Habe jetzt Children Who Chase Lost Voices aka Hoshi o Ou Kodomo aka Die Reise nach Agartha gesehen.

War zwar nicht direkt schlecht, aber hat mir ehrlich gesagt nicht sonderlich gut gefallen. Einige wirre Storyelemente inklusive antiklimaktischem und irritierendem Ende, extrem gemächliches und bisweilen unausgeglichenes Pacing, und vor allem schwache Charakterisierungen der zentralen Charaktere. Ich brauche nicht unbedingt einen Exposition-Overkill, aber gar nicht per Dialoge zwischen den Figuren auf sooo viele Dinge einzugehen, als würde der Film einem befehlen "Nimm das so als gegeben hin!" ist dann doch irgendwie ein Unding. Damit meine ich nicht nur die surrealen Stellen in Agartha, sondern auch schlicht die Persönlichkeit, Motivation und Vergangenheit der Charaktere. Ich mein, ich lese auch gerne zwischen den Zeilen, wenn es da viel zu lesen geben würde, aber hier macht es sich der Autor viel zu einfach, indem er auf eine knackigere Erzählweise verzichtet und dem Zuschauer zu viel Raum lässt. Besonders störend fand ich in dem Zusammenhang eine Szene im ersten Drittel, in der der Film das gewissermaßen bewusst selbst sagt: Mädchen trifft Junge aus anderer Welt. Sinngemäß Junge zu Mädchen: "Du hast jetzt bestimmt viele Fragen, oder?" Mädchen: "Ja schon, aber es sind so viele, dass es eh zu lange dauern würde, die jetzt zu besprechen. Ich geh für heute lieber nach Hause und ins Bett." Danach sehen sich die beiden nie mehr wieder. WTF?! Das überstrapaziert meine Suspension of Disbelieve, nicht die seltsamen Kreaturen oder die Mythologie hinter der Geschichte. Entsprechend bleiben dermaßen viele Fragen offen, dass ein paar Aspekte geradezu random wirken. Da war doch dieser Kristall-Anhänger, den Asuna von ihrem verstorbenen Vater bekommen hat. Woher hatte er den? Wie ist sie an das supernatural Radio gekommen? Hatte ihr Vater was mit dieser Erzengel-Organisation zu tun oder war er schonmal in Agartha?
Für mich fällt der Film mit seinen Charakteren. Die Reise nach Agartha kann als offenkundige Hommage an Ghibli-Filme gelesen werden und muss sich ob der deutlichen Parallelen einen Vergleich gefallen lassen. Doch während die Ghibli-Werke traditionell starke, aktive, selbstbewusste und interessante weibliche Protagonisten haben, ist Asuna in dem vorliegenden Streifen so ziemlich das Gegenteil davon. Sie kommt naiv rüber und lässt sich mitschleifen, die Handlung vorantreiben tun andere. Doch diese anderen haben auch nicht viel zu bieten - sowohl aus Shun als auch aus Shin hätte man viel mehr machen müssen als zwei oder drei kurze Begegnungen. Dadurch erscheinen mir Asunas Beweggründe auch nicht richtig nachvollziehbar. Hätte es da so etwas wie eine beginnende Liebesgeschichte gegeben, irgendwas mit einem stärkeren persönlichen Investment, sähe das anders aus. Der einzige, der was taugt, ist Mr. Morisaki, aber selbst der hat nicht viel zu melden.

Die Story kommt hoffnungslos sentimental rüber und verliert dadurch völlig den Abenteuer-Spaßfaktor aus den Augen, der mit solchem Material locker einhergehen könnte (und das bei Ghibli btw. immerzu tat, trotz emotionalem Ballast). Das ist vor allem deshalb eine Schande, weil die Grundidee der Geschichte super faszinierend ist, praktisch unbegrenztes Potential eröffnet und dabei trotzdem tiefsinnig und bedeutungsvoll (und interpretierbar) bleiben kann. You know, diese ganze Schiene bezüglich Leben und Tod, das Loslassen und nach vorne blicken usw.
Der Film geht fast zwei Stunden, aber für den Umfang des eigentlichen Inhalts hätten auch maximal anderthalb gereicht. Mir plätscherte das viel zu sehr vor sich hin, und damit will ich nicht sagen, dass es mir unbedingt nach Actionszenen verlangt. Aber es sollten interessante Dinge passieren, die dann auch relevant bleiben und sich in den Ablauf der Handlung logisch einfügen. Stattdessen wirkte hier vieles wie eine random Ansammlung von Ideen, die nur lose verbunden wurden, als wäre die Geschichte entstanden während sie schon animierten. Massig Charaktere und Konzepte werden eingeführt und tauchen danach nie wieder auf, als wären sie vergessen worden und die Geschichte unfertig - als würden ganze Szenen fehlen. Anders ausgedrückt hat Shinkai (zumindest in dieser Arbeit) nicht das Prinzip von Chekhov's gun verstanden. Ich kann mir dagegen lebhaft eine Ghibli-Version von Children Who Chase Lost Voices vorstellen, und es wäre glorious!

Hab das leider in englischer Sprache gesehen und die Dub war wie so oft nur mäßig, was wahrscheinlich ebenfalls zu dem nicht allzu positiven Eindruck beigetragen hat.

Jetzt stellt sich mir die Frage... Sind alle Makoto Shinkai Filme so? Style over Substance, Teen-Angst und nur möchtegern gedankenversunkenes Brimborium ohne Kern und Konflikt als Triebfeder? Ich habe vor über zehn Jahrenen seinen Kurzfilm Voices of a Distant Star geschaut und meine, den damals recht gut und originell gefunden zu haben. Ich sage gar nichts gegen diese emotionale Schiene, die hat ihre ganz eigene Daseinsberechtigung, aber wenn jene Facette unbedingt den unangezweifelten Fokus des Plots genießen soll, dann doch bitte lieber eher im Rahmen von etwas realistischeren Settings, die dafür besser geeignet sind (was Shinkai offenbar ja auch bereits gemacht hat mit 5 Centimeters Per Second oder The Garden of Words). Wenns eine Fantasywelt in Form des mythologischen Reiches der Toten im Untergrund unserer eigenen gibt, dann erwarte ich mir davon durchaus mehr als das von Hoshi o Ou Kodomo Dargebotene. Gewünscht hätte ich mir für den Film besser ausgearbeitete Charaktere, mehr und bedeutungsvollere Dialoge, ein paar nicht so übermäßig forciert, knapp und konstruiert wirkende Erklärungen für erhöhte Nachvollziehbarkeit, mehr visueller Einfallsreichtum und einen vernünftigen Spannungsbogen.
Um daraus etwas Rundes zu machen, fehlte es imho auch total an Foreshadowing, wovon der Film massiv profitiert hätte. Beispiel: Wenn irgendwann vor der Ankunft in Agartha explizit gesagt worden wäre, dass es zwar theoretisch möglich sei, die Toten zu erwecken, aber das mit einem Preis zu zahlen ist, hätte es nicht so seltsam gewirkt, dass dieses Götterwesen plötzlich einen Körper verlangt, um Morisakis Frau zurückzubringen. Mir hätte es auch besser gefallen, wenn Morisaki ein richtiger, traditionellerer Bösewicht gewesen wäre. Ich mag den Aspekt, dass er aus menschlich verständlichen Gründen das Falsche zu tun gedenkt, und das hätte man ja zum Teil beibehalten können, aber wie viel spannender, dramatischer und perfider wäre es gewesen, wenn der Typ gewusst hätte, dass er für seine Frau einen Körper braucht und Asuna deshalb absichtlich mitgeschleppt hätte? Zwischenmenschlich wäre das eine weit interessantere Basis gewesen, vor allem wenn sich die beiden im Laufe der Reise nach ein paar überstandenen Monsterangriffen dann doch schätzen lernen und er es am Ende einfach nicht übers Herz bringen kann und/oder den Versuch mit seinem Leben bezahlt.

Will nicht zu negativ klingen, doch mich wundert es schon ein wenig, wie universell gut "Children Who Chase Lost Voices" beim Publikum ankam. Die Reviews sind beinahe einhellig positiv und nur in Ausnahmefällen erwähnt jemand die Kritikpunkte, die für mich persönlich überaus deutlich als Defizite herausstachen. Wie gesagt, hab schon weitaus schlechteres gesehen. Diesen Film konnte man sich mal geben, aber fand ihn dennoch instantly forgettable und unterm Strich letztenendes nur durchschnittlich.