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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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»Ist die Angelegenheit, die Dich gestern Nachmittag beschäftigt hielt, geregelt?«, fragte Olen, als er an der Seite der Kaiserlichen im güldenen Schein der ersten Sonnenstrahlen auf den Übungsplatz trat. Die klare Nacht hatte Luft und Land nochmals stärker auskühlen lassen, weiße Eiskristalle zierten Stein und Erde, fixierten die Steppen in endlosem Funkeln.
»Noch nicht. Aber bald«, entgegnete Vesa und betrat als erste den unverändert vor ihnen liegenden Steg. Die Kapuze lag zum Schutze der Ohren über ihrem Haupt, die Haare hatte sie in einen Knoten an den Hinterkopf hochgesteckt. Nach all den Tagen der Wärme fühlte es sich beinahe wie Solstheim an, es fehlte lediglich der Schnee. Bei dem Gedanken an die Insel schüttelte es sie, aber wenigstens lenkte er sie von den näherliegenden Dingen ab, die ihr Schlaf und Ruhe raubten. Aela hatte es ihr nahegelegt, die Ausbildung Olens fortzuführen, und angeboten über den Gefangenen zu wachen. Zweifelsohne eine gute Idee, die frische Luft und Bewegung würden ihr guttun.
»Wiederhole noch einmal, was wir gestern Vormittag besprochen haben«, wies Vesana den Nord an als sie ihre Übungswaffe zog.
»Schläge sind grundsätzlich berechenbar, sobald sie einmal begonnen wurden. Ich muss mir also etwas einfallen lassen, um meinen Gegner zu überraschen und zu überwältigen«, resümierte er und erntete ein müdes Nicken. »Es gibt verschiedene Attribute, die mir im Kampf helfen und zwischen denen ich den Schwerpunkt wechseln sollte. Stärke, Schnelligkeit und … Geschicklichkeit. Sofern diese den Kampf nicht entscheiden können, muss ich auf bessere Ausdauer vertrauen.«
»Gut, gut. Und weiter.«
»Sich in seinem Umfeld besser auszukennen als die Gegner ist unbezahlbar.« Immerhin sein Gedächtnis schien allmählich in Fahrt zu kommen. Natürlich stellte sich die Frage, ob er es auch verinnerlicht hatte, aber das wollte sie früh genug auf die Probe stellen. Zunächst standen noch ein paar letzte technische Lektionen an, erst danach würden sie in die Wiederholungen gehen. »Jeder muss seinen eigenen Stil und die richtige Balance finden.«
»Im übertragenen und wörtlichen Sinne, ja«, bestätigte Vesa und hob die Spitze ihrer Waffe. »Am wörtlichen Sinne arbeiten wir heute.« Es folgte ein schneller Schlagabtausch, der mit ihm auf den gefrorenen Brettern endete. »Wir sind gestern nicht mehr dazu gekommen, aber ich hoffe, Du hast die Zeit genutzt darüber nachzudenken.«
»Über was?« Der Nord rappelte sich auf und klopfte sich lose Eisflocken von der Jacke.
»Die Frage nach dem Warum von vorgestern.«
»Ah, richtig.« Abermals tauschten sie Hiebe aus und erneut brachte sie Olen zu Fall.
»Also?«
»Du hast den Schwerpunkt sehr zentral unter Deinem Körper, überwiegend auf einem Bein.«
»Soweit richtig. Aber das ist nur eine Beobachtung, welche Folgen hat das?«
»Dein anderes Bein ist frei?« Der Blondschopf zog die Augenbrauen hoch und schaute sie aus großen Augen an. Gleichzeitig hob er aber auch sein Schwert und signalisierte Bereitschaft zum Kampf.
»Richtig. Und dadurch habe ich ein zusätzliches Gegengewicht, sollte sich mein Schwerpunkt oberhalb der Hüfte verschieben. Es hat außerdem einen nützlichen Nebeneffekt, den Du ebenfalls beobachten durftest«, erwiderte Vesa und führte einen hohen Schlag gegen seinen Kopf. Er blockte, trieb ihre Klinge nach unten und versuchte es mit einem Fausthieb gegen ihre Schulter. Sie wich aus, bekam ihre Waffe frei und zog sie ihm quer über den Bauch.
»Dass ich Dir das Bein nicht wegziehen konnte«, bemerkte er und schien von seiner Erkenntnis erstaunt zu sein.
»So ist es. Mein komplettes Gewicht lastet auf meinem Fuß, das musst Du erst einmal mit einem einfachen Tritt aushebeln«, bestätigte sie. »Nicht so leicht.« Er nickte. »Allerdings«, mahnte sie während sie ihre Ausgangsposition einnahm, »gilt das nur solange, wie ich stationär bin. Kämpfe erlauben es selten, an einer festen Position zu verharren, wie Du sicherlich bemerkt hast.«
»Stimmt. Was nützt es mir dann?«
»Vorerst, dass Du Standfestigkeit gewinnst. Wenn Du Dein Gleichgewicht gefunden hast, können wir darauf aufbauen und komplexer werden. Wir werden nicht immer auf Brettern fechten.«
»In Ordnung. Ein Bein?« Olen schaute zu seinen Füßen hinab und verlagerte deutlich sichtbar das Gewicht auf sein rechtes Bein. Er schwankte und breitete die Arme aus. Er wirkte wie ein Pendel, das immer in die entgegengesetzte Richtung schwang, sobald er sich zu sehr in eine Richtung neigte. Sehr wackelig und instabil, aber er würde schon noch den Dreh herausbekommen. Sicherheitshalber machte sie es noch einmal vor, tippte die Zehenspitzen des linken Fußes nahe der Ferse auf das Brett, legte die Arme an und hielt ihr Schwert somit auch nahe der Hüfte. Der Nord versuchte, ihrem Beispiel zu folgen.
»Gut, bleib so.« Langsam nähere sie sich ihm und blieb letztlich vor ihm stehen. Ohne Vorbemerkung hieb sie ihm die Faust gegen die rechte Schulter. Sofort und reflexartig spreizte er die Arme und das unbelastete Bein ab. »Sehr gut.« Sie wiederholte es mit der anderen Seite und provozierte ein ähnliches Ergebnis.
»Ich mache kaum etwas, das kommt … so selbstverständlich«, versuchte sich Olen zu erklären. Die Jägerin wusste nur zu genau wovon er sprach.
»Instinkte. Dein Körper hat ein natürliches Bedürfnis im Gleichgewicht zu bleiben. Das Gefühl des schmalen, wackeligen Bretts hat den Hauch von Gefahr, nicht? Du spürst das leichte Glucksen des Herzens, jedes Mal, dass Du stürzt, als fürchte Dein Geist in einen tiefen Abgrund zu fallen«, erläuterte sie.
»Ja, ja! Genau so!«, bekräftigte ihr Auszubildender mit vehementem Kopfnicken.
»Bekomme ein Gespür für die Muskeln, die Dir dabei helfen Dein Gleichgewicht zu behalten. Von Zehen über die Knöchel bis hinauf in den Nacken oder Finger. Wenn Du das geschafft hast, können wir die Bretter verheizen.« Ansatzlos schlug Vesana ihm den Handballen auf das Brustbein und drückte so seinen kompletten Oberkörper nach hinten. Zwar versuchte er das hintere Bein als Stütze zu benutzen, doch kam der Schlag zu schnell und unvorbereitet für ihn. Taumelnd trat er fehl und fiel abermals zu Boden. »Doch bis dahin mag es noch eine Weile dauern«, goss sie Öl in das Feuer seines zweifelsfrei verletzten Stolzes.
Schnaufend stand er auf, putzte sich und hob bestimmt das Schwert. »Werden wir sehen«, verkündete er unverhofft kampfeslustig. Die Kaiserliche runzelte überrascht die Stirn, bereitete sich aber im selben Moment auf einen neuen Schlagabtausch vor. Der folgte prompt. Olen setzte vor, hieb von oben und traf ihre Klinge. Mit derselben Bewegung drehte sich Vesa ein und rammte dem Nord die Schulter vor die Brust dass er nach hinten stolperte. Allerdings fiel er nicht, was sie dünn lächelnd zur Kenntnis nahm. Im Anschluss folgte ihr Konterangriff. Ein waagerechter Schnitt auf Hüfthöhe, den er so ablenkte, dass die Spitze ihres Schwertes an ihm vorbeisauste ohne ihn zu treffen. Bevor er sich von dem Schlag gegen seine Klinge erholte, zog die Jägerin ihre Waffe bereits zurück und legte sie ihm an den Hals. Er verbesserte sich durchaus schnell, was die grobe Motorik anbelangte. Aber die Feinheiten und die Geschwindigkeit fehlten ihm noch. Das würde nur langes Üben ändern.
»Wie lange hast Du Dir vorgestellt, soll Deine Inanspruchnahme der Dienste der Gefährten – meiner Dienste – dauern?«, fragte sie deshalb und behielt gleichzeitig auch den Auftrag Kodlaks im Hinterkopf.
»Solange wie es eben dauert«, gab er ohne Zögern zurück.
Vesa stutzte kurz, während sie ihm den Rücken kehrte und zum Ende des Stegs lief. »Die Ausbildung zu einem guten Schwertkämpfer kann Monate oder auch Jahre dauern, bis dahin könnten die Räuber verschwunden oder Dein Dorf ruiniert sein«, gab sie zu bedenken und wandte sich ihm zu.
»Nicht im Winter«, erklärte er. »Da lassen uns die Banden, oder besser die größte Bande, in Ruhe. Haben wohl keine Lust sich die Zehen abzufrieren. Deswegen bin ich hier.«
»Verstehe. Woher nimmst Du das Geld für die Ausbildung zu bezahlen?«
Betreten wirkend senkte Olen den Blick und die Lider, harrte einige Herzschläge lang so aus, und richtete seine Augen anschließend mit neuem, in ihnen funkelndem Feuer auf die Kaiserliche. »Meine Mutter«, begann er, »hat mir einigen wertvollen Familienschmuck gegeben, den wir versteckt hatten. Den habe ich verkauft. Ich bleibe also solange wie das Geld reicht, spätestens bis zum Frühjahr.«
»Dann sehen wir zu, dass die Zeit gut genutzt wird«, bekräftigte sie und ging fließend in den Angriff über. Gerade rechtzeitig hob Olen seine Waffe, um ihren ersten Hieb abzulenken. Doch folgte ein schneller, tief geführter Schnitt über die Oberschenkel und ein Stich gegen den Bauch, die er zwar versuchte abzuwehren, aber stets zu langsam dafür war. »Und Du gewöhnst Dich besser daran, immer zu verlieren, Frust und Wut produzieren selten Kampfgeschick«, mahnte sie.
Und sie produzierten selten auch sonst irgendwelche ausgegorenen Pläne, erinnerte sie sich selbst, schüttelte gleich darauf allerdings den Kopf. Sie würde sich nicht schlecht fühlen, diesen Triumpf wollte sie dem Abschaum im Hinterzimmer nicht gönnen. Für einen kurzen Moment schloss die Kaiserliche die Augen und atmete tief durch. Das nervöse Zittern in den Fingern versuchte sie durch festeren Griff um ihre Waffe und das Ballen zur Faust zu unterdrücken. Unfassbar, wie schnell sie sich selbst von der Lehre an Olen in die Fluten ihres eigenen Gefühlschaos zu stürzen vermochte.
Von ihrer eigenen Wankelmütigkeit gereizt, wandte sie sich von ihrem Auszubildenden ab. »Nochmal von vorn«, wies sie ihn an und das Spiel begann erneut. »Was sind das für Räuber, die Dein Dorf heimsuchen?«, fragte sie in einer Pause.
»Mehrere Gruppen, zwei kleine und eine größere, wobei die beiden kleinen für die große arbeiten. Sie wechseln sich immer ab und soweit wir es überhören konnten, toleriert die große Gruppe die kleinen, solange diese ihre Abgaben zahlen«, erklärte Olen und verlor abermals in dem folgenden Duell.
»Irgendwelche Besonderheiten der Gruppen?«
»Es sind Menschen. Überwiegend Nord, ein paar Rothwardonen in der einen, ansonsten noch ein paar vom Kaiservolk. Bretonen oder Elfen habe ich keine bei ihnen gesehen, auch keine Tiermenschen.«
»Und sie stehlen nur eure Habe? Irgendwann müssen sie doch mal alles geholt haben.«
»Sie stehlen immer nur einen Teil, überwiegend Braugut und Vorräte. Wir sind sowas wie deren Vorratskammer, wenn sie Streifzüge weiter nach Norden planen. Hab gehört, dass sie einige der gängigen Handelsrouten durch die Berge abschirmen. Immer genug, um wehzutun, aber nie so viel, um die Hand des Fürsten in Falkenring zu Taten zu zwingen.« Olen klang zunehmend verbitterter, Wut mische sich in seine anfänglich ausdruckslosen Worte. Es spiegelte sich auch in seinen Schlägen, die er deutlich kraftvoller führte.
»Das erklärt auch, warum sie euch im Winter in Frieden lassen. Es gibt kaum Lebensmittel zu holen und die Handelsrouten sind vom Schnee blockiert«, schlussfolgerte Vesa und sandte den Nord mit einem Tritt gegen sein Knie zu Boden. Stöhnend nickte er ihre Bemerkung ab. »Wie viele Mitglieder haben die Banden?«
»Keine Ahnung«, presste er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor, beugte und streckte das Bein, um sicherzugehen, dass nichts verletzt war. »Die kleineren höchstens ein Dutzend, jeweils, wenn überhaupt. Die große … schwer zu sagen. Vielleicht doppelt so viele.«
»Ziemlich große Gruppen. Sicher, dass es wirklich so viele sind?« Die beiden Übenden wandten simultan die Köpfe zur Seite. Keiner von ihnen hatte Vilkas bemerkt, als er in seinen dicken Mantel aus dunklem Leder und Fell die Stufen hinabgestiegen und am Rand des Übungsplatzes stehen geblieben war.
»Wie gesagt, ich weiß es nicht sicher. Mehr als vier, fünf gleichzeitig habe ich nie gesehen, aber es sind mehr verschiedene Gesichter«, schüttelte Olen die Überraschung ab.
Der dunkelhaarige Nord nickte, als hätte er noch wesentlich mehr von ihrem Gespräch mitgehört als nur die letzten Sätze, und wandte sich im Anschluss der Kaiserlichen zu. »Vesa, der Alte und ich haben beschlossen, dass ich in Deiner Abwesenheit die Ausbildung übernehme. Aela hat nach Dir verlangt. Du weißt, warum.« Nahezu demütig neigte er das Haupt vor ihr, als erfülle ihn mehr als nur ein bisschen Reue für die Geschehnisse des letzten Tages.
Kommentarlos und mit mechanischen Bewegungen reichte die Jägerin dem befreundeten Zirkelmitglied Übungsschwert und Scheide. Noch ehe sich Olen verabschieden konnte, hastete sie die Stufen zur Terrasse hinauf und hörte nichts weiter, als das Rauschen ihres Blutes in den Ohren. Kälte und Frost weggeblasen, stampfte die Kaiserliche auf den Eingang Jorrvaskrs zu und legte mit viel Schwung die Hand auf die Klinge. Donnernd nach unten gedrückt, stieß sie die Pforte auf. »Vesa!«, rief ihr Vilkas nach und sie fror in ihren Bewegungen ein. »Viel Glück.« Ohne zu antworten trat sie ein, schubste einen der Welpen unsanft zur Seite, als er ihr nahe der Feuerstelle im Weg stand, und gelangte schließlich an der Vorratskammer an. Aela wartete auf sie, schwieg jedoch.
Gemeinsam traten sie ein und verriegelten die Tür. Vesana streifte noch ihre Jacke und Handschuhe ab, dann trat sie hinter den Raumteiler und blickte auf den Haufen Elend vor sich. Die Haut an den Wundrändern im Gesicht und wo sie sie durch die Fetzen seiner fast schwarz verfärbten Kleidung auf der Schulter sah, hatte sich in dunklem Grau eingetrübt. Die Blutung schien gestillt und es wirkte, als wären die tieferen Lagen der Verletzungen ansatzweise verheilt. Schweiß stand dem Gefangenen auf der Stirn, er wimmerte im Fieberwahn und die sonstigen, freien Hautstellen erschienen totenbleich. Deutliche Zeichen dafür, dass der Keim des Wolfsblutes in ihm aufging und ihn testete.
»Er hat gesprochen?«, wollte die Jägerin schließlich wissen, als sie genug gesehen hatte.
»Nicht direkt. Er verlangte nach Dir.«
»So? Hier bin ich.« Ungeduldig schnaufend hob Vesa ihren Fuß und drückte die Sohle auf die Krallenverletzung an seinem Bein. Jaulend hob er das Haupt und riss die Augen auf. Um seine hellbraunen Pupillen hatte sich ein dünner, gelber Rand gebildet. Sein Mund stand leicht geöffnet, die Schneide- und Eckzähne liefen spitzer zu als es üblich gewesen wäre, und die Lippen bebten, durchzogen von dunklen Äderchen.
»Lass mich …«, setzte er an, brach jedoch ab und schluckte schwer. »Lass mich nicht zum«, er räusperte sich, als seine Stimme in rauem Brummen zu verklingen drohte. »Nicht zum Wolf werden«, bat er und Tränen rannen ihm trotz des Schweißes deutlich zu erkennen aus den Augen.
»Erst redest Du, dann treiben wir Dir das Wolfsblut aus«, erwiderte Vesana und die sich langsam aufdrängende Reue verklang in den weiten Hallen der Hoffnungen und Erwartungen. Der Wolfsjäger nickte nur und ließ das Kinn schließlich schlaff, kraftlos auf die Brust sacken.
»Ich habe … den Mann gesehen«, erzählte der Gefangene. »Vor … Kurzem.«
Der Kaiserlichen setzte das Herz schmerzhaft lange aus und sie spürte, wie sich ihr die Augen weiteten. Schnell ging sie vor dem Abschaum der Silbernen Hand auf die Knie und packte seinen Kiefer, hob sein Antlitz, dass er sie ansehen musste. »Wann und wo genau?«
Er schloss die Lider und versuchte, sacht das Haupt zu schütteln. »Unwichtig … Er soll als … Sklave nach Cyrodiil … überführt werden. Kräftig der Bursche … selbst im ausgehungerten … Zustand«, antwortete der Kerl mit schwerer Zunge.
»Also lebt er?«, fuhr Vesa ihn an und verfestigte ihren Griff um sein Kinn. Als ihre Fingerkuppen langsam in die tiefen Schnitte auf seiner Wange eindrangen, sog er hörbar scharf die Luft ein.
»Ja«, presste er hervor, rang sich aber gleichzeitig ein blutiges Grinsen ab. Trotz all des Schmerzes spiegelte sich noch immer blanke Verachtung in seinen verzerrten Augen. »Soweit wie … Sklaven eben leben.« Schlagartig ließ die Jägerin von ihm ab und fiel nach hinten auf das Gesäß. Dicke Tränen rannen ihr aus den Augenwinkeln hinab über die Wangen, Lippen bebend und die Finger plötzlich kraftlos. Leichtigkeit drehte ihre Eingeweide um und mehr als simples Glucksen brachte sie nicht hervor. Schluchzend hob sie die Rechte und presste sie vor den Mund während ihr der Rotz aus der Nase lief. Nur mit Mühe verhinderte sie, dass sie zur Seite fiel und sie das heftig aufflammende Stechen in den Schläfen übermannte.
»Wann und über welche Route wird er überführt?«, sprang Aela ins Verhör ein und klang, als befände sie sich auf der anderen Seite eines Wasserfalls. Undeutlich und vom Rauschen in den Ohren verzerrt.
»Über den Pass … südlich von Helgen«, antwortete das Mitglied der Hand. »Zusammen mit … einigen anderen …«, er legte eine deutlich längere Pause ein, als musste er seinen Mut sammeln, »und wichtigen … Dokumenten und Gütern.«
»Wann?«, wiederholte die Nord.
»Die Karren sollten … diese Woche aufbrechen«, antwortete er schließlich und brach glucksend ab. Leises Knurren rollte über Vesas Ohren hinweg und wandelte sich gleich darauf in flehendes Jammern und Schluchzen. »Bitte … das Wolfsblut …«
Aela hockte sich neben Vesana, die nur langsam und träge aus ihrer Starre brach. Erleichterung und Freude, ebenso wie Schuld, die Hoffnung beinahe aufgegeben zu haben, und die Wut darüber, dass ihr ihre Freunde im Zirkel diese unfassbar wertvollen Informationen hatten verwehren wollen. All das und der überwältigende Schock der Nachricht raubten ihr die Fähigkeit zu sprechen. »Vesa«, eröffnete die rothaarige Nord. »Das gibt uns bestenfalls vier, vielleicht fünf Tage, um nach Helgen zu gelangen und ihnen dort den Weg abzuschneiden.« Nur langsam drang diese Bemerkung in ihren Geist ein und als tauchte sie aus tiefem Wasser auf, eröffnete sich ihr die wichtige Erkenntnis darin: Sie mussten aufbrechen – und zwar sofort.
Die benebelnden Gefühle plötzlich wie weggeblasen, sprang die Kaiserliche auf die Füße, getrieben von einem rasenden Herz und dem Jucken in den Fingern, Darius nach all der Verzweiflung doch wieder in die Arme schließen zu können. »Pack Deine Sachen«, rief sie Aela über die Schulter zu, als sie sich ihre Kleidung schnappte und aus der Vorratskammer stürmte. Ihr fehlte der Blick für die Leute in der Haupthalle, die sie am Rande nur als glotzende Kühe in abgestandener Sommerluft wahrnahm, aus dem Weg schob und eilig hinter sich ließ. Zwei Stufen auf einmal nehmend, hastete Vesana die Treppe in den Keller hinab, ließ die Tür am Fuße der Stiege offen stehen und preschte in ihr Zimmer.
Routine übernahm von dort an. Sie wusste, was in ihren Tornister gehörte, was sie packen musste. Medizinische Versorgungsgüter, Jagdmesser, Landkarte, Seil. Zum Schluss die Herzsteinsplitter und ihr Totem, von ihrer Schlafunterlage abgedeckt. Es musste alles mit und schmiegte sich perfekt im Innern des Felleisens aneinander. Die Zeltplane schnürte sie zum Abschluss oben auf das Gepäck, Kochgeschirr baumelte außen an den Seiten, und lehnte es neben die Tür an die Wand. Auch die Handgriffe, mit denen sie zurück in ihre Jacke schlüpfte und anschließend ihre bewegliche Lederrüstung überzog, saßen zielsicher, obgleich sie mit den Gedanken längst nicht mehr in ihrer Kammer verweilte. Das Gesicht ihres Geliebten, freundlich lächelnd und sie willkommen heißend, prangte vor ihrem inneren Auge, wechselte sich mit dem Bild einer Karte des südlichen Fürstentums Weißlauf ab und zeichnete die wohl schnellste Route nach.
Zu guter Letzt schnappte sich die Kaiserliche ihre Stahldolche, band sie an den Gürtel, nahm ihren Jagdbogen und zwei Sehnen. Letztere verstaute sie in einem kleinen Beutel an der Hüfte, ersteren behielt sie in der Linken, als sie sich ihren Tornister über die Schulter warf und zur Waffenkammer stiefelte. Zwei volle Köcher mit Pfeilen mussten genügen. In einen davon schob sie den entspannten Bogen, bevor sie sie an ihrem Reisegepäck festzurrte. Gerade griff sie sich eines der einfachen Stahlschwerter, die Eorlund für die Gemeinschaft geschmiedet hatte, da trat jemand hinter ihr in die eher dunkle, metallisch duftende Grotte ein. »Hier, Dein Proviant.« Es war Skjor, der die Jägerin mit seinen Worten aus ihrer Trance schrecken und herumfahren ließ. In voller Montur stand er vor ihr. Dicke Stahlplatten zierten seine Brust und Schultern, das aufgerissene Maul einer Wolfsverzierung prangte am Halsansatz. Schwarzes Fell trat an den Öffnungen der schweren Rüstung hervor und hüllte als Rock unter einigen hängenden, beweglichen Platten die Beine bis oberhalb der Knie ein. Der dicke, wetterfeste Umhang verdeckte einen Teil der Panzerung, kaschierte jedoch nicht ihre Wucht. Über einer Schulter sah Vesana den Riemen seines Felleisens, den er mit einer Hand festhielt. Mit der anderen reichte ihr der einäugige Nord zwei Beutel.
Wortlos nickend nahm sie sie entgegen und band die Scheide ihres ausgewählten Schwertes an ihr Gepäck, ebenso wie die überreichten Lebensmittel. Es stand außer Frage, dass Skjor Aela und sie begleiten würde und diesen Entschluss wohl schon vor den Neuigkeiten der zweiten Befragung getroffen haben musste. Jetzt wartete er lediglich auf sie und verließ letztlich mit ihr die Waffenkammer. Im Gehen nahm die Kaiserliche noch einen Speer auf, dann schlug sie die Tür hinter sich ins Schloss. »Wo ist Aela?«, fragte Vesa im Gehen und justierte ihren Tornister, der schwer an ihren Schultern zog und mit dem Gewicht all ihrer Ausrüstung schnell den Schweiß aus den Poren trieb.
»Wartet oben«, antwortete der Einäugige als sie die Treppe hinaufstiegen.
»Und wenn schon, es ist einer der unseren! Wir lassen ihn gewiss nicht im Stich, wo sich uns so eine Gelegenheit bietet!«, brandete die temperamentvolle Stimme der rothaarigen Nord sogleich über Vesa hinweg, als sie am oberen Ende der Stiege angelangte.
»Ich mahne nur zur Vorsicht, handelt nicht unüberlegt«, entgegnete Kodlak in rauer, aber sehr ernster Stimmlage. Die beiden Nord standen nicht weit entfernt und mit wenigen Schritten waren Skjor und sie bei ihnen. Während Aela keinen Hehl aus ihrem Ärger machte, bemühte sich der Herold darum seine Tonlage zu dämpfen.
»Was ist los?«, wollte Vesa wissen, obwohl alles in ihr danach lechzte das Gildenhaus zu verlassen und aufzubrechen. Das Herz krallte sich von unten an ihren Hals und den Atem hielt sie nur mühevoll in langsamen Zügen.
Die silbergrauen Augen des Alten wanderten zu ihr, feine Fältchen legten sich auf seine matte Haut. »Vesa … Bitte, lasst euren Hass nicht Anlass zu unüberlegten Taten werden. Wir hatten lange keine Zwischenfälle mit der Hand. Gebt ihr keinen Grund, daran etwas zu ändern«, bat er. Die Jägerin schaute ihn einen Moment lang an, nickte dann jedoch, auch wenn sie ihre Zweifel hegte, ob der Gefangene, geschweige denn Darius Befreiung nicht bereits Anlass genug boten. Ihr war es das allemal wert, das musste wohl auch der Herold wissen, wenngleich er sich lieber anders überzeugen lassen wollte. Letztendlich trat er zur Seite und ließ sie passieren.
Aela war ebenfalls voll ausgerüstet. Schwert am Gepäck, ebenso wie Köcher und Bogen, Dolche am Gürtel und eisenbeschlagene Lederrüstung über der Jacke. Skjor trug ein deutlich größeres Schwert, das wohl gut auch mit zwei Händen geführt werden konnte. Einige der Welpen und einfachen Mitglieder warfen ihnen neugierige, aber auch ernste und besorgte Blicke zu, während die Drei schweißtriefend ob der stickigen Wärme zum Vordereingang Jorrvaskrs schritten.
Farkas fing sie dort ab. In voller Rüstung und mit dem langen Griff seiner Waffe über der Schulter prangend wirkte er nicht anders als sonst auch, lediglich die Situation verlieh ihm den Anschein er wollte sie begleiten. »Wir haben nur drei Pferde im Stall«, begann er zu sprechen, Mundwinkel nach unten gezogen. »Ich würde euch begleiten, aber dann wärt ihr langsamer«, fuhr er fort und verzog das zerfurchte Gesicht noch stärker in tiefem Bedauern. »Daher euch nur viel Glück. Bringt ihn heim.« Er klopfte jedem der drei Zirkelmitglieder auf die Schulter, als sie ihm im Vorbeigehen zunickten und die Halle verließen. Die kalte Luft wirkte dabei regelrecht erleichternd, auch wenn sie sofort auf der feuchten Haut zu stechen begann.
»Es ist bald Mittag, wir sollten uns beeilen, wenn wir heute noch vorankommen wollen«, beschloss Skjor und legte einen lockeren Trab vor, als sie die Stufen zum Güldengrünbaum hinter sich ließen. Aela und Vesana folgten wortlos seinem Beispiel.
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Geändert von Bahaar (14.03.2015 um 06:01 Uhr)
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