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Owly
Das ist der sicherste Weg zu Spielen, die mich nicht interessieren. Ich weiß ja, es ist populär zu sagen, dass Kreativität und Ideen nichts wert sind, aber mir ist das zu polemisch.
An der Aussage ist nichts polemisch. Die Menschheit schreibt seit dem 15. Jahrhundert Trivialliteratur und alleine die Annahme, irgendjemand könne irgendwo in seinem kleinen Kämmerchen die ultimative neue Storyidee entwerfen, die noch nie jemand vor ihm hatte, ist schlichtweg naiv. Was wir heute als kreativen Prozess betrachten, ist im Grunde nichts anderes, als eine Neuanordnung unserer eigenen Erfahrungen. Zwar formen wir dabei aus unseren Erfahrungen einen neuen Kontext, der in der vorliegenden Form scheinbar neu ist, das Skelett des fiktionalen Konstruktes wird aber immer ein Flickenteppich aus anderen Werken sein.
Dieser Prozess des "klauens" kann unbewusst passieren, so dass wir uns am Ende für unsere eigene Kreativität loben - dann redet der Volksmund meistens von einer "Inspiration". Oder es kann bewusst passieren, so dass wir uns quasi von vornherein die Rosinen aus dem Kucken picken. Was aber nicht geht, ist das Entwickeln einer neuen "Idee", wie du es schreibst. Denn wenn du wirklich eine absolut neue, nie dagewesen Idee hättest, hättest du wohl einen Nobelpreis in Literatur verdient.
Das ist wie beim Kochen. Wir können versuchen, frei zu kochen, werden dabei aber immer - auch wenn es uns nicht bewusst ist - von den Ideen und Anregungen unserer Eltern, Freunde und Bekannten und unseren selbstgemachten Erfahrungen geleitet. Oder wir kochen gleich nach Rezept und stützen unsere Arbeit damit auf die Vorarbeit anderer.
Das Ergebniss kann in beiden Fällen gut schmecken, oder vollkommen abartig sein. Aber bei jemandem, der wenig Erfahrung als Koch hat, ist die Wahrscheinlichkeit auf ein positives Endprodukt in letzteren Fall sogar erheblich größer.
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Glatt gebügeltes Handwerk bekomme ich überall. Hier will ich persönliche Geschichten erleben, die den Geist ihrer Autoren atmen. Das erwarte ich grundsätzlich von Indie-Spielen, da deren Produktionswerte immer hinter Vollpreisansprüchen hinterherhinken werden.
Ich verstehe auch nicht ganz den Gedanken hinter deiner Aussage. Inwiefern steht Kreativität mit schlechtem Handwerk im Zusammenhang? Und wieso sollten amateurhafte Autoren aus Versatzstücken eine gute Geschichte basteln können, aus eigenem Material aber nicht? Mir ist zwar auch wichtig, dass das Handwerk sitzt, aber als Grundvoraussetzung sehe ich das nicht an. Kreativität finde ich viel wichtiger, denn die lässt sich nicht so leicht antrainieren.
Zum einen spricht natürlich nichts dagegen, diesen "Geist des Autoren", als weiteren Punkt in eine Handlung einzubauen, ebendsowenig, wie mich was daran hindert, einen Schokoladenpudding mit Basilikum zu bestreuen.
Das Problem hier ist allerdings - wo du schon von Handwerk sprichst - das Fehlen von eben diesem bei der Mehrzahl der Hobby-Schreiber. Handwerk ist natürlich nicht alles, das stimmt. Aber jemand der absolut keinen Schimmer davon hat, was es mit einer Prämisse, einem Plottwist, Spannungsbögen oder einer Charakterentwicklung auf sich hat - oder was sich hinter dem Begriff "Mary Sue" verbirgt, und warum man sie vermeidet - der sollte nicht versuchen, selber von Grund auf eine komplett eigenstände Handlung zu schreiben. Denn selbst ein übermaß an Kreativität kann nicht verhindern, dass ein Charakter, der sich nicht entwickelt flach bleibt und dass eine Story ohne Spannungsbogen als langweilig empfunden wird.
Um wieder die Analogie mit dem Kochen aufzugreifen: Ich kann nicht selber Brötchen backen, wenn ich nicht weiß, wie der Teig gemacht wird. Dann brauche ich entweder ein Rezept, oder fertigen Teig aus dem Supermarkt.
Würde ich trotz mangelnder Grundlagen dennoch versuchen, selber eine Story zu schreiben, käme dabei so was wie die 24.543 Inkarnation des auserwählten Teenagers bei rum, der das Heilige Dragon-Schwert of Doom aus irgend einem Stein ziehen und in der Folge dann 20 magische Artefakte sammeln muss um die Tür zur Hölle zu öffnen. Und sowas ergibt einfach keine tolle Story. Das ist tatsächlich gar keine Story sondern eine Aneinanderreihung von Dungeons, bei der der komplette mittlerer Teil des Handlungsbogens so generisch und austauschbar ist, dass man ihn genau so gut weglassen könnte.
Würde man sich als Neuling auf dem Gebiet aber stattdessen einfach HdR schnappen und den Frodo-Arc auf seinen Protagonisten übertragen, hätte man bereits alles drin, Prämisse, Plottwist, Spannungsbogen und Charakterentwicklung. Das ist dann ein Konstrukt, auf dem man aufbauen kann.
WENN schriftstellerisches Handwerk bei einem Autoren vorhanden ist, dann ist ein detailgetreues kopieren sicherlich nicht notwendig (auch wenn trotzdem jede entstandene Storyline nur eine vermischung persönlicher Erfahrungen ist!). Aber auf wie viel % der deutschen Maker-Community mag das zutreffen?
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Das mag eine ganz nette Übung im kreativen Schreiben sein, aber Zusammenhänge erschließen sich in erster Linie über Intention. Die Kreativität kommt bei der Motivfindung ins Spiel. Ich bin mir sicher erst letztes Jahr mein Tanzbär-Beispiel dazu gebracht zu haben.
Um eine Motivfindung zu betreiben, müsste der Autor zuerst einmal wissen, was eigentlich eine Prämisse ist und warum man sie benutzt. Und das setzt wieder Grundkentnisse im Schreiben von Prosa voraus. Ich rede hier ganz klar NICHT davon, dass jemand Zeit seines Lebens als Schriftsteller gearbeitet hat. Aber jemand, der 5ten-Klasse mal eine 1 in einem Aufsatz hatte, kann deshalb noch lange keine tollen Handlungen schreiben. Man sollte im Deutschunterricht zumindest mal eine Einheit Trivialliteratur gemacht und das Wissen daraus auch behalten haben.
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Luthandorius2
Gut, Story sollte schon eine eigene Note haben. Dass man bestimmte Elemente zusammenklauen und gekonnt mit einer eigenen Note verbinden kann, glaube ich schon - das ist halt wie gesagt auch eine Kunst. Deshalb kann meiner Meinung nach ka auch nicht jeder "gekonnt zusammenklaufen" weil es ja auch schlecht gemacht sein kann.
Das auch ein Story-Klau in die Hose gehen kann, steht außer Frage - insbesondere natürlich dann, wenn man bei schlechten Storys klaut und sich z.B. bei "The legend of Zelda" bedient...oder wenn man halt ein hoffnungsloser Fall ist.
Die Grundstruktur einer bereits bestehenden Geschichte zu nehmen, und einen neuen Kontext darum herum zu enterwerfen, minimiert aber erheblich die Gefahr, dass man wesentliche Elemente einer prosaischen Erzählung, z.B. den Spannungsbogen, einfach vergisst.
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Viel interessanter sind aber andere Sachen, die jetzt erst mal die Story gar nicht so direkt betreffen - mehr die Spielwelt und das Setting. Hier lese ich im Forum oft Beschwerden über Orks und Elfen und Zwerge und dergleichen - weil das ja nix neues ist und einfallslos wäre. Aber ich persönlich bevorzuge sowas ja. Ist mir lieber als misslungene Eigenkreationen(die leider viele wünschen).
Dieser Punkt wurde unter Klischees mehrfach ausfürlich diskutiert. Klischees - dazu gehören auch Elfen und Orks - sind gut, so lange sie einen bewussten zweck erfüllen. Wenn man ein Volk wilder, Brutaler Barbaren für seine Handlung braucht, kann man sie auch gleich Orks nennen, statt die Bezeichnung "Urgals" zu wählen, obwohl eh jeder 5 jährige sehen kann, wo da der Frosch seine Glocken hat.
Problematisch wird die Sache halt, wenn man das übliche Quartet; Menschen, Elfen, Zwerge, Orks; in einem Spiel zusammen bringt, ohne das die einzelnen Völker eine für die Handlung wichtige Bedeutung haben und einfach nur die Welt füllen sollen. In dem Fall sehen Selbstkreierte Völker tatsächlich meistens besser aus. Was allerdings auch beliebt ist, ist das Spiel mit durchbrochenen Klischees, in dem man Orks z.B. zu einer modernen Hochkultur macht.
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TwoFace
caesa_andy: Kreativität fängt dort an, wo eigenes Denken irgendwas Neues schafft.
Ich lass mich mal auf dein Gedankenspiel ein: Angenommen ich nehme zB Elemente aus Total Recall (für die Story), Walker Texas Ranger (für den Protagonisten) und Transformers 3 (für den Spielverlauf) dann kommt, wenn ich die drei Dinge miteinander kombiniere / zusammenwürfel, sicherlich irgendein totally-badass-auf-die-Fresse Action-Schinken FSK 16 mit geiler Handlung bei raus, sobald ich hingehe und das Zeug auch wirklich vertiefe, sprich: mich damit auseinandersetze. Was hab ich gemacht? 3 bestehende Ideen genommen, sie wild zusammengewürfelt und was eigenes daraus geschaffen. Ist das deiner Meinung nach nicht irgendwo kreativ?
Wenn du kreativität auf diese Art und weise definierst - ich tu das im übrigen auch, diese Sichtweise ist aber eher ungewöhnlich - dann ist es sinnlos, Kreativität als Grundvorraussetzung zu nennen, denn dann gibt es keine "unkreativen" Menschen. Jeder Mensch ist bis zu einem gewissen Grade kreativ, auch die, die behaupten, sie wären es nicht, denn Kreativität ist in unserem Alltags- und Sozialverhalten ein undenkbar wichtiger Faktor.
Ohne Kreativität könnten wir zum Beispiel nicht sprechen, oder schreiben. Beziehungsweise würde sich ein Text, der ohne jede Kreativität verfasst ist, wie eine Übersetung vom Google-Translator lesen. Wenn wir ein Bild an einer Wand aufhängen, weil wir denken, dass es dort gut aussieht, ist das kreativ. Kochen ist Kreativarbeit. Einfachste Reparaturen im Haushalt funktionieren nur, weil wir uns kreativ lösungen für Probleme ausdenken können. Die Idee, am Wochenende in die Disko zu gehen, ist kreativität. Ohne unsere Kreativität würde die Menschliche Gesellschaft - so wie sie ist - nicht existieren.
Kreativität bedeutet aber nicht, irgendwas vollkommen neues aus dem nichts zu erschaffen, sondern Erfahrungen in einen neuen Kontext zu setzen, und diese Fähigkeit hat jeder Mensch. Woran liegt es jetzt aber, dass es Menschen gibt, die scheinbar kreativer als andere sind?
Das, was wir beim Makern so gerne als "Kreativität" betrachten, ist nichts anderes als ein großer Schatz an Erfahrungen in einem Bestimmten Bereich, auf den man zurückgreifen kann. Der Prozess, der Abläuft, ist der selbe, wie beim Sprechen oder Kochen. Aber die Menge an potentiell nützlichen Erfahrungen, die jemand gesammelt hat, entscheidet über die Anzahl und Qualität der Ideen, die er daraus zu formen Imstande ist.
Du hast in einem deiner Beträge die Ortographie und Sprachbeherrschung in's Spiel gebracht. Die lässt sich hier auch einsetzen. Menschen, die viel lesen haben normalerweise einen besseren, eigenen Sprachgebrauch, als solche, die das nicht tun. Aber nicht deshalb, weil sie kreativer sind, sondern deshalb, weil ihr Wortschatz umfassender und ihr Repertoire an kreativen Satzkonstruktionen größer ist, als bei einem durchschnittlichen Menschen.
Wer sich als Maker durch große Kreativität hervortut, wird fast immer einen immensen Erfahrungsschatz in fiktionalen Medien aus dem Phantastik-Genre haben. Bücher, Filme, Spiele. Ich glaube nicht, dass es z.B. viele Maker gibt, die den Herrn der Ringe nicht kennen.
Eine Bekannte von mir bezeichnet sich immer als fürchterlich unkreativ. Und auf den ersten Blick stimmt das auch. Sie schreibt nicht, sie malt nicht ... aber sie verbringt jeden Tag ewig lang vor dem Spiegel damit, sich zu Stylen. Kleidung, Schminke, Frisur. Die Frau sieht jeden Tag tadellos aus ... und jeden Tag ein wenig anders. Und auch DAS ist Kreativität.
Der Punkt ist: Sie liest keine Romane, spielt keine Games und schaut kein Fernsehen. Deshalb tendiert ihr Erfahrungsschatz hinsichtlich fiktionaler Medien gegen Null. Aber was Styling und Lifestyle angeht, ist sie ungeheuer bewandert und kann auf ein gigantisches Repertoire an Erfahrungen zurückgreifen. Unterm Strich ist sie also genau so kreativ wie ich. Sie lebt ihre Kreativität nur in einem anderen Bereich aus.
Das ist dasselbe. Nonsense ist nicht pauschal Kreativer als meine Bekannte im Styling-Rausch. Seine Interessen - und damit Erfahrungen - begünstigen bei ihm lediglich einen anderen Ausdruck der vorhandenen Kreativität. In diesem Fall eben das erstellen von Fan-Fics, was den Schluss nahelegt, das sich seine persönlichen Interessen zu einem nicht unerheblichen Teil auf die Bereiche "fictionale Medien" und "My Little Pony" erstrecken.
Einige Leute sind gute Köche, andere können alles Reparieren, was sie in die Finger kriegen. Es gibt gute Holzarbeiter, Modellbauer und Tänzer. Und sogar Kindererziehung und die Organisation eines Haushaltes erfordern kreative Prozesse. Den "Kreativitäts-Gedanken" nur auf den Bereich des "Schaffens" von Kunst, oder etwas "Kunst-Ähnlichem" zu beschränken, tut all den Menschen Unrecht, die ihre Kreativität jeden Tag bei ganz alltäglichen DIngen ausleben.
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Und wie Owlys Post schon impliziert hat: Warum sollte jemand in der Lage sein verschiedene Elemente aus verschiedenen, bereits bestehenden Filmen / Büchern / Spielen sinnvoll zusammenzumixen und damit ein gutes Spiel zu machen, wenn er / sie hingegen aus eigenen Ideen nichts ähnliches herausholen kann?
Weil das komplette Entwerfen einer eigenen Handlung schriftstellerisches Handwerkszeug vorraussetzt. Wenn ich nicht weiß, was Spannungsbögen und Charakterentwicklungen sind, oder welche (handwerkliche-)Rolle dem Antagonist einer Geschichte zukommt, dann kann ich keine gute Geschichte schreiben. Da kann ich Erfahrung haben noch und nöcher, eine Handlung ohne Spannungsbogen wird IMMER langweilig sein.