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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Schwere, feuchte Luft und der Hauch von moosbedeckten, alten Steinen umgab Vesana, als sie erwachte. Halme von Stroh stachen ihr unsanft durch die dünne Wolldecke in die nackte Seite. Widerwillig, knurrend und gähnend drehte sie sich auf den Rücken und schlug zunächst schnell blinzelnd die Augen auf. Schwacher Lichtschein drang an den deckennahen Öffnungen im Steingewölbe der Tiefenschmiede hinein. Es schien nicht, als wäre es gerade erst früher Morgen, zu farblos wirkte das einfallende Licht, vielmehr als dämpfte es das Wetter außerhalb schon lange bevor es überhaupt auf Nirn traf.
Die Kaiserliche fühlte sich kaum erholt, zu kurz war ihre Jagd gewesen und zu lange hatte die Feier gedauert, bevor sie sich hatte von ihr zurückziehen können. Zwar beutereich, aber keinesfalls genug, um für die Versäumnisse der Tage zuvor auch nur annähernd als Ausgleich dienen zu können, war sie gezwungen gewesen im nahen Umfeld der Stadt zu jagen und sich mit Schweinen zu begnügen. Die heiß pochenden Kopfschmerzen plagten sie noch immer, wenngleich sich wenigstens zu Teilen ein Schleier über sie zu legen begann, während Vesa allmählich wacher wurde. Ihre Glieder fühlten sich bleiern an, schwer und ausgelaugt, aber in einer kruden Weise genoss sie es, wissend, dass die Morgenmüdigkeit bald aus ihnen weichen mochte.
Schwerfällig setzte sie sich auf, spürte die Muskelfasern im Bauch, das ziehen in den Seiten, als hätte sie sich am Tag zuvor beim Trainieren überanstrengt. Die kalte Luft, die ihr, nun da der Rücken entblößt war, über die Haut fuhr, linderte jedoch die stumpfe Pein. Aufkommendem Frösteln und Zittern zum Trotz schlug die Jägerin die Wolldecke, die über ihr gelegen hatte, vollends zur Seite und betrachtete für einen Moment ihren angeschlagenen Fuß. Lediglich eine schwache Rötung, kaum mehr als ein milder Sonnenbrand, zeugte von der ehemaligen Verletzung. Es sollte wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis ihre menschliche Regenerationskraft auch dieses letzte Bisschen der Verletzung behoben hatte. Dennoch im ersten Moment vorsichtig stand sie schließlich auf und nahm sich ihre langärmlige Tunika und die knöchelhohen Stiefel.
Die Wolldecken in Vorausahnung herbstlicher Temperaturen um die Schultern geschlungen, verließ Vesa die Tiefenschmiede. Heftige Windböen peitschten ihr ohne Warnung die eigenen Haare ins Gesicht, trieben Tränen in die unvorbereiteten Augen und umspielten ihre nackten Waden wie eisige Liebhaber. Nicht das schlimmste Wetter, das sie erlebt hatte, aber dann doch ein recht plötzlicher Wetterumschwung. Typisch für diese Jahreszeit, die ohnehin viel zu lange viel zu warm gewesen war. Widerwillig ließ sie sich vom Westwind hinter das Gildenhaus und somit in den etwas angenehmeren Windschatten treiben, bevor sie schließlich Jorrvaskr betrat und die Decken von den Schultern streifte. »Guten Morgen«, grüßte Farkas vom Tisch. Er bediente sich gerade noch an den Resten des Ferkels vom vergangenen Abend. »Hunger?«
»Nicht so richtig, aber danke.« Dennoch setzte sie sich neben ihn und ließ die Teile ihrer Nachtstatt über der Lehne eines anderen, freien Stuhls hängen.
»Wie geht’s dem Fuß?« Dass der bärige Nord in der Nacht zum Schluss völlig betrunken gewesen war und von seinem weit vernünftiger trinkenden Bruder mühsam in sein Zimmer geschleift werden musste, merkte ihm die Kaiserliche nicht mehr an. Vielleicht hatte er auch schon einen langen Spaziergang an der frischen Luft zum Ausnüchtern hinter sich. Wer wusste das schon so genau?
»Dem Fuß geht’s prima.«
»Also übernimmst Du die Ausbildung ab heute?«
»Wenn das Blondchen denn aufkreuzt, klar.«
»Oh, der wird auftauchen, keine Sorge.« Vesa schmunzelte. Sie hoffte es. Ein bisschen Bewegung würde auch ihr durchaus gut tun.
»Wie geht’s Deinem Kopf?«, hakte die Jägerin derweil nach und griff nach einem Krug mit Wasser.
Der kräftige Nord neben ihr winkte abfällig schnaufend ab. »Bestens. Was sonst?«
Anstatt darauf zu antworten, erhob sie sich mit einem gefüllten Tonbecher in der Hand und hätschelte Farkas mit der freien Linken durch das dichte Kopfhaar. Der Mann zuckte heftig zusammen und fluchte zischend. »Lügner«, spottete Vesa und schenkte ihm ein breites Schmunzeln, als er ihr schließlich das Gesicht zuwandte. Die freie Hand nun auf seiner muskulösen Schulter ruhend, leerte sie ihr Trinkgefäß und reichte es ihm. »Trink mehr Wasser.«
Er nahm ihr den Becher in einer ruckartigen Bewegung ab. »Ja, Mutter!«
Sie feixte. »Ich gehe mich für die Übungen heute umziehen. Wenn unser Blondchen auftaucht, sag ihm er soll auf der Terrasse auf mich warten.«
»Alles klar.«
»Gute Besserung.« Er nickte nur und sie überließ den verkaterten Nord sich selbst. Leichtfüßig kehrte sie auf ihr Zimmer zurück. Leichtes Summen im Bauch, die Vorfreude auf eine neue Aufgabe und vernünftige, sicherlich unterhaltsame Arbeit, trieb sie an. Es übertünchte sogar zu Teilen ihre dumpfen Kopfschmerzen und vertrieb den letzten Rest der Mattheit in ihren Gliedern. Zum ersten Mal seit Wochen – nein, Monaten – völlig gelassen, nahm sie sich eine braune, gefütterte Stoffhose, eine etwas dickere, langärmlige Tunika in hellerem Braun und ihre hohen Wildlederstiefel. Das Umkleiden dauerte nicht lange. Zum Schluss band sich Vesana nur noch ihren Gürtel um die Hüfte und zähmte die nach den langen Wochen auf Reisen inzwischen überwiegend brustlangen, oder etwas längeren, Haare in einen Pferdeschwanz.
So besser gegen das widrige Wetter über Weißlauf gerüstet, verschwand sie noch kurz in der Waffenkammer und schnappte sich zwei hölzerne Übungsschwerter mitsamt ledernen Scheiden. Eines zurrte sie auf dem Rücken fest, das andere nahm sie so in die Hand. Farkas saß noch immer am Tisch und setzte gerade den Tonkrug mit dem Wasser darin direkt an die Lippen und goss sich gar nicht erst in den kleineren Becher ein. Die Kaiserliche unterdrückte ein Lachen und schmunzelte lediglich, ohne ihn anzusprechen. Er bemerkte sie dennoch ob ihrer schwereren Schritte und des Knirschens ihrer vom Waschen vorrübergehend steifer gewordenen Stiefel. »So gefällst Du mir schon besser«, lächelte er ihr zu, wenngleich es noch eher gequält wirkte. »Olen wartet draußen auf Dich. Pünktlich der Kerl, muss man ihm lassen.«
Kurz darauf stand sie auch schon auf der Terrasse und erblickte den blonden Nord am oberen Ende der Treppe zum Übungsplatz. Er lehnte an dem Pfeiler, mit dem Rücken zu Jorrvaskr, und hielt die Arme wohl vor der Brust verschränkt. Als die dicke Holztür des Gildenhauses ins Schloss fiel, fuhr ein kräftiges Zucken durch seinen Leib und er drehte sich um. »Guten Morgen«, grüßte er und wirkte dabei ausgesprochen müde. Die letzten Tage des Übens mussten ihn ziemlich mitgenommen haben, das stand fest, aber die Tatsache, dass er noch immer hier aufkreuzte, sprach für seinen Willen.
»Guten Morgen«, erwiderte sie und kam auf ihn zu. Im Vorbeigehen, nur einen sehr kurzen Blick in seine von Ringen unterstrichenen Augen werfend, presste sie ihm das zweite Übungsschwert gegen den Leib bis er es festhielt und verließ anschließend die erhöht liegende Terrasse. »Ich nehme an, Athis hat inzwischen so einiges an Kraft- und Ausdauerübungen mit Dir durchgezogen?« Mitten auf dem Platz blieb sie stehen und wandte sich ihm zu. Noch unbeholfen band er sich die Holzwaffe an den Gürtel, dann folgte er mit langsamen Schritten.
»Ja, hat er«, entgegnete Olen und hielt in respektvollem Abstand inne. Immerhin diese Praktik, die vor Übungskämpfen abgehalten wurde, schien sich schon bei ihm eingeschliffen zu haben. Allerdings würden sie nicht kämpfen. Nicht, wenn sie es verhindern konnte, zumindest.
»Gut, gut. Geschicklichkeitsübungen?«
Der Nord überlegte kurz, schüttelte dann aber das Haupt, dass ihm der blonde, zurückgebundene Schopf links und rechts über die Schultern strich. »Nein.«
»Dann werden wir heute ein Spiel spielen.« Die Fragezeichen ließen sich deutlich auf seinem müden Gesicht ablesen. Die Augenbrauen hoch- und zusammengezogen schien es, als wollte er direkt nachfragen, was sie meinte, doch verkniff er es sich wohl im letzten Moment und schloss den leicht geöffneten Mund. Wenn es um ungeduldige, vorschnelle Nachfragen ging, konnte Athis durchaus sehr deutliche Lektionen erteilen. »Ich bin sicher, dass Du als Kind oft Fangen gespielt hast, oder nicht?« Olen nickte. »Das werden wir heute auch. Nur etwas anspruchsvoller für Körper und Köpfchen.« Die Hände auf dem Gesäß verschränkend, spielte sie dort mit der Spitze der Schwertscheide und näherte sich dem Nord. »Und ich würde sagen, Du wirst schnell sehen, worum es geht, während wir es spielen.«
Kein Lächeln, keine freundliche Geste. Stattdessen boxte sie ihm unvermittelt aus der Deckung ihrer Körperseite heraus kraftvoll gegen die Schulter. »Du bist dran.« Damit rannte sie auch schon los und vor dem völlig verdutzt dreinblickenden Olen davon. Es dauerte einige Herzschläge, bis er sich fasste, dann hörte sie seine schweren Schritte in einigem Abstand hinter sich.
Schnell umrundete sie das Gildenhaus bis zum Vordereingang, rannte an der Treppe zum Stadtinneren vorbei und kehrte nochmal auf den Platz hinter der Halle zurück. Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihr, dass sie Olen auf dem gewünschten Abstand hielt und spurtete dann mit Blick nach vorn weiter. Die kalte Luft brannte in den Lungen, die ersten dicken Schweißperlen bahnten sich ihren Weg aus ihrer Haut und heiß pochte das Herz in der Brust. Doch anstatt es als unangenehm zu empfinden, genoss sie die Anstrengung, wohl wissend, dass ihr trotz der langanhaltenden, schweren Verletzung noch immer die gesteigerte Ausdauer des Wolfes und des Zeichens der Fürstin innewohnten. Ein Vorteil, den Olen nicht kannte, aber das brauchte er auch nicht.
Die Treppe zur Himmelsschmiede kam in Sicht. Anstatt jedoch abermals nach links und somit in Richtung Haupteingang Jorrvaskrs abzubiegen, hielt Vesana direkt auf die Steinmauer zu, die das Gelände der Gefährten vom Rest der Stadt trennte. Ein beherzter Tritt gegen einen der groben Steine, die Hände schnell auf dem oberen Ende des Walls aufsetzend und sich mit den Fingern festkrallend, schwang sich die Kaiserliche über sie hinweg. Auf dem abschüssigen Gras dahinter kam sie trotz der feuchten Erde sicher auf die Füße und setzte ihren Weg fort. Ein schneller Tritt auf die zweite, niedrige Mauer am unteren Ende des Hanges und kurz darauf fand sie sich auch schon mitten auf dem Platz um den Güldengrünbaum wieder. Einen Moment verschnaufend, die Blicke der wenigen Menschen, die im stürmischen Wetter ihren Wegen nachgingen ignorierend, sah sie sich nach Olen um. Der blonde Schopf strahlte ihr noch von der höheren Mauer entgegen, wo sich der Mann gerade erst auf die Füße hinabließ und direkt ausrutschte.
Vesa verzog der Anblick die Mundwinkel zu einem süffisanten Schmunzeln. Stolpernd überwand ihr Auszubildender derweil die zweite Mauer und trat mit auf den Platz. Auf die Knie gestützt keuchte er sich vor ihr die Seele aus dem Leib, das Gesicht feuerrot vibrierte sein kompletter Leib. Auch sie atmete schwer und spürte selbst, dass sie zu lange derlei Übungen hatte missen müssen. Aber vor ihm durfte – und würde – sie dies nicht offen zeigen. »Das … ist … kein … ge- … rech- … tes … Spiel«, murrte er zwischen seinen Atemzügen.
Völlig ansatzlos trat sie auf ihn zu, hieb ihm anschließend das Schienbein von innen gegen ein Knie und noch in derselben Bewegung zückte sie das Holzschwert, das gleich darauf mit der flachen Seite gegen seine Stirn knallte. Schmerzerfüllt stöhnend fiel er nach hinten um. »In einem richtigen Kampf geht es nicht um Gerechtigkeit«, fuhr sie ihn an und verstaute ihre Waffe zurück auf dem Rücken. »Das einzige, das dort über Deinen Sieg oder Tod bestimmt, ist Dein Können. Deine Gegner werden sich alles zunutze machen, was sie in die Finger kriegen, um Dich zu bezwingen. Das Gelände kann Dein bester Freund oder Dein schlimmster Feind sein. Je sicherer Du es Dir zunutze machen kannst, desto höher stehen Deine Chancen auf den Sieg«, erklärte sie etwas milder, aber noch immer nachdrücklich. »Und je schneller Du das kapierst, desto besser für Dich.«
»Geschick mit dem Schwert hilft auch. Wann üben wir das?«, entgegnete er und setzte sich auf.
Vesana beugte sich näher zu ihm hinab. »Wie willst Du ein Schwert geschickt im Kampf schwingen, wenn Du bei jedem zweiten Schritt über Deine eigenen Füße stolperst?« Eine Augenbraue hochgezogen starrte sie ihn einen Moment lang schweigend an und beobachtete mit großem Genuss, wie die Worte in seine sich langsam weitenden Pupillen einsanken. Für die Dauer eines Blinzelns lächelte sie, dann wurde sie ernst und schlug ihm die geballte Faust gegen die andere Schulter. »Du bist noch immer dran.« Schnell, bevor er sich von der Überraschung erholen konnte, brachte sie sich auf Abstand und spurtete anschließend, wenn auch etwas langsamer als zuvor, tiefer in die Stadt hinein.
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Geändert von Bahaar (18.12.2014 um 06:53 Uhr)
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