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Provinzheld
Himmelsrand, Helgen
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Noch ehe Vesana wirklich realisierte, was gerade geschah, schnitt erneut ein Pfeil durch die Nacht, erwischte einen weiteren Berittenen, der gerade nach dem Schild an der Seite seines Rosses langte. Auch er verschwand in einer Woge aus weißen Flocken, als er von seinem Reittier glitt. »Hinterha-«, weiter kam der gerüstete Reiter nicht, bevor Vesa aus ihrer Schockstarre schnappte, eingefroren mit dem gespannten Bogen in den Händen, und die eiserne Spitze auf ihn richtete. In Aelas Strategie einsteigend, ließ sie die Sehne todbringend vorschnellen. Das Geschoss bohrte sich dem Befehlsführer durch den Hals, erstickte seinen Ruf in Gurgeln und ein weiterer Pfeil in die Brust aus der Richtung der Nord bereitete seinem Leiden ein jähes Ende.
Doch inzwischen hatten die übrigen vier Berittenen und ihre Begleiter zu Fuß die Gefahr erkannt. Ohne, dass es irgendwelcher Befehle bedurfte, rotteten sich die Männer zusammen, rückten die Schilde aneinander und versteckten sich hinter ihnen. Die Kommandanten schwangen sich aus ihren Satteln, versteckten sich hinter dem Schildwall und gaben aufgrund der Nähe zu ihren Untergebenen nun leiser Anweisungen, die Vesana von ihrer Position aus nicht mehr verstand. Ihre Waffe senkte sie nach drei vergebens entsendeten Pfeilen, die surrend im Holz der Schutzwaffen stecken geblieben waren. Einen hatte sie noch am Arm erwischt, aber insgesamt reagierten die Mitglieder der Hand schneller, als es den drei Gefährten lieb sein konnte. Auch die Nord im anderen Haus sparte ihre Munition nun auf.
Unruhig wanderten die Augen der Kaiserlichen über die Szenerie, betrachteten die wie ängstliche Hasenjunge im Bau zusammengekauerten Sklaven hinter den Karren, wie sie sich duckten und furchtsam sich nur hin und wieder einer von ihnen traute den Kopf zu heben um die Umgebung zu sondieren. Den Karrenführern war es gelungen sich mit hinter den Schildwall zu retten. Egal ob sie bei den Männern auf den Kutschböcken lagen, oder sich doch in den Händen der Offiziere befanden, die Schlüssel zum Öffnen der Eisenschellen der Gefangenen befanden sich weit außerhalb der Reichweite der Angreifer. Knurrend und einen Schwall Zornesröte in die Ohren steigen spürend schlug die Jägerin mit der Faust gegen den Balken, auf dem sie hockte.
Im selben Moment sandten die Kämpfer auf der Straße ein militärisch klingendes »Huah!« aus und mit dem nächsten Herzschlag löste sich eine kleinere Gruppe von ihnen, die ovalen, hohen Schilde in Aelas Richtung weisend. Vier oder fünf mochten es sein, drei in der ersten Reihe, die ihre Schilde nebeneinander in eine Mauer schichteten, die zwei dahinter hoben ihre quer über die anderen. Wenn überhaupt noch Lücken blieben, selbst die Rothaarige wäre wohl nicht in der Lage gewesen sie zu treffen.
Unruhig scharrte die Kaiserliche mit den Zehen in ihren Stiefeln. Augenscheinlich war ihre Anwesenheit noch nicht bemerkt worden, sonst bekäme wohl auch sie einen ähnlich unerfreulichen Besuch. Diesen Vorteil musste sie ausnutzen, wenngleich sie noch keine Gelegenheit sah, dies tatsächlich umzusetzen. Andererseits mochte sie von ihrem Unterschlupf aus Aela Rückendeckung geben, denn mit fünf Widersachern zur gleichen Zeit wäre wohl auch sie überfordert. Aber weiter kamen ihre Überlegungen nicht. Der Wall aus Schilden, der als Viertelkreis geformt sowohl der Jägerin, als auch der zweiten Bogenschützin die Sicht auf Ziele versperrte, teilte sich in der oberen Reihe. Zum Vorschein kamen blitzende Metallspitzen und noch während Vesana blinzelte, vernahm sie bereits das markante Zischen langer, federbesetzter Schäfte. Ein schneller Blick verriet, dass die Gruppe der Silbernen Hand einige Bogenschützen dazu abgestellt hatte, das Versteck der Nord unter Beschuss zu nehmen. Während sie nachluden, versteckten sie sich hinter den großen Brettern ihrer Kumpane und machten es so unmöglich für Aela, sie zu treffen.
Es half nichts. Mit einem derart verschobenen Kräfteverhältnis blieb der Kaiserlichen nichts anderes übrig, als ihrer Gefährtin zu helfen. Während sich die Gruppe der fünf Nahkämpfer dem Gebäude, in dem sich die Rothaarige verbarg, immer weiter näherten, belagerten die Schützen das Haus Salve um Salve. Bei der vierten hatte Vesana den Rhythmus verinnerlicht und bereits angelegt. Noch bevor sich die Schilde auseinanderschoben, kaum mehr als den Bruchteil eines Herzschlages machte der Zeitunterschied aus, sandte sie den ersten Pfeil davon. Kaum, dass dieser sein Ziel seitlich am Kopf traf, lag auch schon das nächste Geschoss auf der Sehne und fauchte durch die Nacht. Erst als auch dieses tödlich einschlug, erkannten die Schergen der Silbernen Hand die Gefahr und verschanzten sich abermals, ohne sich erneut zu entblößen.
Im Augenwinkel erkannte Vesa einen schnell durch die Nacht huschenden Umriss, der quer über die Straße spurtete, ehe die blitzenden Rüstmänner ihn erreichen konnten. Aela war ihrer Falle entkommen und lenkte sie nun in die Richtung von Skjor. Für einen kurzen Moment erlaubte es sich die Kaiserliche die Augen zu schließen und aufzuatmen. Scharfes Pfeifen auf Kopfhöhe und hochfrequentes Vibrieren, als erste Pfeile im Holz der verkohlten Balken einschlugen, schreckten sie jedoch hoch. Nun war sie zum Ziel geworden und es blieb nicht viel Zeit zum Reagieren.
Schnellstmöglich schnappte sich die Jägerin ihren zweiten Köcher und schwang sich von ihrem Horst hinab. Die Kapuze nach hinten vom Haupt rutschend, spürte sie gleich darauf den Lufthauch eines schnell an ihr vorüberschwirrenden Geschosses am Hinterkopf noch während sie ins Erdgeschoss fiel. Wuchtig schlug sie auf, die Beine ächzten als der Aufprall sie stauchte. Doch mit Glück war sie dem Projektilhagel entgangen, der noch anhielt, aber nun über ihr tobte. Herzschlag bis zum Kinn und stoßweiser Atem raubten ihr die Klarheit der Gedanken, Instinkte übernahmen und steuerten sie durch die Dunkelheit auf die Gasse hinter ihrem Haus hinaus. Unschlüssig, in der Hocke wartend und der Blick von links, auf den Stadtwall gerichtet, nach rechts über die kleinen, ruinierten Schuppen bis zum Ende der Gasse schweifen lassend, harrte sie einen Moment und versuchte die Aufregung niederzuringen.
»Habt ihr ihn?«, vernahm Vesana nun zum ersten Mal seit Beginn des Überfalls wieder einen der Anführer rufen. Seine harsche Stimme dämpften die alten Balken und Wände der Ruine in Vesas Rücken.
»Nein«, antwortete ein anderer Kerl nicht minder laut.
»Lasst ihn und kommt zurück. Der ist nicht allein«, brach der Erste ihre Verfolgungsaktion ab, augenscheinlich gerade rechtzeitig, bevor sie Skjor in die Arme laufen konnten. Wütend grollend schlug die Jägerin mit den geballten Fäusten in den tiefen Schnee, verlor kurzzeitig sogar ihren Bogen aus den Fingen und fischte plötzlich federleicht im Magen wild nach ihrer Waffe. Tief ein- und ausatmend beruhigte sie sich selbst, als sie sie schließlich zu fassen bekam.
Bevor ihre Widersache in Versuchung gerieten, doch noch die Verfolgung zu ihr aufzunehmen, setzte sich Vesana wieder in Bewegung, huschte zurück in das Haus, in dem sie zuvor bereits ausgeharrt hatte, und arbeitete sich anschließend parallel zur Straße durch die Ruinen. Ein kurzer Seitenblick durch eines der Fenster verriet, dass die fünf Streuner langsam rückwärts zur Hauptgruppe aufschlossen, dann verschwanden sie auch schon wieder hinter einer pechschwarzen Holzwand und Vesa stolperte beinahe noch wegen der kurzen Ablenkung.
Plötzlich packte sie jemand am Arm und riss sie schmerzhaft zur Seite. Fast hätte sie vor Schreck laut aufgeschrien als ihr das Herz in der Brust zersprang, doch noch im selben Augenblick presste ihr jemand einen stinkenden Lederhandschuh auf den Mund. Erst danach erkannte die Kaiserliche mit weit aufgerissenen Augen das raue Gesicht des Einäugigen in der Dunkelheit. Ohne, dass es einer Geste ihrerseits bedurfte, nahm er seine Pranke von ihr. Aela trat hinter ihm aus den Schatten. »Vesa, klettere über die Schuppen und die Palisade aus Helgen. Aela und ich lenken sie ab, während Du durch das Tor schleichst und die hintere Gruppe Sklaven befreist«, erklärte Skjor, die Stimme so weit gedämpft, dass sie sie über dem Rauschen in ihren Ohren beinahe nicht mehr verstand.
Widerspruchslos nickend machte sie sich auf. Schnell huschte sie durch die Schatten, auf die Nebenstraße und anschließend, mit einem beherzten Tritt gegen einen der Stützbalken, katapultierte sie sich in den Dachstuhl eines der Schuppen. Noch im selben Augenblick spurtete sie einen der Sparren hinauf zum First und auf der anderen Seite wieder hinab, nahm einen tiefen Atemzug und sprang. Im Moment der scheinbaren Schwerelosigkeit frei, wie von tausend Bienen im Bauch getragen, segelte die Kaiserliche durch die pechschwarze Nacht, dann trafen ihre Füße auf die dicken Holzpfosten der Palisade, bekamen ihre Hände deren obere Enden zu fassen. Beinahe wäre sie abgerutscht als die Finger der Rechten an einer überfrorenen Stelle keinen Halt fanden, doch krallte sich die Linke dafür umso fester am alten Holz fest. Das Leder knirschte, die Sehnen im Arm ächzten und die Schulter stach, doch nachdem die Jägerin die Füße nachgesetzt und mit den abgeglittenen Fingern erneut an die Pfosten griff, erledigte sich dieses Problem. Schnaufend, mehr schon animalisch grollend, hievte sie sich hoch und schwang sich über den Schutzwall.
Als sie sich auf der anderen Seite hinuntergleiten ließ, verschwanden auch die neu aufgekommenen Rufe der Silbernen Hand. Zurück blieben ihr stakkatoartiger Atem und das Krampfen in der Brust. Schnell pirschte sie durch den Schnee dicht an die Palisade geduckt und umrundete das ruinierte Dorf bis irgendwann vor ihr schwacher Lichtschein auftauchte. Die Aura der Laternen, die durch das geöffnete Stadttor in die Wildnis drang wie das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels. Mit sich bringend das Gefühl von Erleichterung, das von der aufkeimenden Furcht vor dem, das auf der anderen Seite lag, vergiftet wurde: Der Tod.
Vesana festigte ihren Griff um den Bogen und presste den Rücken gegen die grobe Steinmauer des Torhauses. Immer wieder vernahm sie das scharfe Surren als Pfeile durch die Luft schossen, hörte, wie sie foppend irgendwo stecken blieben – ob Schilde oder Holzbalken spielte keine Rolle, schmerzhaftes Geschrei blieb allemal aus. Kurz schloss sie die Augen, atmete durch die Nase mehrere Male tief ein und aus, dann schob sie vorsichtig das Haupt um die Ecke, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Völlig verstört kauerten die Sklaven des hinteren Wagens soweit möglich in dessen Schutz. Über die Plane auf dem Karren hinweg erspähte sie den Hauptpulk von Kämpfern der Hand. Die Schilde zu einem dichten Wall verengt sahen sich die in ihrem Schutz kauernden und zum Schießen aufstehenden Bogenschützen kaum einer Gefahr ausgesetzt. Unwillkürlich glitt ihre Linke hinauf zum Köcher, wollte einen weiteren Pfeil zücken und auf die Sehne legen, doch liefe dies ihrem eigentlichen Plan zuwider und so musste sich die Kaiserliche zähneknirschend und mit schmerzhaften Stechen im Bauch zurücknehmen. Auch noch dann, als ihr Blick auf die zweite, kleinere Gruppe von Gerüsteten fiel, die sich ebenfalls mit Bogenschützen in ihrer Deckung immer weiter auf Skjor und Aela zubewegte, während Pfeile aus beiden Richtungen über ihre Köpfe hinwegschossen.
Die Fäuste geballt huschte die Jägerin aus ihrem neuen Versteck hinaus auf die Dorfstraße und möglichst schnell zu den Gefangenen hinüber. Heftig zuckten diese zusammen, als sie bei ihnen eintraf und mit auf die Lippen gelegtem Zeigefinger und abwehrend gehobener Rechten zu bedeuten gab, dass sie keine Bedrohung darstellte, jedenfalls nicht direkt. »Darius?«, flüstere sie, der Mund in Hoffnung leicht offenstehend, doch erntete sie zunächst nur irritierte Blicke und musste auch selbst mit unangenehmem Ziehen in den Eingeweiden feststellen, dass sie unter den sicherlich fünfzehn, oder vielleicht auch mehr, Gesichtern kein ihr vertrautes ausmachte. »Wo ist der Schlüssel?«, fragte sie einen Moment später und gab sich kaum Mühe ihre Verstimmung zu verbergen. Niemand antwortete ihr. »Wollt ihr frei sein?«, zischte sie letztlich und packte den ihr nächsten am Kragen seiner abgewetzten Kleidung.
»D-d-der K-K-Kutscher hat ihn«, gab der zurück und deutete irgendwo in eine nahe Ruinen hinein.
»Ist er allein?«
»Es sind beide Kutscher dort«, erwiderte nun ein anderer.
»Wenn ihr frei sein wollt, kämpft darum«, knurrte die Kaiserliche, sandte einen langen Blick in die Runde und huschte anschließend in einem Moment, in dem die nahen Streiter der Hand damit beschäftigt waren, Aela und Skjor mit einer Salve Pfeilen einzudecken, auf die Ruinen zu. Mit den Zähnen zusammengebissen versuchte sie zumindest ihre Atemzüge zu beruhigen, wenn sie schon nicht die heiß in den Adern pulsierende Aufregung niederzuringen vermochte. Kurzerhand verstaute sie ihren Bogen im Köcher auf dem Rücken und wechselte auf zwei der Dolche am Gürtel.
Langsam, zeitlupenhaft, setzte sie ihre Schritte und ließ die Augen angestrengt das Dunkel durchdringen. Doch war es nicht ihr geschärfter Blick, der fand, wonach sie suchte obwohl er einen schwer gerüsteten im Dunkel des Erdgeschosses ausmachte, sondern ihre Ohren, als über ihr eine der Holzplanken des Zwischenbodens knirschte. Sofort in ihrer Bewegung eingefroren hob sie das Kinn und lauschte weiter. Schritte. Jemand befand sich im Geschoss über ihr – und genau dorthin würde sie sich nun begeben, denn von den ihrer Erinnerung nach ungerüsteten Karrenführern hielt sich niemand hier unten auf. Die Treppe an einer der Außenwände ließ sie außer Acht, beschrieb in der Finsternis unbemerkt und leise einen Bogen um den wachehaltenden Kämpfer, und suchte sich stattdessen ein ausreichend großes Loch in der Zimmerdecke. Auf leisen Sohlen durch den Raum schreitend verstaute sie ihre Kurzwaffen und mit einem beherzten Sprung aus der Hocke katapultierte sich Vesana nach oben. Zielsicher griffen ihre Finger die Kante eines Querbalkens und zogen sie hinauf.
Zwei Männer befanden sich mit ihr im ausgebrannten Raum, liefen unruhig auf und ab, sprachen ansonsten jedoch kein einziges Wort. Sie bemerkten den Neuankömmling nicht, obgleich dieser fürchtete, sie könnten ihn allein anhand seines Herzschlages aufspüren. Dennoch schnell und von neu entfachtem Jagdfieber angetrieben duckte sich die Kaiserliche in den Schatten einer verkohlten Anrichte und zückte ihre Dolche. Mit geschlossenen Augen konzentrierte sie sich auf die Geräusche ihrer Umgebung, versuchte das Pfeifen und Surren, Rufen und Fluchen, das von der Straße hereinschwappte, auszublenden und sich einzig und allein auf die schweren Schritte und das Knarzen der Planken zu konzentrieren.
Der erste der beiden Männer näherte sich wieder, trieb Vesa dazu, die Luft anzuhalten. Als er schließlich fast neben ihr angekommen zu sein schien, sprang sie auf. Dem fast zu bemitleidenden Kerl blieb nicht einmal Zeit zum Zucken, bevor ihm die Jägerin die kurzen Stahlklingen in den Hals trieb, sie wieder herauszog und noch während ihr sein Lebenssaft ins Gesicht spritzte eine der todbringenden Schneiden scharf heulend durch die Luft in Richtung des Zweiten sandte. Gurgelnd sackte der Kutschführer vor ihr auf die Knie, griff sich an den Hals, doch Vesana spurtete längst an ihm vorüber, zog den dritten Dolch vom Gürtel und hastete auf den anderen Kerl zu, den sie nur mit dem Griff ihrer Waffe an der Schläfe erwischt hatte. Wenigstens schien dieser so benommen von dem Treffer, dass er kein noch so leises Geräusch von sich gab und erst wieder richtig zur Besinnung kam, als die Kaiserliche längst in Armreichweite vor ihm stand. Rechts tiefer gegen die Brust geführt, links höher von der Seite gegen den Kehlkopf. Jene zwei Stiche reichten und der Bastard brach zusammen.
Zum Verschnaufen blieb nun kaum Zeit. Der Geruch des warmen Blutes stieg ihr verführerisch in die Nase, doch musste es genügen, dass sie sich die zahlreichen Tropfen von ihren spröden Lippen leckte. Schnell verstaute sie die Waffen am Gürtel, las ihre dritte auf, und machte sich anschließend an ihnen zu schaffen, bis sie fand, wonach sie suchte. Gerade rechtzeitig, denn das Knarren der nahen Stiege ließ darauf schließen, dass der Wächter im Erdgeschoss die zwar gering gehaltenen, aber dennoch verdächtigen Geräusche aus dem Obergeschoss bemerkt hatte.
Bevor sich der Kerl richtig gewahr werden konnte, was da auf ihn zukam, zog die Kaiserliche ihr Schwert, obgleich das markante metallische Schleifen sicherlich Warnung genug sein mochte, und spurtete zur Treppe hinüber. Der stämmige Mann, der sich die Stufen hinaufschob, trug dieselbe Ausrüstung wie seine Kumpane auf der Straße. Dicke Stahlrüstung und ovaler Schild mit einem silbernen Schwert in der Rechten. Doch als die Jägerin mit reichlich Anlauf von der obersten Stufe abhob und mit Waffenspitze und Füßen voran die Stiege hinabsegelte, sah er sich trotz der deutlich besser schützenden Ausrüstung im Nachteil. Reflexe ließen sich nicht einfach abstellen und einen der stärksten Reflexe stelle noch immer jener dar, der Menschen dazu trieb, ihr Gesicht zu schützen. So hob der Gerüstete den Schild, den Vesana sogleich als Landefläche nutze, während ihre Klinge von beiden Händen gepackt unter der Wucht ihres Leibes das Holz durchstieß und jedem Schrei des Entsetzens ein Ende bereitete, bevor er überhaupt aufkommen mochte.
Dass der Mann mit ihr nach hinten kippte, ließ sich vorhersehen und so drückte sich die Jägerin vom Holzschutz des Mannes ab, um im Handgemenge nicht doch noch von seiner silbrigen Klinge verletzt zu werden. Das heftige Stechen in der Schulter, als sie ungebremst gegen die Wand am unteren Ende der Stiege prellte, schien ihr da angenehmer, auch wenn sie anschließend den Halt auf den Füßen verlor und umknickte. Stöhnend drang das Scheppern des Gerüsteten, wie er gerade lawinenhaft den Aufgang hinabrollte, in diesen Augenblicken nur gedämpft zu ihr durch.
Es dauerte einen Moment, bevor Vesa die Schmerzen in ihren geprellten Gliedern zur Seite schob, doch letztlich hievte sie sich auf die Füße und zerrte mit einiger Mühe ihre Waffe aus Brust und Schild des Gefallenen. Auch sein Schwert eignete sie sich an und huschte anschließend mit etwas Schlagseite zurück zur Straße. Erst dort vernahm sie die Schreie und das metallische Klirren, als Stahl auf Stahl prallte. Kein Wunder, dass niemand den Tumult um sie herum bemerkt hatte. Zunächst erleichtert aufatmend zog sich gleich darauf ihr Herz zusammen, als ihr gewahr wurde, dass nun Eile geboten war. Lange würden Skjor und Aela den eintreffenden Kämpfern nicht standhalten können, schon gar nicht in einem frontalen Kampf. Ihnen blieb nicht das Privileg der Überraschung.
Schon mit den nächsten Herzschlägen kehrte sie zu den Sklaven zurück und gab ihnen wortlos, stattdessen schwer atmend die Schlüssel für die Handschellen, damit sie sich gegenseitig selbst befreien konnten. »Befreit die anderen und dann kämpft«, wies Vesana sie an, als die ersten sich die geschundene, aber freien Handgelenke rieben.
»Womit sollen wir denn bitte kämpfen?«, brummte sie einer von der Seite an und ließ ihr Haupt herumschnappen.
Einen Moment lang starrte sie ihn an, unschlüssig, was sie sagen sollte. Doch die von der Aufregung geschärften und vom hilfsbereit in ihr grollenden Biest geschärften Sinne verschafften ihr den Eindruck, dass sie es nicht – oder zumindest nicht nur – mit eingepferchten Wölfen zu tun hatte. »Hier liegen wenigstens vier Tote rum, nehmt deren Waffen. Sobald die nächsten tot sind, nehmt ihr deren«, zischte sie zurück und packte den abgemagerten Freien an der Schulter. Ihre Lippen bebten inzwischen, dass es ihr schwer fiel noch länger auszuharren. Ihre Freunde waren in Gefahr. Jeder Moment, den sie hier vergeudete, mochte sie dem finalen Hieb näher bringen. »Ich lenke sie ab, während ihr die zweite Gruppe Gefangener befreit«, beschloss die Kaiserliche und erntete gemischtes Grummeln als Antwort. Einige von ihnen würden sicherlich die Beine in die Hand nehmen – allen voran wohl die feigen Hunde – das ließ sich nicht verhindern, aber sie musste einfach hoffen, dass eine genügend große Anzahl ausreichend Ehre in den Knochen stecken hatte und sie in ihrem Vorhaben unterstützte.
Abermals den Bogen zückend, lag der erste Pfeil bereits auf der gespannten Sehne, als sie sich erhob. Auf diese kurze Distanz brauchte sie nicht lange suchen, um ein Ziel zu finden. Der durch seinen edleren Umhang auffallende Kämpfer würde als erster sterben. Noch einen letzten, schnellen Blick aus dem Augenwinkel den ehemaligen Sklaven schenkend, biss sie anschließend die Zähne aufeinander, presste die Lippen zusammen und sandte das Geschoss durch die Nacht. Kaum schlug es mit dumpfem Foppen ein, zückte sie das nächste und brachte dem Nachfolger in der Befehlskette den Tod. Chaos. Das unkoordinierte »Hinter uns!«, bestätigte nur, was alle zweifelsfrei schon wussten.
Zum dritten Pfeil kam sie nicht mehr, da sich die ersten feindlichen Schützen umwandten und sie ins Visier nahmen. Blitzschnell verschwand sie ein weiteres Mal in der Ruine, verstaute die Schusswaffe und zog ihr Schwert. Das aufgelesene Silberschwert beließ sie zunächst noch auf dem Rücken. In derart beengten Verhältnissen mochten zwei lange Klingen eher hinderlich sein, aber vielleicht benötigte sie später Ersatz. Erst in dem kurzen Moment des Verschnaufens fühlte sie das feurige Zwicken an ihrem linken Oberarm und spürte wie etwas Heißes über ihre Haut rann. Scharf die Luft einsaugend senkte sie den Blick und hob den Arm. Kein Pfeil ragte dort heraus, doch musste sie einer gestreift haben. Ein kleines Lock prangte in ihrem Ärmel, wo das Geschoss ihre Kleidung durchlagen hatte.
Weiter bekam sie keine Zeit, darüber nachzudenken. Ein erster Kämpfer stieß ungestüm die Reste der Eingangstür zur Seite und preschte anschließend mit gehobenem Schild direkt auf die Kaiserliche zu. Hastig rollte diese sich zur Seite hin aus seiner Bahn, kam auf die Füße und hörte im selben Augenblick bereits einen zweiten Gerüsteten durch die Pforte zur Dorfstraße eintreten. Die stählerne Klinge hoch über den Kopf gehoben, parallel zu den Schultern, schnappte sie sich mit der Linken einen der Dolche vom Gürtel und hielt ihn vor der Brust. »Großer Fehler«, knurrte sie der Mann hinter ihr an, als sich die Kaiserliche einzig auf ihre Ohren konzentriert zu ihm umwandte. Ein dritter Kämpfer schob sich hinter ihm ins Haus.
Metallisches Schaben verriet der Jägerin, dass sich der einzelne Mann in ihrem Rücken in Bewegung setzte. Schnell und von der Aufregung inzwischen keuchend rollte sie sich erneut zur Seite und hieb noch während sie auf die Füße kam mit dem Schwert nach hinten. Helles Klirren quittierte den blinden Schlag, als ihre Schneide auf seine Beinschiene traf. Überrascht, wenn auch nicht verletzt, schnaufte der Kerl und Vesana bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. Jeden Herzschlag, den sie hier länger mit diesem Abschaum verbrachte, ließ ihr Herz schneller schlagen, beschleunigte die Atemzüge, trieb die Gedanken zu immer wilderem Kreiseln an.
Die Hand des verletzten Armes zitterte leicht, doch ließ sich die Jägerin davon nicht beirren. Im Gegensatz zu ihrem ersten Kampf auf Solstheim, als sie sich von Aufregung und Schrecken, unwissend, wofür sie überhaupt kämpfte, von ihren Gefühlen beinahe hatte übermannen lassen, wusste sie diesmal nur zu genau, was auf dem Spiel stand. Ihre letzten Funken Unsicherheit trieb das Biest, mit all seiner Rage und triebhaften Sehnsucht, in die Vergessenheit.
Grollend raffte sich Vesa auf, setzte zwei Schritte vorwärts und drückte sich dann vom Boden ab. Im Flug hieb sie die Waffe ihres Widersachers zur Seite und trat ihm gegen den Schild. Ein in die Knochen fahrender Schmerzensschrei folgte lautem Knacken, als die Wucht des Aufpralls ihm den Arm brach und sie gemeinsam zu Boden gingen. Doch war es die Kaiserliche, die sich als erste aufraffte und gerade rechtzeitig den Hieb eines seiner Kameraden abfing. Der Schlag erschütterte ihr Glied, durchsetzte ihre Finger und Muskeln mit Taubheit ob der Kraft dahinter, doch hielt sie ihm stand.
Plötzlich brandete sturmartiges Tosen von draußen zu ihnen hinein und zog die Aufmerksamkeit aller Kämpfer auf sich. Vesana riss sich als erste mit zufriedenem, wölfischem Grinsen auf den Lippen los und spurtete auf den zweiten Anhänger der Hand zu, der erst im letzten Moment sein Schild hob und ihren Hieb ins Leere laufen ließ. Es stand außer Frage, dass der einfache Teil nun zu Ende ging, denn auch der letzte im Bunde schloss nun auf, reihte sich neben seinem Kumpan ein und formte einen kleinen Schildwall, mit dem sie ihren gerade erst wieder auf die Füße kommenden Mitstreiter abschirmten. Seinen Schild ließ er auf dem verheerten Grund liegen. Mit einem gebrochenen Arm wäre er ihm nur eine Last.
Zu zweit schoben sich die Krieger auf sie zu und trieben sie schrittweise zurück. Hin und wieder langte einer von ihnen vor, wobei sie die eher schwachen, ungezielten Schläge von oben mühelos ablenkte und den Kerl somit zurück in die Formation trieb. Doch das gehörte zum Abtasten, währenddessen Vesa konstant an Boden verlor bis sie irgendwann mit dem Rücken gegen eine Wand stieß.
»Endstation, Mäuschen«, zischte sie der bereits Verwundete aus der Deckung seiner Kameraden heraus an. Seine Worte klangen deutlich vom Schmerz verzerrt.
»Noch nicht«, fauchte sie zurück. Gleich darauf drehte sie sich etwas ein, trat mit einem Fuß gegen die Wand und warf sich nach vorn gegen einen der Schilde. Gemeinsam stürzten sie, bevor der zweite Gerüstete zu reagieren vermochte. Die Kaiserliche rollte sich ab, kam auf die Füße und hieb nach dem bereits verletzten, der gerade einen Schritt zurückweichen wollte, die Überraschung sah sie ihm zwar nicht an, aber das deutliche Luftholen verriet sie dennoch. Klirrend flog seine Waffe davon und kaum einen Lidschlag später vergrub Vesana ihre Schwertspitze in seinem Hals.
Zeit zum Ausruhen blieb jedoch nicht und so wandte sie sich um, blockte die in der Dunkelheit aufblitzende Silberklinge, und wurde dennoch zu Boden geworfen, als der letzte auf den Füßen gebliebene Kämpfer ihr seinen Holzschild kräftig gegen die Seite des Leibes schlug. Heiß sandte er Stiche quer von der einen Schulter durch den Rücken hinüber zur anderen Seite, ließ ihr den Griff des Schwertes entgleiten und es scheppernd über die verkohlten Dielen schlittern. Den überraschten Aufschrei beherrschte sie gerade so, konnte jedoch nicht das scharfe Luftholen verhindern.
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Geändert von Bahaar (17.05.2015 um 22:27 Uhr)
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