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Waldläufer
Skyrim, Fürstentum Reach, Straße nach Hjaalmarch >>> Fürstentum Reach, Karthwasten
„Haltet nach Bewegungen auf den Klippen Ausschau.“
Stephanus' Blick wanderte auch so bereits die Abhänge der felsigen Steilwände zu ihrer linken entlang. Sie ragten etliche Meter in die Höhe und sorgten durch ihre scheinbare Unüberwindbarkeit dafür, dass ihr Weg zunächst stetig nach Norden verlief, ab einem bestimmten Punkt aber eine Rechtskurve beschrieb. Nun folgten sie dem alten und abgenutzten Pflaster nach Osten. Südlich der Straße fiel das Gelände noch weiter ab, und am Grund dieser nicht allzu tiefen Grube schnellte Wasser in einem vergleichsweise schmalen Strom dem Geistermeer entgegen.
Der Kaiserliche mochte dieses Gelände nicht. Es verunsicherte ihn. Bis jetzt hatte es nicht die geringste Spur von den Abgeschworenen gegeben – mit Ausnahme einer Stelle, bei der die längst vergessenen und verkohlten Überreste eines Fuhrwerks am Wegesrand standen, umgeben von vereinzelten verbrannten Knochen.
Aber Stephanus wusste, dass sich die vermeintliche Idylle schnell in eine felsige Hölle verwandeln konnte. Die Abgeschworenen kannten dieses Gebirge, denn Berichten zufolge waren die meisten von ihnen auch hier aufgewachsen. Es war ihre Heimat, und kurz für einen Überfall aufzutauchen und sich daraufhin in den Druadac-Bergen erneut unauffindbar zu machen stellte für sie kein Problem dar. Aber aus irgendeinem Anlass hatten sie sich noch nicht blicken lassen.
Vielleicht verschreckte sie die schiere Anzahl an bewaffneten Männern und Frauen, obwohl so eine große Gruppe durch erschwerte Organisation durchaus anfällig für schnelle Partisanenangriffe wäre. Einen Gegenangriff zu organisieren dauerte zu lange, und die Ureinwohner des Reach wären wortwörtlich schon längst über alle Berge, bevor es auch nur einer der Söldner schaffte, die felsigen Klippen zu erklimmen. Bodeado hatte herumerzählt, dass es sich bei den Ureinwohnern von Reach um sogenannte Reikmannen handelte, entfernte Verwandte der Bretonen. Der Rothwardone interessierte sich für solche Sachen. Wo immer auch sie ankamen, fragte er herum, welches Volk in der Umgebung wo lebte, und was als ihre auszeichnenden Eigenschaften galt.
Hrard ging an der ihm unterstellten Gruppe marschierender Heuerlinge auf und ab. „Behaltet das Tempo bei, dann schlafen wir heute noch in Karthwasten.“
Sein Tonfall war so gleichgültig und monoton wie eh und je. Warum der Nord sich so verhielt? Alle hatten dazu ihre eigene Theorie, aber Stephanus kannte als eines der dienstältesten Mitglieder des Trupps die Wahrheit – oder zumindest eine Version, die der Wahrheit nahe kam.
Im Laufe der Jahre erfuhr der Kaiserliche von irgendwo, dass Hrard schon von Geburt an verkorkst war. Was auch immer in seinem Körper dafür verantwortlich war, dass er Emotionen wie Aufregung und Freude verspüren konnte, funktionierte nicht. Jedenfalls nicht richtig. Richtige Gefühle empfand er nur in Extremsituationen, und selbst dann fühlte er sich nur wie ein Durchschnittsmensch während einer Ruhephase.
Stephanus folgerte, dass dies bereits ausreichend Anreiz bot, und dass die Garantie auf Kämpfe auf Leben und Tod überhaupt erst der Grund gewesen war, aus dem der Nord sich in seiner Jugend dazu entschieden hatte, sich als Privatsoldat zu verdingen.
Die Sonne stand am Morgen noch im Osten, färbte die vereinzelten Wolken am Himmel rot und orange, und schimmerte über die vor ihnen liegenden Berge in ihre Augen. Viele blickten entweder im leichten Winkel nach unten, um nicht geblendet zu werden, oder überwachten, wie Stephanus, ihre Umgebung, und sahen dadurch erst gar nicht nach Osten zur Sonne.
„Sie dir diese hasenfüßigen Hunde an,“ rief Brarek Jungeiche, der neben Stephanus her marschierte, ganz unvermittelt. Dabei nickte er nach vorne, wo einer der wenigen Bogenschützentrupps einen Fuß vor den anderen setzte. Der hochgewachsene Nord (unter so vielen Nords war der Kaiserliche es bereits gewohnt, bei einer Konversation immer wieder mal nach oben schauen zu müssen, um in das Gesicht des anderen zu blicken,) schien aber mit niemandem außer sich selbst zu sprechen. Dennoch bekam er eine Antwort: Ein belustigtes Schnaufen von Stahlzapfen, ein zustimmendes „Scheiß Bogenschützen“ von Fleisch und ein „Feige Bastarde“ von gro-Golug.
Die Fernkämpfer genossen unter den Infanteristen nicht gerade ein hohes Ansehen. Die Kommandeure sorgten immerhin dafür, dass die mit Pfeil und Bogen bewaffneten Menschen und Mer einen akzeptablen Abstand zum Feind hatten, weswegen sie im besten Falle nie in den Nahkampf gerieten. In den Augen der übrigen Fußsoldaten besaßen sie also das unverdiente Privileg, im Gegensatz zu ihnen ihr Leben nicht bei jeder Schlacht riskieren zu müssen. Alleine die Anwesenheit auf einem Schlachtfeld konnte eigentlich schon als Lebensgefährlich betrachtet werden, dem Großteil der Infanteristen war das aber egal. Wenn man von Berufswegen her von Angesicht zu Angesicht gegen andere Bewaffnete (manchmal auch Unbewaffnete) auf Leben und Tod kämpfte, verstand man Abstand zum Feind bereits als ein stark vermindertes Risiko, an einer Überdosis Eisen zu sterben.
Stephanus selbst verabscheute nur Bogenschützen, die nicht auf ihrer Seite kämpften, und auch er selbst benutzte ab und zu einen Bogen. Aber er konnte den Abscheu gegenüber den Fernkämpfern nachvollziehen: Von oben herabstürzende Pfeile waren während eines Gefechts unvorhersehbar. Schon ein Pfeil von minderer Qualität konnte bei einem richtigen Treffer verheerende Folgen haben. Wenn man, wie die meisten Infanteristen in der Kompanie, nur einen leichten Holzschild und minder- oder mittelwertige Schutzbekleidung besaß, war es eine sehr unangenehme Ungewissheit, ob der nächste Pfeil nun nutzlos abprallte oder den Schild oder die Panzerung einfach durchschlug.
Schwere und wohlhabende Truppen mit hochwertigen und äußerst teuren Plattenpanzern mussten sich nicht um Pfeile sorgen. Dies galt jedoch nur solange, wie die Pfeile nicht aus mindestens ebenbürtigen Materialien gefertigt waren, oder die Bogenschützen nicht auf geringeren Distanzen gezielte Schüsse auf die vergleichsweise ungeschützten Gelenke und Verbindungsstellen zwischen den einzelnen Rüstungssegmenten abgeben konnten.
Doch nur sehr wenige konnten sich eine solche Rüstung leisten, selbst wenn sie ihr gesamtes Leben lang sparen und dann ihr kleines Vermögen dafür zusammentrugen. Soweit Stephanus wusste, besaßen in der Kompanie gerade mal fünf Leute einen solche Panzer. Er zählte dabei Rognag gro-Golugs Panzerung noch mit, obwohl sie ein anderer womöglich als mittlere Rüstung eingeordnet hätte.
Aber gegen ihre eigenen Bogenschützen hatte Stephanus eigentlich nichts, außer vielleicht, wenn sie den Befehl erhielten, selbst dann zu feuern, wenn die eigenen Truppen getroffen werden konnten. Zudem besaß er die Gewissheit, dass Bogenschützen im Kampf vielleicht verheerende Verluste beim Feind erzielen konnten, sie es aber bei weitem nicht mit Kampfmagiern aufnahmen. Vor Zerstörungsmagie schütze selbst der beste Plattenpanzer nichts, wenn er nicht gerade selbst durch Magie verstärkt wurde. Talentierte Magier konnten mit der konzentrierten Wut der Elemente ganze Formationen auslöschen.
Denn wenn ein Mann erst einmal in Flammen stand, war er bereits außer Gefecht gesetzt.
Stephanus hatte das mehrere Male beinahe selbst zu spüren bekommen, blieb bisher aber zu seinem Glück vor der mörderischen Umarmung mit dem Feuer verschont.
Blitze und Feuer machten – erst einmal losgelassen - keinen Unterschied zwischen Mensch und Mer, und kochten jeden in ihrem Wege bei lebendigem Leibe. Magisch geformte Eiszapfen durchbohrten Stahl wie fadenscheiniges Pergament, schockgefrorene Kämpfer zerbrachen einfach so in Stücke, schreienden Männern schmolzen durch unnatürlich heiße Flammen die Augen aus dem Kopf.
Stephanus richteten sich bei dem Gedanken die Nackenhaare auf, und er versuchte, das alles schnell wieder zu vergessen.
Jungeiche hob die Hände vors Gesicht und bildete mit ihnen einen Trichter, bevor er dann laut genug schrie, um die Aufmerksamkeit der Bogenschützen auf sich zu ziehen.
„Hey, Lederkäpchen! Wie ist es eigentlich so, als Sohn einer Hündin aufzuwachsen?“
Stephanus rollte daraufhin mit den Augen. „Was für ein geistreicher Poet.“
Einer der Fernkämpfer drehte sich zu dem Nordmann um.
„Keine Ahnung,“ schrie er zurück, „aber ich bin mir sicher, dass Ihr mir sehr viel darüber erzählen könnt! Und jetzt seit leise, bevor-“
„Bevor was?“, spöttelte der Nord. „Bevor ihr loslauft, um genügend Distanz von mir zu gewinnen? Hah!“
Der in Leder gerüstete Elf wollte gerade zu einer bissigen Erwiderung ansetzen, da tauchte Hrard plötzlich neben Brarek auf und schrie nun seinerseits.
„Schnauze, Jungeiche, oder willst du den Packeseln bei ihrer Arbeit helfen?“
Brarek funkelte ihren Unteroffizier finster an. Nach kurzem, unangenehmen und spannungsgeladenen Schweigen, während dem sich die beiden Männer nur stumm gegenseitig anstarrten, wand Jungeiche das Gesicht vom anderen Nord ab und presste zwischen seinen Zähnen hervor: „Nein.“
„Dann sei gefälligst leise!“
Der jüngere Nord verstummte und wurde vor mühsam niedergerungener Wut rot im Gesicht, während sowohl die Bogenschützen als auch die Nahkämpfer glucksten, und einige sogar lauthals spöttisch lachten. Hrard verschwand wieder und es kehrte nach einigem verhaltenen Gekicher erneut Stille ein. Der Kaiserliche konnte Brarek fast schon vor Wut brodeln hören.
Stephanus hob den Kopf gen Himmel und beobachtete einige der majestätischen Bergadler dabei, wie sie von der warmen Luft aufgetrieben über ihnen allen schwebten.
Wie gleichgültig alles den Vögeln wohl sein musste. Ihnen war es egal, wer gerade über Tamriel herrschte, wer wo Krieg führte, und ob in einer beliebigen Provinz wieder Unruhen aufflammten. Den ganzen Tag glitten sie einfach über alles und jeden hinweg, und niemand konnte ihnen ihren Platz als Könige der Lüfte streitig machen – vorausgesetzt die Gerüchte von der Rückkehr der Drachen blieben so unwahr wie bisher. Der Kaiserliche vermochte es nicht, diesem Unfug Glauben zu schenken. Stahlzapfen glaubte, was er wollte, und Jungeiche war ein dummer Schwätzer.
Die Bogenschützen blieben plötzlich murmelnd stehen. Stephanus riss den Blick vom Himmel ab und hörte, wie mehrere Offiziere „Halt! Anhalten!“ schrien. Die gesamte Kolonne kam zu einem Stopp.
Einige der Söldner in den Reihen reckten sich und streckten ihre Köpfe, um über die Anderen hinweg zu sehen und herauszufinden, was vor ihnen vor sich ging.
„Was ist denn jetzt los?“, fragte Sylaen, und im nächsten Augenblick stand Hrard auch schon vor der Gruppe.
„Stellt euch auf. Bärenpelz, Spurius, geht nach vorne und findet heraus, was los ist. Ihr Übrigen, Augen auf die Klippen.“
Ein Murmeln ging durch die Gruppe, und sie kamen den Aufforderungen des Nords nach. Sie setzten ihre Rucksäcke ab, dann zogen sie ihre Waffen und Schilde, und machten sich kampfbereit, während die Spannung stieg. Stephanus schnallte seinen Halbhelm aus grauem Eisen vom Rucksack ab und setzte ihn sich auf den Kopf. Wurden sie jetzt angegriffen?
Bärenpelz – scheinbar der haarigste Mensch, der je auf Nirn wanderte, und der angebliche Sohn einer Bärin – verschwand, dicht gefolgt vom Kaiserlichen Cocius Spurius, im Laufschritt in der Menge aus Leuten.
Ohne das Gewicht seiner persönlichen Sachen und seines Anteils am Zelt fühlte Stephanus sich sofort leichter. Die fehlende Last pochte angenehm in seinem Rücken und in seinen Schultern. Aber das nahm er nur am Rande wahr.
Die aufsteigende Anspannung war nur die Spitze, von dem, was Stephanus schon die ganze Wanderung über verspürt hatte. Seine Augen blitzten wachsam hin und her, Ausschau haltend nach Bewegungen in den Bergen. Er konnte das Gefühl nicht loswerden, dass ihr Marsch allzu friedlich durch die Berge verlief, wo diese doch angeblich nur so vor marodierenden Halbnackten wimmelten.
Sein Herz schlug schneller, und ein Teil von ihm wünschte sich unbedingt, dass es sich tatsächlich um einen Angriff handelte. Dann nämlich würde sein übles Gefühl Bestätigung finden, er würde endlich diese bedrückende Ruhe vor dem Sturm hinter sich gelassen haben. Ein anderer Teil von ihm nannte ihn einen Idioten dafür, dass er sich einen Kampf erhoffte.
Jetzt hieß es abwarten.
„Verflixt, ich bekomme noch Blasen an den Füßen,“ murrte Cocius einige Zeit später vor sich hin.
Wie es sich herausstellte, war weiter vorne im Konvoi die Achse eines Wagens zerbrochen, was Stephanus bei dem üblen Zustand der Straße nicht im Geringsten überraschte. Es hatte eine Stunde gedauert, bis ein Ersatz für die Achse herangeschafft und verbaut worden war. Anschließend setzte sich die Kompanie wieder schleppend in Bewegung.
Mittlerweile stand die Sonne schon um einiges höher am Himmel, und es wurde wieder heißer.
„Du hast immer Blasen an den Füßen, Spurius,“ rief Folms Berend, ein Dunmer, dem Kaiserlichen höhnisch entgegen.
„Wir sind erst seit gestern unterwegs,“ bemerkte Stahlzapfen zustimmend aus der Menge, „und Ihr heult schon wieder herum. Jedes Mal die gleiche Scheiße mit Euch!“
„Wisst Ihr, Spurius,“ setzte Stephanus mit sarkastischem Tonfall an, „Wenn Euch das gehen so wenig gefällt, warum fragt Ihr nicht einfach den Schatzmeister, ob Ihr bei ihm auf dem Wagen mitfahren dürft?“
„Wenn du ganz nett fragst, lässt er dich vielleicht sogar. Ich hab gehört, das ihm weiche Jungs aus Cyrodiil besonders gefallen,“ fügte Berend hinzu.
Cocius verzog den Mund und machte mit seiner rechten Hand eine Wegwurfgeste. „Ich passe. Eher schlägt mich dieser Typ bewusstlos und verkauft meine Leiche dann an irgendeinen Krecken, damit dieser an mir seine Nekromantenphantasien ausleben kann, bevor er auch nur daran denkt, seinen fetten Arsch ein wenig zur Seite zu schieben, um Platz zu machen.“
„Krecken? Pah! Was wisst Ihr schon über Krecken?“ fragte Bodeado herausfordernd. „Ihr könntet keinen Dreug von einem Krecken unterscheiden.“
„Was in Oblivion sind denn Krecken?“, erkundigte sich Sylaen, doch niemand ging direkt auf ihre Frage ein.
Erneut die verwerfende Handbewegung von Cocius. „Ich weiß genug über Krecken. Sie sind große, widerwärtig aussehende Schnecken mit Beinen, die ihre Kinder zu Seife verarbeiten, und die gerne mit Untoten dingen spielen. Die sind aber noch weit davon entfernt, so hässlich wie Fleisch zu sein!“
Das erntete einige Lacher. Aber nicht von Fleisch. Fleisch lachte nie. Er lächelte nie. Nicht, wenn er nicht gerade jemandem die Knochen brach.
Während Hrard in Ruhephasen normalerweise nur wenig Emotion an den Tag legte, verspürte Fleisch durchaus Gefühle. Diese waren jedoch auf ein sehr enges Feld begrenzt: Es gab Momente, in denen Fleisch die Welt hasste. Dann gab es Momente, in denen er die Welt ganz besonders hasste. Dieser grimmige Mensch, so war sich Stephanus sicher, würde jeden einzelnen von ihnen mit Freuden töten, würde es keine Konsequenzen nach sich ziehen.
Der Kaiserliche konnte Fleisch nur als „Mensch“ einordnen, oder vielleicht als einen Elf mit abgestumpften Ohren. Er war nur etwas kleiner als ein Nord (und könnte sogar ein zu kurz geratenes Kind Skyrims sein) und hatte Haut, die fast schon weiß war. Jedenfalls dort, wo keine Narben seinen Körper verunstalteten, oder sie durch verheilte Spuren von Verbrennungen verfärbt wurde.
Der Mensch hatte außer einem Paar buschiger Augenbrauen keine Haare, nicht einmal Bartstoppeln, und Stephanus wunderte sich oft, wie dieses zerklüftete Wrack eines Mannes noch aufrecht stand, lebte, und nicht schon längst den unzähligen Verletzungen unterlegen war, deren von diversen Gewalteinwirkungen erzählenden Spuren sein Antlitz immer noch verunstalteten. Das rechte Ohr fehlte ihm, und zudem kannte niemand seinen Namen. Jemand hatte mal spöttelnd erwähnt, dass er wie ein rohes, unförmiges Stück Fleisch aussah, und seitdem blieb der Spitzname an dem Menschen haften.
Jungeiche erzählte hinter Fleischs Rücken von seiner Vermutung, der Mensch sei eigentlich der letzte Dwemer auf Nirn, der zu den Zeiten der argonischen Invasion nur knapp einer geheimen dunmerischen Folterkammer in Morrowind entwichen war und nun durch die Welt zog, um aus Rache an die Existenz an sich, so viel Schmerz und Verzweiflung wie möglich zu verbreiten.
Gro-Ogdum behauptete im Scherz, selbst Molag Bal würde vor Fleisch die Flucht ergreifen, würde er seinen Umriss am Horizont auftauchen sehen. Natürlich schenkte Stephanus Brareks Blödsinn keinen Glauben.
„Aber Gro-Ogdum könnte vielleicht sogar recht haben,“ dachte er bei sich, wobei er es aber nicht ernst meinte.
„Lenk nicht von deinen Babyfüßen ab,“ beschwerte sich Bärenpelz mit seiner zu seiner Statur passenden tiefen Stimme.
„Jetzt lasst mich doch endlich in Ruhe,“ verteidigte sich Cocius. „Wir sind davor doch schon mal durch irgendwelche, von den Acht verlassenen Berge gestolpert, und haben vor dem weitermarschieren nur kurz Pause gemacht. Ich habe halt sensible Füße.“
Das kommentierte Bärenpelz mit einem lauten „Ha!“, und dann beließen sie es auch dabei.
Hinter ihnen kämpfte sich das Rad eines Wagens lautstark über einen lockeren Pflasterstein, und viele von ihnen drehten im gehen instinktiv ihre Köpfe in der Erwartung, dass sie es mit einer weiteren Panne zu tun bekamen. Der Wagen rollte jedoch völlig intakt weiter, die Achse brach nicht. Erleichtert drehten sie sich wieder nach vorne.
„Hab ich euch schon von dem einen Mal erzählt,“ begann Bodeado dann von irgendwo aus der Gruppe Marschierender.
Ein einvernehmliches Stöhnen ging durch die Reihen, und jemand fragte nicht unliebenswert: „Wer hat vergessen, dem Piraten heute morgen das Maul zu stopfen?“, was von vereinzeltem Gelächter begleitet wurde.
Der Rothwardone fuhr unentwegt fort. „Das eine Mal, da haben meine Jungs und ich, damals auf der „Maid von Rihad, da haben wir ein Schiff gekapert,“ erzählte er.
Weniger als die Hälfte von ihnen hörte ihm zu, aber er schwätzte wie gewohnt fröhlich weiter.
„Also, als wir an Bord gegangen sind und alles nach dem Kämpfen ruhiger geworden war, bin ich in die Kapitänskajüte gestolpert. Da hab ich den Kapitän gesehen, wie er vornübergebeugt über seinem Tisch saß.“
Erneut unterbrach ihn einer der anderen: „Nicht schon wieder die mit dem Papagei!“
Der Rothwardone räusperte sich nach dieser Unterbrechung kurz. „Ich komme also näher, da bemerke ich, dass der Typ eigentlich Neun-Loch mit einem Papagei spielte.“
„Du hast uns diesen Müll letztens schon erzählt. Und da warst du auf der „Maid von Hammerfell“, oder wie auch immer,“ warf Folms Berend ein.
Bodeado überging seine Bemerkung einfach.
„Also, ich war schon beeindruckt,“ sagte der vermeintliche Pirat a.D., wobei er erzählerisch mit den Händen gestikulierte. „„Das ist ein echt kluger Papagei, den du da hast, dass der Neun-Loch spielen kann,“ hab ich zu ihm gesagt. Der Kapitän ist dann hochgeschreckt, denn er hatte mich bis dahin noch nicht bemerkt, so vertieft war er gewesen“ plapperte er, während Stahlzapfen „Unsinn“ rief.
„“Ach, der ist eigentlich nicht so klug,“ sagte der Typ dann zu mir. „Ich hab ihn schon in zwei von drei Partien geschlagen.“ Das hat mich stutzig gemacht,“
„Wirklich?“ Sarkasmus schwang in Meum-Tes zischender Stimme mit.
„“Also,“ hab ich ihn gefragt, „was macht der Vogel denn, wenn du beim Spiel mal einen Fehler begehst?“ „Purzelbäume,“ hat er dann geantwortet. „Purzelbäume? Das ist ja unfassbar!““
„Wie diese ganze verdammte Geschichte!“
„“Wie viele Überschläge macht er denn?“, hab ich ihn danach gefragt.“
Der Rothwardone legte eine künstliche Pause ein, und kam dann schnell zur eigentlichen Pointe seiner Anekdote:
„„Das kommt drauf an, wie fest ich ihn Ohrfeige!““
Bodeado und Rognag gro-Golug lachten laut auf, während einige der anderen leise kicherten, die meisten aber genervt stöhnten, den Kopf schüttelten oder mit den Augen rollten.
Brarek seufzte. „Jetzt kann man nicht einmal mehr etwas lauter über die feigen Pfeilschießer herziehen, aber dass dieser lästige Herr Hammerfell einen andauernd mit seinen Lügengeschichten quält, da hast du kein Problem mit, Hrard?“ Von dem Truppenleiter gab es keine Antwort. Daraufhin schnaufte Jungeiche, und verstummte nun seinerseits erneut.
Stephanus lächelte. Zum Guten oder zum Schlechteren, die Geschichten des Rothwardonen boten hin und wieder mal Abwechslung und lenkten einen von der ständig drohenden Gefahr ab. Sie hatten ihren eigenen Charme.
Doch dann schüttelte der Kaiserliche den Kopf und sein Lächeln verflog wieder. Sich jetzt ablenken zu lassen könnte gefährlich werden. Sie hatten die unsicheren Berge noch nicht hinter sich gelassen, und die Abgeschworenen könnten jeden Moment auftauchen. Und nebenbei, das Gepäck und ihre Rüstungen und Waffen würden durch ein Paar Geschichten auch nicht leichter werden.
Wie von Hrard prophezeit erreichten sie trotz der Verzögerung durch die Wagenpanne gegen Ende des Tages hin das kleine Minenarbeiterdörfchen Karthwasten.
Der Strom, der sie auf ihren Weg durch die Berge begleitet hatte, war noch vorher an einer Kreuzung in den Fluss Karth gemündet, das große Fließgewässer, das dem in der Nacht durch Fackellicht erleuchteten Dorf und der großen Felsenstadt Markarth im Südwesten ihre Namen gab.
Die Klippen hier waren stellenweise immer noch steil, gleichwohl sie weniger unerbittlich in die Höhe ragten, und in vielen Arealen verlief das Gelände doch noch um einiges sanfter. Dies hatte den hier lebenden Menschen es erst ermöglicht, ihre Häuser aufzubauen, ohne ständig in der Gefahr zu schweben, im Schlaf von einem Erdrutsch oder einem Felsensturz erfasst zu werden.
Viele der Einwohner des Dorfes schliefen bereits in ihren Hütten, als ihre Vorhut die kleine Gemeinde erreichte. Einige Wenige standen jedoch noch wach vor ihren Türen, oder saßen auf verwitterten Bänken neben ihren Hütten. Ihre wettergegerbten Gesichter verrieten, wie niedergeschlagen sie sich fühlen mussten, und wie sehr sie von Gram geplagt wurden.
Stephanus konnte das ganz gut nachvollziehen: Wie der Kaiserliche von Brarek Jungeiche erfuhr, wurden diese Minenarbeiter nicht nur tagtäglich von den Silberblut-Schlägern unter Druck gesetzt. Nein, jetzt mussten sie seit der Ankunft der Söldner auch noch in der Angst leben, dass einer der ausländischen Heuerlinge aus Spaß in ihre Häuser einbrechen könnte, und sie sich dann seiner Willkür ausgesetzt wiederfinden würden. Oder noch schlimmer, die Söldner könnten sich plötzlich dazu entscheiden, das Dorf zu Plündern und das gesamte Gelände auf der Suche nach verborgenen Schätzen umzugraben. Die einfachen Leute vom Land befanden sich in einer hoffnungslosen Situation, aus der sie, aus ihrer Sicht, wohl nur noch durch die Gnade der Götter in einem Stück wieder herauskommen würden.
Die Dorfbewohner waren anscheinend nicht die einzigen Anwesenden, die nicht zur Kompanie gehörten. Hier und da erspähte Stephanus einen der misstrauisch und nervös dreinblickenden Männer in Lederharnischen, die von sich selbst behaupteten, für den Schutz der Einwohner hier zu sein. Es musste sich wohl um die Silberblut-Schläger handeln, und ganz offensichtlich hatten sie ganz andere Absichten, als für den Schutz des Dorfes zu sorgen, aber unter diesen Umständen beschützten sie die Einwohner Karthwastens durchaus.
Hrard hatte an sie alle den ausdrücklichen Befehl weitergeleitet, den Minenarbeitern und ihren Angehörigen kein Haar zu krümmen, und vor allem den Schlägern nichts anzutun. Was sich hier abspielte, war wohl in die Innenpolitik Markarths verstrickt, und ganz klar wollte es sich die Leitung der Kompanie nicht mit der einflussreichsten Familie des Reach verscherzen. Zumindest noch nicht. Der Kaiserliche empfand es als unnötig, weitere Gedanken daran zu verschwenden und nahm den Befehl wortlos hin.
Die Privatsoldaten schlugen ihr Nachtlager unweit des Dorfzentrums auf, auf einer größeren Fläche mit geringen Unebenheiten. Einige der Söldner in Gelb und die, die schon vorher hier im Dorf gewesen waren, verspotteten sich anfangs noch gegenseitig, doch das verging mit der Zeit, und sie warfen sich nur noch hin und wieder finstere Blicke zu und hielten sich sonst in ihren eigenen Bereichen auf. Sie hatten ein ausdrückliches Verbot, sich mit den angeheuerten Schlägern zu prügeln, und die Silberblut-Söldner befanden sich in der erdrückenden Unterzahl - Stephanus zählte höchstens zehn von ihnen. Dass die von sich aus gewalttätig wurden, war sehr unwahrscheinlich. Es würde also nicht zu einem Konflikt kommen.
Irgendwie taten Stephanus die Dorfbewohner schon leid, aber er konnte an ihrem Schicksal auch nicht viel Ändern.
Wie so oft saßen einige von ihnen um eine Feuerstelle versammelt. Ohne ausreichend verwertbarem Holz wurden die Wagen als eine behelfsmäßige Palisade um die Zelte der Wichtigsten unter ihnen abgestellt, und ohne eine schützende Mauer und im Gebiet potenzieller Feinde wurden doppelte Wachposten bezogen, so dass ihnen nicht viel Zeit zum Ausruhen blieb.
Meum-Te stocherte mit einem krummen Stock im Feuer herum und schob einige mickrige Holzkohlen zur Seite. Um sie herum zirpten Grillen in einem durcheinander geratenen Rhythmus, und die beiden Monde erleuchteten ihnen die Nacht, auch wenn die Himmelsgestirne es nicht vermochten, viel Licht ins dunkle zu bringen. Die Hügel, Felsen und Klippen warfen lange Schatten, und nur an einigen Stellen erreichte das Mondlicht auch den Boden. Dennoch, es tauchte die Strohdächer der Dorfhütten, die Spitzen der wenigen Zelte (der Großteil von ihnen schlief im Freien), und die Köpfe und Schultern aufrecht stehender Leute in ein schimmerndes, silbriges Blau.
Stephanus bildete sich kurz ein, im Feuer einen brennenden Mann in heiß dampfender Stahlrüstung wiederzuerkennen. Er rieb sich schnell die Augen und verbannte die unangenehme Erinnerung wieder in die Tiefen seines Hinterkopfes. Es gab zu viele Dinge, die er gesehen hatte und an die er sich lieber nicht erinnern wollte, und im Laufe der Jahre wurde die Mauer, die den Horror der Erinnerung zurückhielt, immer baufälliger. Ab und zu schlüpfte ein Bild durch eine Lücke in der mentalen Barriere, wenn er einen bestimmten Geruch vernahm, oder wenn er etwas sah, dass seine Erinnerung weckte. Aber es überraschte ihn selbst, wie vergleichsweise gut er alles wegstecken konnte. Dass er dank der Alchemie nicht träumte half garantiert dabei.
Neben Stephanus reckte sich Brarek Jungeiche. Unwillkürlich drehte der Kaiserliche seine Augen in die Richtung der Bewegung des Nords. Der fast zwei Meter hohe Mann war selbst im Sitzen eine imposante Erscheinung. Blond, bärtig, blauäugig und mit wilden Gesichtszügen war er das perfekte Beispiel eines Nords. Als Bonus kam da noch seine geringe Intelligenz dazu.
Mit seinen prankenartigen Händen blätterte er in einem abgegriffenen Buch mit einfachem Einband aus verschlissenem Leder, wobei er die Augen leicht zusammenkniff, und dem Anschein nach jedes geschriebene Wort stumm mit den Lippen nachformte.
„Wusste gar nicht, dass Ihr lesen könnt“, spaßte Stephanus.
„Ach, halt doch dein Maul“, knurrte der Nord. Er sah nicht von den beschriebenen Seiten auf, sondern hielt weiterhin seine tonlose Vorlesung, wobei er doch das ein oder andere Wort leise vor sich hin flüsterte.
Eigentlich wollte sich der Kaiserliche nicht mit Brarek unterhalten (und das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit), aber es gab im Moment einfach nichts besseres zu tun. Es würde noch eine halbe Stunde dauern, bis ihre Wache begann, und er musste sich irgendwie wach halten.
Stephanus saß für einige Augenblicke gedankenverloren nur so da und ließ seine Glieder ruhen, und dann erhob er erneut die Stimme.
„Worum geht’s in dem Buch?“, fragte er.
Jungeiche stöhnte entrüstet und blickte nun von seinem billigen Schmöker auf. „Wenn du dich so sehr dafür interessierst, kannst du's von mir aus selbst lesen.“
Der Nord legte ein kleines Ästchen als Lesezeichen zwischen die Seiten, bevor er sein Buch zuklappte und es energisch Stephanus zuwarf.
Dieser fing es auf und begann nun seinerseits darin zu blättern.
Stephanus überflog die Seiten des relativ kurzen Taschenbuchromans. Das Papier war bereits abgenutzt und gelbstichig, und sie knisterten bei jedem umblättern. Schnell hatte der Kaiserliche Brareks Lesezeichen passiert. Wie so oft zahlte sich die Bildung aus seiner nur allzu kurzen Jugend mehr als aus, denn im Gegensatz zum Nord hatte er keine Probleme mit dem Lesen.
Als er das Buch schließlich kurz vor der Mitte wieder zuschlug, fragte sich Stephanus, warum er es eigentlich so unbedingt lesen wollte. Was hatte er erwartet? Was er hier in der Hand hielt, war keineswegs ein Meisterwerk literarischer Kunst. Enttäuscht reichte er das zerfallende Stück Lektüre an Jungeiche zurück.
Der Nord hob erwartungsvoll die Augenbrauen. Sein Ärger von vorhin schien verflogen, und offenkundig wollte er wirklich wissen, was Stephanus von dem Buch hielt.
Der Kaiserliche zuckte die Achseln und gab einen unzufriedenen „Ech“-Laut von sich.
„Was ist?“, erkundigte sich Brarek ein wenig geknickt, denn ihm schien es nicht entgangen zu sein, dass Stephanus wohl nichts gutes über das Heftchen zu sagen hatte.
„Damit ich das richtig verstehe“, setzte der Mann aus der Kaiserstadt an. „Die Hauptfigur, ein Argonier in der dritten Ära, ist aus einem Sklavenlager in Morrowind ausgebrochen, und hat es als untrainierter Minenarbeiter geschafft, den obersten Aufseher zu töten, und es zudem wie einen Selbstmord aussehen zu lassen? Und dann auch noch aus Morrowind zu entkommen?“
Er schnaufte kurz und fügte dann sarkastisch hinzu: „Da bekomme ich ja schon Angst vor den Dorfbewohnern hier. Die sind sogar noch wohlgenährter als Sklaven, glaubst du, die könnten die ganze Kompanie im Schlaf ermeucheln und es dann wie einen Unfall aussehen lassen?“
„Ach, mit euch Kaiserlichen is' es doch immer das Selbe. Ihr wisst immer alles besser, und nichts ist euch gut genug. Bei den Neun, ihr seit fast so schlimm, wie die verwünschten Hochelfen!“
Zwar hasste Stephanus die gesamte altmerische Rasse wie die Pest, von Brarek auf fast die gleiche Stufe mit ihnen gestellt zu werden ging an ihm aber wirkungslos vorbei. Sich über so etwas aufzuregen wäre in den Augen des Kaiserlichen ziemlich kindisch gewesen, zumal ihm Brareks Meinung recht egal war. Stattdessen fuhr er mit seiner Buchbesprechung fort.
„Des Weiteren tritt er der Kämpfergilde in Cyrodiil bei und wird von irgendeinem dunmerischen Kerl verraten, den er natürlich irgendwie in den Knast befördert. Dann wird der Name des Typen erst am Ende des Kapitels verraten. Wer zur Hölle ist Valen Dreth?“
Jungeiche öffnete schnell den Mund für eine Erwiderung, doch blieb er einen Moment nachdenklich und stumm, bevor er schließlich antwortete.
„Keine Ahnung. Aber das ist doch egal, oder? Vielleicht wird er später noch irgendwo erwähnt.“
„Dies hier wurde offensichtlich von jemandem geschrieben, der Dunkelelfen hasst, oder Argonier liebt, oder beides. Vielleicht war er selbst sogar Argonier. Du solltest diesen Schund los werden. Der ist höchstens noch als Brennstoff fürs Feuer zu gebrauchen.“
„Dich hat keiner Gefragt, kaiserliche Drecksau,“ erwiderte der Nord erbost.
Entnervt schnellte Meum-Te aus seiner Sitzhaltung auf und fuhr sie an. „Können ihr Menschen nicht leise sein? Hätte ich Ohren, würden sie jetzt bestimmt abfallen.“
„Was auch immer“, sagte Brarek beleidigt und klappte seine abgenutzte Lektüre wieder auf.
Der Kaiserliche seufzte. Soldin Stahlzapfen konnte ein echter Starrkopf sein, mit einer Anfälligkeit für Provokation, aber mit ihm konnte man wenigstens anständig reden. Jungeiche dagegen war wie ein Kind. Ein großes, gefährliches Kind, das sofort alle Schotten dicht machte, wenn es nicht das hörte, was es wollte.
Aber was machte das schon? Sich über die Sturheit der Nords zu ärgern war eine verlorene Sache, ein Spiel, bei dem man nicht gewinnen konnte.
Stephanus schüttelte kurz den Kopf und starrte dann wieder ins Feuer.
Bald hörte Stephanus Schritte hinter sich, und kurz darauf klopfte ihm jemand auf die Schulter.
„Steh auf, Levinius. Deine Schicht.“
Mit einem Grunzen hievte er sich hoch und wandte der Feuerstelle den Rücken zu, und blickte jetzt in das abgehärtete Gesicht von Harun, einem Rothwardonen. Stephanus kannte ihn nicht besonders gut, aber er Respektierte ihn ein wenig, da Harun ihm wie ein vernünftiger Mensch erschien.
„Wie sieht's heute Nacht aus?“ erkundigte sich der Kaiserliche bei seinem müden Mitstreiter.
Dieser zuckte die Achseln.
„Nichts. Einmal ist eine Bergziege aufgetaucht, aber das war's auch schon.“
„Nun gut. Schlaft Euch aus.“
Der Kaiserliche ging los, während Harun, nun von Stephanus abgelöst, sich lautstark gähnend in Richtung Baracke aufmachte.
Ein paar Stunden später befand sich der Kaiserliche in seiner Bettrolle. Es fühlte sich richtig gut an, nach einer langen Reise und stundenlangem Herumstehen mal die gepanzerten Stiefel ausziehen zu können, und sich auch fürs erste von den abgetragenen Socken zu befreien. Dazu fiel ihm ein altes Sprichwort ein: „Feuchte Socken töten ganze Armeen.“
Cocius konnte davon wohl ein Liedchen singen. Wie sich heraus stellte, hatte er wirklich enorme Blasen an den Füßen bekommen, und Sylaen war so gnädig gewesen, ihm diese Auswüchse mit einem Dolch auf zu stechen und Cocius von dem schmerzhaften Druck, der auf seinen wunden Füßen lastete, zu befreien.
Stephanus Wachschicht war entgegen seinen Erwartungen ereignislos zu ende gegangen. Für einige Stunden stand er zunächst noch aufmerksam, und später dann gelangweilt an seinem Posten. Das Feuer in seinem Rücken hatte ihn warm gehalten – ein Feuer vor ihm hätte ihm in die Augen geschienen, und es ihm erschwert, sich an die Dunkelheit der Nacht zu gewöhnen. Die Berge warfen lange Schatten, und das Mondlicht reichte kaum aus, wenn es denn mal nicht von Wolken geschluckt wurde. Und egal wie gut er auch hinsah, es gab nichts, das sich dort im Schatten bewegte. Die erbosten Reikmannen waren offenbar nicht so gefährlich, wie von den Einwohnern Markarth behauptet. Es wäre nicht das erste Mal, dass mit solchen Dingen maßlos übertrieben worden war, und sicherlich auch nicht das letzte Mal. Ein Bettler mit schäbigem Wolfsmantel wurde schnell zum Werwolf, und ein paar wütende Bergleute zur größten Bedrohung für die Straßen des Reach.
„Oder sie meiden gezielt große Gruppen Bewaffneter.“
Aber im Moment war es ihm einerlei. Nach dem Marsch und der Nachtwache sehnte er sich nach Ruhe und Schlaf. Morgen würden sie den Karth überqueren (den sie bei ihrem Stopp dazu nutzten, um ihre Frischwasservorräte aufzutanken und sich an seinen Ufern mit dem eisig kalten Wasser notdürftig zu waschen), und dann währen sie, nachdem sie den großen verfallenen Festungsturm auf der anderen Uferseite passiert hatten, schon aus dem angeblichen Einflussgebiet der Abgeschworenen heraus.
Stephanus drehte sich auf die Seite und fischte mit seinen Händen eine der Phiolen flüssigen Traumraubs aus der vordersten Tasche seines Rucksacks. Wie es heute um seinen geistigen Zustand stehen würde, hätte der Alchemist nicht diese Formel entdeckt, konnte Stephanus nur vermuten. Er erinnerte sich noch an seine ersten Nächte als Heuerling.
Er hatte damals aus Angst vor dem, was er in seinen Träumen sehen konnte, drei Tage nicht geschlafen, bis er dann vor Erschöpfung einfach ohnmächtig wurde und einige Stunden später wieder aufgeschreckt war. Die folgende Nacht hatte er sich vor Verzweiflung bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen, und erst am darauf folgenden, von einem enormen Kater begleiteten Tag schlug ihm jemand vor, dem Alchemisten mal einen Besuch abzustatten.
Bestürzt stellte Stephanus fest, dass ohne den Alchemisten sein Leben ganz anders verlaufen wäre. Womöglich wäre er jetzt bestimmt tot, denn einen traumatisierten, insomnischen Säufer konnte man in einer Privatarmee wohl kaum gebrauchen. Er wäre aus der Kompanie geschmissen worden, und anschließend irgendwo als Bettler in irgendeiner Stadt am Wegesrand verendet.
Er seufzte, und mit einem lauten „Plop!“ entkorkte er den Glasbehälter und setzte ihn anschließend an seine Lippen.
„Aufs Wohl.“
Nach einem tiefen Schluck von der bitteren Substanz verkorkte er das Fläschchen wieder. Wie so oft verzog er das Gesicht bei der Attacke auf seine Geschmacksknospen, während er das Elixier wieder in den Rucksack verfrachtete.
Wie üblich würden ihm diese Nacht jegliche Träume erspart bleiben, und dafür dankte er den Neun.
Geändert von Kampfkatze2 (23.06.2016 um 23:06 Uhr)
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