So, nach langer Zeit storytechnischer Abwesenheit, präsentiere ich euch wiedermal etwas von mir. Es ist schon etwas älter, 3/4 davon schrieb ich vor ca. einem halben Jahr, vor kurzem habe ich dann noch den Schluss hinzugefügt. Zugegeben, es ist ziemlich schräg. Ich hoffe trotzdem, dass es gefällt. Viel Spass beim Lesen und Kritiken sind wie immer durchaus erwünscht.
Das Leben ist der Leuchtturm, und der Leuchtturm ist sein Leben.
Ein Mann, so einsam wie eine vergessene und nie an ihrem Ziel angekommene Flaschenpost, steht jeden Abend dort ganz oben in seinem Auge und betrachtet gedankenverloren die blauen Fluten, die mit der hereinbrechenden Nacht dunkel und bedrohlich an sein Fundament klatschen. Die Gischt, hoch spritzend, fast bis zu ihm herauf, riecht nach Salz und Freiheit. Er hat sein Dasein aufgegeben, nur für ihn, für nichts anderes lohnt es sich, nur für ihn. Wie viele Schiffe zerschmetterten an den scharfen Riffen, weil er das Licht erlöschen ließ? Wie viele Menschen ertranken, weil er Gott spielen wollte? Nur der Teufel wird es wissen, und nur der Teufel wird ihn dort oben gefangen halten können.
Noch nie hatten Möwen den Turm umkreist, noch nie hatte ein anderer als er den Turm betreten, der Turm, der so ehrfürchtig und mächtig auf den Felsen thront, an einer Küste, die den Leuten kein Begriff mehr ist. Eine Küste, die gar keine darstellt, bestehend nur aus Fels und Gestein, auf dessen jahrtausende altem Rücken sich das schwarze Gemäuer erhebt, bis hoch hinauf, wo nur die Nacht sich aufhält. Das Auge schweift ruhelos und hektisch über die Wellen, erhellt den Weg für niemanden. Nur für Verirrte, für Schiffbrüchige und leichtsinnige Durchreisende, die es in Erwägung ziehen, eine solch gottlose Route zu wählen. Auch er ist einmal einer von ihnen gewesen, vor langer Zeit, als die Menschen ihre Schlachtkreuzer noch Galeeren nannten.
Seine Augen sind verklärt und trübe, können nicht mehr sehen, nur der Schein des Turmes weist ihnen den Weg. Wenn der Turm erst zeigt, was er in seinen Tiefen birgt, werden Menschen willenlos, ausradiert, darben ohne Hirn und Sinne. Nur er hat es gesehen, sieht es immer noch, und es ist schön. Es gibt Macht, Stolz und den Impuls zu dem Gedanken, über allen Lebenden zu stehen. Jede Nacht steigt er die engen Stufen hinab. Hinab, immer tiefer, rundherum, beinahe stundenlang. Schon auf halbem Wege hört er sie, das lüsterne Flüstern und lustvolle Stöhnen, mit dem sie den schwarzen Turm erfüllen, dringt durch Fleisch und Stein, aber nicht nach draußen.
Die Füße sind wund vom harten Fels, ein Zeichen, das selbst Totgeglaubtes verletzen kann. Wie soll er sich selbst gegenüber verantworten, dagegen nichts zu unternehmen? Es war schon immer so, seit dem großen Urknall. Hinab. Er geht. Er rennt. Es muss schnell gehen, denn auch die Zeit geht einmal vorbei. Je näher er seinem sehnsüchtig erwarteten Ziel kommt, desto heftiger dringen die Laute des Vergnügens an sein Ohr, er saugt sie auf, genießt sie wie die süßeste Frucht, die selbst an den gesündesten Bäumen nicht zu gedeihen vermag.
Dann endlich betritt er den Ort, der vor ihm noch keiner betreten, kommt zurück von seiner Wache, der Wache darüber, ob die Reife der Zeit gekommen sei. Doch er weiß genau, dass sie das auch heute nicht ist. Zeitlos ist er geworden, sein Körper ein Wrack, dem Zerfall ausgeliefert, vergessen, im Turm gefangen. Nichts geht spurlos an einem vorüber, selbst an Gott. Unter dem fest verankerten Fundament des schwarzen Leuchtturmes wächst und gedeiht etwas Wundervolles, etwas, das ihn braucht, um zu seiner ganzen Größe und Herrlichkeit aufzublühen. Er braucht es, und es braucht ihn, so will es der Turm. Leidlos bringt er sein Opfer dar, jeden Tag, jede Nacht.
Dort unten ist es warm, beinahe körperlich. Und genau das ist es auch, was ihn dort festhält. Es lebt. Es lebt und hat Hunger und braucht Geduld, auch Zuneigung. Er ist bereit wie kein anderer dies zu geben. Auch heute Nacht. Verklebt mit Samen sind die Wände, spenden Leben für die Kreaturen, denen jede Hoffnung auf ein normales Leben verwehrt bleibt. Aber das Leben, ist es überhaupt normal? Kann dieses eine Wort etwas solch Großes und Mächtiges umschreiben? Er denkt nicht daran. Stattdessen lacht er, vergnügt, als er endlich anlangt.
Die pulsierende Halle des Lebens umgibt ihn nun, alles ist geschäftig, alles arbeitet und werkt, aber doch ist alles tot. Das Kreischen und Stöhnen erfüllt die stickige Luft, es trieft und tropft und wächst. Hier unten ist sein Reich, hier unten ist sein Heim. Zwitterwesen ohne Augen und Hirne, ausgestattet nur mit dem Trieb sich zu paaren, wandeln ehrfürchtig an ihm vorbei, sie sind seine Diener und Sklaven. Und sie bedienen die Maschine des Lebens, die dort inmitten des kuppelartigen Raumes thront, umgeben von Kabeln und Drähten und pumpenden Leitungen. Viele sind nötig um alles zu kontrollieren, viele sind nötig um alles zu sehen, aber nur einer kann es vollenden.
In den mechanischen Rüssel führt er ein sein Glied, nun hart ob der Freude des Lebensgefühles, es erfüllt ihn mit zuckenden Wärmeeruptionen, schöner als ein menschlicher Orgasmus jemals war. Er kann es nicht beschreiben, seine Augen rollen in den Höhlen, er verliert die Kontrolle über sich selbst und alles um ihn herum. Spritzt seine Samenflüssigkeit in die Maschine, dankbar verschlingt sie seine ungeborenen Kinder, es braucht sie, um zu wachsen. Macht etwas Schreckliches daraus, was Menschen niemals auch nur mit ihrem Verstand erfassen könnten. Die schwarzen Kreaturen geifern und reiben sich ihre entstellten Körper, sie wollen auch, sind gierig. Aber er lässt sie nicht. Niemals.
Die Maschine ist ein Heiligtum, ein Objekt der Begierde, zärtlich und grazil. Spricht nicht und bewegt sich nicht, doch erfüllt dir Wünsche. Irgendwann wird sie explodieren, in einem grauenhaften Inferno, das die Welt an ihre Anfänge zurückversetzt, damit etwas Schöneres und Besseres aus ihr entstehen kann. Er glaubt daran.
Und er träumt. Von dieser Sehnsucht nach Leben, die den ganzen Ort erfüllt.