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Provinzheld
Solstheim, nordöstliches Inland, Inselmitte
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Es schien Vesana beinahe so, als ob sich die Insel gegen sie verschworen hatte. Drei volle Tage und einen Teil des Morgens des vierten Tages benötigte sie, um zurück zum Pass zu kommen. Zwar kam es bis dahin nicht zu Zwischenfällen – weder stieß sie mit gefährlichen Tieren zusammen, noch traf sie ein weiteres Mal auf Rieklinge, diese kleinen, blauen Biester, vor denen sie auch noch einmal Storn gewarnt hatte – aber dafür musste sie sich durch teilweise knietiefen Schnee und dichtes Unterholz im zwielichtigen Treiben der Flocken kämpfen. Beinahe wünschte sie sich, lieber einmal mit einem Raubtier zusammenzustoßen, wenn sie dafür schönes Wetter und optimale Reisebedingungen erhielt. Aber es sollte wohl nicht sein. Die Füße taub, die Hände steif, das Gesicht vereist – einem Schneemann gleichend machte sich die Kaiserliche schließlich daran, den völlig zugeschneiten Pass hinaufzusteigen. Ein gefährliches Unterfangen, ohne Frage, und sie bereute in Momenten besonderer Entkräftung, dass sie vor über drei Tagen im schlechten Wetter aufgebrochen war, aber es half nun nichts mehr. Es gab nur noch Vorwärts, kein Zurück.
Ihre Reise brachte sie an völlig neue Grenzen ihrer körperlichen und geistigen Kräfte – das stellte sie nicht zum ersten Mal fest. Sie lief weiter, obwohl ihre Schenkel längst brannten, als stäche jemand mit nadelfeinen Eiszapfen in sie hinein; sie hielt sich an Felsvorsprüngen fest, obwohl ihre Finger seit Langem nur noch schmerzten und kraftlos waren. Ihre Gedanken fixierten mehr noch als zuvor das Ziel – den Bieststein und Werbären jagen – obwohl die Zweifel an ihrer Fähigkeit erfolgreich sein zu können kaum noch zu verdrängen und zu bändigen waren. Hoffnung wurde zu einem Luxus, den sie sich nicht mehr leisten konnte. Einzig und allein der nächste Schritt zählte, nicht, was sein mochte oder hätte sein können. Ein gleichermaßen beängstigendes, wie befreiendes Gefühl. Trotz der Kälte schlief sie etwas besser – wenngleich immer noch schlecht – und empfand auch weniger, wenn sie in den kurzen Momenten der Rast dann doch einmal dazu kam, zurück zu denken. An die Gefährten, was davor lag. So widersinnig es schien, aber sie ging aus diesen Momenten mit neuer Zuversicht gestärkt hervor.
Während das Fjalding-Plateau zusehends unter ihr im grauen Schleier des Wetters verschwand, näherte sich die Jägerin immer weiter dem Stein. Sie hielt sich dafür soweit möglich am nördlichen Rand des Passes und suchte nach einem Weg, den beschriebenen Vorsprung in der Felswand zu finden, auf dem er stehen sollte. Zum frühen Nachmittag fand Vesana dann einen schmalen Grad nach Norden, der gerade breit genug war, um darauf gehen zu können. Rechts viel der Fels so tief ab, dass sie das Ende im dichten Schneetreiben nicht mehr sah und links ragten die schroffen, vereisten Formationen der östlichen Moesring-Berge in den Himmel empor, wo sie sich im Grau verloren. In derart exponierter Lage zerrten nun auch die Windböen an ihrer Kleidung, so dass sie sich gezwungen sah ihre Schritte noch bedachter zu setzen, als sie es ohnehin schon stets getan hatte. Ein einziger Ausrutscher und es mochte aus mit ihr sein. Zum ersten Mal seit Langem schien sie jedoch auch einmal wieder Glück zu haben. Es handelte sich nur um eine kurze Passage und nach einer hervorstehenden Kante im Fels, um die sich ihr Pfad herumwand, erreichte sie ein etwas breiteres Plateau, das auch noch weitestgehend windgeschützt lag.
Tief durchatmend ließ sie sich für einige Augenblicke zwischen mehreren großen Felsen nieder, um Schnee und Eis aus dem Gesicht zu entfernen. Kleine Eiszapfen klimperten an den Enden der Haarsträhnen. Mühsam und ausgesprochen grobmotorisch fischte sie nach den Beuteln mit den Herzsteinsplittern. Das Gestein aus dem Roten Berg verlor einfach nie seine konstante Wärme. Das kam ihr gelegen, so konnte sie sich mit ihnen wenigstens etwas die Finger auftauen. Dennoch blieb ihr nur wenig Zeit zum Verschnaufen vergönnt. Noch befand sie sich nicht direkt am Ziel ihrer Reise. Erst musste sie den Stein finden. Deshalb raffte sich die Kaiserliche auf, bevor sie zu sehr ins Grübeln geraten konnte, und erkundete das Plateau.
In seinen Abmessungen eher klein, fiel es ihr nicht schwer sich zu orientieren. Die Abbruchkante im Osten wäre von den Felswänden im Westen an einem schönen Tag ohne Probleme zu erkennen. Nur einige hundert Schrittlängen langen zwischen ihnen, schätzte Vesana. Die Länge bemaß sich auf etwas mehr, aber blieb überschaubar. Den Bieststein fand sie im nördlichen Drittel. Eine schiefe Felsnadel, die weder so richtig natürlich, noch künstlich, aber doch irgendwie nach beidem aussah. Umgeben von einem kreisrunden Teich aus seltsamerweise nicht gefrorenem Wasser stach er leicht erkennbar mehrere Mannsgrößen in die Höhe. Es bot einen kuriosen Anblick, dieses Gebilde. Vorsichtig setzte die Kaiserliche den Tornister ab und kniete sich an den Rand der dampfenden Wasserscheibe. Sie war nicht tief, reichte höchstens bis zum Knöchel, und entpuppte sich nach zögerlicher Fingerprobe als ausgesprochen warmer Quell.
Kurzerhand zog sie die Handschuhe aus und tauchte die Hände flach in die klare Flüssigkeit. Es brannte auf der Haut, als ob ihr jemand geschmolzenes Eisen darüber kippte. Sie stöhnte und zog die Hände reflexartig zurück. Im zweiten Versuch tauchte sie behutsamer, langsamer ein. Sie spürte, wie das Wasser ihre Fasern, ihr Fleisch erwärmte und neue Kraft spendete. Noch immer brannte es höllisch, doch sie gewöhnte sich zusehends daran und am Ende lockerten sich ihre Finger, das Gefühl der Kontrolle über sie kehrte zurück und die Kälteschwellungen klangen ab. Erst dann nahm sie sie zurück, trocknete sie schnellstmöglich ab und schob sie zurück in die Handschuhe. Es wurde Zeit, sich auf die Lauer zu legen.
In Sichtweite des Bieststeins grub sich Vesana ein. Zwischen einigen größeren Felsen fand sie eine windgeschützte Stelle, an der sie eine kleine Mulde ausheben konnte, um die Lücke hinter sich mit dem ausgehobenen Material einigermaßen als Sichtschutz abzudichten und gleichzeitig von vorn schwerer zu erkennen zu sein. Sie kleidete die Senke mit ihrer Schlafunterlage aus, um sich nach unten gegen die Kälte zu isolieren, verzichtete jedoch auf die Decke, da diese sie sonst nur behindern würde. Den Speer verkeilte sie als zusätzliche Absicherung nach hinten so, dass ein Angereifer in ihn hineinlaufen oder -springen würde. Das Felleisen deponierte sie zwischen ihren Beinen, nahm die Armbrust in die Hände, die Schwerter trug sie überkreuzt auf dem Rücken und legte sich schließlich bäuchlings auf die Unterlage. Ab diesem Zeitpunkt hieß es warten und ausharren. Früher oder später würde sich zeigen, ob die Bemühungen und Strapazen der Jägerin belohnt werden sollten, oder sie umsonst gewesen waren.
Während sie so dalag und nichts weiter tun konnte, als die Umgebung im Auge zu behalten, ließ es sich nicht verhindern, dass ihre Gedanken zu einer ähnlichen Situation abdrifteten. Seither waren über vier Jahre vergangen und wenngleich sie damals am Ende nicht gänzlich allein dagestanden hatte, so musste sie auch dann allein warten.
Ein Überfall mit den Gefährten auf einen Konvoi der Silbernen Hand im Jahr 4Ä 197. Es sollte ihre richtige Bewährungsprobe sein, um den Status eines Frischlings der Gemeinschaft von Jorrvaskr abzulegen und zu einem vollwertigen Mitglied zu werden. Vesana zählte zu einer kleinen Gruppe um Aela, die auf der Straße südlich von Flusswald in den Büschen und Bäumen auf der Lauer lagen. Jeder in seinem eigenen Versteck und in ausreichendem Abstand zueinander. Der Fluss rauschte unweit von ihnen entfernt, der befestigte Weg ging noch nicht in die sich steil windenden Serpentinen nach Helgen über. Die Kaiserliche saß auf einem Ast in der Krone eines großen Laubbaumes und verkeilte sich mit den Beinen so, dass sie sich oberhalb der Hüfte problem- und bedenkenlos frei bewegen konnte, ohne fürchten zu müssen, herunter zu fallen. Ihren Jagdbogen hielt sie in der rechten Hand, der Köcher beherbergte wenige Dutzend Pfeile, das Stahlschwert lag ihr quer über dem Rücken.
Es war ein kühler, verschneiter Wintertag in den frühen Stunden des Abends. Nur leichte Windböen fuhren durch das kahle Geäst und ließen lockeren Schnee zu Boden rieseln. Die grauen Wolken am Himmel sorgten für schummriges Zwielicht, das den lauernden Jägern zusätzliche Deckung bot. Einer von ihnen hatte zuvor die Straße Richtung Helgen ausgekundschaftet und berichtet, dass der Konvoi in Kürze eintreffen würde. Es war ausgemacht, dass Aela den ersten Schuss abgab und die übrigen einstiegen, die Gefangenen, die die Gruppe der Silbernen Hand mit sich führte, sollten möglichst geschützt und anschließend in die Freiheit entlassen werden. Die kalte Luft knisterte förmlich mit Anspannung, Tiere wagten sich nicht in ihre Nähe.
Dann war es soweit. Hufklappern hallte durch den sich schnell verdunkelnden Abend. Eine Gruppe von fünf Reitern und sechs Bewaffneten zu Fuß, die ein weiteres halbes Dutzend Gefangene einrahmten, näherte sich aus dem Süden. Einige von ihnen trugen Fackeln. Vermutlich wollten sie es an diesem Tag noch bis zu dem kleinen Ort wenige Meilen weiter nördlich schaffen. Vesanas Atem beschleunigte sich, die Rechte griff fester um den Bogen, die Linke holte vorsichtig und darauf bedacht, möglichst keine Geräusche zu erzeugen, einen Pfeil aus dem Köcher. Die zuvor gelegentlich aufquellenden Dampfwolken vor ihrem Mund wurden zu einem konstanten Nebelschleier, der sich kühl auf ihre Haut niederschlug. Die Kälte wich aus den Fingern. Das alles geschah in nur wenigen Augenblicken, in denen sich die Kämpfer der Silbernen Hand weiter näherten und inzwischen unterhalb von Vesas Baum angelangt waren. Sie spannte den Bogen, leise knarrte die Sehne unter der Last, und visierte einen der Reiter an. Aela saß nur ein kurzes Stück weiter Richtung Flusswald auf der anderen Seite der Straße – es würde also bald beginnen.
Gerade dachte die Kaiserliche diesen Gedanken zu Ende, da erfüllte ein scharfes Surren die nächtliche Luft. Es folgte ein dumpfer Schlag, den ein schmerzerfülltes Stöhnen begleitete. Daraufhin rutschte der augenscheinliche Anführer der Gruppe vom Rücken seines Pferdes, ein dunkler, dicker Schaft ragte aus seinem Oberkörper. Seine Rüstung schepperte laut. Doch noch bevor er wirklich aufgeschlagen war, entließ Vesana ihren eigenen Pfeil in die Nacht und legte schon den nächsten auf. Auch dieser flog noch im selben Augenblick davon. Überhaupt brach in den folgenden Momenten ein wahrer Sturm über die ahnungslosen Männer auf der Straße herein. Das Surren und Pfeifen von schnell durch die Luft schneidenden Geschossen hielt einige Herzschläge lang ununterbrochen an. Es endete erst, als keiner der Bewaffneten mehr auf den Füßen stand und sich die Gefangenen völlig verstört schützend zusammenkauerten. Die Jägerin hatte in der kurzen Zeit sieben Pfeile davon gesandt und schwang sich nun, da sie zwei ihrer Gefährten aus den Büschen treten sah, von ihrem Ast herunter.
Die Knie federten den Sprung ab, beschwerten sich jedoch über die rüpelhafte Behandlung nachdem sie so lange starr stehen mussten. Vesana verstaute den Bogen im Köcher und zog stattdessen das Schwert aus der Scheide. Suchend schritt sie zwischen den am Boden liegenden Kämpfern der Silbernen Hand. Nur drei von ihnen hatten es überhaupt geschafft die eigenen Waffen zu ziehen und die Schilde zu heben. Dafür wurden sie aber auch gleich von mehreren der insgesamt fünf Gefährten mit Pfeilen bedacht und so verwunderte es nicht, dass ihnen drei oder vier der todbringenden Geschosse aus dem Rücken ragten. Wer sich jetzt noch bewegte, stöhnte, röchelte, oder anderweitig auf sein Überleben aufmerksam machte, wurde von der Kaiserlichen und Farkas kurzerhand abgestochen. Ein schneller Stich in die Brust oder den Bauch, und das Problem erledigte sich rasch von selbst. Lediglich der Anführer durfte länger leben, er sollte zurück nach Jorrvaskr gebracht und auf Informationen ausgefragt werden. Aela kümmerte sich darum, ihn zu fesseln und transportfähig zu machen. Die übrigen beiden Gefährten blieben noch in ihren Schützenstellungen, um ein wachsames Auge auf die weitere Umgebung zu behalten.
Während der große, schwer gerüstete Nord mit dem Zweihandschwert zur Leiterin ihres Unterfangens und dem Führer der überfallenen Gruppe schritt, wandte sich Vesana den Gefangenen zu. Das Schwert verstaute sie wieder auf dem Rücken und nahm stattdessen einen Dolch, mit dem sie die Fesseln der vier Männer und zwei Frauen durchtrennte. Mit großen Augen schauten die völlig verdreckten und verstörten Menschen sie an. Sie hatten wohl noch immer nicht begriffen, was genau überhaupt gerade vor sich gegangen war. „Geht“, sagte die Jägerin deshalb jedem einzelnen von ihnen. „Macht schon, verschwindet von hier! Ihr seid frei!“ Lediglich ein Kaiserlicher, wohl nur wenige Jahre älter als Vesa selbst, mit dunklem, vollem Haar und einem aufgrund der Gefangenschaft ungepflegten Bart blieb danach immer noch. Sie hatte ihm kaum Beachtung geschenkt, sich nur auf die Fesseln an Händen und Füßen konzentriert.
„Habt Dank“, sprach er. Seine Stimme ruhig, fast schon kühl. Ganz anders als sich die übrigen Befreiten verhalten hatten. Vesana schaute ihn an, musterte seine heruntergekommene, in nicht viel mehr als Lumpen gehüllte Gestalt. Er zitterte vor Kälte am ganzen, trotz des abgehungerten Zustandes die Ansätze von Muskeln erkennen lassenden Leib – und dennoch: Er wirkte gefasst.
„Es war nicht Euretwegen“, entgegnete die Kaiserliche. Seine dunkelbraunen Augen ließen nicht auf etwaige Enttäuschung nach ihrer Aussage schließen.
„Nein, sondern seinetwegen“, er nickte in die Richtung des gefesselten Anführers. „Dennoch: Habt Dank.“
„Gern.“ Sie wandte sich ab und wollte zu Farkas und Aela gehen.
„Bitte“, er hielt sie hastig am Arm fest, so dass sie gezwungen war, sich im wieder zuzuwenden, „ich weiß mit Waffen umzugehen und kann kämpfen. Wenn Ihr nur halb so viel gegen die Silberne Hand habt, wie ich, und Eure Aktionen lassen darauf schließen, möchte ich mich Euch anschließen. Ich weiß Dinge, habe sie belauschen und beobachten können. Lasst mich Euch helfen.“ Vesana riss sich mich einer kurzen Bewegung des Armes los.
„Das ist nichts, das wir hier entscheiden können. Kommt nach Jorrvaskr in Weißlauf. Kodlak wird darüber entscheiden“, mischte sich Aela in das Gespräch ein und kam näher. Farkas folgte hinter ihr und hielt den Anführer der überfallenen Gruppe an den Gefesselten Händen hinter seinem Rücken. Ein abgebrochener Pfeilschaft ragte aus seiner rechten Schulter. Schmerz zeichnete seine Züge und Blut tropfte vom Holz und aus seiner Nase.
„Darf ich Euch dorthin begleiten?“
„Wenn Ihr mithalten könnt“, stelle die hochgewachsene Nord-Frau fest. „Wer seid Ihr überhaupt?“
„Darius. Darius Gallean.“
Am Rand des Teiches um den Bieststein, an der ihr gegenüberliegenden Seite, bewegte sich etwas. Augenblicklich schnappte Vesana aus der Erinnerung zurück in die Gegenwart. In flickenartiger Fellkleidung stand dort ein schlanker Mann. Die Kaiserliche beobachtete ihn zunächst aus ihrer Deckung heraus. Offensichtlich fühlte er sich sicher und rechnete nicht damit, dass irgendwo eine potenzielle Gefahr auf ihn lauern könnte. Der Größe und den Gesichtszügen nach zu urteilen mochte es sich durchaus um einen Nord handeln, befand Vesa.
Nach kurzem Warten am Rand der Wasserfläche, begann der Neuankömmling damit, sich auszuziehen. Zunächst die Felllappen um den Oberkörper, dann die Stiefel und zuletzt die Hose. Nackt stand er im Wetter. Die Kälte der Umgebung schien ihn nicht zu kümmern. Völlig unbedarft setzte er den ersten Fuß ins dampfende Wasser und holte den zweiten gleich darauf nach. Er kniete sich in kurzem Abstand von der feinen Felsnadel nieder und setzte im Anschluss auch noch die Hände in den Teich, der Oberkörper vornüber gebeugt. Der Moment der Ruhe hielt jedoch nur einen Augenblick an. Schlagartig fuhren Krämpfe durch den Leib des Mannes, seine Muskeln spannten sich, verzogen seine Glieder in ungewöhnliche Winkel. Der Nord stöhnte zunächst, dann wandelte es sich zu tiefem, animalischem Grollen. Dichtes, dunkles Fell spross ihm aus der hellen Haut. Sein Gesicht verformte sich zu einer langgezogenen Fratze, die erst nach und nach die Züge eines Bären annahm. Lautes Knacken ging mit den massiven Veränderungen in der Form und Stellung der Knochen einher. Die Brust schwoll an, der Rücken krümmte sich. Seine Arme wuchsen in die Länge, Muskeln prägten sich aus. Es dauerte nur wenige Augenblicke bevor ein gut und gerne sechs Fuß großes Werwesen in seiner vollen Größe im Wasser um den Bieststein stand. Hatte Vesana die Veränderungen der Gestalt mit einer Mischung aus Faszination und Ekel verfolgt, so empfand sie jetzt, da der Prozess abgeschlossen schien, vor allem Bewunderung und Respekt für die Majestät und Perfektion dieses Geschöpfes. Erst nach und nach mischte sich Furcht mit darunter.
Es sollte nun also ernst werden. Die Jägerin biss die Zähne zusammen, unterdrückte die aufquellende Leichtigkeit in den Eingeweiden und schluckte den sich anbahnenden Kloß im Hals hinunter. Ihre Rechte griff fester um den Kolben der Armbrust, die Linke fischte zum wiederholten Male die Strähnen aus dem Gesicht, bevor auch sie sich an die Schusswaffe legte. Vesa kniff das linke Auge zusammen und schielte mit dem rechten über den Rücken der Waffe, entlang des Bolzens und in verlängerter Linie zu dem Werbären. Dieser stand noch immer ruhig vor dem magischen Stein, als ob er für ihn eine besondere Anziehungskraft ausübte.
Bevor sich dieses Geschöpf der Jagd entfernen konnte, oder durch seine feine Nase auf die in Deckung liegende Kaiserliche aufmerksam wurde, entschloss sich diese zu handeln. Die freien Fingerkuppen der rechten Hand legten sich auf den schmalen Metallbügel an der Unterseite der Armbrust und drückten dieses an das Holz. Klickend löste der Mechanismus aus, die stählernen Haken, die die straffe Sehne zurückhielten, gaben diese freie und das kurze, dicke Geschoss flog davon. Die Spannung übertrug sich mit einem kräftigen Ruck auf den Bolzen und surrend pfiff er zielfixiert durch die Luft.
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Geändert von Bahaar (19.07.2013 um 10:13 Uhr)
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