Zitat Zitat von real Troll Beitrag anzeigen
@ Ianus
Ich halte Stereotypenbildung für einen sehr fruchtbaren Ausweg aus der Simpelklemme der Handlung. Es ist nur sehr schwierig darstellbar, wie sich ein Computerheld seine Welt denkend aneignet. Den schrulligen Charme eines "Herrn Lehmann" oder die wehmütige Vergänglichkeit im "Radetzkymarsch" kann ich mir nur als Buch denken; Spiele schaffen es nicht, in diesen Gütebreich vorzustoßen. Allenfalls könnte man einmal mit verschiedenen Farbgebungen experimentieren, um unterschiedliche Gemütsregungen des Helden anzuzeigen - Verliebtsein taucht natürlich alles in rosarot, Wut und Zorn lassen die Welt in dampfendem Rot erstrahlen, Neid ... tja, grün oder gelb? Mit Bildern ist aber nicht alles zu sagen und der Textmenge ist in einem Spiel aus guten Gründen eine Grenze gesetzt.
Wie der Held die Welt sich aneignet ist allerdings auch scheißegal. Der Spieler ist es, der sich die Welt aneignen sollte, deswegen die Stereotypen. Wenn du ähnlich des Romanes eine spezifische Sichtweise auf die Welt darstellen willst, so wirkt sich dies IMO auf das Spielsystem und die Darstellung aus. Aber um visuell, beim Schatz an Metaphern, auf eine Stufe mit einem klassischen Roman zu kommen, müsste man fast ein Spiel im Anleihen bei Max Ernst machen. Es gibt Paralellen zwischen moderner Kunst und dem Roman, aber wie Eingängig ist Une semaine de bonté denn?

Ein gewisses Spiel mit Stereotypen würde auch einen Zugang zu einer tieferen Charakterzeichnung ermöglichen. Der Hauptcharakter im Mann Ohne Eigenschaften und einige Nebencharaktere definieren sich z.B. als Stereotypen und auch Dorian Grey und der Graf, der ihm so schlechten Rat erteilt definieren sich von sich selbst aus als Stereotypen. Im Falle von Dorian durchbricht er den seinigen aber z.B. durch seine ungemeine Liebenswürdigkeit.
Den Unterschied zwischen der Art, wie man über jemanden spricht und wie er sich dann in der tatsächlichen Begegnung gibt hat IMO einen Raum, der auch für Spiele nutzbar wäre.

Zitat Zitat
Da man also kaum einen facettenreichen Helden während eines Spiels entwickeln kann, greift man eben direkt die Spielererwartungen auf und setzt ihnen etwas vor, das sie auch ohne einführende Bemerkungen annehmen können: Klischees und Stereotype. So bleiben wenigstens Reststumpfen und Ansätze von Charaktermerkmalen im Spiel und das Spiel kann ein Spiel bleiben, ohne sich als gescheiterte Romansimulation bewiesen zu müssen. Und mit ein wenig Ironie und ein paar eingestreuten Subtexten - so wie aktuell in "Sonnenschauer" - lassen sich die schlimmsten Auswüchse des Trivialen sogar umgehen. Simpel bleibt es trotzdem; das schließt meine "Allreise" natürlich mit ein.
Weißt du, es gibt auch einen Unterschied zwischen zitieren und erfüllen. Dein Hauptmann z.B. zitiert den Stereotyp des Hauptmannes nur, aber er erfüllt ihn nicht bis zur Gänze. Täte er dies, wäre das Spiel effektiv unerträglich, da er nur über Pferde, seine Kameraden und über schneidige Soldaten reden würde. Der Stereotyp ist bei dir schon dadurch gebrochen, dass du ihn an vielen Stellen an deine eigene Weltsicht angepasst hast anstatt ihn als ganzes zu erhalten. Das ist mehr als Ironie.