Ergebnis 1 bis 20 von 63

Thema: Gut und Böse

Hybrid-Darstellung

Vorheriger Beitrag Vorheriger Beitrag   Nächster Beitrag Nächster Beitrag
  1. #1
    @real Troll: Ich kenne Prometheus nicht, daher habe ich ein Problem Erfahrbarmachung zu verstehen. Meinst du damit, dem Bösen ausgesetzt zu sein, ihm als Spielball zu dienen; die bloße Erzeugung einer Stimmung; oder das Böse als solches zu erklären und ihm damit seines Mysteriums zu berauben? Horror wirkt auf mich sehr breit gefächert. Diablo gruselt mich trotz Überlegenheit meines Avatars, weil das Böse allgegenwertig ist und nicht erst im Begriff, Einzug zu halten. Resident Evil gruselt mich mit seiner parabelmäßigen Spannungskurve, cheap scares und dem Einbruch des Widernatürlichen in das Natürliche. Silent Hill gruselt mich durch Vagheit und das permanente Gefühl keine Kontrolle zu haben. Letzteres ist den meisten Alpträumen am ähnlichsten, aber dann wiederum ist nichts intensiver, als ein kleiner Schreckmoment auf dem Gipfel der Entspannung.

    @Mordechaj und ganz allgemein:
    Interessant ist auch, dass ich in Horrorspielen noch nie bewusst vom Bösen ausgegangen bin, obwohl sie, von allen Spielen, Gefahr und Urängste am gegenwärtigsten machen. Sofern das Eigenschaften sind, die man dem Bösen zuschreibt, wurden sie jedenfalls mir nicht effektiv anerzogen. Wäre es verkehrt, von mir auf andere zu schließen, oder liegt womöglich in der Annahme, das Verständnis vom Urbösen gehe auf noch ursprünglichere Wesen zurück, der Fehler? Ich kann mir irgendwie beides nicht so recht vorstellen.

  2. #2
    Zitat Zitat von real Troll Beitrag anzeigen
    In Ansätze, die versuchen, Gewinn aus der Binnensicht ziehen, lege ich größere Hoffnungen.
    Da gehe ich auch vollkommen mit, es geht mir nur darum, dass das Ur-Phänomen des Bösen quasi-archetypisch durch die Essenz des "Anderen" bestimmt ist und dass das ethische Böse sich dies a posteriori zunutze macht. Das bedeutet zweierlei; einmal dass es sich beim Bösen um ein gesellschaftlich konventioniertes handelt, das in der Binnensicht eben einfach "das" Böse ist; ein andermal dass diese absolute Zuschreibung vor allem durch den Nexus zum Urbösen Wirkung hat: Hier entfaltet der Jungsche Energiekomplex seine Wirkung beim Rezipienten, nicht etwa die (durchaus logische) Zuschreibung via Konvention. Wichtig ist das deshalb, weil das Phänomen des Bösen entweder diese unbewusste Komponente hat (das unmotivierte Böse), oder eben einen rational nachvollziehbaren Kern aufweist (es ist motiviert und domestizierbar). Die Tatsache beispielsweise, dass das simple Gut-Böse-Schema (Bösewicht ist böse, guter Wicht ist gut; guter Wicht siegt, weil er gut ist, et voilà tout) sehr auf Ablehnung stößt, begründet sich ja gerade in der Irrationalität: Der aufgeklärte Mensch forscht nach Gründen, er hinterfragt, stellt fest. Entweder verkauft man ihm das unmotiviert Böse also besonders gut mit wenigen Begründungsversuchen (Voldemort in Harry Potter; Machthunger, Machtkorrumpiertheit, Familiengeschichte) und lässt die Grenzen womöglich durch Stellvertreter verschwimmen (Snape, Malfoy), oder aber man lässt einen weiten Exkurs in die andere Sphäre zu: Schau, das Böse hat einen Ursprung und eine Genese (mir fallen da momentan nur die Naturalisten ein, Papa Hamlet beispielsweise leitet das Böse unter anderem aus sozialen und gesellschaftlichen Missständen her.

    Bei Harry Potter sieht man übrigens sehr schön die Mischform, die meiner Meinung nach auch enorm zur Funktionabilität der Reihe beigetragen hat: Quasi in Personalunion sind die Todesser (zumindest die, die keine Statisten sind) Stellvertreter der persona Voldemort, ihr Zusammentreffen in der persona des Dunklen Lords potenziert das Böse. Hier ist beispielsweise Bellatrix Lestrange Figur des Urbösen, ihr Handeln ist unmotiviert sadistisch und in hohem Maße verachtenswürdig, über ihr Dasein erfährt man nichts als ihre Greultaten -- anders beim Dunklen Lord selbst, der Produkt seiner Macht und teilweise seiner Vorgeschichte ist. Konsequenterweise ist der Tod von Bellatrix auch eine dieser befreienden Stellen im Buch, man hätte die Alte am liebsten ja selbst durch die Seiten des Buchs hindurch erniedrigt und erdolcht. Bei Voldemorts Tod ist das ein wenig anders, hier steht dann die Erlösung im Gesamten im Vordergrund -- er selbst hat uns ja auch keiner Hauptperson beraubt. Mit ihm stirbt das metastasierende Böse ab, dessen Symptom beispielsweise Bellatrix darstellte der Organismus der ordo in der HP-Welt wird geheilt (wie beispielsweise auch Draco Malfoy "geheilt" wird).
    (Das ist alles furchtbar subjektiv.)

    Das Böse hat meiner Meinung nach immer diese zwei Seiten, das was es im Kern ist (das Urböse), und das was es ausmacht (die Zuschreibung). Erstere würde ich als tiefenpsychologisch bestimmbar verorten, zweitere als ethisch, soziologisch bestimmbar: Nichts bringt die Herzen von demokratisch-bürgerlich geprägten Menschen mehr zu Schlagen, als wenn Gefahr und Unheil der auf einen oder wenige vereinten Macht offengelegt wird. Wir müssen da aber natürlich die Binnensicht wahren, allein schon, weil die Draufsicht unser Publikum womöglich eher abstößt und langweilt -- Papa Hamlet ist stellvertretend für die meiste deutsche naturalistische Literatur äußerst ermüdend, da analytisch und eindringlich; von prodesse et delectare (Es soll nützen und unterhalten.) hat man da nix gehört. Ich halte es aber für äußerst wichtig und spannend, die Mechanismen offen zu legen, um ihre Wirkung nachzuvollziehen und daraus zu schöpfen. Und da sticht meiner bescheidenen Meinung nach eben die Trennung der Zuschreibung vom Energiekomplex sehr hervor.
    (Ich möchte Jung hier übrigens keine höhere Wahrheit unterstellen, ich finde gerade sein Geisteskonzept äußerst esoterisch. Sein Vokabular eignet sich an dieser Stelle aber ganz gut, um die Unterschiede zu verdeutlichen.)

    Meiner äußerst bescheidenen Einschätzung nach sind wir im Übrigen bereits dann in der Binnensicht, wenn wir über das Böse reden. Es handelt sich dabei um ein Konzept, das (meiner persönlichen Wahrnehmung nach) keine kulturübergreifende Wirkung hat (das "Urböse" im kollektiven Bewusstsein hingegen schon). Im Gilgamesch-Epos beispielsweise kann ich kein Anzeichen des Bösen entdecken; selbst der fürchterliche Chumbaba, den die Helden töten wollen, kann nur sehr, sehr schlecht hineingeborgt überhaupt irgendwie mit zugekniffenen Augen in das Böse-Konzept gesteckt werden.

    Zitat Zitat von Owly Beitrag anzeigen
    @real Troll: Ich kenne Prometheus nicht, daher habe ich ein Problem Erfahrbarmachung zu verstehen. Meinst du damit, dem Bösen ausgesetzt zu sein, ihm als Spielball zu dienen; die bloße Erzeugung einer Stimmung; oder das Böse als solches zu erklären und ihm damit seines Mysteriums zu berauben?
    Ich meine (einfach mal frech auf eine fremde Frage antwortend), der Troll geht hier von der Offenlegung und Perspektivierung des Bösen aus; man erfährt also als Rezipient, was den Bösewicht ausmacht, was seine Motive sind, worin sein böses Handeln wurzelt. Vergleich Kelvenspiele: In Sonnenschauer wird der böse Herrscher halt einfach böse; ganz unmotiviert und eigentlich auch ohne jede andere Konsequenz, als dass er zum Gegner avanciert. In ZauPri hingegen haben wir es mit einem Bösewicht zu tun, der die (einem jeden Menschen bestens bekannte und damit Ur-)Erfahrung des Verlustes gemacht hat, und deshalb die Ordnung gefährdet. Das Böse in ZauPri (ich bin mir sehr sicher, dass Kelven es mir übel nehmen könnte, dass ich den Begriff des Bösen auf seine Geschichten herunterbreche, spielt er doch gerade dieses Konzept geschickt aus) ist damit motiviert und nachvollziehbar, "erfahrbar". Oder eben das (teilweise) erfahrbar gemachte Böse in Harry Potter; Tom Riddle hatte einen fiesen Muggelvater, eine schwere Kindheit, wurde durch seine überdurchschnittlichen Fähigkeiten und den falschen Einfluss korrumpiert und immer machthungriger und schließlich -- gänzlich charakterlich verwüstet -- zu Lord Voldemort.

    Zitat Zitat
    Horror wirkt auf mich sehr breit gefächert. Diablo gruselt mich trotz Überlegenheit meines Avatars, weil das Böse allgegenwertig ist und nicht erst im Begriff, Einzug zu halten. Resident Evil gruselt mich mit seiner parabelmäßigen Spannungskurve, cheap scares und dem Einbruch des Widernatürlichen in das Natürliche. Silent Hill gruselt mich durch Vagheit und das permanente Gefühl keine Kontrolle zu haben. Letzteres ist den meisten Alpträumen am ähnlichsten, aber dann wiederum ist nichts intensiver, als ein kleiner Schreckmoment auf dem Gipfel der Entspannung.
    Das nur am Rande noch: Hier finde ich sehr schön an Beispielen das "Gefühl" des Urbösen verdeutlicht. Einer der Gründe, warum Tension, also dramaturgische Spannung, in Unterkategorien unterteilt wird (ich gehe hier jetzt einfach mal mit Surprise, Suspense, Mystery mit, viele Quellen setzen hier sehr berechtigterweise andere Schwerpunkte), ist diese Zerteilung des Urbösen in Urerfahrungen. Der instinktive Schreck (Surprise!) auf eine Bedrohungssituation ist eine intensive und sehr nahegehende Urerfahrung, sie entlädt schnell und sehr potent "Energie" (im eher Jungschen Sinne). Suspense hingegen ist die ständige Bedrohung durch einen imminenten Schrecken; das Gefühl von Hilf-, Macht- und Schutzlosigkeit gegen eine nicht wahrnehmbare, aber numinös erfahrbare Gefahr ist ähnlich potent wie der eigentliche Schreck und versetzt uns in einen Zustand der Urangst zurück.

    Zitat Zitat
    Interessant ist auch, dass ich in Horrorspielen noch nie bewusst vom Bösen ausgegangen bin, obwohl sie, von allen Spielen, Gefahr und Urängste am gegenwärtigsten machen. Sofern das Eigenschaften sind, die man dem Bösen zuschreibt, wurden sie jedenfalls mir nicht effektiv anerzogen. Wäre es verkehrt, von mir auf andere zu schließen, oder liegt womöglich in der Annahme, das Verständnis vom Urbösen gehe auf noch ursprünglichere Wesen zurück, der Fehler? Ich kann mir irgendwie beides nicht so recht vorstellen.
    Die Frage ist hier für mich, was du mit "ursprünglichere Wesen" meinst. Man könnte hier beispielsweise schon sehr berechtigt (berechtigt, weil schon an anderen Stellen geschehen) argumentieren, dass die uns durch die natürliche Auslese verliehenen Instinktängste, also unbewusste und ihre ursprüngliche Funktion größtenteils abgelegte Gefühle, in diesen Horror-Erzählwelten kulminieren. Oder, wieder mit Jung gesprochen, es handelt sich eben um im kollektiven Bewusstsein wahrhaftige Urerfahrungen, denen wir ausgesetzt werden.

    Genau hier würde ich vom Urbösen ausgehen, das keinen Namen trägt (außer eben, man nennt das "Urböses"). Bedrohung und Andersartigkeit machen diese Erfahrungen unberechenbar und potenzieren damit noch die Bedrohlichkeit und die Angstreflexe. Deshalb führt das Erlebnis, das du in solchen Horrorszenarien hast, auch nicht zum "Merke: Das ist grundlegend Böses" -- es ist das bloße Erlebnis dieses Urbösen.

    Um das aber nochmal zu verdeutlichen (denn ich glaube, ich habe das nicht wirklich so verständlich machen können): Ich verwende die Bezeichnung "Urböses" hier genau für dieses Konzept "Bedrohung und Andersartigkeit". Dieses Konzept hat a priori nicht unbedingt etwas mit dem "Bösen" zu tun, das wir kennen und das uns vor allem ethisch bzw. moralisch eingeprägt ist; es ist meines Wissens auch nicht im Wortfeld "böse" im kollektiven Wortschatz abgespeichert. Erst wenn man sich die Überformtheit (sei sie nun kulturell oder auf Medien beschränkt) klar macht, kommt der Nexus zustande: Das Böse ist meist abscheulich Unansehnlich oder sonst irgendwie widerwertig oder eben gar geistesgestört. Oder es fehlen ihm essentielle Werteschranken, wie etwa dem miesen Typen, der aus Kalkül und in vollem Bewusstsein der Fremdkonsequenzen Böses tut. (Das hat irgendwer auch mal als das "Dilemma" des Bösen bezeichnet, glaube ich. Dieses kalkulierte Böse trägt, trotz seines besonders hohen Grades an Rationalität, immer noch die Züge von Gestörtheit, alias Psycho-/Soziopathie.)

    (So, jetzt sind meine "Ur-"s aufgebraucht.)

    Geändert von Mordechaj (04.09.2012 um 21:56 Uhr)

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •