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Thema: Wie würde ein Spiel aussehen, das sich hauptsächlich an Frauen richtet?

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  1. #11
    Zitat Zitat von Kelven Beitrag anzeigen
    [...] ich steh dieser Vereinnahmung als Männlichkeitsbilder eher neutral gegenüber. Ich zieh die Grenze erst dann, wenn eine Figur sich offen sexistisch oder rassistisch verhält.
    Das ist auch dein und unser aller gutes Recht. Aber wenn wir halt darüber reden, wie man marginalisierte Menschengruppen im Diskurs unterbringt, dann beginnt die zu besprechende Marginalisierung schon weit vor aktiver Diskriminierung.

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    Natürlich ist Geralt alles andere als moralisch rechtschaffen, aber gerade das macht ja den Reiz der Geschichte aus und ist eben auch der Unterschied zwischen Fiktion und Realität. In der Fiktion können wir moralisch so handeln, wie unsere Gefühle es sagen, in der Realität sollte man ein bisschen zurückhaltender sein, weil man es mit Menschen zu tun hat und nicht nur mit virtuellen Figuren.
    Niemand, wirklich niemand will einen moralisch rechtschaffen handelnden Geralt. Er ist mir an vielen Stellen noch viel zu rechtschaffen, so sehr nämlich, dass es seine Charakterisierung bricht, nur um den zivilisierten Mitteleuropäer abbilden zu können. (Das Spiel versucht mich beispielsweise dazu zu zwingen, den Bloody Baron ganz abscheulich und abstoßend zu finden, weil er seine Frau misshandelt hat, indem es Geralt die Moralkeule auspacken lässt. Kalter-Kriegs-Schreibweise und so.)

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    [...] ich möchte für Geralts Persönlichkeit und das martialische Gameplay trotzdem eine Lanze brechen, weil ich sie wie gesagt ziemlich losgelöst von realen gesellschaftlichen Strukturen betrachte.
    Und auch das kannst du gut und gern tun und es ist übrigens gar nicht nötig, eine Lanze zu brechen, weil Geralts Charakter und die Gewalt des Spiels hier gar nicht verurteilt sein sollen. Aber man muss sich halt, wenn man über das vorliegende Thema spricht, damit auseinandersetzen, wo diese Darstellungen herkommen, was sie propagieren und was sie tradieren. Und mehr wollte ich mit Geralt eigentlich gar nicht ansprechen, außer dass ich ihn dem Spiel übel nehme, das ansonsten sehr angereicherte Charaktere bereithält, aber an entscheidenden Stellen in übelste Klischees und Schlüssellochperspektiven zurückfällt.

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    Rein patriarchal nicht, aber gäbe es keine Ungleichbehandlung, bräuchten wir diese Diskussion ja nicht zu führen. Vielleicht haben wir irgendwie Unterschiedliches gemeint. Natürlich kann ein einzelner Satz auch nicht die komplexe Wirklichkeit wiedergeben. Ich wollte damit nur zeigen, dass ich die patriarchalen Strukturen nicht verleugnen möchte.
    Und ich wollte damit nur zeigen, dass ich nicht auf Biegen und Brechen überall patriarchale Strukturen reinlese.

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    Ich bin ja wie gesagt der Meinung, dass Medien ein Spiegel der Gesellschaft sind. Ein Spiegel zeigt nur das, was er sieht, er erschafft nichts. Das ist in der Kürze auch wieder zu vereinfacht, ich weiß, aber das gehört zum einen eher ins Politikforum und zum anderen möchte ich auch nicht zu viel schreiben.
    Aber es ist hier eben unglaublich wichtig, auch wenn einige zu meinen scheinen, dass man über dieses Thema ohne irgendwelche strukturpolitischen Überlegungen zu reden weitersprechen kann (in Memes und humoristischen Klischee-Häufungen \o/ ). Denn ja, einerseits handelt es sich um eine Spiegelfunktion, aber da wird nicht die Gesellschaft abgebildet, sondern da wird das abgebildet, was die Gesellschaft von sich veräußert. Diskurse nämlich. Äußerhalb der Diskurse gibt es keine geteilte Wirklichkeit, ergo keine Gesellschaft, weil wir nur Diskurse teilen. Und nun wiederum gibt es viele verschiedene Diskursgemeinschaften ( = Gesellschaften) innerhalb und außerhalb von Diskursgemeinschaften. Und manche von diesen Diskursgemeinschaften sind überrepräsentiert. Im Fall von Videospielen ist das vor allem die angelsächsische US-amerikanischer Prägung (ich weiß, dass es einen riesigen asiatischen Markt gibt, der ist aber eigentlich nur noch ein ganzes Stück problematischer). Und allein das ist schon ein Problem, zu dem dann eben noch die Überrepräsentation bestimmter Strukturpositionen und sehr spezifische Marginalisierungsstrategien kommen.

    Und das kann einem mit gutem Recht und gutem Gewissen alles egal sein; aber es kann nicht egal sein, wenn wir darüber sprechen, wie wir andere Gruppen in Videospiele reinkriegen.

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    [Weibliche Gewalt ist] Exakt so wie männliche.
    Nein, das ist absolut und erwiesenermaßen nicht wahr. Aber du, und zwar nicht nur du, sondern wir alle können uns gar keine rechte Vorstellung machen, wie weibliche Gewalt aussieht. Und es geht dabei nicht um die Gewalt von Frauen per se, sondern es geht um eine an Weiblichkeit rückgebundene Form der Gewaltausübung. Kommen wir einfach nur zu meinem Beispiel von neulich zurück: Wie denkst du, sieht die häusliche Gewalt aus, die Frauen ausüben? Spoiler alert: Der Anteil der Fälle, wo Frauen andere Haushaltsmitglieder grün und blau und zu Knochenbrüchen prügeln, ist in Relation gesetzt verschwindend gering.

    Cersei und Daenerys erfüllen übrigens einen Teilaspekt von weiblicher Gewalt ausgesprochen gut.

    Zitat Zitat
    KingPaddy hat aber schon nicht unrecht, Entwickler achten zunächst mal nur darauf, was Spaß macht. Die Frage könnte also sein: Hat Vielfalt eine Auswirkung auf den Spielspaß?
    Naja, wenn die Entwickler ihr Handwerk verstehen, auf jeden Fall (übrigens: Hellblade). Effektiv sagt ihr damit halt: Geralt muss ein bäriger alter Hengst sein, der sich durch die Lande vögelt und von Monstern über Untote bis zu Handlangern und Politschurken alles blutig niedermöbelt; wer hätte schon Spaß daran, wenn er irgendwas mit Schläue und Diplomatie löst. Gottbewahre.

    Indes hat die Filmindustrie längst bewiesen, wie wirkungsvoll und lohnenswert Diversifikation ist. Es würde keinen Unterschied machen, wenn bei Game of Thrones aller paar Wochen drei wichtige Charaktere sterben, wenn es nicht holistische Charaktere sind. Und bis auf wenige Ausnahmen sind selbst Nebenrollen holistisch gezeichnet. Könnte der Erfolg der Serie etwas mit diesem Aspekt zu tun haben, und mit der ununterschiedenen Diversität mindestens der Hauptcharaktere?

    Xena beweist unglaublich toll, wie man rein-"männliche" Gewalt mit rein-"weiblichen" Attributen verbindet, also gerade nicht aus patriarchalen Mustern ausbricht, und trotzdem eine der brillantesten Charaktere der jüngeren Zeit hervorbringt. Und wie gesagt ist die neue Lara Croft, die immer noch sehr spezifisch männliche Gewalt ausübt, selbst die plumpen und unbefriedigenden Plots der neuen Teile des Franchise wert.

    Niemand will die Kreativität der Entwickler einschränken oder irgendwie Sachen haben, die weniger Spaß machen als vorher. Das Argument ist genau das Gegenteil: Wir brauchen einen Rahmen, in dem sich die Entwickler erzählerisch austoben können, und das Ergebnis wird dann vermutlich noch fesselnder sein. (Hellblade hat sehr langweiliges Gameplay. Aber das Narrativ und seine Operatoren entschuldigen alles.)

    Und hier sind wir halt auch wieder auf der rein ästhetischen Seite: Ich frage mich seit Jahren, warum Videospiele im Vergleich zu ihren medialen Geschwistern es nicht hinkriegen, komplexe Erzählzusammenhänge zu entwickeln (Hellblade! <3). Und wir müssen uns jetzt nicht darüber streiten, ob das so ist oder nicht, faktisch bietet das Medium schon seit Jahren genug Mittel, um filmisches und literarisches Erzählen von vorne bis hinten in den Schatten zu stellen. Aber das passiert nicht. Und das passiert, so überlege ich seit einer Weile, bis dieses Medium nicht eine Weiterentwicklung durchmacht, die jedes Medium durchgemacht hat, nämlich zunächst einmal eine Demokratisierung. Nun existieren Videospiele aber in einer sehr spezifischen Blase, die mit den medialen Voraussetzungen einhergeht, und das bedeutet grundlegend: Die Produktionsseite konzentriert sich auf klare Monopolstrukturen, die aufrecht erhalten werden, indem mit einer Rezipientenbasis paktiert wird. In Nicht-Politikforumsprech: große Studios mit viel Geld geben den Ton an und dieser Ton richtet sich an eine feste, zahlungsfähige Zielgruppe (note that, wenn wir von Zielgruppen sprechen, wir damit nicht eine reale Rezipientengruppe meinen, sondern eine Gruppe, für die etwas zugeschnitten wird). Bestimmte historische Verwicklungen haben dazu geführt, dass diese Zielgruppe sehr weiß und sehr männlich ist. Und deshalb sehen wir eigentlich immer wieder denselben Sandalenfilm.


    Zitat Zitat
    Wie ist das eigentlich mit Makerspielen? Ist jemand der Meinung, dass die Spiele zu androzentrisch sind, sprich zu sehr auf die Interessen von Männern zugeschnitten sind?
    Dazu vielleicht noch ein Wort, weil das ein sehr spannendes Thema ist, vor allem im Bezug auf das eben gesagte, und dann bin ich schon wieder still wie eine Frau im Politikforum:

    Wir haben auch bei Makerspielen natürlich sehr schöne Ausnahmen, Soko bei Velsarbor beispielsweise ist eine wenig stereotypisierte Frauenfigur, und ich finde unter den grottigen angelsächsischen Steam-Veröffentlichungen überdurchschnittlich häufig Makerspiele mit weiblichen Hauptcharakteren.

    Viele Makerspiele sind aber fast noch traditionslastiger und mit eindimensionaler "männlichen" (und meist männlichen) Helden angelegt, als die Industrie das jemals hergab. Und das ist ein sehr spannender Effekt, der mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Retrowert der Spiele zusammenhängt (viele Mechaniken, Kampfsysteme, Graphikstile, die ganze Funktions- und Steuerweise etc.pp. erinnern ja nicht zufällig an alte Titel wie FF6 und dergleichen). Es werden hier halt ältere Muster aufgegriffen und in denen -- und hier schließe ich mindestens fünfzehn Bögen, die ich seit der Diskussion im Politikforum aufgemacht habe -- haben sich rein dadurch, dass sie in den Vorbildern zusammen existiert haben, haben sich also darin bestimmte Charakterbilder und Rollentypen erhalten, die man (viele Makerspiele imitieren ja mittlerweile auch Makerspiele und nicht mehr die 90er-Jahre-Vorläufer) immer weiter tradiert.

    In einer Produzenten-Community, die keinerlei Zielgruppen- und Erfolgszwang ausgesetzt ist, die nicht auf zahlungsfähige Rezipienten abgestimmt sein muss, der ich mit keiner Silbe zusprechen würde, dass sie sich irgendwie suprematistischen Denkwelten verpflichtet. In so einer Community werden patriarchale Strukturen tradiert, und zwar stärker noch als in der aktuellen Unterhaltungsgroßindustrie. Durch reine Imitationshandlungen.

    Gegenprobe und eigene Interessensfrage: Kennt ihr Makerspiele mit LGBTQ-Charakteren?



    Edit: Ich muss übrigens nicht darauf hinweisen, dass ich es derbe scheiße und enttäuschend finde, dass es offenbar keinen stört, wenn ernstgemeinte Fragen mit Witzeleien und Memes beantwortet werden (das ist übrigens keine Schelte an die Leute, die das tun), aber man tumb kritteln kann, dass die Diskussion doch eigentlich ins Politikforum gehört, oder? Stellt euch hier gern das Joker-Meme dazu vor, vielleicht versöhnt das. Es bricht niemandem n Zacken aus der Krone, wenn Leute sich in einigermaßen kohärenter Weise über ein Thema austauschen und dabei halt auch mal längere Argumentationsgänge bemühen müssen. Dieses -- mal ganz offen gesprochen, weil darauf läuft es doch hinaus, oder? -- anti-intellektuelle Rumgestänker finde ich absolut verletzend und zum Kotzen, dass damit Leute aus der Diskussion geekelt werden, die sich die Mühe machen, ihre Gesprächspartner ernst zu nehmen. Schaut euch Lord of Riva an zum Beispiel; der muss mich permanent ernstnehmen, weil er ehrliches Interesse an der Diskussion hat. Das ist doch Strafe genug, finde ich, da muss man nicht noch diffuse Anfeindungen lancieren.

    Geändert von Mordechaj (16.08.2017 um 20:42 Uhr)

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