„Schaurig,“ flüsterte einer der Söldner, als sie mit gehobenen Waffen vorsichtig die Treppe erklommen. „Nur zwei haben sich bis jetzt überhaupt gewehrt. Alle anderen, die waren sogar noch weicher in der Birne, sogar mehr, als der Bastard im Eingangsbereich.“
Die sechs Mann starke Gruppe nickte langsam, jeder für sich selbst. Erhellt wurden sie dabei von in Wandhalterungen steckenden Fackeln.
„Was bei Molag Bal geht in diesem Drecksgemäuer vor? Habt ihr die Küche ges-“
„Wir haben alle die Küche gesehen,“ unterbrach ihn Stephanus barsch. Er schritt an der Spitze der Gruppe voran.
Beim Gedanken an die Küche lief ihm ein mächtiger Schauer über den Rücken, und das reichte ihm schon. Er brauchte keine Wiederholungen. Hrard hatte ihm erneut das Kommando über eine kleine Gruppe gegeben, und er hatte nicht vor, zusammen mit seinen nervöseren Kumpanen in Hysterie zu verfallen.
Die Küche war ein muffiger, dunkler Raum mit von Rauch geschwärzter Decke gewesen, die einzige Verbindung zur Außenwelt war eine alte Tür und der baufällige Schornstein. Als Ort, an dem Essen zubereitet wurde identifizierten sie die Regale voller Teller, Töpfe und Gewürz. Von den letzteren verschwanden diverse Behälter in verschiedensten Taschen. Trotz der Szene um die ausgebrannte Feuerstelle herum ließen es sich manche einfach nicht nehmen zu nehmen.
Eine Abgeschworene hatte sich dort, gegen eine nahe gelegene Theke gelehnt, beide Handgelenke mit einem Messer aufgeschnitten und war verblutet, bevor die Gruppe in den Raum stürmte. Die anderen zwei Leichen hingen an Stricken von einem Balken herab. Dem Gestank nach zu urteilen war das erhängte Paar bereits lange tot gewesen, bevor die Söldnerarmee überhaupt in Karthwasten angekommen war. Es waren eindeutig keine Gefangenen gewesen, denn sie trugen Tierpelze, und zu ihren Füßen lagen noch die um getretenen Hocker.
Die Gruppe erreichte nun das Ende der Treppe und fand sich an einer schmalen Holztür wieder. Der Kaiserliche warf einen Blick nach hinten, und nachdem ihm die wahlweise harten, gleichgültigen oder unruhigen Gesichter seiner Kameraden ein Zeichen der Bereitschaft zugesendet hatten, holte er tief Luft.
Stephanus stieß die Tür auf und bewegte sich Schild zuerst in den länglichen Korridor hinein.
„Leer,“ sagte er, und klang dabei nicht so erleichtert wie es ihn eigentlich machte. Er musste den Eindruck aufrecht erhalten, dass er genau wusste, was er tat, sonst würde die ihm unterstellte Truppe in Panik ausbrechen und schnurstracks zurück nach Karthwasten laufen, und dann würde nicht einmal mehr ein wütend schreiender Hrard sie aufhalten. Der Kaiserliche musste sich selbst zusammenreißen, um nicht dem Fluchtinstinkt nachzugeben. Das alte Gemäuer triefte nur so vor „Hau-hier-bloß-ab“.
Die Söldner waren es gewöhnt, Tod, Trauer und Verzweiflung um sich zu haben, doch unter normalen Umständen waren sie selbst diejenigen, die sie verursachten. Dass diese Zustände bereits herrschten, bevor sie eintrafen war den meisten von ihnen neu und unangenehm. „Jedoch sollte es nicht so einen starken Einfluss auf uns haben,“ dachte Stephanus stirnrunzelnd. „Vermutlich ist hier Magie im Spiel. Neunverdammte Magie."
Hinter sich hörte er Stahlzapfen halbherzig rufen: „Wo bei Oblivion verstecken die sich?“ „Selbst er will hier nur noch weg,“ entschied der Kaiserliche. Er kannte Soldin nun seit einiger Zeit und erkannte die unterschwellige Unruhe in seiner Stimme. „Er brüllt und stampft nur herum, um altnordische Traditionen zu wahren.“
Die restlichen vier Söldner schoben sich nach dem muskelbepackten Nord nun ebenfalls durch die aufgestoßene Pforte. Durch die gesamte Festung hallten Rufe und das Schaben von Rüstungen während sich Hrards Einheiten Raum für Raum durch das Gemäuer arbeiteten.
Stephanus schritt weiter auf die nächste Tür zu. Der zwei Mann breite Korridor verlief wohl an dem kurzen Stück westlicher Außenmauer, denn zu seiner linken pfiff der Wind durch einige Schießscharten, welche gleichzeitig die einzige Lichtquelle boten. Hier gab es keine Fackeln.
Blinzelnd gewöhnte er sich an den Übergang von pulsierendem Fackelschein an das natürliche Halbdunkel und konnte nun eine Gestalt ausmachen, die zusammengesackt gegen die Mauer lehnte. Er kniff die Augen und runzelte die Stirn, und jetzt erkannte er, dass es sich um die verkohlten Überreste eines Menschen handelte, und jetzt wo er genauer hinsah stellte sich auch heraus, dass die Mauer gegenüber einer der Schießscharten rußgeschwärzt war. Die Figur war zu entstellt, um ein Geschlecht auszumachen. Nachdem er sich genähert und neben der Gestalt in die Hocke gegangen war untersuchte der Kaiserliche sie näher während hinter ihm einer seiner Gefährten bei dem Anblick der Leiche ungewöhnlicherweise leise wimmerte.
Was immer auch den Mann oder die Frau verbrannt hatte musste dies von außerhalb der Festung getan haben. Vor nicht allzu langer Zeit sogar. Dem Kaiserlichen richteten sich die Nackenhaare auf als er durch ein Gefühl auf der Haut erschrocken feststellte, dass die Leiche noch schwach wärme abstrahlte, und er sich plötzlich ganz deutlich daran erinnern konnte, dass keiner der Söldner beim Ansturm auf die Burg Zerstörungsmagie gewirkt hatte, so etwas hätte er bemerkt. War die Mauer außen auch angeschwärzt? Wenn ja, dann musste er dieses Detail beim Ansturm übersehen haben. Diese Leiche erklärte wohl auch, warum die Abgeschworenen absurderweise nur von den Zinnen herab auf sie geschossen hatten, nicht aber durch die zahlreichen Schießscharten. Dass die verkohlte Masse aus Fleisch und Knochen noch warm war deutete deutlich auf Magie hin, natürliche Flammen verursachten so etwas nicht.
Er richtete sich wieder auf und drehte sich kurz zu den anderen um. Die Anspannung war immer noch in der Luft zu spüren, denn jeder von ihnen spürte schon seit dem Theater in der Eingangshalle, dass etwas nicht stimmte, und laut gesagt werden musste es erst nicht. Gekauft oder nicht, Soldaten entwickelten ein Gespür für „etwas stimmt nicht“, oder sie wurden nicht sehr alt.
Stephanus stieß vorsichtshalber die Spitze seines Schwertes durch eine der ausgebrannten Augenhöhlen – Sicher war Sicher - und ging dann weiter zur Tür am anderen Ende des Ganges.
„Ich glaub ich hab's raus,“ sagte er, den Blick immer noch auf die Tür gerichtet, auf die er zuschritt.
„Was'n?“
„Irgendein Hexenmeister oder Daedrapriester hat diese Tölpel überwältigt und sich zu ihrem Gott erklärt, und...“
Er zuckte die Achseln. „Und die Überlebenden haben den Druck nicht mehr ausgehalten. Komisch nur, dass die ganzen Türen noch ganz sind. Nach einem Magierangriff hätte ich verkohlte Holzreste erwartet.“
Hinter ihm stieß eine seiner Kumpanen, eine Ork, ein tiefes „Hmm“ aus, was Stephanus' Erfahrung nach bei vielen von seinen Mitstreitern bedeutete, dass ein Denkvorgang langsam ins Rollen kam. Bei einigen von den dümmeren versuchte dieser Denkvorgang gegen ein Gefälle zu rollen, weswegen ein „Hmm“ manchmal von Nöten war, um ihn wieder auf die richtige Bahn zu bringen. „Vielleicht mehr als einer,“ sagte die massige Ork schließlich nach ausreichender Denkpause. „Wir wissen ja, wie dieses Magierpack tickt. Bestimmt n' Paar Schüler im Schlepptau.“
Wieder ein Nicken in Einigkeit. Die Söldner wussten sehr wohl, wie Magierpack tickte. Jedenfalls dachten sie das. Viele von ihnen benutzten selbst Magie – schließlich durchfloss die arkane Energie jedes selbst nur zweifelhaft zum Denken fähige Wesen auf Nirn - jedoch taten sie das in vergleichbar geringem Maße. Stephanus selbst beherrschte einen kleinen Zauber, der Schmerzen kurzzeitig etwas dämpfen konnte, und er konnte mit einem Schnippen eine kleine Flamme erzeugen, um Lagerfeuer und Fackeln zu entzünden, aber das war's auch schon.
Nein, mit Magierpack waren vollzeitige Magienutzer gemeint. Von denen gab es einige in der Kompanie, und die zu kennen war für die meisten Söldner bereits genug, um alle Magier zu kennen.
„Was ich mich aber frage,“ grummelte Stahlzapfen, „wo sind diese Robenträger jetzt?“
„Abgehauen, als sie erfahren haben, dass wir im Dorf nebenan aufgetaucht sind, denk ich mal,“ antwortete Stephanus und schloss eine Hand um den nun erreichten Türknauf und bereitete sich mental darauf vor, den Raum dahinter zu stürmen. „Und davor haben sie diese verdammte Festung so verflucht, dass jeder in ihr langsam dem Irrsinn anheim fällt.“
Laut sagte er: „Wir werden's sicherlich früh genug erfahren...“

Auf der anderen Tür befand sich eine von Fackeln gut beleuchtete, breite Wendeltreppe sowohl nach oben als auch nach unten. Zu seiner linken konnte Stephanus dort, wo die Treppe langsam in Richtung der tieferen Ebenen krümmte, eine weitere Fensterlaibung ausmachen, doch sie war so schmal, dass der orangen Fackelschein das durch sie hereinkommende Sonnenlicht übertünchte. Sein Orientierungssinn sagte ihm, dass sie wohl im großen runden Westturm der Festung angelangt waren.
Doch was auffälliger war als die Beleuchtung der Treppe war der klassische Stapel an Baustämmen, zurückgehalten nur durch die Abwesenheit einer Person, die den ersten, untersten Stamm zum Rollen brachte. Der Kaiserliche trat auf die altbewährte Abwehrmethode gegen mordlustige Treppensteiger zu und deutete seinen Gefährten, sie sollten ihm den Rücken decken.
Direkt neben dem Stapel blieb er stehen und reckte vorsichtig den Hals, um nach unten und weiter hinter die Biegung der Spirale blicken zu können. Von unten her drangen bekannte Stimmen zu ihm herauf und er entspannte sich ein wenig.
„Berend, wir sind hier oben fast fertig!“
Kurzes Schweigen, dann: „Levinius?“
Einige Sekunden später erreichte der Dunmer samt seinem Gefolge dann Stephanus.
„Bericht?“ Stephanus konnte an ihren Gesichtern ablesen, dass Berend's Begleiter genauso angespannt waren wie die Anderen und der Kaiserliche selbst auch. Der Dunmer selbst hingegen schien recht zufrieden mit sich selbst zu sein.
„Zwei haben uns angegriffen, der Rest war schon tot oder hat sich nicht gewehrt,“ antwortete Stephanus knapp. „Die zwei ersten Stockwerke auf der südwestlichen Seite sind sauber. Und geht nicht in die Küche.“
Der Dunmer nickte, und lächelte dann etwas breiter. „Wir haben uns einen der Bergmänner geschnappt. Sylaen ist gerade dabei aus ihm herauszukitzeln, warum sich die ganze Festung so schlappschwanzig wehrt.“
Er schien seinen Gesichtsausdruck bemerkt zu haben, denn er fügte noch hinzu: „Keine sorge, ich hab Harun bei ihr gelassen, damit er aufpasst, dass sie den Affen nicht umbringt, bevor er uns alles erzählt hat.“ Anschließend schüttelte er den Kopf und sprach dann in leicht erschöpften Tonfall weiter: „Was soll nur aus der Jungelfe werden? Sie ist einfach zu eifrig...“ Dabei klang er, als würde er über eines seiner Kinder reden, dass wieder einmal etwas Unruhe gestiftet hat.
Dann wurde er wieder ernst. „Hey, glotz mich gefälligst nicht so dumm an, Levinius.“ Stephanus stellte zufrieden fest, dass sein Blick also gereicht hatte, um auszudrücken, wie wenig er von Sylaen und Berend hielt.
Der Dunmer schnaufte verächtlich. „Tu nicht so, als ob du was besseres bist, Levinius. Flanierst hier andauernd mit deiner miesepetriger-Veteran-Visage herum und blickst auf die anderen herab, als wärst du klüger und moralisch besser als jeder hier. Fast wie ein Hochelf.
Das traf bei Stephanus einen wunden Punkt, er versuchte aber verzweifelt Haltung zu bewahren. Folms Berend lächelte zufrieden, denn er musste wohl bemerkt haben, wie der Kaiserliche kurz zusammengezuckt war.
Das Stephanus Altmer nicht ausstehen konnte war gut bekannt, und mit ihnen verglichen zu werden rief bei ihm Übelkeit hervor, doch was ihn traf war etwas anderes, auf dass der Dunmer offensichtlich anspielte.
„Bist du jetzt fertig?“ fragte der Kaiserliche ungeduldig, erpicht darauf, das Thema zu wechseln.
„Ja. Nimm deine Leute und räum' das Plateau und die Türme,“ befahl Hrard's de-facto rechte Hand schließlich. „Bei der Treppe auf der anderen Seite gibt’s Komplikationen, die ist nämlich mit jeglichem Schrott verrammelt, und Bärenpelz will sich nicht bewegen, weil er sich angeblich irgendwas gezerrt hat. Verdammte Nords.“
Unweit stieß Stahlzapfen ein wütendes „Hey!“ aus, doch der Dunmer beachtete ihn nicht weiter.
„In Ordnung. Wie steht's mit dem Rest der Festung?“ erkundigte der Kaiserliche sich wieder in professionellem Tonfall. Berend's Dauerbeleidigungen größtenteils zu ignorieren war er schon längst gewöhnt – das sagte er sich selbst jedenfalls. Zudem hatten sie noch Arbeit zu erledigen.
„Nur noch ein Paar Gewölbe und das verdammte Plateau. Wenn ihr hier oben fertig seit, bewegt eure Ärsche zur Eingangshalle und wir verschwinden von hier.“
Die Aussicht darauf, diese verfluchten Mauern zu verlassen belebte Stephanus ein wenig.
„Berend, sag Hrard Bescheid, dass es vermutlich Magier waren, die diese Abgeschworenen so übel zugerichtet haben.“
„Magier, hmm?“
„Ja. Wir haben einen verkohlten Leichnam gefunden, offensichtlich Feuermagie. Ist sogar noch etwas warm.“
„Nun gut. Und jetzt mach dich gefälligst an die Arbeit, Kaisermann.“
Und damit ging der Dunmer samt Entourage wieder nach unten.
Stephanus sah ihm finster hinterher und fragte sich, ob Berend wirklich auf die zwei Morde angespielt hatte.
Vor etwa eineinhalb Jahren wurden zwei Altmer in Hrards Trupp gesteckt, und der Kaiserliche hatte sich nie die mühe gemacht, sich ihre Namen zu merken. Nach rund einer Woche war der erste bereits tot: Im Getümmel der Schlacht passierten oft Unfälle, vor allem wenn gerade niemand hinsah. Einen Monat später folgte auch der nächste seinem Vetter ins Grab. Stephanus hatte den Fehler gemacht, den zweiten einige Tage vor einem Kampf und seinem Tod wütend anzuschreien, und Gerüchte hatten damals schnell die Runde gemacht.
„Tu nicht so, als ob du was besseres bist, Hochelf. Du flanierst hier andauernd mit deiner hochwohlgeborenen Visage herum und blickst auf die anderen herab, als wärst du klüger und moralisch besser als jeder hier.“ Berend hatte ihn fast Wort für Wort zitiert.
Der Kaiserliche schüttelte den Kopf. Dass der Dunmer sich nach so einer langen Zeit noch an den genauen Wortlaut eines Wutausbruchs erinnerte war wohl Teil der elfischen Langlebigkeit. Stephanus selbst hatte seine eigenen Worte schon fast vergessen, und erst als er sie wieder gehört hatte wurde die Erinnerung daran geweckt.
„Na und? Warum fühlst du dich plötzlich schuldig? Schließlich hast du der Welt einen großen Dienst erwiesen. Nicht nur waren die beiden Gelbhäute gewissenlose Söldner gewesen, sondern dazu auch noch Hochelfen!"
Sein Blick lies sich wieder auf dem Stapel aus Baumstämmen nieder. Musste er jetzt Erpressung fürchten? Ein Paar rollende Stämme würden ihm gewiss Sicherheit verschaffen.
„Nein. Wie würde er mich damit erpressen? Unter Mördern ist Mord nichts besonderes. Außerdem ist es den ganzen Ärger nicht wert.“ Er seufzte und drehte sich zu seiner Truppe um, um sie mit einem Winken in Bewegung zu versetzen.