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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Tilma trug gerade in jeder Hand je einen überschwappenden Eimer Wasser die Stufen zur Halle der Gefährten hinauf und Vesana schloss zügig zu ihr auf. »Brauchst Du Hilfe?«, wollte die Kaiserliche wissen und verlangsamte ihre Schrittfrequenz neben der Haushilfe.
Erschrocken hob die Nord den Kopf, blieb stehen und schüttelte erst einige Herzschläge später den Schrecken aus den Augen. Sie begann zu lächeln. »Danke, Liebes, aber lass mich alte Frau nur machen«, entgegnete sie und setzte eine geheimnisvolle Miene mit gespitzten Lippen auf. »Da fühl‘ ich mich gleich jünger, wenn ich die noch heben kann«, fügte sie zwinkernd und leiser hinzu. Vesa versetzte es ins Schmunzeln. Tilma mochte keine Frohnatur sein, aber sie wusste die kleinen Dinge und Feinheiten des Lebens zu schätzen, eine Gabe, die gelegentlich auf andere überschwappte und so genoss die Kaiserliche oft genug die wenigen Worte der alten Dame.
»Wie Du willst«, räumte sie somit ein. »Aber einen Schwall Wasser könnte ich gut vertragen«, offenbarte sie.
»Da sagst Du ‘was. Hier.« Tilma stellte einen der Eimer ab und hob den anderen mit beiden Händen auf Brusthöhe, damit Vesana ihn leichter erreichte.
»Danke.« Das kühle Nass ließ sie zwar im ersten Augenblick in sich zusammenzucken, brachte die feinsten Härchen auf ihrem Körper dazu, sich aufzurichten, aber schon im nächsten Moment schien es, als wüsche es ihre Gedanken fort. Zwar nur kurz, doch befreite es genug, um sie erleichtert durchatmen zu lassen und die Augen für einen weiteren Schwall zu schließen. Einige Strähnen ihres Haares blieben auf den feuchten Wangen kleben, doch störte es sie nicht. Kleine Perlen klaren Wassers rannen ihr über die Haut, kitzelten sie und benetzten die trockenen Lippen.
Tilma lächelte ihr entgegen, als sie das Haupt schließlich hob und überschüssige Tropfen von Stirn und Nase strich. »Besser?«
»Viel.«
Die Magd nickte und nahm den zweiten Eimer auf. »Geh nur voraus, mach Dir um mich keine Gedanken«, bekräftigte sie und scheuchte die Kaiserliche somit fort. Zügig umrundete diese das Gildenhaus und traf abermals mit Farkas zusammen.
»Das ging schnell«, bemerkte der und schaute über die Kante des Schildes der Übungspuppe zu ihr hinüber. Erst einen Augenblick später bemerkte Vesana, dass der kräftige, in Stahl gehüllte Nord den Schildarm der Puppe in seiner rechten Pranke hielt und das Schwert an der nahen Wand lehnte.
»Er hat genügend Aufgaben bis morgen, kein Grund, ihn mit weiteren zu überfordern.«
Farkas nickte, senkte anschließend den Blick und versuchte vergeblich den Arm des Übungsapparates irgendwie zu befestigen. »Scheiß Puppe, wir brauchen besseres Zeug«, knurrte er und warf das abgeschlagenen Glied auf den Boden.
»Nimm es als Zeichen, dass Du genug geübt hast für heute.«
»Pah! Ich kann nie genug geübt haben.«
Vesana schenkte ihm ein mattes Schmunzeln. Sicherlich war der Nord nicht ohne Grund ein so großer und furchtgebietender Kämpfer geworden, aber er übertrieb bisweilen häufiger. Schnaufend krallte sich der Nord sein Schwert, grollte im nächsten Moment und schlug einhändig aus der Drehung nach dem Hals seines hölzernen Widersachers. Das Metall summte durch den Aufprall, das angeschlagene Holz knirschte und knackte kurz, dann riss die schwere, normalerweise zweihändig zu führende Klinge das plumpe Haupt vom Torso. Es rollte eiernd auf Vesa zu und sie stoppte es mit den gehobenen Zehen vor sich. Farkas wirbelte noch weiter um die eigene Achse, zu groß war der Schwung gewesen, als dass er einfach hätte stehen bleiben können. »Tot«, brummte er schließlich doch noch zum Stillstand kommend und verstaute schließlich seine Waffe in der Scheide auf dem breiten Rücken.
»Schluss für heute?«, fragte die Jägerin, als sie zusammen mit Farkas im nachmittäglich lang werdenden Schatten Jorrvaskrs zur Terrasse stapfte. Einzelne Strähnen vom Wind umherpeitschend, die Tunika vom Schweiß klamm und die Glieder müde, mochte es das erste Mal seit Monaten sein, dass sie von einem mehr oder weniger vollen Arbeitstag zur Gilde zurückkehrte. Ein trotz der Widrigkeiten gutes, befriedigendes Gefühl.
»Hmpf«, schnaufte Farkas unterdessen. »Muss wohl.« Sie lächelte lediglich und trat mit dem deutlich größeren Nord durch den Eingang ins warme Innere. Gerade in dem Moment schepperte es irgendwo zu ihrer Rechten gewaltig. Zinngeschirr und einige Tonbecher flogen durch die Gegend oder zerschellten klirrend am Holz des Hauses. »Was bei Ysgramor…?!«, entfuhr es Farkas, der ihr in ihrer vor Überraschung eingefrorener Pose die Sicht versperrte. Gleich darauf verfiel er in heftiges Gelächter, dass er sich im Türrahmen abstützte und der Kaiserlichen einen Blick ermöglichte. Stöhnend hievte sich in diesem Moment Athis aus den Trümmern eines Beistelltischchens und putzte kleinere Scherben von der Kleidung. Njada stand in einigen Schritten Entfernung mit gehobenen Fäusten und gespreizten Beinen. Rhythmisch wippte sie auf den Fußballen vor und zurück.
»Netter Schlag«, knurrte der Dunmer unterdessen und wischte sich Blut von den Lippen. Gleich darauf wirbelte er herum, täuschte mit der linken einen Schlag an, drehte sich jedoch weiter und hackte mit der Ferse nach dem Knie der Nord. Gerade rechtzeitig wich sie aus, jedoch nicht weit genug und kassierte sie die flache Kante der rechten Hand gegen die Schläfe als Athis die Drehung beendete. Sie taumelte, fing sich an einem Stuhl ab und blockte mit gekreuzten Armen einen frontalen Hieb des Elfen.
»Nicht übel«, murmelte Farkas, der ebenso gebannt wie Vesa das Geschehen beobachte.
»Was denkst Du, wegen was sie sich diesmal schlagen?«, meinte die Kaiserliche und lehnte sich gegen die Wand zwischen den zwei Türen nach draußen.
»Wird wohl wieder darum gehen, dass der Elf nicht verlieren kann.«
Die Jägerin nickte. »Ja, möglich. Oder Athis hat sich in seiner elfischen Ehre gekränkt gefühlt.«
»Überraschenderweise ist es nichts dergleichen«, vernahm sie auf einmal Kodlaks raue, dunkle Stimme von der Seite und schrak herum. Das Herz kurz aussetzend, legte sie sich die Hand auf die Brust, atmete tief durch und starrte den Herold unverwunden an. »Verzeih, ich wollte Dich nicht erschrecken.«
Kurz schüttelte sie das Haupt und lächelte ihm anschließend mild entgegen. »Schon in Ordnung. Um was geht es diesmal?«
»Das ist jetzt nicht so wichtig«, erwiderte der Alte lediglich, ließ die grauen Augen für einen Moment zum anhaltenden Kampfgeschehen gleiten, richtete sie anschließend jedoch wieder auf Vesa. »Wichtiger ist: Wie geht es Dir?«
Für einen kurzen Augenblick versagte sie darin, ihr ohnehin schmales Lächeln aufrechtzuerhalten, und bemühte sich wohl deutlich verkrampft es wiederzugewinnen. »Besser als wohl zu erwarten wäre«, entgegnete sie letztlich und erntete ein mildes Nicken.
»Vilkas sagte nur, dass Du in vielerlei Hinsicht furchteinflößend gewirkt hättest, als er Dich zuletzt gesehen hat«, gestand Kodlak und bat sie per Handzeig ihm zu folgen.
Sie stieß Luft aus und brummte. »Gut möglich.«
Der Alte blickte ein letztes Mal zu der sich allmählich beruhigenden Schlägerei hinüber und lenkte die Kaiserliche anschließend ins Kellergewölbe des Gildenhauses. Erstaunlicherweise brandeten hier unten noch deutlich mehr Stimmen durch die Hallen der Gemeinschaft, als oben, und das obwohl sich dort ein guter Pulk aus Vignar, Ria und einigen Welpen gebildet hatte. »Ich wusste gar nicht, dass heute Leute von uns zurückgekehrt sind«, bemerkte sie und warf einen neugierigen Blick in den Schlafsaal der einfachen Mitglieder.
»Ja, ein paar sind zurückgekehrt.«
»Erfolgreich?«
»Einige sind verletzt, aber nichts, dass sich fatal auswirken wird. Ihre ursprüngliche Aufgabe haben sie allerdings nicht erfüllen können«, erklärte Kodlak und senkte kurz das Haupt. Noch bevor sie jedoch weiter nachzufragen vermochte, erreichten sie die Unterkunft des Herolds. Vilkas wartete an einem runden Tisch in der Ecke, lehnte sich im Stuhl zurück und richtete seine schwarzbraune Tunika.
Obwohl ihr die Situation, so unvermittelt und direkt von dem Alten mitgeschleppt zu werden, etwas merkwürdig erschien, verdrängte die Kaiserliche ihre Skepsis. Es stand außer Frage, dass es um ihren Besuch in der Drachenfeste gehen würde, und inzwischen fühlte sie sich auch einigermaßen dazu in der Lage, darüber zu sprechen. Entsprechend setzten sich die Neuankömmlinge mit an den Tisch.
»Hrothluf?«, fragte Vilkas und lehnte sich vor, den Körper auf der Tischplatte abstützend.
»Hrothluf«, nickte Vesa ab.
»Was wollte er diesmal?«, hakte Kodlak nach.
»Es scheint, dass er keinerlei Interesse mehr daran hat, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Seine Rachsucht scheint ihn übermannt zu haben«, fasste sie zusammen.
»Gut«, murmelte der Alte und erntete einen in Fassungslosigkeit völlig entglittenen Blick ihrerseits.
»Wie kann das gut sein?!«
»Du bist noch immer hier.«
Kurz schwieg sie, nickte dann allerdings zurückhaltend. Sie war in der Tat noch hier. Und das obwohl sie dem rothaarigen Nord die Nase ramponiert hatte. »Er hat versucht Arcadia in die Sache mit reinzuziehen«, ergänzte sie ihren Bericht.
»Inwiefern das?« Vilkas verzog das Gesicht in Ungläubigkeit.
»Als Prüferin für die Qualität des Skoomas.« Der jüngere der Nord lachte schallend, jedoch wenig amüsiert auf. »Ernsthaft«, bekräftigte sie. »Irgendeine kuriose Geschichte, ich hätte durch Kenntnis ihrer Schuldenlage vor einem Jahr sie mit Hrothluf in die Machenschaften reingezogen.«
»Das ist gut«, bemerkte Kodlak nochmals. »Es erleichtert es uns, ihn zu widerlegen. Obwohl vermutlich dieser Justiziar …«
»Elgryr.«
»Genau. Obwohl er vermutlich ohnehin schon durch die Lügen sehen kann.«
»Hoffen wir es.«
»Ganz sicher. Er scheint scharfsinnig genug zu sein«, bekräftigte der Alte. »Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Hrothluf sein Leben mehr zu schätzen lernt, als seine Rache.« Er ließ den Rest, den er damit verband, unausgesprochen. Vesa wusste nur zu genau, dass er auf ihre erste Unterhaltung zu diesem Thema vor einer Woche anspielte. Früher oder später würde der Schmuggler damit beginnen, die Wahrheit zu sagen. Jetzt, wo sie etwas Ruhe fand und darüber nachdenken konnte, erschien ihr sogar die Art des Justiziars verständlicher. Seine Bemerkung zum Schluss … Wahrscheinlich wusste er tatsächlich längst, dass Hrothluf ihm Märchen auftischte. Es gab jedoch noch eine Frage, die danach aber weiterhin offen blieb: Warum musste er sie und Arcadia in die Qual versetzen, zur Drachenfeste zu kommen?
Vesana bemerkte erst gar nicht, dass die beiden Nord sie beobachteten, schreckte dann jedoch hoch und schaute hastig zwischen ihnen hin und her. »Was?«
»Das haben wir Dich gefragt«, entgegnete Kodlak mit einem väterlichen Lächeln.
»Oh … Ich habe mich nur gewundert, warum Elgryr sich überhaupt die Mühe macht, Arcadia und mich zu sich ins Verhör zu rufen, wenn er ohnehin schon von der Schuld Hrothlufs überzeugt ist.«
»Vielleicht weil es nicht mehr um die Schuldbestimmung geht?«, wandte der Graue ein und lehnte sich zurück. Vilkas stand unterdessen auf und holte Tonbecher aus einem nahen Regal. Gleich im Anschluss goss er jeden von ihnen Wasser aus einem Krug auf dem Tisch ein. »Danke, Vilkas.« Kodlak nahm das Gefäß und trank, beobachtete die Kaiserliche aber weiter über den Rand des Bechers.
Sie überlegte einen Augenblick. »Du meinst, er spielt mit Hrothluf?« Kodlak nickte.
»Ein gefährliches Spiel. Bekommt jemand in der Stadt davon Wind, ist es für Arcadia und Vesa gelaufen«, murmelte Vilkas, wohl mehr aus Frust zu sich selbst. Der Gedanke bescherte der Jägerin ein flaues Stechen in der Magengrube. Ein wütender Mob, der mutmaßliche Drogenschmuggler als Zielscheiben für ungestraftes Entladen generellen Lebensfrustes nutzte, konnte bisweilen tödlich sein.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dieses Risiko leichtfertig eingeht.«
»Hoffen wir es. Sonst fällt es auch auf unsere Gemeinschaft zurück.« Abermals nickte der Alte. Es stand außer Frage, dass er sich dieser Gefahr bewusst war.
Unterdessen ballte Vesana die Rechte zur Faust und stieß damit sacht gegen die Tischkante. Die Zähne mahlten in Frustration. »Es ist schon schlimm genug, dass er es überhaupt eingeht«, knurrte sie und griff anschließend fahrig ihren Becher.
»Sehe ich auch so«, unterstützte sie Vilkas. Die Tatsache, dass sie nicht völlig allein mit dieser Meinung stand, linderte für einen Augenblick die aufkeimende, heiße Wut, die ihr die Kehle zuzuschnüren begann.
»Natürlich«, nickte Kodlak sacht. »Aber es ist nicht so, dass wir etwas daran ändern können.« Jetzt war es an den anderen Beiden mit den Köpfen zu wippen und Vesas Zorn verging in Rauch, den sie mit dem Wasser aus dem Becher versuchte zu vertreiben.
»Scheiße«, murrte sie und setzte das Gefäß hart auf dem Tisch ab.
Der Alte lächelte lediglich, beugte sich vor und legte ihr die prankenhafte Linke auf ihr Knie. »Verrate mir: Hattest Du jemals eine Jagd, bei der Dir Deine Beute immer und immer wieder entwischt ist, Dich hinters Licht geführt und ausgetrickst hat, dass Du nicht einmal auch nur einen Finger an sie legen konntest?«, wollte er wissen und goss einhändig Wasser in die leeren Becher, ohne seine Linke von ihr zu nehmen. Die Kaiserliche, ob des plötzlichen Themenwechsels leicht irritiert, neigte nach einigen Augenblicken des Überlegens das Haupt. »Hast Du sie letztlich dennoch erlegt?« Abermals nickte die Kaiserliche und brachte den Grauen dazu, ein neues, diesmal wesentlich deutlicheres Lächeln auf die rauen Lippen zu setzen. Er lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Finger im Schoß ineinander. »Wie hast Du sie gefangen?«
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Geändert von Bahaar (17.01.2015 um 10:55 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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»Ich hatte schlicht den längeren Atem«, antwortete Vesa nach einem Moment des Schweigens.
»Das ist sicherlich Teil davon, aber bestimmt nicht alles«, räumte Kodlak ein.
»Hmm. Ich habe nichts anders gemacht, als sonst. Nur länger.« Der Herold lächelte weiterhin, redete jedoch nicht dazwischen, als erwartete er weitere Ausführungen ihrerseits. »Ich habe mich dem Spiel angepasst, habe sie manches Mal in Sicherheit gewogen, nur um sie dann aus dem Hinterhalt zu erschrecken und schließlich bis zur Verausgabung zu hetzen«, führte sie ihre Erklärung daher fort.
»Also mit Geduld. Geduld und Beherrschung.«
»Ja.«
Offenbar musste sie ihn deutlich irritiert angestarrt haben, denn Kodlak seufzte schließlich, als sie sich weiterhin in Wortlosigkeit hüllte. »Warum behandelst Du Hrothluf anders?« Die Jägerin legte den Kopf schräg und zog eine Augenbraue hoch. »Betrachte es als Jagd und ich bin sicher, dass es Dir leichter fallen wird, mit der Situation umzugehen.«
»Mit dem Unterschied, dass Hrothluf keine Beute, sondern selbst ein Jäger ist«, gab Vilkas nach langem, stillem Zuhören zu bedenken.
»Die Gefährten und besonders die Mitglieder des Zirkels haben sich seit jeher in der Jagd auf Jäger gestählt. Nach einfacher Beute und Opfern stand dieser Gemeinschaft nie der Sinn«, konterte der Alte und ließ den jüngeren Nord nickend verstummen. Auch die Kaiserliche musste einräumen, dass er Recht hatte. So schwer es ihr auch fiel das so zu sehen, weil er sie in einer eigentlich abgekapselten Sphäre ihres Lebens, ihrem Heim, bedrohte, war Hrothluf nichts weiter als eine neue Herausforderung – eine Jagd mit anderen Mitteln, die zum Ziel nicht das nächste Abendessen, sondern das Finden einer Wahrheit hatte.
»Aber genug davon«, brach Kodlak das Thema unvermittelt ab. Es sollte Vesana nur recht sein, bescherte ihr das Thema doch lediglich unnötigen Frust. »Ich wäre überrascht, wenn Du ein drittes Mal in die Drachenfeste gebeten würdest.«
»Hoffen wir es«, murmelte sie und trank noch einen Schluck Wasser, um den zugeschnürten Hals freizubekommen.
»Bestimmt. Und falls es doch anders kommt, denke daran, dass es noch uns hier gibt.« Immerhin diese Bemerkung schaffte es, ihr versteinertes Gesicht wenigstens ein bisschen zu erweichen. Einen Mundwinkel zur Vorahnung eines dankbaren Lächelns verziehend, nickte die Kaiserliche.
Einige lange Momente des Schweigens hielten zwischen ihnen Einzug. Vesa verspürte Dankbarkeit dafür, konnte sie so doch zumindest einen Teil der wild kreiselnden Gedanken einfangen und wieder unter ihre Kontrolle bringen. Zwar empfand sie noch immer die Unruhe eines Bienenschwarms in Brust und Bauch, doch wenigstens legte sich das Brummen hinter der Stirn. Tief durchatmend goss sie nochmals Wasser aus dem großen Krug nach.
»Wie schlägt sich Olen bislang?«, durchstieß schließlich Vilkas die Stille.
»Erstaunlich gut«, entgegnete Vesa und erhob sich mit ihrem Trinkgefäß in der Hand. Langsam pirschte sie durch den Vorraum von Kodlaks eigenem Gemach und ließ ihre Augen über die Regale schweifen. »An seiner Auffassungsgabe müssen wir noch arbeiten, ihm fehlt bisweilen der Sinn für die wichtigen Details des Kämpfens, aber er ist lernwillig und hat Durchhaltevermögen«, fuhr die Jägerin fort und blieb an einem Bücherregal stehen. Mit den Fingerspitzen der freien Linken strich sie sanft über die Ledereinbände, sog den alten Duft von Pergament und Tinte in die Nase und zeichnete hellere Spuren durch den feinen Staub auf ihren Rücken.
»Denkst Du, er hätte das Zeug zum Gefährten?«
Vesana hielt in der Bewegung inne und ließ die Hand auf einem der Bücher ruhen. Langsam wandte sie den Kopf und schaute über die Schulter zurück, antwortete jedoch nicht sofort. »Schwer zu sagen, dafür ist es zu früh«, antwortete sie. »Möglicherweise schon.« Vilkas nickte nur und die Kaiserliche widmete sich wieder dem Bücherregal.
Den Becher auf einem der Zwischenböden abgestellt, griff sie sich nach einigen Momenten des schweigsamen Stöberns einen der Folianten über Alchemie und blätterte durch. »Allerdings«, unterbrach sie letztlich gedämpft und ohne die Augen von den Buchseiten zu heben die Stille, »bezweifle ich, dass er – seine Eignung vorausgesetzt – so einfach bereit wäre, sich uns anzuschließen.«
»Du meinst, solange sein Heimatdorf der Bedrohung der Banditen ausgesetzt ist?«
»Hmhmm.«
»Wenn Du während der fortgesetzten Ausbildung das Gefühl bekommst, er könnte geeignet sein«, mischte sich nun Kodlak ein, »versuche herauszufinden, was er tun würde, wenn die Banditen nicht länger eine Bedrohung wären.«
»Ich wusste gar nicht, dass wir wieder rekrutieren.« Vesa schlug den staubigen Einband zu, dass ihr ein trockenes Wölkchen entgegenblies, und schob das Buch zurück ins Regal. Mit dem Tonbecher an den Lippen wandte sie sich um und lehnte sich zurück bis sie gegen die hölzernen Planken stieg.
»Offiziell ist das auch so«, bestätigte der Graue und ließ sie hellhörig werden.
»Aber?«
»Wir können immer rechtschaffene, gute Kämpfer gebrauchen. Athis zeigte sich, trotz all seiner üblichen Abneigungen gegen jedermann, führsprechend über Olens Kampfeswillen. Farkas und Vilkas, die gelegentlich den Übungen beigewohnt haben, bestätigen das«, erklärte Kodlak. Die Kaiserliche nickte lediglich verstehend. Der Alte hatte natürlich Recht. Gerade unter den Welpen verloren sie öfter Mitglieder – nicht immer durch Tod oder schwere Verletzungen, das eher selten sogar, wesentlich häufiger schlicht durch Ausstiege aus der Gemeinschaft oder notgedrungene Verbannungen aufgrund von Fehlverhalten. Eine standfeste Persönlichkeit, wie Olen sie derzeit zu sein erschien, mochte da durchaus Hoffnung auf einen langfristigen Zugewinn machen.
»In Ordnung«, stimmte die Jägerin somit zu. »Aber ich werde ihn erst noch ein paar Tage quälen, bevor ich eine Einschätzung abgebe.«
»Nichts anderes hatte ich erwartet«, bestätigte der Herold und auch Vilkas nickte.
»Nun gut.« Vesa stieß sich vom Regal ab und leerte ihren Tonbecher, während sie zurück zum Tisch mit den beiden Männern lief. »Wenn es sonst nichts weiter gibt, würde ich mich jetzt erst einmal frisch machen.«
»Besser so«, stimmte Vilkas zu und fing sich einen sauren Blick der Kaiserlichen ein. Gleich darauf grinste er jedoch und sie lächelte ebenfalls. »Geh nur.«
Damit verließ sie die beiden Zirkelmitglieder und trat auf den langen, gewölbten Korridor aus groben Steinen hinaus. Die Tür hinter sich schließend, verharrte sie einen Augenblick mit der Hand auf der Klinke und schloss die Augen. Nur langsam sank die von Kodlak gemahnte Ruhe in sie hinein, aber je länger sie in der Stille des schummrigen, warmen Flures mit ihren Gedanken allein war, desto mehr vor ihnen vermochte sie einzufangen. Es überraschte sie, wie schwer es ihr doch fiel, sich nach den Worten des Grauen zu richten. Im Zirkel galt sie als exzellente und geduldige Jägerin, doch sobald sie in der Integrität ihrer Person und ihres persönlichen Umfeldes bedroht wurde, verlor sie die Kontrolle über sich selbst. Dabei handelte es sich auch um nichts grundsätzlich Neues, auch wenn Darius Verschwinden es hatte schlimmer werden lassen – nicht zuletzt deshalb, weil er zuvor für die Jägerin ein Ruhepol gewesen war.
Mühsam schüttelte Vesana das Haupt und richtete ihre Augen aus der leeren Formlosigkeit ihrer Gedanken und Gefühle zurück auf ihr Heim, die grauen Steine der Wände und des Bodens, die roten und braunen Teppiche und die Kerzenleuchter, die flackerndes Licht spendeten. Schlussendlich glitten auch ihre Finger von der eisernen Klinke. Es war Zeit, sich aus dem Sorgenkleid zu pellen. Irgendwo tief in ihr glaubte sie fest daran, dass Kodlak rechtbehalten sollte, sie musste diesen Glauben nur noch nach außen kehren.
»… -t sich noch in Schweigen, wie sie es immer tun, aber er wird schon noch brechen«, vernahm die Kaiserliche nach einigen Schritten durch das Gewölbe eine nur allzu vertraute, kraftvolle Frauenstimme hinter sich und blieb stehen. Aus dem Seitenflur, an dem Aelas und Skjors Gemächer lagen, traten in diesem Moment gerade eben jene Beiden heraus. Die Nordfrau schien gerade zu weiteren Worten ansetzen zu wollen, doch brach sie ab, als sie mit dem einäugigen Kahlkopf an ihrer Seite auf den Hauptkorridor trat und Vesana bemerkte. »Vesa!«, stieß sie nach kurzem Zögern aus und wirkte erstaunlich überrascht.
»Aela?«, fragte die Kaiserliche zurück und fühlte sich nicht weniger übertölpelt als die zwei Zirkelmitglieder vor ihr aussahen. Sie benötigte einen Augenblick, um die Überraschung mit einem sachten Kopfschütteln niederzuringen. »Ich dachte, ihr beide wärt auf der Weststraße eingespannt?«
Die rothaarige Nord antwortete erst nicht. »Die Arbeit hat wohl leider jemand für uns erledigt«, entgegnete stattdessen Skjor, dessen Miene schnell wieder versteinerte.
»Bedauerlich.« Nach Überwinden der letzten Reste des anfänglichen Schocks lächelte Vesa schließlich und ließ die warme Freude über das Wiedersehen durchscheinen. »Aber schön euch beide zu sehen.«
»Ebenfalls«, erwiderte nun Aela und neigte anerkennend das Haupt. »Du siehst auch deutlich besser aus als noch vor zwei Tagen.«
»Dank euch, ja.« Skjor nickte nur und seine Partnerin hob abwehrend die Hand.
»Wohin bist Du unterwegs?«, wollte letztere wissen.
»Zur Waffenkammer«, antwortete die Kaiserliche und deutete mit dem Daumen über die Schulter, wo noch immer das Übungsschwert hing. »Und danach ein paar sauberere Sachen holen.« Ohne dass es eines Wortes bedurfte, setzen sie sich gemeinsam in Bewegung. »Wann seid ihr angekommen?«
»Etwa zeitgleich mit den Welpen. Haben einigen von den Verletzen zurück zum Gildenhaus geholfen«, erklärte Skjor, der gleichauf mit der Kaiserlichen lief, Aela hielt sich hinter ihnen.
»Ah, sehr praktisch.« Der Nord nickte. »Hm. Um wen ging es, als ihr euch eben unterhalten habt?«
Er verfiel ins Schweigen. »Diesen … Nord. Talgolf? Targolf?«, setzte Aela an.
»Trargolf. Oder Hrothluf«, berichtigte Vesana.
»Ja, richtig. Vilkas hat erzählt, dass Du heute wieder in der Feste warst.« In der Zwischenzeit gelangten sie an der dunklen, schweren Tür zur Waffenkammer an und hielten inne. Skjor wirkte unbeweglich wie stets, die rothaarige Jägerin, frisch gewaschen und ohne Kriegsbemalung, erschien ungewohnt freundlich. Aber das mochte wohl schlicht auch genau daran liegen, dass ihr die Farbe fehlte und sie sich über das Wohlbefinden der Kaiserlichen freute. Zumindest vermutete diese das.
»Es scheint sich schnell rumzusprechen«, gestattete sich Vesa die tadelnde Bemerkung. Der Gedanke, dass sich alle darüber unterhielten, missfiel ihr. Es brachte nur die Gefahr mit sich, dass irgendwann einmal jemand unerwünschtes mithörte.
»Nur im Zirkel, keine Sorge«, beschwichtigte Skjor und schnaufte. Er mochte ihre unterschwellige Anspielung durchaus verstanden und für unnötig befunden haben. Auch Aela wirkte nun wieder etwas ernster.
»Natürlich«, wiegelte sie ihre Bemerkung ab.
»Lass Dich jetzt erst einmal nicht aufhalten«, schweifte Aela ab. »Wir haben später noch genug Zeit miteinander zu sprechen.«
»Ich denke auch.« Damit trennten sie sich voneinander. Die beiden Nord verschwanden nach oben, Vesana verstaute ihre Übungswaffe in der Kammer und kehrte anschließend auf ihr eigenes Gemach zurück. Es erschien ihr noch etwas unwirklich, dass Aela und Skjor bereits zurückgekehrt waren und das Gildenhaus mit all den Welpen und einfachen Mitgliedern plötzlich wieder regelrecht voll wirkte. Überhaupt, schien dies allen etwas aufs Gemüt zu schlagen. Aela ungewohnt mild, Skjor leichter zu bewegen und auch Kodlak deutlich direkter als sonst. Kopfschüttelnd versuchte die Kaiserliche ihre eigene Irritation mit den veränderten Gemütern und das Chaos ihrer eigenen Gefühle über das unverhoffte Wiedersehen mit Hrothluf zu verdrängen. Wenngleich die Aufträge schiefgegangen waren, ein Grund zur Freude bot die Wiederkehr aller Beteiligten dennoch. Aufträge über lange Distanzen bargen stets die größten Risiken – viel mochte auf dem Weg zum Auftragsort und zurück passieren. Umso glücklicher also, dass sie keine Verluste zu beklagen hatten.
Entsprechend motiviert entledigte sich die Jägerin ihrer verschwitzten Kleidung und rieb sich mithilfe eines Stofftuchs und dem Wasser ihrer Waschschüssel grob ab. Keine wirklich effektive Reinigung, aber genug, um nicht mehr auszusehen wie ein Kind, das mit seinen Freunden zusammen im Wald gespielt hatte. Mit den Füßen in den warmen, niedrigen Stiefeln, die sie schon während des Tages getragen hatte, warf sie sich ihre rotbraune, bestickte Tunika über. Da sie nicht plante, nochmals außer Haus zu gehen und das Bedürfnis verspürte, wenigstens einmal wieder bewusst eine Nacht in ihrem Bett zu verbringen, sollte der etwas dickere Stoff genügen. Kodlak mochte es allemal freuen, dass sie nicht vorhatte, auf die Jagd zu gehen und auch das Biest schien sich damit anfreunden zu können, bescherte ihr doch der Gedanke an den Verzicht auf Beute keine neuen, oder zumindest verstärkten, Kopfschmerzen.
Die langen Ärmel ein Stück hochgeschoben verließ sie ihre Kammer und kehrte nach oben in die große Gildenhalle zurück.
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Geändert von Bahaar (24.01.2015 um 11:57 Uhr)
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Mit dem nächsten Morgen nach einer zumindest für sie ruhigen Nacht machte der Monat Eisherbst seinem Namen gebührende Ehre. Der Wind hatte in der Nacht gedreht und trug eisige Luft, dass Vesa glaubte sie klirren zu hören, aus dem Norden über die Tundrasteppen des Fürstentums und über die Stadt. Beide hüllten sich in ein funkelndes Gewand aus gefrorenem Niederschlag. Als läge Sternenstaub auf allem, hatte sich die Feuchtigkeit des letzten Tages auf dem Land abgesetzt.
Die Hände in ihren gefütterten Handschuhen, die dicke Jacke über einer molligen Tunika und Hose und ihre hohen Wildlederstiefel an den Füßen hielt die Kaiserliche die Arme unter der Brust verschränkt. Am Rand der Terrasse stehend, fielen ihr einzelne, in der glasklaren Luft verloren wirkende Flocken auf den Leib. Gelegentlich landete die eine oder andere von ihnen auf der freien, empfindlichen Haut in ihrem Antlitz, brannte kurz und löste sich anschließend in kleine Tröpfchen auf. Die kalten Nadelstiche versetzten sie ins Zittern, obwohl sie nicht einmal fror. Ohren- und Nasenspitze beklagten sich flammend ob des mangelnden Schutzes.
Gedankenverloren lehnte Vesa sich an den Pfosten oberhalb der Treppe, die zum Übungsplatz führte, und das Vordach stützte, starrte durch ihre mit jedem Atemzug ausgestoßenen Nebelschwaden in den rotgoldenen Sonnenaufgang, der allmählich ins Weißgold verblasste, als sich die feurige Scheibe über die Gipfel der Berge schob. Ein friedlicher Anblick, der ihrem unruhigen Gemüt zurück in die Balance half. Eine passende Ergänzung zum ereignislos verlaufenen Abend, der nur Geschichten und viel Gelächter bei derben Witzen der Nord mit sich gebracht hatte. Wie stets wenig erholt von der Nacht im eigenen Bett genoss die Jägerin nun nur noch die Erinnerung der warmen, weichen Decke auf der Haut, ein sanftes Kitzeln, kaum stärker wahrzunehmen als das Schnurren eines Kätzchens.
Langsame, tiefe Atemzüge sogen die kalte Nordluft ein, kühlten sie allmählich von innen aus und bescherten ihr zunehmend häufigere Schauer entlang des Rückgrates. Wenigstens verlor der Wind zunehmend an Kraft und fuhr nicht mehr in jede noch so kleine Lücke in der Kleidung. Ein schwacher Trost, hieß es doch auch, dass das eisige Klima wenigstens für die nächsten Tage vorhalten würde. Andererseits hatte sie sich das Land ausgesucht, also wollte sie sich nicht beschweren, seufzte stattdessen nur und zog die Schultern hoch, um den Kragen der Jacke zu heben. Sanfte Windstöße spielten mit ihren offenen Haaren und trieben ihr Strähnen ins Gesicht. Unwillig die Hände aus den warmen Achselhöhlen zu nehmen, beließ sie ihr wildes Haar und schloss stattdessen die Augen.
»Verfluchtes Himmelsrand, viel zu kalt, wenn Du mich fragst«, knurrte ein Mann mit rauer, scharfer Stimme hinter ihr und trat dem Klang der Schritte nach zu urteilen neben sie.
»Du hättest nicht herkommen brauchen, Athis«, erwiderte sie und wusste, dass es dem Dunmer bösartig aufstoßen würde.
»Pah.«
»Worum ging’s gestern eigentlich bei Deinem Gerangel mit Njada?«, schwenkte sie auf ein anderes Thema um, das sie am vergangenen Abend nicht mehr hatte zur Sprache bringen können, ihr aber noch unter den Nägeln brannte.
Er zögerte einen Moment. »Das … ach … das war nur, um auszufechten, wer … heute Tilma bei den Einkäufe hilft«, erwiderte der Elf. Die Kaiserliche verzog die Augenbrauen und drehte den Kopf soweit, dass sie Athis aus dem Augenwinkel beobachten konnte. Nicht, dass sie ihm nicht glauben wollte, aber er wirkte seltsam unruhig. Allerdings fing er sich auch gleich darauf, gewann seine allumfassende Bitterkeit zurück und starrte tonlos nach Osten in den Sonnenaufgang. Vesa schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Das erklärt, warum Du so früh auf den Beinen bist«, kommentierte sie die ziemlich unglaubwürdige Antwort und beobachtete ihn weiter. Zwar bezweifelte sie, noch irgendetwas aus seinem aschgrauen, fiesen Gesicht lesen zu können, aber vielleicht würde er sie ja zur Abwechslung einmal überraschen.
»Ja, tut es.« Mehr sagte er nicht und zog stattdessen die schwere Lederjacke mit Fellkragen enger, als er allmählich zu zittern begann. Für einige Momente schwiegen sie sich an und Vesana lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf den Horizont, wo sich die zunehmend farbloser werdende Sonnenscheibe hinter Schleierwolken und über der Tundra aufsteigenden Dunstschwaden versteckte. Kraft besaß sie zwar noch, aber längst nicht mehr genug, um den frostigen Atem des aufkommenden Winters niederzuringen oder gar zu vertreiben. »Du bist selbst ziemlich früh auf«, ließ sich der Dunmer letztlich zu einem weiteren Kommentar hinreißen, klang jedoch wenig motiviert das Gespräch fortzuführen.
»Bin ich immer.«
»Hm.«
»Wie dem auch sei, viel Spaß beim Einkaufen.« Damit stieß sie sich vom Pfosten ab und wandte sich dem Gildenhaus zu. Athis hob lediglich eine Hand zum Gruß, obwohl es mehr wie ein entnervtes Abwinken aussah, und kurz darauf trat die Kaiserliche in die Halle ein. Die Spuren des vergangenen Abends waren noch nicht einmal beseitigt. Überall lagen noch Teller mit Essensresten, umgekippte Becher in Lachen aus Met und anderem alkoholischen Gebräu. Allerorten lagen sie auch auf dem Boden. Ein chaotisches Bild, das einzig und allein Vilkas an der langen Tafel mit Leben füllte.
Er blickte auf und über die Schulter aus tiefen, dunkel unterlaufenen Augenhöhlen zu ihr hinüber. »Guten Morgen«, brummte er.
»Morgen.«
»Bist Du schon lange auf?«
»Eine Weile.« Sie setzte sich zu ihm und griff nach dem Brot.
»Hätte nicht gedacht, dass nach der letzten Nacht so schnell jemand aufsteht, aber vermutlich sollte es mich bei Dir nicht überraschen«, meinte der Nord und reichte ihr das Streichfett.
»Athis ist auch schon auf den Beinen.« Dem Gefährten entglitt beinahe der Tonkrug mit Wasser und ließ im Versuch ihn zu fangen die Schüssel mit dem Fett fallen. »Noch nicht ganz wieder wach, was?«
»Scheint so«, schmunzelte er und schenkte ihr vom Wasser ein. »Was macht Athis so früh auf den Füßen?«
»Er meint, er muss Tilma bei den Einkäufen helfen. Hat wohl gestern im Kampf mit Njada verloren, als sie ausgefochten haben, wer es übernimmt«, erklärte sie.
»Ah ja, richtig. Da war was.«
»Sag mal, haben wir eigentlich noch irgendwo ein paar lange Bretter und Holzklötze rumliegen?«, ließ sie das anfängliche Thema fallen und biss in ihr Frühstück.
»Hm. Möglich wäre es, dass bei Eorlund oben noch irgendwas rumliegt. Ansonsten hat vielleicht Belethor noch das eine oder andere. Warum fragst Du?«
»Ich hab‘ da so eine Übung im Kopf, die ich mit Olen ausprobieren möchte. Dafür brauche ich das«, erklärte sie und stürzte das kühle Wasser aus dem Becher hinter. Gleich darauf stand sie auf, zog sich die Handschuhe über und schob den Stuhl zurück an den Tisch. »Mal schauen, ob ich bei Eorlund fündig werde. Meinst Du, ihn stört es, wenn ich mich bediene, falls er noch nicht da ist?«
»Bestimmt nicht. Wenn, dann hat er ohnehin genug.« Sie nickte nur, schenkte dem müde wirkenden Nord ein dankbares Lächeln und machte sich auf. Genau zum richtigen Zeitpunkt, wie es schien, denn der alte Schmied stapfte gerade die Stufen zu seiner Arbeitsstatt hinauf. Vesa hatte es nicht eilig und folgte ihm eher gemächlich, zog die Jacke enger und ordnete unterwegs die langen Haare links des Nackens. Noch hielt sich der Frost in Grenzen und bot als rauer, weiß schimmernder Reif auf der steinernen Treppe zur Himmelsschmiede zusätzlichen Halt, aber es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis dickes Eis und angetauter Schnee eine spiegelglatte Schlittenbahn daraus zauberten.
Oben angekommen erspähte sie schnell, wonach sie suchte. Am hinteren Rand des Plateaus langen dicke Planken und einige Stapel mit Holzscheiten. »Frühe Kundschaft«, empfing sie der alte Graumähne, der silberne Schopf im Zopf zusammengebunden und der massige Leib in ein warmes Gewand aus derber Wolle gehüllt. Er bediente gerade den Blasebalg, um die Restglut in Schach zu bringen.
»Nicht ganz«, erwiderte die Kaiserliche und blieb in einigen Schritten Abstand stehen.
»So? Was kann ein alter Wirt des Feuers dann für Dich tun?« Er wandte die weiß schimmernden Augen von ihr ab und blickte in die scharlachroten Funken, die aus der Asche aufstiegen.
»Ich wollte fragen, ob ich mir heute ein, zwei von den Planken dort und ein paar Holzkeile leihen kann.«
»Leihen? Das kannst Du auch behalten«, winkte er ab. Es entlockte ihr ein Schmunzeln und sie nickte dankbar. »Brauchst Du Hilfe, es fortzuschaffen?« Der Nord lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sie, während er abermals am langen Hebel des Balgs zog.
»Danke, aber da habe ich schon jemanden, der das für mich macht.«
»Ah, gut. Bedien‘ Dich. Nicht alles, aber was Du brauchst.«
»Keine Sorge, ich brauche nicht viel.«
»Gut, gut. Kann ich Dir sonst noch helfen?«
Die Jägerin war gerade im Begriff zu gehen, da fiel ihr ein, dass sie noch immer nicht mit Eorlund über einen Ersatz für ihr Schwert gesprochen hatte. »Wo Du es sagst, ich brauche ein neues Schwert«, eröffnete sie und folgte seiner Anweisung sich an den Rand der Schmiede zu setzen, als er es ihr per Handzeichen bedeutete.
»Ich erinnere mich, dass ich Dir vor nicht allzu langer Zeit ein Schwert angefertigt hatte, oder war das jemand anderes?« Eorlund musterte sie von oben herab, als er sich mit einem Schürhaken über die Glut beugte und neue Kohlen verteilte.
»Naja, vor etwa vier Monaten müsste das gewesen sein«, räumte sie ein.
»Manch einer hat seine Waffe sein ganzes Leben«, tadelte der Schmied und warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. »Wann hast Du sie verloren?«
»Lass es gut einen Monat sein«, räumte Vesana ein.
Der alte Schmied hielt in seiner Bewegung inne und starrte sie einen Augenblick unverwunden an. »Mit was hast Du in der Zwischenzeit gekämpft?«
»Ich hatte unterwegs ein weiteres Schwert … aufgenommen. Das ging vor ein paar Tagen verloren.« Inzwischen kehrte Eorlund an den Blasebalg zurück und verfiel in dröhnendes, wenn auch verbittertes Lachen.
»Fast schon Verschwendung, Dir ein neues Schwert zu fertigen, bei Deinem Verschleiß.« Er wirkte wahrhaftig bestürzt und die Kaiserliche wollte es ihm nicht verübeln, auch wenn ihr seine zynischen Bemerkungen sauer aufstießen. »Aber in Ordnung, lass mal hören, wie Dir Deine letzten beiden Waffen gefallen haben.«
Für einen Moment musste sie überlegen, nach einer Weile gingen ihr die Waffen zu sehr in Fleisch und Blut über, ihre Eigenheiten nahm sie dann meist erst wieder wahr, wenn sie zu einer anderen Klinge wechselte. »Das Stahlschwert hatte die ideale Länge und Klingenform. Gerade, schlank, spitz und vielseitig verwendbar bei herausragender Geschwindigkeit«, resümierte sie mit geschlossenen Augen, um sich die Bilder der Waffen in Erinnerung zu rufen. »Die andere Waffe war … anders. Geschwungen mit einer Hauptseite, das Rückenstück nicht durchgängig geschliffen. Der Schwerpunkt lag anders, weiter in die Klinge hinein verlagert und sie hatte einen Widerhaken. Auch der Griff war gebogen.«
Als Vesa die Lider hob, stand Eorlund mit verschränkten Armen vor ihr und stützte das Kinn auf die linke Hand. »Dir hat die gerade Klinge also besser gefallen?«
»Ja. Langfristig schon. Die geschwungene Schneide mit vorgelagertem Schwerpunkt hatte interessante Eigenschaften, ein bisschen wie eine Axt, nur leichter. Das hat kraftvolle Schwünge von oben ermöglicht, aber Hiebe von unten wurden deutlich schwerer. Sie war also nicht so flexibel einsetzbar.«
»Hmm, ja. Verstehe. Gefiel Dir überhaupt etwas an der zweiten Waffe?«
»Zum einen, dass sie mit Silber veredelt war, vor allem aber der gebogene Griff«, erklärte sie und der Schmied nickte.
»Ja, das ergibt auch Sinn. Komm mit, ich zeig‘ Dir ‘was«, forderte der Nord sie auf und führte sie anschließend zu einem Tisch am Rand des Plateaus, auf dem einige verschiedene Waffen lagen.
»Warum ergibt es Sinn?«, fragte die Kaiserliche auf dem Weg.
»Weil es zu Deinem Kampfstil und überhaupt Deinen Kämpfen als Mitglied der Gefährten passt. Hier, halte das«, sprach er und reichte ihr ein einfaches Schwert mit geradem Heft und glatter Parierstange. »Gerade Griffe sind Standardware. Weißt Du warum?« Sie wog die Waffe in der Hand hin und her und schüttelte den Kopf. »Sie sind universal. Sie passen zu jeder Hand und zu jedem Kampfstil. Besonders aber auf Schlachtfeldern, wo häufig blind aus der Deckung von Schilden gestochen wird, ermöglichen sie gute Kraftübertragung in die Stöße. Probier’s aus.«
Die Kaiserliche tat, wie ihr geheißen und führte einige Stiche in die Luft aus verschiedenen Positionen des Schwertarms. »Die Hand ist nicht angewinkelt, oder nicht sehr stark, das erleichtert einen festen Griff der Finger um das Heft und somit hohe Kraftübertragung. Schläge mit der Schneide sind dafür weniger effektiv, weil Du, um die Klinge als Verlängerung des Armes zu führen, die Hand stärker abwinkeln musst. Dabei geht viel Kraft verloren. Die Finger verkrampfen schneller, wenn die Schneide auf Widerstand stößt und verlieren auch leichter den Hal«, erklärte der Schmied weiteer, hob die Hand und zuckte mit Ring- und kleinem Finger. »Nicht alle Finger greifen richtig um den Griff.« Im Anschluss bat er sie mit offener Hand, ihm die Waffe zurückzugeben. Sie leistete schweigend Folge und lauschte stattdessen nur gebannt auf seine Worte.
»Du kämpfst anders und Deine Kämpfe sind auch grundsätzlich anderer Natur. Ich glaube, seit Ysgramor hat kaum ein Gefährte jemals wieder auf einem echten Schlachtfeld von Armeen gestanden.« Der Nord reichte ihr eine kürzere Waffe mit gebogenem Heft. »Du fechtest eher so etwas wie Duelle aus. Wenige oder ein Gegner auf einmal. Noch dazu bist Du nicht gerade kraftvoll gebaut, Du legst Wert auf Geschwindigkeit und Geschick, das ist richtig so. Ein gebogener Griff unterstützt das. Probier’s aus.« Einige Augenblicke lang beobachtete Eorlund wie Vesana surrende Schläge in die Luft führte. Scharf pfeifend glitt die Schneide durch den Hauch des Winters. »Die Griffform erlaubt es Dir, die Klinge bei nur schwach angewinkeltem Handgelenk sehr gerade zu führen. Du kannst also mehr Kraft in Deine Schläge übertragen ohne wirklich mehr Kraft für die Hiebe aufwenden zu müssen.« Vesa ließ die Klinge kreiseln und setzte zum Abschluss einen Stich von der Körpermitte aus nach vorn in die Luft. »Andererseits sind vielleicht etwas weniger kraftvoll, da Du nur aus bestimmten Winkeln wirklich effektiv zustechen kannst, ohne das Handgelenk nach oben oder unten abwinkeln zu müssen.« Er hob jedoch gleich beschwichtigend die Hände, als sie sich ihm zuwandte und das Schwert hinhielt. »Das macht jedoch nichts, denn in Duellsituationen sind Stiche deutlich gezielter als auf Schlachtfeldern. Du suchst also Schwachstellen und musst nicht Rüstungen durchdringen.«
Der Schmied nahm die Waffe entgegen und legte sie zurück auf den Tisch. »Was Du brauchst ist also eine gerade, schlanke Klinge und einen gebogenen Griff. Das macht sie leicht und schnell, aber gibt ihr gleichzeitig mehr Kraft in Deinen Schwüngen«, fasste der Nord zusammen. »Und natürlich kämpfen nicht viele Leute dort draußen mit solch feingestimmten Waffen. Du wirst sehen, dass die neugewonnene Flexibilität im Handgelenk für Änderungen im Schlagwinkel den einen oder anderen Vorteil für Dich und eine böse Überraschung für Deine Gegner bereithält.«
»Jetzt, wo Du es so direkt sagst, ja. Da hast Du Recht.«
»Ein Schmied kennt seine Produkte und wofür sie gut sind.« Der Nord ließ sich zu einem grimmigen Zwinkern hinreißen. »Du hast ein Talent für die Klinge, das sehe ich sogar von hier oben, wenn Du unten übst. Du nimmst ein Schwert auf und brauchst zwei, drei Schwünge, dann weißt Du, wie Du mit ihr umzugehen hast. Vermutlich kannst Du es nicht immer erklären, Du weißt es einfach. Aber was ich eben gesagt habe, hilft vielleicht auch Dir noch etwas weiter.
»Ja, das klingt in der Tat sehr gut«, bestätigte sie und lächelte dankbar. »Allerdings wäre eine etwas stabilere Klinge als die letzte und eine Silberveredelung nicht schlecht.«
»Stabiler? Und dann Silber?« Eorlund zog die Augenbrauen zusammen.
»Ja. Das Stahlschwert ist in der Kälte auf Solstheim gebrochen und das Silber ist …«, sie brach bei dem Gedanken an die Untoten im Hügelgrab ab und biss sich schwer durchatmend auf die Zunge. »… nützlich.«
»Gebrochen?« Der Graumähne wirkte schockiert. Die Augen aufgerissen und die Rechte im Bart vergraben. »Das sollte selbst bei der Kälte auf Solstheim nicht passieren. Das ist immerhin Himmelsschmiedenstahl!«
»Mein Gegner hatte … Bärenkräfte«, erklärte Vesa dem Schmied.
»Hmpf. Grundsätzlich ist das machbar. Allerdings dauert das etwas länger als herkömmlich.« Sie nickte lediglich zur Bestätigung. »Sonst noch irgendetwas?«
»Hm, nein. Das wäre soweit alles.«
»Gut. Ich gebe Bescheid, sobald die Klinge fertig ist. Feinheiten an Griff und Scheide lassen sich später anbringen, aber Du warst ohnehin nie sehr für unnötige Verzierungen zu haben, wenn ich mich richtig erinnere?«
»Richtig.« Die Kaiserliche lächelte im zu, auch wenn auf dem rauen, schweiß- und rußverschmutzten Antlitz des Nords wenig davon zurückkam.
»Zwei Wochen, mindestens. Eher drei, aber ich werde Dich zwischendurch noch einmal dazurufen«, bekräftigte er lediglich und Vesana neigte das Haupt zum Abschied.
»Das Holz lasse ich nachher holen«, rief sie ihm über die Schulter zu und verschwand vom Plateau der Schmiede.
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Geändert von Bahaar (30.01.2015 um 12:52 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Nachdem die Kaiserliche das untere Ende der Treppe erreicht hatte, beschleunigte sie ihr Schritttempo zu einem leichten Trab. Es bestand keine Notwendigkeit dafür, sich nochmals ins Innere Jorrvaskrs zu begeben und häuslich warm zu werden. Stattdessen würde sie die Zeit bis Olen eintraf nutzen, sich ein bisschen aufzuwärmen. Also rannte sie zunächst einige Runden um das Gildenhaus bis nicht einmal mehr die feuchten Nebelwolken, die sie mit jedem Atemzug ausstieß, auf den nackten Wangen brannten. Zwar stach die eisige Luft noch an den Ohren, doch das sollte sich bald legen.
Mit den ersten Schweißperlen auf der Stirn begann Vesana die restlichen Übungen in ihre Umläufe einzubauen. Einige Liegestütze und Rumpfbeugen auf dem Übungsplatz, Klimmzüge an den Holzbalken des Vordachs. Das Herz gleich einer Dwemerpumpe trieb es ihr das Blut rauschend durch die Adern und letztlich verschwand auch jedes verbliebene Bisschen Kälte aus ihren Gliedern. Für die Jägerin war es ein befreiendes Gefühl, ließ es doch die Erlebnisse und Erinnerungen der letzten Tage ebenso verblassen wie die Dunstschleier über Himmelsrand die Sonne. Geisterhaft glühte diese als weiße Scheibe im Hochnebel, unfähig diesen zu zerreißen. Vesa nahm es als Ansporn und zog sich grollend ein weiteres Mal am Balken hoch, bevor sie sich auf die Füße fallen ließ und eine weitere, schnelle Runde um Jorrvaskr drehte, die offenen Haare hinter ihr wehend.
Gerade im Liegestütz, wilde Strähnen auf dem gefrorenen Grund unter ihrem Gesicht verteilend, hörte sie knirschende Schritte aus der Richtung der Himmelsschmiede kommend. »Und ich dachte, die Übung wäre reine Schikane gewesen«, grüßte Olen und Vesana hob nur im Ansatz den Kopf, bis sie seine in dicken Stiefeln steckenden Füße erspähte.
Sie beendete ihre Wiederholungen, bevor sie ihm eine Antwort gönnte. »Nichts, das ich mit Dir tue, ist reine Schikane.« Sie setzte sich und begann mit einer Einheit Rumpfbeugen. Die Tatsache, dass ihr der Frost dabei durch die mollige Hose und die unteren Zipfel der Jacke ins Gesäß biss, half ihr trotz schmerzender Bauchmuskulatur dabei, sich zu motivieren und die Repetition möglichst schnell hinter sich zu bringen.
»Schon gut, war ein Witz«, beschwichtigte er und fing sich ein Augenrollend er Kaiserlichen ein.
»Will ich hoffen.« Letzte Station waren die üblichen fünf Klimmzüge am Balken. Inzwischen fiel es ihren Fingern schwerer, Halt auf dem kalten, überfrorenen Holz zu finden, aber da sie sich nun unter den kritischen Augen ihres Auszubildenden bewegte, durfte sie sich keinen Fehler erlauben. Wie sähe es auch aus, wenn gerade sie, die sie ihn striezte und züchtigte, bei ihren eigenen Übungen versagte? Während die Kaiserliche verbissen dort baumelte, erlaubte sie es sich den blonden Nord von oben herab genauer zu mustern. Die Haare wie gewohnt geordnet, wirkte sein grobes Gesicht mit der großen Nase neugierig und gebannt, als hoffte er nur darauf zu sehen, wie seine Mentorin einknickte. Sein kräftiger Leib verbarg sich unter einer blassblauen Jacke mit Fellsäumen, die braune Hose steckte in den hohen Stiefeln. Zufrieden stellte sie fest, dass er daran gedacht hatte das Übungsschwert mitzubringen, das sie ihm am vergangenen Tag nicht abgenommen hatte. Das aufkommende Schmunzeln konterkarierte sie mit einem letzten Klimmzug, bevor sie sich fallen ließ und vor Olen auf die Füße kam.
»Was machen wir heute?«, fragte er schließlich, als sie nicht zu einer neuen Runde um die Halle der Gefährten ansetzte.
»Du wirst erst einmal zwei dicke Planken und genügend Holzkeile von Eorlund auf der Himmelsschmiede holen, um hier auf dem Platz einen Steg zu bauen«, erläuterte sie und deutete mit dem Zeigefinger an ihm vorbei. »Das heißt: Du wirst einen solchen gleich bauen.« Olen nickte und wandte sich zum Gehen, hielt jedoch inne, als er merkte, dass Vesana nicht folgte sondern sich selbst dem Eingang zu Jorrvaskr zuwandte. »Ich bin schon warm«, strafte sie ihn scharf ab und machte sich daran, etwas zu trinken aufzutreiben.
»Hat Dich Olen gescheucht?«, lachte Vilkas, als er sie mit wohl deutlich rotem Gesicht und anhaltenden Schweißperlen an den Schläfen eintreten sah.
»Träum‘ weiter.« Sie blieb neben dem Nord, der noch immer allein am großen Tisch der Halle saß, stehen und griff an ihm vorbei zum Tonkrug. Ohne sich einzugießen, stürzte sie das kühle Nass hinter.
»Hast Du das Holz bekommen?«
»Olen holt es gerade, ja«, erwiderte sie und stellte das Gefäß auf dem massiven Holz der Tafel ab.
»Nett von ihm.« Er bemühte sich um Ernsthaftigkeit in der Stimme, aber ein müdes Feixen durchbrach die Maskerade. Vesa schmunzelte und klopfte ihm mit der Linken auf die Schulter. »Viel Spaß.«
Sie nickte ihm zu und kehrte auf die kalte Terrasse zurück. Der blonde Nord kam im selben Moment mit je einem Brett unter einem Arm um die Ecke des Gildenhauses. »Leg‘ sie direkt in die Mitte des Platzes«, wies sie ihn mit erhobener Stimme an, damit er sie auch hörte. Das Gewicht des gefrorenen Holzes schien ihm deutliche Scheuklappen zu verleihen. Regelrecht erschrocken und hastig hob er das Kinn und blickte erst irritiert, dann erkennend zu ihr hinüber. Im Gehen zog er die Augenbrauen hoch. »In die Mitte«, wiederholte sie langsamer und deutete mit dem Zeigefinger auf die Planken. Olen ließ sie an der Stelle fallen und laut dröhnend klatschten sie auf den Boden, dass es ihr in den Ohren stach.
»Wie viele Scheite?«, wollte er wissen und rieb die vom eisigen Druck sicherlich taub gewordenen Finger aneinander.
»Sechs sollten reichen«, erwiderte Vesa und trat näher. Ihr Auszubildender verschwand mit eiligen Schritten. Derweil begann sie damit das Holz mit den Fußspitzen in Position zu schieben. Sie musste sich eingestehen, dass es schwerer war, als es aussah, aber es mochte wohl gerade das Richtige für Olen sein. Eine kleine Kraftübung zum Aufwärmen schadete ihm gewiss nicht. »Baue uns einen Steg, drei Scheite pro Brett«, wies sie den Nord an, als er mit einem Stapel Klötzer zurückkehrte. »Während Du das tust, fasse mir noch einmal zusammen, was wir gestern alles geübt und gelernt haben.«
Wie ein hungriger Wolf pirschte die Kaiserliche um den sich hinknienden Nord und beobachtete seine Bewegungen. Die Finger zitterten trotz der Handschuhe, die er trug. Eiskristalle bildeten sich in seinem kurzen Bart und schmolzen kurz darauf wieder. »Wir haben mit einer Verfolgungsjagd begonnen. Du warst schneller als ich-«
»Falsch«, unterbrach sie ihn und sorgte für ein vorrübergehendes Stocken seiner Bewegungen.
»Aber Du bist bis auf ganz zum Schluss stets vorausgerannt, das bedeutet, dass Du schneller gewesen bist.« Der Blondschopf blickte auf, erst fragend, dann mit Verwirrung in den dunkelbraunen Augen. »Nicht?«
»In einem Wettlauf zu führen bedeutet nicht immer der Schnellere zu sein«, erwiderte Vesana und fuchtelte mit der Linken, damit er weiter an ihrem Steg arbeitete. »Womit habe ich Dich abgeschüttelt?«
»Mit … Änderungen des Laufweges?«
»Richtig. Und glaubst Du, diese Änderungen hatten irgendetwas damit zu tun, dass ich schneller gewesen wäre, als Du?«
Olen schwieg einen Moment und bockte den letzten Holzklotz unter das erste Brett. »Nein«, antwortete er schließlich, klang dabei jedoch sehr unsicher und sprach gedämpft. »Nein«, wiederholte er einen Moment später bestimmter.
»Gut. Weiter, was noch?«
»Du hast mich verprügelt, während wir gerannt sind.«
»Und wie das?«
»Du hast mich überrascht … und warst schneller.«
»Richtig. Und falsch.« Abermals blickte der Nord zu ihr auf, Augen weit geöffnet und die Stirn gerunzelt. Musste sie ihm denn wirklich alles vorkauen? Sie seufzte gedehnt. »Ich habe Dich überrascht, ja. Aber ich war nicht schneller als Du. Zumindest wäre ich es nicht gewesen, hättest Du richtig reagiert«, erklärte Vesa. Olen sagte keinen Ton und werkelte stattdessen weiter am zweiten Brett herum. »Spätestens nach dem dritten Mal hättest Du doch merken müssen, dass es nicht funktioniert, das Schwert zu ziehen, um meinen Schlag zu blocken oder abzulenken, meinst Du nicht auch?«
»Was hätte ich denn sonst tun sollen?«, schnaufte er und stand fahrig auf, als der letzte Keil unter der Planke lag.
Die Kaiserliche legte das Haupt kaum merklich schief und lächelte dünn. »Ausweichen?«
»Blödsinn!«
»Wohl kaum. Ich habe viel Schwung in meine Schläge gelegt. Ließest Du sie ins Leere laufen, hätte mich das aus der Balance gebracht und in der Zeit, die ich benötigt hätte mich zu fangen, wäre es Dir ein Leichtes gewesen Dein Schwert zu ziehen«, konterte sie und hüpfte unbekümmert auf den gebauten Steg. Das Holz bog sich ächzend, berührte jedoch nicht den Boden zwischen den Klötzen und wippte stattdessen mit jedem ihrer Schritte. Die Hände auf dem Gesäß ineinandergelegt lief die Jägerin zum anderen Ende der Konstruktion. »Weiter, was hast Du noch gelernt?«
»Zum Schluss war ich schneller, allerdings hast Du mir kurz darauf den Weg abgeschnitten«, führte der Nord weiter aus.
Sie nickte. »Das ist zweimal richtig. Mit der kleinen Korrektur, dass Du immer schneller warst. Warum konnte ich Dir den Weg abschneiden?« Sich dem Nord zuwendend bedeutete sie ihm, ebenfalls auf ihren Steg zu treten.
»Du … kanntest einen besseren Weg«, entgegnete Olen und tat wie ihm geheißen.
»Richtig. Was war so schwer daran, dass zu verstehen?« Ihr Auszubildender schüttelte ratlos den Kopf. »Die letzten beiden Erkenntnisse sind die wichtigsten, Olen. Merke sie Dir gut. Egal wie schnell Du glaubst zu sein: Es gibt immer jemanden, der unter den richtigen Umständen schneller ist als Du. Auf gerader Linie holst Du mich nicht nur unverzüglich ein, sondern hängst mich auch ebenso schnell ab. Jeder noch so kleine Fehler Deinerseits kann diesen Vorteil aber schnell zunichtemachen«, führte Vesana aus. »Der größte Vorteil, den Du Dir je aneignen kannst, ist das Terrain um Dich herum besser zu kennen, als Deine Widersacher. Geschick und Trittsicherheit sind dann wertvoller als schnelle Schritte.« Die dunklen Augen des Nords funkelten, flammten regelrecht mit dem Feuer der Erkenntnis, als die Kaiserliche ihre Ausführungen beendete. Einen Mundwinkel leicht nach hinten gezogen, erweichte sie sich zu einem aufmunternden Lächeln.
Kurz darauf zückte sie das Übungsschwert aus der Scheide auf dem Rücken. »Du wolltest Übungen mit dem Schwert? Bitte.« Ihr Gewicht legte sie auf das rechte Bein, hielt die hölzerne Klinge schräg vor den Leib und hielt die übrigen Glieder hinter dem Körper. Aufregung stieg in ihr auf, wie sie es immer vor einem Kampf tat, brachte das Herz zum Rasen und beschleunigte den Atem, den sie mühsam und gezwungen wieder verlangsamte. Der Nord schluckte deutlich am Hals sichtbar und zog seine eigene Waffe, hielt sie jedoch nach wie vor sehr verkrampft. »Ein Schwert ist im Kampf mehr als nur ein Werkzeug«, sprach Vesana weiter, setzte aber im gleichen Augenblick einen schnellen Nachstellschritt nach vorn und hieb, die Spitze des Schwertes in einer Bogenbahn von ihrer linken auf die rechte Seite schwenkend, nach Olens Brust. Ungelenk und stümperhaft riss er seine Klinge herum. Rechtzeitig, um ihren Schlag mit dumpfem Hämmern abzufangen, aber nicht geschickt genug, um in der Balance zu bleiben. Rücklings taumelte er vom Brett. »Es ist ein Teil von Dir«, erläuterte die Jägerin und nahm ihre Ausgangsposition ein.
»Ein Teil von mir?« Der Nord stieg zurück auf den Steg.
»Der Verlauf einmal begonnener Bewegungsabläufe lässt sich vorhersagen. Ein Schwert, oder auch jede andere Waffe, ist eine Verlängerung Deiner Arme und somit durch die Bewegung dieser bestimmt«, setzte sie fort und ließ diesmal die Spitze sinken, dass sie ihn am Knie traf, ohne dass er seine eigene Waffe überhaupt nahe ihrer brachte. »Es gibt Spielraum im Handgelenk, aber Schwünge aus den Armen können nicht einfach mitten im Verlauf abgebrochen und in eine andere Richtung gelenkt werden«, bekräftigte Vesa ihre vorherige Aussage und führte einen langen Bogen über den Kopf auf die Schulter seines Schlagarms. Er blockte, stolperte jedoch abermals vom Brett. »Gleichgewicht, Olen, Gleichgewicht. Du stehst falsch«, tadelte sie und kaum stand er erneut auf den Planken hieb sie auch schon wieder zu. Es waren keine sehr kraftvollen Schläge, sie wollte ihn nicht sofort mit blauen Flecken und Prellungen zu Boden senden, aber immerhin stark genug um zu schmerzen. »Fühle Dein Schwert. Die Vibrationen nach einem geblockten Schlag, das Surren wenn es durch die Luft schneidet. Sein Gewicht gehört zu Deinem Körper, gleiche es aus, egal wo es sich befindet.«
Gerade wollte die Kaiserliche zu einem erneuten Angriff ansetzen, da kam er ihr zuvor und preschte los. Er stach zu. Ein an der nahe am Körper geführten Waffenhand leicht vorhersehbares Manöver. Geschickt schlug sie seine Klinge mit der ihren nach oben weg und drehte sich so ein, dass sie ihn am Schlagarm packen konnte, als er durch seinen Schwung an ihr vorüberstrauchelte. Sie nutzte seinen massigen Leib, um sich auf dem Brett zu halten und wirkte für ihn gleichzeitig als destabilisierendes Gewicht. Mit dem nächsten Schritt traf er nur noch auf die Kante des Brettes und stürzte als Folge zu Boden. Stöhnend wälzte er sich auf dem hartgefrorenen Grund und spuckte roten Speichel, als er sich versuchte aufzurichten.
»Steh auf, wir sind noch nicht fertig«, trieb ihn Vesana an und er hob beschwichtigend die Linke. Als sich Olen ihr zuwandte, sah sie, dass er sich auf die Lippe gebissen hatte. Nichts Schlimmes also, die Übung konnte weitergehen. »Ein nettes Manöver, aber sehr ungestüm und vorhersehbar.« Lob und Tadel, Zuckerbrot und Peitsche. Daran würde er sich gewöhnen müssen, egal wie grimmig ihre Worte sein Gesicht jetzt auch verzerren mochten. »Also nochmal von vorn.«
Abermals überließ sie ihm den Angriff, gespannt, was er sich einfallen lassen würde. Es folgte ein gegen die Hüfte geführter Hieb mit kräftigem Schwung aus der Schulter, dem die Jägerin mit einem schnellen Schritt nach hinten entging. Doch danach geriet sogar sie ins Straucheln. Aus dem Nichts heraus wechselte er die Schwerthand und stach zu als er sich in die entgegengesetzte Richtung eindrehte. Im letztmöglichen Moment lenkte Vesa die hölzerne Schneide ab, hieb ihm die Faust gegen die rechte Schulter und zog die eigene Waffe quer über den Unterarm noch bevor der Nord damit begann nach hinten in den Dreck zu fallen.
Vor Überraschung schwer atmend und das Herz schmerzhaft krampfend brachte sie zunächst keinen Ton hervor, als sie Olen rücklings zu ihren Füßen liegend betrachtete. Auch sein Brustkorb hob und senkte sich schwer und schnell. Sein Übungsschwert war ihm entglitten und lag außerhalb der Reichweite seiner Arme. »Wechsle im Kampf niemals die Schwerthand, wenn Du es nicht tausendmal vorher geübt hast!«, fuhr sie ihn an und trat ihm wuchtig gegen den Unterschenkel dass er aufstöhnte.
»Au!«, fluchte er und zog die Beine an. »Warum?«
»Weil sonst sowas hier passiert. Deine Zweithand ist schwächer, ungeschickter und die anfängliche Überraschung kann schnell umschlagen und tödlich für Dich enden«, mahnte sie anschließend ruhiger, aber noch immer mit leisem Grollen im Unterton.
»Wie soll ich meine Gegner denn dann überraschen, wo doch meine Schläge so berechenbar sind?« Sprachlos starrte sie ihn einige Herzschläge lang an. Erst nach und nach verzog sich ihre steinerne Miene in ein breites, die Zähne entblößendes Wolfsgrinsen. Um nicht zu Lachen, biss sich Vesa auf die Zunge und verlegte sich dann auf ein einfaches Schmunzeln. Vielleicht mochte doch noch etwas aus ihm werden.
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Geändert von Bahaar (06.02.2015 um 14:07 Uhr)
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Provinzheld
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»Eine gute Frage«, lobte sie Olen, wandte sich ab und lief zu ihrem Ende des Stegs zurück. »Nochmal von vorn.« Der Nord rappelte sich schwerfällig auf, nahm seine Übungswaffe und kehrte zu seiner Ausgangsposition zurück. Seine Bewegungen wirkten noch immer fahrig, regelrecht ungelenk, ohne Grazie und Form, aber das würde sie ihm früh genug austreiben, dessen war sich Vesa inzwischen sicher. Wie allen seines Volkes schien auch ihm eine angeborene Affinität zum Kampf innezuwohnen, er musste das nur noch begreifen, dann würde sie auch einen passablen Schwertkämpfer aus ihm zaubern können.
»Du hast im Kampf mehrere Möglichkeiten, Deinen Gegner zu übertölpeln«, begann sie zu erklären, atmete ein letztes Mal tief durch und versuchte das wild bis zum Hals schlagende Herz zu beruhigen, dann eilte sie auf ihren Auszubildenden zu. »In Deinem Fall … sind es vier … wesentliche … Grundsätzlich hängt ... es aber vom … Einzelnen ab, was … ihm offensteht«, setzte sie zwischen eher langsamen Hieben abgehackt fort. Der Schlagabtausch endete, als die Kaiserliche dem Blondschopf die hölzerne Klinge an die Kehle setzte. »Was denkst Du, was Dir offensteht?«
Schwer atmend gingen die Beiden auseinander und Vesana wischte sich dicke Schweißperlen aus den Brauen. Ein kurzer Blick in den Himmel verriet ihr, dass die Sonne allmählich doch die Oberhand gewann und die trüben Dunstschleier auflöste. Sie also nach und nach Väterchen Frost doch noch zurück. Der Jägerin sollte es recht sein. Olen musterte sie bereits, als sie sich schließlich umdrehte und die Klinge hob. »Also?«, fragte sie erneut.
»Kraft, schätze ich«, antwortete er.
»Richtig. Körperlich schwächere Gegner lassen sich durchaus mit Gewalt einschüchtern oder überwältigen. Für jemanden Deiner Statur eine sehr effektive Methode, allerdings auch eine, die sich schnell aushebeln lässt«, erklärte Vesa und wartete noch ab, bevor sie angriff.
»Hmm. Schnelligkeit?«
»Richtig. Bist Du schneller als Dein Gegner, kannst Du seinen Schlägen ausweichen und ihn so aus der Balance bringen, oder aber ihn mit Deinen eigenen Schlägen treffen, bevor er eine Abwehr zustande bringen kann«, führte die Kaiserliche aus und setzte schnelle Nachstellschritte auf ihn zu. Ein angedeuteter Stich auf die Brust brachte Olen dazu in einem Versuch ihn abzulenken sein Schwert von schräg oben nach unten zur Seite schwingen zu lassen. Noch bevor die hölzernen Schneiden aufeinandertrafen ließ Vesana ihre Waffe im Handgelenk kreiseln und so über der Waffe ihres Kontrahenten zu einem weiteren Stich bereit auftauchen. Die Spitze in die Mulde unter seinem Kehlkopf zu legen setzte dem Manöver nur noch die Krone auf.
»Geschick, wie mir scheint«, fasste der Nord den Schlagabtausch zusammen und erntete ein schmales, zufriedenes Lächeln seiner Ausbilderin.
»Richtig. Täuschungen, Finten, und Flexibilität in den Gelenken – nicht nur die im Schwertarm – erlauben es Dir, Deinen Gegner auszutricksen.« Um ihre Worte zu unterstreichen wippte sie kurz aus den Sprunggelenken auf und ab. »Wichtig dabei ist aber, dass Du das richtige Maß findest, denn eine zu kraftvoll geführte Finte kann schnell die Dynamik eines normalen Angriffs entwickeln und sich entsprechend nur noch schwer abbrechen lassen.« Erst jetzt nahm sie ihre Waffe von seinem Hals und brachte einige Schritte Abstand zwischen ihn und sich. »Was bleibt noch übrig?«
Olen senkte seine Waffe und starrte in die Luft, als er überlegte. Umstandslos nutzte die Jägerin das aus und rannte ansatzlos los. Lang bevor sich der Nord wirklich gewahr wurde, was geschah, klatschte die flache Seite ihres Schwertes seitlich gegen sein Gesicht. Scharf sog er Luft in die Lungen und taumelte mit einer Hand an der Wange vom Steg herunter. »Aauu!«, brüllte er und beugte sich schleifend atmend über seine eigenen Knie.
»Nimm niemals die Augen von jemandem, der eine Waffe auf Dich richtet, egal ob in einer Übung oder ernsthaften Konfrontation«, mahnte Vesa und nahm ihre Ausgangsposition ein.
»Und was ist, wenn ich es mit mehreren zu tun kriege?« Seine linke Gesichtshälfte glühte feuerrot, als er sich ihr zuwandte und zu ihrer Konstruktion zurückkehrte.
»Schärfe Deinen Sinn für die Geschehnisse am Rand Deines Sichtfeldes und halte Deinen Rücken frei«, antwortete sie. »Aber wir schweifen ab. Der vierte Weg, wie Du Deine Gegner übertrumpfen kannst.«
»Ich weiß es nicht.« Nochmals rieb sich der Nord über die glühende Wange und hob erst danach die Waffe. Seine Bewegungen erschienen allmählich träger, sein Atem anhaltend stoßweise. Die Auseinandersetzung zeigte Spuren, deutliche Spuren. Die Jägerin wunderte es nicht. Natürlich merkte auch sie das Ziehen in den Muskeln, das Ächzen der Gelenke und die hohe Schlagfrequenz ihres Herzens. Doch im Vergleich zu dem ungeübten Nord wusste sie damit umzugehen und sich an der anfänglichen Erschöpfung eher zu laben denn sich niederringen zu lassen. Diese aufkommende Müdigkeit war etwas, das jeder Kämpfer zu schätzen lernen musste, denn sie bedeutete, dass er noch lebte und der Kampf zumindest nicht zu seinen Ungunsten verlief. Natürlich zog das nach sich, dass auch der Gegner nicht grundsätzlich unterlegen war, aber ein guter Duellant offenbarte seine Trümpfe ohnehin nie, bevor er die erste Erschöpfung an den Rand verdrängt hatte. Überraschungen mussten für den richtigen Moment aufgespart und durften nicht ungelenk verpulvert werden.
»Verrate mir: Wie fühlst Du Dich?«, versuchte Vesana ihn schließlich auf die richtige Spur zu führen.
»Etwas ausgezehrt, erschöpft«, gestand Olen.
»Das sehe ich. Glaubst Du, das wird Deinen Gegner großartig anders gehen?«
Er schüttelte das Haupt. Noch während er es tat blieb ihm der Mund offen stehen und weiteten sich seine Augen in Erkenntnis. »Aaah, Ausdauer.«
Die Kaiserliche nickte. »Richtig. In ausgeglichenen Kämpfen entscheidet nicht das Geschick, die Kraft oder Schnelligkeit – sonst wären sie wohl auch nicht ausgeglichen. In solchen Auseinandersetzungen geht es einzig und allein darum, wer den längeren Atem besitzt. Müdigkeit provoziert Fehler. Wer zuerst müde wird, hat in der Regel verloren.«
Er hob sein Schwert, bereit für einen neuerlichen Schlagabtausch. Durch die trübe Müdigkeit, die sich auf seinen Zügen zeigte und den Blick vernebelte, flammte etwas in seinen dunklen Augen auf, das zweifelsohne Kampfeslust sein mochte. Auch die Kaiserliche griff fester um ihr Heft und hob die Spitze der Waffe ein Stück. Schnell folgten die anschließenden Schläge. Einen kurzen Stich gegen ihre Hüfte abgelenkt, setzte er mit einer Aufwärtsbewegung gegen ihre Schulter fort. Sie fing ihn mit der Parierstange ab und trat ihm, noch während sie ihre Waffen bewusst verkeilte, vor das Knie. Stöhnend taumelte er zurück und hob nur mühevoll das Schwert zum Block, als ihre Schneide auf ihn niedersauste.
Das Spiel drehte sich um und diesmal verfing sich ihre Klinge an seiner Parierstange. Genau so, wie sie es wollte. Mit einem schnellen Ausfallschritt trat die Jägerin auf Olen zu, drückte ihr Schwert mit dem Gewicht ihres Leibes herum und hebelte so die gegnerische Waffe aus dem Weg. Den Knauf schlug sie ihm zum Abschluss der Bewegung kraftvoll gegen die Stirn. Der Nord stürzte nach hinten vom Steg in den allmählich auftauenden Dreck. »Dein Schwert besteht aus mehr als nur der Klinge, merke Dir das.« Er nickte und setzte sich auf. Eilig zog er sich die Handschuhe von den Fingern und löste das Lederband, das seine Haare zusammenhielt. Zahllose Strähnen hatten sich aus dem Pferdeschwanz gelöst und waren ihm wild ins Antlitz gefallen, jetzt versuchte er sie wieder zu zähmen. Unterdessen verstaute die Kaiserliche ihre Übungswaffe in der Scheide auf dem Rücken, hob die Hände vors Gesicht und atmete einige Male tief durch, sog den Duft des alten Leders ein und genoss die Wärme des eigenen, zurückgestauten Atmens auf der Haut.
»Deine Gegner haben dieselben Möglichkeiten, Dich in die Irre zu führen«, setzte sie schließlich an und ließ ihren Blick auf ihm haften bleiben. »Und keiner der Wege wird Dir allein zum Sieg helfen. Wechsle ab, um unberechenbarer zu werden«, erklärte sie und starrte ihm ins verkrampfte Gesicht. Einige Adern standen unter der Haut hervor, sein Atem zeichnete sich als konstante Dunstwolke vor ihm ab. Es bestand kein Zweifel, dass ihn die Übung erheblich angestrengt hatte. Dennoch wusste Vesa auch, dass seine volle Aufmerksamkeit auf ihr lag. Nicht überraschend, aber zufriedenstellend.
»Gibt es noch mehr Möglichkeiten, einen Gegner im Kampf zu überraschen, als diese vier?«, fragte Olen im Aufstehen und verstaute seine eigene Waffe im Anschluss.
»Ja. Magie beispielsweise. Allerdings sind das Wege, die an sich nichts mehr mit dem eigentlichen Kampf mit der Waffe zu tun haben«, entgegnete sie und trat vom improvisierten Steg hinab. So richtig wurde ihr erst jetzt wieder bewusst, wie groß ihr Auszubildender eigentlich war. Er konnte ihr beinahe auf den Kopf spucken, so er denn wollte. Ein Hüne wie Farkas, nur nicht gar so muskelstrotzend. »Und als solche werden werde ich sie Dich nicht lehren können«, fügte sie sicherheitshalber hinzu. Olen nickte nur.
»Ich nehme an, nicht alle Wege stehen jedermann gleichermaßen offen?«, sprach der Nord weiter, als sie gemeinsam zur Terrasse hinüberschritten.
»Korrekt. Nicht jeder hat den Vorteil langer Arme oder kräftiger Statur.«
»So wie Du, zum Beispiel.«
Sie schmunzelte und stieß Luft durch die Nase aus. »Ja, zum Beispiel. Andererseits ist nicht jeder flink wie ein Wiesel. Die Mischung aus den verschiedenen Möglichkeiten muss jeder für sich selbst bestimmen. Farkas beispielsweise ist groß und somit langsamer. Durch den Zweihänder sind seine Schwünge gleichzeitig auch nahezu unmöglich zu Blocken, möchte man sich nicht gerade den Arm brechen. Da er mit einem zweihändigen Schwert aber auch nicht alles Blocken kann, trägt er dicke Rüstungen. Für jemanden, der nicht so kräftig ist, sind leichte, weniger einengende Rüstungen und kürzere Klingen besser, um die Geschwindigkeit nicht einzuschränken.« Die Beiden setzten sich an einen der Tische. Vesa löste ihre Augen kein einziges Mal von ihm. Sie wollte sehen, wie er ihre Worte aufnahm und ob seine Aufmerksamkeit ungeteilt ihr galt. Nichts war für einen Kämpfer so tödlich wie eigene Unachtsamkeit und sie würde ihm das noch schmerzhaft einprügeln, sollte er es nicht von selbst erkennen. »Wir werden in Zukunft weniger Theorie behandeln und mehr üben. Immer und immer wieder, bis Du Deinen eigenen Weg gefunden hast.«
»Klingt gut«, meinte Olen leichthin und lächelte.
»Schauen wir mal, wie lange Du das noch so siehst.« Seine Miene verfinsterte sich wieder, als ihm wohl dämmerte, dass sie bis eben eigentlich nur gespielt hatten. Für die Dauer einiger Herzschläge schloss der Nord die Augen und atmete durch. Schon darauf lauernd, brauchte die Kaiserliche nur noch über den Tisch langen und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, die trotz des weichen Handschuhs zweifelsohne schmerzen würde. Genau dort, wo sie ihn zuvor schon mit der flachen Seite des Schwertes gewatscht hatte, glomm nun ein neuer roter Fleck. »Verdammt! Ich dachte, wir wären in der Pause!«, brummte ihr Auszubildender und rieb sich mit in Zorn zusammengezogenen Augenbrauen über die Haut des Antlitzes.
»Wir sind in der Pause, wenn ich sage, dass wir in der Pause sind. Nicht vorher wenn Du es gerne hättest«, konterte sie und spitzte die Lippen. »Jetzt sind wir in der Pause. Geh etwas essen und ruh Dich aus.« Damit erhob sich Vesana und schritt an ihm vorüber auf den Eingang des Gildenhauses zu. An der Pforte hielt sie aber noch einmal inne und blickte über die Schulter zu dem Nord zurück, der sich noch immer die Wange hielt, ihr ansonsten aber den Rücken kehrte. »Eines noch«, begann sie und beobachtete Olen, wie er sich im Stuhl zu ihr umdrehte. »Unterschätze Deine Gegner nie.« Er nickte lediglich und die Jägerin trat in die Halle der Gefährten ein.
Die warme, stickige Luft brannte regelrecht auf der Haut und in den Augen, als sie die Tür hinter sich ins Schloss drückte und somit die kalten Vorboten des Winters aussperrte. Als hätte sie jemand in eine Räucherkammer gesteckt, kratzte ihr die Wärme und Trockenheit in den Atemwegen. Der Duft von altem Essen und verschüttetem Alkohol verstärkte dieses Gefühl nur noch. Leise und laute Stimmen drangen aus allen Teilen des Raumes zu ihr hinüber. Leben war nach Jorrvaskr zurückgekehrt. Einige Welpen halfen Tilma dabei, die Spuren des vergangenen Abends zu beseitigen, andere hingen zusammengesackt und noch immer trunken wirkend in Stühlen oder stützten die schweren Köpfe über die Arme auf die Tische. Vilkas war verschwunden, oder zumindest sah sie ihn nirgends. Auch die übrigen Zirkelmitglieder machten sich rar. Lediglich Athis als eines der älteren Mitglieder der Gemeinde bemühte nahe der Kammer für Vorräte und Tilmas Habe einen Besen. Ein buntes Durcheinander, das stand fest, und niemand interessierte sich dafür, dass Vesa eingetreten war.
»… den Gefangen wohl härter rannehmen, der schweigt wie ein Grab«, überhörte die Kaiserliche im Näherkommen eine Gruppe jüngerer Mitglieder, die an der langen Tafel saß und die Köpfe zusammengesteckt hatte. Gefangener? Vesa verlangsamte ihre Schritte zum tonlosen Schleichen und spitzte die Ohren.
»Denkst Du? Gib ihm noch einen Tag, dann bricht er«, redete ein anderer.
»Härter rannehmen werden sie ihn bestimmt nicht. Sonst hätten sie’s ihr schon gesagt«, sprach der Dritte im Bunde.
Der Kaiserlichen zog sich der Magen zusammen, ballten sich die Hände zu Fäusten. Ihr zersprang das Herz in der Brust und noch während sich die drei Nord am Tisch gegenseitig zunickten, trat sie hinter sie. »Was für ein Gefangener?«, zischte Vesana mit bebenden Lippen. Ein kräftiger Ruck, als wären sie gleichzeitig vom Blitz gerührt, fuhr durch die drei Welpen. Furchtsam blickten sie über die Schultern hinter sich und anschließend zu ihr auf. Die Kiefer der Kaiserlichen mahlten dass ihr die Zähne schmerzhaft knirschten. »Welcher … Gefangene?«, presste sie hervor und packte den nächsten der Welpen am Kragen.
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Quiekend wand sich der junge Nord mit dunklen Haaren unter ihrem Griff und grabschte nach ihrem Unterarm. Vergebens versuchte er sich zu befreien. Er schwieg weiterhin auf ihre Frage und seine beiden Kumpane betrachteten das Geschehen mit rotstarrenden, weiten Augen. Zweifelsohne litten sie alle noch an den Nachwirkungen des Gelages am Vorabend. Wuchtig stieß Vesa den gepackten Frischling von sich, dass er nach vorn sackte und mit der Schulter gegen die Tischkante krachte. Leise stöhnte er und rieb sich die Stelle. Seine Antwort wäre ohnehin nur zur Bestätigung gewesen. Unterschwellig wusste sie bereits, dass die Welpen von einem Gefangen in ihrem Hause sprachen und auch, um was für einen es sich handelte. Ansonsten gäbe es keinen Grund, es ihr vorzuenthalten.
Von einem wütenden Sturm aus Wespen im Bauch geplagt, stampfte die Kaiserliche hinüber, wo sie zuvor Athis ausgemacht hatte und fand ihn noch immer dort. Offenbar hatte er nicht mitbekommen, was sich eben an der Tafel abgespielt hatte. Gut für sie. »Wo ist er?«, verlangte sie zu wissen und erntete einen selbst für sie bei dem Dunmer leicht zu erkennenden Blick der Irritation. Aufgerissene Augen, ein Biss auf die Zunge und verzogene Augenbrauen sprachen jedoch gleich darauf Bände. »Wo ist er?«, wiederholte sie nachdrücklicher und zog sich die Handschuhe aus. »Ich frage nicht noch einmal.«
Der Elf hob beschwichtigend die Hände und ließ dabei den Besen fallen. »Ich weiß nicht, wovon Du redest«, entgegnete er, sein Gesicht gewann die übliche, undurchdringliche Festigkeit zurück.
»Lügner!«, knurrte sie ihn an und hieb ihm den Handballen von unten gegen das Kinn. Stöhnend stolperte der Dunmer nach hinten, trat auf den Besenstiel und stürzte zu Boden. Geistesabwesend tastete er mit den Händen am Kiefer herum, um sicherzugehen, dass sie ihm nichts gebrochen hatte. Mit vor Zorn geöffnetem Mund, hektisch atmend und die Augen weit aufgerissen beugte sich Vesana über ihn. »Beim nächsten Mal breche ich Dir wirklich ‘was.« Athis schluckte schwer, antwortete jedoch nicht.
Plötzlich griff sie jemand von hinten, schlang die kräftigen Arme um sie und hielt ihre eigenen so gefangen. »Lass mich los!«, keifte sie, zappelte mit den Beinen und versuchte vergebens die Unterarme so anzuwinkeln, dass sie mit den Händen die Glieder ihres Fängers zu fassen bekam. Wild knurrte und grollte sie, trat mit den Fersen blind auf den Boden, in der Hoffnung fremde Füße zu erwischen.
»Beruhig Dich, Vesa«, brummte Skjor so dicht hinter ihr, wie sie ihn noch nie zuvor an sich hatte. Sie spürte seinen Atem an ihrem Ohr und die Bartstoppeln seines kantigen Kiefers rieben ihr durch das Haar über die Kopfhaut.
»Beruhigen?!« Athis stand gerade auf. Kurzerhand drückte sie sich vom Boden ab und während Skjor den Schwung versuchte abzufedern und sie in der Luft hielt, trat sie dem Dunmer gegen die Brust, um den Nord hinter sich aus der Balance zu bringen. Gemeinsam stürzten sie zu Boden und Skjor gab in der Überraschung seine Umarmung frei. Noch bevor er sich aufrappeln konnte, rollte die Kaiserliche von ihm runter und zog in der Bewegung das Holzschwert. »Bleib bloß weg von mir!«, fauchte sie ihn im Knien an, Tränen begannen ihre Sicht zu trüben. Wut und Enttäuschung rangen miteinander, ließen ihre Finger zittern und schwach werden. Dennoch wussten es Athis, Skjor und der in diesem Moment dazustoßende Vilkas besser, als ihr zu nahe zu kommen.
Hinter Vesana öffnete sich unvermittelt die Tür zur Vorratskammer. Reflexartig schnappte der Kopf der Jägerin herum. »Was geht denn hier dra-«, setzte Njada an, brach jedoch ab, als sie mit verschlafen wirkendem Blick die Szene aufnahm. »Oh, Scheiße.«
»Ganz schlechter Zeitpunkt«, brummte Athis, der sich noch immer den Kiefer rieb, »ganz schlechter Zeitpunkt.«
»Geh wieder rein«, wies Vilkas sie an. »Vesa, beruhig Dich«, setzte der Nord in dunkler Tunika fort und half Skjor, der sich ebenfalls dunkel kleidete, auf die Füße. »Bitte.«
»Wiss- … Wissen … eigentlich alle – außer mir – dass wir ei- … einen … Gefangenen der Silbernen Hand im Hin- … Hinterzimmer haben?« Sie wollte schreien, wollte ihnen in schallenden Tönen um die Ohren hauen, wie tief dieser Dolchstich saß. Doch fehlte ihr zunehmend die Klarheit im Kopf. Wild kreiselten ihre Gedanken, rangen die Gefühle im tosenden Sturm, ließen ihre Worte immer wieder abreißen. »Hm?!«
Der Nord senkte betreten das Haupt. Er wusste nur zu gut, wie sie sich fühlen musste. Langsam senkte er die Arme, die er beschwichtigend gehoben hatte und ging anschließend auf ein Knie hinab. »Vesa, bitte, lass es mich erklären.« Per kurzem Handzeig bedeutete das Zirkelmitglied Athis, sich zurückzuziehen. Skjor nahm etwas abseits Platz, Worte gehörten nicht zu seinen Stärken. Das war Vilkas Aufgabe.
»Erklären?!«, giftete sie. Neue Wut flammte in ihr auf, beflügelte die Zunge. Wie konnte er es überhaupt wagen? Wie konnte es irgendeiner von ihnen wagen? »Ihr hattet kein Recht!«, grollte sie ihm entgegen. »Kein. Recht!«
»Es Dir vorzuenthalten?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das hatten wir nicht«, räumte er ein und nahm ihrem Zorn den Fahrtwind. Zurückblieb die Enttäuschung und ihr Schmerz. Auf einmal kraftlos geworden, entglitt ihren Fingern das Übungsschwert. Dumpf landete es auf den groben Steinen, überschlug sich und blieb schließlich liegen noch bevor Vesana auf das Gesäß zurücksackte. Vorsichtig schob Vilkas die hölzerne Waffe beiseite und kam näher. »Vesa, es tut mir leid. Vielleicht hätten wir es Dir gleich sagen sollen, aber wir wussten nicht, wie Du reagieren würdest. All die Geschehnisse, das Hügelgrab, Hrothluf … Das hier zeigt, dass wir nicht so falsch damit lagen, an Deiner Verfassung zu zweifeln«, versuchte sie der Nord von seinem Standpunkt zu überzeugen und legte ihr dabei eine Hand auf die Schulter.
Vergebens. Ihr trockneten die Tränen aus und die bebenden Lippen erstarrten zu Stein. Mühsam musste Vesa den Kiefer aus seinen verkrampften Ankern lösen. »Ich will ihn sehen«, hauchte sie zum schneidend dünnen Flüstern gedämpft.
Der Nord senkte die Augen und atmete tief durch. »Was willst Du mit ihm machen?«
»Ihn sehen, während Du mir alles über ihn erzählst, das ihr wisst.«
Abermals verschnaufte der Nord, nickte dann jedoch, ohne die Augen zu heben. »In Ordnung.« Er stand auf und Vesana folgte seinem Beispiel. Skjor neigte sein Haupt. Obgleich sein Gesicht nichts von seinem Befinden verriet, glaubte die Kaiserliche in seinem gesunden Auge so etwas wie Verständnis oder auch Wehmut auszumachen. Mit dem nächsten Blinzeln war es jedoch verschwunden. »Keine Waffen, Vesa, nichts. Nur Du und ich.« Sie stimmte per Kopfwippen zu. Vilkas wusste ebenso gut wie sie selbst, dass es sich dabei um eine reine Frontenklärung handelte. Wenn die Jägerin dem Abschaum, den sie da gefangen hielten, wehtun wollte, würde sie dafür keine Waffen oder Werkzeuge benötigen.
Ihre Jacke, Handschuhe und das Übungsschwert an den Einäugigen übergebend, betrat die Jägerin an Vilkas Seite die Vorratskammer, die bereits häufiger zum Verhörraum umfunktioniert worden war. Njada saß gelangweilt auf einem Stuhl, kratzte sich unter den Fingernägeln und zupfte ihre beige Tunika über der braunen Hose zurecht. Erst als die Tür hinter den beiden Neuankömmlingen ins Schloss fiel, blickte sie auf. »Lass uns allein«, bat der Nord. Die Wache haltende Frau blickte einen Moment tonlos und sichtlich irritiert zwischen ihm und Vesa hin und her, sah der Kaiserlichen anschließend etwas länger ins versteinerte Antlitz und nickte schließlich. Kurz darauf fiel die Tür zur Gildenhalle hinter ihr zu.
Erst danach traten die zwei Verbliebenen weiter ein. Die Jägerin schaute zunächst nach links, wo Tilmas Habseligkeiten lagen, dann nach rechts. Ein einfacher Raumteiler sorgte für Sichtschutz in beide Richtungen. Als sie ihn umrundete, tauchte eine in sich zusammengesackte, kümmerlich wirkende Gestalt auf einem Stuhl auf. Die einfache Kleidung zerschlissen und dreckig, die Ärmel abgerissen entblößten seine verschmutzten und zerkratzten Oberarme. Wirklich muskulös wirkte er nicht, aber das mochte auch an seinem generell abgehungerten Erscheinungsbild liegen. Es handelte sich definitiv um einen Kaiserlichen, zu klein für einen Nord, aber zu kantig gebaut für einen Bretonen. Die helle Hautfarbe unterschied ihn deutlich von jedem Rothwardonen. Das Kinn auf der Brust abgelegt, hing ihm sein fettiges, dunkelbraunes Haar in Strähnen bis auf die Schultern hinab und verbarg den Blick auf sein Gesicht. Die nackten Füße an den Knöcheln fest mit den Stuhlbeinen vertäut, lagen ihm die Hände irgendwo verborgen im Rücken und waren sicherlich nicht weniger straff verbunden.
»Die Gruppe von Welpen hat ihn kurz nach dem Zweig auf dem Weg ins westliche Falkenring aufgegabelt. Er war Teil eines Spähtrupps, wie sie es beschrieben, und schien eine etwas höhere Stellung innezuhalten«, begann Vilkas ansatzlos zu berichten. Vesa schlich um den regungslosen Gefangen herum. Musterte ihn von unten nach oben und von oben nach unten. Sog den Anblick jedes Schmutzflecks, jedes Schmisses, jeden geknickten Haares auf. »Sie haben vor Ort nichts aus ihm herausbekommen, also brachten sie ihn zurück. Skjor und Aela sind ihnen entgegengegangen nachdem einer von ihnen vorgelaufen war und hier von den Geschehnissen berichtet hatte, bevor Du aufgewacht bist.«
Ruckartig blieb die Kaiserliche hinter dem Gefangenen stehen, als ihr etwas auf seinem linken Unterarm auffiel. Schnell griff sie nach dem Glied, verdrehte es bis sie genauer sehen konnte und der Handlanger der Silbernen Hand zu stöhnen begann. Zwei gekrümmte Tätowierungen im Abstand von drei Fingerbreiten nahe dem Handgelenk. Die sehr kurzen Striche waren am einen Ende dicker und liefen spitz zu. Es kam wenig überraschend und so ließ sie den Arm schnaufend los. »Er trägt die Markierung, die Darius beschrieben hat«, bestätigte Vilkas.
Schweigend lief Vesa zu ihm hinüber, ballte die Hände zu Fäusten ihm Rücken. »Kein. Recht!«, wiederholte sie und tippte ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust als sie zu ihm aufschaute. Der Nord rang sich zu einem gequält wirkenden, beschwichtigenden Lächeln durch. »Hat er irgendetwas verraten bis jetzt?«, ignorierte die Jägerin die Mimik, wandte sich dem Gefangenen zu und verschränkte die Arme unter der Brust. »Einen Namen, vielleicht?«
»Nein, nichts.«
Glühende Kohlen lagen ihr im Bauch, brannten sich langsam in ihre Lungen durch und ließen ihr Blut kochen. Gleichzeitig quoll aber auch noch ein anderes Gefühl in ihr auf. Kaum mehr als die Quelle eines kleinen Bergbächleins, aber der sanfte, kitzelnde Atem von Hoffnung füllte ihre Lungen mit jedem Luftholen. »Ich befrage ihn«, beschloss sie, noch bevor Vilkas irgendetwas anderes zu sagen vermochte. »Und zwar allein.«
Der Nord blieb einen Augenblick regungslos neben ihr stehen, atmete lediglich laut vernehmbar mehrere Male durch und rang wohl mit sich selbst, wie er die Angelegenheit regeln sollte. Letztlich verfiel er jedoch in schweigsames Nicken und legte Vesana eine Hand auf die Schulter. Aus dem Augenwinkel sah sie das Zucken seines Mundes, doch die Milde auf den rauen Zügen interessierte sie nicht. Dann wandte sich das Zirkelmitglied ab und verließ den Raum.
Für lange Momente blieb die Kaiserliche schweigend und wie angewurzelt stehen. Sie beobachtete den kümmerlichen Kerl vor sich, jeden Atemzug, den er tat. Jedes Schleifen in den Zügen sog sie in sich auf, genoss die Qual, mit der er vor ihr auf dem Stuhl kauerte. Natürlich war das nichts im Vergleich zu dem, das sie ihm antun würde, wenn er nicht redete. Aber das musste er nicht wissen. Noch nicht. Ansatzlos drehte sich Vesa auf den Hacken um und lief zackig zurück zur Tür. Grollend musste sie dort feststellen, dass Vilkas den Türschlüssel mitgenommen hatte und ihr so die Möglichkeit nahm, abzuschließen. Allerdings wollte sie sich davon nichts verderben lassen und die nahestehende Kommode würde ihren Zwecken dienen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten schaffte es die Jägerin das Möbelstück teilweise vor die Pforte zu zerren und den Durchgang so zu blockieren.
»Alles in Ordnung da drin?«, vernahm sie Vilkas Stimme gedämpft durch das dicke Holz.
»Alles bestens«, erwiderte sie und wandte sich ab. »Alles bestens«, flüsterte sie noch einmal und beugte sich auf Augenhöhe mit dem Gefangenen. Blitzschnell schnappe ihre Rechte nach oben und packte den Mistkerl am Kiefer, drückte das Gesicht hoch, bis ihm die Strähnen zu den Seiten fielen und sie ihm in die dunkel unterlaufenen, gereizten Augen blicken konnte. Heftig drückten ihre Finger zu, schoben die Haut und das Fleisch der Wangen zur Seite, bis sie seine Zähne an den Fingerkuppen spürte. Die Pupillen verschluckten das helle Braun seiner Iris nahezu vollständig. »Wir werden jetzt ein bisschen Spaß haben«, knurrte sie ihn an und spürte wie er schluckte. Für einige weitere Herzschläge hielt sie ihn fest, dann gab sie seinen Kopf frei, jedoch nicht ohne ihn noch einmal kräftig nach hinten zu stoßen.
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Geändert von Bahaar (21.02.2015 um 03:25 Uhr)
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Von Zeit zu Zeit hatten die Gefährten immer einmal wieder Gefangene der Silbernen Hand in ihrem Haus. Allesamt hatten die Stadt nicht lebend verlassen und die vorangegangenen Befragungen waren wahrhaftig eher selten zimperlich gewesen. Das Prozedere empfand Vesana grundsätzlich abstoßend, ließ es sie sich doch stets fühlen wie irgendein krimineller Handlanger eines Banditen oder dergleichen. Überhaupt nagte auch in diesem Moment weit in ihrem Hinterkopf die mahnende Stimme der Vernunft, dass sie sich mit dem, das sie tun würde, auf eine Stufe mit Abschaum wie Hrothluf stellte oder sogar noch tiefer einordnete. Aber seit Darius Verschwinden war dieses Stimmchen zur Vorahnung eines Flüsterns verstummt, versengt im Feuer der Wut und ertränkt in kaltem Hass, für die die bloße Erwähnung des Namens derer, die dafür verantwortlich waren, genügte, um in einen tosenden Feuersturm loszubrechen.
Ihre Finger zitterten, als Vesa sie dem Kerl von hinten an den Hals legte. Er zuckte heftig bei der Berührung. »Es interessiert mich nicht, wie Du heißt«, eröffnete sie den Monolog, den sie führen würde. Sie rechnete nicht damit, dass er auch nur einen einzigen Ton von sich geben würde. »Es interessiert mich nicht, welchen Rang Du innehast«, führte sie fort. »Nicht wie alt Du bist, oder ob Du Freunde und Familie hast.« Zunächst sanft rieb sie die Daumen von den Schultern hinauf am Hals entlang und wieder zurück, als wollte sie ihn massieren. »Ich möchte von Dir nur eine einzige Information und wenn Du sie mir gibst, ist all das hier vorbei, bevor es überhaupt beginnt.« Sie spürte das Zittern seines Leibes unter ihren Fingern. »Wir hatten schon viele von Deiner Sorte hier – und alle haben früher oder später geredet. Mache es nicht unnötig schwer für Dich selbst.« Die Ernsthaftigkeit ihrer Worte stand außer Frage und zweifelsohne musste er aus ihrem Tonfall heraushören, wie abgrundtief sie ihn hasste.
»Ich werde Dir eine Person beschreiben«, sie löste ihre Hände von ihm und trat in sein Sichtfeld. Mit der Linken schob sie sein Kinn nach oben, bis er sie ansah. »Und Du wirst mir verraten, was mit dieser Person geschehen ist. So einfach.« Derart ruhig mit ihm zu sprechen kostete die Jägerin mehr Mühe, als sie sich bereit war einzugestehen, und mehr als nur einmal biss sie sich in den Pausen zwischen ihren Sätzen auf die Zunge, um das in ihrer Kehle aufkeimende, tierische Grollen zu unterdrücken. Das Biest in ihr, dessen Gefühle die ihren nochmals in animalischer Wut übertrafen, tobte beim Anblick des Abschaums. Es zerriss ihr die Eingeweide, trat und biss um sich, fauchte, brüllte und schrie. Auf dem Antlitz der Kaiserlichen zeichnete es sich lediglich als gelegentliches, unwillkürliches Zucken der Gesichtsmuskeln ab, hin und wieder zuckten ihre Finger oder spannte eine Sehne im Nacken. Aber es würde nicht lange dauern, bis ihr und somit auch dem Wolf der Geduldsfaden riss. Das wusste sie selbst, entsprechend schnell musste es gehen.
»Ein Mann, etwa einen halben Kopf größer als ich«, begann sie Darius zu beschreiben und ließ das Kinn des Gefangenen los. »Ungefähr die Statur des Mannes, mit dem ich hereingekommen bin, aber ein Kaiserlicher, kein Nord.« Vesa begann damit, den Kerl auf dem Stuhl in langsamen Kreisbahnen zu umrunden. »Dunkles, fast schwarzes Haar. Kurzgetrimmter Vollbart. Eine lange Narbe linksseitig im Gesicht, von der Augenbraue bis zum Kiefer. Braune Augen.« Sie brach ab und schluckte den aufquellenden Kloß im Hals hinunter. Der Gedanke an den verlorenen Geliebten schmerzte bei der wiederkehrenden Hoffnung, sie könne ihn vielleicht doch noch einmal wiedersehen – und wenn es sein toter Leib wäre – derart heftig, dass es ihr den Atem raubte und sich ihre Brust anfühlte, als stieße ihr jemand dutzende glühend heiße Nadeln durch die Lungen. »Er müsste vor etwa viereinhalb Monaten zu euch gekommen sein.« Obwohl bis dahin völlig regungslos, entlockte die letzte Bemerkung dem Gefangenen ein kurzes Glucksen, als fände er sie komisch.
Es bedurfte keines Gedankenlesens für Vesana, um zu verstehen, dass sich der Kerl durchaus gut an die Geschehnisse zur besagten Zeit erinnerte. Im Grunde hätte sie ihn wohl eher fragen müssen, wie er sich daran nicht erinnern könnte, wenn eine Horde Werwölfe angriff. Abrupt blieb sie hinter ihm stehen und legte abermals ihre Hände auf seine Schultern und an seinen Nacken. »Da Du Dich an den Zeitraum erinnerst, verrate mir, erinnerst Du Dich auch an den beschriebenen Mann?«, hakte sie nach. Sein Schweigen trieb ihr die Zornesröte ins Gesicht, ließ das Rauschen in den Ohren anschwellen und die Finger krampfen bis sich ihre Fingernägel in seine Haut zu graben begannen. »Rede«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Seine Muskulatur spannte sich unter ihrem Griff, als kämpfte er gegen ihre Nägel an. Dabei hatte sie noch nicht einmal die richtigen Krallen ausgefahren.
Konzentriert versuchte Vesana die Bestie zu beherrschen und sie nicht völlig die Kontrolle übernehmen zu lassen. Schnell langte sie mit der Linken unter sein Kinn und riss sein Haupt nach hinten. Die Rechte verweilte an der Schulter, während sich allmählich ihre Finger in dunkles Grau verfärbten und die Klauen aus den Nagelbetten wuchsen. Knackend schoben sich gleichzeitig ihre Eckzähne in die Länge und stieg tiefes Grollen in ihrem Rachen auf. Mit der einen Hand schloss sie seinen Mund und verhinderte, dass er schreien konnte, während sich ihre messerscharfen Krallen in sein Fleisch bohrten. »Rede, Abschaum«, brandete ihre tiefer gewordene Stimme auf. »Rede, und all das hier ist vorbei.«
Tränen traten dem Mann in die Augen, rollten aus den Winkeln über die Wangen in seinen Haarschopf. Die Lippen bebten und die Farbe wich aus seiner Haut. Der Anblick der sich allmählich verwandelnden Wölfin hatte selbst für Mitglieder der Silbernen Hand in einer solchen Situation eine einschüchternde Wirkung. Gleichzeitig schob die Jägerin ihre Klauen tiefer in sein Fleisch, versenkte letztlich sogar die Fingerspitzen und bekam so das Schlüsselbein zu fassen, während der Daumen das Schulterblatt fixierte.
Von zweifelsohne heftigen Schmerzen durchzogen begann sich der Gefangene unter ihrem Griff zu winden und zu zucken. Leises Quieken, Stöhnen und Brummen entwischte seiner Kehler. Immer wieder schloss er die Augen für längere Zeit, bis sie mit einem Ruck ihre Finger aus ihm herausriss und er sie vor Pein weit aufriss. Den sich anbahnenden Schmerzensschrei erstickte Vesa mit ihrem festen Griff am Kinn. »Alles«, setzte sie an, leckte aber zwischendurch schmatzend den Daumen ab, »was ich möchte, ist zu wissen«, es folgte der Zeigefinger, »was mit dem beschriebenen Mann passiert ist.« Sie gab seinen Kopf frei und leckte genüsslich die restlichen Finger sauber. Der bittere Geschmack seines Lebenssaftes ließ das Biest in ihr freudig jaulen, gleichzeitig aber auch mit brachialer Gewalt von innen gegen ihren Schädel hämmern und nach mehr verlangen. »Warum hier so einen Aufstand machen und wegen ihm leiden?«, setzte die Kaiserliche nach.
Schluchzend sackte der Gefangene in sich zusammen. Blut sickerte in dicken Strömen aus den gerissenen Löchern und färbte seine Tunika dunkel ein. Langsam schlich sie um ihn herum und starrte ihm ins magere Antlitz, als er ihr einen verachtenden Blick zuwarf. Der verlieh ihrer Wut jedoch nur weiteren Zündstoff und bevor sich die Jägerin zurücknehmen konnte, schnellte ihre Rechte hoch. Die langen Klauen rissen ihm die Wange vom stoppeligen Kiefer bis zur Stirn auf. Es glich einem Wunder, dass sie sein Auge verfehlte, obgleich er bei dem anschließend herausquellenden und unter das Lid sickernden Blut ohnehin nichts mehr zu sehen vermochte. »Rede!«, spie sie ihm ins Gesicht, als er vom Schmerz übermannt wurde, zunächst jaulte und kurz darauf ins Wimmern verfiel.
»Vesa, alles in Ordnung da drin?«, drang Vilkas Stimme durch die geschlossene Tür.
Die Kaiserliche schloss die Augen und kaute auf der Unterlippe herum. Den Kopf in den Nacken gelegt, schlug sie die Hände vors Gesicht und atmete langsam durch. »Bestens«, presste sie hervor und spürte, wie sich die langen Krallen haarbreitenweise zurückzogen. Was blieb waren ihre blutverschmierten Fingernägel und das nach Mehr schmeckende Eisen auf der Zunge.
Für einen kurzen Moment blieb sie einfach nur vor ihm stehen, begutachtete das bisherige Werk und sog den bittersüßen, schweren Duft seines Lebenssaftes in ihre Nase. Seufzend trat sie ein weiteres Mal in seinen Rücken. Es würde wohl nur eines helfen, auch wenn es einige Zeit brauchte, bis es wirklich wirkte. Nur eines versetzte einen Werwolfsjäger in derart großen Schrecken, dass er brach wie Zweige unter den Schritten eines Bärs – und das war selbst zur eigenen Beute zu werden.
Mit schnellen Bewegungen schlüpfte Vesana aus ihren Stiefeln, öffnete den Gürtel und streifte Tunika und Hose ab. »Du hast drei Tage, mit der Antwort herauszurücken«, sprach sie und machte nun keinen Hehl mehr aus ihrer eigenen Unruhe. »Drei Tage«, betonte sie erneut und als er am Stuhl zu rütteln begann, wusste sie, dass er verstand, was gleich passieren würde. Von einer nahen Anrichte nahm sie sich ein Tuch und band es ihm so um den Kopf, dass er darauf beißen musste und kein Wort mehr hervorbrachte. Schon im nächsten Moment gab sie sich dem Wolfsblut hin, stürzte auf die Knie nieder und spürte, wie sich ihre Knochen verschoben. Knackend weitete sich der Brustkorb, verlängerten sich ihre Arme. Als risse Papier brauch ihr buschiger Schwanz unter der Haut hervor und riss mit dem ersten Wedeln einen Krug mit eingelagerten Nüssen aus dem nahen Regal.
Das Licht der Kerzen und was durch die zwei weit oben liegenden, mickrigen Dachluken einfiel, blendete ihre scharfen Augen, ließ sie schnell blinzeln und einen Moment straucheln, bis sich das Brennen legte und sie sich daran gewöhnt hatte. Auf leisen Sohlen, nahezu geräuschlos, und trotz der plötzlichen Stille in der Kammer selbst für ihre Wolfsohren kaum wahrzunehmen, schlich sie zunächst zur Tür. Alles in ihr verlangte nach Blut, doch auch das Biest wusste, dass niemand in den Vorratsraum eintreten durfte, solange sie nicht mit dem Gefangenen fertig war. Also packte die Wölfin die Kommode von zuvor und mit einem kräftigen Ruck versperrte das massive Möbelstück den Durchgang von einer Seite zur anderen. Glücklicherweise öffnete sie sich nicht nach außen in die Gildenhalle.
Erst danach wandte sich Vesa dem Abschaum auf dem Stuhl zu, der sich noch immer wand und versuchte sich zu befreien. Sie roch seine Angst, wie sie mit jedem Schweißtropfen aus seinen Poren trat und den Raum füllte wie der Duft von warmem Honig. Hörte sein wild schlagendes Herz, wie es ihm bis zum Hals pochte. Ein Genuss für sie, schloss die Jägerin kurz die Augen und beschnupperte ihn. Das Beben seiner Lippen liebkoste ihre Ohren, sein Herzschlag dröhnte so laut, dass sie fürchtete die übrigen Gefährten vor der Tür könnten ihn hören. Doch mehr als das brachte er nicht hervor, sein Wimmern verebbte und obgleich sie noch immer nicht verstand, warum es ihm so wichtig schien, ihre Frage nicht zu beantworten, spielte es in diesen Momenten keine Rolle mehr.
Unvermittelt packte die Wölfin seinen Kopf mit der Linken und zog ihn zur Seite über die verletzte Schulter. Den rechten Fuß setzte sie auf seinen Oberschenkel und vergrub die scharfen Klauen in seinem Fleisch. Noch im selben Augenblick öffnete sie das Maul und schnappte zu. Blut quoll ihr auf die Zunge, bittersüß und darum bittend, weiter vergossen zu werden. Grollend riss sie mit den Fängen eine bösartige Wunde in die bis dahin unversehrte Schulter des Gefangen und stellte somit sicher, dass möglichst viel ihres Speichels darin eindrang. Nicht nur würde er so den Keim des Wolfsblutes empfangen, sondern würde dieser auch Infektionen fernhalten und die Blutung im Anschluss hemmen. Hircine wollte schließlich nicht, dass seine Schöpfung schon im Kleinkindalter verstarb bevor sie sein Geschenk überhaupt richtig zu schätzen lernen konnte. Außerdem hielt er andere Proben für ihre Würdigkeit bereit. Das schmerzverzerrte Stöhnen klang dabei wie Musik für die Kaiserliche und es kostete sie größte Mühe, das Maul ein weiteres Mal zu öffnen und die Reißer aus seinem Fleisch zu ziehen. Kurz schleckte sie über die aufgerissene Gesichtshälfte, genoss so noch ein paar Tropfen seines Lebenssaftes und verschloss gleichzeitig die Wunde.
Es bedurfte keines weiteren Blickes auf den Gefangen, um zu wissen, was sich auf seinem Gesicht abspielen durfte. Stattdessen sprang Vesana hoch ins Gebälk unter das Dach und kletterte anschließend hinüber zum der Stadt abgewandten, kleinen Dachfenster. Für einen kurzen Moment brannte ihr das Sonnenlicht mit gleißendem Feuer einen Funken Reue ein, als sie einen Blick aus dem Fenster warf und als Jäger der Nacht nicht auf den Schutz der Dunkelheit zählen konnte. Doch als Eorlund nicht an seiner Schmiede stand, überhaupt nirgends zu sehen war, legte sich dies wieder. Ein kurzer Griff mit der Klaue und das Fenster stand offen. Im Schutz des Firsts kletterte sie hinaus, versicherte sich, dass sich niemand auf dem Übungsplatz aufhielt und setzte dann mit einem kräftigen Zucken der Sprungmuskulatur in einem Satz zur Himmelsschmiede über. Nur einen Schlag des wild rasenden Herzens später verschwand sie am Glutbett der Schmiede vorbei durch den Felsdurchbruch aus der Stadt.
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Geändert von Bahaar (01.03.2015 um 01:10 Uhr)
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Neuling
Geistermeer, Herz des Gerechten
<< Zur Charaktervorstellung
»Herrin…?«, sprachen die beiden Männer im Chor, doch Amelia hob eine Hand und wippte mit dem Finger.
»Alles gut«, erwiderte sie und hielt sich nur mühsam auf den Füßen. Die Krämpfe in Bauch und Rachen erschwerten es ihr, die richtige Balance zu finden, geschweige denn sich aufzurichten. »Alles…« Weiter kam sie nicht, bevor sie sich ein weiteres Mal erbrach.
»Lasst mich Euch einen Eimer bringen«, bat Kolja, als er ihr nach Abklingen der Krämpfe hoch half. Schmallippig nickend, hielt sich die Bretonin am Geländer fest und versuchte möglichst viel Speichel zu sammeln, um den abartigen, sauren Geschmack im Mund fortzuwaschen. Der arme Gerüstete, der von ihr so ungewollt zum Laufburschen degradiert wurde, wandte sich ab und verschwand abermals. »‘s is‘ g’wiss kein Wetter für Euch«, meinte Domek hinter ihr und sie glaubte so etwas wie Mitleid in der altersrauen Stimme auszumachen. Doch selbst wenn er ihr hätte helfen wollen, das Ruder bedurfte seiner vollen Aufmerksamkeit. Sie blieb also allein in ihrem Leiden und das sollte ihr nur Recht sein.
Weit vorgebeugt hielt Amelia den Kopf beinahe zwischen den durchgestreckten Armen und starrte auf die feucht glänzenden, dunklen Planken unter ihren Füßen. Sie wusste nicht, wie lange sie so ausharrte, es spielte wohl auch keine Rolle, doch irgendwann hielt ihr jemand einen einfachen Holzeimer ins Sichtfeld. Der grobe Lederhandschuh sprach dafür, dass es der Hauptmann der Wachen sein musste. Wortlos löste die Adelige eine Hand vom Geländer und umschloss den Kübel mit dem Arm. Erst danach richtete sie sich auf, das Gefäß gegen die Brust gepresst. »Ich habe eine Hängematte unten für Euch freimachen lassen. Das sollte das Schaukeln etwas mindern«, erklärte der Gerüstete und wischte sich einige dicke Wassertropfen aus dem geröteten Gesicht. Ob es Schweiß und Anstrengung oder doch geschmolzene Flocken und die Kälte waren, die ihn zeichneten, mochte sie nicht sagen können. Nur kurz blickte sie zu ihm auf, dann senkte Amelia die Augen zurück auf den Bottich, der gerade einmal eine Handbreit unter ihrem Kinn saß.
Mit der nächsten Welle wandte sie sich von ihm ab und spuckte in den Eimer. Was für eine Schmach. Wenn sie in ihrer derzeitigen Erscheinung unter Deck zurückkehren würde, so war sie überzeugt, böte das für die nächste Zeit wieder genug Stoff für die Mannschaft, um Heiterkeit in langweiligen Momenten zu erzeugen. Dass sie gewiss nicht als einzige an Bord Schwierigkeiten mit dem Seegang hatte, spielte dabei auch keine Rolle. Adelige genossen immer ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit, wenn es um derlei Geschehnisse ging. Verübeln würde sie es keinem, aber genießen musste sie es deswegen noch lange nicht.
Letztlich widerstandslos ließ die Bretonin Kolja gewähren, als er sie mit sanftem Druck am Arm zum Gehen bewegte. »Wir sin‘ bald da, keine Sorge«, rief ihnen Domek nach, dann stiegen sie auch schon die Stufen zum Hauptdeck hinab und waren außer Hörreichweite des Kapitäns. »Lass nicht zu, dass sie sich wieder die Münder zerreißen«, murmelte Amelia und hielt an der Tür, die unterhalb des Kapitänsstands ins Innere des Kahns führte, inne. Eine Hand gegen das glitschige Holz gestemmt, beugte sie sich mit hängenden Schultern nochmals über den Eimer und stellte ihn schließlich ab, als sie sich einigermaßen sicher fühlte, dass kein neuerlicher Würgreflex die Kontrolle über sie übernahm.
»Das werden sie gewiss nicht, Herrin. Dazu gibt es keinen Grund«, beschwichtigte der Soldat und öffnete den Durchgang für sie, ließ sie passieren und schloss ihn anschließend. Warmer Laternenschein flutete den dahinterliegenden Flur, das Quietschen der im Wellengang schwingenden Lichtquellen erfüllte die klamme Luft. Abgesehen von der Kapitänskajüte und einem Besprechungsraum fand sich hier oben allerdings nichts. So führte ihr Weg eine schmale, knarrende Stiege hinab, aber selbst die schweren Schritte Koljas gingen im ewigen Ächzen der Spanten und Balken unter, während sich der Rumpf zumindest gefühlt noch deutlich stärker hob und senkte, als er es zuvor an der frischen Luft getan hatte.
Der erbarmungslose Schwindel, der die Adelige in diesen beengten Verhältnissen immer befiel, ließ auch nicht lange auf sich warten. Eine Hand immer am Arm des Gerüsteten, die andere an einer Wand oder Stützbalken, arbeiteten sie sich langsam durch den Bauch des Kahns. Gelächter und laute Stimmen drangen von vorn zu ihnen durch, doch für sie klangen sie nur wie weitentfernte Echos aus dichtem Nebel. Zu sehr musste sie sich darauf konzentrieren nicht einzuknicken.
»Wir haben es gleich geschafft«, versuchte ihr der Soldat Mut zu machen, mehr als ein gequältes Zucken der Mundwinkel erhielt er jedoch nicht zur Antwort. Gleich darauf traten sie aus dem Korridor zwischen Küche und dem Lagerraum für Lebensmittel. Auf der vollen Breite des Rumpfes spannte sich vor ihnen der Gemeinschafts- und Schlafraum auf. Die zahllosen senkrechten Balken und Hängematten, die zwischen ihnen baumelten, warfen im flackernden Schein der Laternen wirre Schatten, verbargen einen Teil der ausgelassen miteinander in Gespräche vertieften Mannschaft und boten ihr wenigstens ein gewisses Maß an Sichtschutz. Nur einige Soldaten, die sich selbst in ihren Lagern niedergelassen hatten, bedachten sie mit kurzen, meist eher ausdruckslosen Mienen. Andererseits erkannte Amelia sie auch nicht allzu deutlich und ließ sich von Kolja irgendwo an den Rand und in eine dunklere Ecke bugsieren.
»Ohje, Herrin, seid Ihr wohlauf?« Es war Jela, ihre Zofe, die aus dem Nichts auf die Beiden zugestürzt kam.
»Die See«, erklärte der Hauptmann an ihrer Statt und blieb vor zwei leeren Hängebetten stehen, die in zwei Etagen zwischen Balken schwangen. »Hier, für Euch.«
»Ich glaube, der Herr Val Nurinia wünschte nochmals mit Euch zu sprechen, Hauptmann«, wandte sich Jela an den Gerüsteten, der sich daraufhin nickend abwandte. Eigentlich wollte ihm die Bretonin noch ihren Dank bekunden, doch jedes Öffnen des Mundes hätte ihre Selbstbeherrschung durchbrochen und den unterdrückten Brechreiz befreit. Ihre gut genährte Bedienstete, die bald ihre vierzig Sommer zählen mochte, half Amelia noch während sich ihre Gedanken träge von Kolja lösten dabei, den schweren Umgang abzulegen und befreite sie anschließend noch vom rubinroten Seidentuch um ihren Hals. Erst danach stützte die Gehilfin die Adelige und stabilisierte sie, als sie drohte das Gleichgewicht zu verlieren und noch bevor sie lag aus der Hängematte zu fallen.
Auf der Seite liegend schloss sie die Augen. Als hätte sie deutlich zu viel getrunken, spielte ihr Gleichgewichtssinn Streiche – deutlich zu viel getrunken und als hätte sie anschließend noch einige schnelle Runden auf dem Fleck gedreht. Es half nichts, sie musste die Augen öffnen, wollte sie einigermaßen die Kontrolle über das Karussell in hinter ihrer Stirn behalten. Die in Falten liegenden Züge ihrer Zofe tauchten im verschwommenen Sichtfeld auf, als diese sich vor sie kniete. »Braucht Ihr noch etwas, Herrin?«, wollte sie wissen, erhielt aber nur zu einem Strich zusammengepresste Lippen als Antwort. »Wasser? Ein Eimer?« Unfähig eine Antwort zu geben, nickte Amelia einfach. »Kommt sofort«, erwiderte Jela und erhob sich. »Aber zunächst, machen wir es Euch noch bequem«, setzte sie nach und legte etwas Schweres über sie. Als weiches Fell ihre unbedeckte, von der Kälte noch immer überempfindliche Wange streifte, erkennte sie ihren Umhang. Groß genug, um bei leicht angezogenen Beinen als Decke fungieren zu können, wärmte er sie nahezu augenblicklich. Kurz darauf schob die Dienerin noch ein Stoffbündel unter Amelias Haupt. Dem dezenten Duft nach Minze und dunklen Rotschimmer am Rand ihres Sichtfeldes nach zu urteilen handelte es sich um ihren Seidenschal.
»Ich bin gleich zurück«, verkündete Jela schließlich und verschwand mit eiligen Schritten. Allein zu sein empfand Amelia in diesem Moment trotz der Fürsorglichkeit als Segen und seufzte leise, schloss gleich darauf aber erneut den Mund, als es ihr sauer aufstieg. Kurzerhand drehte sie sich auf die andere Seite und starrte gegen die graubraune Bretterwand der abgegrenzten Küche. Wenn sie schon hier in der Nachtstatt eines anderen ruhte, von allen einsehbar und ungeschützt, dann sollten sie wenigstens nicht in ihr von Übelkeit verzogenes Gesicht sehen können. Dieses letzte Bisschen Würde wollte sie sich dann doch noch bewahren. Die Kapuze ihres Umhangs halb über den Kopf gezogen, vergrub sie sich noch etwas tiefer in der rauen Wolle der Hängematte und zog die Beine weiter an, bis gerade so noch die in Stiefeln steckenden Füße hervorschauten. Immerhin das Schaukeln ließ etwas nach, obgleich sie das Schwingen der Matte noch immer deutlich spürte und beim Knirschen der Stricke fürchtete, sie könnten reißen.
Eine Weile lauschte Amelia auf das Knarzen des Schiffrumpfes, ließ sich von dem fast rhythmischen Stöhnen des Holzes beruhigen. Überrascht musste sie feststellen, dass es sogar ausgesprochen gut funktionierte. Irgendwann verblassten die Geräusche, verschwanden in den Hintergrund und schwiegen letztlich sogar gänzlich. Auch die Gespräche und von ausgelassener Stimmung zeugenden Geräusche aus den anderen Teilen des großen Raumes verschwanden bis es totenstill wurde. Der Schwindel in Kopfschmerz umgeschlagen, schreckte das Gefühl, aus irgendeinem Grund plötzlich allein im Bauch der Herz des Gerechten zu sein, die Adelige aus ihrer Ruhe. Mit rasendem Herzen und unangenehmen Ziehen im Bauch drehte sie sich auf die andere Seite und sah sich um.
Niemand. Sie wollte rufen, doch blieben ihr die Worte im Hals stecken. Nicht ihr Onkel, nicht ihre Zofe, weder Kolja, noch sonst jemand war in Sicht. Die zuvor noch belegten, nahen Hängematten fand sie nun verlassen vor, still zwischen den Balken hängend, als hätte schon lange niemand mehr in ihnen gelegen. Eisige Nervosität, ein schmerzhaftes Summen in den Eingeweiden, breitete sich in ihr aus, zwang sie aber gleichzeitig dazu, aufzustehen und sich weiter umzusehen. Die zahlreichen Laternen leuchteten ihr den Weg, führten sie zu den langen Tischen, an denen sie für gewöhnlich für die spärlichen Mahlzeiten gemeinsam saßen, und glühten doch merkwürdig kalt, als handele es sich nur um verlorene Irrlichter in morgendlichem Ufernebel.
Kein Ton entwand sich ihrer Kehle, nur das eigene Blut rauschte in ihren Ohren und ihr rasselnder Atem durchbrach die seidene Stille. Ob sie sich an Deck aufhielten? Amelia wusste es nicht, würde es aber herausfinden und lief eilig zum hinteren Ende des Schiffs. Das Pochen in den Schläfen verstärkte es nur, doch das versuchte sie so gut es ging zu ignorieren. Hastig nahm sie zwei Stufen auf einmal, erklomm die schmale Stiege, die es nicht einmal schaffte zu knarren, so schnell fegte sie hinauf. In plötzlicher Zuversicht und leichter Vorfreude schritt sie auf die Tür zum Oberdeck zu und stieß sie auf. Augenblickliche Schwere begann sie zu erfassen und sie zu erdrücken, als ihre Erwartungen und Hoffnung enttäuscht wurden. Niemand hielt sich hier auf, noch immer war sie allein, und noch dazu hielt eine merkwürdig diffuse Dunkelheit Masten, Segel und Takelage gefangen. Tanzende Lichtschimmer glitten wie gierige Finger über sie hinweg, tasteten sie ab und überließen sie letztlich doch der Finsternis.
Ein Blick nach oben versetzte die Bretonin dann in blankes Entsetzen, dass ihr der Mund offen stehen blieb und das Herz einen Moment aussetzte. Das Tageslicht zerstreute sich schimmernd und funkelnd über ihr, als befände sie sich unter Wasser. Noch während ihr dieser Gedanke kam, blieb ihr die Luft weg und erhöhte sich der Druck auf ihre Lungen ins Unermessliche. Waren sie gesunken und sah so ihr Jenseits aus? Nein, das konnte nicht sein! In Wut blubbernd Luft ausstoßend drückte sich Amelia vom hölzernen Grund ab und begann wild paddelnd zur Oberfläche zu tauchen, das Herz in der Brust zerspringend. Doch wirklich weit sollte sie nicht kommen. Hart stieß sie etwas von der Seite an, ließ sie herumfahren und im stummen Schrei den Mund aufreißen. Sie starrte in das weit aufgerissene Maul eines Hais, das gerade zuschnappte, als der Meeresräuber mit seinem Unterkiefer gegen ihre Schulter stieß. Gefroren im Schock kniff sie die Augen zusammen.
Mit dem nächsten Lidaufschlag blickte sie von unten auf die graubraune Wolle der Hängematte über ihr. Wieder berührte sie etwas an der Schulter und noch immer in heller Aufregung und Panik vom Haiangriff zuckte die Adelige zurück. »Seid Ihr wohlauf, Herrin?«, vernahm sie die weiche, sorgenvolle Stimme ihrer Zofe, die sich erst allmählich aus der verschwommenen Umgebung pellte.
»J-ja«, stammelte Amelia und rieb sich den kratzenden Schlafsand aus den Augenwinkeln. »Nur ein Traum«, erklärte sie und verdrängte die plötzlich absurd erscheinenden Bilder möglichst schnell aus ihrer Erinnerung, machte Platz für helle Erleichterung.
»Jetzt ist er vorbei«, lächelte die Dienerin sie an. »Doch verzeiht, dass ich Euch wecke.« Jela nahm ihre Hand von Amelias Schulter.
»Was gibt es denn?« Müde und doch glücklich seufzend richtete sie sich in der Hängematte auf und ließ die Füße seitlich heraushängen, zog sie jedoch zurück, als sie auf irgendetwas großes und robustes trafen. Animalisches Schnaufen quittierte ihr Ungeschick und gleich darauf tauchte der massige Kopf eines großen, wolfsähnlichen Hundes auf. Weißgraues, weiches Fell zierte das Haupt um die gelbbraunen Augen und die schwarze Nase. Rasvan. Glücklich dreinblickend ließ er die Zunge zwischen den spitzen Eckzähnen aus dem Maul hängen und hechelte ihr entgegen.
»Wir sind gleich da«, erklärte unterdessen die Zofe als ihre Herrin sich vorbeugte, ihrem treuen Haustier, einer Kreuzung aus Eiswolf und Schäferhund, durch das Fell strich und ihm einen dicken Kuss zwischen die Augen setzte. Erst in diesem Moment, als sie die Füße fest auf den Boden des Decks setzte, bemerkte Amelia, dass sich der Kahn nicht mehr von Wellen gebeutelt hob und senkte. Erleichtert schlang sie die Arme um den großen Halbwolf, der zwar die Statur und großteilig das Äußere seiner wilden Mutter besaß, aber das treue Gemüt seines Vaters geerbt hatte.
»Sehe ich schrecklich aus, Jela?«, wollte sie letztlich wissen, ohne die Augen zu öffnen oder ihr Haupt von Rasvan zu lösen. Die Benommenheit und der Schwindel, die mit der Seekrankheit einhergingen, hielten noch immer an ihr fest, wehrten sich dagegen, abgeworfen zu werden.
»Nicht, wenn ich mit Euch fertig bin«, erwiderte die Dienerin und zauberte der Adeligen das erste echte Lächeln seit einer gefühlten Ewigkeit auf die Lippen.
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Geändert von Bahaar(iger_ZA) (11.04.2015 um 09:43 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Eorlund hatte seine Schmiede längst verlassen und in der wiederkehrenden Eiseskälte wagte sich kaum noch jemand vor die Türen des eigenen Heims. Auch der Übungsplatz stand verlassen, als ihn die Kaiserliche überquerte und einen kurzen Blick auf die sich in Graustufen abzeichnenden Holzplanken warf, die noch am Vormittag zum Üben mit Olen gedient hatten.
Im Schutz der einbrechenden Dunkelheit kletterte die Wölfin durch die Dachluke zurück ins Gildenhaus. Das helle Kerzenlicht brannte ihr wie erwartet in den empfindlichen Augen, der Duft des Wachses kroch ihr in die Nase und schien sie zu verkleistern. Wenigstens vernahm sie keine außerordentlich lauten Geräusche, ausgenommen des schweren Atmens des Gefangenen, der wimmernd und zitternd auf seinem Stuhl hockte. Ein kurzer Seitenblick verriet Vesa, dass die Kommode noch immer genau so vor der Tür stand, wie sie sie zurückgelassen hatte. Erleichtert schüttelte sie das triefend nasse Fellkleid aus, in dem sich das kalte Wasser des Teiches festgesetzt hatte, in dem sie stets nach einer Jagd badete. Die eisigen Tropfen, die sie durch den Raum sandte, schienen letztlich auch das Mitglied der Silbernen Hand darauf aufmerksam zu machen, dass er nicht mehr allein war.
Heftig zuckte er in sich zusammen, dass sein Stuhl verrückte und sie ihm ein bestialisches Grinsen mit gefletschten Zähnen schenkte. Von der Jagd gesättigt verspürte sie in diesem Moment jedoch kein Bedürfnis danach, ihm noch weiter Angst einzuflößen. Stattdessen knurrte Vesana lediglich leise und ließ sich im Rücken des Kerls, nahe ihrer Kleidung, auf dem Boden nieder. Gerade schloss sie die Augen, da schreckte sie das Knarzen Tilmas Bettes hoch. Die Ohren senkrecht und den Kopf gehoben, lauschte sie in die Kammer hinein. Hatte sie jemanden übersehen? Unmöglich. Und dennoch hörte sie eindeutig langsame, schwere Schritte näherkommen.
»Bist Du stolz auf Dich?« Die raue, trübe Stimme des Herolds zerriss das Seidentuch der Spannung, das sich über sie gelegt hatte. Grollend stand die Wölfin auf und blickte von unten zu dem Grauen hinauf, als er schließlich neben dem Raumteiler stehen blieb. Auf seinen faltigen Zügen zeichnete sich Sorge ab und seine Augen funkelten mit glasiger Enttäuschung. Vesa zog die Lefzen zurück, es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass er sich hier aufhielt. »Tu nicht so überrascht, ein Wolf weiß wie er sich an seine Artgenossen anschleichen muss«, tadelte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn Du etwas sagen willst, schlage ich vor, dass Du wieder zum Mensch wirst und dieses Tier schlafen schickst. Ansonsten höre mir einfach zu.«
Schnaufend starrte die Jägerin den Alten einen Moment lang an, dann wandte sie sich ab und versuchte den Wolf aus ihrem Verstand zurückzudrängen. Das Jagdfieber, die Lust nach Blut und Fleisch. Als versuchte sie die Erregung mitten im Spiel der Liebenden niederzuringen. Keine leichte Aufgabe, die für gewöhnlich der Schlaf des Gesättigten übernahm. Einzig der volle Magen half ihr dabei und nach einigen lang erscheinenden Augenblicken zog sich schließlich ihr Fellkleid zurück, hellte sich ihre Haut auf. Die langen Klauen schrumpften zu menschlichen Fingernägeln und bald darauf spürte sie ihr wild fallendes, offenes Haar auf den bloßen Schultern. Mit dem Rücken stand sie zu Kodlak und begann in Ermangelung eines Kamms mit den Fingern die feuchten Strähnen zu ordnen. Letzte Perlen kalten Wassers rannen ihr über die nackte Haut vom Nacken hinab bis zum Gesäß, von den Brüsten bis zum Nabel oder auch noch weiter. Es kitzelte sie empfindlich, doch unterdrückte gleich darauf der aufkeimende Zorn über den Eindringling jedes Gefühl von Annehmlichkeit.
»Danke«, bewegte sich der Graue nach einigen Momenten des Schweigens schließlich zu einer Bemerkung. »Vesa, ich weiß, wie …«
Die Kaiserliche hob die Linke über die Schulter und streckte den Zeigefinger aus. Sofort brach Kodlak ab. »Nicht hier.« Den langen Schopf einigermaßen ausgekämmt, warf sie ihn in den Rücken und begann damit sich anzukleiden. Kurz darauf schritt sie an dem alten Nord vorüber, warf ihm einen verbitterten Blick zu und begann damit die Kommode vor der Tür in ihre eigentliche Position zurückzuschieben. Im Anschluss verließen sie Beide die Kammer und suchten sich, weitestgehend unbeachtet von den übrigen Mitgliedern der Gefährten, ein dunkles Eck in der Haupthalle.
»Ich weiß, wie Du Dich fühlst«, wiederholte der Alte, als sie endlich saßen. Die Kaiserliche starrte an ihm vorbei und beobachtete stattdessen einige Welpen am Tisch, die gelegentlich verstohlen einen Blick zu ihnen warfen und betreten in eine andere Richtung blickten, als Vesa sie erwischte.
»Tust Du das?«, fragte sie zurück und presste die Lippen aufeinander. Vilkas kam gerade die Treppe aus dem Keller hinauf und blieb an ihrem oberen Ende stehen. Kurz sah er sich um, bis seine Augen auf dem Herold und der Kaiserlichen ruhen blieben. Er wirkte, als überlegte er zu ihnen zu kommen, entschied sich wohl aber dagegen und setzte sich stattdessen neben die Welpen an den Tisch.
»Du bist wütend, zornig. Verständlich, nachdem wir Dich außenvorgelassen haben.« Eine milde Untertreibung, obgleich ihr die Worte fehlten, ihrer Rage Ausdruck zu verleihen. »Und sicherlich auch enttäuscht.« Oh ja. »Nach all der Zeit, die er verschwunden ist, hast Du immer noch Hoffnung, er könne am Leben sein. Ich erlaube mir kein Urteil, ob dies gut oder schlecht ist.« Kurz verstummte er. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er ihr versuchte ein Lächeln zu schenken, doch prallte es an ihr ab wie Kiesel an einem Schild. »Wir … ich … habe wohl unterschätzt, welche Wirkung ein Gefangener vom Schlage desjenigen in unserem Hause auf Dich haben würde. Wie Du Vilkas bereits sagtest, hatten wir kein Recht, es Dir vorzuenthalten. Dafür entschuldige ich mich«, redete Kodlak weiter und zum ersten Mal richtete sie ihren Blick nur auf ihn.
Feine Fältchen zierten seine Augenwinkel, obgleich das Lächeln, das sie hervorrief, nicht von Freude zeugte. Traurigkeit spiegelte in seinen Augen, nur ansatzweise durchbrochen von aufkeimender Erleichterung, nicht völlig gegen eine Wand zu reden. Sie würde ihm verzeihen, mit der Zeit, nicht jetzt, vielleicht nicht morgen, aber bald. Das wusste er, kannte er sie doch gut genug. Trotzdem schwieg Vesa ihn weiter an, die Lippen zu einem dünnen Strich verengt und die Gesichtsmuskeln hart wie Stahl verkrampft.
»Aber verrate mir eines: Denkst Du, es hat sich gelohnt von Hass und Zorn gelenkt, auf eine Stufe mit denen zu steigen, die wir zu unserem Feind haben?«
Sie wusste, was er versuchte zu erreichen. Die Kaiserliche sträubte sich noch mit allen Mitteln dagegen, so etwas wie Reue zu empfinden. Wütend auf Kodlak und die anderen zu sein, half ihr dabei. Aber das würde bald verfliegen und die Furcht, der Gefangene könnte trotz allem weiterhin schweigen, mochte nur allzu bald Schuld und Bedauern in ihr aufkeimen lassen. Selbst zum Kriminellen geworden, gab es nur noch wenig, dass sie von diesem Bastard in der Kammer unterschied, sollte ihre Methode keine Ergebnisse produzieren. »Er wird reden«, wich sie der Frage des Alten aus. Der nickte lediglich, wohl wissend, was in ihr vorging.
Kommentarlos erhob sich Vesana, warf einen letzten Blick in Kodlaks sorgenvolles Antlitz, dann überließ sie ihn sich selbst. Von der Jagd gesättigt, verspürte sie wenig Lust darauf, sich am Tisch mit Vilkas und den Welpen niederzulassen. Letztere senkten in ihrer Gegenwart die Häupter, nur das Zirkelmitglied verfolgte sie mit den Augen, blieb ansonsten jedoch stumm, als sie zügig vorüberging. Kurz darauf eilte sie die Stufen in den Keller hinab und verschwand in ihrer Kammer.
Erst dort ließ die Anspannung von ihr ab und plötzlich kraftlos sackte sie auf die Knie nieder. Gerade so schaffte sie es die Tür ins Schloss zu drücken, bevor es geschah. Tiefes, missmutiges Grummeln entstieg ihrer Kehle und in glühender Wut, die ihr das Herz schneller schlagen ließ, schlug sie mit der Faust gegen die nahe Anrichte. Einmal, zweimal, so oft bis ihr die Knöchel schmerzten. Dicke Tränen rannen ihr über die Wangen, Hoffnung, Zorn und Verzweiflung rangen in ihr um die Vorherrschaft, legten ihre Eingeweide in Asche und raubten ihren Muskeln die Kraft. Widerstandslos sackte sie auf das zwischen dem Fußende des Bettes und der Kommode ausgebreitete Schneesäbelzahnfell, vergrub die Finger im weichen Flaum und rollte sich auf die Seite.
So harrte die Kaiserliche aus, bis es an der Tür klopfte und sie aufschreckte. Hastig griff sie sich einen Kupferkamm aus einer Schublade der Anrichte, wischte die getrockneten Tränen mit dem Ärmel der Tunika aus dem Gesicht und begann damit, ihr Haar zu ordnen. »Ja?«, rief sie schließlich.
»Ich bin’s.« Aelas Stimme drang durch die Tür.
»Komm rein.«
Die rothaarige Nord trat ein, Vesas Jacke und Handschuhe über einem Arm. »Skjor meinte, das wären Deine Sachen.«
»Sind sie, danke.« Ihr Gast legte sie auf das Bett, blieb anschließend jedoch stehen und verließ das Zimmer noch nicht. Vesana hielt in ihren Bewegungen inne und wandte sich der Nord zu.
Einen Moment lang schwiegen sie sich an, doch war es Aela, die schließlich die Stille zerriss. »Ich habe von Vilkas gehört, was passiert ist. Falls es Dir etwas bedeutet, ich war von Anfang an dagegen, es Dir nicht zu sagen«, erklärte sie und die Kaiserliche fuhr damit fort, sich das Haar zu kämmen. »Skjor ebenfalls. Vilkas und der Alte hatten ihre Zweifel, Farkas hat sich seinem Bruder angeschlossen.« Vesa neigte kaum merklich das Haupt, unschlüssig, was sie von den Worten der Nord halten sollte. »Was ich damit sagen möchte: Ich glaube, Du hast das Richtige getan – und sollte der Mistkerl reden und Dir etwas nützliches verraten, Du kannst auf meine Unterstützung zählen.«
»Danke«, flüsterte die Jägerin, unfähig die Stimme zu heben. »Er weiß etwas, ganz sicher«, setzte sie nach kurzem Zögern fort. »Er war da, als Darius mit seinem alten Rudel eingefallen ist, er kann sich an die Ereignisse erinnern. Ich glaube auch, dass er Darius direkt kennt, wenigstens vom Sehen.«
Aela nickte und trat einen Schritt auf sie zu. Einen Augenblick verharrte sie so, dann legte sie der Kaiserlichen eine Hand auf die Schulter. »Dann bringen wir ihn zum Reden«, bekräftigte die Nord, nickte Vesa zu und verließ anschließend deren Zimmer. Mit der Tür im Schloss, warf sie den Kamm achtlos auf die Kommode, schlug die Hände vor das Gesicht und brüllte ihren Frust gegen die Handballen, dass es kaum mehr als ein animalisches Stöhnen war. Ein schneller, unüberlegter Tritt gegen den Bettpfosten, sandte heiße Flammenzungen durch ihren Fuß und lüftete den Schleier der Wut wenigstens ein Stück.
Schleifend die Luft einsaugend, gewannen ihre Gedanken einen Teil ihrer Klarheit zurück. Sie wollte sich selbst zur Geduld mahnen, in Erinnerung rufen, dass es eine Weile dauerte, bis ihre Druckmittel bei dem Gefangenen Wirkung entfalten mochten. Doch Geduld war etwas, dass sie nach all der Zeit, die Darius inzwischen verschwunden war, nicht mehr aufzubringen vermochte. Sofort wollte sie wissen, ob ihn die Silberne Hand dahingerafft hatte und wenn ja, wo seine Leiche lag. Oder ob er vielleicht doch noch lebte, nach all der Zeit. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, das er derart lange in Gefangenschaft überlebt hätte. Und dennoch wusste Vesa auch, dass all das Auf- und Ablaufen, all das Fluchen und zornige Schlagen gegen Möbel nichts daran änderte, dass sie warten musste.
Letztlich raffte sie sich dazu auf, ihre Jacke und Handschuhe zusammenzulegen und auf der Kommode zu deponieren. Vielleicht würde es ihr helfen, zu lesen. Das Buch über Dwemer stand noch immer angebrochen in ihrem Schrank. Obgleich sie wenig Hoffnung hegte, dass es funktionierte, legte sie sich mit der Lektüre auf ihr Bett und begann zu blättern.
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Geändert von Bahaar (07.03.2015 um 10:33 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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»Ist die Angelegenheit, die Dich gestern Nachmittag beschäftigt hielt, geregelt?«, fragte Olen, als er an der Seite der Kaiserlichen im güldenen Schein der ersten Sonnenstrahlen auf den Übungsplatz trat. Die klare Nacht hatte Luft und Land nochmals stärker auskühlen lassen, weiße Eiskristalle zierten Stein und Erde, fixierten die Steppen in endlosem Funkeln.
»Noch nicht. Aber bald«, entgegnete Vesa und betrat als erste den unverändert vor ihnen liegenden Steg. Die Kapuze lag zum Schutze der Ohren über ihrem Haupt, die Haare hatte sie in einen Knoten an den Hinterkopf hochgesteckt. Nach all den Tagen der Wärme fühlte es sich beinahe wie Solstheim an, es fehlte lediglich der Schnee. Bei dem Gedanken an die Insel schüttelte es sie, aber wenigstens lenkte er sie von den näherliegenden Dingen ab, die ihr Schlaf und Ruhe raubten. Aela hatte es ihr nahegelegt, die Ausbildung Olens fortzuführen, und angeboten über den Gefangenen zu wachen. Zweifelsohne eine gute Idee, die frische Luft und Bewegung würden ihr guttun.
»Wiederhole noch einmal, was wir gestern Vormittag besprochen haben«, wies Vesana den Nord an als sie ihre Übungswaffe zog.
»Schläge sind grundsätzlich berechenbar, sobald sie einmal begonnen wurden. Ich muss mir also etwas einfallen lassen, um meinen Gegner zu überraschen und zu überwältigen«, resümierte er und erntete ein müdes Nicken. »Es gibt verschiedene Attribute, die mir im Kampf helfen und zwischen denen ich den Schwerpunkt wechseln sollte. Stärke, Schnelligkeit und … Geschicklichkeit. Sofern diese den Kampf nicht entscheiden können, muss ich auf bessere Ausdauer vertrauen.«
»Gut, gut. Und weiter.«
»Sich in seinem Umfeld besser auszukennen als die Gegner ist unbezahlbar.« Immerhin sein Gedächtnis schien allmählich in Fahrt zu kommen. Natürlich stellte sich die Frage, ob er es auch verinnerlicht hatte, aber das wollte sie früh genug auf die Probe stellen. Zunächst standen noch ein paar letzte technische Lektionen an, erst danach würden sie in die Wiederholungen gehen. »Jeder muss seinen eigenen Stil und die richtige Balance finden.«
»Im übertragenen und wörtlichen Sinne, ja«, bestätigte Vesa und hob die Spitze ihrer Waffe. »Am wörtlichen Sinne arbeiten wir heute.« Es folgte ein schneller Schlagabtausch, der mit ihm auf den gefrorenen Brettern endete. »Wir sind gestern nicht mehr dazu gekommen, aber ich hoffe, Du hast die Zeit genutzt darüber nachzudenken.«
»Über was?« Der Nord rappelte sich auf und klopfte sich lose Eisflocken von der Jacke.
»Die Frage nach dem Warum von vorgestern.«
»Ah, richtig.« Abermals tauschten sie Hiebe aus und erneut brachte sie Olen zu Fall.
»Also?«
»Du hast den Schwerpunkt sehr zentral unter Deinem Körper, überwiegend auf einem Bein.«
»Soweit richtig. Aber das ist nur eine Beobachtung, welche Folgen hat das?«
»Dein anderes Bein ist frei?« Der Blondschopf zog die Augenbrauen hoch und schaute sie aus großen Augen an. Gleichzeitig hob er aber auch sein Schwert und signalisierte Bereitschaft zum Kampf.
»Richtig. Und dadurch habe ich ein zusätzliches Gegengewicht, sollte sich mein Schwerpunkt oberhalb der Hüfte verschieben. Es hat außerdem einen nützlichen Nebeneffekt, den Du ebenfalls beobachten durftest«, erwiderte Vesa und führte einen hohen Schlag gegen seinen Kopf. Er blockte, trieb ihre Klinge nach unten und versuchte es mit einem Fausthieb gegen ihre Schulter. Sie wich aus, bekam ihre Waffe frei und zog sie ihm quer über den Bauch.
»Dass ich Dir das Bein nicht wegziehen konnte«, bemerkte er und schien von seiner Erkenntnis erstaunt zu sein.
»So ist es. Mein komplettes Gewicht lastet auf meinem Fuß, das musst Du erst einmal mit einem einfachen Tritt aushebeln«, bestätigte sie. »Nicht so leicht.« Er nickte. »Allerdings«, mahnte sie während sie ihre Ausgangsposition einnahm, »gilt das nur solange, wie ich stationär bin. Kämpfe erlauben es selten, an einer festen Position zu verharren, wie Du sicherlich bemerkt hast.«
»Stimmt. Was nützt es mir dann?«
»Vorerst, dass Du Standfestigkeit gewinnst. Wenn Du Dein Gleichgewicht gefunden hast, können wir darauf aufbauen und komplexer werden. Wir werden nicht immer auf Brettern fechten.«
»In Ordnung. Ein Bein?« Olen schaute zu seinen Füßen hinab und verlagerte deutlich sichtbar das Gewicht auf sein rechtes Bein. Er schwankte und breitete die Arme aus. Er wirkte wie ein Pendel, das immer in die entgegengesetzte Richtung schwang, sobald er sich zu sehr in eine Richtung neigte. Sehr wackelig und instabil, aber er würde schon noch den Dreh herausbekommen. Sicherheitshalber machte sie es noch einmal vor, tippte die Zehenspitzen des linken Fußes nahe der Ferse auf das Brett, legte die Arme an und hielt ihr Schwert somit auch nahe der Hüfte. Der Nord versuchte, ihrem Beispiel zu folgen.
»Gut, bleib so.« Langsam nähere sie sich ihm und blieb letztlich vor ihm stehen. Ohne Vorbemerkung hieb sie ihm die Faust gegen die rechte Schulter. Sofort und reflexartig spreizte er die Arme und das unbelastete Bein ab. »Sehr gut.« Sie wiederholte es mit der anderen Seite und provozierte ein ähnliches Ergebnis.
»Ich mache kaum etwas, das kommt … so selbstverständlich«, versuchte sich Olen zu erklären. Die Jägerin wusste nur zu genau wovon er sprach.
»Instinkte. Dein Körper hat ein natürliches Bedürfnis im Gleichgewicht zu bleiben. Das Gefühl des schmalen, wackeligen Bretts hat den Hauch von Gefahr, nicht? Du spürst das leichte Glucksen des Herzens, jedes Mal, dass Du stürzt, als fürchte Dein Geist in einen tiefen Abgrund zu fallen«, erläuterte sie.
»Ja, ja! Genau so!«, bekräftigte ihr Auszubildender mit vehementem Kopfnicken.
»Bekomme ein Gespür für die Muskeln, die Dir dabei helfen Dein Gleichgewicht zu behalten. Von Zehen über die Knöchel bis hinauf in den Nacken oder Finger. Wenn Du das geschafft hast, können wir die Bretter verheizen.« Ansatzlos schlug Vesana ihm den Handballen auf das Brustbein und drückte so seinen kompletten Oberkörper nach hinten. Zwar versuchte er das hintere Bein als Stütze zu benutzen, doch kam der Schlag zu schnell und unvorbereitet für ihn. Taumelnd trat er fehl und fiel abermals zu Boden. »Doch bis dahin mag es noch eine Weile dauern«, goss sie Öl in das Feuer seines zweifelsfrei verletzten Stolzes.
Schnaufend stand er auf, putzte sich und hob bestimmt das Schwert. »Werden wir sehen«, verkündete er unverhofft kampfeslustig. Die Kaiserliche runzelte überrascht die Stirn, bereitete sich aber im selben Moment auf einen neuen Schlagabtausch vor. Der folgte prompt. Olen setzte vor, hieb von oben und traf ihre Klinge. Mit derselben Bewegung drehte sich Vesa ein und rammte dem Nord die Schulter vor die Brust dass er nach hinten stolperte. Allerdings fiel er nicht, was sie dünn lächelnd zur Kenntnis nahm. Im Anschluss folgte ihr Konterangriff. Ein waagerechter Schnitt auf Hüfthöhe, den er so ablenkte, dass die Spitze ihres Schwertes an ihm vorbeisauste ohne ihn zu treffen. Bevor er sich von dem Schlag gegen seine Klinge erholte, zog die Jägerin ihre Waffe bereits zurück und legte sie ihm an den Hals. Er verbesserte sich durchaus schnell, was die grobe Motorik anbelangte. Aber die Feinheiten und die Geschwindigkeit fehlten ihm noch. Das würde nur langes Üben ändern.
»Wie lange hast Du Dir vorgestellt, soll Deine Inanspruchnahme der Dienste der Gefährten – meiner Dienste – dauern?«, fragte sie deshalb und behielt gleichzeitig auch den Auftrag Kodlaks im Hinterkopf.
»Solange wie es eben dauert«, gab er ohne Zögern zurück.
Vesa stutzte kurz, während sie ihm den Rücken kehrte und zum Ende des Stegs lief. »Die Ausbildung zu einem guten Schwertkämpfer kann Monate oder auch Jahre dauern, bis dahin könnten die Räuber verschwunden oder Dein Dorf ruiniert sein«, gab sie zu bedenken und wandte sich ihm zu.
»Nicht im Winter«, erklärte er. »Da lassen uns die Banden, oder besser die größte Bande, in Ruhe. Haben wohl keine Lust sich die Zehen abzufrieren. Deswegen bin ich hier.«
»Verstehe. Woher nimmst Du das Geld für die Ausbildung zu bezahlen?«
Betreten wirkend senkte Olen den Blick und die Lider, harrte einige Herzschläge lang so aus, und richtete seine Augen anschließend mit neuem, in ihnen funkelndem Feuer auf die Kaiserliche. »Meine Mutter«, begann er, »hat mir einigen wertvollen Familienschmuck gegeben, den wir versteckt hatten. Den habe ich verkauft. Ich bleibe also solange wie das Geld reicht, spätestens bis zum Frühjahr.«
»Dann sehen wir zu, dass die Zeit gut genutzt wird«, bekräftigte sie und ging fließend in den Angriff über. Gerade rechtzeitig hob Olen seine Waffe, um ihren ersten Hieb abzulenken. Doch folgte ein schneller, tief geführter Schnitt über die Oberschenkel und ein Stich gegen den Bauch, die er zwar versuchte abzuwehren, aber stets zu langsam dafür war. »Und Du gewöhnst Dich besser daran, immer zu verlieren, Frust und Wut produzieren selten Kampfgeschick«, mahnte sie.
Und sie produzierten selten auch sonst irgendwelche ausgegorenen Pläne, erinnerte sie sich selbst, schüttelte gleich darauf allerdings den Kopf. Sie würde sich nicht schlecht fühlen, diesen Triumpf wollte sie dem Abschaum im Hinterzimmer nicht gönnen. Für einen kurzen Moment schloss die Kaiserliche die Augen und atmete tief durch. Das nervöse Zittern in den Fingern versuchte sie durch festeren Griff um ihre Waffe und das Ballen zur Faust zu unterdrücken. Unfassbar, wie schnell sie sich selbst von der Lehre an Olen in die Fluten ihres eigenen Gefühlschaos zu stürzen vermochte.
Von ihrer eigenen Wankelmütigkeit gereizt, wandte sie sich von ihrem Auszubildenden ab. »Nochmal von vorn«, wies sie ihn an und das Spiel begann erneut. »Was sind das für Räuber, die Dein Dorf heimsuchen?«, fragte sie in einer Pause.
»Mehrere Gruppen, zwei kleine und eine größere, wobei die beiden kleinen für die große arbeiten. Sie wechseln sich immer ab und soweit wir es überhören konnten, toleriert die große Gruppe die kleinen, solange diese ihre Abgaben zahlen«, erklärte Olen und verlor abermals in dem folgenden Duell.
»Irgendwelche Besonderheiten der Gruppen?«
»Es sind Menschen. Überwiegend Nord, ein paar Rothwardonen in der einen, ansonsten noch ein paar vom Kaiservolk. Bretonen oder Elfen habe ich keine bei ihnen gesehen, auch keine Tiermenschen.«
»Und sie stehlen nur eure Habe? Irgendwann müssen sie doch mal alles geholt haben.«
»Sie stehlen immer nur einen Teil, überwiegend Braugut und Vorräte. Wir sind sowas wie deren Vorratskammer, wenn sie Streifzüge weiter nach Norden planen. Hab gehört, dass sie einige der gängigen Handelsrouten durch die Berge abschirmen. Immer genug, um wehzutun, aber nie so viel, um die Hand des Fürsten in Falkenring zu Taten zu zwingen.« Olen klang zunehmend verbitterter, Wut mische sich in seine anfänglich ausdruckslosen Worte. Es spiegelte sich auch in seinen Schlägen, die er deutlich kraftvoller führte.
»Das erklärt auch, warum sie euch im Winter in Frieden lassen. Es gibt kaum Lebensmittel zu holen und die Handelsrouten sind vom Schnee blockiert«, schlussfolgerte Vesa und sandte den Nord mit einem Tritt gegen sein Knie zu Boden. Stöhnend nickte er ihre Bemerkung ab. »Wie viele Mitglieder haben die Banden?«
»Keine Ahnung«, presste er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor, beugte und streckte das Bein, um sicherzugehen, dass nichts verletzt war. »Die kleineren höchstens ein Dutzend, jeweils, wenn überhaupt. Die große … schwer zu sagen. Vielleicht doppelt so viele.«
»Ziemlich große Gruppen. Sicher, dass es wirklich so viele sind?« Die beiden Übenden wandten simultan die Köpfe zur Seite. Keiner von ihnen hatte Vilkas bemerkt, als er in seinen dicken Mantel aus dunklem Leder und Fell die Stufen hinabgestiegen und am Rand des Übungsplatzes stehen geblieben war.
»Wie gesagt, ich weiß es nicht sicher. Mehr als vier, fünf gleichzeitig habe ich nie gesehen, aber es sind mehr verschiedene Gesichter«, schüttelte Olen die Überraschung ab.
Der dunkelhaarige Nord nickte, als hätte er noch wesentlich mehr von ihrem Gespräch mitgehört als nur die letzten Sätze, und wandte sich im Anschluss der Kaiserlichen zu. »Vesa, der Alte und ich haben beschlossen, dass ich in Deiner Abwesenheit die Ausbildung übernehme. Aela hat nach Dir verlangt. Du weißt, warum.« Nahezu demütig neigte er das Haupt vor ihr, als erfülle ihn mehr als nur ein bisschen Reue für die Geschehnisse des letzten Tages.
Kommentarlos und mit mechanischen Bewegungen reichte die Jägerin dem befreundeten Zirkelmitglied Übungsschwert und Scheide. Noch ehe sich Olen verabschieden konnte, hastete sie die Stufen zur Terrasse hinauf und hörte nichts weiter, als das Rauschen ihres Blutes in den Ohren. Kälte und Frost weggeblasen, stampfte die Kaiserliche auf den Eingang Jorrvaskrs zu und legte mit viel Schwung die Hand auf die Klinge. Donnernd nach unten gedrückt, stieß sie die Pforte auf. »Vesa!«, rief ihr Vilkas nach und sie fror in ihren Bewegungen ein. »Viel Glück.« Ohne zu antworten trat sie ein, schubste einen der Welpen unsanft zur Seite, als er ihr nahe der Feuerstelle im Weg stand, und gelangte schließlich an der Vorratskammer an. Aela wartete auf sie, schwieg jedoch.
Gemeinsam traten sie ein und verriegelten die Tür. Vesana streifte noch ihre Jacke und Handschuhe ab, dann trat sie hinter den Raumteiler und blickte auf den Haufen Elend vor sich. Die Haut an den Wundrändern im Gesicht und wo sie sie durch die Fetzen seiner fast schwarz verfärbten Kleidung auf der Schulter sah, hatte sich in dunklem Grau eingetrübt. Die Blutung schien gestillt und es wirkte, als wären die tieferen Lagen der Verletzungen ansatzweise verheilt. Schweiß stand dem Gefangenen auf der Stirn, er wimmerte im Fieberwahn und die sonstigen, freien Hautstellen erschienen totenbleich. Deutliche Zeichen dafür, dass der Keim des Wolfsblutes in ihm aufging und ihn testete.
»Er hat gesprochen?«, wollte die Jägerin schließlich wissen, als sie genug gesehen hatte.
»Nicht direkt. Er verlangte nach Dir.«
»So? Hier bin ich.« Ungeduldig schnaufend hob Vesa ihren Fuß und drückte die Sohle auf die Krallenverletzung an seinem Bein. Jaulend hob er das Haupt und riss die Augen auf. Um seine hellbraunen Pupillen hatte sich ein dünner, gelber Rand gebildet. Sein Mund stand leicht geöffnet, die Schneide- und Eckzähne liefen spitzer zu als es üblich gewesen wäre, und die Lippen bebten, durchzogen von dunklen Äderchen.
»Lass mich …«, setzte er an, brach jedoch ab und schluckte schwer. »Lass mich nicht zum«, er räusperte sich, als seine Stimme in rauem Brummen zu verklingen drohte. »Nicht zum Wolf werden«, bat er und Tränen rannen ihm trotz des Schweißes deutlich zu erkennen aus den Augen.
»Erst redest Du, dann treiben wir Dir das Wolfsblut aus«, erwiderte Vesana und die sich langsam aufdrängende Reue verklang in den weiten Hallen der Hoffnungen und Erwartungen. Der Wolfsjäger nickte nur und ließ das Kinn schließlich schlaff, kraftlos auf die Brust sacken.
»Ich habe … den Mann gesehen«, erzählte der Gefangene. »Vor … Kurzem.«
Der Kaiserlichen setzte das Herz schmerzhaft lange aus und sie spürte, wie sich ihr die Augen weiteten. Schnell ging sie vor dem Abschaum der Silbernen Hand auf die Knie und packte seinen Kiefer, hob sein Antlitz, dass er sie ansehen musste. »Wann und wo genau?«
Er schloss die Lider und versuchte, sacht das Haupt zu schütteln. »Unwichtig … Er soll als … Sklave nach Cyrodiil … überführt werden. Kräftig der Bursche … selbst im ausgehungerten … Zustand«, antwortete der Kerl mit schwerer Zunge.
»Also lebt er?«, fuhr Vesa ihn an und verfestigte ihren Griff um sein Kinn. Als ihre Fingerkuppen langsam in die tiefen Schnitte auf seiner Wange eindrangen, sog er hörbar scharf die Luft ein.
»Ja«, presste er hervor, rang sich aber gleichzeitig ein blutiges Grinsen ab. Trotz all des Schmerzes spiegelte sich noch immer blanke Verachtung in seinen verzerrten Augen. »Soweit wie … Sklaven eben leben.« Schlagartig ließ die Jägerin von ihm ab und fiel nach hinten auf das Gesäß. Dicke Tränen rannen ihr aus den Augenwinkeln hinab über die Wangen, Lippen bebend und die Finger plötzlich kraftlos. Leichtigkeit drehte ihre Eingeweide um und mehr als simples Glucksen brachte sie nicht hervor. Schluchzend hob sie die Rechte und presste sie vor den Mund während ihr der Rotz aus der Nase lief. Nur mit Mühe verhinderte sie, dass sie zur Seite fiel und sie das heftig aufflammende Stechen in den Schläfen übermannte.
»Wann und über welche Route wird er überführt?«, sprang Aela ins Verhör ein und klang, als befände sie sich auf der anderen Seite eines Wasserfalls. Undeutlich und vom Rauschen in den Ohren verzerrt.
»Über den Pass … südlich von Helgen«, antwortete das Mitglied der Hand. »Zusammen mit … einigen anderen …«, er legte eine deutlich längere Pause ein, als musste er seinen Mut sammeln, »und wichtigen … Dokumenten und Gütern.«
»Wann?«, wiederholte die Nord.
»Die Karren sollten … diese Woche aufbrechen«, antwortete er schließlich und brach glucksend ab. Leises Knurren rollte über Vesas Ohren hinweg und wandelte sich gleich darauf in flehendes Jammern und Schluchzen. »Bitte … das Wolfsblut …«
Aela hockte sich neben Vesana, die nur langsam und träge aus ihrer Starre brach. Erleichterung und Freude, ebenso wie Schuld, die Hoffnung beinahe aufgegeben zu haben, und die Wut darüber, dass ihr ihre Freunde im Zirkel diese unfassbar wertvollen Informationen hatten verwehren wollen. All das und der überwältigende Schock der Nachricht raubten ihr die Fähigkeit zu sprechen. »Vesa«, eröffnete die rothaarige Nord. »Das gibt uns bestenfalls vier, vielleicht fünf Tage, um nach Helgen zu gelangen und ihnen dort den Weg abzuschneiden.« Nur langsam drang diese Bemerkung in ihren Geist ein und als tauchte sie aus tiefem Wasser auf, eröffnete sich ihr die wichtige Erkenntnis darin: Sie mussten aufbrechen – und zwar sofort.
Die benebelnden Gefühle plötzlich wie weggeblasen, sprang die Kaiserliche auf die Füße, getrieben von einem rasenden Herz und dem Jucken in den Fingern, Darius nach all der Verzweiflung doch wieder in die Arme schließen zu können. »Pack Deine Sachen«, rief sie Aela über die Schulter zu, als sie sich ihre Kleidung schnappte und aus der Vorratskammer stürmte. Ihr fehlte der Blick für die Leute in der Haupthalle, die sie am Rande nur als glotzende Kühe in abgestandener Sommerluft wahrnahm, aus dem Weg schob und eilig hinter sich ließ. Zwei Stufen auf einmal nehmend, hastete Vesana die Treppe in den Keller hinab, ließ die Tür am Fuße der Stiege offen stehen und preschte in ihr Zimmer.
Routine übernahm von dort an. Sie wusste, was in ihren Tornister gehörte, was sie packen musste. Medizinische Versorgungsgüter, Jagdmesser, Landkarte, Seil. Zum Schluss die Herzsteinsplitter und ihr Totem, von ihrer Schlafunterlage abgedeckt. Es musste alles mit und schmiegte sich perfekt im Innern des Felleisens aneinander. Die Zeltplane schnürte sie zum Abschluss oben auf das Gepäck, Kochgeschirr baumelte außen an den Seiten, und lehnte es neben die Tür an die Wand. Auch die Handgriffe, mit denen sie zurück in ihre Jacke schlüpfte und anschließend ihre bewegliche Lederrüstung überzog, saßen zielsicher, obgleich sie mit den Gedanken längst nicht mehr in ihrer Kammer verweilte. Das Gesicht ihres Geliebten, freundlich lächelnd und sie willkommen heißend, prangte vor ihrem inneren Auge, wechselte sich mit dem Bild einer Karte des südlichen Fürstentums Weißlauf ab und zeichnete die wohl schnellste Route nach.
Zu guter Letzt schnappte sich die Kaiserliche ihre Stahldolche, band sie an den Gürtel, nahm ihren Jagdbogen und zwei Sehnen. Letztere verstaute sie in einem kleinen Beutel an der Hüfte, ersteren behielt sie in der Linken, als sie sich ihren Tornister über die Schulter warf und zur Waffenkammer stiefelte. Zwei volle Köcher mit Pfeilen mussten genügen. In einen davon schob sie den entspannten Bogen, bevor sie sie an ihrem Reisegepäck festzurrte. Gerade griff sie sich eines der einfachen Stahlschwerter, die Eorlund für die Gemeinschaft geschmiedet hatte, da trat jemand hinter ihr in die eher dunkle, metallisch duftende Grotte ein. »Hier, Dein Proviant.« Es war Skjor, der die Jägerin mit seinen Worten aus ihrer Trance schrecken und herumfahren ließ. In voller Montur stand er vor ihr. Dicke Stahlplatten zierten seine Brust und Schultern, das aufgerissene Maul einer Wolfsverzierung prangte am Halsansatz. Schwarzes Fell trat an den Öffnungen der schweren Rüstung hervor und hüllte als Rock unter einigen hängenden, beweglichen Platten die Beine bis oberhalb der Knie ein. Der dicke, wetterfeste Umhang verdeckte einen Teil der Panzerung, kaschierte jedoch nicht ihre Wucht. Über einer Schulter sah Vesana den Riemen seines Felleisens, den er mit einer Hand festhielt. Mit der anderen reichte ihr der einäugige Nord zwei Beutel.
Wortlos nickend nahm sie sie entgegen und band die Scheide ihres ausgewählten Schwertes an ihr Gepäck, ebenso wie die überreichten Lebensmittel. Es stand außer Frage, dass Skjor Aela und sie begleiten würde und diesen Entschluss wohl schon vor den Neuigkeiten der zweiten Befragung getroffen haben musste. Jetzt wartete er lediglich auf sie und verließ letztlich mit ihr die Waffenkammer. Im Gehen nahm die Kaiserliche noch einen Speer auf, dann schlug sie die Tür hinter sich ins Schloss. »Wo ist Aela?«, fragte Vesa im Gehen und justierte ihren Tornister, der schwer an ihren Schultern zog und mit dem Gewicht all ihrer Ausrüstung schnell den Schweiß aus den Poren trieb.
»Wartet oben«, antwortete der Einäugige als sie die Treppe hinaufstiegen.
»Und wenn schon, es ist einer der unseren! Wir lassen ihn gewiss nicht im Stich, wo sich uns so eine Gelegenheit bietet!«, brandete die temperamentvolle Stimme der rothaarigen Nord sogleich über Vesa hinweg, als sie am oberen Ende der Stiege angelangte.
»Ich mahne nur zur Vorsicht, handelt nicht unüberlegt«, entgegnete Kodlak in rauer, aber sehr ernster Stimmlage. Die beiden Nord standen nicht weit entfernt und mit wenigen Schritten waren Skjor und sie bei ihnen. Während Aela keinen Hehl aus ihrem Ärger machte, bemühte sich der Herold darum seine Tonlage zu dämpfen.
»Was ist los?«, wollte Vesa wissen, obwohl alles in ihr danach lechzte das Gildenhaus zu verlassen und aufzubrechen. Das Herz krallte sich von unten an ihren Hals und den Atem hielt sie nur mühevoll in langsamen Zügen.
Die silbergrauen Augen des Alten wanderten zu ihr, feine Fältchen legten sich auf seine matte Haut. »Vesa … Bitte, lasst euren Hass nicht Anlass zu unüberlegten Taten werden. Wir hatten lange keine Zwischenfälle mit der Hand. Gebt ihr keinen Grund, daran etwas zu ändern«, bat er. Die Jägerin schaute ihn einen Moment lang an, nickte dann jedoch, auch wenn sie ihre Zweifel hegte, ob der Gefangene, geschweige denn Darius Befreiung nicht bereits Anlass genug boten. Ihr war es das allemal wert, das musste wohl auch der Herold wissen, wenngleich er sich lieber anders überzeugen lassen wollte. Letztendlich trat er zur Seite und ließ sie passieren.
Aela war ebenfalls voll ausgerüstet. Schwert am Gepäck, ebenso wie Köcher und Bogen, Dolche am Gürtel und eisenbeschlagene Lederrüstung über der Jacke. Skjor trug ein deutlich größeres Schwert, das wohl gut auch mit zwei Händen geführt werden konnte. Einige der Welpen und einfachen Mitglieder warfen ihnen neugierige, aber auch ernste und besorgte Blicke zu, während die Drei schweißtriefend ob der stickigen Wärme zum Vordereingang Jorrvaskrs schritten.
Farkas fing sie dort ab. In voller Rüstung und mit dem langen Griff seiner Waffe über der Schulter prangend wirkte er nicht anders als sonst auch, lediglich die Situation verlieh ihm den Anschein er wollte sie begleiten. »Wir haben nur drei Pferde im Stall«, begann er zu sprechen, Mundwinkel nach unten gezogen. »Ich würde euch begleiten, aber dann wärt ihr langsamer«, fuhr er fort und verzog das zerfurchte Gesicht noch stärker in tiefem Bedauern. »Daher euch nur viel Glück. Bringt ihn heim.« Er klopfte jedem der drei Zirkelmitglieder auf die Schulter, als sie ihm im Vorbeigehen zunickten und die Halle verließen. Die kalte Luft wirkte dabei regelrecht erleichternd, auch wenn sie sofort auf der feuchten Haut zu stechen begann.
»Es ist bald Mittag, wir sollten uns beeilen, wenn wir heute noch vorankommen wollen«, beschloss Skjor und legte einen lockeren Trab vor, als sie die Stufen zum Güldengrünbaum hinter sich ließen. Aela und Vesana folgten wortlos seinem Beispiel.
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Geändert von Bahaar (14.03.2015 um 06:01 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf
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Jeder von ihnen schepperte weithin vernehmbar. Skjor wegen seiner Rüstung, Vesa und Aela aufgrund des metallenen Geschirrs, das an ihren Felleisen baumelte. Die Leute auf den Straßen stoben auseinander, lange bevor die Drei eine Gelegenheit dazu hatten, sie aus dem Weg zu schieben. Obgleich die frostige Luft in den Lungen brannte, blieb von der Kälte nach kurzer Zeit kaum noch etwas zu spüren. Mit dem Herz nicht nur aufgrund der Anstrengung bis zum Hals schlagend, holte Vesana nach einer Weile zu Skjor auf und hängte ihn ab. In seiner schweren Rüstung kam er trotz der längeren Beine nicht mehr allzu schnell vom Fleck. Er schnaufte nur, als die Kaiserliche ihn überholte und nach einigen weiteren Schritten grummelte er gleich ein weiteres Mal. Ein Blick über die Schulter verriet, dass Aela ebenfalls das Tempo angezogen hatte. »Du wirst alt, Skjor«, zog ihn die rothaarige Nord auf und nahm die Beine in die Hand, um außer Reichweite der Arme ihres kahlköpfigen Freundes zu kommen. Ein bisschen Spaß musste dann doch noch sein, obwohl Vesa letztlich nicht in die Heiterkeit einstieg.
Durch das offene Tor verließ ihre kleine Gruppe die Stadt und hastete die steiler werdende Straße hinab, über die Zugbrücke und letztlich durch das alte Stadttor am Fuße des Bergs, auf dem Weißlauf errichtet worden war. Den letzten Abschnitt zu den Stallungen legten sie dann auch in Windeseile zurück. Schnaufend blieben sie am Zaun stehen, keuchten allesamt, stützten sich auf die Knie und hechelten sich die Lungen aus den Leibern. Die Jägerin gewann als erstes ihre Kondition zurück, schwang sich durch die Pforte der Koppel und marschierte schnurstracks zum Stall. Wie allen anderen, die ihn entsprechend entlohnten, räumte der Wart den Gefährten einen eigenen Abschnitt ein, kümmerte sich um Futter und Wärme der Tiere, pflegte und hegte sie, während sie nicht benötigt wurden. Drei an der Zahl, alles Braune mit buschigerem Fell an den Knöcheln. Typisch für die Huftiere im kalten Himmelsrand.
Sattel, Unterdecken, Taschen und sonstiges Zaumzeug hing an den Wänden des Kastens, in dem die Tiere standen und genüsslich ihr Stroh fraßen. Glänzendes Fell und kräftige Muskeln deuteten auf ihren gesunden Zustand hin. »Ah, die Herren Gefährten«, grüßte sie ein Mann mit rauer Stimme und trat aus einer der anderen Boxen heraus. Skulvar, mit langem, dunklem Haar und dichtem, auffälligem Schnauzer. »Kann ich helfen?«, wollte er wissen und lehnte seine Mistgabel gegen eine nahe Bretterwand.
»Danke, aber wir kommen zurecht«, erwiderte Aela und streifte ihren Tornister ab. Vesa und Skjor taten es ihr nach und begannen die Pferde vorzubereiten. Keiner beachtete den Stallmeister. »Eine andere Route als an Flusswald vorbei kommt nicht in Frage, nehme ich an?«, wandte sie sich an ihre Gefährten und warf dem ersten Braunen eine Decke über den Rücken.
»Ich kenne keine schnellere«, entgegnete Vesa und zurrte mit der Nord zusammen die Riemen des Sattels fest, den sie auf der Wollplane platzierten.
»Wir könnten einen Pfad im Hinterland des Pelagia-Hofes nehmen«, gab Skjor zu bedenken und kümmerte sich derweil allein um eines der Pferde. Die beiden Frauen hoben gleichzeitig die Köpfe. »Es gibt dort einen Weg, klein, ziemlich zugewachsen, jetzt im frühen Winter aber sicher schon frei von Gestrüpp.«
»Woher weißt Du das?«, hakte Aela nach, schaute ihn noch einen Moment an, dann widmete sie sich mit Vesa weiter dem Sattelzeug.
»Habe ich beim Jagen vor etlichen Jahren mal gefunden«, erklärte der Einäugige und hievte sein Gepäck auf den Rücken seines Pferdes, während die anderen das letzte Tier vorbereiteten. »War bislang eine unnütze Entdeckung, aber um Zeit zu sparen eignet er sich gut«, setzte er nach.
»Dann nehmen wir den«, entschied Vesa, die ohne dass es einer Absprache bedurfte ihr Unterfangen leitete. Zumindest ging sie davon aus, immerhin betraf es sie am stärksten und war ohnehin nur auf ihre Veranlassung hin zustande gekommen.
»Gut.« Der gerüstete Nord zurrte sein Schwert an der Seite seines Sattels fest und führte den Braunen aus dem Stall heraus. Die Jägerin und Aela schlossen in der Zwischenzeit ihre gemeinsamen Arbeiten ab und beluden ihr jeweiliges Tier. Die schnauften unter der neuen Last, gewöhnten sich aber auch schnell daran und würden sich sicherlich über die Bewegung freuen. Gegen die Kälte mochten sie durch die Decken und die Leder- und Fellbandagen an den Knöcheln ausreichend geschützt sein, zumal ihnen sicher auch von innen warm genug werden würde.
Etwas unbeholfen, zu lange hatte sie nicht mehr im Sattel eines Pferdes gesessen, aber letztlich erfolgreich schwang sich Vesana auf ihr Tier und nahm die Zügel in die Hände. Skulvar lehnte gerade am groben Zaun der kleinen Koppel und schwatzte mit einer Magd, die den großen, vollen Körben nach zu urteilen wohl gerade aus der Stadt kam. Umstandslos löste er sich von ihr, als er mit einem Blick über die Schulter die drei Gefährten bemerkte, und öffnete das Tor für sie. »Einen guten Ritt«, wünschte er und hob die Hand zum Gruß an den Kopf. Im Gegenzug erhielt er grimmiges Nicken und gleich darauf nur noch Hufgetrappel, als sie ihre Pferde in leichten Trab versetzten.
»Dann führe uns zu Deinem geheimen Pfad«, forderte sie Skjor mehr als dass sie ihn bat. Aber er schien sich nicht an ihrem Ton zu stören und leitete ihr Dreigespann zielstrebig von der großen Weststraße herunter am nahen Pelagia Gehöft vorbei und quer über die Steppen. Schnaufend, in steten Dunst um die Mäuler gehüllt, quittierten die Braunen die Belastung, aber es klang auch glücklich und ehrgeizig in den Ohren der Kaiserlichen. Den Tieren kam die Anstrengung trotz der Kälte gerade recht.
»Vesa, hast Du eigentlich schon eine Vorstellung davon, wie wir die Sache angehen wollen?«, fragte Aela hinter ihr. Genau dieselbe Frage hatte sie sich auch schon gestellt. Wirklich effektiv darüber nachgedacht hatte sie nicht, obgleich das eine oder andere aus dem Standardrepertoire durch ihren Verstand geisterte.
»Nein«, erwiderte sie dennoch. »Aber hatten wir nicht letztens die Debatte darüber, dass Helgen zerstört worden ist?« Die Kaiserliche blickte über die Schulter zu der Nordfrau, deren rote Haare im steten Auf und Ab des Ritts als Feuerschweif hinter ihrem Kopf wedelten.
»Kann mich nicht erinnern«, entgegnete sie.
»Ach richtig, das war am Abend vor Rias Geburtstag. Ihr zwei wart … unterwegs.«
»Kann sein. Was habt ihr besprochen?«, lenkte die Rothaarige auf den wichtigeren Punkt um.
»Das Helgen doch vor einiger Zeit zerstört wurde. Von wem oder was auch immer. Ich denke, die Ruinen dürften sich gut für einen Hinterhalt und diverse Fallen eignen«, erklärte Vesa daraufhin.
»Solange genug übrig ist«, wandte Skjor von vorn ein und erntete bitteres Brummen der Frauen.
»Jedenfalls sollten wir uns nicht unnötig Zeit lassen. Fallenstellen braucht in jedem Fall seine Zeit«, gab Aela zu bedenken. Die Kaiserliche nickte nur und wandte den Blick in die Richtung ihres Ritts. Hoch türmten sich dort weit vor ihnen die Berge auf. Tief an den schroffen Flanken hinab, auf den Wipfeln und Spitzen der vereinzelten, manches Mal in Grüppchen stehenden Bäume und auf den sonst grauen Felsen, überall puderte funkelndes Weiß die natürlichen Mauern der Welt. Der Winter hielt die Gipfel der Berge Himmelsrands bereits in festem Griff und dehnte seine Domäne immer weiter aus. Wo im Osten die Serpentinen ins Tal von Flusswald hinaufführten, auch wenn sie auf die Entfernung bereits stark in silbergrauem, winterlichem Dunst verblassten, zeichnete sich an ihrem oberen Ende ebenfalls die helle Glasur ab. Schnee reichte bis zur Talsohle und durfte zweifelsohne das verschlafene Städtchen etwas flussaufwärts einhüllen. Es würde also nicht lange dauern, bis auch ihre Gruppe in das eisig-weiße Vergnügen eintauchte.
»Der Pfad ist direkt hier im Hinterland?«, wandte sich Vesana an Skjor.
»Hmhmm. Wenn wir die Geschwindigkeit halten und es keine Zwischenfälle gibt, sollten wir es heute sogar noch halb hinauf schaffen«, erklärte er.
»Tatsächlich?«
»Ja. Weiter würde ich aber heute ohnehin nicht reiten«, wandte er ein.
»Weshalb das?«, wollte die Kaiserliche wissen und biss sich auf die Zunge, als sie sich ihres scharfen, regelrecht empörten Untertons gewahr wurde.
»Lange nicht mehr geritten, was?«
»Nein.«
»Es ist besser, wenn sich die Pferde akklimatisieren können. Sie haben lange keine Nacht mehr draußen verbracht. Lieber noch eine Nacht unterhalb der Schneegrenze verbringen und dafür morgen mehr Schaffen«, erläuterte er und Vesa brummte zustimmend. Recht hatte er, wenngleich es ihr nicht schmeckte, Zeit zu verschenken. »Wir sollten durch diesen Weg wenigstens einen halben Tag einsparen, die Pause dort können wir uns leisten«, fügte er an, sicherlich ahnend, was sie dachte und empfand. Obwohl seine Stimmlage kein Bisschen von ihrer üblichen Rauheit abwich, kam es der Kaiserlichen dennoch so vor, als signalisierte er so etwas wie Mitgefühl – grotesk und surreal wie es ihr auch erscheinen mochte. Vielleicht lag es an dem leicht zur Seite und somit mehr zu ihr gedrehten Kopf des Nords, vielleicht auch daran, dass er tatsächlich mehr als normalerweise sprach.
»Schon gut, danke«, erwiderte die Jägerin nach einer kurzen Pause und Skjor wandte das Gesicht wieder geradeaus. Die Thematik hatte sich somit geklärt. Entsprechend schweigsam setzten die Drei ihre Reise fort und näherten sich stetig dem Gebirge. Der eisige Wind aus den höheren Lagen verblasste mit der Zeit und verschwand mit zunehmender Taubheit der Haut als leises Zwicken in den Hintergrund, der feuchte Atem gefror unlängst zu dicken Eisknollen am Fellsaum der Kapuze und dem groben Halstuch. Aber die Anstrengung des Ritts, die Strapazen für die Beine und das Gesäß, das stete Wippen des massigen Pferdeleibs und gelegentliches Korrigieren der Laufrichtung hielten den Rest des Körpers der Kaiserlichen warm. Obschon in Gedanken schon mehrere Tage vorauseilend, blieb Vesana noch genug wohliger Komfort unter der dicken Kleidung, um wegen der einen oder anderen verlorenen und kitzelnden Schweißperle auf dem Rücken entnervt zu Brummen und vergeblich zu versuchen, den Juckreiz mit Kratzen durch die Jacke zu vertreiben.
Im Verlauf des Nachmittags zog ihr Weg schließlich an, wurde erst steiniger und auf wenigen hundert Schrittlängen derart steil, dass sich der Pfad in engen Serpentinen hinaufwinden musste. Zwischen dem im Herbst braun gewordenen, teils ergrauten Buschwerk und den vereinzelten Nadelhölzern ließ er sich, sofern nah genug, sehr leicht ausmachen. Allerdings blieb zu erahnen, dass in warmen Zeiten ein dichter Teppich aus saftigem Grün den schmalen Weg versteckte. Ihre Reittiere, die zuvor die Belastung wohl noch als Spaß empfunden hatten, begannen nun heftig zu keuchen und zu schnaufen. Aus dem leichten Trab wurde ein langsames Klettern und bedachtes Setzen der Hufe auf dem unebenen, teils losen Grund. Mehr als einmal sandte einer von ihnen grobe Felsbrocken den Abhang hinunter. Dazu versanken sie in den Schatten der hohen Gipfel und der Wind frischte auf, wie um ihnen zu zeigen, wer ab sofort das Sagen haben würde. Murrend zog Vesa ihren Kragen enger und korrigierte den Sitz ihrer Kapuze. Als wäre dem aber noch nicht genug, glaubte die Kaiserliche immer wieder Bewegungen im Halbdunkel auszumachen.
Mal schnell, mal langsam huschende Schatten, manches Mal in der Form eines Mannes und dann doch auch wieder in der eines Wolfes. Jetzt, wo ihre Umgebung in Undeutlichkeit zu verschwimmen begann, ihre Augen weniger klare Formen fanden, an denen sie die Realität festmachen konnten, drängten sich ihr immer mehr Erinnerungen, kurz aufblitzende Bilder, von Darius auf. Einmal stand er auf einem Felsen, beobachtete sie, gleich darauf bildete ein hervorstehender Stein die Nase seines Gesichtes in der Steilwand. Nur mit Mühe verdrängte sie die mit schmerzhafter Sehnsucht daherkommenden Gedanken an den Rand, kniff die Lider für lange Herzschläge zusammen, hoffend, die Illusionen mögen danach verschwunden sein. Mehr schlecht als recht gelang es ihr.
Obgleich die Drei nur langsam vorwärts kamen, in die Höhe schraubten sie sich schnell. Nach Norden offenbarte sich im nachmittäglichen Schein der Sonne, die längst Schatten von den Berggipfeln über die Tundra sandte, die ganze Weite des Fürstentums. Weißlauf strahlte und wirkte doch nur noch wie das Holzspielklötzchen eines kleinen Kindes verloren in den Weiten des Heims der Eltern. Eine durchaus ansehnliche Aussicht, doch kaum erlaubte sich die Kaiserliche einen kurzen Moment der Entspannung, musste sie auch schon wieder die Augen auf ihren Weg nehmen, damit sie ihr Pferd in die nächste Kurve lenken konnte.
»Dort oben der etwas größere Absatz – sollte ein guter Ort zum Rasten sein«, schlug Aela von hinten vor und meinte damit wohl augenscheinlich den Sims, auf dem eine Kiefer ihre Wurzeln geschlagen hatte, schief aus der Felswand ragte und sich an ihrem Fuß mit einigem Gestrüpp schmückte.
»Ja«, stimmte Skjor von vorn zu. Vesa nickte nur stumm vor sich hin, es schien in der Tat ein guter Ort für die erste Nacht zu sein. Noch blieb ihr Weg schneefrei, die Position wirkte einigermaßen Windgeschützt in einer flachen, senkrechten Kerbe im Abhang und schroffe Steinspitzen würden es auch ermöglichen die Pferde anzubinden, damit sie in der Nacht nicht aus Versehen in die Tiefe stürzten. Brennholz würden sie von den knorrigen Büschen sammeln können.
Während der Einäugige auf die andere Seite des lediglich etwas breiteren Wegabschnitts ritt, brachten die beiden Frauen ihre Reittiere vor dem Absatz zum Stehen. Steifbeinig schwang sich die Kaiserliche aus dem Sattel, schüttelte sie aus der Hüfte und den Knien erst einmal aus und band ihr Pferd erst danach an einem Stein fest. »Schlafen in drei Schichten, ist eh nur Platz für zwei zum Liegen«, schlug die Jägerin vor und erntete zustimmendes Nicken ihrer beiden Gefährten. »Ich mach direkt den Anfang.« Sie würde ohnehin so schnell keine Ruhe finden. Das nervöse Kitzeln in den Eingeweiden und die immer wiederkehrenden Erinnerungsblitze verhinderten, dass ihr Geist zur Ruhe kam. So starrte sie auch jetzt einen langen Moment in die Tiefe hinab, unschlüssig ob das schwerelose Ziehen im Bauch vom Blick nach unten oder doch von dem erdrückenden Trieb sofort weiterzureiten stammte. Erst einen Augenblick später schüttelte Vesana das Haupt und die Gedanken davon. Zunächst musste sie den anderen Beiden beim Lagerbau helfen. Zeltplanen spannen, Unterlagen ausbreiten und versuchen, mit den Herzsteinsplittern und dem dürren, gefrorenen Holz der Büsche ein Feuer zu entfachen. Eines stand für sie bereits jetzt fest: Es mochte eine lange, einsame Nacht werden.
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Geändert von Bahaar (22.03.2015 um 13:30 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf
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Der Aufbruch am nächsten Morgen fiel den drei Gefährten nicht gerade schwer. Trotz ihrer windgeschützten Lage nahm sie die Kälte der Nacht in engste Umarmung, unwillig jemals wieder von ihnen abzulassen. Das einzige, das ihnen half, war die Bewegung und Anstrengung auf den Rücken der Pferde. Die hatten ihre Rast zumindest dem Anschein nach gut verkraftet und stapften nun mit neuem Mut den steilen Pfad hinauf. Von den immer wieder zu ihnen hinabsinkenden, chaotischen Wolken aus losen Flocken, die der Wind aus den Bergflanken löste, ließen sie sich nicht beirren und auch als ihre Hufe das erste Mal knöcheltief im Weiß versanken, marschierten sie weiter. Treue und willensstarke Tiere, dass musste Vesa ihnen lassen. Ganz im Gegensatz zu den Pferden, wehrte diese sich eher störrisch gegen die schneidenden Eiskristalle in der Luft, rückte die Kapuze zurecht und zog die dicke Jacke höher. Als hätte es ihre Reise nach Solstheim nie gegeben, musste sich ihr Körper erst wieder an die konstante Kälte gewöhnen.
Inzwischen kam sie sich töricht vor, dass sie auf die Insel geflüchtet war, in einem verzweifelten Versuch, ihre Schuld zu vergessen oder wenigstens zu verdrängen, all die schönen und schmerzhaften Erinnerungen ins Verblassen zu treiben. Mittlerweile wusste sie, dass ihre Schuldgefühle nur eine allzu handfeste Berechtigung gehabt hatten, ein Umstand, der es ihr in diesen langen, zähen Momenten des Wartens nicht gerade einfacher machte. Eine einsame Träne fand ihren Weg aus Vesanas Augenwinkel und rollte ihr über die von der kalten Luft inzwischen ausgetrocknete Haut. Schnell wischte sie sie fort, damit sie ihr nicht irgendwo festfror – zumindest redete sie sich das ein.
Wenigstens deutete die steigende Zahl an Bäumen, die über ihnen aus der Wand ragten, auf ein baldiges Ende des Aufstiegs hin. Das Tal, in dem auch Flusswald lag, erfreute sich regen Bewuchses und mit etwas Glück handelte es sich bei den Schief über den Abhang wachsenden Stämmen bereits um dessen Ausläufer. Völlig ummantelt mit vom Wind grotesk verformten, tiefgefrorenen Schneewehen wirkten sie in den Morgenstunden wie mahnende Gespenster, die sich Unheil prophezeiend über sie hermachen wollten.
Die Kaiserliche schüttelte die Vorstellung aus ihren Gedanken. Ihr Kiefer mahlte schon angestrengt genug, wenn sie sich Gedanken darüber machte, wie sie Darius denn genau befreien wollten, da blieben nur noch wenige Nerven für die Auseinandersetzung mit widersinnigen Omen übrig. »Gibt’s oben eigentlich auch einen Pfad, Skjor?«, fragte sie den Einäugigen, um sich abzulenken.
»Bei dem Schnee? Unwahrscheinlich«, gab er zurück. »Aber das Terrain ist recht zugänglich, wir sollten also zügig vorankommen.« Die Jägerin nickte nur. Immerhin etwas.
Nach und nach flachte ihr Weg ab. Die Serpentinen wurden weiter, bis sie schließlich gänzlich unkenntlich unter einer dicken Schicht aus kalt-weißem Pulver verschwanden. Einige größere Felsbrocken durchbrachen die geschlossene, unberührte Decke, die das Leben in dem sich vor ihnen ausbreitenden Wäldchen zur Ruhe zwang. Bis zu den Knien versanken die Pferde darin, wobei sie sich dennoch nicht daran störten. Ihre langen, schlanken Beine fanden im Schnee kaum Widerstand und die stolzierenden Schritte durchbrachen das Weiß mühelos. Vesana empfand es obendrein als Segen, nicht mehr ständig in die Tiefe starren zu müssen. Die beklemmende, unterschwellige Befürchtung, jemand von ihnen könne fehltreten, verschwand damit endlich aus ihrem Hinterkopf und ließ ihren aufgeriebenen Geist etwas Luft zum Verschnaufen. Auch wenn sie aufgrund der mangelnden Sicht auf die Beschaffenheit des Untergrunds nicht zurück in leichten Trab verfallen konnten, endlich wieder in gerader Linie reiten zu können verlieh ihren Reisebemühungen zumindest den Anschein endlich vom Fleck zu kommen.
»Wenn wir uns allmählich von den Berghängen hier entfernen, sollten wir früher oder später die Straße nach Flusswald kreuzen«, bemerkte Aela und zog mit Vesana gleich, während sie im üblichen Trott weiterritt.
»Ja, sollten wir. Flusswald liegt etwas südöstlich von hier, also behalten wir die Bergflanken immer rechts im Blickfeld«, stimmte der Einäugige von vorn zu.
»Flusswald sollten wir heute auch definitiv noch erreichen, wenn wir im Zeitplan bleiben wollen«, gab Vesana zu bedenken und erntete zustimmendes Brumme der beiden Nord.
»Und wenn wir vermeiden wollen, dass uns das Wetter dazwischenfunkt«, fügte die Rothaarige einen Moment später hinzu und zwang die Kaiserliche somit den Blick zu heben. Zwischen den nackten Ästen der kahlen Laubbäume hindurch blieb die Aussicht in Richtung Süden und tiefer ins Tal weitestgehend frei. Sogar die Höhenlagen des Massivs auf der anderen Seite des Flusses, den sie noch überqueren mussten, waren inzwischen einsehbar. So allerdings auch die dicken, grauen Formationen von Wolken, die sich über die Grate und Pässe wälzten und allmählich in das Tal quollen wie dicker Nebel über die Uferbänke eines Flusses am Morgen.
»Wenn wir uns sputen, kann uns das nützen«, erwiderte die Jägerin, nachdem sie das erste Zwicken und mulmige Krampfen in den Eingeweiden niedergerungen hatte.
»Sehe ich auch so«, stimmte Skjor zu und drückte seinem Pferd deutlich die Fersen in die Flanken. Die Frauen folgten. Kein Trab, aber schneller als zuvor, gerade so an der Grenze, damit sich ihre Reittiere mit Fehltritten selbst verletzten und Zeit zum Reagieren hatten, sollten sie stolpern. Die hereindringenden Wolkenformationen mochten zwar von schlechtem Wetter künden, aber solange sie vor dessen Einbruchs in Helgen ankamen, oder es zumindest nicht mehr weit hatten, würde es ihnen in die Hände spielen. Spurenlesen wäre dann unmöglich und Fallen ließen sich ausgesprochen gut verstecken. Natürlich würde auch ihre Frühwarnzeit schrumpfen, aber das mochte sich verkraften lassen. Nun schneller unterwegs, füllte warme Zuversicht ihre Brust aus. Ein schmales Lächeln der Hoffnung verzog Vesas Lippen und jagte die Vorstellungen davon, wie sie im Trio über die ahnungslosen Kämpfer der Silbernen Hand herfielen, in neue kreative Höhen.
Der bloße Gedanke, sich für all das Leid und all den Schmerz an ihnen rächen zu können, der Verbitterung der letzten Monate und dem eisig kalt gewordenen Hass freien Lauf zu lassen … Ihre Hände ballten sich zu Fäusten um die Zügel, brachten das Leder zum Knirschen und mit halb geschlossenen Augen den Bildern folgend, zuckten einzelne Muskelstränge im Hals und den Armen. Beinahe hätte sie sogar ausgetreten, wäre ihr nicht im selben Moment ein Schwarm loser Flocken auf einer Böe ins Gesicht getrieben. Vom plötzlichen Kälteschock überrumpelt, atmete die Kaiserliche tief durch, schüttelte sacht das Haupt und seufzte anschließend nochmals. Die langsam hervorgetretenen Eckzähne und das stumme Vibrieren im Hals, Vorahnung eines erregten Knurrens, rang sie nieder. Noch war es zu früh für solcherlei Gedanken und verfolgte sie sie weiter, würden sie letztlich nur die Befriedigung mit falschen Erwartungen schmälern oder sie zu Fehlern aus Nachlässigkeit verleiten. Nein, es war an der Zeit, das Grübeln einzustellen und sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
Kurz nach der Mittagszeit erreichte die Gruppe die Straße, die sie nach Flusswald führen würde. Zwar ebenfalls im Schnee versunken, zeichneten sich dennoch die Spuren zahlreicher Reisender ab. Schmale Karrenräder durchbrachen die Schneisen, die zu Fuß reisende gezeichnet hatten und die Abdrücke von Pferdehufen zertrampelten die dünnen Furchen im Weiß. Mancherorten hatte sich der Schnee bereits festgetreten, an anderen Flecken war er verweht worden und gab die groben Pflastersteine frei. Den Gefährten mochte es alles recht sein. In der Gewissheit, auf befestigtem Grund mit wenigen groben Unebenheiten unterwegs zu sein, trieben sie ihre Reittiere weiter an und verfielen in lockeren Trab.
Auffrischender Wind, der feuchtkalte Südluft mit sich brachte, an den Zweigen rüttelte und locker darauf liegenden Schnee davonwehte, hielt ihnen zwar entgegen, vermochte es nicht die Drei zu bremsen und auch vom feinen Sprühnebel, den die bald neben der Straße auftauchenden Kaskaden des Weißflusses im Unterholz verteilten, wollten sich die Gefährten nicht beeindrucken lassen. Im Gegenteil, Vesana half es sogar dabei, die Gedanken zu konzentrieren und sich von düsteren Grübeleien abzulenken. Funkelnde Eispanzer hatten sich an Stämmen, Steinen und Zweigen gebildet, wo die feinen Tröpfchen der Gischt niedergefallen waren. Die letzten Strahlen der Sonne, die wohl bald hinter dicken Wolken verschwinden würde, brachen sich darin, ließen sie wie Edelsteine glitzern. Auch auf das wenige noch aktive Waldleben schien der Anblick magisch zu wirken. Auf der anderen Seite des Stroms ruhte sich gerade ein Elch mit mächtigem Geweih aus, hatte den wuchtigen Kopf auf das Dreigespann ausgerichtet und beobachtete doch weniger sie, als das, was zwischen ihnen lag: Ein Meer aus gefallenen Sternen in der eisigen Umarmung des Winters.
Doch letztlich riss der Blickkontakt ab, die Windungen der Straße verschwanden zwischen groben Felsen und durchbrachen scharfe Absätze im Waldboden, als hätte sich irgendwann einmal der Untergrund aufgeschoben. Das Rauschen des Flusses, an seinen ruhigeren Abschnitten von den Rändern her bereits eingefroren, blieb aber noch immer weithin vernehmbar zwischen den kahlen Bäumen hängen. Monoton und allgegenwärtig zerstreute es jeden Gedanken und verlieh dem ewigen Weiß etwas Befriedendes.
Als sie letztlich auch die zerklüftete Passage hinter sich ließen, kam die Idylle zu einem jähen Ende. Von einem Herzschlag auf den nächsten verschwanden die hellen Sonnenstrahlen, verbargen sich in trübem Grau, und gaben den Weg für eisige Böen frei. Beinahe widernatürlich frostig trugen sie scharfe Flocken mit sich, erst wenige und vereinzelte, bald brach dichtestes Treiben als und raubte ihnen die Sicht. Kein vollblütiger Sturm, dafür blieben die Phasen, in denen der Wind abflaute und die Flocken ruhiger zu Boden segelten, noch zu lang. Aber mit Pech mochte das richtige Unwetter nur allzu bald losbrechen.
Vorerst schaffte es ihre Gruppe aber unbeschadet und nur allmählich auskühlend zur Brücke, die den Weißfluss kurz vor Flusswald kreuzte. Es fehlte dann auch nicht mehr viel und sie näherten sich dem Dorf, den Trab zu einfachem Laufen reduzierend. »Es bleibt genug Zeit, noch ein Stück des Weges nach Helgen zurückzulegen«, gab Vesana zu bedenken und griff damit möglichen Überlegungen einer Rast im warmen Wirtshaus, das sich ihnen bald zur Linken offenbarte, vorzugreifen.
»Ja, und das sollten wir nutzen«, stimmte Skjor zu. Die Kaiserliche hatte ohnehin nicht angenommen, dass es Widerreden geben würde, daher überraschte es nicht. Dennoch füllte es sie mit molliger Erleichterung aus, dass er es tat.
»Ich hoffe, Ihr bringt keinen Ärger?«, brummte sie eine bärige Männerstimme von oben herab an. Eine Wache in dicker Lederrüstung und gelbem Überwurf lehnte sich oben auf dem Tor, das Flusswald am Nordende abschloss, über das hölzerne Geländer. Das Emblem des Jarls von Weißlauf prangte auf seiner Brust.
»Nur auf der Durchreise«, erwiderte Vesana und wollte einfach weiterreiten. Allerdings zog Skjor an seinen Zügeln und brachte sein Pferd zum Stehen, so dass den beiden Frauen nichts anderes übrigblieb, als es ihm gleichzutun.
»In dem Wetter? Sicher«, sprach die Wache gedehnt und stieß sich ruppig von der Brüstung ab. Zügig kletterte sie auf der Innenseite der Wehrmauer nach unten und kam letztlich direkt auf sie zu. Wenige Schritte von ihnen entfernt blieb der kräftige Nord stehen, musterte sie aus dunklen Augen heraus und zupfte sich am dichten Bart. »Was wollt Ihr?«
Die Kaiserliche schwieg, biss sich auf die Zunge, um keinen schnippigen Kommentar fallenzulassen. Dass sich ihre Hände wieder fester um die Zügel schlossen, ließ sich jedoch nicht verhindern. »Wir sind auf dem Weg nach Helgen«, antwortete unterdessen Aela zwar höflich, aber Vesa glaubte auch bei ihr einen gut verborgenen, entnervten Unterton auszumachen.
»Helgen? Und was will ein leicht bepacktes Gespann wie das Eure zu dieser Jahreszeit in Helgen? Es wiederaufbauen, vielleicht?«
»Die Angelegenheiten der Gefährten sind für Euch nicht von Belang«, konterte Vesana und schickte sich an, die Reise fortzusetzen.
»Gefährten, hm?«, fragte der Wachposten zurück und zwang die Kaiserliche damit, noch etwas zu warten. Er schwieg einen Moment und strich sich seine üppige Mähne zurück. »Was auch immer. Bleibt Ihr die Nacht hier?«
»Auf der Durchreise«, mischte sich nun Skjor ein.
»Ich nehme das als Nein. Von mir aus, wenn Ihr Ärger machen wolltet, hättet Ihr’s wohl schon längst tun können«, gab der Soldat schließlich nach und trat aus dem Weg. Ohne weiteren Kommentar setzten sich die Drei darauf in Bewegung. Es gab weder etwas zu besprechen. Die Augen der Wache glaubte Vesa zwar noch eine Weile auf sich ruhen zu spüren, mit einem trotzigen Ausschütteln der Schultern löste sie sich jedoch davon.
Mattes Licht, vom Treiben getrübt, zeichnete die Häuser auf lange Entfernungen ins Grau. Und auch die näherliegenden Gebäude verschwammen deutlich wie Schatten im Nebel. Schnee verbarg ihre Dächer und die Dunstschwaden über den Schornsteinen verwehten mit den Windstößen. Nur wenige der Bewohner kämpften sich durch die Kälte.
Die Handvoll Tapferen auf der Dorfstraße blieben allesamt stehen und beobachteten die Neuankömmlinge. Ob nun die allesamt bärtigen Nord, oder die wenigen Frauen, sie wirkten nicht nur vom Wetter mitgenommen, sondern auch skeptisch beim Anblick der drei bewaffneten Reisenden. Verschlossene Gesichter, in abfälliger Verwunderung verzogene Lippen und Augenbrauen – wirklich willkommen hieß sie hier niemand. Unter anderen Umständen hätte es Vesa ihnen nicht verübeln können. Die meisten Reisenden, die sich mit leichtem Gepäck durch derart miserables Wetter schlugen, führten oft nichts Gutes im Schilde. Mehr als einmal waren die Gefährten wegen genau solchen zwielichtigen Gestalten angeheuert worden. Hinzu kam noch, dass es wohl kaum noch ein, oder zwei Wochen sein mochten, bis die Pässe nach Süden gänzlich unpassierbar wurden. Wer sich irgendwohin aus dem Staub machen wollte, nutzte das aus. Wohl auch ein Grund, warum die Silberne Hand gerade jetzt noch einen Konvoi über die Grate sandte, um mögliche Verfolger und Nachforschungen im wahrsten Sinne im Nichts – im weißen Nichts – verlaufen zu lassen.
Flusswald blieb letztlich hinter ihnen zurück, verschwand im Wetter, als wäre es nie dagewesen. Die letzte Etappe brach somit an und wenn sich das Schneetreiben nicht drastisch verschlechterte mochten sie vermutlich sogar schon am Abend des nächsten Tages, oder vielleicht der Nacht, das in Schutt und Asche gelegte Festungsstädtchen Helgen erreichen. Ein Gedanke, der den Bienenschwarm in Vesanas Bauch erneut aufscheuchte und sie nervös auf der Unterlippe kauen ließ. Noch war es nicht so weit, aber jeder Schritt brachte sie näher an Darius, und trieb die Ungeduld in die Höhe, dass ihre Zehen in den Stiefeln zu scharren begannen und die Finger wie Regenwürmer auf der Erde zu tanzen begannen. Die Schwerelosigkeit in den Eingeweiden und das schwindende Gefühl in den vom Sitzen allmählich taub werdenden Oberschenkeln taten ihr Übriges. Lange seufzend schloss die Jägerin die Lider. Eines stand wohl schon jetzt fest: An Schlaf wäre in der kommenden Nacht abermals nicht zu denken.
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Geändert von Bahaar (29.03.2015 um 16:24 Uhr)
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