Zitat Zitat von Eisbaer Beitrag anzeigen
Es soll ja realistisch sein und dass irgendeine Random-Gruppe aus Atlanta dem großen Geheimnis auf die Spur kommt oder sogar ein Heilmittel findet, ist irgendwo unrealistisch. Das Konzept der Comics und der Serie ist einfach, dass man konsequent Rick und seiner Familie durch diese neue Welt folgt und dabei die Entwicklung der Charaktere beobachten kann.
(...) Das Hauptproblem der Serie sind tatsächlich die Bösewichte. Will man es weiter realistisch halten, dann gehen einem die Ideen aus. Wir hatten ja schon fast alles - selbsternannter Bürgermeister mit zweifelhafter Moral, diverse Plünderer, Kanibalen und nun eine riesige Miliz. Was noch fehlt, sind irgendwelche Militärs oder eine richtige Sekte.
Ja, das ist wohl genau das Problem, das ich damit habe. Eine Serie über eine Zombie-Apokalypse guck ich mir nicht wegen "Realismus" an. Wie gesagt, es beschränkt sich alles rein auf (deprimierendes und imho manchmal auch nerviges) Charakter-Drama. Ohne vordergründigen Handlungsbogen ist mir das zu wenig und wird schnell langweilig, es fehlt ein klares Ziel. Alles, worauf man hoffen kann, ist, dass die Leute noch eine Weile überleben. Selbst die Chance, einen sicheren und längerfristigen Hafen zu finden, wurde ja systematisch untergraben, indem staffelweise das Setting gewechselt wird, weil wieder irgendeine Bleibe von Beißern überrannt wurde. Mir ist bewusst, wer mit dem Titel der Serie gemeint ist. Aber warum soll ich das noch weiter verfolgen, wenn die Frage sowieso nur darin besteht, wann und wie alle sterben? Hat irgendwie sowas voyeuristisch-sadistisches an sich. Von der Anfangsgruppe ist jetzt schon nicht mehr viel übrig. Wobei ich schon denke, dass weitreichendere Entwicklungen und Hinweise auf die Hintergründe oder auf bestimmte Orte in der Serie früher angeteasert wurden, und sich das erst später immer weiter davon weg entwickelt hat bzw. nicht mehr verfolgt wurde oder sich als Irrtum herausstellte.

Was du mit den Bösewichten ansprichst, beziehe ich ehrlich gesagt auf das komplette Szenario. Wenn man unbedingt so realistisch und gleichzeitig auch so düster wie möglich bleiben will, dann hat man nur ein sehr begrenztes Repertoire an verwendbaren Ideen. In diesem Sinne fand ich, dass sich The Walking Dead schon früh übermäßig oft mit den Situationen wiederholt hat, immer bloß leicht variiert. Und das scheint inzwischen noch viel schlimmer geworden zu sein. Comicvorlage hin oder her, wenn die Schreiber jetzt die einzige Möglichkeit es aufregend zu halten darin sehen, das Kontrollrad für Gore, Gewalt und Hass noch weiter bis zum Anschlag aufzudrehen und den Hauptfiguren wortwörtlich und schön sichtbar die Köpfe einzuschlagen, weiß ich nicht, wo das später noch hinführen soll. Da versucht man sich doch nur noch mit Gemeinheiten gegenseitig zu übertrumpfen.

Mag sein, dass The Walking Dead einfach nicht nach meinem persönlichen Geschmack ist, aber gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen fällt es mir auch zunehmend schwerer zu verstehen, worin andere da noch den großen Reiz sehen bzw. warum die Serie nach wie vor so erfolgreich ist. Ich mein, ich brauch bestimmt nicht immer nur Blümchenwiese, Regenbögen und Sonnenschein, aber exzessive Übungen in Brutalität, Leid, Tod, Verzweiflung usw. sollte in Erzählungen imho nicht zum bloßen Selbstzweck verkommen.

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Dass es irgendwo mal bergauf geht, ist auch nicht denkbar. Ich mein, dann würde die Serie keiner mehr schauen.
Nenn mich einen Idealisten, aber so realistisch finde ich The Walking Dead was das angeht überhaupt nicht. Gewiss würde es Gruppen und Individuen geben, die im Falle eines derartigen Weltuntergangs durchdrehen bzw. bei der Gelegenheit oder in eine Ecke gedrängt ihr düsterstes Inneres nach Außen kehren würden. Aber ich bin überzeugt, die Protagonisten träfen viel häufiger auf moralisch noch nicht so völlig korrumpierte, niederträchtige Figuren; auf Leute, die sich ihre Menschlichkeit den Widrigkeiten zum Trotz bewahrt haben und Leben an sich wertschätzen, ohne bloß auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Das heißt nicht automatisch, dass sie naiv sind - gerade Hoffnung, Vertrauen und Zusammenhalt kann stark machen. Verdammt, es würde garantiert Leute geben, die die Situation sogar mit Humor nehmen und trotzdem irgendwie überleben! Die Serie bleibt hier sehr, sehr einseitig.

Auch sind Menschen erfinderisch, unter Druck umso mehr, und würden versuchen, vereinzelt neue gesellschaftliche Strukturen in kleinem Rahmen aufzubauen, ohne dass das zwangsläufig ständig in Perversion und Totalitarismus mit despotischen Machthabern ausartet. Selbst wenn es nur für eine Weile ist und am Ende scheitert, fände ich so einen Versuch, nachdem ein geeigneter Ort gefunden wurde, nicht nur durchaus glaubwürdig, sondern auch wesentlich spannender und faszinierender als das, was derzeit passiert. Den Charakteren mal etwas anderes geben als sich selbst, das sie noch verlieren können. Etwas, das sie selbst geschaffen haben und das - wenn auch nur zeitweise - funktioniert. Wie würden sich ihre Erfahrungen im Zusammenleben spiegeln, wie würden sie auf Gefahren von Außen reagieren? Glaube nicht, dass das in so einem Fall keiner mehr gucken würde, wäre immer noch genug Platz für den gewohnten Kram darin. Und das war nur ein mögliches Beispiel. Befürchte aber auch, dass es kein Zurück mehr gibt, wenn sie einmal so sehr abgestürzt sind wie jetzt. Irgendwann kommt der Punkt, da erwartet man praktisch nichts anderes mehr vom Inhalt als Schrecken und Trostlosigkeit.

Darüber hinaus ist der Kontinent verdammt riesig, aber die ursprüngliche Einwohnerzahl begrenzt. Die USA haben eine vergleichsweise geringe Bevölkerungsdichte. Zombies würden nicht überall und vor allem gerade in ländlichen Gegenden oder der Wildnis nicht in Massen auftreten, selbst wenn man deren Wanderverhalten berücksichtigt. Und irgendwann würden es weniger werden, weil kaum noch Nachschub entsteht aber Überlebende regelmäßig ein paar erledigen. Bei Ausbruch hätte das Militär von welchen Staaten auch immer bereits Millionen vernichten können. Trotzdem bekommt man in diesen Geschichten das Gefühl, dass der Strom nie versiegt, selbst wenn viel Zeit vergeht. Würde glatt behaupten wollen, The Walking Dead ist nur dann wirklich realistisch, wenn es grade bequem für die Autoren und deren zynische Weltsicht ist :-/