-
Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
<< Zum vorherigen Beitrag
»Ich hatte schlicht den längeren Atem«, antwortete Vesa nach einem Moment des Schweigens.
»Das ist sicherlich Teil davon, aber bestimmt nicht alles«, räumte Kodlak ein.
»Hmm. Ich habe nichts anders gemacht, als sonst. Nur länger.« Der Herold lächelte weiterhin, redete jedoch nicht dazwischen, als erwartete er weitere Ausführungen ihrerseits. »Ich habe mich dem Spiel angepasst, habe sie manches Mal in Sicherheit gewogen, nur um sie dann aus dem Hinterhalt zu erschrecken und schließlich bis zur Verausgabung zu hetzen«, führte sie ihre Erklärung daher fort.
»Also mit Geduld. Geduld und Beherrschung.«
»Ja.«
Offenbar musste sie ihn deutlich irritiert angestarrt haben, denn Kodlak seufzte schließlich, als sie sich weiterhin in Wortlosigkeit hüllte. »Warum behandelst Du Hrothluf anders?« Die Jägerin legte den Kopf schräg und zog eine Augenbraue hoch. »Betrachte es als Jagd und ich bin sicher, dass es Dir leichter fallen wird, mit der Situation umzugehen.«
»Mit dem Unterschied, dass Hrothluf keine Beute, sondern selbst ein Jäger ist«, gab Vilkas nach langem, stillem Zuhören zu bedenken.
»Die Gefährten und besonders die Mitglieder des Zirkels haben sich seit jeher in der Jagd auf Jäger gestählt. Nach einfacher Beute und Opfern stand dieser Gemeinschaft nie der Sinn«, konterte der Alte und ließ den jüngeren Nord nickend verstummen. Auch die Kaiserliche musste einräumen, dass er Recht hatte. So schwer es ihr auch fiel das so zu sehen, weil er sie in einer eigentlich abgekapselten Sphäre ihres Lebens, ihrem Heim, bedrohte, war Hrothluf nichts weiter als eine neue Herausforderung – eine Jagd mit anderen Mitteln, die zum Ziel nicht das nächste Abendessen, sondern das Finden einer Wahrheit hatte.
»Aber genug davon«, brach Kodlak das Thema unvermittelt ab. Es sollte Vesana nur recht sein, bescherte ihr das Thema doch lediglich unnötigen Frust. »Ich wäre überrascht, wenn Du ein drittes Mal in die Drachenfeste gebeten würdest.«
»Hoffen wir es«, murmelte sie und trank noch einen Schluck Wasser, um den zugeschnürten Hals freizubekommen.
»Bestimmt. Und falls es doch anders kommt, denke daran, dass es noch uns hier gibt.« Immerhin diese Bemerkung schaffte es, ihr versteinertes Gesicht wenigstens ein bisschen zu erweichen. Einen Mundwinkel zur Vorahnung eines dankbaren Lächelns verziehend, nickte die Kaiserliche.
Einige lange Momente des Schweigens hielten zwischen ihnen Einzug. Vesa verspürte Dankbarkeit dafür, konnte sie so doch zumindest einen Teil der wild kreiselnden Gedanken einfangen und wieder unter ihre Kontrolle bringen. Zwar empfand sie noch immer die Unruhe eines Bienenschwarms in Brust und Bauch, doch wenigstens legte sich das Brummen hinter der Stirn. Tief durchatmend goss sie nochmals Wasser aus dem großen Krug nach.
»Wie schlägt sich Olen bislang?«, durchstieß schließlich Vilkas die Stille.
»Erstaunlich gut«, entgegnete Vesa und erhob sich mit ihrem Trinkgefäß in der Hand. Langsam pirschte sie durch den Vorraum von Kodlaks eigenem Gemach und ließ ihre Augen über die Regale schweifen. »An seiner Auffassungsgabe müssen wir noch arbeiten, ihm fehlt bisweilen der Sinn für die wichtigen Details des Kämpfens, aber er ist lernwillig und hat Durchhaltevermögen«, fuhr die Jägerin fort und blieb an einem Bücherregal stehen. Mit den Fingerspitzen der freien Linken strich sie sanft über die Ledereinbände, sog den alten Duft von Pergament und Tinte in die Nase und zeichnete hellere Spuren durch den feinen Staub auf ihren Rücken.
»Denkst Du, er hätte das Zeug zum Gefährten?«
Vesana hielt in der Bewegung inne und ließ die Hand auf einem der Bücher ruhen. Langsam wandte sie den Kopf und schaute über die Schulter zurück, antwortete jedoch nicht sofort. »Schwer zu sagen, dafür ist es zu früh«, antwortete sie. »Möglicherweise schon.« Vilkas nickte nur und die Kaiserliche widmete sich wieder dem Bücherregal.
Den Becher auf einem der Zwischenböden abgestellt, griff sie sich nach einigen Momenten des schweigsamen Stöberns einen der Folianten über Alchemie und blätterte durch. »Allerdings«, unterbrach sie letztlich gedämpft und ohne die Augen von den Buchseiten zu heben die Stille, »bezweifle ich, dass er – seine Eignung vorausgesetzt – so einfach bereit wäre, sich uns anzuschließen.«
»Du meinst, solange sein Heimatdorf der Bedrohung der Banditen ausgesetzt ist?«
»Hmhmm.«
»Wenn Du während der fortgesetzten Ausbildung das Gefühl bekommst, er könnte geeignet sein«, mischte sich nun Kodlak ein, »versuche herauszufinden, was er tun würde, wenn die Banditen nicht länger eine Bedrohung wären.«
»Ich wusste gar nicht, dass wir wieder rekrutieren.« Vesa schlug den staubigen Einband zu, dass ihr ein trockenes Wölkchen entgegenblies, und schob das Buch zurück ins Regal. Mit dem Tonbecher an den Lippen wandte sie sich um und lehnte sich zurück bis sie gegen die hölzernen Planken stieg.
»Offiziell ist das auch so«, bestätigte der Graue und ließ sie hellhörig werden.
»Aber?«
»Wir können immer rechtschaffene, gute Kämpfer gebrauchen. Athis zeigte sich, trotz all seiner üblichen Abneigungen gegen jedermann, führsprechend über Olens Kampfeswillen. Farkas und Vilkas, die gelegentlich den Übungen beigewohnt haben, bestätigen das«, erklärte Kodlak. Die Kaiserliche nickte lediglich verstehend. Der Alte hatte natürlich Recht. Gerade unter den Welpen verloren sie öfter Mitglieder – nicht immer durch Tod oder schwere Verletzungen, das eher selten sogar, wesentlich häufiger schlicht durch Ausstiege aus der Gemeinschaft oder notgedrungene Verbannungen aufgrund von Fehlverhalten. Eine standfeste Persönlichkeit, wie Olen sie derzeit zu sein erschien, mochte da durchaus Hoffnung auf einen langfristigen Zugewinn machen.
»In Ordnung«, stimmte die Jägerin somit zu. »Aber ich werde ihn erst noch ein paar Tage quälen, bevor ich eine Einschätzung abgebe.«
»Nichts anderes hatte ich erwartet«, bestätigte der Herold und auch Vilkas nickte.
»Nun gut.« Vesa stieß sich vom Regal ab und leerte ihren Tonbecher, während sie zurück zum Tisch mit den beiden Männern lief. »Wenn es sonst nichts weiter gibt, würde ich mich jetzt erst einmal frisch machen.«
»Besser so«, stimmte Vilkas zu und fing sich einen sauren Blick der Kaiserlichen ein. Gleich darauf grinste er jedoch und sie lächelte ebenfalls. »Geh nur.«
Damit verließ sie die beiden Zirkelmitglieder und trat auf den langen, gewölbten Korridor aus groben Steinen hinaus. Die Tür hinter sich schließend, verharrte sie einen Augenblick mit der Hand auf der Klinke und schloss die Augen. Nur langsam sank die von Kodlak gemahnte Ruhe in sie hinein, aber je länger sie in der Stille des schummrigen, warmen Flures mit ihren Gedanken allein war, desto mehr vor ihnen vermochte sie einzufangen. Es überraschte sie, wie schwer es ihr doch fiel, sich nach den Worten des Grauen zu richten. Im Zirkel galt sie als exzellente und geduldige Jägerin, doch sobald sie in der Integrität ihrer Person und ihres persönlichen Umfeldes bedroht wurde, verlor sie die Kontrolle über sich selbst. Dabei handelte es sich auch um nichts grundsätzlich Neues, auch wenn Darius Verschwinden es hatte schlimmer werden lassen – nicht zuletzt deshalb, weil er zuvor für die Jägerin ein Ruhepol gewesen war.
Mühsam schüttelte Vesana das Haupt und richtete ihre Augen aus der leeren Formlosigkeit ihrer Gedanken und Gefühle zurück auf ihr Heim, die grauen Steine der Wände und des Bodens, die roten und braunen Teppiche und die Kerzenleuchter, die flackerndes Licht spendeten. Schlussendlich glitten auch ihre Finger von der eisernen Klinke. Es war Zeit, sich aus dem Sorgenkleid zu pellen. Irgendwo tief in ihr glaubte sie fest daran, dass Kodlak rechtbehalten sollte, sie musste diesen Glauben nur noch nach außen kehren.
»… -t sich noch in Schweigen, wie sie es immer tun, aber er wird schon noch brechen«, vernahm die Kaiserliche nach einigen Schritten durch das Gewölbe eine nur allzu vertraute, kraftvolle Frauenstimme hinter sich und blieb stehen. Aus dem Seitenflur, an dem Aelas und Skjors Gemächer lagen, traten in diesem Moment gerade eben jene Beiden heraus. Die Nordfrau schien gerade zu weiteren Worten ansetzen zu wollen, doch brach sie ab, als sie mit dem einäugigen Kahlkopf an ihrer Seite auf den Hauptkorridor trat und Vesana bemerkte. »Vesa!«, stieß sie nach kurzem Zögern aus und wirkte erstaunlich überrascht.
»Aela?«, fragte die Kaiserliche zurück und fühlte sich nicht weniger übertölpelt als die zwei Zirkelmitglieder vor ihr aussahen. Sie benötigte einen Augenblick, um die Überraschung mit einem sachten Kopfschütteln niederzuringen. »Ich dachte, ihr beide wärt auf der Weststraße eingespannt?«
Die rothaarige Nord antwortete erst nicht. »Die Arbeit hat wohl leider jemand für uns erledigt«, entgegnete stattdessen Skjor, dessen Miene schnell wieder versteinerte.
»Bedauerlich.« Nach Überwinden der letzten Reste des anfänglichen Schocks lächelte Vesa schließlich und ließ die warme Freude über das Wiedersehen durchscheinen. »Aber schön euch beide zu sehen.«
»Ebenfalls«, erwiderte nun Aela und neigte anerkennend das Haupt. »Du siehst auch deutlich besser aus als noch vor zwei Tagen.«
»Dank euch, ja.« Skjor nickte nur und seine Partnerin hob abwehrend die Hand.
»Wohin bist Du unterwegs?«, wollte letztere wissen.
»Zur Waffenkammer«, antwortete die Kaiserliche und deutete mit dem Daumen über die Schulter, wo noch immer das Übungsschwert hing. »Und danach ein paar sauberere Sachen holen.« Ohne dass es eines Wortes bedurfte, setzen sie sich gemeinsam in Bewegung. »Wann seid ihr angekommen?«
»Etwa zeitgleich mit den Welpen. Haben einigen von den Verletzen zurück zum Gildenhaus geholfen«, erklärte Skjor, der gleichauf mit der Kaiserlichen lief, Aela hielt sich hinter ihnen.
»Ah, sehr praktisch.« Der Nord nickte. »Hm. Um wen ging es, als ihr euch eben unterhalten habt?«
Er verfiel ins Schweigen. »Diesen … Nord. Talgolf? Targolf?«, setzte Aela an.
»Trargolf. Oder Hrothluf«, berichtigte Vesana.
»Ja, richtig. Vilkas hat erzählt, dass Du heute wieder in der Feste warst.« In der Zwischenzeit gelangten sie an der dunklen, schweren Tür zur Waffenkammer an und hielten inne. Skjor wirkte unbeweglich wie stets, die rothaarige Jägerin, frisch gewaschen und ohne Kriegsbemalung, erschien ungewohnt freundlich. Aber das mochte wohl schlicht auch genau daran liegen, dass ihr die Farbe fehlte und sie sich über das Wohlbefinden der Kaiserlichen freute. Zumindest vermutete diese das.
»Es scheint sich schnell rumzusprechen«, gestattete sich Vesa die tadelnde Bemerkung. Der Gedanke, dass sich alle darüber unterhielten, missfiel ihr. Es brachte nur die Gefahr mit sich, dass irgendwann einmal jemand unerwünschtes mithörte.
»Nur im Zirkel, keine Sorge«, beschwichtigte Skjor und schnaufte. Er mochte ihre unterschwellige Anspielung durchaus verstanden und für unnötig befunden haben. Auch Aela wirkte nun wieder etwas ernster.
»Natürlich«, wiegelte sie ihre Bemerkung ab.
»Lass Dich jetzt erst einmal nicht aufhalten«, schweifte Aela ab. »Wir haben später noch genug Zeit miteinander zu sprechen.«
»Ich denke auch.« Damit trennten sie sich voneinander. Die beiden Nord verschwanden nach oben, Vesana verstaute ihre Übungswaffe in der Kammer und kehrte anschließend auf ihr eigenes Gemach zurück. Es erschien ihr noch etwas unwirklich, dass Aela und Skjor bereits zurückgekehrt waren und das Gildenhaus mit all den Welpen und einfachen Mitgliedern plötzlich wieder regelrecht voll wirkte. Überhaupt, schien dies allen etwas aufs Gemüt zu schlagen. Aela ungewohnt mild, Skjor leichter zu bewegen und auch Kodlak deutlich direkter als sonst. Kopfschüttelnd versuchte die Kaiserliche ihre eigene Irritation mit den veränderten Gemütern und das Chaos ihrer eigenen Gefühle über das unverhoffte Wiedersehen mit Hrothluf zu verdrängen. Wenngleich die Aufträge schiefgegangen waren, ein Grund zur Freude bot die Wiederkehr aller Beteiligten dennoch. Aufträge über lange Distanzen bargen stets die größten Risiken – viel mochte auf dem Weg zum Auftragsort und zurück passieren. Umso glücklicher also, dass sie keine Verluste zu beklagen hatten.
Entsprechend motiviert entledigte sich die Jägerin ihrer verschwitzten Kleidung und rieb sich mithilfe eines Stofftuchs und dem Wasser ihrer Waschschüssel grob ab. Keine wirklich effektive Reinigung, aber genug, um nicht mehr auszusehen wie ein Kind, das mit seinen Freunden zusammen im Wald gespielt hatte. Mit den Füßen in den warmen, niedrigen Stiefeln, die sie schon während des Tages getragen hatte, warf sie sich ihre rotbraune, bestickte Tunika über. Da sie nicht plante, nochmals außer Haus zu gehen und das Bedürfnis verspürte, wenigstens einmal wieder bewusst eine Nacht in ihrem Bett zu verbringen, sollte der etwas dickere Stoff genügen. Kodlak mochte es allemal freuen, dass sie nicht vorhatte, auf die Jagd zu gehen und auch das Biest schien sich damit anfreunden zu können, bescherte ihr doch der Gedanke an den Verzicht auf Beute keine neuen, oder zumindest verstärkten, Kopfschmerzen.
Die langen Ärmel ein Stück hochgeschoben verließ sie ihre Kammer und kehrte nach oben in die große Gildenhalle zurück.
Zum nächsten Beitrag >>
Geändert von Bahaar (24.01.2015 um 11:57 Uhr)
Stichworte
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln