-
Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
<< Zum vorherigen Beitrag
»Vesana Calvianus«, sprach der von unzähligen Kämpfen gezeichnete Gardist und durchbrach unsanft die Ruhe der Gildenhalle. »Eure Präsenz wird gewünscht.«
Tonlos stand die Kaiserliche auf und überließ Vilkas ihr Übungsschwert. Zähneknirschend, plötzlich federleicht in der Magengrube, umrundete sie die große Tafel und näherte sich den nahe dem Haupteingang stehen gebliebenen Wachen. »Um was geht es diesmal?«, verlangte sie zu wissen und fixierte das Gesicht des helmlosen Gerüsteten. »Oder könnt Ihr mir dies abermals nicht mitteilen?«
»Ihr sagt’s. Bereitet uns keine Umstände und Ihr mögt bald wieder hierher zurückkehren können.« Sie blieb ihm eine Antwort schuldig und folgte, als ihr Geleit Jorrvaskr verließ. Zum zweiten Mal binnen einer Woche wurde sie nun also vorgeführt wie eine Kriminelle. Voll Wut und Zorn ballten sich ihr die Hände zu Fäusten, als die Jägerin sie in den Rücken legte. Es stand außer Frage, dass Hrothluf – oder besser Trargolf – erneuten Anlass für ihre Vorladung bot und der bloße Gedanke an seinen Namen ließ ein nur mühsam zurückgehaltenes Knurren in ihrer Kehle aufsteigen. Wenn er nicht bald am Strick baumelte oder ihm ein schlimmeres Schicksal zuteilwurde, Vesa würde ihm nur allzu gern auf die Sprünge helfen. Sollte er im Rausch von seiner eigenen Schmuggelware von einer Klippe in den Abgrund stürzen und von wildem Getier in alle Richtungen zerrissen werden, sie würde es mit Freude beobachten.
Doch dafür bot sich bisweilen noch keine Gelegenheit und es stand ohnehin abzuwarten, welche Äußerungen dieses Bastards ihrer Anwesenheit zur Klärung bedurften. Wenigstens das sollte sich jedoch früh genug offenbaren. Inzwischen bereits am Verlies der Drachenfeste angekommen, öffnete der zweite, stumme Gerüstete die dicke Holzpforte, während ihr der Helmlose gebot einzutreten. Knarrend und krachend schlug die Tür ins Schloss und sperrte sie im flackernden Halbdunkel des Kerkers ein, umgeben von feuchtem Moder und dem flüsternden Wehklagen eingepferchter Verbrecher aus den fernen Enden der Gewölbe. »Hier entlang«, forderte der Anführer ihres Empfangskomitees und bedeute der Kaiserlichen ihm zu folgen. Den Weg kannte sie bereits, hatte er sich doch bei ihrem ersten Besuch mit der Glut heißer Wut bereits zur Genüge in ihr Gedächtnis gebrannt.
Wenig später erreichten sie den Verhörraum, in dem auch schon die erste Konfrontation mit Hrothluf und Elgryr stattgefunden hatte. Kurzes Klopfen und ein dumpfes Brummen aus dem Innern später, trat ihre kleine Gruppe ein. Der Justiziar saß genau an derselben Stelle, wie auch schon eine Woche zuvor. Seine kurzen, dunkelblonden Haare lagen mit Fett zur Seite gestrichen eng am schneidigen Kopf, die Haut wirkte gepflegt, rein und glänzte im flackernden Schein der Wandleuchter als bräuchte er sich nie rasieren. Eine smaragdgrüne, seidige Tunika hüllte seine schlanke Statur ein, goldene Stickmuster entlang der Ränder rundeten die prunkvolle Erscheinung ab. Den Rest verbarg der schwere Holztisch.
Doch es reichte, um bei Vesana unangenehme Erinnerungen vom letzten Zusammentreffen und überwältigende Abscheu gegenüber seiner scheinheiligen, überbordenden Erscheinung hervorzurufen. Erst danach streiften die Augen der Kaiserlichen die Umgebung ab. Vier weitere Gerüstete standen in den dunklen Eckend es Raumes und abgesehen von Elgryr saßen zwei weitere Personen am Tisch. Eine von ihnen war, wie vermutet, Hrothluf – inzwischen deutlich heruntergekommen, magerer und verdreckt bis zu den Haarwurzeln. Ein wenigstens vorrübergehend befriedigender Anblick, der ihr ein kurzes Zucken im Mundwinkel bescherte bevor die dritte Person am Tisch ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
Im Halbdunkel zunächst unsicher, bestätigte sich nach schnellem Blinzeln Vesanas Vermutung: Es war Arcadia, die dort in abgetragener, langer Tunika und brauner Schürze saß. Die Finger ineinander verschränkt und nervös mit den Daumen ringend blickte die magere, von zahlreichen Falten im Gesicht gezierte Alchemistin auf. Die Jägerin zog in Verblüffung eine Augenbraue hoch.
»Willkommen. Setzt Euch«, durchschnitt unvermittelt Elgryrs eiskalte Stimme das Schweigen, das sich wie ein Spinnennetz zwischen den Anwesenden aufgespannt und sie festgehalten hatte. Wortlos folgte die Kaiserliche der Aufforderung und nahm Platz. Wie auch bei ihrem letzten Zusammentreffen breitete der Justiziar vor sich eine leere Pergamentrolle aus und tunkte seinen Federkiel ins Tintenfass. Diesmal saß sie jedoch nicht Hrothluf, sondern dem Verhörmeister gegenüber. »Ihr kennt die Anwesenden?« Der blonde, für sein Volk viel zu schwach gebaute Nord fixierte Vesana, die klaren, graublauen Augen schimmerten wie Edelsteine vor der Flamme einer Kerze, als er sie musterte und die ringbesetzten Hände ineinander faltete.
»Ich kenne Hrothluf, wie Ihr wisst«, antwortete sie wahrheitsgemäß ohne den Abschaum zu ihrer Linken eines Blickes zu würdigen. »Und ich kenne Arcadia«, setzte sie fort während ihre Augen zu dieser hinüberwanderten. »Sie ist die örtliche Alchemistin.«
»Hmhmm.« Elgryr nahm sich seine Feder und kritzelte etwas auf das Pergament und wie ein nervöses Kind ertappte sich Vesa dabei, wie sie mit den Füßen zu Wippen begann. Der messerscharfe Gesetzeshüter verunsicherte sie, ließ sie sich fühlen, als wäre sie tatsächlich schuldig und nackt. »Arcadia. Kennt Ihr diese Frau?«
Die Angesprochene zuckte heftig, als erwachte sie aus einer Art Trance. »Ja«, entgegnete sie in seidendünnem Ton und verfiel danach in erneutes Schweigen. Der Jägerin zogen sich die Eingeweide schmerzhaft zusammen und beinahe hätte sie sich murrend vorgebeugt, um das Ziehen in der Bauchdecke zu vertreiben. Aber genau das lenkte sie immerhin vom anschwellenden Hämmern in den Schläfen ab.
»Woher kennt Ihr sie?«, hakte der Justiziar ungerührt nach.
»Sie …«, Arcadia schluckte, »Sie gehört zu den Gefährten und kau- … kauft gelegentlich bei mir ein«, erläuterte die Alchemistin. Es ließ sich kaum übersehen, dass die Situation der Ladenbesitzerin bereits bis in die Knochen gedrungen war und in Vesana sank allmählich ein völlig gegenstandsloses Unbehagen ein, das der formlosen Furcht in der Finsternis des Tunnels im Hügelgrab beängstigend nahe kam. Mühevoll zog sie die Zehen in den Stiefeln an, als könnte sie sich so im Boden festkrallen und das Wippen und Scharren unterbinden. Vergebens.
Im Augenwinkel beobachtete Vesa ab und an Hrothluf, doch der krümmte sich nur und blickte geistesabwesend auf die Tischplatte. Entweder es gehörte zu seinem Spiel dazu, oder aber die Tage im feuchten, dunklen Kerker machten ihm wahrhaft zu schaffen. Vermutlich ein wenig von Beidem, denn ohne irgendeine neue Geschichte des rothaarigen Nord müsste sie sich wohl gar nicht erst mit ihm hier befassen.
»Was kauft sie ein und wie oft tut sie das?«, wollte der Justiziar unterdessen wissen und hob das Kinn, um der Alchemistin ins Antlitz zu sehen. Was für ein hochnäsiger Bastard, wie er mit einer bloßen Geste und emotionslosen Worten andere völlig aus der Balance bringen konnte. Auf der einen Seite musste Vesana ihm zugestehen, dass es sicherlich sehr praktisch war, andererseits verachtete sie ihn dafür und fürchtete ihn gleichermaßen.
»Kleinere Mengen an Zutaten … für Tränke und Salben, und manchmal auch gleich fertige Tränke«, erklärte Arcadia. »Zur Wundheilung«, setzte sie schnell nach, wohl um die möglichen Verwendungszwecke der gekauften Zutaten wissend.
»Wie oft kauft sie bei Euch ein?«
Die Ladenbesitzerin kam abermals ins Stocken und ihr Blick verlor sich irgendwo im Dunkel. »Nicht sehr oft«, antwortete sie letztlich. »Ein-, vielleicht zweimal im Monat.« Vesa atmete leise durch. Trotz dessen, dass die zweite Kaiserliche am Tisch vom Stress der Situation erheblich zitterte, schien sie ihre Erinnerungen gut im Griff zu haben. »Obwohl in letzter Zeit … also … vor etwa einer Woche war sie wieder bei mir«, redete sie unverhofft weiter, in hohem Takt zwischen schnellen und langsamer Sprechweise wechselnd. »Davor habe ich sie lange nicht gesehen.«
Das schien Elgryrs Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er lehnte sich ein Stück vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Die Hände ineinander gelegt tippte er sich mit dem Zeigefinger in die Mulde am glattrasierten Kinn. »Wie lange?« Obwohl die Alchemistin nichts unwahres erzählte, fühlte sich Vesana ertappt als wäre sie irgendein dreister Dieb. Sie wusste nicht, worauf der Justiziar hinauswollte oder was hinter seinem ausdruckslosen, spitzen Gesicht für perfide Gedanken einander jagten. Aber die Tatsache, dass sich das Verhör gerade nur um sie drehte und augenscheinlich schon eine Weile vor ihrer Ankunft begonnen haben musste, gefiel der Jägerin überhaupt nicht. Erst als sich ihre Fingernägel schmerzhaft in die Handrücken drückten, merkte sie wie verkrampft ihre Hände sich aneinander krallten.
»Bestimmt zwei Monate nicht. Vielleicht auch drei?«
»Hmhmm.« Der Nord schrieb etwas nieder. »Trargolf«, sprach er anschließend lauter, hob den Kopf und schaute den rothaarigen, zerzausten Nord an während er ohne hinzusehen den Federkiel ins Fässchen einfädelte. Der Angesprochene zuckte und hob seinerseits das Haupt. Tiefe Ringe zierten seine eingetrübten Augen, getrockneter Speichel verklebte den Bart an den Mundwinkeln. Eine kümmerliche Erscheinung, die die kühle Feuchtigkeit des Kerkers selbst im wärmeren Ambiente des Verhörraumes nicht gänzlich aus den Knochen zu vertreiben mochte. Die schmutzigen Finger der in Eisen geschlagenen Hände zitterten. »Erklärt nochmals, worin Eure Verbindung zu diesen Frauen besteht.«
Hrothluf atmete tief durch, dann ließ er die Augen über Arcadia zu Vesana schweifen. Auf ihr ruhend klärten sie sich plötzlich auf und funkelten mehr listig und abschätzig, als sich im Trübsinn eines gebrochenen Mannes zu verlieren. Er war – das stand außer Frage – noch nicht fertig mit Vesana. Was auch immer er sich dieses Mal ausgedacht hatte, es konnte nichts Gutes sein, und der bloße Gedanke an die Möglichkeiten ließ ihr das Herz einige schmerzhafte Lidschläge lang aussetzen. »Vesana hier, meine Geschäftspartnerin«, begann der heruntergekommene Nord zu sprechen, »mit ihr habe ich seit einigen Jahren zusammengearbeitet.« Er lehnte sich vor. »Ziemlich erfolgreich bis sie mich verraten hat«, zischte er, ballte die Fäuste und presste die Kiefer zusammen, bis die Adern unter der Haut an den Schläfen hervortraten.
Der Kaiserlichen fiel es schwer, sich zu beherrschen. Zähneknirschend versuchte sie die aufkeimende Wut hinunterzuschlucken. Immerhin schaffte sie es, ihn nicht lauthals einen Lügner zu schimpfen und vermied es, ihm an die Kehle zu springen. »Arcadia stieß erst vor etwa einem Jahr dazu«, fuhr Hrothluf fort.
»Lügner!«, entglitt es Arcadia, die feuerrot angelaufen war und der Tränen in den Augen standen. Bevor Elgryr, der blitzschnell mit dem Kopf herumschnappte, etwas sagen konnte, redete sie mit sich überschlagender Stimme weiter: »Was auch immer ihr zwei da am Laufen habt, lasst mich da raus!« Danach begann sie zu schluchzen und vergrub das Gesicht in den hohlen Händen.
»Wir haben gar nichts am Laufen!«, fühlte sich nun auch Vesana genötigt, in die Bresche zu schlagen, solange der Justiziar mehr interessiert schwieg, als sich von der Unterbrechung belästigt zu fühlen.
Doch letztlich hob er die schlanke, ringbesetzte Rechte. »Genug. Ich bestimme, wer redet.« Dennoch war sich die Jägerin ziemlich sicher, dass ihm der Einwurf der Alchemistin irgendwie doch in sein Konzept des Verhörs passte. »Trargolf, fahrt fort.«
»Durch ihre Arbeit mit den Gefährten wusste Vesana, dass Arcadia Schulden hatte und diese durch die Gefährten eingetrieben werden sollten«, log der Kerl weiter und Vesa gefror das Blut in den Adern. Ein eisiger Schauer jagte ihren Rücken hinab und ließ den Mund leicht offen stehen. »Also haben wir das genutzt, um Arcadia ein lukratives Angebot zu unterbreiten. Wir benötigten ohnehin alchemistische Expertise, um die Qualität unseres Skoomas sicherzustellen«, setzte er fort. Er schien jeden Gedanken an eine mildere Strafe verworfen zu haben und wollte scheinbar nur noch Vesana mit sich in die Tiefe reißen. Elgryr hörte ihm mit ausdrucksloser Miene zu, aber so wie sie ihn seit dem letzten Verhör einschätzte, mochte er im Anschluss mit einigen unangenehmen Fragen auf sie zukommen. Vermutlich aber erst nachdem er sie reagieren ließe. Ein Kloß formte sich in ihrem Hals und sie fand sich unfähig, Hrothluf in seinen anstandslosen Lügen zu unterbrechen, obwohl sie es gern getan hätte. Selbst das Verlangen, ihn in Fetzen zu reißen, verfolg vorrübergehend.
Das Schlimmste für Vesa war jedoch nicht, dass er log, sondern die Gelassenheit, mit der er es tat. Nach einer Woche im Verlies hatte sich seine Stimme mit derartig viel Müdigkeit angereichert, dass er abwesend, vor allem aber ungerührt und gleichgültig erschien. Attribute, die ihn selbst für ihre Ohren beängstigend glaubwürdig klingen ließen.
»Jedenfalls ist Arcadia eingestiegen und das Skooma auf meinem Karren sollte zu ihr«, endete der Nord und lehnte sich zurück. Allerdings erst, nachdem er der Jägerin noch einmal ein dämonisches Funkeln in den Augen geschenkt hatte.
»Gutgut.« Elgryr schrieb erneut. »Fräulein Calvianus«, der Justiziar lenkte seine eisigen Augen auf sie, dass ihr das Blut aus dem Gesicht wich, »weshalb wart Ihr vor etwa einer Woche bei Arcadias? War dies vor oder nach unserem ersten Gespräch?«
»Einen Tag davor«, antwortete sie. »Ich habe Vorräte aufgefrischt, die ich auf der Reise nach Solstheim verbraucht hatte.«
»Ah ja, richtig. Eure Reise nach Solstheim.« Ob er sie gerade verspottete oder ihre nicht zu überprüfende Expedition in den hohen Norden als Beweis schlicht nicht ernst nahm, mochte die Jägerin nicht sagen können. Flau wurde es ihr allemal und das spärliche Mittagessen begann sich unangenehm im Magen zu wenden. Arcadia sah gar nicht erst auf, zuckte nur gelegentlich mit den Schultern und schwieg mit dem Gesicht in den Händen. »Seid Ihr sicher, dass Ihr sie nicht vielleicht über Hrothlufs Verhaftung informiert habt?«, hakte Elgryr nach. Fassungslos starrte sie den Mann an. Wie konnte er ihr nicht glauben? Es musste doch mehr als offensichtlich sein, dass sich dieser erbärmliche Haufen Lumpen von einem Nord, der ihr zur Linken saß, nur weiter in Lügen und Märchen verstrickte.
»Natürlich hat sie sie gewarnt und jetzt spielen sie hier etwas vor!«, fuhr ihr der Rothaarige dazwischen, bevor sie antworten konnte.
»Schweigt! Ich bat Euch nicht zu Wort«, schnappte der Justiziar zurück und Hrothluf schnalzte abschätzig mit der Zunge. »Also?«, wandte er sich an Vesa.
»Warum sollte ich sie gewarnt haben? Wir haben nichts mit Hrothluf zu schaffen und kennen uns außer über das sporadische Geschäft nicht«
»Das bleibt zu beurteilen.«
Unwillkürlich ballte sie die Fäuste. »Schwachsinn!« Bevor sie sich des Wortes, das da von ihrer Zunge floss, wirklich gewahr wurde, ließ sich der angerichtete Schaden bereits nicht mehr begrenzen.
»Bitte?« Elgryr neigte das Haupt zur Seite und schaute sie nun zum ersten Mal mehr als nur überlegen und herablassend an. Er wirkte, als wollte er die Kaiserliche genau dort haben, wo sie sich gerade befand: In der Zwickmühle, weil ihr der Geduldsfaden gerissen war.
Hilflos blickte sie zurück, vorerst unfähig zu sprechen. Dass ihr mit einem Mal ein gletscherkaltes Messer durch die Schläfe in den Schädel fuhr, half überdies nicht gerade, sich zu konzentrieren. Letztlich aber schien es nur noch den Weg nach vorn zu geben. »Das ist Schwachsinn«, wiederholte Vesa, ihre Stimme zum Zerreißen dünn gestreckt.
»Was ist … Schwachsinn?«
»Mir nicht zu glauben. Es gibt genügend Zeugen, die sie bestätigen können«, erklärte die Kaiserliche an Festigkeit gewinnend, verhinderte aber auch nur mit Mühe, dass sich ihre Zunge beim Sprechen überschlug.
»Zeugen, die nicht hier sind«, spotte Hrothluf dazwischen und verzog das Gesicht zu einer Grimasse des Hohns.
»Halt Deinen Rand, schäbiger Lügner!«, zischte sie. Arcadia schwieg während des Austauschs betreten und irritiert, Elgryr wirkte scharfsinnig und emotionslos wie immer.
»Und so fällt die Maske«, kicherte der Rothaarige nun und strich sich mit den gefesselten Händen durch den Bart.
»Mas-?« Oh, wie sie ihn zerreißen würde. Ihre Geduld gelangte am Nullpunkt an und der Plan offensiverer Gesprächsführung verging in dichtem Rauch. Blitzschnell sprang sie auf und langte über den Tisch, zog Hrothluf heran und knallte ihn Gesicht voran auf die Tischplatte, dass es abscheulich knackte. Der Mann heulte schmerzerfüllt auf, doch noch ehe Vesana weiter gewaltsam mit ihm umspringen konnte, wurde sie von hinten gepackt und erbarmungslos in ihren Stuhl gedrückt.
»Fesselt ihre Hände«, gebot Elgryr und beobachtete beinahe gelangweilt, wie sich Vesa unter dem festen Griff zweier Wachen wand.
»Lasst mich in Frieden«, knurrte sie. »Das ist unnötig!«
»So?« Der Justiziar zog eine Augenbraue hoch und ließ die Augen zu Hrothluf mit der blutigen Nase schweifen.
»••••!«, fauchte der und drückte die Nasenflügel zusammen.
»Geschieht Dir Recht!« Was für ein Bastard. Die Wut hielt noch vor, unterdrückte die Scham, die sich in ihr anbahnte. Jetzt war sie selbst zur Verbrecherin degradiert worden und das nur wegen diesem dreckigen Straßenköter.
»Zu Eurer früheren Bemerkung, Fräulein Calvianus«, wandte sich Elgryr nun wieder an sie, auch wenn sie ihn nicht anschaute und stattdessen die Augen auf den kalten Eisenschellen ruhen ließ, die ihre Handgelenke zierten. »Durchaus möglich, was Ihr sagt, aber es bin noch immer ich, der hier entscheidet, was ich für die Wahrheit befinde.« Vesana ersparte sich die Demütigung zu Hrothluf zu schauen. Ihr genügte die empfundene Gewissheit, dass sich ein schmieriges Lächeln auf seinen spröden Lippen im blutgetränkten Bart abzeichnen mochte. »Seid froh, dass es nur Fesseln sind.« Was auch immer er genau damit meinte. Vielleicht eine Anspielung auf Hrothlufs Mundfessel des letzten Gesprächs. Vesa wusste es nicht und es sollte ihr auch egal sein.
»Arcadia«, lenkte Elgryr seine Aufmerksamkeit von der Jägerin ab. »Habt Ihr etwas hinzuzufügen?«
»Ich … ich habe mit diesen Beiden nichts zu schaffen. Es ist wahr, ich habe … hin und wieder Schulden, die von den Gefährten eingetrieben werden. Aber nie waren die Beiden bei mir mit einem derart verwerflichen Angebot«, erklärte die Alchemistin.
»Aber sie waren bei Euch mit einem Angebot?«
»W-was?!«
»Ihr sagtet ›mit einem derart verwerflichen Angebot‹. Heißt das, sie waren tatsächlich einmal bei Euch mit einem Angebot?«
»Nein! Nein! Sie waren nie bei mir mit einem Angebot. Fräulein Calvianus kauft nur ab und an bei mir ein, sie hat nie Schulden eingetrieben, und den Mann habe ich nie zuvor gesehen«, widersprach die Ladenbesitzerin.
»Hmhmm.« Kurzes, an den Nerven zehrendes Schweigen hielt Einzug, während der Justiziar abermals das Pergament beschrieb. »Woher kennt er dann Euch?« Für einige Herzschläge schloss Vesana die Augenlider und versuchte den aufquellenden Schrei der Verzweiflung im Angesicht scheinbar immer dichter werdender Lügen zu unterdrücken. Arcadia schwieg auf die Frage, offenbar völlig aus der Fassung gebracht. »Hm?«
»Ich … ich wei- … weiß es nicht.«
»Sie ist die einzige Alchemistin der Stadt. Jeder kennt sie«, gab Vesa zu bedenken, während sie langsam Lider und Kopf hob.
»Möglich.«
»Das ist wirklich Schwachsinn!«, warf Hrothluf ein. Der Kaiserlichen fehlten die Worte, um darauf überhaupt noch einzugehen. Elgryr schwieg derweil und schrieb weiter auf seine Schriftrolle. Verglichen mit dem ersten Gespräch erschien sie Vesa noch ausgesprochen leer, aber wer wusste schon, was genau ein Mann wie der Justiziar wirklich für wichtig genug befand, dass es niedergeschrieben werden musste?
»Gut.« Letztlich strich er überschüssige Tinte am Rand des Fässchens ab, legte die Feder daneben und blies über das Pergament, bevor er es zusammenrollte. »Ich nehme an, dass es keine weiteren Ergänzungen gibt?« Arcadia und die Jägerin schüttelten gleichzeitig die Köpfe. Hrothluf zuckte mit den Achseln, schwieg jedoch ebenfalls. »Gutgut. Wachen, führt diesen Mann zurück zu seiner Zelle.« Ohne sich zu wehren ließ sich der Rothaarige aus dem Raum schleifen. Erst als die Tür ins Schloss fiel, stand der Verhörmeister auf und lief um den Tisch herum. Seine kurze Tunika wurde auf der Hüfte von einem dunklen Ledergürtel mit goldener Schnalle zusammengehalten. Die beige Stoffhose kannte Vesa von ihrem letzten Zusammentreffen, ebenso wie die Wildlederschuhe. Schnösel. Schneidig; aber ein arroganter Schnösel.
Neben der Kaiserlichen blieb er stehen, ließ sich etwas von einer Wache geben und griff anschließend nach ihren Händen. Leise klickend glitt der Eisenschlüssel ins Schloss der Fesseln. »Antwortet wahrheitsgemäß und lasst mich meine Arbeit machen«, sprach er und klang zum ersten Mal weit weniger überheblich und schneidend, wenngleich noch immer mitgefühlslos, »dann habt Ihr nichts zu befürchten.« Er nahm die Fesseln und legte sie auf den Tisch. Für Vesana fühlte es sich so an, als hätte er ihr gerade eine zentnerschwere Last abgenommen. Unwillkürlich hob sie die Schultern und ebenso verblüfft wie erleichtert rieb sie sich die Handgelenke. »Das nächste Mal landet Ihr in der Zelle neben ihm, egal ob Ihr seiner Anschuldigungen schuldig seid, oder nicht.« Seine Eiseskälte kehrte zurück und der Jägerin fröstelte es unvermittelt. »Bringt sie nach draußen«, gebot Elgryr zum Abschluss und verließ mit seinen Schreibsachen noch vor Arcadia und Vesa den Raum.
Zum nächsten Beitrag >>
Geändert von Bahaar (03.01.2015 um 01:58 Uhr)
Stichworte
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln