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Provinzheld
Himmelsrand, Helgen
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Es war nicht das erste Mal, dass Vesana von einer Silberwaffe verwundet wurde, nicht einmal die schlimmste Verletzung, die sie davontrug. Doch brannte dieses elende Metall stets wie die Sonne höchst selbst. Silber auf der Haut, selbst einfache Kratzer, machten Werwölfen nichts aus. Die zähe Körperoberfläche stellte so etwas wie eine natürliche Barriere dar, so wie Kleidung Schmutz abhielt. Doch kam dieses verführerisch schimmernde Zeug erst einmal mit dem in Kontakt, das unter der Haut lag – Blut, Fleisch, Sehnen und Nerven … nun, auf diese Schmerzen mochte sich niemand wirklich vorbereiten können.
Zusammen mit der Erschöpfung des Kampfes befand es wohl das Biest wie auch ihr Geist für besser, sich abzuschotten, und so driftete die Kaiserliche durch gedankenleere Dunkelheit. Für wie lange mochte sie ebenso wenig sagen können wie es für sie eine Rolle spielte. Doch letztlich gewann die Realität die Überhand und dumpfe Geräusche, die an Stimmen hinter einer dicken Haustür erinnerten, füllten ihre Ohren aus. Mühsam versuchte sie sich daran festzuhalten, es zu nutzen, sich in die Gegenwart, das Hier und Jetzt zurückziehen zu lassen. Aber so wirklich funktionieren wollte es nicht. Zu träge und zu erschöpft wehrte sich ihr Leib gegen jede Einwirkung der Wirklichkeit. Letztlich fiel es jedoch auch ihm schwer, gegen das kräftige Rütteln an der Schulter anzukämpfen und so blinzelte Vesa erst einige Male, bevor sie es schaffte murrend die Augen offen zu halten.
Langsam, Stück für Stück pellte sich Skjors grimmige Miene aus der Nacht, doch auch diese offenbarte, dass sie zu Gefühlen fähig war. Als der Nord bemerkte, dass die Jägerin auf seine Stöße an der Schulter ansprach, zeichneten dünne Fältchen seine Augen. »Willkommen zurück unter den Lebenden«, brummte er sie dennoch wenig freudvoll an.
Kurz verschwand er aus ihrem Sichtfeld, dann spürte sie wie jemand sie am rechten Arm packte und hochzerrte, bis sie saß. Unfähig zu sprechen legte sie sich ihr verwundetes Glied in den Schoß und tastete mit den Fingernd er Rechten den Stoff ihrer Jacke ab, bis sie den Schnitt fand und scharf die Luft einsog. »Du solltest Dich zeitnah verwandeln, wenn Du nicht willst, dass es eine Narbe wird«, wies der Einäugige auf den offensichtlichen Umstand hin, dass Silberwunden selbst in Wolfsform nur träge verheilten – Darius Gesicht legte dem Zeugnis ab. Sie winkte benommen ab und bedeutete ihm, ihr auf die Füße zu helfen. Schwankend, von dem Nord gestützt und überhaupt Kraftlos als leide sie gerade an einer schweren Erkältung kam sie zum Stehen.
Nur sehr langsam nahm ihre Umgebung wieder Konturen an. Die drei Toten, das sich um sie abzeichnende Blut, wie es inzwischen in pechschwarzen Lachen erstarrt war, und überhaupt das Chaos. Auf der Straße schien Ruhe eingekehrt zu sein, nur wenige leise Stimmen drangen von dort zu ihr hinüber. Und letztlich fiel ihr Blick auf die Stelle, an der sie Darius zuletzt gesehen hatte. Mit wild springendem Herzen musste sie feststellen, dass sich der Liebste nicht mehr dort befand, wo sie ihn vermutete. Skjor musste das kurze Zucken, das ihren Leib im Schrecken erfasst hatte, bemerkt haben. Er klopfte ihr sacht auf mit der Hand des um sie geschlungenen Arms auf die Schulter. »Aela kümmert sich im Lager um ihn. Er ist bewusstlos, aber er lebt.« Obwohl ihr mit dieser Bemerkung eine zentnerschwere Last abfiel, die sich erdrückend auf ihren Brustkorb gelegt hatte, fühlte sie sich kein bisschen leichter. Im Gegenteil. Plötzlich bleischwer in den Gliedern wäre Vesana beinahe in sich zusammengesackt, hätte sie der Einäugige nicht gestützt. »Bringen wir Dich besser auch ins Lager.«
Langsam setzten sie sich in Bewegung. Der Nord führte sie durch die Ruinen, nicht zurück auf die Straße, und somit unmittelbar vor die Pforte in der inneren Wehrmauer. »Nicht … der Turm?«, frage die Kaiserliche, als der Gefährte sie auf den großen Dorfplatz hinüber zum Haupthaus führte.
»Die Gefahr der Silbernen Hand ist gebannt«, gab er zurück und nur träge sank die Logik dahinter in ihren Verstand ein. Es gab keinen Grund mehr den guten Nachtplatz zu verschmähen, jetzt wo es keine Bedrohung mehr gab, die es irrezuführen galt. Sich von ihrem Freund führen lassend, schloss Vesa für einige Schritte die Augen und konzentrierte sich lediglich darauf, bewusst tief durchzuatmen.
Wenig später lehnte Skjor sie gegen die kalte, überfrorene Steinwand und öffnete die schiefhängende, dicke Pforte des Haupthauses. Anschließend führte er sie in eine Art Gemeinschaftsraum, der im hinteren Teil zwar eingestürzt war, aber mit dem entfachten Kamin an der langen Seite noch immer einen gewissen Komfort versprach. Zahlreiche in Lumpen gekleidete Männer der unterschiedlichsten Völker und auch ein paar wenige Frauen saßen, lagen, oder liefen in dem weiten Raum herum. Vom gegenüberliegenden Ende drang schmerzerfülltes Stöhnen, gelegentlich auch Schreie zu der Kaiserlichen hinüber, während andere kümmerliche Gestalten über den sich am Boden windenden Verletzten knieten und sich ihrer Wunden annahmen.
In der Ecke zu ihrer Linken erspähte Vesa nach kurzer Suche mit den trägen Augen den roten Schopf Aelas, der auffällig starr und dunkel am Haupt der Nord klebte. Gemeinsam schritten die zwei Neuankömmlinge hinüber. Auf den letzten Schrittlängen löste sie sich von Skjor und stolperte allein die niedrigen Stufen zu dem Podest hinauf, auf dem die Betten standen, ließ sich mit tränenverschwommener Sicht der Rothaarigen gegenüber auf der anderen Seite der Nachtstatt nieder und griff nach der Hand des bewusstlosen Kaiserlichen. Heftig zitternd ob der tiefen, kräfteraubenden Schnittverletzung umschloss sie die seinen mit all ihren Fingern, strich sanft mit dem Daumen über seinen Handrücken und verlor plötzlich jeden Sinn für die Geschehnisse in ihrem Umfeld.
Unter einer dünnen Wolldecke lag Darius tatsächlich vor ihr, lebend, atmend, friedlich. Abgesehen vom getrockneten Blut im Gesicht, das von verschiedenen Schmissen stammte, die er bei den Schildschlägen einkassiert haben musste, und den von den Eisenschellen aufgeriebenen Handgelenken wirkte er unversehrt. Bis auf die Sehnen und Knochen abgehungert, aber sonst wohlauf. In Fassungslosigkeit blieb der Jägerin der Mund offen stehen, bebten ihr die Lippen, dass sie ob ihrer Trockenheit zwickend einrissen, rann ihr der Rotz aus der Nase. Wie hypnotisiert zog sie sich die Handschuhe aus und hob anschließend die blutverschmierte Linke, um sie ihm an die Seite des Gesichtes zu legen, strich ihm durch den zotteligen Bart, zeichnete die lange, auffällige Narbe in der linken Gesichtshälfte nach und schob ihm zärtlich einige Strähnen aus der Stirn.
»Vesa«, flüsterte Aela und erst als ihr die Nord eine Hand auf die Schulter legte wandte sich die Kaiserliche in Trance zu ihr um, blickte über die Liege zu ihr hinüber und in ein seltenes, mildes Lächeln. »Ihm passiert hier nichts, lass mich also nach Deiner Verletzung sehen«, bat sie und nickte in Richtung Vesanas linken Unterarms. Träge, unfähig zu sprechen, starrte die Jägerin einen Moment länger in das von dunklen Blutkrusten gezeichnete Gesicht und die eisgrauen Augen. Vereinzelte Schrammen, aber nichts gefährliches, zierten ihre Züge. Erst nach einigem Warten nickte sie.
Vorsichtig, bei jeder Bewegung ächzend, entledigte sich die Kaiserliche ihrer Rüstung und anschließend ihrer Jacke. Der komplette linke Ärmel ihrer Tunika glänzte in feuchtem Schwarz, von der Stelle, wo sie der Pfeil gestreift hatte, abwärts bis zu dem klaffenden Schnitt im unteren Bereich, in dem ihr rotes Fleisch schimmerte. Die Silberwaffe hatte tief gegraben und es mochte nicht mehr viel bis zum Knochen fehlen. »Ziemlich bösartig«, meinte die Rothaarige, wusch die Wunde mit Wasser aus und machte sich anschließend mit grobem Nähzeug daran zu schaffen. Das Zwicken spürte Vesana fast gar nicht, während sie die Nord arbeiten ließ und auf einem Schemel nahe der Liege mit Darius ihre Augen weiterhin auf den Liebsten fixiert hielt.
Kaum beendete Aela ihre Arbeiten und hatte sie sich versichert, dass der Kaiserlichen sonst nichts fehlte, näherte sich ein stark ergrauender, kleiner Mann des Kaiservolkes. Seine Lumpen tränkten Mengen von Blut, die unmöglich allein von ihm stammen konnten. In respektvollem Abstand blieb er stehen und verneigte sich vor den drei Gefährten, die sich zurückgezogen in ihrer Ecke zunächst wenig um die anderen gekümmert hatten. »Corolas Tullius«, stellte er sich vor, legte die rechte auf den Bauch und verbeugte sich abermals. »Nicht verwandt mit General Tullius in Einsamkeit«, fügte er hinzu und rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Im Namen aller hier möchte ich mich bei Euch für unsere Befreiung bedanken«, setzte er fort.
»Danke für eure Hilfe«, erwiderte Aela nach einigen, betretenen Momenten des Schweigens.
»Es war das mindeste, das wir tun konnten.«
»Wie viele von euch hat es erwischt?«, hakte die Nord nach und bot ihm einen freien Schemel an. Corolas setzte sich.
»Genug. Aber es hätten deutlich mehr sein können, wenn dieser … Bär nicht dazwischen gegangen wäre. Wisst Ihr etwas darüber?« Der Kaiserliche zog eine silbergraue Augenbraue hoch und kratzte sich im Bart.
»Bär?«, fragte Vesana tränenrau nach, räusperte sich und beugte sich auf ihrem Hocker vor.
»Tauchte einfach aus dem Nichts auf und fegte durch die Reihen der Silbernen Hand wie ich es nie zuvor gesehen habe«, erklärte er. »Im Tumult habe ich ihn nicht richtig sehen können, aber einige andere beschreiben ihn als für einen Bär unförmig, aber kraftvoll wie die Urgewalten höchst selbst.«
»Ich habe ihn nur gehört, nicht gesehen«, erwiderte nun Skjor und fuhr sich mit der rechten Pranke über das grobe Antlitz. Erst jetzt, wo er Vesa direkt gegenübersaß, bemerkte sie die zahlreichen Scharten in seiner Rüstung, die ohne Zweifel von einigen direkten Treffern stammten. Der Nord wusste durchaus einzustecken und es schien ihr sicher, dass diejenigen, die ihn getroffen hatten, dafür mit dem Leben bezahlt haben mussten.
»Ebenso«, entgegnete Aela nach einigem offensichtlichen Überlegen.
»Weder das eine, noch das andere«, räumte schließlich auch Vesana ein. Die Erzählung kam ihr aber aus irgendeinem Grund unheimlich bekannt vor. Regungslos auf Skjors Knie starrend versuchte sie sich zu erinnern, woher, allerdings wollte es ihr nicht einfallen. Nur träge löste sie sich von ihrem Anblick und kehrte in die Gegenwart zurück.
Seufzend vergrub Corolas sein Gesicht in den hohlen Händen, rieb es sich ab und schaute in die Runde. »Jedenfalls kam er sehr gelegen«, resümierte er und zwang sich zu einem Lächeln. »Wie geht es jetzt weiter?«
»Für Dich und den Rest? Ihr seid frei«, antwortete ihm Vesa und erhob sich, rang einen Moment mit dem Gleichgewicht – der Blutverlust spielte ihr Streiche – dann wankte sie zu Darius Bett hinüber, setzte sich neben ihn ans Kopfende und lehnte sich gegen die Wand im Rücken. Die Rechte legte sie auf das Haupt und strich durch sein langgewordenes Haar.
»Wir sichten morgen im Tageslicht die Karren nach Dingen, die wir benötigen, alles andere gehört euch«, beschloss Skjor für die Gefährten. Es schien nur gerecht, dass sie es so handhabten. Auch die ehemaligen Sklaven hatten ihren Anteil an den Gütern verdient. »Einen Karren mit Gespann und ein weiteres Pferd werden wir behalten, alle anderen Tiere und der zweite Wagen gehören euch. Proviant, Kleidung und ähnliche Nutzgüter könnt ihr behalten.«
Für einige lang erscheinende Herzschläge kehrte Ruhe zwischen ihnen ein. Vesana lauschte nur noch, hielt die Augen fest auf das verschmutzte Antlitz ihres geliebten Partners gerichtet, doch glaubte sie in der spannungsgeladenen Luft das Staunen Corolas zu spüren. »Das … das ist … großzügig«, fand er letztlich doch noch einige Worte.
»Das Wichtigste, weshalb wir überhaupt hier sind, haben wir bereits geborgen. Einzig weitere Informationen über die Hand sind für uns nun noch von Interesse«, wiegelte Aela ab und zauberte der Jägerin ein verträumtes Lächeln auf die Lippen.
»Unseren Kenntnissen nach sollte dieser Konvoi wichtige Dokumente mit sich führen«, gab Skjor derweil zu.
»Darüber weiß ich nichts, als Gefangene sind unsere Kenntnisse über die Ziele und Waren der Hand eher begrenzt. Aber es war ein wichtiger Führer der Niederlassung, von der aus wir aufgebrochen sind, den ihr dort auf der Straße niedergestreckt habt«, erklärte Corolas. »Ich werde die Leute anweisen, alle potenziell wichtigen Funde, Dokumente, Insignien, oder dergleichen, zu euch zu bringen. Einige haben sich schon an den Gefallenen zu schaffen gemacht, vielleicht findet sich da auch etwas.«
»Danke«, entgegnete Aela.
»Nein, wir danken.« Den Geräuschen nach zu urteilen erhob sich der graue Kaiserliche. »Solltet Ihr jemals in Bravil sein, wisst, dass Ihr dort auf ewig einen Freund haben werdet.« Damit entfernte sich der Mann und überließ die Gefährten sich selbst.
Erst jetzt hob Vesana ihr Kinn und blickte von einem der beiden Nord zum anderen und wieder zurück. Neuerliche Tränen standen ihr in den Augen und rannen ihr mit dem nächsten Blinzeln über die Wangen. »Danke«, hauchte sie und schenkte jedem von ihnen einen langen Blick. Skjor nickte mit grimmiger Entschlossenheit im gesunden Auge und die Rothaarige erhob sich, kam zu ihr hinüber und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Immer.« Mehr brauchte sie nicht sagen. An ihren eigenen Liebhaber gewandt setzte sie ein »Komm« nach und führte das stämmige Zirkelmitglied vom Podest hinab zum Kamin. Dankbar die Lippen kräuselnd sah ihnen die Kaiserliche einen Moment nach, dann hob sie die schweren Beine mit auf das Bett, legte den Kopf in den Nacken und starrte zur Decke, während ihre Finger weiter durch den dreckverkrusteten Schopf von Darius strichen. Den schmerzenden Unterarm auf den Bauch gelegt, versuchte sie gar nicht erst die Freudentränen zurückzuhalten oder zu verbergen, genoss das leichte Salz auf den Lippen und der Zunge und spürte, wie das schwere Leichentuch der Trauer von ihr abfiel, Wärme in ihr aufbranden und zum ersten Mal seit Monaten so etwas wie goldenes Glück in ihre Brust einziehen ließ.
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Geändert von Bahaar (15.06.2015 um 14:14 Uhr)
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