Da die Frage, wie Spieler und Entwickler zu Charakteren stehen, die (im weitesten Sinne) von der Norm abweichen, im Thread über Charaktere mit Behinderung ja nicht besprochen werden soll, mach ich mal diesen hier auf.

Die Spielfiguren seien zu eintönig, liest man recht häufig, das prominenteste Beispiel ist sicher (nicht in der Makerszene, sondern allgemein) die Dominanz der männlichen Hauptfiguren. Warum ist das so und wie reagieren die Spieler (sowohl auf die eintönigen Figurn als auch auf die von der Norm abweichenden)? Das soll noch keine konkrete Frage sein, die kommen jetzt.

Spielt ein Spieler am liebsten Figuren, die ihm möglichst nahe kommen?
Dieses Argument wird manchmal genannt und auch wenn ich mir vorstellen kann, dass es auf einige Spieler zutrifft, glaube ich nicht, dass es uneingeschränkt gilt. Zunächst mal möchte ich zwischen einem Avatar (die Figur kann vom Spieler selbst gestaltet werden) und einer Identifikationsfigur (ähnlich wie die Figuren aus "passiven" Medien) unterscheiden. Identifikation heißt für mich nicht, dass man sich an der Stelle der Figur sieht, sondern dass man mit ihr mitempfindet und es ist sicher nicht zu gewagt, wenn ich behaupte, dass unzählige Bücher, Filme und Spiele unter Beweis gestellt haben, dass Empathie grenzenlos ist. Auch wenn das Alter, die Persönlichkeit, die Ethnie oder das Geschlecht nicht passt, kann man trotzdem mit der Figur mitfiebern. Die Frage ist nur, ob eine größere Nähe bedeutet, dass man mit der Figur besser mitfiebern kann.

Ich nehm mal mich als Beispiel. Früher dachte ich, dass es das Normalste der Welt ist, sich als heterosexueller Mann eher für Frauen zu interessieren. Doch anscheinend ist meine Vorliebe gar nicht so üblich, ich hab jedenfalls schon viele gegenteilige Meinungen gelesen, bis zu dem Punkt, dass männliche Spieler weibliche Hauptfiguren komplett ablehnen. Ich hab das Beispiel deswegen angesprochen, um zu zeigen, dass die letzte Frage aus dem Absatz zuvor nicht uneingeschränkt mit Ja beantwortet werden kann.

Warum entscheidet sich ein Entwickler für eine ich nenn sie mal Standardfigur?
Diese Frage wurde teilweise schon im verlinkten Thread besprochen. Ein Grund könnte sein, dass die Standardfigur erfolgversprechender ist oder der Entwickler befürchtet sogar, dass eine von der Norm abweichende Figur eher auf Ablehnung stoßen wird. Manche Entwickler haben sicher auch echte Vorbehalte. Dann wurde gesagt, die Entwickler würden es nicht anders kennen. Nur auf Spiele bezogen stimmt das teilweise, aber es gibt ja auch noch andere Medien, ganz zu schweigen vom sozialen Umfeld der Entwickler. "Kennen" impliziert für mich, dass die Entwickler das, was sie in anderen Spielen sehen, unbedarft nachahmen, aber ich glaube, die Entscheidung ist schon etwas willentlicher. Das ist ja auch die Frage: Wählt z. B. ein weißer Entwickler eine weiße Hauptfigur (oder sogar eine Gruppe) weil er weiß ist? Stellt jemand, der nicht rassistisch ist - das ist wichtig - seine eigene Hautfarbe über eine andere?

Passend dazu: Ist es grundsätzlich verwerflich, eine bestimmte Art Spielfigur lieber zu mögen als eine andere?
Ich denke, es gibt nur wenige Spieler, die weder Vorlieben noch Abneigungen haben, und dahinter steckt nicht immer Diskriminierung. Wenn z. B. ein Schwarzer sagt, er spielt lieber schwarze Figuren, dann ist das in Ordnung. Etwas lieber zu mögen heißt ja nicht zwangsläufig, das andere nicht zu mögen. Ich halte es für wichtig, zwischen echter Diskriminierung und Vorlieben, die als Diskriminierung missverstanden werden, zu unterscheiden.

Welche Konsequenzen hätte eine von der Norm abweichende Spielfigur auf die Meinung der Spieler?
Die Meinung der Spieler ist auch den meisten Indie-Entwicklern wichtig und etwas Ungewöhnliches zu machen, birgt natürlich immer das Risiko, dass am Ende kaum einer das Spiel spielt. Ist einem das nicht völlig egal, muss man sich mit der Frage auseinandersetzen, ob eine Figur nicht zu "kontrovers" ist. Interessant ist vor allem, welche Figuren das wären, speziell in der Makerszene. Ich glaube sogar, dass wir hier recht liberal sind. In der allgemeinen Spielszene würde man mit bestimmten Figuren größere Probleme bekommen. Es ist ja sogar so, dass schon eine Heldin, die nicht auf männliche Vorlieben zugeschnitten ist (s. Life is Strange) nur gegen Widerstand durchgesetzt werden kann. Das Problem haben wir hier zum Glück nicht.

Wie abhängig vom Spielgenre ist die Frage von eben?
Ziemlich stark, finde ich. Es gibt eine Menge Genres, bei denen es den Spielern ziemlich egal ist, was sie spielen (solange sie die Figur nicht kategorisch ablehnen) - Puzzlespiele, Jump'n Runs, Shooter usw. Spiele, bei denen eine Identifikation mit der Spielfigur keine große Rolle spielt. Erst wenn es um das Zwischenmenschliche geht, um das, was die Figuren bewegt, um ihre Gefühle, auch die zwischen den Figuren, dann wird es für den Spieler wichtig, wen er gerade spielt. Es muss eine gewisse emotionale Bindung zu den Figuren vorhanden sein.