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Legende
So, jetzt muss ich mal meinen guten Kumpel Claude ein wenig in Schutz nehmen. xD
Eins vorweg: Es ist vollkommen okay, diesem Übersetzungsstil nichts abgewinnen zu können. So sehr ich den Humor in den meisten Fällen feiere, wurden aus heutiger Sicht viele fragwürdige Entscheidungen getroffen, die ich selbst nicht so umsetzen würde. Allerdings ist es nicht so, dass Claude und sein Team diesen Stil aus einer Nullbock-Einstellung oder fehlender Ernsthaftigkeit heraus gewählt hätten.
Fangen wir erst mal damit an, dass bis Mitte der 90er Übersetzungen für Nintendo-Spiele ein organisatorisches Debakel waren: Bei Nintendo of Europe hat man aufgrund von veralteten Firmenstrukuren weitestgehend gemieden, europäische Mitarbeiter einzustellen, die Japanisch sprechen können, sofern sie es nicht für ihren Job brauchten (damit die japanischen und europäischen Mitarbeiter nicht so viel Kontakt miteinander haben). Da es keine dedizierte Abteilung für Übersetzungen gab, wurde Claude aus dem Werbeteam geholt und gefragt, ob er Lust hätte, nach Japan zu gehen und ein Spiel (Secret of Mana) zu übersetzen. Square hatte allerdings damit gerechnet, dass Nintendo jemanden schickt, der Japanisch sprechen kann. Also hat er sich durchs Spiel gespielt und sich von einem koreanischstämmigen Mitarbeiter auf mittelmäßigen Englisch erklären lassen, was da eigentlich abgeht. Dann hat er das englische Skript bekommen, das er ohne das Spiel und Kontexterklärungen übersetzen sollte. Seine Texte wurden ins Spiel eingefügt und ihm anschließend vorgesetzt, wobei vieles natürlich noch nicht gepasst hat, da er nicht sehen konnte, wann diese Texte erscheinen – er hatte eine Handvoll Tage noch Zeit, alles anzupassen. In Anbetracht dieses Durcheinanders finde ich es extrem beeindruckend, dass dabei ein Spiel herauskam, das von der Story her vollkommen kohärent ist und sich von Anfang bis Ende problemlos auf Deutsch spielen lässt. Seine französische Kollegin war beispielsweise nicht so motiviert: Sie hat die Waffen mitunter nur Schwert 1, Schwert 2, Schwert 3 nennen wollen. Bei seinen nachfolgenden Spielen kann man hundertprozentig davon ausgehen, dass ähnliche Sperenzien die Arbeit unnötig erschwert haben, weil niemand so recht wusste, wie das logistisch zu regeln war. ^^
Eine weitere Tatsache, die dieses Unterfangen sehr beeindruckend dastehen lässt, ist der zeitliche Kontext: Im Grunde war A Link to the Past bis dahin das einzige Spiel, das storytechnisch von der Tiefe und vom Umfang her vergleichbar war und auf Deutsch übersetzt wurde. Er war also einer der ersten, die solche Projekte in Angriff nehmen mussten und hatte nichts wirklich, woran er sich orientieren konnte. In den 90ern war es auch üblich, dass Comics oder Zeichentrickserien im Deutschen teils komplett abgeändert werden, was Sprachstil, Witze oder gar storyrelevante Inhalte angeht: Es werden dauernd irgendwelche dummen Flachwitze gebracht, kontemporäre Popkultur wird des Öfteren durch den Kakao gezogen, freche Kommentare waren an der Tagesordnung, Hip Hop und Techno waren im Aufkommen, man wollte rebellisch und auffällig sein. Wenn man sich Synchros aus dieser Zeit ansieht (Duck Tales, Darkwing Duck, Dragon Ball, Flint Hammerhead etc.), wird das recht schnell erkennbar.
Anders gesagt: Was Claude gemacht hat, war zu dem Zeitpunkt völlig normal und wurde auch ein Stück weit von ihm erwartet. Deshalb hat es auch keine Rolle gespielt, dass Spiele wie Mana, Evermore oder Mystic Quest Legend sich im Englischen relativ nüchtern lesen. Außerhalb der literarischen Szene waren wortgetreue Übersetzungen einfach nicht an der Tagesordnung – Chefs und Konsumenten wollten den typischen Humor, den sie in den 90ern gewohnt waren (der bei den japanischen Kollegen zu der Zeit übrigens auch sehr gut ankam). Dass seine Übersetzungen heutzutage so sehr hervorstechen, liegt vor allem daran, dass sich die Standards ab der N64-Ära recht schnell geändert haben, da nun eine ganze Abteilung für Spiellokalisation gegründet wurde, die sich professionell damit befasst. Im Laufe der 2000er erfolgte auch in der gesamten Übersetzungsszene der Umschwung, möglichst nah am Original zu übersetzen (was meiner Ansicht nach ganz andere Nachteile mit sich bringt). Claude hat aber ein sehr wichtiges Fundament gesetzt: Die Bereitschaft vorauszusetzen, sich inhaltlich so eingehend mit dem Spiel zu befassen, dass am Ende ein Produkt herauskommt, das stilistisch aus einem Guss wirkt und auch eine verständliche Story und vor allem Schönheiten aus der deutschen Sprache bietet. Spätere Übersetzungen wie die deutsche PSone-Fassung von FFVII zeigen, dass viele Übersetzer auch einfach nur von String zu String springen und ihren Job als erledigt betrachten – das passiert leider auch heute noch.
TLDR: Claudes Übersetzungsstil muss nicht jedem gefallen, allerdings war dieser seinerzeit normal. Weiterhin arbeitete er stets unter erschwerten Bedingungen und es gab nichts Vergleichbares zu dem Zeitpunkt – weshalb es sehr bemerkenswert ist, dass trotzdem inhaltlich kohärente Texte dabei herauskamen.
Geändert von Ligiiihh (01.08.2024 um 00:11 Uhr)
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