Zum ersten Teil: Im Prinzip möchte ich das Spiel folgendermaßen beschreiben: Es beschreibt eine relativ nahe Zukunft (2038), in der Androiden durchaus als Metapher verstanden werden können, für so ziemlich alles, was die Welt bisher an Diskriminierung hervorgebracht hat. Es gibt viele Instanzen im Spiel, manche sehr flach und sehr eindeutig und manche wenn man ein wenig mehr darüber nachdenkt.
Beispielsweise werden Androiden in manchen Geschäften nicht gedulded, wobei man Androiden entweder an ihrem Sensor an der Schläfe oder an ihrer Mitgelieferten Uniform erkennt (sie tragen das Firmenlogo auf ihrer Kleidung) - wie der Judenstern in Hitlerdeutschland. Androiden fahren in der Regel nicht vorne bei den Menschen Bus(sie werden in abgeschottete Bereiche hinten im Bus zusammen platziert) - Schwarze durften in Amerika nicht bei den Weißen im Bus sitzen (Stichwort Rosa Parks). Zu Anfang des Spiels läuft einer der Spielbaren Charaktere, Markus(der schwarz ist) in seiner Einstiegssequenz durch die Innenstadt, wo ein geistlicher Prediger davon spricht, dass Androiden die Menschheit irgendwann komplett ersetzen werden, ein paar Meter weiter ist eine Demonstration, die auf die große Zahl der Arbeitslosigkeit unter Menschlichen Arbeitern aufmerksam macht ("Sie klauen unsere Jobs!") und wird von denen sobald man zu nahe kommt auch deftig verprügelt - Amerika und Mexikanische Einwanderer? Great Replacement?
Der angesprochene weibliche Android Kara und die vermeintliche Tochter des gewalttätigen Besitzers sind später auf der Flucht nach Kanada und machen sich dafür auf den Weg zu einem Schleuser, der sie über die grenze in das geweihte Land bringen soll. In der Geschichte wird zumindest impliziert, dass es dort für Androiden möglich wäre, friedlich zu leben - auch starke Reallifeparallelen zur aktuellen Flüchtlingsdebatte, davon ausgehend dass die beiden abgeschaltet werden, wenn man sie als Deviants in Amerika zu fassen bekommt.
Ein möglicher Plotpoint (sofern man "richtig" gespielt hat) ist ein Szene in der beide dann allerdings geschnappt und in ein Lager geschickt werden, wo sie im Schnee ohne Kleidung auf einem Platz in einer Reihe mit anderen Gefankenen Anroiden stehen, um am Ende mit denen in einer Kammer platziert und getötet zu werden. Wie genau das geschieht wird nicht gezeigt, dafür darf man aber einen der bereits toten Androiden vorher noch auf eine Schrotthaufen werfen - GIGANTISCHE Parallele zu den Camps in Ausschwitz.
Anhand dieser fast schon eins zu eins Übersetzung früherer Taktiken der Diskriminierung, das quasi wieder aufleben lassen von Geschichte der Zerstörung oder Herabsetzen von Minderheiten hat man als Autor die verdammte Verpflichtung sich über das Gedanken zu machen was man suggeriert und verdammt nochmal ein wenig Sensitivität walten zu lassen, vor allem in Hinsicht auf Themen die ECHTE Minderheiten betreffen.
Ich möchte nochmal auf die Szene mit dem Sexrobotereingehen (wer hätte gedacht dass ich den Satz in meinem Leben mal schreibe)
Outline: Wir sind in einer Welt, in der Androiden menschen fast zum verwechseln ähnlich sind, aber Reminder: Still Androids. Keine Menschen. Sie werden auch nicht wie Menschen behandelt (in dem Sexclub sind Androiden alle in großen Gläsernen Röhren gestored, bis sie gemietet werden, Schaden an Androiden gilt als Propertydamage, nicht als Mord), denn ein Android muss auch andere Leistungen vollbringen als ein Mensch, alles andere würde schon im Kontext der Welt keinen Sinn machen. Im besten Fall sind sie technisch spezialisiert, ein Sexandroid hat vielleicht mehr Endurance, verspricht mehr Pleasure aufgrund von Features, sagt in der Regel nicht nein und vermutlich sind auch ganz andere Neigungen ausspielbar. Natürlich kann da auch scheiße kaputt gehen, aber denk dran, ist immer noch kein Mensch, Kara wurde vor ein Auto geworfen, ist dadurch nicht zum Deviant geworden und wurde vollständig(bis auf ihren Erinnerungsspeicher) wieder hergestellt.
Trotz all dieser Dinge, die das Androidendasein offensichtlich mit sich bringt, wird aber dann doch der weibliche Android Opfer einer Geschichte, die so alt ist wie die Welt selbst:
Die Frau die eigentlich gar keine Prostituierte sein will, die Ekel davon verspürt, ja, die mutmaßlich noch nichtmal heterosexuell is und der aggresive oder pervertierte Client, der gegen den (in diesem Szenario eigentlich gar nicht gegebenen) Willen der Frau handelt. Merke: Den Ekel richtet der Android in diesem Moment nicht gegen den Client im speziellen, der den anderen Androiden zu Schrott verarbeitet hat, sondern gegen ihre Situation mit echten Männern schlafen zu müssen als Ganzes. Für gewöhnlich addiert man zu dem Klischee noch komponenten wie dass sie als Prostituierte arbeiten muss um an schnelles Geld zu kommen, oder weil man Verpflichtungen hat für einen Haushalt,ein Kind, ect. Aber das macht in diesem Kontext alles keinen Sinn. Androiden wechseln in diesem Spiel auch nicht einfach ihren Job, die werden gekauft und einer Bestimmung zugeführt, die werden nicht aufgezogen wie Kinder und entwickeln sich aus ihren eigenen Erfahrungen und werden in per se weibliche Rollen hineintrainiert. Haben die Programmierer von Cyberlife(die Firma) dem Roboter Erinnerungen zugeführt, die sie zufällig, wenn ein Virus auftritt auf den Trichter bringen, dass sie, wie das Klischee es verlangt, sich in ihrer Umgebung unterdrückt fühlen muss, weil sie einen Job im Rotlichtmillieu hat? Wie macht das in dem Kontext Sinn?
Es sind große Zufälle, dass genau hier so ein weitverbreitetes Klischee (der versklavte Sexworker) eingebunden wird, obwohl man es auch einfach bei "Der Mann hat meine Sexpartnerin zu klump genhauen" belassen hätte können. Hätte als gutes Argument absolut gereicht.
Genau so erging es mir mit dem erwähnten Hausarbeitsroboter: Es muss einen Grund gegeben haben, warum der Android in einem Moment selbstständig über ein eingebautes Modul Ersatzteile bestellen kann ABER NICHT einfach direkt die Polzeiwaffe anpiepen kann, wenn der Vadder gerade die Treppe hochgeht um sein eigenes Kind gegen die Wand zu werfen und stattdessen eine emotional dermaßen geladene Szene gibt, in der die kleine zarte Frau sich gegen einen arbeitslosen Schrank in fleckigen Klamotten, der gerne zuviel Bier trinkt und Football glotzt und nebenbei Drogen vertickt in einem direkten Handgemenge messen muss und ihr nichts anderes übrig bleibt als sich das Kind unter den Arm zu klemmen und zu fliehen. Die letzte Szene wurde übrigens schon damals als sie zum ersten mal veröffentlicht wurde heiß diskutiert - es wurde die Frage gestellt, ob David Cage eigentlich noch was anderes mit Frauen machen kann, als sie irgendwo gegen zu werfen oder auszuziehen. Es ist außerdem in den Raum zu stellen, ob David Cage in seinem Unterbewusstsein denkt, es wäre besonders Amüsant oder besonders ergreifend, wenn weibliche Charaktere durch eine besondere Art von Folter gehen. Und besonders sage ich hierbei, weil sichelich in seinem Spiel noch kein Mann Angst haben musste, gefesselt auf nem Arzttisch ein zweites Loch in seine Netherregionen gebohrt bekommen zu müssen, wie es in Heavy Rain an einer Stelle mit einem anderen weiblichen Charakter angedeutet wird, der nebenbei auch mehrere Szenen entweder in Unterwäsche oder nackt spendiert bekommt.
(ein kleiner Recap von Davids Karriere mit Frauen)
https://kotaku.com/david-cage-games-...hit-1826550592
(der Abschnitt mit dem Arzttisch[wenn man sich befreien kann])
https://www.youtube.com/watch?v=2DRPR_mB_DQ
Zum zweiten Teil deiner Frage (ich wollte im ersten Teil gründlich sein, es tut mir Leid) kann ich nur wieder auf die Szene mit dem Kopf hinweisen. In dem Playthrough den ich kenne, wird der abgetrennte Kopf der Liebhaberin der immer noch in Unterwäsche an der Wand hängenden Androidin vorgezeigt, um ihr vorzugaukeln dass ihre große Liebe noch lebt. Ihre Stimme wird imitiert um aus ihr Informationen herauszupressen, was dem Spieler zum Fortführen des Plots verhilft. Das Spiel hat einige Routen, es wäre also auch sicherlich möglich ohne dieses Detail fortzuschreiten. Die Frage ist, ob die Optionalität den Vorwurf entkräftigt dass Frauen in dem Spiel ziemlich schlecht wegkommen. Ich denke nicht. Ich denke die beiden Figuren waren bewusst weiblich, aus mehreren Gründen vermutlich, und ich denke David Cage als großer Dramatiker erhofft sich von weibichen Opfern dass er mehr Herzblut aus dem Spieler pressen kann, was aber auf dauer eher verstörend wirkt, in einem Spiel das nach seinen Worten über Angst und Hoffnungen und Möglichkeiten reden möchte, und nicht menschliches (androidisches) Leid als Unterhaltung verkaufen möchte. Und all diese Sachen spiegeln ein furchtbares Frauenbild wieder.