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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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»Eine gute Frage«, lobte sie Olen, wandte sich ab und lief zu ihrem Ende des Stegs zurück. »Nochmal von vorn.« Der Nord rappelte sich schwerfällig auf, nahm seine Übungswaffe und kehrte zu seiner Ausgangsposition zurück. Seine Bewegungen wirkten noch immer fahrig, regelrecht ungelenk, ohne Grazie und Form, aber das würde sie ihm früh genug austreiben, dessen war sich Vesa inzwischen sicher. Wie allen seines Volkes schien auch ihm eine angeborene Affinität zum Kampf innezuwohnen, er musste das nur noch begreifen, dann würde sie auch einen passablen Schwertkämpfer aus ihm zaubern können.
»Du hast im Kampf mehrere Möglichkeiten, Deinen Gegner zu übertölpeln«, begann sie zu erklären, atmete ein letztes Mal tief durch und versuchte das wild bis zum Hals schlagende Herz zu beruhigen, dann eilte sie auf ihren Auszubildenden zu. »In Deinem Fall … sind es vier … wesentliche … Grundsätzlich hängt ... es aber vom … Einzelnen ab, was … ihm offensteht«, setzte sie zwischen eher langsamen Hieben abgehackt fort. Der Schlagabtausch endete, als die Kaiserliche dem Blondschopf die hölzerne Klinge an die Kehle setzte. »Was denkst Du, was Dir offensteht?«
Schwer atmend gingen die Beiden auseinander und Vesana wischte sich dicke Schweißperlen aus den Brauen. Ein kurzer Blick in den Himmel verriet ihr, dass die Sonne allmählich doch die Oberhand gewann und die trüben Dunstschleier auflöste. Sie also nach und nach Väterchen Frost doch noch zurück. Der Jägerin sollte es recht sein. Olen musterte sie bereits, als sie sich schließlich umdrehte und die Klinge hob. »Also?«, fragte sie erneut.
»Kraft, schätze ich«, antwortete er.
»Richtig. Körperlich schwächere Gegner lassen sich durchaus mit Gewalt einschüchtern oder überwältigen. Für jemanden Deiner Statur eine sehr effektive Methode, allerdings auch eine, die sich schnell aushebeln lässt«, erklärte Vesa und wartete noch ab, bevor sie angriff.
»Hmm. Schnelligkeit?«
»Richtig. Bist Du schneller als Dein Gegner, kannst Du seinen Schlägen ausweichen und ihn so aus der Balance bringen, oder aber ihn mit Deinen eigenen Schlägen treffen, bevor er eine Abwehr zustande bringen kann«, führte die Kaiserliche aus und setzte schnelle Nachstellschritte auf ihn zu. Ein angedeuteter Stich auf die Brust brachte Olen dazu in einem Versuch ihn abzulenken sein Schwert von schräg oben nach unten zur Seite schwingen zu lassen. Noch bevor die hölzernen Schneiden aufeinandertrafen ließ Vesana ihre Waffe im Handgelenk kreiseln und so über der Waffe ihres Kontrahenten zu einem weiteren Stich bereit auftauchen. Die Spitze in die Mulde unter seinem Kehlkopf zu legen setzte dem Manöver nur noch die Krone auf.
»Geschick, wie mir scheint«, fasste der Nord den Schlagabtausch zusammen und erntete ein schmales, zufriedenes Lächeln seiner Ausbilderin.
»Richtig. Täuschungen, Finten, und Flexibilität in den Gelenken – nicht nur die im Schwertarm – erlauben es Dir, Deinen Gegner auszutricksen.« Um ihre Worte zu unterstreichen wippte sie kurz aus den Sprunggelenken auf und ab. »Wichtig dabei ist aber, dass Du das richtige Maß findest, denn eine zu kraftvoll geführte Finte kann schnell die Dynamik eines normalen Angriffs entwickeln und sich entsprechend nur noch schwer abbrechen lassen.« Erst jetzt nahm sie ihre Waffe von seinem Hals und brachte einige Schritte Abstand zwischen ihn und sich. »Was bleibt noch übrig?«
Olen senkte seine Waffe und starrte in die Luft, als er überlegte. Umstandslos nutzte die Jägerin das aus und rannte ansatzlos los. Lang bevor sich der Nord wirklich gewahr wurde, was geschah, klatschte die flache Seite ihres Schwertes seitlich gegen sein Gesicht. Scharf sog er Luft in die Lungen und taumelte mit einer Hand an der Wange vom Steg herunter. »Aauu!«, brüllte er und beugte sich schleifend atmend über seine eigenen Knie.
»Nimm niemals die Augen von jemandem, der eine Waffe auf Dich richtet, egal ob in einer Übung oder ernsthaften Konfrontation«, mahnte Vesa und nahm ihre Ausgangsposition ein.
»Und was ist, wenn ich es mit mehreren zu tun kriege?« Seine linke Gesichtshälfte glühte feuerrot, als er sich ihr zuwandte und zu ihrer Konstruktion zurückkehrte.
»Schärfe Deinen Sinn für die Geschehnisse am Rand Deines Sichtfeldes und halte Deinen Rücken frei«, antwortete sie. »Aber wir schweifen ab. Der vierte Weg, wie Du Deine Gegner übertrumpfen kannst.«
»Ich weiß es nicht.« Nochmals rieb sich der Nord über die glühende Wange und hob erst danach die Waffe. Seine Bewegungen erschienen allmählich träger, sein Atem anhaltend stoßweise. Die Auseinandersetzung zeigte Spuren, deutliche Spuren. Die Jägerin wunderte es nicht. Natürlich merkte auch sie das Ziehen in den Muskeln, das Ächzen der Gelenke und die hohe Schlagfrequenz ihres Herzens. Doch im Vergleich zu dem ungeübten Nord wusste sie damit umzugehen und sich an der anfänglichen Erschöpfung eher zu laben denn sich niederringen zu lassen. Diese aufkommende Müdigkeit war etwas, das jeder Kämpfer zu schätzen lernen musste, denn sie bedeutete, dass er noch lebte und der Kampf zumindest nicht zu seinen Ungunsten verlief. Natürlich zog das nach sich, dass auch der Gegner nicht grundsätzlich unterlegen war, aber ein guter Duellant offenbarte seine Trümpfe ohnehin nie, bevor er die erste Erschöpfung an den Rand verdrängt hatte. Überraschungen mussten für den richtigen Moment aufgespart und durften nicht ungelenk verpulvert werden.
»Verrate mir: Wie fühlst Du Dich?«, versuchte Vesana ihn schließlich auf die richtige Spur zu führen.
»Etwas ausgezehrt, erschöpft«, gestand Olen.
»Das sehe ich. Glaubst Du, das wird Deinen Gegner großartig anders gehen?«
Er schüttelte das Haupt. Noch während er es tat blieb ihm der Mund offen stehen und weiteten sich seine Augen in Erkenntnis. »Aaah, Ausdauer.«
Die Kaiserliche nickte. »Richtig. In ausgeglichenen Kämpfen entscheidet nicht das Geschick, die Kraft oder Schnelligkeit – sonst wären sie wohl auch nicht ausgeglichen. In solchen Auseinandersetzungen geht es einzig und allein darum, wer den längeren Atem besitzt. Müdigkeit provoziert Fehler. Wer zuerst müde wird, hat in der Regel verloren.«
Er hob sein Schwert, bereit für einen neuerlichen Schlagabtausch. Durch die trübe Müdigkeit, die sich auf seinen Zügen zeigte und den Blick vernebelte, flammte etwas in seinen dunklen Augen auf, das zweifelsohne Kampfeslust sein mochte. Auch die Kaiserliche griff fester um ihr Heft und hob die Spitze der Waffe ein Stück. Schnell folgten die anschließenden Schläge. Einen kurzen Stich gegen ihre Hüfte abgelenkt, setzte er mit einer Aufwärtsbewegung gegen ihre Schulter fort. Sie fing ihn mit der Parierstange ab und trat ihm, noch während sie ihre Waffen bewusst verkeilte, vor das Knie. Stöhnend taumelte er zurück und hob nur mühevoll das Schwert zum Block, als ihre Schneide auf ihn niedersauste.
Das Spiel drehte sich um und diesmal verfing sich ihre Klinge an seiner Parierstange. Genau so, wie sie es wollte. Mit einem schnellen Ausfallschritt trat die Jägerin auf Olen zu, drückte ihr Schwert mit dem Gewicht ihres Leibes herum und hebelte so die gegnerische Waffe aus dem Weg. Den Knauf schlug sie ihm zum Abschluss der Bewegung kraftvoll gegen die Stirn. Der Nord stürzte nach hinten vom Steg in den allmählich auftauenden Dreck. »Dein Schwert besteht aus mehr als nur der Klinge, merke Dir das.« Er nickte und setzte sich auf. Eilig zog er sich die Handschuhe von den Fingern und löste das Lederband, das seine Haare zusammenhielt. Zahllose Strähnen hatten sich aus dem Pferdeschwanz gelöst und waren ihm wild ins Antlitz gefallen, jetzt versuchte er sie wieder zu zähmen. Unterdessen verstaute die Kaiserliche ihre Übungswaffe in der Scheide auf dem Rücken, hob die Hände vors Gesicht und atmete einige Male tief durch, sog den Duft des alten Leders ein und genoss die Wärme des eigenen, zurückgestauten Atmens auf der Haut.
»Deine Gegner haben dieselben Möglichkeiten, Dich in die Irre zu führen«, setzte sie schließlich an und ließ ihren Blick auf ihm haften bleiben. »Und keiner der Wege wird Dir allein zum Sieg helfen. Wechsle ab, um unberechenbarer zu werden«, erklärte sie und starrte ihm ins verkrampfte Gesicht. Einige Adern standen unter der Haut hervor, sein Atem zeichnete sich als konstante Dunstwolke vor ihm ab. Es bestand kein Zweifel, dass ihn die Übung erheblich angestrengt hatte. Dennoch wusste Vesa auch, dass seine volle Aufmerksamkeit auf ihr lag. Nicht überraschend, aber zufriedenstellend.
»Gibt es noch mehr Möglichkeiten, einen Gegner im Kampf zu überraschen, als diese vier?«, fragte Olen im Aufstehen und verstaute seine eigene Waffe im Anschluss.
»Ja. Magie beispielsweise. Allerdings sind das Wege, die an sich nichts mehr mit dem eigentlichen Kampf mit der Waffe zu tun haben«, entgegnete sie und trat vom improvisierten Steg hinab. So richtig wurde ihr erst jetzt wieder bewusst, wie groß ihr Auszubildender eigentlich war. Er konnte ihr beinahe auf den Kopf spucken, so er denn wollte. Ein Hüne wie Farkas, nur nicht gar so muskelstrotzend. »Und als solche werden werde ich sie Dich nicht lehren können«, fügte sie sicherheitshalber hinzu. Olen nickte nur.
»Ich nehme an, nicht alle Wege stehen jedermann gleichermaßen offen?«, sprach der Nord weiter, als sie gemeinsam zur Terrasse hinüberschritten.
»Korrekt. Nicht jeder hat den Vorteil langer Arme oder kräftiger Statur.«
»So wie Du, zum Beispiel.«
Sie schmunzelte und stieß Luft durch die Nase aus. »Ja, zum Beispiel. Andererseits ist nicht jeder flink wie ein Wiesel. Die Mischung aus den verschiedenen Möglichkeiten muss jeder für sich selbst bestimmen. Farkas beispielsweise ist groß und somit langsamer. Durch den Zweihänder sind seine Schwünge gleichzeitig auch nahezu unmöglich zu Blocken, möchte man sich nicht gerade den Arm brechen. Da er mit einem zweihändigen Schwert aber auch nicht alles Blocken kann, trägt er dicke Rüstungen. Für jemanden, der nicht so kräftig ist, sind leichte, weniger einengende Rüstungen und kürzere Klingen besser, um die Geschwindigkeit nicht einzuschränken.« Die Beiden setzten sich an einen der Tische. Vesa löste ihre Augen kein einziges Mal von ihm. Sie wollte sehen, wie er ihre Worte aufnahm und ob seine Aufmerksamkeit ungeteilt ihr galt. Nichts war für einen Kämpfer so tödlich wie eigene Unachtsamkeit und sie würde ihm das noch schmerzhaft einprügeln, sollte er es nicht von selbst erkennen. »Wir werden in Zukunft weniger Theorie behandeln und mehr üben. Immer und immer wieder, bis Du Deinen eigenen Weg gefunden hast.«
»Klingt gut«, meinte Olen leichthin und lächelte.
»Schauen wir mal, wie lange Du das noch so siehst.« Seine Miene verfinsterte sich wieder, als ihm wohl dämmerte, dass sie bis eben eigentlich nur gespielt hatten. Für die Dauer einiger Herzschläge schloss der Nord die Augen und atmete durch. Schon darauf lauernd, brauchte die Kaiserliche nur noch über den Tisch langen und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, die trotz des weichen Handschuhs zweifelsohne schmerzen würde. Genau dort, wo sie ihn zuvor schon mit der flachen Seite des Schwertes gewatscht hatte, glomm nun ein neuer roter Fleck. »Verdammt! Ich dachte, wir wären in der Pause!«, brummte ihr Auszubildender und rieb sich mit in Zorn zusammengezogenen Augenbrauen über die Haut des Antlitzes.
»Wir sind in der Pause, wenn ich sage, dass wir in der Pause sind. Nicht vorher wenn Du es gerne hättest«, konterte sie und spitzte die Lippen. »Jetzt sind wir in der Pause. Geh etwas essen und ruh Dich aus.« Damit erhob sich Vesana und schritt an ihm vorüber auf den Eingang des Gildenhauses zu. An der Pforte hielt sie aber noch einmal inne und blickte über die Schulter zu dem Nord zurück, der sich noch immer die Wange hielt, ihr ansonsten aber den Rücken kehrte. »Eines noch«, begann sie und beobachtete Olen, wie er sich im Stuhl zu ihr umdrehte. »Unterschätze Deine Gegner nie.« Er nickte lediglich und die Jägerin trat in die Halle der Gefährten ein.
Die warme, stickige Luft brannte regelrecht auf der Haut und in den Augen, als sie die Tür hinter sich ins Schloss drückte und somit die kalten Vorboten des Winters aussperrte. Als hätte sie jemand in eine Räucherkammer gesteckt, kratzte ihr die Wärme und Trockenheit in den Atemwegen. Der Duft von altem Essen und verschüttetem Alkohol verstärkte dieses Gefühl nur noch. Leise und laute Stimmen drangen aus allen Teilen des Raumes zu ihr hinüber. Leben war nach Jorrvaskr zurückgekehrt. Einige Welpen halfen Tilma dabei, die Spuren des vergangenen Abends zu beseitigen, andere hingen zusammengesackt und noch immer trunken wirkend in Stühlen oder stützten die schweren Köpfe über die Arme auf die Tische. Vilkas war verschwunden, oder zumindest sah sie ihn nirgends. Auch die übrigen Zirkelmitglieder machten sich rar. Lediglich Athis als eines der älteren Mitglieder der Gemeinde bemühte nahe der Kammer für Vorräte und Tilmas Habe einen Besen. Ein buntes Durcheinander, das stand fest, und niemand interessierte sich dafür, dass Vesa eingetreten war.
»… den Gefangen wohl härter rannehmen, der schweigt wie ein Grab«, überhörte die Kaiserliche im Näherkommen eine Gruppe jüngerer Mitglieder, die an der langen Tafel saß und die Köpfe zusammengesteckt hatte. Gefangener? Vesa verlangsamte ihre Schritte zum tonlosen Schleichen und spitzte die Ohren.
»Denkst Du? Gib ihm noch einen Tag, dann bricht er«, redete ein anderer.
»Härter rannehmen werden sie ihn bestimmt nicht. Sonst hätten sie’s ihr schon gesagt«, sprach der Dritte im Bunde.
Der Kaiserlichen zog sich der Magen zusammen, ballten sich die Hände zu Fäusten. Ihr zersprang das Herz in der Brust und noch während sich die drei Nord am Tisch gegenseitig zunickten, trat sie hinter sie. »Was für ein Gefangener?«, zischte Vesana mit bebenden Lippen. Ein kräftiger Ruck, als wären sie gleichzeitig vom Blitz gerührt, fuhr durch die drei Welpen. Furchtsam blickten sie über die Schultern hinter sich und anschließend zu ihr auf. Die Kiefer der Kaiserlichen mahlten dass ihr die Zähne schmerzhaft knirschten. »Welcher … Gefangene?«, presste sie hervor und packte den nächsten der Welpen am Kragen.
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Geändert von Bahaar (13.02.2015 um 09:16 Uhr)
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