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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Das Rennen setzte sich unverändert fort. Zwar gab Vesa Olen immer wieder die Möglichkeit aufzuschließen, aber sie war trotz ihrer geringeren Größe die eindeutig schnellere. Das lag nicht zuletzt an den Wegen, die sie einschlug. Egal ob an einer Treppe vorbei in die schmale Spalte zwischen einer Hauswand und dem Podest, zu dem die Stufen führten, nur um anschließend mit zwei, drei schnellen Schritten im Wechsel gegen den Holzbalken in der Seite des Hauses und den groben Steinen der künstlichen Erhöhung plötzlich auf dieser zu landen. Oder ob sie sich spielend über das steinerne Geländer einer Terrasse schwang und sich behände auf der anderen Seite hinabgleiten ließ. Der blonde Nord ließ sich so spielend abhängen und blieb oft fluchend zurück.
Gelegentlich spürte die Kaiserliche die ehemalige Verletzung im Fuß noch. Besonders dann, wenn sie unglücklich auftrat und den Knöchel etwas verdrehen musste oder heftig auf sehr unebenem Grund landete. Abgesehen davon jedoch schien sich ihr Körper schnell wieder an die Belastung anzupassen. Vielleicht war sie aber auch einfach besser darin geworden, das Meckern und Murren ihres Leibes auszublenden. Womöglich auch ein bisschen von Beidem Es spielte keine Rolle.
Ein schneller Blick über die Schulter verriet ihr, dass ihr Auszubildender etwas aufgeholt hatte. Gerade in der Nähe des einzigen Stadttores, etwas abseits hinter der alten Kriegsjungfer bremste sie binnen weniger Schritte zum Stillstand ab und zückte wie zu unregelmäßigen, vorherigen Anlässen das Übungsschwert. Olen kannte das Spiel bereits, doch war er noch immer zu langsam. Er versuchte, anstatt auszuweichen, weiterhin die eigene Waffe zu ziehen und ihren Hieb zu blocken – ein fataler Fehler, auf den sie ihn erst am Ende des Tages hinweisen würde, sollte er es bis dahin noch immer nicht verstanden haben. So umfasste seine Rechte gerade erst den Griff des Schwertes als ihre stumpfe Holzklinge seinen Oberarm traf und ihm danach hörbar die Luft aus den Lungen trieb. Jaulend wie ein getretener Hund stürzte er auf die nur spärlich mit Gras bewachsene, feuchte Erde nieder.
Seufzend verstaute Vesana ihre Waffe und setzte sich im Anschluss auf einen nahen, aus dem Boden ragenden Stein. Den triefenden Schweiß wischte sie sich wenigstens aus dem Gesicht und stützte das Kinn anschließend über die von der Anstrengung zitternden Finger auf die Beine. So harrte sie aus und beobachtete schwer atmend den sich windenden Nord. Er rang noch immer nach Luft, wobei es ihm bereits leichter fiel. Vielmehr schien es der zweifelsohne kräftigte Schmerz im Arm und in den Rippen zu sein, der ihn besonders plagte. Allerdings würde sich auch das bald geben.
»Verrate mir: Würdest Du lieber wieder mit Athis üben?«
Olen antwortete zunächst nicht und rollte sich stattdessen auf den Bauch. Als bestünden seine Glieder aus Blei stützte er sich auf die Knie hoch, harrte einen Moment mit den Händen gegen den Grund gepresst aus und richtete sich erst danach richtig auf, nur um gleich im Anschluss mit dem Gesäß auf die Fersen hinabzusinken. »Nein«, keuchte er und schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. Vesa rang es ein Lächeln ab, kein überraschtes, aber ein verstehendes.
»Dann sollten wir die Pause nicht allzu lang werden lassen.«
Das Blondchen nickte heftig und hob gleichzeitig beide Hände zur Beschwichtigung. »Einen … Moment … bitte.«
»Einen kurzen.«
»Gut … genug.« Inzwischen streckte Olen die Beine durch und setzte sich direkt auf die Erde. Aus seinen dunklen Augen heraus musterte er sie. »Vesana, richtig?«, wollte er nach einigen deutlichen Atemzügen wissen.
Zunächst verdutzt fiel ihr erst danach ein, dass sie sich nie selbst vorgestellt hatte – nicht, dass es etwas änderte, aber wenigstens erschien es ihr angebracht, das nachzuholen. »Ja.«
»Sehr … erfreut.«
Ruckartig stand sie auf und warf ihm einen ausdruckslosen Blick zu. »Die Pause scheint lange genug gewesen zu sein. Aufstehen.«
Augenrollend kam der Nord ihrer Aufforderung nach, doch da war sie schon wieder fort. Auch wenn es ihr selbst zunehmend schwerer fiel, die Geschwindigkeit zu halten und ihr gelegentlich die Sicht verschwamm, aufhören wollte sie gewiss nicht. Die in ihren Lungen tanzenden, glühenden Dolche verhinderten zwar immer mehr, festzustellen, ob sie tatsächlich Olen ausbildete oder womöglich doch eher sich selbst züchtigte, aber letztlich machte es keinen Unterschied, kam es doch auf dasselbe hinaus.
Die Menschen, die sich trotz des Windes und der kühler werdenden Luft auf den Straßen aufhielten, sprangen gelegentlich empört zur Seite und riefen ihnen kaum verständliche Flüche nach. An Vesana blitzten sie damit jedoch ab. Weder war es eine Seltenheit, noch störten sie mit ihrer Übung jemanden ernsthaft. Von den Hauptstraßen der Stadt hielten sie sich allemal weitestgehend fern. So blieb ihnen überhaupt erst richtig Raum. Dennoch bog die Jägerin vorrübergehend auf eine etwas längere, gerade Gasse ein und drosselte ihre Schrittfrequenz marginal, dass es dem sie verfolgenden Nord kaum auffallen dürfte, auch wenn er sie plötzlich schneller einzuholen begann. Einholen würde er sie ohnehin auf gerader Linie, sie half ihm nur etwas auf die Sprünge. Zwei weitere Lektionen standen für ihn auf dem Programm der Kaiserlichen.
Es dauerte auch nicht sehr lange, bis sie seine schweren, stampfenden Schritte direkt hinter sich wahrnahm und seinen heißen, feuchten Atem beinahe in ihrem Nacken zu spüren glaubte, während ihr langer Pferdeschwanz wild hin und her schlug als versuchte er ihn wegzufächern. Kurz darauf schlug ihr etwas kräftig gegen die linke Schulter und brachte sie ins Taumeln, provozierte ein Stolpern, das sie nur durch starkes Abbremsen unter Kontrolle bekam. Olen blickte im Rennen zu ihr hinüber, hielt jedoch nicht an und so drehte sich der Spieß das erste Mal um. Obwohl hierin gerade schon die erste Lektion für den Nord bestanden hatte, bezweifelte die Kaiserliche, dass er sie bemerkt hatte.
Ohne noch länger zu verharren nahm Vesa die Verfolgung auf. Zunächst spurtete sie hinter dem Nord her, allein aus Neugierde, welche Wege er einschlug, immerhin kannte er sich hier nicht aus – und genau darin würde seine letzte Lektion vor der Mittagspause bestehen. Anstatt ihm nach einem plötzlichen Haken direkt zu folgen spurtete sie gerade aus weiter. Zwei Häuser später – unmittelbar vor der inneren Stadtmauer, die die tieferliegenden Handelsviertel von den höheren trennte – schoss Olen aus der Gasse zwischen Haus und Wall hervor. Darum wissend, dass aus der Gasse, die der Nord genommen hatte, nur dieser Weg hinausführte, war die Kaiserliche vorbereitet und rechtzeitig ebenfalls dort angelangt. Das Holzschwert im Rennen gezückt hieb sie ihm tief gegen die Beine. Völlig überrumpelt und im Entsetzen schrie der Mann auf. Vom eigenen Schwung getrieben flog er einen Herzschlag lang durch die Luft bevor er dumpf auf dem harten Boden aus Erde und groben Pflastersteinen aufschlug.
Vesana taumelte selbst noch gegen die Stadtmauer, fing sich jedoch schnell. Keuchend lehnte sie sich gegen den feuchten Stein und verstauchte das Schwert in der Scheide. Tiefes, schmerzverzerrtes Stöhnen schwappte über das Pfeifen eisiger Böen zu ihren Ohren hinauf. Olen rollte sich zunächst auf den Rücken, dann auf die Seite, und rieb sich erst die deutlich aufgeschürften Unterarme und umklammerte anschließend die Beine. Gelegentlich wandelte sich sein klägliches Jammern zu langsamem Heulen. Etwas mitleiderregend sah er schon aus, wie er sich dort zu ihren Füßen im Dreck wandte – aber andererseits war er genau deswegen hier. Sollte er unter ihrer Anleitung nur ruhig noch unzählige Male mehr so daliegen. Besser jetzt als später mit der Spitze des Schwertes eines Banditen auf der Brust.
»Steh auf«, wies sie ihn an, als sich ihr Auszubildender allmählich beruhigte. Er spurte nicht sofort. »Steh auf!«, wiederholte sie nachdrücklicher und stieß sich von der inneren Stadtmauer ab. Träge robbte er zu dieser hinüber und nutzte die groben Steine und die Spalten zwischen ihnen, um sich hochzuziehen. Wankend kam er zum Stehen. Keine ernsthaften Verletzungen – wie erwartet, aber dennoch eine erleichternde Gewissheit und so atmete Vesa kurz durch.
»Scheiße … das tat richtig weh«, fluchte er.
»Lerne daraus«, konterte sie. »Und genau dafür gibt es jetzt erst einmal eine Pause.«
Kurz blieben sie voreinander stehen, er starrte sie unverhohlen an und schien in ihrem sicherlich angestrengten, schweißverklebten, aber ansonsten ausdruckslosen Gesicht nach Gefühlsregungen zu suchen. Sie würde ihm den Gefallen nicht schenken und ihm offen zeigen, dass sie sich fühlte als hätte ihr ein wütender Bauer seine Mistgabel durch die Brust gerammt. Ganz zu schweigen von den heiß in den Schläfen pulsierenden Adern, durch die ihr Herz unaufhörlich und in hohem Takt kochendes Blut presste. »Bis wann ist Pause?«, fragte Olen schließlich.
»Geh essen und trinken, ruhe Dich etwas am Feuer aus und komme dann zurück nach Jorrvaskr. Ich werde da sein«, erklärte Vesa. »Und denke über das bisher Geschehene nach. Wenn wir uns nachher wiedersehen, will ich wissen ob – und wenn was – Du daraus gelernt hast.«
»Außer, dass es zukünftig noch schmerzhafter werden könnte?«
Die Kaiserliche kommentierte es nicht, schüttelte nur kaum merklich mit dem Kopf, und ließ den Nord einfach stehen. Seine ironischen Kommentare würde sie ihm schon noch austreiben. Eigentlich hatte sie überlegt, ihm im Zweifel bei den Lehren aus dem heutigen Rennen auf die Sprünge zu helfen, aber vielleicht würde sie das noch einen Tag aufschieben und sehen, ob eine unkommentierte Wiederholung des Ganzen fruchtete. »Vermutlich nicht«, murmelte sie zu sich selbst und erklomm schwerfüßig die Stufen hinauf zur Halle der Gefährten.
Von der Kälte spürte sie zwar in diesen Momenten nichts, aber der Kontrast zum warmen Innern des Gildenhauses fiel dann auch ihr auf. Vilkas saß für sich am langen Tisch, Athis und Brill nebeneinander, aber am anderen Ende, und einige der anderen Mitglieder verteilten sich in die zwielichtigen Randbereiche der Halle – entweder allein oder in Paaren. Niemand schenkte der Kaiserlichen sonderlich Beachtung, als sie eintrat und sich anschließend gegen das dicke Holz der Pforte lehnte, um den pfeifenden, schneidenden Wind von draußen auszusperren. Im Vorbeigehen schnappte sie sich einen Apfel von einem Tablett, warf Athis, der sie zunächst gar nicht bemerkte, einen flüchtigen Blick zu und gesellte sich dann zu Vilkas.
»Wie schlägt er sich?«
»Im Moment frisst er noch reichlich Dreck, aber er ist starrköpfig wie alle Nord«, erwiderte Vesa und bis in die von der Lagerung inzwischen mehlig gewordene Frucht. Es störte sie nicht weiter, süß und verglichen mit den sonstigen Speisen Himmelsrands recht exotisch schmeckend genoss sie es. Lachend reichte ihr das befreundete Zirkelmitglied einen Krug mit Wasser.
»Er kneift also nicht?«, mischte sich unvermittelt der Dunmer vom langen Ende des Tisches in ihr Gespräch ein.
»Noch nicht, nein. Aber ich glaube ihm dämmert, dass ihm noch so manche schmerzhafte Lektion bevorsteht«, erklärte sie. »Einige davon vermutlich doppelt oder dreifach, wenn er sie weiterhin so großzügig übersieht.« Vilkas und Brill lachten leise auf, Athis schnaufte – was bei ihm wohl auch so etwas wie ein Lachen sein mochte. Sicher war sich die Jägerin nicht.
»Er wird’s schon überleben«, meinte Vilkas.
»Das mit Sicherheit.« Der Dunkelelf widmete sich nach ihren Worten dem Mittagessen und redete gelegentlich leise mit Brill. »Es fühlt sich gut an, wieder eine Aufgabe zu haben«, sprach Vesa gedämpft an den Nord an ihrer Seite gewandt.
»Ich kann’s mit einigermaßen vorstellen.« Er lächelte mild. »Freut mich, dass Du endlich richtig zurück bist.«
Sie erwiderte das Lächeln. »Mich auch.« Zwar wussten sie beide, dass nichts wie früher war, auch nie mehr sein würde, aber das zählte gerade nicht.
»Was hast Du heute mit dem Blondchen alles gemacht?«
»Fangen gespielt.«
Vilkas verzog das Gesicht als könne er den Schmerz, den Olen bislang wegen seiner Ausbilderin empfunden haben musste, mitfühlen. »Du bist wirklich nicht zimperlich.«
»Warum auch?«, konterte sie. Der Nord nickte still. »Ist ja nicht so, dass ich ihn zum Spaß ausbilde.«
»Wohl wahr. Er scheint ja auch robust zu sein.«
»Das ist er. Ich will ihm ja auch nichts brechen.«
Ihr Freund lachte leise. »Bist Du Dir da sicher?«
Gespielt nachdenklich legte sie die Linke ans Kinn und stierte kurz zur Decke hinauf. »Hmm … Vielleicht nicht vollkommen, aber ziemlich.« Fettes Grinsen trat auf Vilkas raue Lippen. Sie schmunzelte und bestrich sich endlich eine Scheibe Brot mit Blutwurst.
»Was wirst Du nach der Pause mit ihm anstellen?«
»Ich denke, für die Ausdauer und das Geschick mit den Füßen haben wir heute genug getan«, überlegte sie laut. »Gleichgewichtsübungen würden ihm sicherlich guttun. Aber das kommt etwas darauf an, in welcher Verfassung er sich befindet, wenn er hier aufschlägt.« Vilkas nickte lediglich und schenkte sich aus dem Krug Wasser ein.
»Wie geht’s Farkas?«, schwenkte Vesa auf ein anderes Thema um.
»Gut, denke ich. Zumindest prügelt er hinten kräftig auf eine Übungspuppe ein – ich glaube, das ist ein gutes Zeichen«, erwiderte der Nord und brachte Vesa zum Feixen. Typisch Farkas. Immer in Bewegung.
»Ja, ich glaube auch«, bestätigte sie und biss vom Brot ab. Im Hintergrund trat wieder jemand in die Halle der Gefährten ein. Davon ausgehend, dass es Olen sein musste, schaute sie gar nicht erst auf. Aber er war erstaunlich früh dran. »Wie man richtig trinkt, solltest Du Deinem Bru-«
»Oh, Scheiße«, unterbrach sie Vilkas. Alarmiert schaute sie erst zu ihm, bemerkte aber, dass es nichts mit ihm zu tun hatte und folgte anschließend seinem eingefrorenen Blick zum Haupteingang des Gildenhauses. Zwei Männer in schweren Plattenrüstungen und dem Wappen des Fürsten von Weißlauf auf einem über der Brust hängenden Banner standen dort. Lange, lederumwickelte Schwertgriffe ragten über ihre stählernen Schultern und hinter den von glänzenden Vollhelmen verhüllten Köpfen auf.
»Scheiße«, entfuhr es auch Vesa, als sich ihr Herz in die Kniekehlen verzog und die Eingeweide auf dem Weg unangenehm verwirbelte. Nicht einmal der empfundene Fausthieb in die Magengrube provozierte bei ihr noch eine Regung. »Nicht schon wieder.«
Einer der Gardisten aus der Drachenfeste nahm derweil seinen Helm ab und entblößte das selbst auf diese Entfernt gekerbt wirkende, harte Gesicht. Sie kannte es bereits, ebenso wie die bis auf die Wangen fallenden, graumelierten Haare und das glattrasierte Kinn. »Ich dachte, die Sache wäre erledigt gewesen?«, wunderte sich Vilkas und aus dem Augenwinkel heraus bemerkte Vesana, wie er ihr das Haupt zuwandte. Sie hielt die Augen starr auf die beiden Gardisten gerichtet.
»Das hatte ich gehofft.«
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Geändert von Bahaar (26.12.2014 um 06:33 Uhr)
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