Ausgeruht erwachte Advo in seinem Bett. 'Ah, nach einer guten Nacht voll Schlaf fühlt man sich doch gleich wie neugeboren.' Als er die Decke von sich runterschob, runzelte er allerdings die Stirn. Wie es aussah, hatte er in seinen Klamotten geschlafen, was sonst absolut nicht seine Art war. Selbst die Stiefel hatte er noch an. Und bei seinem Hemd fehlten die obersten paar Knöpfe. Was war gestern Abend losgewesen? Angestrengt versucht er sich zu erinnern. 'Ulrika... irgendetwas war mit Ulrika... sie ist... sie ist... tot.' Ja, jetzt erinnerte er sich daran. Ulrika war tot. Also hatte er die Dorfbewohner wohl entgegen dem ersten Anschein von seinen Schlussfolgerungen überzeugen können. Seltsam war nur, dass er sich überhaupt nicht erinnern konnte, ob sie sich tatsächlich als Werwolf entpuppt hatte. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. 'Natürlich war sie ein Werwolf. Wahrscheinlich haben wir danach noch ordentlich gefeiert, dass wir wenigstens eines der Biester losgeworden sind, und dabei hab ich wohl etwas zu tief ins Glas geschaut, und dann so, wie ich war, ins Bett getorkelt. Ja, so muss es gewesen sein.' Das einzige, was an dieser Theorie nicht passte, war, dass er nicht den geringsten Anflug eines Katers verspürte. Ganz im Gegenteil fühlte er sich so leicht und frei, wie schon seit Jahren nicht mehr. 'Ach, wird schon Sinn ergeben. Am besten frag ich einfach einen der anderen.' Da er schon angezogen war (auch wenn er die Knöpfe an seinem Hemd wohl wieder annähen musste), hielt er sich nicht lange daheim auf, sondern machte sich gleich auf den Weg nach draußen, um zu sehen, ob die Nacht neue Todesfälle gebracht hatte. 'Aurelius also... armes Schwein.' Demnach war die Sache mit Ulrikas Tod noch nicht ausgestanden. Allerdings hatte er gestern etwas gelernt. Er wandte sich an den ersten, den er sah: "Hey, hol mal ein Tuch, mit dem wir die Leiche abdecken können. Muss ja nicht jeder sehen, wie sie die Leiche zugerichtet haben." Allerdings ignorierte ihn der Angesprochene komplett. "Hey, hast du nicht gehört? Du sollst ein Tuch holen!" Wieder keine Reaktion. Wütend packte Advo sein Gegenüber an der Schulter. Und musste entsetzt feststellen, dass seine Hand einfach durch ihn hindurchging. 'Haben wir es jetzt außer mit Werwölfen auch noch mit Geistern zu tun? Das wird ja immer besser!' Er lies von der Erscheinung ab, und wandte sich an den nächsten. "Hey, du bist doch real, oder? Dann hol du mal etwas, um den Leichnam zu bedecken." Auch diese Person reagierte nicht. Langsam wurde es unheimlich. Oder träumte er noch? Dann fiel sein Blick auf Ferdinands Leiche (oder zumindest das, was unter dem Tuch von ihr zu erkennen war). 'Sie haben die Leiche immer noch nicht weggeschafft? Hm, dann sollte Ulrikas Leiche eigentlich auch noch da sein. Wäre etwas peinlich, wenn mich jemand anspricht, und ich nichtmal sicher weiß, ob sie ein Werwolf war...' Also begab er sich zum Galgen, um nachzusehen, was er dort vorfinden würde, einen Mensch oder eine Bestie. Was er allerdings sah, war... sein eigener Leichnam. "Wie..." stammelt er. Dann kehrten mit einem Schlag die Erinnerungen an den letzten Abend zurück. Sie hatten ihn hängen wollen... er hatte sich befreit und auf Ulrika gestürzt... sein Herz... Mühsam schluckte er. Also war er tot. Warum war er dann noch hier? Wahrscheinlich, weil er wusste, dass ihm die Geschichte hier im Jenseits wohl ohnehin keine Ruhe lassen würde, wenn er sie nicht zumindest bis zum Ende verfolgte. Er hoffte nur, dass er wirklich frei sein würde, wenn die Vorgänge im Dorf auf die eine oder andere Weise geendet haben würden... Aber was war jetzt eigentlich mit Ulrika? Er blickte sich um. Ah, da war ihr Leichnam. Er hatte sie also wirklich erwischt. Und ganz offensichtlich war sie kein Wolf gewesen. 'War sie etwa wirklich eine Seherin? Naja, selbst wenn, dürfte eine derart inkompetente Seherin kein großer Verlust für das Dorf gewesen sein. Gleich am ersten Tag mit der Wahrheit herauszuplatzen... wie blöd kann man sein?' Doch dann fiel sein Blick auf eine weitere Leiche. 'Wenn sie die nicht bald wegschaffen, gibt das wohl noch eine ziemliche Schweinerei...' Doch dann erkannte er, um wen es sich handelt. 'Horatio... aber wieso...' Dann fielen ihm Horatios Worte wieder ein. 'Er hat gesagt, er würde sich selbst umbringen, wenn ich unschuldig sein sollte. Und obwohl er seine Stimme gegen mich zurückgezogen hat, hat er sich anscheinend daran gehalten. Und ich hab ihn immer für einen Schwätzer gehalten, und gedacht, sein Versprechen wäre leeres Gerede...' Advo war tief gerührt. Er begann sogar zu fühlen, wie sich einige Tränen in seinem Augenwinkel zu sammeln begannen. Hastig wischte er sie weg. Gut, dass ihn keiner mehr sehen konnte... 'Fragt sich nur, ob sich hier irgendwo Geistergarn auftreiben lässt, mit dem ich mein Hemd flicken kann...' überlegte er, als er sich an den Baum lehnte und das Treiben der noch lebenden im Dorf beobachtete...
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Geändert von Liferipper (15.01.2010 um 15:15 Uhr)
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