführt werden, die nichts mit diesem Thema zu tun haben und deswegen auch keine Entscheidungsmacht darin besitzen sollten.
Ein gutes Beispiel dafür ist, dass der Diskurs der Autonomität des Körpers der Frau in den USA (bezogen auf Abtreibungslegalisierung, Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsvorsorge), zum Großteil von Männern gehalten wird, die in diesem eigentlich keinen Platz finden.
Bestimmte Themen können manchmal auch nur behandelt werden, wenn man die Aussagen der betroffenen Gruppen mit einbezieht oder vielleicht auch nur als Zuhörer fungiert um dadurch Informationen zu sammeln, die man vielleicht später benutzen kann um dem Thema wertvollere Aussagen hinzuzufügen.

Wie ich sagte, wird jeder Konsument ein Medium anders interpretieren, es es eben immer eine persönliche Reise ist. Das sollte aber nicht dazu führen problematische Themen, die in dem Medium auftreten einfach von der Hand gewiesen werden sollten, weil man diese nicht so wahr nahm.
Zum konsumieren gehört oft auch eine kritische Auseinandersetzung und diese wird manchmal auch dadurch angefacht, dass man andere Interpretationen in Betracht zieht. Leider stolpere ich all zu oft, darüber, dass gewisse Blickwinkel einfach vom Tisch gefegt werden, einfach weil man selber das nicht so sieht.