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Provinzheld
Geistermeer, Nordmaid, Himmelsrand, Windhelm
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Der zweite Tag der Reise verlief im Vergleich zu dem vorherigen noch um einiges ruhiger. Keine unschönen emotionalen Ausbrüche, keine Stürme, und auch sonst blieb es weitgehend still auf dem Kahn. Um die Mittagszeit hing Vesana mit dem Kopf über einer Keramikschüssel, die sie sich von Gjalund geliehen hatte und sog die stinkenden Dämpfe des blubbernden Heiltranks ein. Das Stechen und Ziehen in der linken Lunge, das noch im Hintergrund stets Präsens zeigte, legte sich für die Dauer dieser Prozedur völlig. Da es über diese Behandlungen immer weiter zurückgegangen war, hoffte die Kaiserliche nun, dass es nach der letzten schließlich ganz verschwinden würde. Im Anschluss an das Dampfbad kümmerte sie sich im Frachtraum des Schiffes um ihre Sachen und die Vorbereitung der weiteren Reise. Sie zog sich wärmer an, lagerte die Sachen ausbalanciert auf der Ladefläche des Karrens um und zog zum Schluss die Plane fest.
Bald darauf gesellte sie sich zu Gjalund und seinen Matrosen an Deck. „Hat Eure Behandlung geholfen?“, erkundigte sich der bärtige Nord mit der bärigen Stimme.
Die Kaiserliche nickte. „Das hat sie.“
Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Bootsführers. „Sehr schön.“ Er wandte den Blick nach vorn in die Ferne. Vesa folgte ihm dabei und entdeckte blassblau schimmernd die Umrisse der Nordküste Himmelsrands. Nach Westen hin zog es sich bis auf ihren Breitengrad und verschwand schließlich in der weiten Ferne des Geistermeeres. Bei dem Anblick konnte auch sie nichts daran ändern, dass sich ihre Mundwinkel leicht nach oben zogen. Bald zu Hause, der Gedanke sorgte für Freude. „Der Wind steht günstig. Wir sollten in den nächsten Stunden in den Fjord von Windhelm einfahren. Von da an ist es nicht mehr sehr weit“, berichtete Gjalund. „Ich denke wir erreichen den Hafen noch vor Mitternacht“, fügte er an, als die Jägerin ihm wieder ihr Gesicht zuwandte und bereits zur Frage danach ansetzte. „Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich Euch nach Einbruch der Dunkelheit gerne mit an Deck haben.“
„Weshalb?“
„Bei Nacht den Fjord zu manövrieren ist keine leichte Sache. Eisschollen und scharfe Felsen gibt es überall. Ein weiteres Paar wachsamer Augen würde mir sehr helfen.“
„Ah, natürlich gerne.“
„Habt Dank.“ Die Kaiserliche schenkte dem Kapitän ein Lächeln und überließ ihn dann seiner Aufgabe. Zielstrebig nahm sie ihren angestammten Platz am Bug des Kahns ein, zog die Stiefel aus und legte die nackten Füße hoch, während ihr die nachmittägliche Sonne ins Gesicht schien. Mit der wohligen Wärme auf der Haut und dem frischen Seewind zum Trotz schloss Vesana die Augen, legte die Hände auf dem Bauch und den Kopf in den Nacken auf einem Fass ab. So positioniert genoss sie das Rauschen der Wellen, die salzige Luft, welche ihren Atemwegen guttat, und das sachte Schaukeln des Schiffes. Auf, und ab. Auf. Und ab. Auf … und ab. Auf … und … ab. Auf …
Vorsichtig berührte jemand ihre Schulter und holte sie aus ihrem Schlummer. Zunächst orientierungslos, dann erschrocken, zuckte die Kaiserliche zusammen und musste mehrmals blinzeln, bevor sie ihre Umgebung deutlich wahrnahm. Lyrgleid stand über ihr und seine rechte, kraftvolle Hand ruhte auf ihr. „Entschuldigt.“ Er nahm seine Finger zurück. „Es wird bald Dunkel und Gjalund meinte, Ihr wolltet vielleicht noch etwas essen, bevor wir in den Fjord einfahren.“ Erst jetzt bemerkte Vesa den niedrigen Stand der Sonne und die frostigen Böen, die sie zittern und ihre Härchen auf den Armen sich aufstellen ließen. Noch immer etwas schlaftrunken nickte sie einfach nur und begann damit, ihre Stiefel über die eiskalten Füße zu ziehen.
Nach der kräftigen Suppe, und in ihre dicke Jacke gehüllt, hielt sie vorn Ausschau. Glücklicherweise zogen nur wenige kleine Wolken am Himmel entlang, so dass die funkelnden Sterne die Umgebung ausreichend erhellten. Da die Monde kaum mehr als haarbreite Sicheln abgaben, mussten die übrigen Lichtpunkte ausreichen. Ohne den klaren Himmel wäre es wohl unmöglich gewesen bei Nacht den Fjord zu befahren, was ihre Reise unnötig verzögert hätte. Insofern widmete sich Vesana nach dem nachmittäglichen Nickerchen und der stärkenden Mahlzeit mit gewissem Elan der ihr zugewiesenen Aufgabe. Dass Gjalund die Geschwindigkeit erheblich reduziert hatte, half beim Manövrieren und gab den Ausgucken genug Zeit, Objekte zu erspähen. „Links! Etwa dreißig Meter“, warf sie über die Schulter dem Kapitän zu. Mit der nautischen Sprache von Backbord und Steuerbord kam sie nicht zurecht. Ständig verwechselte sie die beiden, also blieb sie lieber gleich bei den normalen Begriffen. Mit ausreichend Spielraum umschifften sie die Eisscholle.
Das Spiel setzte sich eine ganze Weile lang fort. Zum Glück zog sich über den Sommer das Eis reichlich zurück, wie ihr Lyrgleid über dem Abendessen erklärt hatte, so dass der Zufahrtsweg nach Windhelm ausreichend breit für bald drei Frachtkähne war. Allerdings trieben in dieser Zeit auch die meisten Schollen umher, weshalb es oftmals nicht weniger tückisch sein mochte. Mit Ausnahme einer einzigen Scholle, die sie aber auch nur sacht tuschierten, kamen sie ohne Komplikationen bis zum Hafen Windhelms durch.
Die dicken, hohen Mauern der Stadt, die wohl eine der größten Himmelsrands war, wirkten selbst bei Nacht noch imposant und machtvoll. Obwohl ihr der Konflikt zwischen Kaiserreich und Sturmmänteln wenig bedeutete und sie sich auch herzlich wenig darum scherte, wer gewann, musste Vesa dennoch einräumen, dass sich Ulfric mit Windhelm einen eindrucksvollen Sitz seines eigenen kleinen Reiches gesucht hatte. Ähnlich Einsamkeit für die Kaiserreichsympathisanten, nur etwas schmutziger und älter. Sich als jemand des Kaiservolkes in der Hochburg der Sturmmäntelrebellen aufzuhalten blieb zwar immer noch ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, aber auf der anderen Seite reichte es in den meisten Fällen zu sagen, dass sie den Gefährten angehörte. Der härteste rassistische Bodensatz der Rebellion, der diesen Hinweis ignorierte und am liebsten ein Reich nur von Nord schaffen wollte, ließ sich zwar nicht verleugnen und reichte wohl weit höher in der Hierarchie, als der unbedarfte Betrachter vermuten mochte, aber dieser in Grüppchen auftretenden Spezies von Rebellen ließ sich überwiegend aus dem Weg gehen. Im Zweifelsfall besaß der Status als Gefährte aber so viel Beachtung, dass bei einer handfesten Auseinandersetzung die Sympathien der beistehenden Beobachter auf ihrer Seite lagen und diese ihr dann beisprangen. Nicht zuletzt lag das wohl an Ysgramor, dem ersten Menschenherrscher Himmelsrands, dessen Name mehr Gewicht besaß als jeder nach ihm gekommene und kommende Unabhängigkeitskämpfer im Namen der nördlichen Provinz.
Ein kräftiger Ruck am Schiffsrumpf ließ die Jägerin aus ihren nicht ganz verachtungsfreien Gedanken hochschrecken. Sie hatten angelegt und die Matrosen zogen die Taue am Steg fest. Während sich die Männer abmühten, kehrte die Kaiserliche unter Deck zurück und sah abermals nach ihren Sachen, band sich einen der Dolche an den Gürtel und prüfte den Sitz ihres Geldsäckels. Es wurde Zeit, dass sie heimkehrte. Das Gold ging ihr allmählich aus und von dem spärlichen Rest mussten noch Gjalund, eine Tavernenübernachtung und die Reise nach Weißlauf bezahlt werden. Nur noch das Finanzbuch fehlte und dann suchte sie auch schon wieder nach dem Kapitän. Im Gemeinschaftsraum traf sie ihn. „Wenn Ihr möchtet, können wir Euren Karren noch bis zur örtlichen Taverne bringen“, schlug dieser vor und bot Vesana an, sich mit ihm an den Tisch zu setzen. Sie folgte ohne groß zu zögern.
„Das würde mir sehr helfen, danke.“
„Selbstverständlich gern.“ Sie schenkte ihm ein schmales Lächeln. So viel aufrichtige Freundlichkeit begegnete der Kaiserlichen eher selten, weshalb sie ihr manche Reaktionen schon fast aus Reflex und Überraschung abrang. Nach kurzem Schweigen zählte sie sich die Septime ab, die nach ihrem Rechnungsbuch noch für sie selbst übrig bleiben sollten, den Rest des Geldes schob sie dem Nord zu. Die spärliche Summe, mit der sie bis nach Weißlauf kommen musste, verstaute sie im kleinen Säckel am Gürtel. „Danke.“ Gjalund nickte ihr mit hochgezogenen Mundwinkeln zu und erhob sich. „Nun, wollen wir Euch zum Haus Kerzenschein bringen?“
„Bitte.“ Auch die Jägerin stand auf und ging an Deck. Wenig später hievten die drei Seemänner den Karren aus dem Frachtraum auf den Anlegesteg.
„Lyrgleid, bring sie bitte zur Taverne.“ Der blonde, jüngere Mann begann damit den Wagen der Kaiserlichen zu ziehen und führte diese vom Hafen durch ein Seitentor ins Innere der Stadtmauern. Kaum noch jemand trieb auf den engen, dunklen Straßen sein Unwesen, auch Lichter brannten nur wenige hinter den Fenstern. Die Stadt schlief tief und fest unter dem Tuch des glitzernden Sternenhimmels. Eisige Kälte hielt es straff, damit niemand unter ihm hervorgekrochen kam. Vesa hauchte in ihre hohlen Hände während sie neben dem Nord herlief.
„Ziemlich kalt heute Nacht, selbst für Windhelm“, stellte dieser fest und warf einen Blick über die Schulter zur Kaiserlichen hinüber. Sie ging nicht weiter darauf ein. Nach einem reichlich anstrengenden Fußweg durch die schmalen Gassen und über das holprige Pflaster erreichten sie schließlich ein größeres Gebäude mit hohem Spitzdach, direkt an den Toren im Innern der Stadt. Lichtschein drang durch die kleinen Fenster nach draußen, hin und wieder huschten Schatten an den trüben Glasscheiben vorbei. „So, da wären wir. Euren Karren stellen wir am besten dort an der Seite unter“, meinte Lyrgleid und wies auf einen Unterstand aus Holz.
„Einverstanden.“ Vesa nahm sich noch die wichtigsten Sachen von der Ladefläche, verstaute sie in einem ihrer Tornister und schulterte diesen sehr vorsichtig. Mit den Waffen, dem Geld und einigen verbliebenen Vorräten auf dem Rücken verabschiedete sie sich von dem Nord, der ihren Karren gezogen hatte, und trat auf einen seitlich liegenden Eingang des Wirtshauses zu. Knarzend schob sie die dicke Holztür auf und trat in die wohlige Wärme des schummrigen Innenraumes ein. Fast niemand mehr hielt sich darin auf. Ein ziemlich mitgenommen aussehender Nord in wettergezeichneter Leinenkleidung saß an einem Tisch in der Ecke des langen Gastraumes, ein Barde in farbigen Kleidern saß am Feuer im zentralen Kamin, die Laute neben ihm am Stuhl lehnend, und eine junge Frau des Nordvolkes mit aufreizend tiefem, prallgefülltem Ausschnitt kam gerade eine Treppe am langen Ende des Raumes empor. Sie trug einen Krug, auf dem eine Schaumkrone stand, und reichte ihn dem Barden. Erst danach wandte sie sich dem neuen Gast zu.
„Kann ich Euch helfen?“, wollte sie mit übertriebener Freundlichkeit wissen.
„Ich bräuchte ein Zimmer für die Nacht“, erwiderte Vesana.
„Ah, redet mit Elda. Einfach die Treppe hinab am Tresen.“ Die Kaiserliche folgte der Geste der Nord und stieg die knarrenden Stufen nach unten in den kleinen Eingangsbereich. In einer seitlichen Nische lag eine Theke hinter der eine hochgewachsene, blonde Frau Geschirr trocknete. Sie blickte auf, als sie Vesas Kommen vernahm.
„Guten Abend“, grüßte sie.
„Ich bräuchte ein Zimmer für die Nacht“, erklärte sich die Kaiserliche.
„Zehn Septime. Es liegt am Ende des Ganges links“, erläuterte die Wirtin und deutete auf den Flur zwischen Tresen und Treppe.
„Danke. Sagt, Ihr wisst nicht zufällig, wo ich jemanden finde, der mich gegen Geld nach Weißlauf bringt?“ Elda begann damit, weiter Geschirr zu trocknen, ohne jedoch die Augen von ihrer Kundin zu nehmen.
„Doch, Ihr habt Glück.“
„So?“
„Direkt bei mir oben im Schrankraum. Hrothluf, der Nord hinten in der Ecke. Rotbraunes, zerzaustes Haar, wilder Bart und zerfurchtes Gesicht – leicht zu erkennen – er hat einen Karren und fährt öfter in die Richtung. Fragt ihn.“
„Danke“, die Jägerin nickte und ging wieder nach oben. Die Bedienstete räumte gerade einen Teller und Tonkrug vom Tisch des beschriebenen Mannes ab. Er wirkte müde und schon arg angetrunken. Unbeholfen kratzte er sich mit seinen dicken, rauen Fingern im Bart herum, während er mit der Zunge seine spröde wirkenden, wulstigen Lippen benetzte. „Seid Ihr Hrothluf?“, wollte sie wissen und blieb hinter einem freien Stuhl am Tisch des Nords stehen. Ihre Hände ließ sie auf der Lehne des Sitzes ruhen und fixierte ihn mit festem Blick.
Der reagierte träge. „Der bin ich!“, gab er kund. Erst danach fanden seine braunen Augen die junge Frau, die mit ihm sprach. „Was kann ich für Euch tun?“ Obwohl seine Bewegungen und Reflexe eine andere Sprache sprachen, gaben seine Worte keinen handfesten Anlass dazu zu glauben, dass der Mann schon ein paar Krüge Met zu viel hatte.
„Ich muss nach Weißlauf weiterreisen und die Wirtin sagte mir, Ihr könntet mir dabei helfen.“
„Nach Weißlauf sagt Ihr?“
„Ja, genau.“
„Hm.“
„Ich kann Euch selbstverständlich bezahlen. Allerdings habe ich noch einen kleinen Karren bei mir, den wir ebenfalls mitführen müssten.“
„Hm.“ Hrothluf strich sich scheinbar nachdenklich durch den wüsten Bart. „Könnt Ihr kämpf‘n?“
„Warum?“
„Weil auf der Straße nach Weißlauf ein Geschäftspartner von mir verschwund‘n ist und ich mich sorge. Sollte ihm ‘was widerfahr‘n sein, möcht‘ ich nicht, dass mir dasselbe zustößt. Ich sitz‘ schon vier Tage mit einer Lieferung Schmiedeeis‘n und Werkzeug hier in Windhelm fest, weil diese verflucht faul‘n Sturmmäntel keine ihrer Leut‘ als Söldner abstell‘n und alle Söldner anwerb‘n!“, erklärte der Mann und es trat Zorn in seine Augen, die Brauen zog er enger zusammen und die freie Hand ballte er zur Faust. Die Kaiserliche überlegte einen Moment. Obgleich sie sich nicht unbedingt in der Verfassung befand, zu kämpfen, würde sie in jedem Fall demselben Risiko eines Kampfes ausgesetzt sein, egal mit wem sie nach Weißlauf reiste – zumindest wenn der besagte Geschäftspartner überfallen worden war und nicht einfach von einem Steinschlag oder Tier dahingerafft wurde.
„Ich kann kämpfen, ja“, erwiderte sie schließlich.
„Gut. Gut!“ Hoffnung spiegelte sich nun auf dem Gesicht des Nords wieder. Er strich sich das kinnlange, fettige Haar nach hinten und stand auf. Mit den Oberschenkeln stieß er unbeholfen gegen den glücklicherweise leeren Tisch, dafür verschüttete er eine beträchtliche Menge seines Getränks, das er noch immer in der Hand hielt. „Ihr sorgt für meine Sicherheit und dafür bring‘ ich Euch nach Weißlauf. Um Proviant und Unterkunft unterwegs braucht Ihr Euch nicht zu kümmern. Eur‘n Karr‘n krieg‘n wir schon mit weg. Einverstand‘n?“ Er reichte Vesana die Hand. Offensichtlich würde sie doch noch mit ihrem wenigen Geld zurechtkommen.
„Einverstanden.“ Sie schlug ein.
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Geändert von Bahaar (27.09.2013 um 16:00 Uhr)
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