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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Unschlüssig und anstatt des erhofften Hochgefühls nach Abklingen der Wut eher in ein Loch aus Hilflosigkeit versunken, schwieg die Jägerin. Obwohl ihr Kampfpartner genau das getan hatte, was sie brauchte, brachte es nicht den gewünschten Effekt. Im Gegenteil, es erinnerte sie an Darius, an dem sie sich ebenfalls immer hatte austoben können und der nun fehlte. Das Gespräch in der Drachenfeste führte ihr schmerzhaft vor Augen, dass selbst ihre angesehene Familie der Gefährten sie nicht vor allem schützen konnte und ließ die Sehnsucht aufflammen, sich in die Geborgenheit zweier Arme zurückzuziehen, die ihr – obgleich keinesfalls wirklich zutreffend – glaubhaft das Gefühl vermittelten, die Welt könne ihr nichts anhaben. „Vesa?“ Vilkas wandte ihr das Gesicht zu, wie sie aus dem Augenwinkel bemerkte, doch hielt sie ihren Blick stur gen Himmel, um zu vermeiden, dass sich das Wasser in ihrem Auge als Träne verselbstständigte. Ganz zu schweigen davon, dass ihr ein größer werdender Kloß die Worte im Hals abschnürte.
„Lass uns“, setzte sie an, brach jedoch ab, als ihre Stimme versagte. Sie schluckte schwer und versuchte sie zurückzugewinnen. „Lass uns später reden“, war das einzige, das sie herausbrachte bevor sie sich aufsetzte, das Schwert ablegte und schließlich aufstand. Mit raschen Schritten verschwand sie um die Ecke des Gildenhauses. Ab dort außer Sicht vermochte sie die salzigen Perlen nicht länger zurückzuhalten, ließ sie über die verschwitzten, schmutzverklebten Wangen rinnen. Mit verschwimmender Sicht rannte sie zum vorderen Eingang der Halle und trat ein, hoffend, dass noch niemand von den Schaulustigen hineingegangen war. Sie hatte Glück, verkroch sich hastig in den Keller, knallte die Tür hinter sich ins Schloss und nahm in der hintersten Ecke ihres Zimmers Platz. Zwischen Nachttisch und den Wänden hockte sie sich ins Halbdunkel, zog die Beine an und schlang die Arme darum, während ihr die Tränen über die Wangen in den Mund flossen wie Regentropfen an einem Fenster. Die Lippen bebten unkontrolliert und der Rotz mischte sich mit dem Salzwasser, hinterließ einen bittersüßen Geschmack in ihrem Mund bevor sie den Kopf gegen die Knie presste und die Wässer der Trauer an ihren Beinen hinabliefen.
Bei allen Ebenen des Vergessens, hatte sich denn gar nichts geändert in den vergangenen Wochen? Sollte sie noch immer derart anfällig für den Schmerz des Verlustes sein, den sie schon so oft empfinden musste? War es denn nicht endlich an der Zeit die eigene Stärke wiederzufinden und Momente der scheinbaren Hilflosigkeit selbst durchzustehen? Scheinbar lautete die Antwort nein.
Unregelmäßiges Zucken erfasste sie, als Vesana das Schluchzen kaum noch zu unterdrücken vermochte. Zitternd löste sie sich von ihren Beinen und nahm mit kraftlosen Fingern das Hirschkopfamulett und strich über es. Vorsichtig wendete sie es hin und her. Lange blieben ihre eingetrübten Augen auf der Gravur eines frontalgesehenen Wolfskopfes haften, die sich auf der Rückseite des Schmuckstückes befand. Kurz darauf ließ sie es wieder los und vergrub das Gesicht in den flachen Händen als ihr das Luftholen schwerzufallen begann.
Eine unendlich lange Zeit, so erschien es der Kaiserlichen zumindest, harrte sie so aus. Schutzlos und den Wettern lokaler Politik, justizieller Willkür und den Lügen einzelner hilflos ausgesetzt fraß sich die Sehnsucht durch ihr Inneres und zehrte an ihrer Haut wie die Erinnerung an die sanfte Berührung warmer, willkommener Hände, die streichelnd ihren empfindlichen Leib hegten. Doch die Erwartung, die sie damit verband, blieb unerfüllt und so schluckte sie das Loch der Enttäuschung und Einsamkeit. Nur unter größten Anstrengungen schaffte sie es gegen die bleierne Schwere in ihren Gliedern anzukämpfen und sich zu dem Regal zu schleifen, in dem ihr Totem der Jagd stand. Wie eine Puppe nahm sie es in die Arme und presste es gegen ihre Brust, die sich nur noch rasselnd hob und senkte. Als könnte sie zurückbringen, was verloren war, streichelte die Jägerin seinen Kopf und presste die Augen zusammen, als würde sich so ihr Wunsch erfüllen, wenn sie nur fest genug daran glaubte.
In gewisser Weise funktionierte es.
„Denke daran: Nicht zu viel Kraft, langsam und gefühlvoll.“ Der Kaiserliche, der neben Vesana im saftig-grünen Gras saß nahm seine Hände von den ihren. Im Vergleich zu seinen wirkten ihre noch weitaus schlanker und feingliedriger, als sie es ohnehin schon waren – fast schon zerbrechlich, obwohl weit davon entfernt. Die sanfte Berührung kitzelte noch einen Moment lang weiter, bevor sie als Erinnerung der Haut verblasste. Eifrig nickend griff sie noch einmal nach, drückte das dicke Stück Eichenholz fester auf den Boden und setzte das scharfe, kurze Messer neu an die Rinde des Ausschnitts eines Astes. Linksseitig auf ihre Unterlippe beißend begann sie damit, die äußerste Schicht der toten Pflanze abzuschälen und das helle Innere freizulegen. „Sehr gut.“ Die ersten Teile der zähen Borke lösten sich von dem, das sie einst schützte.
Hoch konzentriert strich sich die Jägerin eine Strähne hinter ihr Ohr und setzte die Arbeit fort bis eine größere Fläche gänzlich von ihr befreit war. Eine kräftige Hand strich ihr während der vor allem für die Finger anstrengenden Arbeit zärtlich über den Rücken und blieb irgendwann in ihrem Nacken liegen, nur um dort an der Schädelbasis mit kaum wahrnehmbaren Druck ihren Kopf zu massieren. Von den wohligen Schauern aus dem Konzept gebracht und ihres geistigen Fokus beraubt, schloss Vesa die Augen und ließ ihre Hände zwischen die um das Aststück gespreizten Beine sinken. „Darius“, hauchte sie, „so werde ich doch nie fertig.“ Dennoch drückte sie sich genussvoll lächelnd nach hinten und seiner Hand entgegen bis sie den gesamten Arm ihres dicht neben ihr sitzenden Freundes auf ihrem Rücken spürte.
„Das scheint Dir ja gerade nicht viel auszumachen.“ Sie hörte das Schmunzeln aus der ebenfalls gedämpften, tiefen Stimme des Mannes und erschauderte, als ihr auch noch eine der inzwischen häufigeren Frühlingsbrisen über die Haut an den kaum verhüllten Beinen und Armen strich. „Aber Du hast Recht.“ Abrupt nahm Darius seinen Arm von ihr und rückte wenige Handbreit von ihr weg, um ihr mehr Platz zum Arbeiten zu geben. Überrumpelt und empört ob der Dreistigkeit schlug Vesana mit dem Handrücken nach links aus und traf den Kaiserlichen gegen die Brust bevor er ihren Arm abfangen konnte. Er lachte nur, weshalb sie ihm einen finsteren Blick mit zusammengezogenen Augenbrauen zuwarf und sich dann wieder ihrem Eichenast zuwandte. Allerdings ließ sich das aufbrandende Lachen in ihre Kehle kaum noch unterdrücken und so entließ sie die Luft nur schubweise zwischen den zusammengepressten Lippen. Das dabei erzeugte Geräusch schien der Komik der Situation jedoch eher noch zuträglich zu sein.
„Du bist ein doofer Hund, weißt Du das?“
„Ja, weiß ich doch.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, bei dem sie die fingerbreit getrimmten Haare seines gepflegten Bartes spürte, und der ihr seinen eher herben, aber dezenten Geruch von Bergkräutern in die Nase trug. So besänftigt und breit lächelnd widmete sich Vesa weiter dem Stück Holz, das irgendwann einmal – so hoffte sie zumindest – eine kleine, wolfsähnliche Figur werden sollte. Seit ihrem letzten Geburtstag brachte ihr Darius das Schnitzen bei und jetzt, etwas über ein halbes Jahr später, meinte er, dass sie zusammen ihr Totem der Jagd aus diesem noch eher plumpen Stück Holz ausarbeiten konnten.
Ein Weilchen weiterarbeitend beugte sich die Jägerin angestrengt über den Ast und befreite ihn weiter von seiner Rinde. Ihr langer Pferdeschwanz rutschte ihr dabei über die linke Schulter und ihr Geliebter hob ihn ihr schweigend zurück in den Rücken, damit er sie nicht behinderte. Allerdings ließ er ihm Anschluss seine Hand abermals auf ihr ruhen. „Gss!“ Kurz zuckend schüttelte Vesana sie von sich ab. Er lachte nur.
„Schon gut, schon gut.“ Die Finger verschwanden aus ihrem Nacken.
„Braver Darius. Brav.“
„Pff.“
Schließlich stand das Aststück nackt und seiner dunklen Hülle beraubt im Gras vor ihr. Die eigentliche Arbeit konnte beginnen. Allerdings merkte die Jägerin schon jetzt, dass ihre Finger nicht mehr allzu lange weitermachen würden. Sie schmerzten und fassten den Griff des Messers lockerer als zuvor. Daher ließ sie die Hände sinken und platzierte die scharfe Klinge neben dem Holz. „Mach‘ Du weiter“, forderte sie, verschränkte die Finger ineinander und versuchte sie durch greifende Bewegungen ein wenig zu lockern.
„Jetzt schon?“ Darius stupste sie neckend in die Seite.
„Ja.“ Seine Rechte wanderte ihr im Bereich der Lendenwirbelsäule quer über den Rücken und zwickte sie mehr kitzelnd als kneifend auf ihrem Weg. Sie wand sich mit abnehmendem Erfolg darunter weg und endete schließlich in der Umklammerung seines rechten Armes, die es seiner freien Hand ermöglichte sie am empfindlichen Bauch zu zwacken. Gackernd wie ein Huhn drehte und wendete sie sich, entkam seinen viel kräftigeren Armen jedoch nicht. „Hör auf!“ Er kam ihrer Bitte nicht nach und setzte seine Folter des Liebenden fort, auf dass ihr regelmäßig die Luft wegblieb. Wenn er sie zu etwas antreiben wollte, ärgerte er sie bis sie es nicht mehr aushielt und ihm Folge leistete. Dieses Mal hielt sie allerdings so lange aus, bis sich ihr die Möglichkeit bot, ihrerseits in einen Klammerangriff überzugehen.
Vesa wandte sich ihm zu und schlang erste die Arme um seinen Oberkörper und gleich im nächsten Augenblick auch noch die Beine, so dass sie Front an Front gegeneinandergedrückt saßen. Unglücklicherweise gereichte es eher ihrem Liebsten zum Vorteil, der sie nun mit beiden Händen gleichzeitig fröhlich lachend quer von einer Körperflanke über den Rücken zur anderen auskitzeln konnte. Um ein Quieken zu unterdrücken biss sie sich in den leichten Stoff seines Hemdes an der Schulter und krallte die Finger in seinen Rücken. „Au!“
„Entschul-hick-dige.“ Der Kaiserliche hörte auf und verfiel in einen Lachkrampf, gleichzeitig legte er aber auch seine Arme sanft um sie und drückte sie an sich. Sie spürte das Beben seines Leibes als wäre es ihr eigenes und nur ihr eigenes Zucken erinnerte sie daran, dass es das nicht war. „Toll!“ -hick- Darius lachte weiter. „Nicht -hick- komisch!“ Sie legte ihren Kopf in die Mulde zwischen seiner Schulter und Hals und boxte ihn in die Seite.
„Schon gut, schon gut!“ Er bekam selbst kaum Luft und musste erst einmal tief durchatmen. „Tut mir leid.“ Seine Hand wanderte hinauf zu ihrem Kopf und strich ihr durch die Haare, die sich in ihrem Gerangel aus dem Pferdeschwanz gelöst haben. Sie schloss die Augen und nestelte mit der Linken an Brust und Bauch des Mannes. -hick- Sie merkte, wie er nur zum Teil erfolgreich ein weiteres Lachen unterdrückte und strafte ihn sogleich mit einem eher zärtlichen Hieb gegen den Oberkörper. „Ich soll also weitermachen für Dich, ja?“
„Du hast es -hick- versprochen.“ Sie öffnete die Augen und sah an Darius hinab, von oben in den Ausschnitt des nicht gänzlich zugeknöpften Leinenhemdes hinein. Zielsicher griff ihre Hand hinein und holte das dort verborgen liegende Silberamulett heraus. Fast schon andächtig und so behutsam, als würde Vesana über seine Haut streicheln, drehte und wendete sie es zwischen ihren Fingern, strich über die Gravur auf der Rückseite und beobachtete die Lichtreflexionen, die sich auf der glattpolierten Oberfläche boten. -hick-
„Jetzt sofort?“, wollte Darius wissen und riss sie aus ihrem gedankenleeren Zustand. Behutsam stopfte sie den Talisman in Form eines Hirschkopfes, den ihr Geliebter einst von seinem Bruder bekommen hatte, zurück in sein Versteck an der Brust des Mannes und ließ ihre Hand dort ruhen.
„Hmmm.“ -hick- Sie gab ihm einen Kuss auf das freiliegende Schlüsselbein, schloss die Augen und vergrub den Kopf wieder in der dortigen Mulde. „Gleich.“ Er legte seinerseits das Haupt schief und auf ihrem ab, so dass sie das Schmunzeln auf seinen Lippen regelrecht spüren konnte, während er ihr weiter durchs Haar strich. -hick-
Es waren diese Momente gewesen, die Vesana das Gefühl gegeben hatten, dass ihre Welt doch in Ordnung war – dass sich die Dinge doch zum Guten wenden mochten. Fernab des schmutzigen Alltags auf den Straßen der Zivilisation, mitten in der Wildnis umgeben von nichts anderem als der unberührten Natur. Sie bot ihnen Schutz, verbarg sie vor neugierigen Blicken und war gleichzeitig die Spielwiese, auf der sie Triebe und Sehnsüchte ohne Hemmungen ausleben konnten.
All das sollte jedoch nicht mehr sein. Die inzwischen fast schwarz eingefärbte Figur, die sie in den Armen hielt, entglitt ihrem Griff und schlug dumpf auf dem kühlen Steinboden auf. Die Sicht zur Unkenntlichkeit verschwommen, die Lungen regelrecht nach Luft schnappend, als würden sie gegen den Unwillen zu atmen ankämpfen, und am ganzen Leib zitternd und schüttelnd, als würde sie erfrieren, fiel die Kaiserliche auf die Seite. Rasselnd rutschte das Amulett unter ihrer Tunika hervor, während Vesa die Hände vor das Gesicht schob und einfach liegen blieb.
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Geändert von Bahaar (07.02.2014 um 20:16 Uhr)
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