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Waldläufer
Skyrim, Fürstentum Reach, vor den Mauern Markarths
Sylaen richtete sich auf und warf einen weiteren Scheit ins Feuer. Er landete mit einem knistern auf seinen bereits verkohlten Artgenossen, wobei er ein wenig Asche aufwirbelte. Während der nach Kohle riechende Rauch zusammen mit einigen Funken in den ruhigen nächtlichen Himmel aufstieg, starrte Stephanus in die tanzenden Flammen und wunderte sich, ob es durch die Verworrenheiten des Schicksals dazu gekommen war, dass es sich bei dem frischen Holzscheit um einen von eben jenen handelte, die der Bretone heute Mittag fallen gelassen hatte. Wie war sein Name noch gleich gewesen? Delstian? Elstian? Er wusste es nicht mehr. Er hatte ihn über den Tag hinweg völlig vergessen. Stephanus und seine Gedanken waren durchgehend beschäftigt gewesen. Vom Training und von der Arbeit im Lager wehklagten seine mittlerweile müden Muskeln. Seine Waffen hatte er erneut geschärft, zudem hatte er bei den letzten Arbeiten an der lächerlichen Holzpalisade geholfen, die jetzt das Lager umspannte.
Das meiste Holz wurde importiert, denn Reach war nicht für seine dichten und tiefen Wälder bekannt. Im Gegenteil. Neben vertrocknet aussehendem Gras und den stellenweise wachsenden Büschen gab es kaum erwähnenswerte Vegetation. Mit Ausnahme der vereinzelten Bäume. Die knorrigen dürren Pflanzen trugen kaum Blätter und schienen aus den unerbittlichen Felsen der Umgebung und allen Widrigkeiten des trockenen Klippenlandes zu trotz stur dem Himmel entgegen zu wachsen. Sie sahen uralt aus, verhärmt und verbogen. Sie waren starrköpfige, trotzige Greise, die es obgleich ihres Alters der erbarmungslosen Natur zeigen wollten, und sich auch noch fest vorgenommen hatten, die Berge selbst zu überdauern.
Und während die Funken wie rote Glühwürmchen aufstiegen, musste Stephanus plötzlich an lang vergessene Abende denken, bei denen er ebenfalls vor einem Lagerfeuer gesessen hatte. Damals war er aber von anderen Leuten umgeben gewesen. Von vertrauteren Leuten, und vertrauenswürdigen. Unverhofft überrumpelten ihn Melancholie, Sehnsucht und Einsamkeit, als er an die in seinen Erinnerungen bereits verschwimmenden Gesichter seiner verflossenen Mitstreiter dachte und seine Gedanken sich auf Wanderschaft begaben.
Als er die Augen schloss konnte er sie unter seinen Lidern deutlich am Feuer sitzen sehen, noch lebendig und glücklich miteinander lachend. Die Erinnerung schmerzte, und es fiel ihm schwer sich zusammenzureißen und vor den ihn in der Gegenwart umgebenden Zeitgenossen zu verbergen, was in ihm vorging.
Ein Schemen an der Feuerstelle in seinem Kopf winkte ihm zu. Elberond, ein Bosmer, an einem Hitzschlag in der Alik'r Wüste gestorben, circa fünf Jahre nachdem Stephanus sich eingeschrieben hatte. Als das Kaiserreich 4Ä 175 Hammerfell als Provinz verstieß, wurden die Rothwardonen sehr misstrauisch allen Ausländern gegenüber, und die Söldner wurden nur für Ziele von sekundärer Bedeutung genutzt. Dies hinderte sie nicht, ihre angekauften Waffenträger wortwörtlich in die Wüste zu schicken. Ein Jahr nach Elberonds Tod hatten es die stolzen Einwohner Hammerfells schließlich fast im Alleingang geschafft, die Armeen des Aldmeri-Bundes vollständig zurückzuschlagen. Der Elf war einer seiner ersten und besten Freunde gewesen. Ungefähr im gleichen Alter, aufgeweckt, und entgegen allen Erwartungen ein miserabler Bogenschütze. Sie hatten sich die Strapazen der Kampfausbildung und der niederen Arbeiten der Rekruten geteilt, ihr Essen, ihre Geschichten, Witze und Philosophien. Er war wie ein Bruder für ihn gewesen. Sie mussten ihn am Ende zurücklassen. Die Sonne hatte gleichgültig und zerschmetternd auf sie herabgebrannt, und auf niemanden wurde während des Marsches Rücksicht genommen.
Wer hinfiel und nicht mehr die Kraft fand von alleine wieder aufzustehen war tot.
Neben ihm saß ein weiterer Kamerad aus seinen ersten Jahren: Der Ohrlose Oswald, ein Nord, der noch vor ihrer Begegnung beide Ohren an den Frost verloren hatte. Der trinkfesteste Mann, den Stephanus je gekannt hatte, mit dem Körperbau eines Bären und der geballten Kraft eines Erdrutsches. Für Stephanus war er ein Ersatzvater gewesen. Ein klobiger Prolet, der sich aber auch selbst Grenzen gesetzt hatte, und auch nicht so dumm war, wie er aussah. Der Nord hatte ihm vieles über den Nahkampf mit Schwert und Schild beigebracht. Seine Moral hatte Stephanus geformt. Im Scherz hatte Elberond einst gesagt, man könnte den Ausgang einer bevorstehenden Schlacht voraussagen, wenn man auf Oswalds kahlen Schädel spuckte und alles gut auf voller Fläche verteilte und dann lange genug in sein vom Kahlkopf reflektiertes Gesicht sah. Oswald war an der Grenze zwischen Morrowind und Schwarzmarsch bei einem Scharmützel gefallen, aber nicht bevor er womöglich übertriebenen Berichten zufolge zehn Argonier mit in den Tod gerissen hatte. Der Nord hatte eine Halskette aus Stahl getragen, rief sich Stephanus in Erinnerung. Eine Kette, die er selbst geschmiedet hatte.
In seinem Kopf hörte er ihn wie damals brummen: „Sie her, Stephanus. Dinge die du selber machst, halten am besten. Wie diese Kette hier. Ich habe sie mit meinen eigenen verdammten Händen gefertigt. Sie ist nicht von weltlichem wert, nicht aus Gold, auch nicht aus Silber, aber bei Ysmir, ich kann dir garantieren, sie wird uns beide überdauern.“
Trotz seiner Bemühungen war es Stephanus damals nicht vergönnt gewesen dieses Erinnerungsstück zu bergen.
Dann waren da noch Dan-Za, Madril, Sorink, der grünhändige Malik und Viania Catraso. Aber die Liste der Namen ging immer weiter und verlor sich zum Teil in der trüben Tiefe des Vergessens. Mit Vielen von ihnen hatte Stephanus gute Erinnerungen, mit einigen hatte er sich nur das Zelt, den ein oder anderen Schlauch Wein und die Wärme des Feuers geteilt. Allein das galt unter manchen Umständen schon als Freundschaft. Seit fast schon 30 Jahren kamen und gingen die Gesichter. In seinem Beruf wurde man nur selten alt.
Er lächelte dann doch gequält, als er sich vor allem an die Zeit mit Viania zurückerinnerte. Beim Gedanken an sie fühlte der Kaiserliche noch stärkere Sehnsucht in sich aufsteigen. Seine erste Liebe außerhalb der Kaiserstadt. Die Zeit mit ihr war unbeschreiblich gewesen, die besten Jahre seines damals jungen Lebens. Deutlich sah er ihre smaragdgrünen Augen und ihre freche, lebensfrohe Art. Diese Eigenschaften waren, neben ihren besonderen gemeinsamen Momenten, die einzigen Erinnerungen die er an sie noch hatte.
„Du hast echt eine bemerkenswerte Fähigkeit, dich nur an die Augen deiner Mitmenschen zu erinnern,“ stellte der Kaiserliche selbstkritisch fest.
Stephanus seufzte und fuhr sich durch den Bart. Die Zeit in der Oswald, Viana und Elberond noch lebten... Damals war er ein wahrer Schönling gewesen, doch dass war bevor er aufgehört hatte, sich zu rasieren, bevor er vom Krieg und den beschwerlichsten Umständen gezeichnet wurde (seine Nase tat ihm hin und wieder immer noch weh), und bevor die Spuren der Zeit sich geduldig und unaufhaltsam in sein Antlitz schlichen. Über die Jahre hinweg war er verbittert und zynisch geworden. Wie war es nur so weit mit ihm gekommen?
„Nein, nicht zynischer,“ dementierte ein Teil von ihm. „Du bist nur weniger Dumm und Naiv als früher.“
Er wurde jäh aus seinen Gedanken geschreckt, als Sylaen ihn leicht in die Seite stieß.
„Schlaft nicht ein, alter Mann. Hrard kommt gleich und teilt die Wache ein.“
Stephanus quittierte die Bemerkung der Elfe mit einem leisen Murren und nickte dann Cocius, dem anderen Kaiserlichen in der Gruppe zu, der ebenfalls unweit von ihm am Feuer saß. Nachdem er sich seiner Aufmerksamkeit sicher war, sagte er:
„Cocius, reich mir mal den Wein.“
Der angesprochene Kaiserliche nahm noch einen letzten Schluck aus dem ledernen Behältnis und streckte seinen Arm dann mitsamt Weinschlauch Stephanus entgegen. Dieser griff sich den Lederbeutel, löste den an einem Seil befestigten Korken und setzte die nun freie Öffnung an seinen Lippen an, nicht ohne dem anderen Kaiserlichen ein dankbares Nicken entgegenzubringen. Er schloss die Augen als die süße Flüssigkeit in seinen Hals ran und ihn mit Wärme erfüllte. Das Feuer hielt zwar einen Teil seiner Vorderseite warm, aber jedes Stück seines Körpers, das Stephanus von den Flammen abwandte oder das zu weit weg lag wurde Opfer der nächtlichen Kälte und ihrer seltsam milden Umarmung. Dieser zwielichtige Zustand hatte einen eigenartigen Reiz. Der Kaiserliche zog es aber vor, sich vollständig in wohlige Wärme zu wiegen, wobei der Wein gut half.
Grillen zirpten um sie herum und wetteiferten mit Bodeado, der irgendwo in der Nähe gedankenverloren an den Seiten seiner Harfe zupfte.
Sylaen stellte unvermittelt eine Frage: „Hat jemand 'ne Ahnung, warum wir überhaupt hier sind? Ich meine, was läuft in Himmelsrand ab?“
Niemand antwortete. Sie stieß Stephanus erneut an und stellte ihre Frage ein zweites Mal.
Der Kaiserliche seufzte und rückte ein wenig von ihr weg. Er wollte von der Waldelfe wirklich nicht angefasst werden. Besser jetzt reden, dachte er dann, während er ganz diszipliniert seine aufkochende Wut unterdrückte.
„Einfach,“ erwiderte er dann so gleichgültig, wie er nur konnte, „Ulfric Sturmmantel will den Thron von Himmelsrand und hat dafür den Hochkönig umgelegt. Das Kaiserreich hat das natürlich nicht einfach so hingenommen, und jetzt hat er einen Bürgerkrieg angestachelt.“
Als Söldner behielt Stephanus seine Meinung für sich, aber das bedeutete nicht, dass er sich keine bildete. In seinen Augen war Ulfric nichts weiter als ein weiterer Adliger, der bei seinen Versuchen Macht zu gewinnen gescheitert war und nun einen zweiten Anlauf startete. Dass Sturmmantel dabei vorgab, allein für die Unabhängigkeit von Himmelsrand zu kämpfen, hielt der Kaiserliche für absolut verdammenswert. Wie viele arme Naivlinge würde er unter seinem Banner vereinen können? Stephanus verabscheute Menschen wie Ulfric, die andere manipulierten und ihre Ängste und Träume ausnutzten um dadurch an ihre eigenen Ziele zu kommen. Wenn es die Situation nicht unbedingt erforderte verbarg Stephanus seine Absichten nicht. Wollte er jemanden töten, dann versteckte er das nicht.
„Aber wenn du ganz ehrlich bist,“ forschte eine nachdenkliche Stimme in seinem Kopf nach, „würdest du unter den gleichen Umständen nicht das selbe tun?“
Ja. Ja, das würde er wohl.
„Verdammter Narr,“ verbesserte er sich selbst im Nachhinein, „du bist keinen Deut besser.“
Was war heute Abend los mit ihm? Über Dinge wie Moral und die Menschen aus seiner Vergangenheit hatte er lange nicht mehr nachgedacht.
„Wie viele Leute hat er?“ erkundigte sich die Elfe weiter.
Stephanus wusste, dass sie keine Angst vor einer Überzahl an Feinden hatte. Das Miststück wollte nur wissen, wie lange sie in der nordischen Provinz bleiben würden.
„Hrard meint, er hat den ganzen Osten hinter sich.“
„Den ganzen Osten?“
„Ja,“ knurrte er.
„Dann bleiben wir wohl ein Weilchen hier.“
„Ja.“
Sie verzog den Mund und blickte finster drein. „Ich mag's hier nicht. Himmelsrand ist zu kalt.“
„Musst dich wärmer anziehen,“ brachte Cocius sich ins Gespräch ein.
Stephanus wand sich von seiner Sitznachbarin ab und lehnte sich zurück, während Cocius und Sylaen die Unterhaltung weiterführten. Er wechselte normalerweise keine Worte mit ihr und erwiderte nur selten etwas, wenn sie ihn ansprach. Seine Miene verfinsterte sich, während er am Rande mitbekam, wie Cocius anfing, mit der blonden Waldelfe zu flirten. Dieser Idiot hatte ja keine Ahnung. Aber er wollte sich nicht die Mühe machen ihn vorzuwarnen. Nein, dass war jetzt nicht seine Angelegenheit. Sollte der andere Kaiserliche von alleine darauf kommen, wie psychotisch Sylaen sein konnte. Ihren Beinamen „Jungelfe“ hatte sie dadurch bekommen, dass sie einmal erwähnt hatte, dass sie mit ihren fünfzig Lebensjahren im Vergleich zu anderen Elfen recht Jung war. Im Augenblick hatte sie eine gute Phase, aber ihr Gemütszustand konnte sich drastisch von einen Moment auf den anderen ändern. Er verspürte Ekel bei der Erinnerung an eine ihrer neulichen Episoden. Er hatte sie bei einer Pause auf ihrem beschwerlichen Trip über die Grenze von Hochfels dabei erwischt, wie sie ihre krankhaften Zwänge an einem armen Hasen ausließ. Das Tier war offensichtlich paralysiert gewesen, denn unter normalen Umständen hätte es sich gewehrt und geschrien wie am Spieß, während seine Peinigerin ihm systematisch jeden einzelnen Knochen brach. Dabei hatte Slyaen die ganze Zeit über vor Verzückung gekichert, und Stephanus hatte an den Augen des Tieres gesehen, dass es bei vollem Bewusstsein war. Das stumme Leid und das perverse Gackern der Frau hatten in dem Kaiserlichen eine Mischung aus Wut und Ekel ausgelöst. Bis dahin hatte er zwar gewusst, dass sie geisteskrank war, aber ab diesem Augenblick war ihm bewusst, wie tief der gewalttätige Wahnsinn in ihr steckte. Als sie ihn letztlich doch bemerkte hatte sie ihn böse angefunkelt und ihm gesagt, er solle sich gefälligst um seinen eigenen Kram kümmern. Er hatte es nicht gebraucht, ihr zu sagen, wie krank sie ihn machte. Sein Gesichtsausdruck allein hatte Bände gesprochen, und sie hatte zu genüge darin gelesen. Zu gerne hätte er sie in diesem Moment umgebracht, doch ein gefolterter Hase war leider keine ausreichende Berechtigung. Solange man der Kompanie Geld einbrachte und seine eigenen Leute nicht wegen jeder beliebigen Belanglosigkeit tötete, konnte man so viele Hasen malträtieren, wie man wollte. Er arbeitete nun mal mit Mördern zusammen. Berüchtigte Ex-Banditen, entlaufene Sträflinge, Vergewaltiger.
„Wann werden denn jetzt die Wachen eingeteilt?“ fragte jemand unvermittelt.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin schälte sich von einen Moment auf den anderen Hrards Umriss in einigem Abstand auf der anderen Seite der Feuerstelle aus der Dunkelheit. Die knisternden Feuerzungen beleuchteten sein Gesicht, tauchten es in dunkles Orange und Gelb und ließen die Furchen in seinen harten Gesichtszügen noch tiefer als sonst erscheinen. Der kräftig gebaute Nord war frisch rasiert, und seine strohblonden Haare lagen zu dünnen Zöpfen geflochten auf der linken Seite seines Kopfes. Seine dunklen Augen gingen fast im Flimmern der über den Flammen erhitzen Luft und den Schatten in seinem ernsten Gesicht unter, und nur das sich in ihnen spiegelnde Feuer versicherte dem Betrachter, dass sich in Hrards Augenhöhlen tatsächlich Augäpfel befanden und nicht nur dunkle Leere. Stephanus korkte den Weinbeutel wieder zu und begrüßte den Neuankömmling dann mit einem Kopfnicken. Er respektierte den Mann.
Alle Gesichter, die sich um das Feuer herum versammelt hatten, waren nun auf Hrard gerichtet und alle Gespräche zwischen ihnen waren verstummt.
Ohne Umschweife erhob der Nord seine tiefe und etwas monoton klingende Stimme, während er seinen gespenstischen Blick über jeden einzelnen von ihnen wandern ließ:
„Wir bewachen diese Nacht das östliche Ende des Lagers an der Straße. Levinius, Stahlzapfen, gro-Ogdum, Meum-Te. Ihr Vier habt bis Eins Wache. Bodeado, Jungelfe, Spurius, Bärenpelz, bis vier. Fleisch, gro-Golug, Jungeiche und ich bis Morgenappell. Ich stelle gleich die Sanduhren. Der Rest von euch kann heute Nacht ausschlafen.“
Danach ging der Nord wieder seines Weges und verschwand im Schatten der Umgebung.
Sofort regte sich die Meute um das Lagerfeuer herum wieder, als währen sie aus einer Kältestarre gebrochen und hätten sich an den Ofen erinnert, den sie zuhause angelassen hatten. Stephanus und die drei anderen Erstschichtler zogen sich auf ihre Beine und machten sich auf, um ihre Ausrüstung zu holen. Zuvor reichte der Kaiserliche aber den sich in seiner Hand leicht verformenden Schlauch an seine Kumpane zurück.
Sie befanden sich in der Nähe der Stadt und außerhalb eines potenziellen Kriegsgebiets in relativer Sicherheit und konnten sich kurze Wachschichten leisten. Zusätzlich konnte Stephanus unter diesen Umständen auch seine Paranoia überwinden und er hatte für die vorhergegangene Arbeit seine Rüstung und sein Schwert beim Quartiermeister abgegeben. Seinen Dolch behielt er selbstverständlich immer bei sich.
Reach war selbst im Ausland berüchtigt für seine unsicheren Straßen. Die „Abgeschworenen“, wie sie sich nannten, griffen Gerüchten zufolge jeden an, der das Pech hatte, in ihre nähe zu kommen oder in einen ihrer Hinterhalte zu geraten. Bis jetzt hatte die Kompanie aber keinen einzigen von ihnen zu Gesicht bekommen. Auf der Reise nach Himmelsrand erlitt ihr Trupp auch keine Nennenswerten Verluste, weder durch Banditen oder durch Unfälle. Stephanus konnte also mit weniger Streng verteilten Wachschichten leben. Er bevorzugte es auch in die erste Schicht eingeteilt zu werden, was Hrard bewusst war. Vielleicht wollte der Nord ihn für irgendwas belohnen, oder es war auch nur kompletter Zufall. Für das letztere Sprach, dass eine durchgeschlafene Nacht viel eher eine Belohnung gewesen wäre.
Man hörte die Zeltgruppe der Schmiede bevor man sie sah: Selbst noch in der Nacht arbeiteten einige Schmiede unter der Leitung eines Meisters an ihren improvisierten Schmelzöfen und hämmerten an Ambossen auf metallene Rohlinge ein.
Hier und da konnte man auch das quietschen und kratzen eines Schleifsteins hören. Gesellen besserten Rüstungen aus und reparierten Waffen und machten sie wieder kampfbereit. Sie stellten einfache Äxte, Kolben und Schwerter her, Hufeisen, Nägel, eiserne Heringe und dergleichen. Die Herstellung von Rüstungen war allein die Aufgabe des Meisterschmieds. Wie über dem Zelt des Alchemisten stieg hier Rauch auf, dieser blieb im Gegensatz zu der anderen Wolke aus Qualm naturbelassen. Der Geruch von Ruß und verbrannter Kohle erfüllte die Luft, eine rauchige Note, die Stephanus schon immer gefallen hatte, und hier war sie stärker noch als vergleichsweise der Duft, der im Wind von der Stadt bis ins Lager mitschwang. Die gesamte Ausrüstung war schwer zu transportieren, und sie wurde auch erst dann aufgebaut, wenn ein längerer Aufenthalt sicher war.
Trotz des Lärms und der immer noch aktiven Arbeit schlief der große Teil der Handwerker bereits, in den meisten Öfen brannte die Glut einsam pulsierend vor sich hin und wartete darauf, wieder aufgeheizt zu werden und durch ihre künstlichen Lungen – die Blasebälge - neue Luft und damit neues Leben einzuatmen. Am Rand des kleinen Abschnitts im Lager befand sich eine Reihe von Baracken die als Waffenkammer herhalten mussten. Zwei Männer bewachten den Eingang, und im Innern trieb einer der Quartiermeister sein Unwesen: Ein magerer, kleiner und kahlköpfiger Bretone in einem speckigen, dunkelgelb gefärbten Lederwams. Stephanus kannte ihn beim Namen.
„Maniel. Meine Sachen.“
„Nachtwache?“
„Ja.“
Der Bretone nickte daraufhin, und ohne weiteren Wortwechsel pfiff der Mann dann nach seinen Assistenten, die faul im Halbschlaf zwischen Waffen- und Rüstungsständern hervorguckten und sofort um einiges wacher wurden, als der Quartiermeister sich vom Kaiserlichen wegdrehte und sie scharf Anschrie und ihnen einen schönen Urlaub in Oblivion selbst versprach, sollten sie sich nicht gefälligst in Bewegung setzten.
Wie von Molag Bal verfolgt trugen sie in Windeseile Stephanus' Ausrüstung zusammen. Kurze Zeit später steckte er dann auch schon in seiner Rüstung und fühlte sich gleich viel wohler. Es war, als würde man an einem klammen kalten Tag einen Mantel überziehen, um sich vor dem frostigen Wind zu schützen. Oder als würde man bei strömenden Regen eine wasserfeste Kapuze aufsetzen. Doch noch wichtiger war ihm sein Schwert. Erst jetzt gestand er sich ein, wie nackt er sich ohne seine Waffe gefühlt hatte.
Mit einem kindischen Lächeln hielt er die Klinge gegen eine Fackel in seiner Nähe und beobachtete, wie sich das Feuer darin spiegelte. Es war eine schöne Waffe. Für den größten Teil war die zweischneidige Klinge aus dunklem Stahl auf den ersten Blick schnurgerade und verjüngte sich nur allmählich, lief am Ende aber Ende unvermittelt zu einer dreieckigen Spitze zusammen, dem Ort. Die Hohlkehle des Schwertes hatte eine mattere Beschaffenheit, als zum Beispiel die wie ein Spiegel glänzende Schneide, und endete kurz vor der Fehlschärfe.
Der Schwertknauf besaß die Form einer großen Münze und war aus Eisen gefertigt. Sein Gewicht gab Stephanus' Waffe mehr Balance, da es das Gewicht der Klinge ausglich. Zudem eine Parierstange aus Stahl. Viele seiner Mitstreiter besaßen Schwerter mit Parierstangen aus Messing, doch war dieses Metall einfacher zu bearbeiten, wies im Ausgleich aber eine geringere Haltbarkeit vor. Eine sich verformende – oder im schlimmsten Fall sogar zerbrechende – Parierstange konnte einem Schwertkämpfer schnell das Leben kosten.
Und dann war da noch das Heft aus Hartholz, umwickelt mit dunkelbraunem Leder. Es lag gut und stabil in der Hand, und es bot gerade genug platz für zwei Hände. Dadurch konnte Stephanus das Schwert je nach Situation mit einer oder mit zwei Händen führen: Entweder mit einem Schild für zusätzlichen und vor allem beim Kampf gegen Bogenschützen entscheidenden Schutz, oder mit beiden Händen für zusätzliche Schlagkraft. Diese Waffe war geschmiedet, um gerüstete Gegner zu bekämpfen, genau was Stephanus brauchte. Zwar war sie beim Handgemenge in engen Bereichen durch ihre Länge weniger effektiv als kürzere Blankwaffen, aber in solchen Umständen fand der Kaiserliche sich nur selten wieder. Das offene Feld war sein übliches Kampfgebiet.
Stephanus schob sein Schwert in die mit Fell gefütterte Scheide und befestigte sie auf der linken Seite seines Körpers an seinem Gürtel. Hiernach wünschte er Maniel und seinen faulen Lehrlingen eine gute Nacht und machte sich dann auf.
Er war auf halben Wege zu seinem Posten, als Jemand Stephanus im gehen auf die Schulter klopfte, und er brauchte sich nicht erst umzudrehen, um zu wissen, um wen es sich handelte. Das Gewicht der großen Pranke zu spüren war schon genug, und nun gingen er und Soldin Stahlzapfen nebeneinander her. Unweit hinter sich konnte Stephanus noch die Schritte der anderen Männer hören, die ebenfalls der ersten Wache zugeteilt wurden, als der Wind zunahm und sich in ihren Haaren verfing. Hier und dort klatschten die Zeltplanen dumpf auf, wie Segel, die den Wind einfingen.
„Na, Levinius? Wie gefällt Euch Himmelsrand?“ Mit einem herzlichen Lachen und einem vor Glück strahlenden Gesicht ließ Soldin von der Schulter des Kaiserlichen ab, und breitete stattdessen die Arme aus und deutete sie auf das das Land umgebende Gebirge. Masser und Secunda vermochten es an diesem Tag kaum die Nacht zu erhellen, so dass sich die Berge als gigantischer Schatten fast schon bedrohlich vor dem Sternenhimmel abzeichneten. Die Augen des Nord funkelten bei seiner Pose wie die eines Diebs, der es nach langen Strapazen endlich geschafft hatte, in ein Goldlager von unschätzbaren Ausmaßen zu gelangen.
„Könnt Ihr es sehen? Es riechen? Einfach verdammt wunderbar wieder in der Heimat zu sein!“, brüllte er schon fast.
„Alles was ich sehen kann ist Euer Großkopf, Stahlzapfen,“ erwiderte Stephanus trocken.
„Wie meinen?“ Der massige Nordmann hielt inne und drehte sich zu ihm um.
„Ja. Und je mehr ihr über Himmelsrand erzählt, desto mehr wächst er auch an.“
Der Nord hatte der gesamten Mannschaft schon seit dem Moment an, an dem sie zur Grenze aufgebrochen waren, mit der glorreichen Heimat der Menschen auf Tamriel, Himmelsrand in den Ohren gelegen. Langsam reichte es.
„Wenn Ihr nicht aufpasst, dann platzt er gleich.“
„Vielleicht sollte ich Euren Kopf platzen lassen, kaiserlicher Hundesohn.“
„Ach ja?“
Stahlzapfen nickte mit einem finsteren Lächeln auf dem Gesicht: „Ja. Und wenn dann mein eigener Kopf platzt, muss ich wenigstens nicht Euren stinkenden Leichnam auf den Abfall schaffen.“
Er zog sein Schwert. Stephanus ließ sich nicht lumpen und tat es ihm gleich. Eine Weile standen sie sich mit gezogenen Waffen gegenüber und starrten sich gegenseitig an, zwei Wölfe kurz vor dem Angriff. Der Kaiserliche konnte den Wahnsinn und die Mordlust in Soldin's Augen sehen. Eine fast zwei Meter hohe und erzürnte Ansammlung von Muskeln und Hass. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie sich gegenseitig an die Kehle gehen würden. Die Zeit schien wie in Zeitlupe zu vergehen, sein gesamter Körper war gespannt, Adrenalin raste durch seine Blutbahnen. Ihre anderen Mitstreiter hatten beide vollkommen aus ihren Gedanken verbannt, da diese nur stehenblieben und teilnahmslos hinsahen, ohne merkliche Absicht in den Konflikt einzugreifen.
Plötzlich brüllte der Nord vor lachen und steckte sein Schwert weg. Alles war also nur ein neunverdammter Scherz gewesen. Ein kranker Streich.
„Verrückter Schweinehund,“ fluchte der Kaiserliche mit einem falschen Lächeln auf den Lippen, sein Gesicht immer noch Soldin zugewannt.
Dieser klopfte sich einmal auf den Oberschenkel und fasste sich dann langsam wieder, und nickte dem anderen Mann belustigt zu.
„Ach, wenn ich Euch umbringen würde, Stephanus, dann hätte ich niemanden mehr zum töten!“ Damit ließ der Nord die Sache bei sich beruhen, und Levinius war froh über den plötzlichen Sinneswandel des Nords. Für einen Moment blieb er noch verdutzt stehen während Soldin bereits weiterging.
Stephanus sah ihm im Gehen nach, als Meum-Te an ihm vorbeizog.
„Sah kurz aus, als würde Nord dich töten,“ bemerkte der Argonier im Vorbeigehen in gebrochenem kaiserlich.
Der Kaiserliche zuckte die Achseln. „Stahlzapfen ist eben verrückt. So was macht er manchmal.“
Dadurch, dass er es als verkorkste Gewohnheit des Nords verkaufte, versuchte Stephanus sich nicht von der Echse anmerken zu lassen, dass der Nord ihn zumindest genauso sehr überraschte wie jeden Außenstehenden. Seine Nackenhaare waren immer noch aufgerichtet und sein Herz kehrte nur nach und nach zu seinem gewohnten, langsameren Rhythmus zurück. Er war schon bereit gewesen, vorzuschnellen und zuzustechen, bevor er die plötzliche Veränderung im Verhalten des Nordmannes gemerkt hatte. So leicht es auch gewesen war, ihn zu provozieren, so leicht hatte Stahlzapfen sich auch spontan entschieden, heute kein Blut zu vergießen.
„Wenn ich's Euch doch sage! Der Typ hat die Wahrheit gesagt!“
Stephanus stieß ein ungläubiges Lachen hervor und schüttelte den Kopf.
„Der einzige Drache auf der Welt steht im Tempel des Einen, und ist zudem seit fast zweihundert Jahren versteinert.“
Stahlzapfen funkelte den Kaiserlichen von der Seite an.
„Ihr seit ein miesepetriger, skeptischer, verdammter Bastard, wisst Ihr das?“
„Das ist durchaus begründet. Ihr müsst schon sehr Dämlich sein, wenn Ihr jeden Scheiß glaubt, den irgendein verängstigter Reisender erzählt.“
Nun war es an Soldin den Kopf zu schütteln.
„Ich sehe schon seit Jahrzehnten die Furcht in den Gesichtern Anderer. Der Typ hat sich vor Angst fast in die Hosen gemacht. Der hat uns nichts vorgespielt, um sich interessant zu machen.“
Der Kaiserliche schnaufte.
„Ich hab ja nicht gesagt, das er gelogen hat. Er hat durchaus geglaubt, er habe einen Drachen gesehen.“
„Das hat er.“
„Hat er nicht. Diese verflixten Leute vom Land sind schreckhaft wie sonst was. Da hat ihm wohl eine Wolke für eine Sekunde die Sonne verdunkelt und er ist in Panik verfallen.“
„Wolken brennen keine Häuser nieder,“ erwiderte der Nord.
„Der Penner ist wohl verängstigt losgelaufen und hat sich den Rest nur eingebildet. Erinnert Ihr Euch noch an den Werwolf von Wegrast?“
Soldin nickte.
„Und was war der am ende gewesen?“
„Ein verdammter Obdachloser mit Wolfsmantel.“
„Sehr wohl. Ein verdammter Obdachloser mit Wolfsmantel. Und die ganze verdammte Stadt hat mit ihren Gerüchten die Angst an die Spitze getrieben.“
Stephanus fröstelte. Seit ungefähr einer Stunde Standen sie schon bei der Kontrollstelle am Wegesrand. Ganz in der Nähe hörte er gro-Ogdum husten, und Meum-Te als Rückmeldung darauf wütend auf Argonisch schnattern. Zu ihrem Glück hatte sich der Wind im Laufe der Nacht gelegt, aber während der Tag durch die Wärme der Sonne unglaublich heiß gewesen war, war die Nacht ohne die Sonne umso kälter. Dieser krasse Gegensatz zwischen Heiß und Kalt war Stephanus durchaus bekannt. Dieser Effekt war besonders in Wüsten zu spüren.
Und der besagte Fremde war vor einigen Minuten an ihrem Posten vorbeigezogen, aber nicht, ohne ihnen hastig von dem angeblichen Drachenangriff auf der Straße vor ein paar Tagen zu erzählen.
„Diesmal ist es aber anders,“ beharrte der Nord. „Brarek Jungeiche hat mir erzählt, wie er mit einem von der Stadtwache geredet hat, und der hat ihm auch von Drachen erzählt. Kennt Ihr Helgen? Niedergebrannt, von einem einzigen Drachen allein. Ulfric Sturmmantel war da, und General Tullius auch.“
„Und wahrscheinlich auch noch der Kaiser selbst, während Sheogorath auf der Wiese nebenan Blümchen pflückte.“
„Ach, halt doch einfach die Klappe. Die gesamte Stadt redet davon. Und auch jeder andere Reisende,“ ereiferte sich der Nord.
„Gesamte Städte reden von einem Werwolf, der eigentlich nur ein Obdachloser ist.“
„Ihr seit zu ungläubig.“
„Ich bin zu vernünftig.“
Stahlzapfen spuckte verächtlich aus.
„Vergesst es einfach. Mit Euch zu reden hat keinen Sinn.“
Einige Minuten später brach der Nord dann wieder die Stille.
„Wie steht Ihr eigentlich zum Bürgerkrieg, Levinius?“
Stephanus seufzte leise und zuckte dann die Achseln. „Ein Krieg wie jeder andere auch.“
„Für welche Seite seit ihr?“
„Macht doch keinen Unterschied, oder?“
Eigentlich wollte er die Frage nicht beantworten... Aber, so überlegte er, selbst die unbedeutendste Konversation versicherte, dass er sich nicht allein mit seinen Gedanken an vergangene Zeiten wiederfand.
Er wog den Kopf hin und her, ließ geschlagen die Schultern sinken und sagte dann: „Legion.“
„War ja klar. Der Strahl möge dich treffen, Kaiserlicher Hundesohn.“
„Ach?“ Stephanus drehte sich zu Soldin um. „Und Ihr seit also ein Anhänger des großen Freiheitskämpfers Ulfric?“
„Himmelsrand sollte frei sein,“ erwiderte Stahlzapfen.
„Euch ist aber schon bewusst, dass wir auf der Seite der Legion kämpfen, oder? Also gegen die Sturmmäntel.“
„Ja ja, das weiß ich doch,“ stellte der Nord mit einer Wegwurfgeste klar.
„Ich will nur sicher stellen, dass die Qualität ihrer Truppen gewahrt wird.“
„Achso?“, wunderte sich Stephanus.
„Ja! Und außerdem stelle ich auch sicher, dass jeder Sturmmantel seinen Platz in Sovngarde verdient, bevor ich ihn ins Jenseits befördere.“
„Bravo,“ lachte der Kaiserliche, „die werden Euch für Euren Dienst bestimmt eine Statue in Windhelm stiften.“
Soldin lachte nun auch. „Das will ich aber schwer hoffen. Das währ doch das Mindeste.“
„Wenn Ulfric aber gewinnt,“ sagte Stephanus, nachdem sich das verhaltene Lachen wieder gelegt hatte, „und Himmelsrand unabhängig wird, wird die gesamte Provinz mit Sicherheit den Bach runtergehen.“
Stahlzapfen warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Glaubt Ihr etwa, Nords können sich nicht selbst regieren?“
„Darum geht es nicht,“ stellte der Kaiserliche klar, „aber nach dem Bürgerkrieg würden zwei Generationen Nords fast am Stück durch die Kriege gebeutelt sein. Erst der große Krieg, und dann diese Scheiße jetzt.“
„Worauf wollt Ihr hinaus?“
„Die verdammten Hochelfen, Stahlzapfen. Die werden danach hierherkommen und einfach alles überrollen. Und das Kaiserreich wird dagegen auch nichts mehr tun können. Und danach...“ Seine Miene verfinsterte sich. „Danach schnappen sich die gelbhäutigen Bastarde eine Provinz nach der anderen.“
Soldin schwieg daraufhin nachdenklich, redete nach einer Pause aber doch weiter.
„Nein. Nein, so ist es nicht. Seht, das Kaiserreich ist so gut wie zerschlagen.Ein sterbender Schatten seiner Selbst. Alles, was es für Himmelsrand noch bewirkt, ist, dass die Menschen hier Steuern an den Kaiser zahlen müssen, ob sie wollen oder nicht. Hohe Steuern, um Cyrodiil und Was-weiß-ich wieder fein herzurichten. Im Gegenzug werden unsere Religion und unsere ältesten Bräuche verboten, damit ihr Kaiserlichen diese lächerlichen Forderungen der Hochelfen einhalten könnt. Das Kaiserreich zieht Himmelsrand nur runter. Und sobald es frei ist, können wir Nords eine vernünftige Verteidigung gegen die Aldmer aufbauen. Außerdem...“ Der Nord räusperte sich. Sein Gesicht war gerötet, denn er hatte sich wirklich in das Thema rein gesteigert. So viel an einem Stück hatte Stephanus ihn noch nie reden gehört.
„Außerdem, der große Krieg ist schon was her. Ja, es gibt hier und da noch einige Kriegsversehrte, aber die gibt es überall auf Tamriel, und sie machen auch keinen Großteil der Bevölkerung aus.“
„Und wenn der Bürgerkrieg so weitergeht, verkrüppelt Ulfric auch noch die jungen Männer und Frauen seines Landes.“
„Nicht, wenn das Kaiserreich die Unabhängigkeit akzeptieren würde,“ konterte der Nord.
Beide Männer schüttelten sacht den Kopf während sie wieder nach Osten schauten und das Thema fürs erste beiseite legten. Dass Soldin desertieren und sich auf die Seite der Sturmmäntel schlagen würde bezweifelte Stephanus aber. Nein, der Nord liebte es zwar zu töten, aber auch er hatte seine Prinzipien.
Außerdem wusste jeder, was Ganlydyn Menarven mit Deserteuren anstellte.
Stephanus zog seinen Mantel enger um sich, denn nicht nur seine Gedanken, sondern auch der wieder aufkommende Wind sorgten dafür, dass ihm unangenehm kalt wurde.
Geändert von Kampfkatze2 (24.06.2016 um 01:04 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab
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Zusammengerollt wie ein neugeborenes Kind in den Armen seiner Mutter lag Vesana auf ihrer Nachstatt, die Lider fest zusammengekniffen und in jeder Hand einen ihrer Dolche. Die Ohren gespitzt versuchte sie Geräusche aus ihrer Umgebung aufzunehmen, hoffen, dass es nichts zu hören gab. Doch anstatt die Stille als beruhigend zu empfinden, begann ihr Herz nur noch mehr zu springen und die Lungen nur umso heftiger zu brennen. Sie musste einen anderen Weg finden sich abzulenken. Zu liegen und zu warten würde früher oder später wohl ihren nervlichen Tod bedeuten. Wo war nur ihre Stärke hin? Sie setzte sich auf und lehnte sich gegen die Wand, den Tornister als Polster verwendend. War sie mit dem Sturz und ihrer Verletzung verflogen? An sich handelte es sich nicht um eine völlig neue Situation. Verletzungen hatte sie viele erlitten, einige noch weit schwerer als die jetzige. Allein war sie früher auch schon oft gewesen und dennoch machte es ihr gewöhnlich nichts, oder wenigstens nicht viel, aus.
Die Kaiserliche schob es schließlich auf ihre Umgebung. In einem stinkenden Loch befand sie sich immerhin zum ersten Mal. Keine Erfahrung, die sie zu wiederholen wünschte, sollte sie hier herauskommen. Aber vielleicht belog sie sich auch selbst, wenn sie es so einfach abtat, und das anschwellende Zittern in ihren Fingern und der Unterlippe schien eine direkte Strafe dessen zu sein. Vielleicht handelte es sich um einen Test? Obwohl sie Situation selbst für Hircine ausgesprochen grausam und völlig untypisch schien. Nein, es lag einzig an ihr und die Tatsache, dass sie nicht wusste, warum ihr ihre Lage eine derart große Angst einjagte, verschlimmerte es nur noch.
Wie Wasser am Bug eines Schiffes zerstoben ihre Gedanken, als die Jägerin kleine Steine rieseln hörte. Kaum mehr als ein Flüstern, aber doch deutlich über das schwache Rauschen des Blutes in ihren Ohren vernehmbar. Unwillkürlich hielt sie die Luft an und gefror zu Eis. Kaltes Wasser schien ihr den Rücken hinabzurinnen, doch vermochte sich ihr Leib nicht zu schütteln, zu verkrampft spannten sich ihre kraftlosen Muskeln. Kurz brach das Rasseln der Steinchen ab, dann ertönte es erneut und lauter, als schob sich etwas auf allen Vieren die andere Seite des Trümmerhaufens hinauf. Reflexartig deckte Vesa die flackernde Laterne mit dem unteren Ende ihrer Schlafunterlage ab und löschte sie das Licht. Die schlanken, schmutzverkrusteten Finger griffen fester um die Dolche. Mit verschränkten Armen wiesen die langen, scharfen Klingen von ihr wie die Stacheln eines Igels.
Abermals endete das klickende, rasselnde Rauschen der Steine. Es wich einem leisen, haarsträubend-widerlichen Knacken, als brächen Knochen in einem winzigen Leib. Feucht, schmierig, schmatzend. Scharf sog sie die Luft ein, als ihre Lungen danach zu ächzen begannen. Zu lange hatte sie ihr Atmen zu unterdrücken versucht. Beinahe verschluckte sie sich daran und das glucksende Aufbäumen ihres Überköpers hallte plötzlich derart laut durch den Tunnel, dass ihr das Blut vor Schreck in den Adern gefror. Das Schmatzen auf der anderen Seite der eingestürzten Tunneldecke endete abrupt und die Kaiserliche biss sich in den Ärmel ihrer Jacke um weitere Geräusche ihrerseits zu unterbinden. Doch es war zu spät. Anstatt des feuchten Knackens vernahm Vesana nun wieder das Rauschen kleiner Steine, lediglich weitaus aggressiver und intensiver als zu vor.
Gebannt und in völliger Starre, hoffend was auch immer dort den Trümmerhaufen erklomm, würde sie im Dunkel nicht erkennen, hielt sie still. Schwaches Licht drang inzwischen bis auf die Kuppe hinab und kleidete sie in gespenstig surreales Grau. Sie fühlte sich beinahe farbenblind, derart tonlos wirkten die Steine und das Erdreich, dass sie von ihrer Position aus zu erkennen vermochte. Wäre es nicht für die zwei plötzlich auftauchenden, eisblau leuchtenden Lichtpunkte gewesen, die in kalter Mordlust funkelten. Abermals hielt die Jägerin die Luft an, doch schien es nutzlos. Die Kreatur, die dort oben über die Trümmer gekrochen kam, musste sie bemerkt haben, denn nur kurz hielt sie inne. Dann setze sie ihren Weg kriechend fort und kam näher.
Instinkthaft zog Vesa die Schlafunterlage von der Laterne und eben noch an die Dunkelheit gewöhnt, flutete ihr warmes Licht plötzlich durch den Tunnel. Ein Stöhnen, das ein Kreischen hätte sein sollen, entwand sich der Kehle der spindeldürren, grauen Kreatur, die nur Haut, Sehnen und Knochen war, Fleisch und Lebhaftigkeit jedoch vermissen ließ. Das Licht, das nach kurzer Gewöhnung zu seiner gewöhnlichen Schwäche zurückkehrte schien dieses tot aussehende Monstrum zu blenden und es fluchte unaufhörlich. Schleifend wie ein Schwert am Stein klangen seine Laute, als es sich über die groben Felsen der alten Tunneldecke wand. Fellfetzen und blutige Sehnen hingen ihm aus dem unmenschlich weit aufgerissenen Mund und zwischen den schwarzen, verfaulten Zahnstummeln. Die Kaiserliche stemmte sich in die Höhe und nutzte sie die Paralyse des offenkundigen Untoten, dessen Haut die Farbe der Wände besaß.
Während sie an die Wand gestützt hinter ihre Laterne stolperte, nahm sie sich noch ihren Bogen und legte einen Pfeil auf die Sehne. Schief, den verletzten Fuß kaum belastend und vom im Bauch wild um sich schlagenden Hunger gekrümmt wartete sie ab. Das Kreischen der Kreatur riss nicht ab, es schmerzte ihr in den Ohren und schien unendlich weit durch den Tunnel hinter ihr zu hallen. Sie schüttelte sich und versuchte das Gefühl loszuwerden, dass es ihr in den Kopf zu kriechen versuchte. Benommen schüttelte sie das Haupt und spannte ihren Bogen. Mühsam beherrschte sie das Zittern, das ein genaues Zielen zu verhindern suchte.
Der Untote schien mittlerweile weniger vom Licht abgehalten, als noch zu Beginn, und kroch weiter. Erst jetzt fiel Vesana auf, dass er keine Beine mehr besaß. Ab den Knien fehlten die Knochen. Die faulige Haut hing in Fetzen unter einer kurzen, abgerissenen Lederhose hervor. Helle Sehnen verfingen sich hin und wieder zwischen größeren Steinbrocken. Genervt wirkend zerrte dann das Biest daran und versuchte mit widernatürlicher Kraft sich zu befreien. Der Anblick drehte ihr den Magen um und vertrieb die Luft in den Lungen. Ihre schüttelnden Finger wollten nicht mehr wie sie. Notgedrungen musste sie die Waffe in ihren Händen sinken lassen, um den Pfeil nicht zu verschwenden, denn die Köcher befanden sich noch neben ihrem Felleisen. »Scheiße!«, zischte sie leise und strich sich den kalt ausbrechenden Schweiß aus dem Gesicht.
Von dem von ihr ausgehenden Geräusch angespornt, krabbelte der faulige Torso weiter auf sie zu und erreichte inzwischen den Fuß des Trümmerhaufens. Ohne es beeinflussen zu können wich Vesa weiter ins Dunkel hinter ihr zurück, entfernte sich so von der Laterne und dem Untoten, dessen leuchtende, blaue Augen sie unentwegt anstarrten als könnten sie die Kaiserliche bereits schmecken. Hinter sich zog er eine frisch feuchte, dunkle Spur her, die gelegentlich kleinere Klümpchen und Brocken, manchmal im Kerzenschein rot schimmernde Splitter von Knochen unterbrachen. Die Reste des Waschbären zweifelsohne, die ihm aus den vergammelten Innereien fielen. Der Anblick und der ihn begleitende, süß-saure, ätzende Geruch von jahrhundertealtem Fleisch und Gewebe zwangen Vesana in die Knie. Kraftlos sanken ihre Hände und verkrallten sich im Stoff über dem pumpenden Bauch. Säure stieg ihr von Innen in die Nase, brannte in den Schleimhäuten und setzte sich auf die Zunge wie ein Pelz. Schon im nächsten Moment, noch bevor sie überhaupt zu realisieren vermochte, was ihr widerfuhr, krampfte ihr Magen und trieb ihr seinen blanken Saft durch den Hals zum Mund hinaus. Tränen traten ihr in die Augen und ließen die in Übelkeit ohnehin schon eingeschränkte Sicht weiter zerfließen.
Blind tastete ihre Rechte nach dem fallen gelassenen Bogen und als sie das Holz mit dem noch immer an der Sehne hängenden Pfeil fand, zog sie sich unaufhörlich würgend weiter zurück, um Abstand zu dem Kriecher zu gewinnen. Mühsam stand sie erneut auf und wischte sich einzelne Tropfen ihres Erbrochenen von der Unterlippe bevor sie ihre Waffe abermals spannte und derart stark zitterte, dass sie sich gegen die Wand lehnen musste, um wenigstens einen Arm davon abzubringen. Nur noch wenige Schrittlängen trennten sie von der Kreatur. Es musste jetzt oder nie geschehen. Vesa zog noch einmal an und ließ dann das Geschoss surrend von der Sehne schnellen. Es traf die Kreatur in die Schulter nahe dem Hals und provozierte ein ächzendes, gedehntes Zischen mit weitaufgerissenem, schwarzem Mund. Ihre Lippen öffneten und schlossen sich tonlos als der Untote nochmals aggressiver weiter auf sie zugekrochen kam.
Im blanken Entsetzen, das sich als eiskalte Faust um ihr Herz schloss und ihr die Eingeweide durcheinanderwirbelte, ließ die Kaiserliche den Bogen fallen und griff nach den zwei Dolchen am Gürtel, die sie zuvor dort hektisch deponiert hatte. Zitternd warf sie den ersten nach dem Monstrum, verfehlte ihn aber als ein neuerlicher Würgeanfall sie zu schütteln begann. Klirrend polterte die Waffe durch den Lichtkegel der Laterne und blieb nahe ihrer Nachtstatt liegen. Mühsam versuchte sie den starken Reflex zu unterdrücken, schaffte es aber nur ansatzweise. Die zweite Klinge surrte in einem besonders ruhigen Moment ebenfalls durch die Luft und traf das beinlose Biest in den Hals. »Verrecke Du Miestvieh!«, schrie sie ihm entgegen, als es noch immer nicht stillhielt und verausgabe so die brennenden Lungen nur noch mehr. Das Herz pochte ihr bis zum Hals und erfolglos versuchte sie einen klaren Gedanken zu fassen.
Als letztes Resort zog sie ihr Schwert aus der Scheide und hielt die Klinge zitternd mit beiden Händen fest. Der silberveredelte Stahl schimmerte im schwachen Licht, funkelte regelrecht lüstern, und wirkte doch schwach während er vibrierte wie eine angeschlagene Triangel. Der Untote streckte ihr inzwischen die abgemagerten, gammligen Finger seiner Rechten entgegen und versuchte sie mit seinen eingerissenen, zerfurchten Fingernägeln zu kratzen. Gerade noch rechtzeitig wich sie aus und schlug mit dem Schwert zu. Mühelos durchdrang die scharfe Schneide die über die Jahre im Grab brüchig gewordenen Knochen des Unterarms. Stumpf schlug die abgetrennte Hand auf dem feuchten, schmierigen Steinboden auf und entriss der Kreatur abermals ein schleifendes Kreischen.
Den verstümmelten Arm zurückziehend reckte es ihr nun unbeirrt die andere Hand entgegen. Die zu Klauen gekrümmten Finger hieben überraschend schnell nach Vesa. Mühevoll entging sie dem zweiten Angriff unversehrt. Durch all den Ekel und das Entsetzen, ja sogar vorbei an der Angst, die sie innerlich gefrieren ließ, quoll so etwas wie Wut in ihr auf. Es war nicht ihre, da fühlte sie sich sicher, aber die des Biestes. Zornig grollend schlug sie dem Untoten in dessen dritten Angriff auch die verbliebene Hand vom Leib. Diesmal blieb es aber nicht dabei. Tränenblind folgten weitere Schläge während denen sie sowohl den Torso, als auch die restlichen Armstummel und den Kopf traf. »Verrecke – Du – dreckiges – räudiges – stinkendes – scheiß – Vieh!« Ihr Widersacher kam nicht einmal mehr zum Stöhnen oder Zischen als sie ihn mit der Klinge malträtierte. Irgendwann ging die Jägerin kraftlos auf die Knie und stach auf den matschigen Haufen aus Knochen und Haut ein bis sie schließlich einfach umfiel und ihr der lederummantelte Griff ihrer Waffe aus den Fingern glitt. Auf den Resten der Arme und zwischen einigen haarträchtigen Fetzen der fauligen Kopfhaut blieb sie liegen, würgend, angewidert, und sich noch weitaus dreckiger fühlend als zuvor. Der bittere Duft des Todes zwang ihr neuerlich die Säure aus dem Magen. Hustend, spuckend und nach Luft ringend zuckte sie vor und zurück, blieb jedoch in dem liegen, was von dem Untoten nach ihrer blinden Hackorgie übrig blieb. Die erdbebenhaft zitternden Hände schlug sie vor das Gesicht und begann noch während sie sich erbrach zu weinen.
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Geändert von Bahaar (26.07.2014 um 12:13 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab
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Die Augen fest auf den in Stücke gehauenen, grauen Leib einige Schrittlängen von ihr entfernt gerichtet, schien das allmählich ungenießbar fest werdende Brot in ihrer Hand beim Kauen nur mehr und nicht weniger zu werden, egal wie oft sie auch schluckte. In Angst, es könne ihr jeden Augenblick wieder hochkommen, verging ihr jeder Rest an Appetit, ganz gleich wie sehr ihr leerer Magen auch knurrte und danach verlangte, gefüllt zu werden. Dazu hing der widerwärtige Gestank des faulenden Leichnams in der Luft wie dicker Nebel an einem Frühlingsmorgen. Beinahe unerträglich verbiss er sich in Vesas Nase, verspottete sie in ihrer Schwäche und umfing sie als fanatischer Liebender, der sonst nichts an sie heranlassen wollte. Lustlos biss sie in den Brotlaib und anschließend den Hartkäse in der anderen Hand. Kleine Stückchen und doch bröselte es ihr über die Lippen aus dem Mund als sie geistesabwesend kaute.
Hautreste und gammeliges Sekret klebten ihr überall an den Händen und der Brust, sogar im Gesicht hingen noch einige Fetzen. Für einen Beobachter musste sie zweifelsfrei nicht weniger abstoßend wirken als die Kreatur, die sie erschlagen hatte. Ohne sich von dem Untoten abzuwenden verstaute die Kaiserliche letztlich die Überbleibsel ihrer spärlichen Mahlzeit in einem Lederbeutel und anschließend in ihrem Felleisen. Weder fühlte sie sich gesättigt, noch in irgendeiner Weise gestärkt – im Gegenteil. Das Essen wog schwer wie Blei im Magen, fühlte sich nicht richtig an und nur mühevoll unterdrückte sie den Würgreflex, der sie anhaltend peinigte. Vereinzelte Tränen, ob aus Wut oder Verzweiflung wusste sie nicht zu sagen, rannen über ihre Wangen. Ihre Lippen erreichten sie jedoch nicht, blieben sie doch vorher vom Schmutz aufgesogen einfach unterwegs stecken.
Träge hievte sich Vesana mit Hilfe der nahen Wand auf die Füße hoch, verstaute den Dolch, der zuvor sein Ziel verfehlt hatte, am Gürtel und näherte sich im Anschluss der zerfledderten Leiche. Widerwillig zwar, ihre Beine wurden mit jedem Schritt wackeliger, aber sie zwang sich dennoch näher an ihn heran. Vom Anblick und dem intensiven, bitter-süßen Geruch abgestoßen hob sie den linken Arm und presste Nase und Mund in die Kehle des Ellbogens. Immerhin im Ansatz milderte der starke Geruch des an dieser Stelle nicht mit dem Sekret und Fetzen des Wiedergängers besudelten Leders den Gestank. Zunächst riss sie ihren zweiten Dolch aus dem Hals. Schmatzend löste er sich heraus, die klebrigen Hautränder der von ihm geschlagenen Wunde wollten ihn nur widerstrebend hergeben. Die Jägerin wiederholte es mit dem in der Schulter steckenden Pfeil und warf ihn kurzerhand zu den am Tornister deponierten Köchern hinüber. Den Bogen legte sie sich um die Schultern und zuletzt riss sie ihr Schwert begleitet von gänsehauterregendem Knacken aus den zertrümmerten Rippen heraus.
Für einen Moment blieb sie über dem Leib stehen und betrachtete ihn von oben herab. Das kalte, helle Blau seiner Augen war erstorben, dunkle, nachtschwarze Höhlen blieben dort zurück, die nicht minder furchteinflößend wirkten. Ein kalter Schauer lief ihr bei dem Anblick von der Schädelbasis bis hinab zum Steiß. Das folgende, heftige Zittern versuchte sie gar nicht erst zu unterdrücken. In dessen Zuge nahm sie auch den Arm vom Gesicht und bereute es noch im selben Augenblick. Als mächtige Keule prügelte der bestialische Gestank auf sie ein und trieb ihr die Tränen in die Augen. Nur verschwommen fiel Vesas Blick dabei auf etwas am ranzigen Gürtel der Kreatur. Ein kurzer Holzschafft, in etwa passend zu einem Stiehl einer Streitaxt, hing dort. Nur dass ihm das Axtblatt fehlte und an dessen Statt lediglich eine rostige, eiserne Kappe auf dem dunklen, vermoderten Holz saß. Das Gesicht abwendend, kniete sie sich so weit vom Kadaver weg wie möglich neben diesen. Die Finger ausgestreckt tastete sie im toten Winkel ihres Blickfeldes nach dem, das früher vielleicht einmal ein einfacher Streitkolben gewesen sein mochte und bekam es schließlich auch zu fassen. Erst leicht, dann stärker riss sie an ihm herum bis er sich schließlich knirschend und schmatzend aus dem verrosteten Eisenring und dem um ihn geschlungenen Stoff der Hose löste. Mit Feuchtigkeit vollgesogen wog er schwer in den Händen der Kaiserlichen, als sie ihn wendete und betrachtete.
Unschlüssig drehte sie die alte, stumpfe Waffe hin und her, brach gelegentlich einige dünne Rostplatten vom alten Eisen und ließ ihn folgend weiter rotieren. Von einem Seufzer begleitet, der ebenso gut in einem neuerlichen Brechanfall hätte enden können, wandte Vesa schließlich noch einmal den Blick auf die zerfledderte Leiche. Was früher einmal ein Mann gewesen sein konnte – die übrig gebliebenen Haare im unteren Teil des abgemagerten, knöchernen Gesichtes deuteten darauf hin – sah nun nicht anders aus als fauliges, verschimmeltes Obst, auf dem jemand herumgetrampelt war. Stofffetzen eines alten Hemdes und was aussah wie alte Bandagen umspannten den Oberkörper. Im flackernden Schein der sterbenden Laterne schillerten sie seltsam anmutend in bunten, violettstichigen Farbnuancen über dem allgemeinen Braun ihrer ranzigen, uralten Erscheinung. Das ölige Schimmern des Stoffes mochte so gut von alten Ölen zur Salbung wie von fettigen Ausdünstungen des toten Körpers stammen.
Mit Ausnahme des Streitkolbens in ihrer Hand, entdeckte Vesana sonst nichts Verwertbares am Leib des Toten. Gerade wollte sie sich abwenden und zu ihren Sachen hinken, da kam ihr aber eine Idee. Kurzerhand riss sie so viele lose Stoffbahnen von der Leiche, wie sie zu fassen bekam ohne mit dem grauen Gewebe von Haut und Knochen in Berührung zu kommen. Schmierig fühlte sich das alte Leinen an. Es roch ebenso bestialisch wie der Wiedergänger, einige seiner Reste hingen am Stoff. Dennoch wickelte sie diesen um das eisenbesetze Ende des Knüppels in ihrer Hand und kehrte im Anschluss zu ihrer Nachtstatt zurück, wo von der dicken Kerze in der Laterne kaum mehr als ein Stummel übrig war. Schnell hielt die Jägerin ihre letzte Hoffnung auf fortwährendes Licht in die kleine Flamme. Rauchend und rußend fing der Stoff Feuer. Fast schon widerwillig züngelten die gelben Lohen um den schlanken Kopf des Streitkolbens, an ihrer Basis schimmerten sie giftig grün. Beißender Qualm ging von den immer greller werdenden Feuerzungen aus und verteilte sich im Tunnel. Der Geruch von verbranntem Fleisch und Horn übertünchte sogar zeitweilig den des fauligen Kadavers bis schließlich der komplette Stoffummantelte Teil ihrer improvisierten Fackel lichterloh brannte und allmählich nur noch von den aufgesaugten Fetten und Ölen zehrte, die menschlichen Überreste völlig verschlungen.
Weit heller als es die Kerze selbst zu ihren besten Zeiten nicht vermochte leuchtete die schwere Fackel ihre Umgebung aus, offenbarte jedoch nicht viel mehr. Zu lang reichte der Tunnel unter der Erde gerade aus und so verlor sich auch ihr neues Licht nur allzu früh im ewigen Dunkel. »Verdammte Scheiße«, zischte Vesa. In Anbetracht dessen, dass sie wohl wenigstens noch einen kompletten Tag hier unten ausharren musste, kam ihr die Weitläufigkeit des zugänglichen Teils des Hügelgrabes ausgesprochen ungelegen. Wollte sie sich überhaupt auch nur ansatzweise so etwas wie sicher in ihrem provisorischen Lager fühlen, würde kein Weg daran vorbeiführen dem Tunnel wenigstens ein Stück weit zu folgen, um zu sehen, wo er hinführte. Andererseits mochte es das seit dem Angriff des Wiedergängers anhaltende, beklemmende Gefühl beobachtet zu werden, womöglich sogar noch verstärken. Den Gedanken daran schob sie schnellstens beiseite. Lieber lief sie umher, als noch länger auf dem Präsentierteller zu sitzen und nichts zu tun außer zu warten. Warten und mit sich selbst zu kämpfen schien ihr jedenfalls in Anbetracht der fortwährenden Übelkeit, die sich wie ein Parasit in ihrem Magen festsetzte, und dem Gestank die schlechtere Handlungsoption.
Bevor sich die Kaiserliche umentscheiden konnte, suchte sie ihre Sachen und humpelte los. Mit Bogen und Köcher auf dem Rücken, zwei Dolchen am Gürtel und dem besudelten Schwert in der Rechten arbeitete sie sich an der Wand entlang. An dem Toten vorbei, nicht über den Trümmerhaufen in die Richtung aus der er gekommen war. Lieber kundschaftete sie einen möglichen Rückzugsweg aus, falls noch ein paar seiner Freunde vorbeikämen. Ihren angeschlagenen Fuß noch immer nicht mehr als unbedingt nötig belastend kam Vesana zwar nur langsam voran, aber wenigstens entfernte sie sich allmählich aus dem nach süßer Fäulnis riechenden Abschnitt des Tunnels.
Dünne und dicke Wurzeln, manches Mal ein ganzer Vorhang feinsten Wurzelgeflechts, durchbrachen die schwarzen Steinwände, den Boden und sogar die Decke über ihr. Es glich einem Wunder, dass hiervon noch nichts eingestürzt war. Sie begrenzten aber auch die Reichweite des Lichts ihrer Fackel. Zittrig hielt die Jägerin diese umklammert, der kalte Schweiß ließ ihre Hände glitschig werden und sogar um den sonst rutschfesten Griff ihrer Klingenwaffe musste sie nachgreifen. Jeder Schritt, der sie weiter von ihrem Lager fortbrachte, ließ ihr Herz wilder schlagen, als wollte es ihr sagen, dass es Zeit zum Umkehren war. Wohl öfter als nach vorn, schaute sie über die Schulter zurück, stets mit dem unguten Gefühl im Nacken, dass sie verfolgt wurde. Dennoch setzte sie ihren Weg fort, wenngleich ihr die Knie weich zu werden drohten und sie häufiger innehalten musste, um durchzuatmen.
Irgendwann, es kam ihr vor wie eine halbe Ewigkeit, konnte aber ebenso gut lediglich eine halbe Stunde oder weniger gewesen sein, schälte sich vor ihr etwas aus der Finsternis, das ihr gar nicht behagte und der Monotonie des Tunnels ein Ende setzte. Unruhig verkrampfte ihr Magen und die verspannten Muskeln der Schultern sowie im Nacken jagten ihr unangenehme Stiche in den ohnehin dumpf pochenden Kopf. Die Wunde am Hinterkopf blutete zwar nicht mehr, aber Vesa spürte sie noch immer als brennende Erinnerung an ihren Sturz. Unregelmäßig ging ihre Atmung, als sie schließlich an der Weggabelung ankam. Einer gerade aus, ein weiterer führte leicht ansteigend nach links, der andere etwas abschüssig nach rechts. Jeder von ihnen nicht heller als die übrigen. »Scheiße.« Mit dem linken Ärmel wischte sie sich über das schweißgetränkte Gesicht und schloss einen Moment die Augen. Umkehren und die andere Richtung erkunden? Einem der Wege hier weiter folgen? Oder doch in ihrem Lager auf Rettung warten?
Sie entschied sich dazu, dem ansteigenden Weg zu folgen. Nach oben zu gehen konnte nie falsch sein. Zumindest wenn sie von unter der Erde an die Oberfläche gelangen wollte. Auf unsicheren Schritten arbeitete sich die Kaiserliche vorwärts. Schief mit dem Ellbogen des rechten Armes gegen die von Feuchtigkeit schmierige Wand gestützt entlastete sie so den verletzten Fuß, dem der nur sehr geringfügig steigende Tunnel erhebliche Probleme bereitete. Heißes Brennen und kalte Gefühllosigkeit wechselten einander ab. Tränen standen ihr in den Augen.
Grobe, schwarze Steine tauchten in ihrem Sichtfeld auf. Sie wirkten, als wären sie direkt aus den Wänden geschlagen und dort liegen gelassen worden, wo sie gelandet waren. Scharfe Abbruchkanten fanden sich an ihnen ebenso wie von der Feuchtigkeit angefressene, runde Seiten. Eine Vorahnung beschlich sie, die ihr den Magen zusammenzog und wenig später wurde sie Wirklichkeit. Vor einem deckenhohen Haufen aus Erde, Wurzeln und Steinen stehenbleibend rannen ihr dicke Tränen der Enttäuschung aus den Augen über die Wangen. Die bebenden Lippen fingen einige von ihnen auf. Eine Sackgasse. Kraft- und hilflos sank sie mit dem Rücken an der Wand hinab. Die Beine angewinkelt, das Schwert klirrend auf dem steinernen, unendlich kalt wirkenden Boden abgelegt und die Fackel auf der anderen Seite neben sich starrte sie gegen den dunklen Fels gegenüber. Es wäre auch zu schön gewesen.
Sollte sie die anderen Wege doch noch auskundschaften? Nein … Nein, es wäre zwecklos. Sie würde sich nur unnötig verausgaben. Schlimmstenfalls stieß sie womöglich noch auf ein Nest dieser untoten Biester und hätte dann eine ganze Horde von ihnen an den Fersen. Nein, wahrlich, das konnte sie nicht riskieren, denn geschweige gebrauchen. Halb stöhnend, halb knurrend zog sie sich auf die Beine und lief den Weg, den sie gekommen war, zurück.
Unterwegs hielt die Kaiserliche dennoch kurz an der Wegkreuzung an und lauschte in die undurchdringliche Schwärze außerhalb des Fackelscheins. Schwere Wassertropfen fielen irgendwo hinab und klatschten auf den steinernen Untergrund der Tunnel. Ein leichter Windhauch flüsterte aus einer anderen Richtung ein schauerliches Lied von Tod und Trauer. Ihre Nackenhaare stellten sich dabei unangenehm auf und abermals griff sie fester um ihr Schwert. Dazu gesellten sich das Rauschen und Pochen ihres eigenen Blutes in den Ohren und ihre tiefen Atemzüge bei halb geöffnetem Mund. Am ganzen Leib zitternd schloss sie kurz die Augen und versuchte das leise Schleifen des modrigen Luftzugs, als dieser zwischen Wurzeln und durch Kerben in den Steinen pfiff, zu verdrängen.
Schneller als zuvor, ein Hauch von panischer Angst im Magen trieb sie an, betrat Vesa den Tunnel zurück zu ihrem Lager. Doch als die ersten Dekorationen dessen Umfelds in das Licht ihrer Fackel traten, hielt sie schlagartig inne. Das Blut in den Adern erstarrt und die Gedanken ins Jenseits befördert starrte sie auf die plumpen, ungelenken Bewegungen am Rand des Lichtkreises. Widerwärtiges Ziehen, Reißen und Knacken schwappte zu ihr hinüber wie das leise Rauschen der Uferwellen eines Sees an einem windstillen Abend. Es kostete sie sämtliche verbliebene Beherrschung, nicht laut zu schreien und auf der Stelle umzudrehen und davonzurennen. Vermutlich hätte sie damit nur auf sich aufmerksam gemacht, denn die zwei neuen Wiedergänger, die über ihrem geschlachteten Kumpan knieten und sich seine Reste in die weit aufgerissenen, mit schwarzen Zähnen bestückten Mäuler schoben, beachteten sie nicht im Geringsten.
Grotesk und abstoßend mutete die Szenerie an. Die zwei abgemagerten, dürren Gestalten, mit aschgrauer Haut, die direkt auf den Knochen lag, und glühenden Augen in hellem Blau. Dazu ihre abgewetzte Kleidung und die rostigen, stumpfen Schwerter an ihren verfaulten Gürteln. Fetzen ihres inzwischen tatsächlich verstorbenen Kameraden hingen ihnen zwischen den Zähnen und klebten in den Resten von dem, was früher einmal bärtige Männergesichter gewesen sein mochten. Angst, so kalt wie das älteste Gletschereis Solstheims, ließ sie frieren und erstarren. Unfähig, etwas zu tun, starrte sie auf das Bild, das sich ihr bot. Sie schüttelte sich von Kopf bis Fuß und ihre Knie wurden allmählich weich. Während sich ihre Eingeweide verkrampften bekam sie das Gefühl, sie würden vom bloßen Zuschauen derart verfaulen wie die Organe der Wiedergänger vor ihr.
Nach schier unendlich langen Augenblicken der Starre, schaffte es Vesana sich doch noch zu bewegen. Langsam, zeitlupenhaft und als befände sie sich in einem Alptraum, aus dem sie nicht entkommen sollte. Ein Schritt hinter den anderen. Leise, so penibel darauf bedacht, jeden Laut zu vermeiden, wie sonst nie zuvor. Die Szene verschwand aus ihrem Lichtkreis, wenngleich sie die begleitenden Geräusche, nun da sie sie zuzuordnen wusste, weiterhin hören konnte oder es sich zumindest einbildete. Fast schon irre, begann sie zu grinsen, als schließlich auch noch die hörbaren Hinweise auf das Geschehen verschwanden. Gerade wollte sich die Jägerin umdrehen, da stieß sie mit der Schulter gegen etwas. Keine Wurzel, dafür war es zu schwer und träge, aber auch kein Stein, zu weich kam es ihr vor. Das Herz bis zur Zunge schlagen spürend, drehte Vesa den Kopf und schaute hinter sich. Halb hob sie das Schwert, doch so recht wollte der mit einem Mal kraftlose Arm nicht ihrem Willen folgen.
Im Augenwinkel tauchte etwas auf, das ihr den Atmen stocken ließ und sogar das Herz zum schmerzhaften Stillhalten verdammte. Sie blickte in das kalte, eingefallene Gesicht eines weiteren Untoten, der gerade das Maul aufriss und ihr seinen gammeligen Mundgeruch entgegenströmen ließ. Für den Bruchteil eines Lidschlages sah es so aus, als grinste er in abstoßender, gehässiger Weise, doch dann fletschte er die Zähne weiter bis der graue Kieferknochen und die schwarzen Reste des Zahnfleischs zum Vorschein kamen. Ihre Knie gaben nach, als er mit seinen spindeldürren Fingern nach ihr langen wollte und noch im Fallen entriss sich ein gellender Schrei des Entsetzens ihrer Kehle.
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Geändert von Bahaar (02.08.2014 um 17:33 Uhr)
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Zweifelsfrei musste ihr Schrei auch von den anderen beiden Untoten vernommen worden sein und obwohl sie sich der Gefahr, die von ihnen ausging, bewusst war, lag sie einfach nur auf dem Rücken, gelähmt und unfähig, sich zu bewegen. Wie eine Schildkröte. Erst als der Wiedergänger seine knöcherne Hand nach ihr ausstreckte und sie packen wollte, trat sie nach ihm, nicht auf die Idee kommend das Schwert zu benutzen. Noch im selben Augenblick bereute sie es, als heiße Stiche und flammende Qualen von ihrem verletzten Knöchel ausgingen, nachdem er das Schienbein ihres Gegners getroffen hatte. Der bis dahin unterdrückte und kontrollierte Schmerz brach sich nun wieder Bahn. Tränen rannen ihr aus den Augen während sie halb wimmernd, halb knurrend nur noch den unverletzten Fuß nutzte, um den wandelnden Leichnam auf Abstand zu halten.
Es schien ihr, als würde er allmählich genervt von ihrem Widerstand und griff irgendwann, da er sie mit den bloßen Klauen nicht zu fassen bekam, nach dem rostigen Schwert an seinem Gürtel. Knirschend und rau schabend löste es sich aus dem einfachen Eisenring, der es hielt und eine Scheide ersetzte. Kleine Brocken des verwitterten Metalls fielen zu Boden und Vesana schob sich rücklings mit Ellbogen und dem unverletzten Fuß fort. Der Wiedergänger war jedoch schneller auf seinen klapprigen Beinen und holte sie ein. Überraschend schnell für eine vergammelte Leiche hob er seine Waffe und hieb nach ihr. Die Augen vor Schreck zusammengekniffen hob sie nur im Reflex den Schwertarm. Das folgende, helle Klirren als Metall auf Metall traf schmerzte ihr in den Ohren und ließ sie unkontrolliert zucken.
Es folgten einige weitere Hiebe, die sie alle eher dürftig parierte – entweder mit dem Schwert oder ihrer improvisierten Fackel. Letztere verlor stets einige glühende Stofffetzen, wenn sie vom rostigen Eisen getroffen wurde. Allein die panische Angst, die zwei übrigen Untoten könnten noch zu ihnen stoßen, welche ihr wie eine faustgroße Zecke im Nacken saß und ihr das Blut aus dem Kopf weichen ließ, trieb Vesa schließlich dazu, ihrerseits nach ihrem abartig stinkenden Kontrahenten zu schlagen. Dank der Waffe des anderen verfehlte sie zwar ihr eigentliches Ziel, dafür wurde ihr Hieb jedoch so weit von der Brust abgelenkt, dass er quer über den Bauch schnitt. Die ausgezehrte, graue Haut platzte auf wie eine Eiterblase, derart unter Spannung stand sie. Graubrauner, übelkeiterregender Brei, der wohl einst die Eingeweide gewesen sein musste, quoll hervor und ergoss sich über die Beine der Jägerin. Es roch nach alter Galle, Magensäure und allerlei anderem verfaultem Bauchinhalt und stieg ihr in die Nase wie ein Speer. Völlig von der Wucht überrumpelt fühlte sie sich erschlagen und erdrückt unter tonnenschwerem Gestank während der Wiedergänger kreischte als gäbe es kein Morgen.
Kurz wurde ihr schwarz vor Augen, Brot und Käse der vergangenen Mahlzeit suchten sich einen Weg nach draußen. Erst als sie etwas schweres und hartes in die Seite traf bekam sich die Kaiserliche unter Kontrolle. Auf ihr lag das rostige Metallband, das einmal ein Schwert gewesen war. Perplex suchte sie nach dem Untoten, unstet wanderten ihre Augen durch das dunkler gewordene Zwielicht während die Fackel, ihren Fingern entglitten, in Griffweite auf dem Boden lag. Ihr Widersacher war ein paar Schritte zurückgetaumelt und hielt sich den breiten Schlund in seinem Bauch. Darmreste und anderes Gewebe hingen zwischen seinen Fingern heraus. Die kalt glühenden Augen starrten sie hasserfüllt an und eine frostige Aura des Zorns ging von ihm aus, wie Vesa sie nie zuvor erlebt hatte. Den Mund aufgerissen zischte, fauchte und kreischte er unaufhörlich.
Vesa rappelte sich auf die Knie hoch, während der Untote noch mit sich selbst beschäftigt war und die augenscheinlich sehr irritierende, wenn sicherlich auch nicht wirklich schmerzvolle, Verletzung mit seinen dürren Händen hielt. Vermutlich war es mehr die Erinnerung an den Schmerz, den eine solche Wunde hervorrief, als diese selbst – zumindest wenn diese stinkende Ausgeburt irgendwelcher kranker Magie so etwas wie Erinnerungen überhaupt noch besaß. Die Kaiserliche griff sich ihre Fackel und stand wankend auf. Ihre Hose klebte, die Stiefelsohlen lösten sich nur schwer vom Untergrund und glitten stets ein Stück in eine willkürliche Richtung, wenn sie sie in dem widerwärtigen Brei versuchte abzusetzen. Dennoch, mit dem Gefühl im Nacken bald weitere Gesellschaft zu bekommen, schaffte sie es erneut nach dem Untoten zu schlagen.
Dieser wich zunächst zurück und hob schließlich die Arme zur Verteidigung, doch nützte ihm das nichts. Ihre von schwarz gewordenem Körpersekret besudelte Klinge durchtrennte ihm den rechten Arm oberhalb des Ellbogens und die nachgezogene Fackel traf gegen seine Brust. Er taumelte und stürzte, während Funken auf seine zerfledderte Kleidung übersprangen und sie in Brandsteckten wie einst die Kerze die ölgetränkten Stoffbahnen des Beinlosen von zuvor. Kreischend und derart heftig qualmend, dass der Tunnel rasend schnell von schwarzem Dunst ausgefüllt wurde, fiel der Wiedergänger letztlich um und wand sich hin und her. Vesana beschrieb einen Bogen, soweit möglich, und presste sich den Jackenärmel vor das Gesicht, um nicht zu viel von den sicherlich giftigen Dämpfen einzuatmen, als ihr Widersacher in grellen, grüngetünchten Flammen verging.
Ein Blick über die Schulter folgte. Am Rande des Lichtkreises, den die untote Fackel am Boden warf, machte sie eine Bewegung aus. Bald noch eine und wieder eine, bis sich schlussendlich die zwei anderen Wiedergänger aus der Schwärze schälten und fauchend innehielten. Die Schwerter in den Händen kreischten sie in unmenschlichen Tonlagen, eine Mischung aus Greifvogel, Raubkatze und Schmerzensschreien. Ein furchteinflößendes Geräusch, das Vesa abermals in heftiges Zittern versetzte. Wie angewurzelt blieb sie stehen, die Füße schwer und die Beine schwach.
Letztlich rührte sich der Untote am Boden nicht mehr und schmorte lediglich vor sich hin. Es schien ein Startsignal gewesen zu sein, denn die beiden verbliebenen setzten sich simultan in Bewegung. Gleichzeitig fiel auch von ihr die Starre ab und im Reflex wandte sie sich um. So schnell sie vermochte, humpelte die Jägerin durch den Tunnel, ignorierte die Wurzeln, die ihr oft ins Gesicht schlugen und versuchte den heiß pochenden Knöchel auszublenden, so gut es ging. Trotz der neu gefassten Entschlossenheit, wenn sie ihren instinktiv aus den animalischen Tiefen ihres Bewusstseins aufsteigenden Fluchtreflex so beschönigen wollte, kam sie nur langsam voran. Viel zu oft knickte sie um, übersah mit tränengelöster Sicht besonders dicke Lebensanker der Bäume und wurde von ihnen umgeworfen, oder benötige schlichtweg einen kurzen Augenblick des Verschnaufens. Ihr unruhiger Magen und die von der Übelkeit verstärkte Atemlosigkeit taten ihr übriges. Abschütteln würde sie ihre zwei Verfolger, deren klapprige Schritte und in die Knochen fahrendes Zischen und Fauchen ihr dicht folgte, sicherlich nicht. Aber ebenso wenig würde sie in einem Kampf mit den beiden als Siegerin hervorgehen. Es glich schon allein einem Wunder, dass sie ihr Schwert und die Fackel noch festhielt, derart kraftlos und zittrig waren ihre Finger.
Vesana erreichte die Kreuzung von zuvor und bog halsüberkopf links ab. Erst nach und nach verlangsamte sie ihre Schritte und blieb schließlich stehen, als ihr der fatale Fehler, den sie begangen hatte, vollends dämmerte und ambossschwer auf sie niederdrückte. Kalte Schauer des Entsetzens rannen ihr den Rücken hinab, ließen sie frieren als befände sie sich mitten in einem Schneesturm. Dann kehrte sie um, befürchtete jedoch das Schlimmste. Zurück an den abzweigenden Tunneln kamen gerade die beiden übrigen Untoten in steifbeiniger Weise aus dem Korridor gehumpelt, in dem sich ihr Lager befand. Unfähig so kurz vorher noch anzuhalten, noch dazu da sie sonst mit ihrem angeschlagenen Fuß das Gleichgewicht verloren hätte, stieß sie frontal mit einem von ihnen zusammen.
Taumelnd drehten sie sich umeinander und stolperten anschließend auseinander. Sie schrie im Entsetzen und panischer Angst, die ihr Herz zum Zerspringen brachte, der Wiedergänger krächzte und fauchte. Sein Kumpan benötigte einige Schritte bevor er zum Stehen kam und sich dem Geschehen zuwenden konnte. Die Kaiserliche krachte unterdessen Schulter voran gegen die Wand direkt an der Ecke zwischen zwei Tunneln. Das Schwert entglitt ihren Fingern als auch ihr Haupt ob der Trägheit und Überraschung herumschnappte und gegen den Stein schlug. Es verschwand laut klirrend aus ihrem Sichtfeld. Benommen taumelte sie weiter und ging auf ein Knie hinab, nicht wissend welchen der Korridore sie gerade überhaupt betreten hatte.
Es spielte jedoch auch keine Rolle mehr. Von tief unten spürte sie Zorn sintflutartig in ihr Aufsteigen. Ein tiefes Grollen, dunkler und bedrohlicher als das jedes Bären und so vibrierend, dass es ihr selbst eine Gänsehaut bereitete, brandete aus ihrer Kehle auf. Wut packte sie mit glühenden Fingern und das flackernde Licht der Fackel wurde dunkler, als die Quelle dumpf zu Boden fiel. Im nächsten Moment drückte sie sich kraftvoll mit dem gesunden Fuß hoch. Dem jedoch nicht genug, der Schwung trieb sie in die Luft bis sie die Bodenhaftung verlor und in direkter Linie auf den näherstehenden der beiden Untoten zuflog. Von der Angst, die sie zuvor in ein Gefängnis aus unsichtbaren Handfesseln gesperrt hatte, spürte sie in diesem Moment nichts mehr. Lediglich der abgrundtiefe, animalische Hass auf diese abstoßenden Kreaturen der Finsternis und schwarzen Magie brodelte in der Wölfin, die sich ob der Schwäche beider ihrer Formen irgendwo auf halbem Wege der Verwandlung befand. Vom Hunger erheblich geschwächt mochte dies das letzte Aufbäumen ihrer Bestie sein, bevor auch sie in eine Starre der Verzweiflung und Resignation verfiel.
Den Mund weit aufgerissen und die scharfen Eckzähne entblößt streckte Vesa die aschgrauen Hände mit den dunklen Klauen vor. Zu schnell, um darauf reagieren zu können, erreichte sie den Wiedergänger. Schmatzend, als fasste sie ihn Schlamm, und doch auch reißend wie Pergament zersprang die zähe Haut um den Brustkorb der Abscheulichkeit. Diese kreischte, doch erstarb ihr Aufbegehren als seine Angreiferin die Füße nachzog und ihm mit der Wucht des Aufpralls ihres restlichen Körpers die Rippen herzzerreißend knackend bis zur Wirbelsäule eindrückte. Gemeinsam stürzten sie nieder, überschlugen sich und blieben letztlich liegen als der Untote Vesanas Zusammenstoß mit einer Tunnelwand dämpfte und sein spröde gewordener Schädel unter ihrer Schulter zerbarst.
Schnellstmöglich hievte sich die Jägerin zurück auf die Füße und blieb knurrend, die Zähne gefletscht, vor dem verbliebenen Widersacher stehen. Die Kreatur vor ihr musterte sie einen Moment mit seinen glühenden Augen, die ob ihrer geschärften Sehkraft nun noch stärker aus seinem grauen, eingefallenen Gesicht hervorstachen. Die alten Haare hingen, dem was einst ein Mann gewesen war, in verfilzten Strängen von der Kopfhaut, manches Mal zogen sie diese sogar ein Stück vom Knochen. Die Lippen waren abgefault und so starrte die Wölfin in ein abstoßend schelmisch wirkendes Grinsen schwarzer Zähne und grauer Kieferknochen. Das rostige Schwert hielt er mit beiden Händen und nahm es unvermittelt zur Seite. Während er unbeholfen auf Vesa zugestürzt kam, holte er so zu einem kräftigen Schwung aus. Doch die Jägerin war schneller und sprang auch ihm frontal gegen den Leib. Das Spiel von zuvor wiederholte sich, nur dass sie es nicht dabei beließ, ihn auf dem harten Grund zu zerschlagen. Brüllend und heulend kniete sie über ihm und zerfetzte ihn mit ihren scharfen Klauen. Rippenteile, Haut- und Kleiderfetzen, Reste der Innereien und andere Knochensplitter verteilte sie auf der Kreuzung der Wege, bis ihr letzten Endes die Luft wegblieb und sie sich taumelnd erhob.
Schwindelig und orientierungslos schwankte sie in einen der Tunnel hinein. Ihre Augen verloren mit jedem Schritt an Schärfe und überließen sie der scheinbar dickflüssigen Dunkelheit. Mit der verklungenen Wut verschwand nun auch ihre Anspannung und so etwas wie zynische Erleichterung ergriff von ihr Besitz. Froh, die Verfolger los zu sein scherte sie sich nicht darum, ob neue kommen könnten. Ihr fehlte schlicht die Kraft zur Sorge. Schließlich versagten ihr auch die Knie den Dienst und nur das sonnengleiche Brennen in ihrem verletzten Fuß, das ihr unaufhörlich neue Tränen in die Augen trieb und ihr das Gesicht bei jeder noch so kleinen Erschütterung verzog, verhinderte, dass Vesana bereits hier und jetzt ins Reich der Träume und weiter weg abdriftete.
Kriechend wie ein Tier, das sich zum Sterben verkroch, bewegte sie sich fort und es schien, als beschwerte ein zentnerschweres Gewicht ihren ganzen Körper. Immer langsamer kam sie voran, je weiter sie sich zog. Sie befürchtete schon, der Tunnel könne bald so sehr ansteigen, dass sie bäuchlings zurück zu seinem Anfang rutschen könnte. Doch dann erreichte sie etwas, das ein Deckenbruch unter der Last des Erdreichs darüber gewesen sein mochte. Grobe Steine, vermengt mit Erdreich und abgerissenen Wurzeln türmten sich hier bis zur Tunneldecke auf. Erschöpft und müde, hungrig und doch appetitlos, verzog sie sich an den Rand des Korridors, wo einige besonders große Bruchstücke eine kleine Nische formten. Die Kaiserliche winkelte die Beine an, umschlang sie mit den Armen und legte das Haupt mit der Stirn auf ihnen ab, als könne ihr in dieser Position die Welt untertage nichts mehr anhaben. Sacht wippte sie vor und zurück, kaum merklich, als wehte nur ein laues Lüftchen und sie wäre ein Blatt ein einem Baum.
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Geändert von Bahaar (08.08.2014 um 14:32 Uhr)
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General
Cyrodiil, Kaiserstadt, Talosplatz-Bezirk; Hafenviertel
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Das Leben ist ein Spiel und die Würfel können auf jede Seite fallen. Für Revan war das Ergebnis mehr als nur einmal lebensgefährlich. Aber er hatte bisher immer Glück gehabt, so auch jetzt. Zumindest hoffte er, dass er auch dieses mal Glück haben würde. Der Dunmer lag halb bewusstlos unter einem Trümmerhaufen begraben. Wie konnte das nur passieren? Er würde noch genug Zeit haben, diese Frage zu stellen und vielleicht eine Antwort darauf zu finden. Die Ereignisse der letzten Tage holten ihn in seinen Träumen ein, während er nur darauf warten konnte sein Bewusstsein wieder zu erlangen...
Der Abstecher in seine Stammkneipe war völlig normal abgelaufen, zumindest bis zu dem Zeitpunkt ab dem der billige Fusel und das Rauschkraut seine Sinne vernebelten und eine Lücke in seiner Erinnerung hinterließen. Völlig verkatert wachte er am nächsten Tag gegen Mittag in seinem Bett auf und leerte zuerst die Flasche mit Schnaps, welche auf seinem Tisch stand, einerseits um die aufkommende Übelkeit zu betäuben, andererseits um durch den starken Geschmack und Geruch nicht sofort wieder die Besinnung zu verlieren.
„Na, hast du deinen Rausch ausgeschlafen?“, spottete jemand aus Richtung der Tür. Revan brauchte ein paar Sekunden bis er die Worte verarbeitet hatte und ihm dämmerte, das er normalerweise alleine im Zimmer war. Für den Bruchteil eines Augenblicks erstarrte der Dunmer, ehe er hektisch nach seinem Dolch suchte. Eine schallende Ohrfeige, begleitet von „Beruhige dich. Ich bin es, Cale.“, brachte ihn zur Besinnung und zum ersten Mal schaute er der Person ins Gesicht. Zu seiner Überraschung war es tatsächlich der Waldelf. Erleichtert fiel er wieder auf sein Bett. „Ich habe dir oft genug gesagt dass du nicht einfach so in mein Zimmer schleichen sollst.“
„Und wie oft habe ich dir gesagt das du immer wachsam sein musst? Und du weißt was ich von deiner Sucht halte. Du gefährdest nicht nur dich, sondern auch mich und andere“, erwiderte der Bosmer.
„Spar dir deine Belehrungen, ich weiß was ich tue“, antwortete Revan in genervtem Tonfall. Der Bosmer seufzte und schüttelte resignierend den Kopf, ehe er das Thema auf ihre Aufgabe lenkte. „Steh auf, wir haben noch viel Arbeit vor uns.“
Ganz in der Ferne glaubte er Stimmen zu hören. Oder spielen mir meine Sinne einen Streich? Ein Windhauch streichelte wärmend seine Haut, ehe im ein starker Brandgeruch in die Nase stieg. Noch ehe er ob des beißenden Windes husten konnte, umfing ihn wieder die Ohnmacht...
Der Wagen polterte seid einer gefühlten Ewigkeit über das Pflaster der Straßen der Kaiserstadt. Langsam bekam er davon Rückenschmerzen. Hoffentlich fährt der Kutscher keine Umwege. Die Kanäle hatten auch keinen brauchbaren Einstieg in die Villa offenbart. Natürlich gab es mehrere Zugänge, aber sie alle wurden bewacht oder sehr wahrscheinlich mit Fallen gesichert. Soweit wirkte die Villa einbruchssicher, wovon man auch ausgehen musste, wenn man das Berufsfeld dieses Mannes kannte. Und da der Ausflug des Altmers früher als erhofft stattfand, blieb nur noch die Möglichkeit mit dem Lieferkarren ins Innere der Villa zu gelangen. Zugegeben es war ein sehr alter Trick und die Chance, erwischt zu werden war hoch, aber es war die einzige Möglichkeit die sie hatten.
Der Wagen hatte angehalten und gedämpfte Stimmen waren zu hören. Der Geruch der Pechfackeln zog durch die Ritzen in die Kisten. Revan verkniff sich das Husten. Kurz darauf rollte der Wagen in den Hof und wurde von den Dienern entladen. Ihre Flüche über die schweren Kisten verstummten, nachdem sie von einer anderen Person scharf angefahren wurden. Wesentlich ruhiger beendeten sie ihre Arbeit. Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit in der absolute Stille herrschte, öffneten Revan und sein Meister Faldil mittels kleiner Brecheisen ihre Kisten und sahen sich sofort aufmerksam um. Im Lagerraum herrschte vollständige Finsternis, keine Fackel brannte und abgesehen von der ein oder anderen Ratte waren sie alleine. Erleichtert atmeten beide tief durch, ehe sie aus ihren Kisten stiegen und ihre Ausrüstung anlegten. Es hat tatsächlich funktioniert. Jetzt müssen wir nur noch den Gegenstand beschaffen und nebenbei noch ein wenig für unseren Lebensunterhalt mitnehmen. Die Villa zu verlassen sollte kein Problem darstellen. Das Duo war in schwarze, weite Kleidung gehüllt die genug verborgene Taschen besaß um Beute und Werkzeug darin zu verstecken. Für größere Gegenstände hatte jeder noch einen Leinensack dabei. Ihr Werkzeug bestand aus verschiedenen Dietrichen, einem schmalen Spatel, Horchtrichter, einer Phiole mit Öl und einer kleinen Rolle Teerpapier. Die Gesichter und ihre Hände waren geschwärzt, Waffen hatten sie keine dabei; das Blinken der Klingen könnte sie verraten. Ihre Blicke trafen sich in stummem Einverständnis, danach bewegten sie sich beinahe lautlos durch den Raum.
Ihre Augen waren bereits an die Dunkelheit gewöhnt, daher sahen sie trotz der Finsternis die Umrisse der Kisten, Fässer und Säcke. Hier werden wohl nur Lebensmittel und andere Gebrauchsgegenstände gelagert. Auch wenn seine Villa gut bewacht wird, ist er deswegen noch lange nicht leichtsinnig. Sein Mentor hatte den gleichen Gedanken und wies ihn mit einer Handbewegung an, ihm zu folgen.
Das Duo schlich zum Ende des Raums, welcher von einer schweren, mit Eisenbeschlägen verstärkten, Holztür verschlossen wurde. Kein Licht schimmerte durch die Ritzen, ein gutes Zeichen. Mit dem Horchtrichter gegen die Tür gelehnt, lauschte Faldil in die Stille hinein. Nach kurzer Zeit gab er Entwarnung. Wie zu erwarten war die Tür verschlossen, allerdings nur durch einen Riegel der angehoben werden konnte. Mit dem Spatel dauerte es nur wenige Sekunden, ehe die Tür geöffnet wurde. Da ölt jemand die Scharniere regelmäßig.
Der Gang hinter der Tür offenbarte vorerst nur Dunkelheit und in einiger Entfernung erste Fackeln an den Wänden. Kein Geräusch durchbrach die Stille. In stummem Einverständnis folgten beide dem Gang bis sie nur noch wenige Schritte von der ersten Fackel trennten. Einzig das Knistern der Fackeln und der Geruch von verbranntem Öl brachten nun ein wenig Abwechslung. Langsam näherten sie sich, jeder an einer anderen Ecke, der Kreuzung und spähten abwechseln in alle Richtungen.
Der kalte, harte Boden war sehr angenehm, versprach er doch ein wenig Linderung für seine Kopfschmerzen. Revan wollte den Kopf heben, doch eine bleierne Müdigkeit und tausend kleine Lichtpunkte, die vor seinen Augen tanzten, vereitelten dieses Vorhaben sofort. In der Ferne glaubte er Stimmen zu hören. Oder sind sie ganz nah? Plötzlich legte sich ein anderes, beruhigendes Geräusch auf seine Ohren und ließ ihn wieder das Bewusstsein verlieren.
Langsam wurde es frustrierend. Sie hatten bereits die ganze Villa, mit Ausnahme dieses Raumes der hinter dieser mehr als prächtig verzierten Tür lag, abgesucht. Gold oder wertvolle Gegenstände hatten sie auch nicht gefunden. Mit Ausnahme eines Gemäldes, das sie aber nicht stehlen konnten, da sonst ihre Anwesenheit bekannt würde. Und zu allem Überfluss hatte auch ein leichter Regen eingesetzt. Eine Handbewegung seines Mentors signalisierte Revan, dass er nun an der Reihe sei.
Nachdem er mit einem letzten prüfenden Blick in den Gang hinter ihnen geschaut hatte und einige Augenblicke in die Stille lauschte, wandte er seine volle Aufmerksamkeit dem Schloss vor ihm zu. Revan wählte einen leicht gebogenen Dietrich mit einer abgerundeten Spitze und ein an beiden Enden gebogener, flacher Metallstab um das Schloss später drehen zu können. Mit der Übung vieler Jahre begann er das Schloss zu untersuchen. Ein sehr gutes Schloss.....mit den üblichen 5 Stiften. Fallen gab es keine. Langsam und gefühlvoll suchte der Dunmer bei dem ersten Stift den „goldenen Punkt“. Wenn man genügend Druck ausübte, blieb der Stift entriegelt und man konnte den Nächsten bearbeiten. Gab man zu viel Druck, riskierte man das der Dietrich beschädigt wurde, sobald man den Druck vom Stift löste. Aber das war für Revan kein Problem, zumindest nicht bei den ersten drei Stiften. Ab dem vierten Stift wurde es schon schwieriger den Punkt zu treffen. Das verzögerte die Öffnung aber nur um wenige Sekunden. Nach dem letzten leisen Klicken, atmete er erleichtert aus und wollte schon zur Öffnung ansetzten, als er sofort einen Widerstand bemerkte. Noch mehr Stifte? Irritiert führte er den Dietrich wieder in das Schloss und tastete noch einmal alle Stifte ab. Es sind nur 5 Stifte....oder?. Einer Ahnung folgend strich er die Seitenwand des Schlosses ab und fand auch genau das, was er vermutet hatte. Für diesen letzten Sicherungsmechanismus war allerdings ein anderes Werkzeug von Nöten. Zuerst nahm der Dunmer einen Dietrich mit einem dreieckigen Bart. Damit konnte er zwar den Bolzen drehen, allerdings nicht weit genug. Zu allem Überfluss sprangen durch den Schlag auch die Stifte wieder in ihre ursprüngliche Position. Revan murmelte einen derben Fluch und atmete ein paar Mal tief ein und aus, um den aufkeimenden Ärger zu unterdrücken. Er brauchte alle Konzentration für dieses Schloss, da waren Emotionen, gleich welcher Art, fehl am Platz. Sein Mentor schwieg die ganze Zeit und beschränkte sich darauf die Umgebung im Auge zu behalten. Trotzdem wusste er, was sein Schüler tat.
Erneut wählte Revan den Dietrich mit der abgerundeten Spitze und arbeitete sich Stift für Stift vor. Nachdem alle 5 wieder in der gewünschten Position hatte, nahm er für den Bolzen diesmal einen Dietrich mit viereckigem Bart. Zu seiner Überraschung bewegte sich der Bolzen keinen Millimeter. Was zum....? Ein paar Sekunden später dämmerte ihm die Lösung des Problems und mit einem lächeln nahm er wieder den Dreieckigen und drehte den Bolzen soweit er konnte. Anschließend setzte er der Viereckigen an gleicher Stelle an und zog langsam den Ersten wieder raus. Diesmal ließ sich der Bolzen weiter drehen, allerdings auch nur wieder ein kleines Stück. Jetzt sah Revan das Muster klar vor Augen und innerhalb weniger Sekunden war auch der Bolzen an dem Punkt, dass er die Öffnung nicht mehr verhinderte. Mit dem flachen Metallstab drehte er das Schloss und ein leises Klicken bestätige die erfolgreiche Öffnung. Sein Mentor nickte und zusammen drangen sie in den Raum ein.
Irgendetwas helles stach ihm in die Augen. Reflexartig schloss er sie wieder, noch ehe sie geöffnet waren. Jetzt waren eindeutig Stimmen zu hören. Was sie sagten, vermochte Revan trotzdem nicht zu sagen, sie klangen seltsam verzerrt. Wegen der Helligkeit, welche seine Augen trotz der geschlossenen Lider peinigte, vermutete der Dunmer dass die Stimmen ganz nah sein mussten. Plötzlich gab es einen lauten Knall und das Splittern von Glas war zu hören und da war wieder diese beißende Brandgeruch. Dann umfing ihn wieder Dunkelheit.
Der Raum war keine und gleichzeitig doch eine Überraschung. Offensichtlich waren sie in den Privatgemächern des Altmers, Eraami, gelandet. Und hier gab es mehr als genug Gegenstände die sie zu Gold machen konnten: Mit Juwelen verzierte Kelche und Pokale, goldene Schalen, ein Krug aus Vulkanglas, Schmuck, unzählige Kisten mit Münzen unterschiedlicher Währung. Revan hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Nach diesem Raubzug konnten sie wieder für eine ganze Zeit untertauchen oder in aller Ruhe den nächsten Einbruch vorbereiten. Aber zuerst brauchen wir das Familienerbstück..., er seufzte. Bei der Menge an Gold suchen wir hier die Nadel im Heuhaufen. Stumm gingen beide ans Werk und suchten das Familienerbstück. Nebenbei legte der Dunmer besonders wertvolle Gegenstände auf die Seite, die er später mitnehmen wollte. Es fiel ihm sehr schwer die Beherrschung nicht zu verlieren. So viel Gold auf einem Haufen hatte er noch nie gesehen. Dieses Zimmer war das reinste Paradies, einen schöneren Ort konnte man sich nicht vorstellen. Davon träumten jede Nacht aber tausende von armen Seelen und doch würde es immer nur ein Traum bleiben. Aber nicht für mich. Langsam arbeitete sich Revan durch das Zimmer und gelangte irgendwann an einen großen Tisch auf dem verschiedene Bücher und Schriftrollen lagen. Mit mangelndem Interesse überflog der Dunmer die Schriftstücke und suchte vielmehr eine kleine Schatulle oder ein verstecktes Schloss. Nach kurzer Suche ertasteten seine Finger eine etwa 2 Hand breite Klappe oder vielmehr die kleine Lücke zwischen Tisch und Klappe. Allerdings fehlte ein Schloss. Eine erneute Begutachtung des Tisches war wenig aufschlussreich. Hier liegen nur Schriften und diese Büste. Das Versteck weckte seine Neugier, aber er fand keinen Weg es zu öffnen. Seine Aufmerksamkeit wurde bald auf ein Schmuckstück gelenkt, welches vermutlich die Nadel war, die sie gesucht hatten. Ein prüfender Blick in der Nähe des Fensters bestätige seine Vermutung. Sehr gut. Jetzt nichts wie raus hier. Einer plötzlichen Ahnung folgend ging er wieder zu dem Tisch und nahm das Schriftstück, welches unter dem Schmuckstück lag. Im trüben Mondlicht begann Revan zu lesen. Es waren nur wenige Zeilen, die aber mehr als ausreichend waren um den Herzschlag des Dunmers schlagartig in die Höhe zu treiben. Noch ehe er etwas sagen konnte, spürte er eine kalte Klinge am Hals.
„Geh zu deinem Mentor. Aber nicht zu schnell, sonst könnte mir die Hand ausrutschen.“ Die Stimme kam ihm seltsam vertraut vor, aber Revan konnte nicht sagen woher. Er war wie gelähmt. Ohne Widerstand folgte er der Anweisung und bei der Tür standen nicht nur sein Mentor, sondern auch der Altmer mit seiner Leibwache. Dieser klatsche spöttisch und betrachtete ihn abfällig.
„Schön. So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr. Es war sehr amüsant euren kleinen Einbruch zu beobachten.“ Das anschließende Gelächter ließ Revan die Haare zu Berge stehen. „Aber dachtet ihr wirklich, dass ihr ohne meine Erlaubnis in meine Villa einbrechen könnt?“ Wieder dieses unangenehme, schrille Lachen. „Aber ihr habt den Test bestanden. Daher mache ich euch ein Angebot: Ihr könnt für mich arbeiten. Für Leute wie euch habe ich immer genug Arbeit.“
„Warum sollten wir auf euer Angebot eingehen?“, erwiderte Revan trotzig.
Als ob er diese Frage erwartet hätte, geht der Altmer ganz langsam, wissend lächelnd, auf Revan zu. In der Art eines Lehrers, der von seinen Schülern eine dumme Frage gestellt bekam, antwortete er: „Weil wir, die Thalmor, die Zukunft sind. Jeder der uns im Weg steht wird sich fügen, auf die ein oder andere Art. Den Mer gehört ganz Tamriel....“ Ab diesem Punkt ignorierte Revan die Rede des Altmers und versuchte einen Ausweg aus der Situation zu finden. Hinter mir steht Tiro. Das ich diese miese Ratte nicht sofort erkannt habe. Ansonsten sind noch 8 weitere Wachen im Raum. Der Ausgang ist versperrt und vor dem Fenster stehen auch welche. Der Rest verteilt sich auf Faldil und mich. Die Aussicht mit Beute die Villa zu verlassen hatte sich in Luft aufgelöst. Im Moment ging es nur noch darum, seine Haut zu retten. Und der Dunmer sah nur eine Möglichkeit, da er niemals den Thalmor die Treue schwören würde. „Ja, ich werde mich euch anschließen.“ Von diesen Worten aus seinen Überlegungen gerissen, starrte Revan fassungslos seinen Mentor an. „Warum? Was ist aus deinen ganzen Idealen und Lehren geworden? All das, was du mir in den letzten Jahrzehnten beigebracht hast?“
„Die Zeiten ändern sich, Golion. Ich habe dich damals ausgebildet und es war deine einzige Chance der Gosse zu entkommen. Jetzt hast du die Chance, weiter aufzusteigen. Unsere Position war nie sicher. Mit den Thalmor haben wir diese Sicherheit. Wir können gegen die rivalisierenden Banden bestehen und diesem Moloch endgültig entkommen“, antwortete Faldil.
„Hörst du dich eigentlich selbst reden? Glaubst du überhaupt deinen eigenen Worten? Warum haben wir uns dann nicht einer anderen Bande oder der Diebesgilde angeschlossen?“
„Weil die Thalmor die Zukunft sind. Alle anderen werden sich fügen oder sterben. Sei kein Tor und nutze diese Chance.“
Nur über meine Leiche. In einer fließenden Bewegung packte Revan die Hand mit dem Dolch und warf seinen Kopf schräg nach hinten links. Der Schwung war nicht ausreichend um Tiro die Nase zu brechen, aber es verschaffte ihm die wenigen Sekunden die er brauchte. Der Dunmer sprintete auf das Fenster zu, warf den Wachen davor etwas von der Pulvermischung, die er immer bei sich hatte, in die Augen, so dass auch sie abgelenkt waren. Er preschte durch die Lücke und sprang aus dem Fenster. Der Aufprall wird hart. Zwar hatte die Villa nur 2 Stockwerke, aber es regnete und dementsprechend rutschig war auch das Pflaster des Talosplatz.
Die anschließende Flucht hatte sich seinen Erinnerungen entzogen. Wie ein Wahnsinniger war er durch die Stadt gerannt und hatte sofort die Kanalisation als Fluchtweg gewählt, da er sonst an den Toren aufgehalten worden wäre. Die Wache war in diesem Fall keine Hilfe. Zum Einen da er ein Verbrechen begangen hatte und zum Anderen weil es die Thalmor waren die ihn jetzt jagen würden. Irgendwie hatte Revan das Hafenviertel erreicht und eilte sofort zu einem Ort wo er noch auf Hilfe hoffen konnte. Doch die entsprechende Taverne ging jäh in Flammen auf und gerade als er abdrehen wollte wurde es plötzlich taghell und ein ohrenbetäubendes Krachen zerriss die Nacht. Danach wurde es schwarz um ihn...
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Geändert von Skyter 21 (02.10.2016 um 18:46 Uhr)
Grund: Verlinkung eingefügt.
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Waldläufer
Skyrim, Fürstentum Reach, Straße nach Hjaalmarch >>> Fürstentum Reach, Karthwasten
„Haltet nach Bewegungen auf den Klippen Ausschau.“
Stephanus' Blick wanderte auch so bereits die Abhänge der felsigen Steilwände zu ihrer linken entlang. Sie ragten etliche Meter in die Höhe und sorgten durch ihre scheinbare Unüberwindbarkeit dafür, dass ihr Weg zunächst stetig nach Norden verlief, ab einem bestimmten Punkt aber eine Rechtskurve beschrieb. Nun folgten sie dem alten und abgenutzten Pflaster nach Osten. Südlich der Straße fiel das Gelände noch weiter ab, und am Grund dieser nicht allzu tiefen Grube schnellte Wasser in einem vergleichsweise schmalen Strom dem Geistermeer entgegen.
Der Kaiserliche mochte dieses Gelände nicht. Es verunsicherte ihn. Bis jetzt hatte es nicht die geringste Spur von den Abgeschworenen gegeben – mit Ausnahme einer Stelle, bei der die längst vergessenen und verkohlten Überreste eines Fuhrwerks am Wegesrand standen, umgeben von vereinzelten verbrannten Knochen.
Aber Stephanus wusste, dass sich die vermeintliche Idylle schnell in eine felsige Hölle verwandeln konnte. Die Abgeschworenen kannten dieses Gebirge, denn Berichten zufolge waren die meisten von ihnen auch hier aufgewachsen. Es war ihre Heimat, und kurz für einen Überfall aufzutauchen und sich daraufhin in den Druadac-Bergen erneut unauffindbar zu machen stellte für sie kein Problem dar. Aber aus irgendeinem Anlass hatten sie sich noch nicht blicken lassen.
Vielleicht verschreckte sie die schiere Anzahl an bewaffneten Männern und Frauen, obwohl so eine große Gruppe durch erschwerte Organisation durchaus anfällig für schnelle Partisanenangriffe wäre. Einen Gegenangriff zu organisieren dauerte zu lange, und die Ureinwohner des Reach wären wortwörtlich schon längst über alle Berge, bevor es auch nur einer der Söldner schaffte, die felsigen Klippen zu erklimmen. Bodeado hatte herumerzählt, dass es sich bei den Ureinwohnern von Reach um sogenannte Reikmannen handelte, entfernte Verwandte der Bretonen. Der Rothwardone interessierte sich für solche Sachen. Wo immer auch sie ankamen, fragte er herum, welches Volk in der Umgebung wo lebte, und was als ihre auszeichnenden Eigenschaften galt.
Hrard ging an der ihm unterstellten Gruppe marschierender Heuerlinge auf und ab. „Behaltet das Tempo bei, dann schlafen wir heute noch in Karthwasten.“
Sein Tonfall war so gleichgültig und monoton wie eh und je. Warum der Nord sich so verhielt? Alle hatten dazu ihre eigene Theorie, aber Stephanus kannte als eines der dienstältesten Mitglieder des Trupps die Wahrheit – oder zumindest eine Version, die der Wahrheit nahe kam.
Im Laufe der Jahre erfuhr der Kaiserliche von irgendwo, dass Hrard schon von Geburt an verkorkst war. Was auch immer in seinem Körper dafür verantwortlich war, dass er Emotionen wie Aufregung und Freude verspüren konnte, funktionierte nicht. Jedenfalls nicht richtig. Richtige Gefühle empfand er nur in Extremsituationen, und selbst dann fühlte er sich nur wie ein Durchschnittsmensch während einer Ruhephase.
Stephanus folgerte, dass dies bereits ausreichend Anreiz bot, und dass die Garantie auf Kämpfe auf Leben und Tod überhaupt erst der Grund gewesen war, aus dem der Nord sich in seiner Jugend dazu entschieden hatte, sich als Privatsoldat zu verdingen.
Die Sonne stand am Morgen noch im Osten, färbte die vereinzelten Wolken am Himmel rot und orange, und schimmerte über die vor ihnen liegenden Berge in ihre Augen. Viele blickten entweder im leichten Winkel nach unten, um nicht geblendet zu werden, oder überwachten, wie Stephanus, ihre Umgebung, und sahen dadurch erst gar nicht nach Osten zur Sonne.
„Sie dir diese hasenfüßigen Hunde an,“ rief Brarek Jungeiche, der neben Stephanus her marschierte, ganz unvermittelt. Dabei nickte er nach vorne, wo einer der wenigen Bogenschützentrupps einen Fuß vor den anderen setzte. Der hochgewachsene Nord (unter so vielen Nords war der Kaiserliche es bereits gewohnt, bei einer Konversation immer wieder mal nach oben schauen zu müssen, um in das Gesicht des anderen zu blicken,) schien aber mit niemandem außer sich selbst zu sprechen. Dennoch bekam er eine Antwort: Ein belustigtes Schnaufen von Stahlzapfen, ein zustimmendes „Scheiß Bogenschützen“ von Fleisch und ein „Feige Bastarde“ von gro-Golug.
Die Fernkämpfer genossen unter den Infanteristen nicht gerade ein hohes Ansehen. Die Kommandeure sorgten immerhin dafür, dass die mit Pfeil und Bogen bewaffneten Menschen und Mer einen akzeptablen Abstand zum Feind hatten, weswegen sie im besten Falle nie in den Nahkampf gerieten. In den Augen der übrigen Fußsoldaten besaßen sie also das unverdiente Privileg, im Gegensatz zu ihnen ihr Leben nicht bei jeder Schlacht riskieren zu müssen. Alleine die Anwesenheit auf einem Schlachtfeld konnte eigentlich schon als Lebensgefährlich betrachtet werden, dem Großteil der Infanteristen war das aber egal. Wenn man von Berufswegen her von Angesicht zu Angesicht gegen andere Bewaffnete (manchmal auch Unbewaffnete) auf Leben und Tod kämpfte, verstand man Abstand zum Feind bereits als ein stark vermindertes Risiko, an einer Überdosis Eisen zu sterben.
Stephanus selbst verabscheute nur Bogenschützen, die nicht auf ihrer Seite kämpften, und auch er selbst benutzte ab und zu einen Bogen. Aber er konnte den Abscheu gegenüber den Fernkämpfern nachvollziehen: Von oben herabstürzende Pfeile waren während eines Gefechts unvorhersehbar. Schon ein Pfeil von minderer Qualität konnte bei einem richtigen Treffer verheerende Folgen haben. Wenn man, wie die meisten Infanteristen in der Kompanie, nur einen leichten Holzschild und minder- oder mittelwertige Schutzbekleidung besaß, war es eine sehr unangenehme Ungewissheit, ob der nächste Pfeil nun nutzlos abprallte oder den Schild oder die Panzerung einfach durchschlug.
Schwere und wohlhabende Truppen mit hochwertigen und äußerst teuren Plattenpanzern mussten sich nicht um Pfeile sorgen. Dies galt jedoch nur solange, wie die Pfeile nicht aus mindestens ebenbürtigen Materialien gefertigt waren, oder die Bogenschützen nicht auf geringeren Distanzen gezielte Schüsse auf die vergleichsweise ungeschützten Gelenke und Verbindungsstellen zwischen den einzelnen Rüstungssegmenten abgeben konnten.
Doch nur sehr wenige konnten sich eine solche Rüstung leisten, selbst wenn sie ihr gesamtes Leben lang sparen und dann ihr kleines Vermögen dafür zusammentrugen. Soweit Stephanus wusste, besaßen in der Kompanie gerade mal fünf Leute einen solche Panzer. Er zählte dabei Rognag gro-Golugs Panzerung noch mit, obwohl sie ein anderer womöglich als mittlere Rüstung eingeordnet hätte.
Aber gegen ihre eigenen Bogenschützen hatte Stephanus eigentlich nichts, außer vielleicht, wenn sie den Befehl erhielten, selbst dann zu feuern, wenn die eigenen Truppen getroffen werden konnten. Zudem besaß er die Gewissheit, dass Bogenschützen im Kampf vielleicht verheerende Verluste beim Feind erzielen konnten, sie es aber bei weitem nicht mit Kampfmagiern aufnahmen. Vor Zerstörungsmagie schütze selbst der beste Plattenpanzer nichts, wenn er nicht gerade selbst durch Magie verstärkt wurde. Talentierte Magier konnten mit der konzentrierten Wut der Elemente ganze Formationen auslöschen.
Denn wenn ein Mann erst einmal in Flammen stand, war er bereits außer Gefecht gesetzt.
Stephanus hatte das mehrere Male beinahe selbst zu spüren bekommen, blieb bisher aber zu seinem Glück vor der mörderischen Umarmung mit dem Feuer verschont.
Blitze und Feuer machten – erst einmal losgelassen - keinen Unterschied zwischen Mensch und Mer, und kochten jeden in ihrem Wege bei lebendigem Leibe. Magisch geformte Eiszapfen durchbohrten Stahl wie fadenscheiniges Pergament, schockgefrorene Kämpfer zerbrachen einfach so in Stücke, schreienden Männern schmolzen durch unnatürlich heiße Flammen die Augen aus dem Kopf.
Stephanus richteten sich bei dem Gedanken die Nackenhaare auf, und er versuchte, das alles schnell wieder zu vergessen.
Jungeiche hob die Hände vors Gesicht und bildete mit ihnen einen Trichter, bevor er dann laut genug schrie, um die Aufmerksamkeit der Bogenschützen auf sich zu ziehen.
„Hey, Lederkäpchen! Wie ist es eigentlich so, als Sohn einer Hündin aufzuwachsen?“
Stephanus rollte daraufhin mit den Augen. „Was für ein geistreicher Poet.“
Einer der Fernkämpfer drehte sich zu dem Nordmann um.
„Keine Ahnung,“ schrie er zurück, „aber ich bin mir sicher, dass Ihr mir sehr viel darüber erzählen könnt! Und jetzt seit leise, bevor-“
„Bevor was?“, spöttelte der Nord. „Bevor ihr loslauft, um genügend Distanz von mir zu gewinnen? Hah!“
Der in Leder gerüstete Elf wollte gerade zu einer bissigen Erwiderung ansetzen, da tauchte Hrard plötzlich neben Brarek auf und schrie nun seinerseits.
„Schnauze, Jungeiche, oder willst du den Packeseln bei ihrer Arbeit helfen?“
Brarek funkelte ihren Unteroffizier finster an. Nach kurzem, unangenehmen und spannungsgeladenen Schweigen, während dem sich die beiden Männer nur stumm gegenseitig anstarrten, wand Jungeiche das Gesicht vom anderen Nord ab und presste zwischen seinen Zähnen hervor: „Nein.“
„Dann sei gefälligst leise!“
Der jüngere Nord verstummte und wurde vor mühsam niedergerungener Wut rot im Gesicht, während sowohl die Bogenschützen als auch die Nahkämpfer glucksten, und einige sogar lauthals spöttisch lachten. Hrard verschwand wieder und es kehrte nach einigem verhaltenen Gekicher erneut Stille ein. Der Kaiserliche konnte Brarek fast schon vor Wut brodeln hören.
Stephanus hob den Kopf gen Himmel und beobachtete einige der majestätischen Bergadler dabei, wie sie von der warmen Luft aufgetrieben über ihnen allen schwebten.
Wie gleichgültig alles den Vögeln wohl sein musste. Ihnen war es egal, wer gerade über Tamriel herrschte, wer wo Krieg führte, und ob in einer beliebigen Provinz wieder Unruhen aufflammten. Den ganzen Tag glitten sie einfach über alles und jeden hinweg, und niemand konnte ihnen ihren Platz als Könige der Lüfte streitig machen – vorausgesetzt die Gerüchte von der Rückkehr der Drachen blieben so unwahr wie bisher. Der Kaiserliche vermochte es nicht, diesem Unfug Glauben zu schenken. Stahlzapfen glaubte, was er wollte, und Jungeiche war ein dummer Schwätzer.
Die Bogenschützen blieben plötzlich murmelnd stehen. Stephanus riss den Blick vom Himmel ab und hörte, wie mehrere Offiziere „Halt! Anhalten!“ schrien. Die gesamte Kolonne kam zu einem Stopp.
Einige der Söldner in den Reihen reckten sich und streckten ihre Köpfe, um über die Anderen hinweg zu sehen und herauszufinden, was vor ihnen vor sich ging.
„Was ist denn jetzt los?“, fragte Sylaen, und im nächsten Augenblick stand Hrard auch schon vor der Gruppe.
„Stellt euch auf. Bärenpelz, Spurius, geht nach vorne und findet heraus, was los ist. Ihr Übrigen, Augen auf die Klippen.“
Ein Murmeln ging durch die Gruppe, und sie kamen den Aufforderungen des Nords nach. Sie setzten ihre Rucksäcke ab, dann zogen sie ihre Waffen und Schilde, und machten sich kampfbereit, während die Spannung stieg. Stephanus schnallte seinen Halbhelm aus grauem Eisen vom Rucksack ab und setzte ihn sich auf den Kopf. Wurden sie jetzt angegriffen?
Bärenpelz – scheinbar der haarigste Mensch, der je auf Nirn wanderte, und der angebliche Sohn einer Bärin – verschwand, dicht gefolgt vom Kaiserlichen Cocius Spurius, im Laufschritt in der Menge aus Leuten.
Ohne das Gewicht seiner persönlichen Sachen und seines Anteils am Zelt fühlte Stephanus sich sofort leichter. Die fehlende Last pochte angenehm in seinem Rücken und in seinen Schultern. Aber das nahm er nur am Rande wahr.
Die aufsteigende Anspannung war nur die Spitze, von dem, was Stephanus schon die ganze Wanderung über verspürt hatte. Seine Augen blitzten wachsam hin und her, Ausschau haltend nach Bewegungen in den Bergen. Er konnte das Gefühl nicht loswerden, dass ihr Marsch allzu friedlich durch die Berge verlief, wo diese doch angeblich nur so vor marodierenden Halbnackten wimmelten.
Sein Herz schlug schneller, und ein Teil von ihm wünschte sich unbedingt, dass es sich tatsächlich um einen Angriff handelte. Dann nämlich würde sein übles Gefühl Bestätigung finden, er würde endlich diese bedrückende Ruhe vor dem Sturm hinter sich gelassen haben. Ein anderer Teil von ihm nannte ihn einen Idioten dafür, dass er sich einen Kampf erhoffte.
Jetzt hieß es abwarten.
„Verflixt, ich bekomme noch Blasen an den Füßen,“ murrte Cocius einige Zeit später vor sich hin.
Wie es sich herausstellte, war weiter vorne im Konvoi die Achse eines Wagens zerbrochen, was Stephanus bei dem üblen Zustand der Straße nicht im Geringsten überraschte. Es hatte eine Stunde gedauert, bis ein Ersatz für die Achse herangeschafft und verbaut worden war. Anschließend setzte sich die Kompanie wieder schleppend in Bewegung.
Mittlerweile stand die Sonne schon um einiges höher am Himmel, und es wurde wieder heißer.
„Du hast immer Blasen an den Füßen, Spurius,“ rief Folms Berend, ein Dunmer, dem Kaiserlichen höhnisch entgegen.
„Wir sind erst seit gestern unterwegs,“ bemerkte Stahlzapfen zustimmend aus der Menge, „und Ihr heult schon wieder herum. Jedes Mal die gleiche Scheiße mit Euch!“
„Wisst Ihr, Spurius,“ setzte Stephanus mit sarkastischem Tonfall an, „Wenn Euch das gehen so wenig gefällt, warum fragt Ihr nicht einfach den Schatzmeister, ob Ihr bei ihm auf dem Wagen mitfahren dürft?“
„Wenn du ganz nett fragst, lässt er dich vielleicht sogar. Ich hab gehört, das ihm weiche Jungs aus Cyrodiil besonders gefallen,“ fügte Berend hinzu.
Cocius verzog den Mund und machte mit seiner rechten Hand eine Wegwurfgeste. „Ich passe. Eher schlägt mich dieser Typ bewusstlos und verkauft meine Leiche dann an irgendeinen Krecken, damit dieser an mir seine Nekromantenphantasien ausleben kann, bevor er auch nur daran denkt, seinen fetten Arsch ein wenig zur Seite zu schieben, um Platz zu machen.“
„Krecken? Pah! Was wisst Ihr schon über Krecken?“ fragte Bodeado herausfordernd. „Ihr könntet keinen Dreug von einem Krecken unterscheiden.“
„Was in Oblivion sind denn Krecken?“, erkundigte sich Sylaen, doch niemand ging direkt auf ihre Frage ein.
Erneut die verwerfende Handbewegung von Cocius. „Ich weiß genug über Krecken. Sie sind große, widerwärtig aussehende Schnecken mit Beinen, die ihre Kinder zu Seife verarbeiten, und die gerne mit Untoten dingen spielen. Die sind aber noch weit davon entfernt, so hässlich wie Fleisch zu sein!“
Das erntete einige Lacher. Aber nicht von Fleisch. Fleisch lachte nie. Er lächelte nie. Nicht, wenn er nicht gerade jemandem die Knochen brach.
Während Hrard in Ruhephasen normalerweise nur wenig Emotion an den Tag legte, verspürte Fleisch durchaus Gefühle. Diese waren jedoch auf ein sehr enges Feld begrenzt: Es gab Momente, in denen Fleisch die Welt hasste. Dann gab es Momente, in denen er die Welt ganz besonders hasste. Dieser grimmige Mensch, so war sich Stephanus sicher, würde jeden einzelnen von ihnen mit Freuden töten, würde es keine Konsequenzen nach sich ziehen.
Der Kaiserliche konnte Fleisch nur als „Mensch“ einordnen, oder vielleicht als einen Elf mit abgestumpften Ohren. Er war nur etwas kleiner als ein Nord (und könnte sogar ein zu kurz geratenes Kind Skyrims sein) und hatte Haut, die fast schon weiß war. Jedenfalls dort, wo keine Narben seinen Körper verunstalteten, oder sie durch verheilte Spuren von Verbrennungen verfärbt wurde.
Der Mensch hatte außer einem Paar buschiger Augenbrauen keine Haare, nicht einmal Bartstoppeln, und Stephanus wunderte sich oft, wie dieses zerklüftete Wrack eines Mannes noch aufrecht stand, lebte, und nicht schon längst den unzähligen Verletzungen unterlegen war, deren von diversen Gewalteinwirkungen erzählenden Spuren sein Antlitz immer noch verunstalteten. Das rechte Ohr fehlte ihm, und zudem kannte niemand seinen Namen. Jemand hatte mal spöttelnd erwähnt, dass er wie ein rohes, unförmiges Stück Fleisch aussah, und seitdem blieb der Spitzname an dem Menschen haften.
Jungeiche erzählte hinter Fleischs Rücken von seiner Vermutung, der Mensch sei eigentlich der letzte Dwemer auf Nirn, der zu den Zeiten der argonischen Invasion nur knapp einer geheimen dunmerischen Folterkammer in Morrowind entwichen war und nun durch die Welt zog, um aus Rache an die Existenz an sich, so viel Schmerz und Verzweiflung wie möglich zu verbreiten.
Gro-Ogdum behauptete im Scherz, selbst Molag Bal würde vor Fleisch die Flucht ergreifen, würde er seinen Umriss am Horizont auftauchen sehen. Natürlich schenkte Stephanus Brareks Blödsinn keinen Glauben.
„Aber Gro-Ogdum könnte vielleicht sogar recht haben,“ dachte er bei sich, wobei er es aber nicht ernst meinte.
„Lenk nicht von deinen Babyfüßen ab,“ beschwerte sich Bärenpelz mit seiner zu seiner Statur passenden tiefen Stimme.
„Jetzt lasst mich doch endlich in Ruhe,“ verteidigte sich Cocius. „Wir sind davor doch schon mal durch irgendwelche, von den Acht verlassenen Berge gestolpert, und haben vor dem weitermarschieren nur kurz Pause gemacht. Ich habe halt sensible Füße.“
Das kommentierte Bärenpelz mit einem lauten „Ha!“, und dann beließen sie es auch dabei.
Hinter ihnen kämpfte sich das Rad eines Wagens lautstark über einen lockeren Pflasterstein, und viele von ihnen drehten im gehen instinktiv ihre Köpfe in der Erwartung, dass sie es mit einer weiteren Panne zu tun bekamen. Der Wagen rollte jedoch völlig intakt weiter, die Achse brach nicht. Erleichtert drehten sie sich wieder nach vorne.
„Hab ich euch schon von dem einen Mal erzählt,“ begann Bodeado dann von irgendwo aus der Gruppe Marschierender.
Ein einvernehmliches Stöhnen ging durch die Reihen, und jemand fragte nicht unliebenswert: „Wer hat vergessen, dem Piraten heute morgen das Maul zu stopfen?“, was von vereinzeltem Gelächter begleitet wurde.
Der Rothwardone fuhr unentwegt fort. „Das eine Mal, da haben meine Jungs und ich, damals auf der „Maid von Rihad, da haben wir ein Schiff gekapert,“ erzählte er.
Weniger als die Hälfte von ihnen hörte ihm zu, aber er schwätzte wie gewohnt fröhlich weiter.
„Also, als wir an Bord gegangen sind und alles nach dem Kämpfen ruhiger geworden war, bin ich in die Kapitänskajüte gestolpert. Da hab ich den Kapitän gesehen, wie er vornübergebeugt über seinem Tisch saß.“
Erneut unterbrach ihn einer der anderen: „Nicht schon wieder die mit dem Papagei!“
Der Rothwardone räusperte sich nach dieser Unterbrechung kurz. „Ich komme also näher, da bemerke ich, dass der Typ eigentlich Neun-Loch mit einem Papagei spielte.“
„Du hast uns diesen Müll letztens schon erzählt. Und da warst du auf der „Maid von Hammerfell“, oder wie auch immer,“ warf Folms Berend ein.
Bodeado überging seine Bemerkung einfach.
„Also, ich war schon beeindruckt,“ sagte der vermeintliche Pirat a.D., wobei er erzählerisch mit den Händen gestikulierte. „„Das ist ein echt kluger Papagei, den du da hast, dass der Neun-Loch spielen kann,“ hab ich zu ihm gesagt. Der Kapitän ist dann hochgeschreckt, denn er hatte mich bis dahin noch nicht bemerkt, so vertieft war er gewesen“ plapperte er, während Stahlzapfen „Unsinn“ rief.
„“Ach, der ist eigentlich nicht so klug,“ sagte der Typ dann zu mir. „Ich hab ihn schon in zwei von drei Partien geschlagen.“ Das hat mich stutzig gemacht,“
„Wirklich?“ Sarkasmus schwang in Meum-Tes zischender Stimme mit.
„“Also,“ hab ich ihn gefragt, „was macht der Vogel denn, wenn du beim Spiel mal einen Fehler begehst?“ „Purzelbäume,“ hat er dann geantwortet. „Purzelbäume? Das ist ja unfassbar!““
„Wie diese ganze verdammte Geschichte!“
„“Wie viele Überschläge macht er denn?“, hab ich ihn danach gefragt.“
Der Rothwardone legte eine künstliche Pause ein, und kam dann schnell zur eigentlichen Pointe seiner Anekdote:
„„Das kommt drauf an, wie fest ich ihn Ohrfeige!““
Bodeado und Rognag gro-Golug lachten laut auf, während einige der anderen leise kicherten, die meisten aber genervt stöhnten, den Kopf schüttelten oder mit den Augen rollten.
Brarek seufzte. „Jetzt kann man nicht einmal mehr etwas lauter über die feigen Pfeilschießer herziehen, aber dass dieser lästige Herr Hammerfell einen andauernd mit seinen Lügengeschichten quält, da hast du kein Problem mit, Hrard?“ Von dem Truppenleiter gab es keine Antwort. Daraufhin schnaufte Jungeiche, und verstummte nun seinerseits erneut.
Stephanus lächelte. Zum Guten oder zum Schlechteren, die Geschichten des Rothwardonen boten hin und wieder mal Abwechslung und lenkten einen von der ständig drohenden Gefahr ab. Sie hatten ihren eigenen Charme.
Doch dann schüttelte der Kaiserliche den Kopf und sein Lächeln verflog wieder. Sich jetzt ablenken zu lassen könnte gefährlich werden. Sie hatten die unsicheren Berge noch nicht hinter sich gelassen, und die Abgeschworenen könnten jeden Moment auftauchen. Und nebenbei, das Gepäck und ihre Rüstungen und Waffen würden durch ein Paar Geschichten auch nicht leichter werden.
Wie von Hrard prophezeit erreichten sie trotz der Verzögerung durch die Wagenpanne gegen Ende des Tages hin das kleine Minenarbeiterdörfchen Karthwasten.
Der Strom, der sie auf ihren Weg durch die Berge begleitet hatte, war noch vorher an einer Kreuzung in den Fluss Karth gemündet, das große Fließgewässer, das dem in der Nacht durch Fackellicht erleuchteten Dorf und der großen Felsenstadt Markarth im Südwesten ihre Namen gab.
Die Klippen hier waren stellenweise immer noch steil, gleichwohl sie weniger unerbittlich in die Höhe ragten, und in vielen Arealen verlief das Gelände doch noch um einiges sanfter. Dies hatte den hier lebenden Menschen es erst ermöglicht, ihre Häuser aufzubauen, ohne ständig in der Gefahr zu schweben, im Schlaf von einem Erdrutsch oder einem Felsensturz erfasst zu werden.
Viele der Einwohner des Dorfes schliefen bereits in ihren Hütten, als ihre Vorhut die kleine Gemeinde erreichte. Einige Wenige standen jedoch noch wach vor ihren Türen, oder saßen auf verwitterten Bänken neben ihren Hütten. Ihre wettergegerbten Gesichter verrieten, wie niedergeschlagen sie sich fühlen mussten, und wie sehr sie von Gram geplagt wurden.
Stephanus konnte das ganz gut nachvollziehen: Wie der Kaiserliche von Brarek Jungeiche erfuhr, wurden diese Minenarbeiter nicht nur tagtäglich von den Silberblut-Schlägern unter Druck gesetzt. Nein, jetzt mussten sie seit der Ankunft der Söldner auch noch in der Angst leben, dass einer der ausländischen Heuerlinge aus Spaß in ihre Häuser einbrechen könnte, und sie sich dann seiner Willkür ausgesetzt wiederfinden würden. Oder noch schlimmer, die Söldner könnten sich plötzlich dazu entscheiden, das Dorf zu Plündern und das gesamte Gelände auf der Suche nach verborgenen Schätzen umzugraben. Die einfachen Leute vom Land befanden sich in einer hoffnungslosen Situation, aus der sie, aus ihrer Sicht, wohl nur noch durch die Gnade der Götter in einem Stück wieder herauskommen würden.
Die Dorfbewohner waren anscheinend nicht die einzigen Anwesenden, die nicht zur Kompanie gehörten. Hier und da erspähte Stephanus einen der misstrauisch und nervös dreinblickenden Männer in Lederharnischen, die von sich selbst behaupteten, für den Schutz der Einwohner hier zu sein. Es musste sich wohl um die Silberblut-Schläger handeln, und ganz offensichtlich hatten sie ganz andere Absichten, als für den Schutz des Dorfes zu sorgen, aber unter diesen Umständen beschützten sie die Einwohner Karthwastens durchaus.
Hrard hatte an sie alle den ausdrücklichen Befehl weitergeleitet, den Minenarbeitern und ihren Angehörigen kein Haar zu krümmen, und vor allem den Schlägern nichts anzutun. Was sich hier abspielte, war wohl in die Innenpolitik Markarths verstrickt, und ganz klar wollte es sich die Leitung der Kompanie nicht mit der einflussreichsten Familie des Reach verscherzen. Zumindest noch nicht. Der Kaiserliche empfand es als unnötig, weitere Gedanken daran zu verschwenden und nahm den Befehl wortlos hin.
Die Privatsoldaten schlugen ihr Nachtlager unweit des Dorfzentrums auf, auf einer größeren Fläche mit geringen Unebenheiten. Einige der Söldner in Gelb und die, die schon vorher hier im Dorf gewesen waren, verspotteten sich anfangs noch gegenseitig, doch das verging mit der Zeit, und sie warfen sich nur noch hin und wieder finstere Blicke zu und hielten sich sonst in ihren eigenen Bereichen auf. Sie hatten ein ausdrückliches Verbot, sich mit den angeheuerten Schlägern zu prügeln, und die Silberblut-Söldner befanden sich in der erdrückenden Unterzahl - Stephanus zählte höchstens zehn von ihnen. Dass die von sich aus gewalttätig wurden, war sehr unwahrscheinlich. Es würde also nicht zu einem Konflikt kommen.
Irgendwie taten Stephanus die Dorfbewohner schon leid, aber er konnte an ihrem Schicksal auch nicht viel Ändern.
Wie so oft saßen einige von ihnen um eine Feuerstelle versammelt. Ohne ausreichend verwertbarem Holz wurden die Wagen als eine behelfsmäßige Palisade um die Zelte der Wichtigsten unter ihnen abgestellt, und ohne eine schützende Mauer und im Gebiet potenzieller Feinde wurden doppelte Wachposten bezogen, so dass ihnen nicht viel Zeit zum Ausruhen blieb.
Meum-Te stocherte mit einem krummen Stock im Feuer herum und schob einige mickrige Holzkohlen zur Seite. Um sie herum zirpten Grillen in einem durcheinander geratenen Rhythmus, und die beiden Monde erleuchteten ihnen die Nacht, auch wenn die Himmelsgestirne es nicht vermochten, viel Licht ins dunkle zu bringen. Die Hügel, Felsen und Klippen warfen lange Schatten, und nur an einigen Stellen erreichte das Mondlicht auch den Boden. Dennoch, es tauchte die Strohdächer der Dorfhütten, die Spitzen der wenigen Zelte (der Großteil von ihnen schlief im Freien), und die Köpfe und Schultern aufrecht stehender Leute in ein schimmerndes, silbriges Blau.
Stephanus bildete sich kurz ein, im Feuer einen brennenden Mann in heiß dampfender Stahlrüstung wiederzuerkennen. Er rieb sich schnell die Augen und verbannte die unangenehme Erinnerung wieder in die Tiefen seines Hinterkopfes. Es gab zu viele Dinge, die er gesehen hatte und an die er sich lieber nicht erinnern wollte, und im Laufe der Jahre wurde die Mauer, die den Horror der Erinnerung zurückhielt, immer baufälliger. Ab und zu schlüpfte ein Bild durch eine Lücke in der mentalen Barriere, wenn er einen bestimmten Geruch vernahm, oder wenn er etwas sah, dass seine Erinnerung weckte. Aber es überraschte ihn selbst, wie vergleichsweise gut er alles wegstecken konnte. Dass er dank der Alchemie nicht träumte half garantiert dabei.
Neben Stephanus reckte sich Brarek Jungeiche. Unwillkürlich drehte der Kaiserliche seine Augen in die Richtung der Bewegung des Nords. Der fast zwei Meter hohe Mann war selbst im Sitzen eine imposante Erscheinung. Blond, bärtig, blauäugig und mit wilden Gesichtszügen war er das perfekte Beispiel eines Nords. Als Bonus kam da noch seine geringe Intelligenz dazu.
Mit seinen prankenartigen Händen blätterte er in einem abgegriffenen Buch mit einfachem Einband aus verschlissenem Leder, wobei er die Augen leicht zusammenkniff, und dem Anschein nach jedes geschriebene Wort stumm mit den Lippen nachformte.
„Wusste gar nicht, dass Ihr lesen könnt“, spaßte Stephanus.
„Ach, halt doch dein Maul“, knurrte der Nord. Er sah nicht von den beschriebenen Seiten auf, sondern hielt weiterhin seine tonlose Vorlesung, wobei er doch das ein oder andere Wort leise vor sich hin flüsterte.
Eigentlich wollte sich der Kaiserliche nicht mit Brarek unterhalten (und das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit), aber es gab im Moment einfach nichts besseres zu tun. Es würde noch eine halbe Stunde dauern, bis ihre Wache begann, und er musste sich irgendwie wach halten.
Stephanus saß für einige Augenblicke gedankenverloren nur so da und ließ seine Glieder ruhen, und dann erhob er erneut die Stimme.
„Worum geht’s in dem Buch?“, fragte er.
Jungeiche stöhnte entrüstet und blickte nun von seinem billigen Schmöker auf. „Wenn du dich so sehr dafür interessierst, kannst du's von mir aus selbst lesen.“
Der Nord legte ein kleines Ästchen als Lesezeichen zwischen die Seiten, bevor er sein Buch zuklappte und es energisch Stephanus zuwarf.
Dieser fing es auf und begann nun seinerseits darin zu blättern.
Stephanus überflog die Seiten des relativ kurzen Taschenbuchromans. Das Papier war bereits abgenutzt und gelbstichig, und sie knisterten bei jedem umblättern. Schnell hatte der Kaiserliche Brareks Lesezeichen passiert. Wie so oft zahlte sich die Bildung aus seiner nur allzu kurzen Jugend mehr als aus, denn im Gegensatz zum Nord hatte er keine Probleme mit dem Lesen.
Als er das Buch schließlich kurz vor der Mitte wieder zuschlug, fragte sich Stephanus, warum er es eigentlich so unbedingt lesen wollte. Was hatte er erwartet? Was er hier in der Hand hielt, war keineswegs ein Meisterwerk literarischer Kunst. Enttäuscht reichte er das zerfallende Stück Lektüre an Jungeiche zurück.
Der Nord hob erwartungsvoll die Augenbrauen. Sein Ärger von vorhin schien verflogen, und offenkundig wollte er wirklich wissen, was Stephanus von dem Buch hielt.
Der Kaiserliche zuckte die Achseln und gab einen unzufriedenen „Ech“-Laut von sich.
„Was ist?“, erkundigte sich Brarek ein wenig geknickt, denn ihm schien es nicht entgangen zu sein, dass Stephanus wohl nichts gutes über das Heftchen zu sagen hatte.
„Damit ich das richtig verstehe“, setzte der Mann aus der Kaiserstadt an. „Die Hauptfigur, ein Argonier in der dritten Ära, ist aus einem Sklavenlager in Morrowind ausgebrochen, und hat es als untrainierter Minenarbeiter geschafft, den obersten Aufseher zu töten, und es zudem wie einen Selbstmord aussehen zu lassen? Und dann auch noch aus Morrowind zu entkommen?“
Er schnaufte kurz und fügte dann sarkastisch hinzu: „Da bekomme ich ja schon Angst vor den Dorfbewohnern hier. Die sind sogar noch wohlgenährter als Sklaven, glaubst du, die könnten die ganze Kompanie im Schlaf ermeucheln und es dann wie einen Unfall aussehen lassen?“
„Ach, mit euch Kaiserlichen is' es doch immer das Selbe. Ihr wisst immer alles besser, und nichts ist euch gut genug. Bei den Neun, ihr seit fast so schlimm, wie die verwünschten Hochelfen!“
Zwar hasste Stephanus die gesamte altmerische Rasse wie die Pest, von Brarek auf fast die gleiche Stufe mit ihnen gestellt zu werden ging an ihm aber wirkungslos vorbei. Sich über so etwas aufzuregen wäre in den Augen des Kaiserlichen ziemlich kindisch gewesen, zumal ihm Brareks Meinung recht egal war. Stattdessen fuhr er mit seiner Buchbesprechung fort.
„Des Weiteren tritt er der Kämpfergilde in Cyrodiil bei und wird von irgendeinem dunmerischen Kerl verraten, den er natürlich irgendwie in den Knast befördert. Dann wird der Name des Typen erst am Ende des Kapitels verraten. Wer zur Hölle ist Valen Dreth?“
Jungeiche öffnete schnell den Mund für eine Erwiderung, doch blieb er einen Moment nachdenklich und stumm, bevor er schließlich antwortete.
„Keine Ahnung. Aber das ist doch egal, oder? Vielleicht wird er später noch irgendwo erwähnt.“
„Dies hier wurde offensichtlich von jemandem geschrieben, der Dunkelelfen hasst, oder Argonier liebt, oder beides. Vielleicht war er selbst sogar Argonier. Du solltest diesen Schund los werden. Der ist höchstens noch als Brennstoff fürs Feuer zu gebrauchen.“
„Dich hat keiner Gefragt, kaiserliche Drecksau,“ erwiderte der Nord erbost.
Entnervt schnellte Meum-Te aus seiner Sitzhaltung auf und fuhr sie an. „Können ihr Menschen nicht leise sein? Hätte ich Ohren, würden sie jetzt bestimmt abfallen.“
„Was auch immer“, sagte Brarek beleidigt und klappte seine abgenutzte Lektüre wieder auf.
Der Kaiserliche seufzte. Soldin Stahlzapfen konnte ein echter Starrkopf sein, mit einer Anfälligkeit für Provokation, aber mit ihm konnte man wenigstens anständig reden. Jungeiche dagegen war wie ein Kind. Ein großes, gefährliches Kind, das sofort alle Schotten dicht machte, wenn es nicht das hörte, was es wollte.
Aber was machte das schon? Sich über die Sturheit der Nords zu ärgern war eine verlorene Sache, ein Spiel, bei dem man nicht gewinnen konnte.
Stephanus schüttelte kurz den Kopf und starrte dann wieder ins Feuer.
Bald hörte Stephanus Schritte hinter sich, und kurz darauf klopfte ihm jemand auf die Schulter.
„Steh auf, Levinius. Deine Schicht.“
Mit einem Grunzen hievte er sich hoch und wandte der Feuerstelle den Rücken zu, und blickte jetzt in das abgehärtete Gesicht von Harun, einem Rothwardonen. Stephanus kannte ihn nicht besonders gut, aber er Respektierte ihn ein wenig, da Harun ihm wie ein vernünftiger Mensch erschien.
„Wie sieht's heute Nacht aus?“ erkundigte sich der Kaiserliche bei seinem müden Mitstreiter.
Dieser zuckte die Achseln.
„Nichts. Einmal ist eine Bergziege aufgetaucht, aber das war's auch schon.“
„Nun gut. Schlaft Euch aus.“
Der Kaiserliche ging los, während Harun, nun von Stephanus abgelöst, sich lautstark gähnend in Richtung Baracke aufmachte.
Ein paar Stunden später befand sich der Kaiserliche in seiner Bettrolle. Es fühlte sich richtig gut an, nach einer langen Reise und stundenlangem Herumstehen mal die gepanzerten Stiefel ausziehen zu können, und sich auch fürs erste von den abgetragenen Socken zu befreien. Dazu fiel ihm ein altes Sprichwort ein: „Feuchte Socken töten ganze Armeen.“
Cocius konnte davon wohl ein Liedchen singen. Wie sich heraus stellte, hatte er wirklich enorme Blasen an den Füßen bekommen, und Sylaen war so gnädig gewesen, ihm diese Auswüchse mit einem Dolch auf zu stechen und Cocius von dem schmerzhaften Druck, der auf seinen wunden Füßen lastete, zu befreien.
Stephanus Wachschicht war entgegen seinen Erwartungen ereignislos zu ende gegangen. Für einige Stunden stand er zunächst noch aufmerksam, und später dann gelangweilt an seinem Posten. Das Feuer in seinem Rücken hatte ihn warm gehalten – ein Feuer vor ihm hätte ihm in die Augen geschienen, und es ihm erschwert, sich an die Dunkelheit der Nacht zu gewöhnen. Die Berge warfen lange Schatten, und das Mondlicht reichte kaum aus, wenn es denn mal nicht von Wolken geschluckt wurde. Und egal wie gut er auch hinsah, es gab nichts, das sich dort im Schatten bewegte. Die erbosten Reikmannen waren offenbar nicht so gefährlich, wie von den Einwohnern Markarth behauptet. Es wäre nicht das erste Mal, dass mit solchen Dingen maßlos übertrieben worden war, und sicherlich auch nicht das letzte Mal. Ein Bettler mit schäbigem Wolfsmantel wurde schnell zum Werwolf, und ein paar wütende Bergleute zur größten Bedrohung für die Straßen des Reach.
„Oder sie meiden gezielt große Gruppen Bewaffneter.“
Aber im Moment war es ihm einerlei. Nach dem Marsch und der Nachtwache sehnte er sich nach Ruhe und Schlaf. Morgen würden sie den Karth überqueren (den sie bei ihrem Stopp dazu nutzten, um ihre Frischwasservorräte aufzutanken und sich an seinen Ufern mit dem eisig kalten Wasser notdürftig zu waschen), und dann währen sie, nachdem sie den großen verfallenen Festungsturm auf der anderen Uferseite passiert hatten, schon aus dem angeblichen Einflussgebiet der Abgeschworenen heraus.
Stephanus drehte sich auf die Seite und fischte mit seinen Händen eine der Phiolen flüssigen Traumraubs aus der vordersten Tasche seines Rucksacks. Wie es heute um seinen geistigen Zustand stehen würde, hätte der Alchemist nicht diese Formel entdeckt, konnte Stephanus nur vermuten. Er erinnerte sich noch an seine ersten Nächte als Heuerling.
Er hatte damals aus Angst vor dem, was er in seinen Träumen sehen konnte, drei Tage nicht geschlafen, bis er dann vor Erschöpfung einfach ohnmächtig wurde und einige Stunden später wieder aufgeschreckt war. Die folgende Nacht hatte er sich vor Verzweiflung bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen, und erst am darauf folgenden, von einem enormen Kater begleiteten Tag schlug ihm jemand vor, dem Alchemisten mal einen Besuch abzustatten.
Bestürzt stellte Stephanus fest, dass ohne den Alchemisten sein Leben ganz anders verlaufen wäre. Womöglich wäre er jetzt bestimmt tot, denn einen traumatisierten, insomnischen Säufer konnte man in einer Privatarmee wohl kaum gebrauchen. Er wäre aus der Kompanie geschmissen worden, und anschließend irgendwo als Bettler in irgendeiner Stadt am Wegesrand verendet.
Er seufzte, und mit einem lauten „Plop!“ entkorkte er den Glasbehälter und setzte ihn anschließend an seine Lippen.
„Aufs Wohl.“
Nach einem tiefen Schluck von der bitteren Substanz verkorkte er das Fläschchen wieder. Wie so oft verzog er das Gesicht bei der Attacke auf seine Geschmacksknospen, während er das Elixier wieder in den Rucksack verfrachtete.
Wie üblich würden ihm diese Nacht jegliche Träume erspart bleiben, und dafür dankte er den Neun.
Geändert von Kampfkatze2 (24.06.2016 um 01:06 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Sanfte Wärme schmeichelte ihrer Haut im Gesicht und auf den Armen. Vorsichtiger Lichtschein, womöglich in Angst Vesana zu schnell und zu kraftvoll zu wecken, kitzelte ihre Lider und die Augen darunter. Halb stöhnend, halb seufzend streckte sie die erschöpften, schweren Glieder aus, dehnte sich und drehte sich auf die Seite. Weich sank sie mit der Schulter ein und die Haare verteilten sich auf dem gemütlichen Kissen unter ihrem Haupt. Unwillig aufzuwachen oder aufzustehen zog sie die Decke mit den Händen bis zum Kinn und rollte sich glucksend darin ein.
Schmerzhaft stechend, als rammte ihr jemand einen Dolch in die Brust, vollführte ihr Herz plötzlich einen kräftigen Sprung und begann im Anschluss zu rasen. Heftig, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb, fuhren ihr Blitze durch die Schläfen hinter die Stirn. Heißes Pochen erfüllte ihren Schädel, als säße darin ein Schmied. Wo war sie? Das letzte, an das sie sich erinnerte, war der Tunnel und diese zwei … die zwei … der Gedanke wollte sich ihr nicht einmal richtig offenbaren, derart abscheulich empfand sie ihn und den Anblick der zerfledderten, gammligen Leichen vor ihrem geistigen Auge. Um es abzuschütteln öffnete die Kaiserliche die Augenlider und sah sich im schummrigen Zwielicht einiger Kerzen um. Es brannte ihr in den Augen wie flüssiges Feuer und so blinzelte sie unaufhörlich. Unstet glitt ihr Blick umher, konnte nirgendwo haften bleiben, stets zur Bewegung gezwungen. Pure Aufregung pumpte durch ihre Adern, ließ den Mund offen stehen und brannte in den Lungen.
Die gewölbte Decke aus groben, grauen Steinen, die nahen, dunklen Möbel – die Kommode gegenüber dem Fußende des Betts, das hohe Regal an der Längsseite und weitere kleinere Stücke – wie auch die zwei Geweihe und das Säbelzahnkatzenfell an der Wand, zuletzt sogar das Gemälde eines kleines Hauses an einem See – all dies kam ihr so merkwürdig bekannt vor. Es schien ihr unwirklich und traumhaft, gleichzeitig aber zweifelte sie daran, zu träumen. Alles deutete darauf hin, dass sich die Jägerin tatsächlich in ihrem Zimmer in Jorrvaskr befand. Die weiche Bettdecke, der zurückhaltende Duft als Mischung aus Bergkräutern und süßen Früchten, alles wirkte befremdlich und doch real, so authentisch.
Vesa drehte sich auf die andere Körperseite und stöhnte, als ihre ausgelaugten Muskeln versuchten sich anzuspannen. Auf ihrem Nachttisch standen ein Krug und Becher, sowie ein Teller mit etwas Brot. Appetitlos griff sie nach dem Kanten, brach jedoch auf halbem Wege ab, als ihr Arm bleiern auf ihr strohgefüttertes Nachtlager sank. Egal wie lange sie geschlafen hatte, es war nicht lange genug gewesen. Vorsichtig rutschte sie mit der Bettdecke näher an die Kante hinan und stemmte sich auf den Ellbogen hoch. Anschließend griff sie erneut nach dem Brot und nahm einen Bissen. Sie wusste, dass es den Hunger nicht lindern, denn geschweige stillen würde. Andererseits stand außer Frage, dass ihr müder, ausgelaugter Körper dringend etwas brauchte, von dem er zehren konnte. Im Krug befand sich dem Duft nach zu urteilen ein inzwischen abgekühlter Kräutertee, den sie im Liegen versuchte in den Becher zu gießen. Als sie jedoch mit zittrigen Fingern mehr daneben auf das dunkle Holz des Schränkchens goss, anstatt in das Gefäß, brach sie ab und ließ den Krug mehr fallen als dass sie ihn wieder abstellte.
Im Anschluss rollte sich die Kaiserliche auf den Rücken und schob sich danach am holzverkleideten Kopfende des Bettes hoch. Das Kissen im Rücken polsterte angenehm und sie zog die verrutschte, beige Tunika zurecht, bevor sie die Decke über ihren Beinen ordnete und abermals versuchte, Tee in die Tasse zu bringen. Ein heftiger Stich im Kopf rief ein reflexartiges, ebenso heftiges Zucken hervor und abermals schwappte ein beträchtlicher Teil des Tees neben die Tasse. Stöhnend presste sie eine Hand gegen die Seite des Gesichtes und presste die Lider zusammen, als ob sie so den niederschmetternden Kopfschmerz zu dämpfen vermochte.
Ergebnislos versuchte die Jägerin ein drittes Mal einzuschenken, die Finger zittrig und kraftlos. Es gelang ihr und so vermochte sie schließlich ihre trockene Kehle zu benetzen. Eine Wohltat, wenn sie überlegte, dass sie selbst in den Tunneln schon nur sehr wenig getrunken hatte. Möglichst schnell versuchte sie den Gedanken beiseite zu schieben und das Gesicht des Untoten, wie es plötzlich aus dem Nichts über ihrer Schulter auftauchte, zu verdrängen. Dieser eine Augenblick, in dem sie so unverhofft mit dem wandelnden Leichnam zusammengestoßen war und der ihr ohne weiteres einen Herzstillstand hätte bescheren können, würde ihr wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Ebenso diese erbarmungslosen, kalten Augen, wie sie in der Dunkelheit leuchteten. Sie hatten sich in ihre Erinnerung gebracht. Nichts würde sie vergessen machen.
Es klopfte und Vesana zuckte in sich zusammen als sie das dumpfe Hallen aus ihren Gedanken riss. Es schmerzte in den überempfindlichen Ohren und so presste sie einen Moment die Hände auf diese. Sie verspürte jedoch gleich darauf eher Dankbarkeit, denn Schrecken. »Herein«, bat sie. Das Wort starb ihr auf der Zunge, kaum mehr als ein klägliches Krächzen. Dennoch öffnete sich die Tür und Farkas trat wie gewohnt in seine schwere, stählerne Rüstung gehüllt scheppernd und rasselnd ein. Über seinem Arm lagen je eine Jacke und Tunika, in der Hand hielt er hohe Wildlederstiefel. Es waren ihre Sachen, wie Vesa nach kurzer Verwunderung erkannte. Der große, hünenhafte Nord mit den dunklen Haaren und den silbergrauen Augen hielt noch im Türrahmen inne.
»Du bist ja wach!«, bemerkte er nicht ohne Überraschung in der tiefen Stimme.
»Ja«, krähte Vesa eine kurze Erwiderung und räusperte sich anschließend.
»Ah, trockener Hals.« Das befreundete Zirkelmitglied trat ein und schloss die Tür zum Hauptflur des Kellers hinter sich. Die Kaiserliche nickte nur und trank noch einen Schluck Tee, um den gereizten Hals zu beruhigen. Müde ließ sie im Anschluss den Kopf gegen die Wand sinken, vorsichtig, um zu große Erschütterungen zu vermeiden, und beobachtete Farkas am unteren Rand ihres Sichtfeldes. Es war einfacher so, musste sie doch die Lider nicht zwanghaft offen halten. Er legte ihre Sachen auf der Anrichte gegenüber dem Bett ab und wandte sich danach ihr zu. Mit verschränkten Armen blieb er stehen. »Hast Dir ja ganz schön Zeit gelassen«, tadelte er und verzog den Mund. Die Jägerin hob den Kopf und zog irritiert eine Augenbraue hoch. »Mit dem zur Besinnung kommen, meine ich«, erklärte. Erst jetzt bemerkte sie seinen spöttischen Unterton. Im Moment der Erkenntnis blieb ihr der Mund offen stehen. Farkas begann breit zu grinsen. »Schön, dass Du wieder unter uns bist. Als Aela vor drei Tagen hier angekommen ist und uns erzählt hat, was passiert ist, haben alle schon das Schlimmste befürchtet.«
»Ich habe … absolut kein Zeitgefühl«, gestand Vesa.
Der Nord nickte nur verstehend und strich sich eine Strähne seines Haares aus dem Gesicht. Gleich darauf setzte er sich auf das Fußende ihres Bettes. Es knarzte und ächzte unter der heftigen Last. »Aela und Du, ihr seid vor fünf Tagen zur Jagd aufgebrochen. Vor knapp zwei Tagen haben Skjor, Aela und ich Dich aus dem Loch geholt und seitdem hast Du geschlafen. Mehr oder weniger ruhig. Oder Du warst … nicht wirklich anwesend«, rekapitulierte er für sie die Geschehnisse.
»Was meinst Du?«
»Naja, gewaschen und umgezogen hast Du Dich selbst. Aber geredet oder irgendjemanden beachtet hast Du nicht. Bist zwischendurch sogar mal abgehauen und hast noch was gefressen«, berichtete der Nord. Vesa zog beide Augenbrauen hoch, unsicher ob und wenn was sie überhaupt bei der Erzählung empfinden sollte.
»Das heißt ich war … drei Tage da unten?«, fragte sie stattdessen, möglichst schnell vergessen wollend, was er ihr gerade gesagt hatte.
»Nicht ganz, aber fast. Erinnerst Dich nicht einmal daran, wie wir Dich da rausgeholt haben, was?«
»Das Letzte, an das ich mich erinnere … ist der Kampf mit diesen zwei Untoten.«
»Die Draugr, ja, die haben wir gesehen.« Sein Grinsen wurde noch fetter. Spiegelte sich da so etwas wie Stolz auf seinem rauen Gesicht wider?
»Völlig egal, wie die heißen. Sie sind widerlich, abartig.«
Farkas lachte unverhohlen auf, dass das Bett bebte. »Da sagst Du was.«
»Ich habe den Vollmond da unten verbracht …«, hauchte sie nach Abklingen des kurzen Anfalls des Nord mehr zu sich selbst, als dass sie den Gedanken ernsthaft laut aussprach. Sie ließ einen Moment Augen und Kinn sinken.
»Ja. Aber Du hast es heil überstanden. Hättest Aela sehen müssen, als sie hier eingetroffen ist. Sie war ziemlich besorgt – Du weißt ja, wie selten das ist.«
»Und Du wohl nicht?«, stichelte Vesa und schenkte ihm ein mattes Lächeln. Ein neuerliches Stechen im Schädel zerstreute ihre Gedanken. Sie schloss die Augen und rieb sich sanft über die Schläfen, um es zu beruhigen.
»Ach, als ob ich mir um Dich Sorgen machen müsste! Die Draugr sind Beweis genug dafür, dass ich das nicht brauche«, entgegnete er und lachte erneut. Wenn es doch wirklich so unkompliziert wäre. Aber das wusste Farkas freilich selbst und hätte er sich wirklich keine Sorgen gemacht, vermutlich wäre er nicht einmal mitgekommen sie zu retten. Jeder, dem das Wolfsblut innewohnte, wusste, wie es enden konnte, stillte der Wolf zum monatlichen Höhepunkt seiner Triebe und Stärke nicht seinen Hunger und Durst – nämlich tödlich. Absolute Erschöpfung, Angstzustände und Gedächtnisverlust waren da noch die glimpflichsten Folgen, obwohl sie nicht wusste in wie weit diese tatsächlich allein auf den Hunger der Bestie zurückgingen. Hircine schien ihr gnädig zu sein und im Reflex griff sie nach dem Hirschkopfamulett, das sich für gewöhnlich an ihrem Hals befand. Doch fasste sie ins Leere. Erschrocken schaute sich Vesana um, blickte zum Nachttisch und auf dem Bett umher, doch ihre gereizten, trüben Augen fanden nicht, wonach sie suchte. Bis sie auf Farkas trafen. Er grinste und griff in einen Beutel an seinem Gürtel. »Tilma hat’s mit Deinen restlichen Sachen gewaschen«, erklärte er und warf ihr das silberne Schmuckstück zu. Ungelenk und im letzten Moment fing sie es auf.
»Danke.« Sie legte sich die glänzende Kette um den Hals.
»Wie lange ist der Vollmond jetzt her?«
»Heut ist der dritte Tag nach Vollmond.«
»Ich sollte wohl …«
»Du solltest Dich erstmal weiter ausruhen und den Wolf kannst Du später immer noch befriedigen. Also keine Bange.« Die Gegenwart des einfach gestrickten, gnadenlos ehrlichen Nord tat überraschend gut und beruhigte, linderte bedauerlicherweise jedoch nicht das Pochen in ihrem Haupt. Dennoch: Er hatte Recht. Hircine und auch das Biest in ihr schienen in diesem Moment nicht nachtragender als sonst mit ihr zu sein, dass sie ihre animalischen Triebe nicht befriedigt hatte. Zumindest nicht an allen relevanten Tagen des Vollmondes, wenn sie Farkas recht verstanden hatte. Still schwor sie es schnellstens nachzuholen.
»Danke, dass ihr mich da rausgeholt habt, Farkas.«
Er winkte ab. »Blödsinn. Dafür sind Schildbrüder und -schwestern ja da.«
Sie lächelte. »Gibt’s sonst irgendetwas Neues?«
»Hm, nein. Nicht wirklich. Athis schikaniert auf Deinen Geheiß noch immer das Blondchen. Ich glaube, er hat langsam keine Lust mehr.« Er zuckte mit den Schultern. »Was soll’s. Er muss ran, bis Du wieder soweit bist.«
»Ich beeil mich.«
»Weiß ich doch.«
»Sonst gibt’s nichts?«
»Nein, wirklich. Aela und Skjor sind für ein paar Tage zusammen fort. Irgendwo Richtung Süden, glaube ich.«
»Hm.« Ihre Mundwinkel sanken näher zum Kinn. Ausgerechnet jene beiden, in deren Schuld sie nun stand und bei denen sie sich bedanken wollte, waren fort.
»Vilkas und Kodlak sind noch hier. Und ich natürlich.« Er wollte sich gerade erheben, doch hielt er noch einmal inne und ließ sich zurück auf das Bett sinken. Es protestierte erneut lautstark. »Bevor ich es vergesse: Wir haben alle Deine Sachen gefunden und zurückgebracht – mit Ausnahme von Deinem Schwert. Das muss irgendwo in den Tunneln verloren gegangen sein. Und Deine Hose. Tilma hat sich geweigert, die zu waschen.«
»Scheiße.« Die Waffe würde sie vermissen. Obwohl sie sie an Solstheim erinnerte, war es doch eine gute Klinge gewesen und hatte ihr schon gegen den Werbären das Leben gerettet. Dennoch versuchte sie dem Nord wenigstens ein schmales Lächeln zu schenken und sich den empfundenen Verlust nicht allzu stark anmerken zu lassen. »Eorlund wird schon irgendeinen Ersatz für mich anfertigen können. Also für das Schwert. Die Hose ist mir ziemlich egal.«
Das Grinsen kehrte auf Farkas von Bartstoppeln gezierte Züge zurück. »Dacht ich mir. So, jetzt muss ich aber. Vilkas wollte mit mir noch ein paar neue Materialien zur Schmiede schleppen. Der wird sich schon fragen, wo ich bleibe.«
Vesa nickte verstehend. »Mach‘ das. Vielleicht komme ich mal nachher mal vorbei und schau euch zu.«
Der Nord lachte. »Zuschauen ohne Anpacken gibt’s nicht, weißt Du doch.«
»Pff!«
Er klopfte ihr kurz auf das Bett und erhob sich. »Wir sehen uns später.«
»Achja, kannst Du mir bitte das Buch über Dwemer aus dem Regal dort geben?« Sie zeigte auf den hohen, offenen Schrank an der Längsseite ihres Bettes, in dem auch ihr Totem der Jagd stand.
Farkas nickte und schritt hinüber. »Das hier?«, fragte er und hielt ein ledergebundenes Buch in die Höhe.
»Genau das. Danke.«
»So, erhol Dich gut.«
»Mach ich.« Damit verschwand er nach draußen und überließ die Kaiserliche sich selbst. Die blätterte kurz durch das stark nach Tinte und dem Pergament der Seiten duftenden Buch, überflog die einzelnen Kapitelüberschriften und die Skizzen. Sie hatte es schon zuvor lesen wollen, aber sie war nie wirklich dazu gekommen. Und selbst jetzt, wo niemand sie störte und vom Lesen abbrachte, vermochte sie es nicht zu tun. Das Pochen im Schädel und das Ziehen im Bauch, das sich nun da sie allein war, wieder auf sich aufmerksam machte, verhinderten, dass sie sich länger als ein paar Wörter auf die Seiten konzentrieren konnte.
Einen Moment hielt sie noch aus, dann drehte sie sich und ließ die Beine aus ihrer Nachtstatt hängen. Um ihren verletzten Fuß spannte sich, wie sie erst jetzt bemerkte, ein dicker Verband, der die Bewegungsfreiheit deutlich einschränkte. Zweifelsfrei eine vernünftige Maßnahme, denn sofort als sie den kühlen Boden berührte und versuchte Gewicht auf die Füße zu verlagern, spürte die Jägerin das dumpfe, heiße Pochen im Knöchel. Zwar sehr gedämpft und sicherlich von dicker Heilsalbe umschlossen, aber dennoch merklich. Vorsichtig erhöhte sie die Belastung.
Scharf sog sie die Luft ein, als ein greller Blitz in ihr Bein fuhr, und schloss einen Moment die Augen. Mühsam unterdrückte sie das reflexartige Stöhnen. Geduldig beruhigte sie den mit dem Schrecken in die Höhe geschnellten Puls und die Atmung. Langsam, zeitlupenhaft, arbeitete sich Vesa immer weiter, bis sie schließlich stand. Zwar wackelig wie auf einem treibenden Baumstamm, aber immerhin: Sie stand. Kurz hielt sie inne und rang um ihr Gleichgewicht. Die Müdigkeit und Entkräftung versuchten sie zurück ins Bett zu ziehen, aber so leicht wollte sie sich nicht geschlagen geben und taumelte hinüber zum nächsten Regal, in dem auch ihr Totem und einige Bücher standen. Dort hielt sie inne, klammerte sich an das Holz und verschnaufte, gewann aber gleichzeitig auch an Stabilität und Sicherheit. Die wenigen, kleinen Schritte zur Kommode fielen ihr entsprechend leichter und letztlich vermochte sie auch, sich umzuziehen.
Die leichte, kurze Tunika tauschte sie gegen eine etwas dickere, die die Knie knapp verdeckte und lange Ärmel besaß. Die rotbraun gefärbte, fein gewobene Wolle mit den hellen Stickereien lag angenehm weich auf der Haut und einen Moment blieb sie mit geschlossenen Lidern stehen. Warm genug würde die Tunika wohl sein, wenn sie sich auf die Terrasse setzte und frische Luft schnappte. Letztere brauchte sie dringend, um den Kopf endlich freizukriegen. Zum Schluss zog sie sich ein paar lederne Sandalen über die Füße und griff sich das Buch über Dwemer. Die offenen Haare legte sie sich über die Schulter und verließ ihr Zimmer.
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Geändert von Bahaar (18.08.2014 um 15:01 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Zwar benötigte sie einige Zeit ob der zahlreichen Verschnaufpausen, doch letztlich schaffte es Vesa bis zur Terrasse. Die kalte, herbstlich feuchte Luft des Nachmittags kam ihr gerade recht, linderte sie doch das heiße Hämmern hinter den Augen und das dumpfe Pochen im Knöchel. Zwar schien die Sonne, aber sie wärmte nur bei direktem Kontakt, zu stark trieb der frische Wind aus dem Norden die Vorboten eines rasch hereinbrechenden Winters über das Land. Um nicht zu frieren zog sie sich zwei Stühle an den Rand des überdachten Podests. Auf den einen setzte sie sich, auf den anderen legte sie die Füße hoch, und schloss die Augen. Das Buch im Schoß faltete die Kaiserliche die Hände ineinander und ließ sie auf dem Ledereinband ruhen.
Das sanfte Flüstern der Böen schmeichelte ihren Ohren und obwohl aus dem Hintergrund das helle, scharfe Klirren Eorlunds Hammers auf dem Amboss zu ihr drang, empfand sie es in diesem Moment nicht als störend. Die Regelmäßigkeit der Hiebe beruhigte und bot etwas, auf das sie ihre Gedanken richten konnte, bevor sie sich der Lektüre widmete. Die Erinnerung an die undurchdringliche Dunkelheit in dem Hügelgrab und die widernatürliche Panik, die sie im Angesicht der Draugr fest umklammert gehalten hatte, ließ sich nur mit größter Mühe verdrängen. Das Handwerk des Schmieds half ihr dabei und ein schmales, für einen Außenstehenden sicherlich verträumt wirkendes Lächeln quittierte es in Dankbarkeit.
Die Kaiserliche öffnete die Augen und nahm das ledergebundene Buch in die Hände. »Zwerge. Das verlorene Volk von Tamriel, Band I«, las sie flüsternd den Titel des Werkes für sich selbst und öffnete den Deckel. Ein Buch von Calcelmo aus Markarth. Es sollte sich wohl überwiegend mit der Baukunst der Dwemer befassen. Ein durchaus interessantes Thema, wenngleich Vesana dem kalten Stein und golden schimmernden Metall nur wenig abgewinnen konnte. Zweifelsohne beeindruckende, wundersame Bauwerke, die das Tiefenvolk hinterlassen hatte, aber nie würde sie sich dort wirklich wohl fühlen, nicht zum Leben. Freies Land, Natur und frische Luft, das waren ihre Elemente, nicht dunkle Tiefen und enge Gänge. Die wenigen Besuche in Markarth, bei dem es sich laut Calcelmo tatsächlich um eine originale, wiederbesiedelte Ruine der Zwerge handelte, hatten ihr bereits gereicht, obwohl der Gutteil der bevölkerten Bereiche sogar noch an der Oberfläche lag.
»Gestattest Du einem alten Mann mit Dir die letzten warmen Sonnenstrahlen zu genießen?« Nach einigen Seiten bereits in den Text vertieft hatte Vesa nicht bemerkt, dass jemand neben sie getreten war. Kodlak stand im Schatten des Vordachs beinahe direkt neben ihr. Seine fast schon blind wirkenden, grauweißen Augen blickten ruhig auf sie hinab, feine Fältchen, zusätzlich zu den Zeugnissen seines Alters, rahmten sie an den Winken ein. Eine weite, langärmlige Tunika in starkem Schwarz hüllte ihn ein, eine gleichfarbige Hose verdeckte seine Beine.
»Natürlich, bitte.« Die Kaiserliche nickte und senkte das Buch in den Schoß. Der Herold der Gefährten lächelte unter seinem dichten, graumelierten Bart und zog sich einen Stuhl ins Licht hinaus. »Das Buch ist übrigens interessant«, merkte sie an und kam damit einer weiteren Nachfrage des Alten zuvor.
»Dachte ich es mir. Man mag von Calcelmo halten, was man möchte, aber er ist sichtlich sehr gebildet in seinem Fachgebiet«, erwiderte Kodlak.
»Du kennst ihn?«
»Kennen würde ich es nicht nennen. Vor etlichen Jahren gab es mal einen Auftrag des Jarls von Markarth. Während des Aufenthaltes in der Stadt bin ich auch in das Museum gestolpert, das Calcelmo dort betreibt, und ihm kurz begegnet.«
»Verstehe.«
»Jedenfalls hat er mir damals das Buch gegeben.« Der Graue wirkte nachdenklich und schaute an ihr vorbei zu den Bergen im Südosten.
»Als Geschenk?«
Er lachte plötzlich auf. »Als Erinnerung.«
»An einen … schönen Auftrag?« Sie zog eine Augenbraue hoch und legte den Kopf leicht schief.
Kodlak schüttelte sacht das Haupt. »Nein. Als Erinnerung daran, dass auch Steine einen Wert haben. Wir sollten damals eine Handvoll Zwergensphären wieder einfangen, die Calcelmo in seinen Forschungsbestrebungen aktiviert hatte …«
»Wie geht das denn? Ich dachte, niemand weiß wie sie funktionieren?«
»Stimmt auch. Der alte Hochelf hatte auch keine Ahnung, was genau passiert war. Ich bezweifle, dass er es jemals wieder geschafft hat. Jedenfalls war wohl zu Anfang nur eine Sphäre los. Die ist aber in irgendeinem Teil des Museums – es ist ziemlich groß – verschwunden und tauchte eine Weile später mit einer ganzen Reihe von Artgenossen wieder auf. Die örtlichen Wachen sind damit nicht klargekommen, also holte der Jarl die Gefährten zu Hilfe und es ist während unserer Bemühungen einiges zu Bruch gegangen. Calcelmo ereiferte sich nach Erfüllung unseres Auftrages, wir sollten keinen Lohn erhalten, weil wir zu viel Wert zerstört hätten. Als der Jarl dem widersprach gab mir der Elf dieses Buch.«
Einen Moment lang musterte Vesana den Alten und verzog das Gesicht in Ungläubigkeit, dann lachte sie auf. Das deswegen heftig aufflammende Stechen im Schädel, brachte sie jedoch schnell zum Schweigen und sie rieb sich über die brennenden Augen. »Wie lange ist das denn her?«
»Sicherlich fünfzehn Jahre. Damals war noch Askar Herold und ich nur einfaches Mitglied.« Die Jägerin ließ die Hand sinken und betrachtete Kodlaks nachdenkliche Züge. Er schien in Erinnerungen aus der Zeit zu schwelgen. Seine Mundwinkel wirkten gedrückt und die Augen schienen ins Leere zu blicken. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte schüttelte er kaum merklich diese Gedanken ab und schenkte ihr ein mattes Lächeln. »Doch das ist zu lange her, um es hier noch weiter auszubreiten. Wie geht es Dir?«
»Passabel, schätze ich. Hungrig und durstig, kraftlos und erschöpft, aber ich lebe und die Kopfschmerzen könnten wohl sicherlich schlimmer sein«, erwiderte sie und hielt die Stimme gedämpft. Sie wollte nicht, dass jemand zufällig mehr hören konnte, als es ihr lieb war. Die Tatsache, dass sich niemand sonst auf der Terrasse oder dem Übungsplatz aufhielt, spielte für sie keine Rolle. »Oder besser gesagt: Ich hatte sie schon schlimmer.«
Der Alte nickte verstehend. »Farkas meinte vorhin, Du würdest bereits Deine nächste Jagd planen?«
»Planen ist sicherlich das falsche Wort. Da gibt es jetzt nicht mehr viel zu planen. Der Vollmond ist vorüber.« Wieder fuhr sich Kodlak durch den Bart, nachdenklich und grübelnd. »Ausgleichen muss ich die verpassten Tage irgendwie. Und außerdem würde eine erfolgreiche Jagd den Erholungsprozess beschleunigen.« Die tippte kurz mit den Zehen des angeschlagenen Fußes gegen die Lehne des Stuhls. Es brauchte nur eine Jagd und die Regenerationskraft des Wolfes würde der lästigen Verletzung ein Ende bereiten. Sie wusste, und sah es ihm auch an, dass der Herold ihre Meinung nicht teilte. Er hielt sich sehr bedeckt, wenn es um das Ausleben und Vertrauen auf das Wolfsblut ging, aber er sagte nichts. Auch wenn er selbst Hircines Geschenk nicht unbedingt als solches empfand, ließ er es anderen frei, einer anderen Ansicht zu sein.
»Du wirst wissen, was für Dich das Beste ist.« Er lächelte sie an. Obwohl ein gewisser Schmerz, vielleicht auch Trauer, in seiner rauen Stimme mitschwang, wirkten die Geste der Freundlichkeit und seine Worte doch aufrichtig. Der Wahrheit entsprachen sie allemal.
»Farkas hat erzählt, Aela und Skjor wären im Süden unterwegs?«, wechselte sie das Thema.
»So ist es. Südwesten. Nur ein kleinerer Auftrag, eine Gruppe Wegelagerer treibt sich irgendwo auf der Straße hinter dem westlichen Wachturm rum. Seit der Turm zerstört wurde ist der Weg unsicherer geworden.«
»Wie weit genau?«
Kodlak schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Sicherlich ein Tagesmarsch. Aela und Skjor sind, wenn überhaupt, sicherlich gerade erst in dem Gebiet angekommen. Sie sind erst heute vor Sonnenaufgang aufgebrochen.«
»Noch vor dem alten Fort Graumoor oder danach?« Sie überlegte, ob sie es schaffte die beiden in Wolfsform einzuholen, wenn sie in der Nacht jagte. Allerdings würde sie es wohl definitiv erst dann wissen, wenn sie sich verwandelt hatte und ihren angeschlagenen Fuß belastete.
»Möglicherweise. Ich weiß es aber nicht.« Falls der Graue ahnte, weshalb sie so genau nachfragte, ließ er es sich nicht anmerken. Aber selbst wenn, es spielte keine Rolle.
»Naja, egal. Wie schlägt sich der Auszubildende?« Vesa schlug das Buch auf und suchte die Stelle, an der sie zuvor aufgehört hatte.
»Die Übungen nehmen ihn zwar mit und er legt mit Athis heute eine Pause ein, aber er zeigt sich willensstark. Wann willst Du übernehmen?«
»Wenn ich mich in der Nacht regenerieren kann, morgen.« Sie fand die Stelle und hielt den Finger darauf.
»Sei nicht zu eilig, er kann auch noch einen Tag warten«, mahnte der Alte und lehnte sich in seinem Stuhl zur Seite, um sie besser betrachten zu können.
»Das kann er sicher. Aber ich möchte nicht.« Sie brauchte etwas, mit dem sie sich beschäftigen konnte und über das sie endlich wieder in so eine Art Alltag hineinfand. Nach allem, was passiert war, musste es sein.
»Hmm.« Der Nord an ihrer Seite schien nicht überzeugt, aber sie verspürte nicht das Bedürfnis danach sich ausführlicher zu rechtfertigen. »Es ist Deine Entscheidung. Wenn Du Dich bereit fühlst, dann tue es«, sagte er schließlich nach kurzem Schweigen. Sie nickte nur und wandte die Augen auf das Buch in ihrem Schoß. »Falls sie Dich interessieren, ich habe auch noch die zwei übrigen Bände.« Die Kaiserliche blickte auf und schaute ihn fragend an. »Von Calcelmo, es ist eine Reihe aus drei Büchern. Ich habe mir Ausgaben der übrigen Bände später noch bringen lassen, weil sie mich interessierten.«
»Ah! Ja, gern. Erst einmal muss ich hiermit fertig werden, aber danach sicher.«
Kodlak lächelte nun wieder freundlich und weniger trübsinnig dreinblickend als zuvor. »Das freut mich zu hören.«
»Du weißt doch, dass ich mich geistig ebenso gern betätige, wie körperlich.«
»Ja, manche Dinge ändern sich glücklicherweise nie, wie es scheint.« Sie schaute auf. Irgendetwas in seinen Worten ließ sie stutzen. Natürlich war Kodlak für seine Nachdenklichkeit und seine Obacht bekannt, aber irgendetwas bescherte ihr ein ungutes Gefühl. Er wirkte trübsinniger als sonst, und das obwohl er sich gerade zu einem Lächeln bemühte. Es erfasste nur nicht seine Augen.
Abermals sank Vesa das Buch in den Schoß und sie schlug es langsam zu. »Was beschäftigt Dich?«, rang sie sich zu der Frage durch, die ohnehin schon greifbar in der Luft gehangen hatte.
Der Graue stieß kurz Luft aus, schaute zu Boden und schmunzelte dann. »Das Alter.« Er blickte in die Ferne zu den Bergen. Seine Lippen wurden wieder gerade und er zupfte sich am Bart. »Das Alter beschäftigt mich.«
Die Kaiserliche beobachtete ihn einen Moment schweigend und strich sich nur ein paar vom auffrischenden Wind verwehte Strähnen hinter die Ohren. So unterschiedlich sie einander sein mochten, ein paar Gemeinsamkeiten gab es dann doch. Sie schenkte ihm ein dünnes, aber freundliches Lächeln. »Es scheint, als wären wir beide aus denselben Gründen hier.«
»So?«
»Wir suchen Ablenkung.«
Jetzt lachte er auf. Es war ein nur am Rande heiteres Lachen, seine Kürze und die Rauheit der Stimme des Nords ließen es eher melancholisch klingen. Aber immerhin besser als die ewig finstere Miene auf seinen alten Zügen, die Vesana nur allzu oft selbst an den Tag legte und sicherlich auch während ihres Gesprächs ab und an aufgesetzt hatte, ohne es zu merken. »Ja, da hast Du wohl Recht. Und doch sind wir unfähig, sie zu finden.«
Auch wenn er damit nur bedingt richtig lag, wollte sie ihm das in diesem Moment nicht sagen. Sie schätzte ihn zu sehr und viel zu oft kümmerte er sich um sie und die anderen Gefährten, als dass sie ihn nun abweisen würde. »Vielleicht hilft ein Spaziergang im letzten Sonnenlicht und anschließendem deftigen Mahl in Gegenwart eines gut gelaunten Farkas?«, schlug sie vor.
»Kannst Du denn gehen?« Er nickte in die Richtung ihres angeschlagenen Fußes.
»Ich bin hierhergekommen, oder nicht?«
»Wahr.« Kodlak stand auf und reichte ihr die prankenhafte Hand. Seine kräftigen Finger, so rau wie die Zunge einer Katze, schlossen sich um die im Vergleich zerbrechlich wirkenden ihren. Mühelos zog er sie auf die Füße und stützte sie, während sie ihr Gleichgewicht suchte. Das Buch unter den Arm geklemmt lief sie neben dem weit größeren Nord, der ihr Großvater hätte sein können. Seine hellgrauen, teils weißen Haare glühten im allmählich rötlich schimmernden Abendlicht und als sie eine sanfte Windböe auseinandertrieb, sah es so aus, als stünde sein kompletter Kopf lichterloh in Flammen. Ein schöner Anblick. Sie schmunzelte. »Was ist?«
»Nichts, nichts.«
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Geändert von Bahaar (23.10.2014 um 12:12 Uhr)
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»Als Kämpfer werden Leute von unserem Schlag gewöhnlich nicht so alt«, sinnierte Kodlak, während die Beiden mit sehr langsamen Schritten ob Vesas eingeschränkter Bewegungsfähigkeit um das Gildenhaus herum liefen. »Ich schätze, es ist der Fluch des Alters und die Angst vor dem, was auf einen zukommen mag, die mich und wohl viele vor mir zum Nachdenken bringen.«
Die Kaiserliche hatte sich, auf sanftes Drängen des Alten hin, mit dem rechten Arm bei ihm eingehakt und hielt das Buch in der Linken. Jedes Mal das Gesicht verziehend, wenn sie einen Schritt setzte, bestimmte sie die Geschwindigkeit ihres Spaziergangs. Es gefiel ihr zwar nicht, aber es ließ sich auch nicht gerade schnell und unkompliziert ändert. Der Graue schwieg derweil für einen Moment und die Stille drückte unangenehm. »Ich glaube nicht, dass das erst mit dem Alter gekommen ist«, entgegnete sie schließlich und sprach eher langsam und gedämpft, fühlte sie sich doch selbst nicht gerade sicher, was sie eigentlich sagen sollte oder wollte.
Kodlak stieß Luft aus und aus dem Augenwinkel bemerkte sie sein mattes Lächeln. »Recht so, natürlich.« Gerade traten sie auf den Weg vor der Halle der Gefährten. Eorlund schien seine Arbeiten wohl beendet zu haben und kam ihnen von der Schmiede die Treppen hinab entgegen. »Aber die Wichtigkeit, die einigen Gedanken beigemessen wird, hat sich im Laufe der Jahre sehr verändert. Nicht immer zum Besseren, womöglich.«
»Ich kannte mal einen Mann, für den Ängste … wie sagte er gleich? … nur dann wichtig sind, wenn sie uns bestimmen.« Der Herold lachte rau und zum ersten Mal ehrlich herzhaft auf, während sie Beide dem Schmied zum Abschied winkten als er die Stufen in das Innere der Stadt nahm.
»Solange wir uns unseren Ängsten stellen, können sie uns nicht beherrschen«, vervollständigte er schließlich und Vesana nickte. Es waren seine Worte gewesen, als sie noch zu den Welpen bei den Gefährten gezählt hatte. Ihr Wolfsblut beherrschte sie damals nach kaum einem Jahr der Empfängnis noch nicht einmal ansatzweise in dem Maße, wie sie es jetzt tat, und litt deswegen unter anderem unter der Angst vor der Entdeckung ihres Geheimnisses. Offiziell behauptete sie immer, es läge an dem neuen Umfeld und dass sie immer viel Zeit benötigte, um sich einzuleben. Eine Reihe von anderen, rückblickend ohne Zweifel sehr dünn wirkenden Gründen hatte sie ebenfalls genannt. Inzwischen war sie sich ziemlich sicher, dass Kodalk sie damals bereits durchschauen konnte oder zumindest eine Ahnung gehabt haben musste. Jetzt spielte es ohnehin keine Rolle mehr.
»Ich bin sicher, dass Du darin noch immer Rat finden kannst«, munterte die Kaiserliche den Alten weiter auf – oder versuchte es zumindest.
»Ja, das kann ich. Danke.« Wieder kehrte Ruhe zwischen ihnen ein, als sie die flachen, aber zahlreichen und steilen Stufen zur Himmelsschmiede erklommen. »Ich gestehe, dass ich nach all den Jahren, die Du inzwischen bei uns bist, nach all den Gesprächen, die wir geführt haben, noch immer unterschätze, wie wach Dein Geist doch ist.« Sie lächelte. Ein durchaus großes Kompliment des Grauen. Vesa beließ es jedoch dabei. Sie dachte viel nach, suchte sich mit Wissen zu bereichern und hörte oft genug neugierig zu, wenn Kodlak etwas zu erklären gedachte, aber weder teilte sie all seine Ansichten, noch hätte sie sich jemals auch nur im Ansatz als weise gesehen. Sie wusste nur zu gut um die Wahrheit in den Worten, die sie ihrem Herold wiedergegeben hatte, aber auch darum, wie schwierig es sein konnte, ihnen tatsächlich zu folgen. Weise daherreden war nutzlos ohne die Fähigkeit dazu, den offenbarten Pfaden auch zu folgen. Insofern leistete sie kaum mehr, als dem Mann das zu sagen, von dem sie glaubte, dass er es gerne hörte.
Inzwischen waren sie am Rand der Himmelsschmiede angekommen und standen dort, wo die Jägerin für gewöhnlich alleine saß und den Blick in die Ferne schweifen ließ. »Ich kann verstehen, warum Du so oft und gerne hier sitzt«, kommentierte Kodlak leise. Die Sonne lugte noch gerade so über die Bergkämme im Südwesten, hüllte die Stadt und Jorrvaskr in glutrotes Licht, brachte die Tundrasteppen des Fürstentums zum Leuchten und ließ die Szenerie mehr wie ein Gemälde denn wie Wirklichkeit erscheinen. »Wollen wir uns einen Moment setzen?«
»Gern.« Der Alte half ihr sich niederzulassen und ließ im Anschluss selbst die Beine über die unebene Felskante des Plateaus baumeln. Sie empfand Dankbarkeit für die Pause. Das Pochen im Fuß ließ deutlich werden, dass dieser noch nicht bereit für eine derartige, eigentlich marginale Belastung war. So konnte sie ihn etwas ausruhen und die krampfenden Muskeln lockern.
»Gestatte mir eine Frage, auf die Du jedoch nicht zu antworten brauchst, wenn Du es nicht möchtest.« Der Alte hatte seinen trübsinnigen, matten Ton von zuvor zurückgewonnen.
»Natürlich.«
»Du stehst Aela und Skjor darin in nichts nach, und doch habe ich Dich im Gegensatz zu ihnen nie gefragt, warum Du die Jagd so genießt.« Kodlaks Worte flogen auf den abendlichen Böen davon und Vesana musste sich anstrengen, sie aufzufangen.
Unwillkürlich legte sie das Buch, dass sie bis dahin noch im Schoß festgehalten hatte, auf den Stein neben sich und zog das unversehrte Bein an. Die Arme auf dem spitzgewinkelten Knie ablegend blickte die Kaiserliche in die Ferne zu den Bergen im Süden. Sollte sie antworten? Wollte sie es? Oft hatte sie darüber nachgedacht, kannte die Antwort inzwischen sehr genau und doch … sie auszusprechen, gegenüber dem Alten anstatt von Darius, erschien ihr nicht klug. Oder vielleicht fürchtete sie sich auch schlicht vor der Reaktion ihres Gesprächspartners, dass er ihre so sicher geglaubte Einstellung zerredete.
»Ich schätze«, setzte sie an, brach kurz ab und schluckte, »es sind verschiedene Gründe.«
Sie traute sich nicht den Grauen anzuschauen, hielt die Augen streng auf die hohen, schneebedeckten Grate gerichtet. Doch glaubte sie ihn amüsiert Luft ausstoßen zu hören. »Eine bessere Antwort als die anderen beiden sie mir gegeben haben.«
»So?«
»Für sie ist es schlicht die Stärke und die Schnelligkeit, und somit auch die Überlegenheit gegenüber ihrer Beute«, erklärte Kodlak und schien nicht überzeugt, eher sogar abgestoßen von dem Gedanken zu sein. Zumindest besaßen seine Worte eine bittere Note, die sie von Innen zerfraßen und brüchig, spröde wirken ließen.
»Hm. Ich dachte, Du meintest die Jagd generell.«
»Oh … Verzeih das Missverständnis … Ändert sich Deine Antwort denn, nun da es ausgeräumt ist?«
Sie schwieg einen Augenblick lang. »Nein.«
»Das überrascht mich nicht.« Er legte ihr kurz seine Hand auf die Schulter, nahm sie jedoch schnell zurück, als wollte er sie nicht zu sehr bedrängen. »Danke. Mehr konnte ich nicht erwarten.« Dankbar, dass er das Thema fallen ließ, nickte sie und verlor sich in der Ferne. Sie hätte ihm sagen können, dass es das Gefühl der Kontrolle war, dass sie genoss – zu wissen, was sie tat, wohin sie ging und wozu sie fähig war. Das Gefühl ihres eigenen Glückes Schmied zu sein und natürlich auch die damit verbundene Überlegenheit, dass ihr niemand etwas vorschreiben konnte, sondern sie die Regeln bestimmte. Die Aufregung der Hatz, der Fokus und die Sorgenlosigkeit. In Wolfsform noch weit mehr denn als Mensch, wo sie doch ihre Triebe zu beherrschen vermochte und nach Jahren der Übung behaupten konnte, über sich selbst und ihr Schicksal zu verfügen. Die Stärke und Schnelligkeit, die besseren Sinne und die Immunität gegenüber Krankheiten … all das und vieles mehr waren weit mehr willkommene Nebeneffekte anstatt der Grund für ihre Treue zu Hircine und dem Wolfsblut. Wissend, dass er eine Aufgabe für sie haben würde, wenn sie sie brauchte – selbst nach dem Tod – und dass sie durch ihn irgendwann wohl wieder mir Darius vereint sein können würde, bescherten ihr Komfort und Wärme, die sonst unmöglich waren. Dass ihre Kontrolle während der Tage um Vollmond schwand und die Pein, die in der Woche davor und danach als treuster aller Begleiter zu ihr hielt, ließ sich kaum verleugnen, aber es schien ihr ein kleiner Preis zu sein.
Vesana wusste nicht, ob Kodlak das verstehen würde, erzählte sie es ihm. Versuchen wollte sie es jedoch auch nicht und so schwieg sie stattdessen. Der Alte tat es ihr gleich und genoss wohl ebenso das letzte Licht, bevor die letzte Ecke der Sonne hinter den Bergen verschwand, immer länger werdende Schatten werfend, die alsbald ihre Füße erreichten und bittere Kälte mit sich brachten. Gänsehaut auf den Armen und im Begriff zu zittern, wandte sie letztlich den Blick von den gepuderten Gipfeln ab und zu dem Herold der Gefährten. Seine weißgrauen Augen ruhten auf ihr, nachdenklich und abwesend. Es dauerte einen Moment, bevor sich der Graue gewahr zu werden schien, dass Vesa ihn anschaute. »Sollen wir zurückgehen?« Sie nickte. »Dann lass mich Dir aufhelfen.«
Schwerfällig und von leisem Stöhnen begleitet, als wären ihm die Glieder eingeschlafen, hievte er sich auf die Füße. »Sicher, dass nicht lieber ich Dir helfen sollte?«, stichelte sie und fing sich einen grimmig erhobenen Zeigefinger ein.
»Vorsicht, junges Fräulein, noch steckt genug Leben in diesen alten Knochen, um Hiebe zu verteilen!« Gleich darauf schmunzelte er und streckte ihr die Hand entgegen.
»Ich werde es mir merken«, bestätigte sie und kam schwankend zum Stehen. Es schien, als hätte sich ihr Kreislauf noch nicht völlig erholt und so brachte für einige Herzschläge lang kraftvoller Schwindel ihr Gleichgewicht aus der Balance.
»Wieder in Ordnung?«, fragte Kodlak, als sie die Augen öffnete und ihn anschaute.
»Ja, gehen wir.« Wenngleich das Hinabsteigen der Stufen im schwindenden Licht und zunehmender Kälte immer schwieriger und anstrengender wurde, lief es letztlich ohne Zwischenfall. »Gestatte Du mir noch eine Frage, bevor wir uns in illustre Gesellschaft begeben«, wandte sich die Kaiserliche an den kräftigen Mann, der sie noch immer stützte.
»Das wäre wohl nur gerecht, bitte.«
»Warum kannst Du die Jagd nicht genießen?«
Der Graue senkte das Kinn und schwieg einen Moment. »Ich schätze«, setzte er letztendlich an, »es sind verschiedene Gründe.« Völlig überrumpelt von der Antwort, obgleich sie nicht einmal wusste, was für eine sie erwartet hatte, lachte Vesana auf. Touché.
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Geändert von Bahaar (07.11.2014 um 04:44 Uhr)
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»Da seid ihr ja«, grüßte sie Vilkas im warmen, schummrigen Inneren Jorrvaskrs. Eine milde Note von Rauch füllte die Luft, der Duft gebratenen Fleisches schwang in ihr mit und lautes Stimmengewirr, das an der Tafel seinen Ursprung nahm, brandete über Vesana und Kodlak hinweg. Das befreundete Zirkelmitglied mit den dunkel umrandeten Augen, gekleidet in eine einfache, braune Tunika, winkte die beiden Neuankömmlinge zu sich und Farkas. An der Seite des Alten leistete die Kaiserliche humpelnd Folge und schaute sich derweil in der großen Halle um.
Es herrschte zwar nicht mehr Betrieb als sonst, aber die Stimmung schien ausgelassener zu sein. Unzweifelhaft mochte das wohl an dem von Tilma unter Hilfe von Vignar über dem Feuer gedrehten Ferkel liegen. Wo sonst der große Eintopfkessel baumelte, drehte sich der knusprig braungebratene Leib des kleinen Schweins. Irritiert zog Vesa eine Augenbraue hoch und schaute zu Kodlak, während er sie zum Tisch führte. »Gibt es etwas zu feiern?«
»Ria hat morgen Geburtstag und aus irgendeinem Grund fanden es die anderen unterhaltsamer rein- anstatt rauszufeiern«, erklärte der Graue. »Unter uns Kriegern ist ein neues Lebensjahr ja durchaus etwas Besonderes.« Sie nickte nur und schob damit direkt zur Seite, dass sie im Grunde genommen keinen der Geburtstage der anderen Gefährten kannte. Zumindest der einfachen Mitglieder und Welpen. Im Zirkel kannte sie sich besser aus, aber das spielte nun keine Rolle. Stattdessen bemühte sie sich um eine möglichst freundliche Miene, auch wenn es ihr reichlich schwer fiel nach dem schwermütigen Gespräch mit dem Herold.
»Schön Dich wieder auf den Beinen zu sehen«, empfing sie Vilkas flüsternd, als sie sich neben ihn in einen Stuhl sinken ließ.
»Danke.« Vesa schenkte ihm ein Lächeln und ließ sich Wasser in einen Becher gießen.
»Hab‘ gehört Du und Farkas wart heute Lastenesel für Eorlund?«
Der Nord lachte auf. »Ja, waren wir. Eorlund hat dieser Tage einiges zu tun, da wird das Eisen schnell knapp.«
»Hm. Ich hoffe er hat noch ein bisschen Stahl und Silber übrig, ich brauche immerhin ein neues Schwert.« Vilkas reichte ihr derweil ein Stück Brot und Käse. »Danke.«
»Für Dich hat er ganz sicher noch was.«
»Ja, werde ich morgen rausfinden. Bis dahin ist getrost noch Zeit.« Obgleich ihr Magen noch immer knurrte und rumorte, wirklich großen Appetit auf die Mahlzeit verspürte sie nicht. Das Schwein mochte köstlich duften, aber alles, was es bewirkte, war die Sehnsucht sich gehen zu lassen zu verstärken. Sie wollte frisches Fleisch, kein zerkochtes, verbranntes oder anderweitig ausgetrocknetes und matt gewordenes. Allein der Gedanke, die Fänge in ein noch schlagendes Herz zu vergraben … Nein, in diesem Moment durfte sie nicht daran denken. Dafür fiel ihr die große Sanduhr am langen Ende der Tafel in der Nähe von Ria auf, die erst vor kurzem umgedreht worden sein musste. Eine kleine Orientierungshilfe, um festzustellen, wann es endlich soweit war und richtig angestoßen werden musste. Reichlich lange würde es noch dauern, wenn sich das Befinden der Jägerin nicht bald verbesserte und das sollte wohl nur passieren können, wenn sie sich wenigstens ein paar Bissen des üppigen Angebots hineinzwang.
»He Vesa, wann übernimmst Du?« Es war Athis, der ihr von einigen Stühlen entfernt zu ihrer Rechten seine Worte hinüber warf.
»Mal schauen. Womöglich morgen.« Die Kaiserliche trank einen Schluck und biss vom mit Käse belegten Brot ab. Erst danach setzte sie fort. »Wird er Dir langsam zu anstrengend?«
»Pah«, entgegnete er bloß. Offenbar entpuppte sich das Blondchen als durchaus zäh. Sie schmunzelte.
Vilkas stupste sie von der Seite an und sie wandte ihm das Gesicht zu, Njadas spitzfindige Bemerkung auf Athis Wortlosigkeit hin nur noch am Rande registrierend. »Er hat’s satt, dass er ihn nicht kleinkriegt«, flüsterte er und lächelte spitz.
»Dachte ich mir schon.« Sie biss vom Brot ab und spülte es mit etwas Wasser hinab. Tilma und Vignar begannen unterdessen damit, das Ferkel zu zerlegen und Scheiben dampfenden Fleisches auf große Platten aus Messing zu schichten. Ein üppiges Festmahl verglichen mit den sonst üblichen Eintöpfen. Aber Vesa sprach es der zweiten Kaiserlichen in den Reihen der Gefährten, die verglichen mit der Jägerin noch nicht allzu lange Mitglied dieser war, keinesfalls ab. Sie hatte sich durchaus verdient gemacht, lernte schnell und bildete so etwas wie das tolerante, umgängliche Zentrum der Nicht-Zirkelmitglieder. Während Njada und Athis ständig miteinander rangelten, viele der ganz Neuen sich noch zierten oder ob ihrer zu ungestümen Art teilweise auch wieder abgestoßen wurden, schien Ria recht vernünftig und vor allem dankbar für ihre Aufnahme bei den Gefährten. Dass sie sich trotz ihrer Abstammung gut mit Vignar verstand, gab dann nur noch die Krönung.
Abgesehen davon freuten sich ohnehin alle darüber, mal etwas anderes auf dem Teller zu haben. Zumindest alle, die nicht gerade Hunger auf Rohkost verspürten. Trotz dessen nahm sich Vesana eine Scheibe vom Schwein – etwas anderes hätte auch sie als eher unhöflich empfunden. »Hm, also die Weststraße nach Falkenring und Markarth ist seit dem Verlust des Wachturms unsicherer geworden?«, nahm sie nach einer Weile des stillen Essens das Thema von Skjors und Aelas Auftrag auf.
»Scheint so, ja. Der Jarl hat einen Teil seiner Männer nach Flusswald geschickt, um das Gebiet dort abzusichern und ihm fehlen dafür jetzt hier Soldaten. Dass sich in dem Turm niemand mehr unterbringen lässt – schon gar nicht im aufkommenden Winter – macht es nur noch schwieriger, die Straße zu sichern«, erwiderte Vilkas daraufhin.
»Drachen sind definitiv ein größeres Problem als Banditen«, murrte Farkas, der an der anderen Seite seines Bruders saß.
»Hm. Das sind also keine Gerüchte?«
»Was auch immer die Leute außerhalb von Weißlauf reden, die Wachen die am Westturm waren und überlebt haben, sind vermutlich eine verlässige Quelle«, meinte Vilkas.
»Macht Sinn«, bestätigte Vesa. Sie hatte sich zum Zeitpunkt, als der Turm zerstört worden war, nicht in Weißlauf sondern auf ihrer Reise nach Solstheim befunden und erst nach ihrer Rückkehr wirklich davon erfahren – mit nicht gerade großem Glauben an die Wahrheit der Geschichte, musste sie einräumen. Vielleicht redeten die Leute auf den Straßen zur Abwechseln aber tatsächlich mal weniger Unsinn. Wenn sogar der Jarl ihnen – oder welchen Informationen auch immer – seinen Glauben schenkte, musste wohl vielleicht doch etwas Wahres an ihnen sein.
»Jedenfalls dürfte auf diesem Wege in Zukunft häufiger Arbeit für uns anfallen. Balgruuf braucht derzeit fähige Leute«, fügte der Nord an ihrer Seite noch an.
»Und die Nervosität des Bürgerkrieges schlägt sich auch auf ihn nieder«, mischte sich Kodlak mit düsteren Worten ein. Farkas und die anderen Beiden nickten lediglich zur Bestätigung. Keine einfachen Zeiten, um Jarl zu sein, das stand fest. »Aber lassen wir diese mürrischen Gedanken, wir trüben nur die Stimmung des Anlasses«, setzte der Herold mit deutlich heiterer Miene fort, wenngleich Vesa glaubte, einen Rest Trübsinn in seinen grauen Augen zu sehen. Ob der sich auf die politischen Entwicklungen oder doch vielmehr das Gespräch, das sie zuvor alleine miteinander hatten, richtete, wusste sie nicht zu sagen.
»Aye, stoßen wir an«, Farkas hob seinen von einer Schaumkrone gezierten Tonkrug. Der Rest der Anwesenden folgte der Aufforderung, als hätten sie sich untereinander gar nicht unterhalten sondern lediglich ihrem Gespräch gelauscht. Das stimmte zwar nicht, aber die meisten Krieger und Söldner ließen sich in der Regel nicht lange lumpen, wenn ein Humpen zum Tost erhoben wurde.
»Auf Ria, auch wenn es noch etwas Zeit ist«, schmunzelte Vilkas und ließ einen deutlichen Blick lange auf der Sanduhr verharren. Der Stimmung tat es keinen Abbruch und so ziemlich jeder nahm einen kräftigen Schluck seines Mets. Vesa, die nur ihren Becher mit Wasser vor sich stehen hatte, hielt sich dabei etwas zurück. Weder wollte sie etwas trinken, noch sah sie sich in der Lage das derbe Gebräu der Nordmänner wirklich zu genießen.
»Eine Frage noch«, wandte sich die Jägerin letztlich an die Zirkelmitglieder zu ihrer Linken. »Hat von uns hier überhaupt schon einmal jemand einen Drachen gesehen?« Sie beschrieb einen Kreis mit der Rechten, um auch den Rest der Gefährten in ihrer Frage mit einzuschließen.
Kurzes Schweigen hielt zwischen den Brüdern und Kodlak Einzug. »Nein, ich glaube nicht«, antwortete schließlich der Herold. »Nicht, dass es jemand gesagt hätte, zumindest.« Es war nicht so, dass Vesana den Nord nicht glauben wollte, wenn sie von Drachen sprachen, aber andererseits sträubten sich ihr die Nackenhaare beim Gedanken an fliegende Echsen. Vielleicht handelte es sich schlicht um die Idee, dass es plötzlich in den Lüften Kreaturen gab, die ihr gefährlich werden mochten, die ihr nicht gefiel und gegen die sich ihr Geist reflexartig wehrte. Oder womöglich weckte der Gedanke an Drachen auch tiefer liegende Ängste. Nicht zuletzt war ein Drache – wenn auch ein besonderer – das Symbol des Kaiserreichs, dessen Kernprovinz sie vor lagen Jahren den Rücken gekehrt hatte und die sie zu vergessen versuchte. Eine sicherlich sehr irrationale Analogie, das wusste sie, aber sie schien sich auch nicht wirklich dagegen wehren zu können.
Kaum merklich schüttelte sie den Kopf und versuchte die Überlegungen wenigstens vorrübergehend abzuschütteln. »Gibt es eigentlich Überreste des Drachens, der den Turm angegriffen hat?«
Abermals schwiegen die Männer zu ihrer Linken und sie biss derweil in ihr Brot und Fleisch. »Es soll nicht mehr viel übrig gewesen sein, nachdem der Drache erlegt war«, erklärte Vilkas.
»Wieso das?«
»Es hat mit einer alten Legende der Nord zu tun«, kam ihm Kodlak zu Hilfe. Für Vesa erledigte sich die Geschichte damit an dieser Stelle von selbst. Sie würde die Männer sicherlich nicht von ihrem Glauben abbringen können und beschloss, es somit auch gar nicht erst zu versuchen. Inzwischen wusste sie es besser, als sich mit dem sturen Nordvolk in derartiger Weise anzulegen.
»Nun gut … Dann lassen wir den Drachen ruhen und verrotten, wo er ist«, brach sie das Thema deutlich ab. Die anderen Zirkelmitglieder mussten ohne Zweifel wissen, dass die Kaiserliche ihren Ausführungen sehr skeptisch gesonnen war, aber auch sie hielten sich zurück. Zum Wohle des Abends, denn eine echte Diskussion würde sicherlich die Stimmung ruinieren, und weil sie es bei Vesa ähnlich schwer hätten, sie umzustimmen, wie diese bei ihnen.
»Gut, wer will noch mehr Met?«, fragte Farkas in die Runde und leerte, während er auf Antwort wartete, seinen Humpen mit in den Nacken gelegtem Kopf. Vilkas hielt seinem Bruder stillschweigend den eigenen Krug hin, als sich der weit kräftigere Nord erhob. »Vesa? Hätten auch Wein, falls das mehr Deinen Geschmack trifft.«
»Danke, aber passt. Ich trink zum Anstoßen dann was.«
»Wie Du meinst.«
Kurz schaute sie dem hochgeschossenen Mann nach, dann lenkte eine melodischere Stimme zu ihrer Rechten ihre Aufmerksamkeit auf sich. Vignar stimmte im ersten Moment nur summend ein Lied an. Brill stieg ein und kurz darauf erhoben die Beiden gemeinsam die tiefen Stimmen. Vesana kannte das Lied nicht, aber trotz der eher düsteren Tonlage entpuppte es sich als munterer im Text – wenn auch typisch für das Nordvolk. Met, Kampf, Ruhm und Ehre, und all das für Ria an diesem Abend. Die Jägerin beobachtete und lauschte nur, aber auch auf sie sprang wenigstens ein Funken der Heiterkeit über und so schmunzelte sie deutlich, klopfte sogar sacht mit auf den Tisch wie die anderen, als die Nord den letzten Ton verklingen ließen. Vielleicht würde die Zeit doch schneller vergehen, als befürchtet.
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Schwere, feuchte Luft und der Hauch von moosbedeckten, alten Steinen umgab Vesana, als sie erwachte. Halme von Stroh stachen ihr unsanft durch die dünne Wolldecke in die nackte Seite. Widerwillig, knurrend und gähnend drehte sie sich auf den Rücken und schlug zunächst schnell blinzelnd die Augen auf. Schwacher Lichtschein drang an den deckennahen Öffnungen im Steingewölbe der Tiefenschmiede hinein. Es schien nicht, als wäre es gerade erst früher Morgen, zu farblos wirkte das einfallende Licht, vielmehr als dämpfte es das Wetter außerhalb schon lange bevor es überhaupt auf Nirn traf.
Die Kaiserliche fühlte sich kaum erholt, zu kurz war ihre Jagd gewesen und zu lange hatte die Feier gedauert, bevor sie sich hatte von ihr zurückziehen können. Zwar beutereich, aber keinesfalls genug, um für die Versäumnisse der Tage zuvor auch nur annähernd als Ausgleich dienen zu können, war sie gezwungen gewesen im nahen Umfeld der Stadt zu jagen und sich mit Schweinen zu begnügen. Die heiß pochenden Kopfschmerzen plagten sie noch immer, wenngleich sich wenigstens zu Teilen ein Schleier über sie zu legen begann, während Vesa allmählich wacher wurde. Ihre Glieder fühlten sich bleiern an, schwer und ausgelaugt, aber in einer kruden Weise genoss sie es, wissend, dass die Morgenmüdigkeit bald aus ihnen weichen mochte.
Schwerfällig setzte sie sich auf, spürte die Muskelfasern im Bauch, das ziehen in den Seiten, als hätte sie sich am Tag zuvor beim Trainieren überanstrengt. Die kalte Luft, die ihr, nun da der Rücken entblößt war, über die Haut fuhr, linderte jedoch die stumpfe Pein. Aufkommendem Frösteln und Zittern zum Trotz schlug die Jägerin die Wolldecke, die über ihr gelegen hatte, vollends zur Seite und betrachtete für einen Moment ihren angeschlagenen Fuß. Lediglich eine schwache Rötung, kaum mehr als ein milder Sonnenbrand, zeugte von der ehemaligen Verletzung. Es sollte wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis ihre menschliche Regenerationskraft auch dieses letzte Bisschen der Verletzung behoben hatte. Dennoch im ersten Moment vorsichtig stand sie schließlich auf und nahm sich ihre langärmlige Tunika und die knöchelhohen Stiefel.
Die Wolldecken in Vorausahnung herbstlicher Temperaturen um die Schultern geschlungen, verließ Vesa die Tiefenschmiede. Heftige Windböen peitschten ihr ohne Warnung die eigenen Haare ins Gesicht, trieben Tränen in die unvorbereiteten Augen und umspielten ihre nackten Waden wie eisige Liebhaber. Nicht das schlimmste Wetter, das sie erlebt hatte, aber dann doch ein recht plötzlicher Wetterumschwung. Typisch für diese Jahreszeit, die ohnehin viel zu lange viel zu warm gewesen war. Widerwillig ließ sie sich vom Westwind hinter das Gildenhaus und somit in den etwas angenehmeren Windschatten treiben, bevor sie schließlich Jorrvaskr betrat und die Decken von den Schultern streifte. »Guten Morgen«, grüßte Farkas vom Tisch. Er bediente sich gerade noch an den Resten des Ferkels vom vergangenen Abend. »Hunger?«
»Nicht so richtig, aber danke.« Dennoch setzte sie sich neben ihn und ließ die Teile ihrer Nachtstatt über der Lehne eines anderen, freien Stuhls hängen.
»Wie geht’s dem Fuß?« Dass der bärige Nord in der Nacht zum Schluss völlig betrunken gewesen war und von seinem weit vernünftiger trinkenden Bruder mühsam in sein Zimmer geschleift werden musste, merkte ihm die Kaiserliche nicht mehr an. Vielleicht hatte er auch schon einen langen Spaziergang an der frischen Luft zum Ausnüchtern hinter sich. Wer wusste das schon so genau?
»Dem Fuß geht’s prima.«
»Also übernimmst Du die Ausbildung ab heute?«
»Wenn das Blondchen denn aufkreuzt, klar.«
»Oh, der wird auftauchen, keine Sorge.« Vesa schmunzelte. Sie hoffte es. Ein bisschen Bewegung würde auch ihr durchaus gut tun.
»Wie geht’s Deinem Kopf?«, hakte die Jägerin derweil nach und griff nach einem Krug mit Wasser.
Der kräftige Nord neben ihr winkte abfällig schnaufend ab. »Bestens. Was sonst?«
Anstatt darauf zu antworten, erhob sie sich mit einem gefüllten Tonbecher in der Hand und hätschelte Farkas mit der freien Linken durch das dichte Kopfhaar. Der Mann zuckte heftig zusammen und fluchte zischend. »Lügner«, spottete Vesa und schenkte ihm ein breites Schmunzeln, als er ihr schließlich das Gesicht zuwandte. Die freie Hand nun auf seiner muskulösen Schulter ruhend, leerte sie ihr Trinkgefäß und reichte es ihm. »Trink mehr Wasser.«
Er nahm ihr den Becher in einer ruckartigen Bewegung ab. »Ja, Mutter!«
Sie feixte. »Ich gehe mich für die Übungen heute umziehen. Wenn unser Blondchen auftaucht, sag ihm er soll auf der Terrasse auf mich warten.«
»Alles klar.«
»Gute Besserung.« Er nickte nur und sie überließ den verkaterten Nord sich selbst. Leichtfüßig kehrte sie auf ihr Zimmer zurück. Leichtes Summen im Bauch, die Vorfreude auf eine neue Aufgabe und vernünftige, sicherlich unterhaltsame Arbeit, trieb sie an. Es übertünchte sogar zu Teilen ihre dumpfen Kopfschmerzen und vertrieb den letzten Rest der Mattheit in ihren Gliedern. Zum ersten Mal seit Wochen – nein, Monaten – völlig gelassen, nahm sie sich eine braune, gefütterte Stoffhose, eine etwas dickere, langärmlige Tunika in hellerem Braun und ihre hohen Wildlederstiefel. Das Umkleiden dauerte nicht lange. Zum Schluss band sich Vesana nur noch ihren Gürtel um die Hüfte und zähmte die nach den langen Wochen auf Reisen inzwischen überwiegend brustlangen, oder etwas längeren, Haare in einen Pferdeschwanz.
So besser gegen das widrige Wetter über Weißlauf gerüstet, verschwand sie noch kurz in der Waffenkammer und schnappte sich zwei hölzerne Übungsschwerter mitsamt ledernen Scheiden. Eines zurrte sie auf dem Rücken fest, das andere nahm sie so in die Hand. Farkas saß noch immer am Tisch und setzte gerade den Tonkrug mit dem Wasser darin direkt an die Lippen und goss sich gar nicht erst in den kleineren Becher ein. Die Kaiserliche unterdrückte ein Lachen und schmunzelte lediglich, ohne ihn anzusprechen. Er bemerkte sie dennoch ob ihrer schwereren Schritte und des Knirschens ihrer vom Waschen vorrübergehend steifer gewordenen Stiefel. »So gefällst Du mir schon besser«, lächelte er ihr zu, wenngleich es noch eher gequält wirkte. »Olen wartet draußen auf Dich. Pünktlich der Kerl, muss man ihm lassen.«
Kurz darauf stand sie auch schon auf der Terrasse und erblickte den blonden Nord am oberen Ende der Treppe zum Übungsplatz. Er lehnte an dem Pfeiler, mit dem Rücken zu Jorrvaskr, und hielt die Arme wohl vor der Brust verschränkt. Als die dicke Holztür des Gildenhauses ins Schloss fiel, fuhr ein kräftiges Zucken durch seinen Leib und er drehte sich um. »Guten Morgen«, grüßte er und wirkte dabei ausgesprochen müde. Die letzten Tage des Übens mussten ihn ziemlich mitgenommen haben, das stand fest, aber die Tatsache, dass er noch immer hier aufkreuzte, sprach für seinen Willen.
»Guten Morgen«, erwiderte sie und kam auf ihn zu. Im Vorbeigehen, nur einen sehr kurzen Blick in seine von Ringen unterstrichenen Augen werfend, presste sie ihm das zweite Übungsschwert gegen den Leib bis er es festhielt und verließ anschließend die erhöht liegende Terrasse. »Ich nehme an, Athis hat inzwischen so einiges an Kraft- und Ausdauerübungen mit Dir durchgezogen?« Mitten auf dem Platz blieb sie stehen und wandte sich ihm zu. Noch unbeholfen band er sich die Holzwaffe an den Gürtel, dann folgte er mit langsamen Schritten.
»Ja, hat er«, entgegnete Olen und hielt in respektvollem Abstand inne. Immerhin diese Praktik, die vor Übungskämpfen abgehalten wurde, schien sich schon bei ihm eingeschliffen zu haben. Allerdings würden sie nicht kämpfen. Nicht, wenn sie es verhindern konnte, zumindest.
»Gut, gut. Geschicklichkeitsübungen?«
Der Nord überlegte kurz, schüttelte dann aber das Haupt, dass ihm der blonde, zurückgebundene Schopf links und rechts über die Schultern strich. »Nein.«
»Dann werden wir heute ein Spiel spielen.« Die Fragezeichen ließen sich deutlich auf seinem müden Gesicht ablesen. Die Augenbrauen hoch- und zusammengezogen schien es, als wollte er direkt nachfragen, was sie meinte, doch verkniff er es sich wohl im letzten Moment und schloss den leicht geöffneten Mund. Wenn es um ungeduldige, vorschnelle Nachfragen ging, konnte Athis durchaus sehr deutliche Lektionen erteilen. »Ich bin sicher, dass Du als Kind oft Fangen gespielt hast, oder nicht?« Olen nickte. »Das werden wir heute auch. Nur etwas anspruchsvoller für Körper und Köpfchen.« Die Hände auf dem Gesäß verschränkend, spielte sie dort mit der Spitze der Schwertscheide und näherte sich dem Nord. »Und ich würde sagen, Du wirst schnell sehen, worum es geht, während wir es spielen.«
Kein Lächeln, keine freundliche Geste. Stattdessen boxte sie ihm unvermittelt aus der Deckung ihrer Körperseite heraus kraftvoll gegen die Schulter. »Du bist dran.« Damit rannte sie auch schon los und vor dem völlig verdutzt dreinblickenden Olen davon. Es dauerte einige Herzschläge, bis er sich fasste, dann hörte sie seine schweren Schritte in einigem Abstand hinter sich.
Schnell umrundete sie das Gildenhaus bis zum Vordereingang, rannte an der Treppe zum Stadtinneren vorbei und kehrte nochmal auf den Platz hinter der Halle zurück. Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihr, dass sie Olen auf dem gewünschten Abstand hielt und spurtete dann mit Blick nach vorn weiter. Die kalte Luft brannte in den Lungen, die ersten dicken Schweißperlen bahnten sich ihren Weg aus ihrer Haut und heiß pochte das Herz in der Brust. Doch anstatt es als unangenehm zu empfinden, genoss sie die Anstrengung, wohl wissend, dass ihr trotz der langanhaltenden, schweren Verletzung noch immer die gesteigerte Ausdauer des Wolfes und des Zeichens der Fürstin innewohnten. Ein Vorteil, den Olen nicht kannte, aber das brauchte er auch nicht.
Die Treppe zur Himmelsschmiede kam in Sicht. Anstatt jedoch abermals nach links und somit in Richtung Haupteingang Jorrvaskrs abzubiegen, hielt Vesana direkt auf die Steinmauer zu, die das Gelände der Gefährten vom Rest der Stadt trennte. Ein beherzter Tritt gegen einen der groben Steine, die Hände schnell auf dem oberen Ende des Walls aufsetzend und sich mit den Fingern festkrallend, schwang sich die Kaiserliche über sie hinweg. Auf dem abschüssigen Gras dahinter kam sie trotz der feuchten Erde sicher auf die Füße und setzte ihren Weg fort. Ein schneller Tritt auf die zweite, niedrige Mauer am unteren Ende des Hanges und kurz darauf fand sie sich auch schon mitten auf dem Platz um den Güldengrünbaum wieder. Einen Moment verschnaufend, die Blicke der wenigen Menschen, die im stürmischen Wetter ihren Wegen nachgingen ignorierend, sah sie sich nach Olen um. Der blonde Schopf strahlte ihr noch von der höheren Mauer entgegen, wo sich der Mann gerade erst auf die Füße hinabließ und direkt ausrutschte.
Vesa verzog der Anblick die Mundwinkel zu einem süffisanten Schmunzeln. Stolpernd überwand ihr Auszubildender derweil die zweite Mauer und trat mit auf den Platz. Auf die Knie gestützt keuchte er sich vor ihr die Seele aus dem Leib, das Gesicht feuerrot vibrierte sein kompletter Leib. Auch sie atmete schwer und spürte selbst, dass sie zu lange derlei Übungen hatte missen müssen. Aber vor ihm durfte – und würde – sie dies nicht offen zeigen. »Das … ist … kein … ge- … rech- … tes … Spiel«, murrte er zwischen seinen Atemzügen.
Völlig ansatzlos trat sie auf ihn zu, hieb ihm anschließend das Schienbein von innen gegen ein Knie und noch in derselben Bewegung zückte sie das Holzschwert, das gleich darauf mit der flachen Seite gegen seine Stirn knallte. Schmerzerfüllt stöhnend fiel er nach hinten um. »In einem richtigen Kampf geht es nicht um Gerechtigkeit«, fuhr sie ihn an und verstaute ihre Waffe zurück auf dem Rücken. »Das einzige, das dort über Deinen Sieg oder Tod bestimmt, ist Dein Können. Deine Gegner werden sich alles zunutze machen, was sie in die Finger kriegen, um Dich zu bezwingen. Das Gelände kann Dein bester Freund oder Dein schlimmster Feind sein. Je sicherer Du es Dir zunutze machen kannst, desto höher stehen Deine Chancen auf den Sieg«, erklärte sie etwas milder, aber noch immer nachdrücklich. »Und je schneller Du das kapierst, desto besser für Dich.«
»Geschick mit dem Schwert hilft auch. Wann üben wir das?«, entgegnete er und setzte sich auf.
Vesana beugte sich näher zu ihm hinab. »Wie willst Du ein Schwert geschickt im Kampf schwingen, wenn Du bei jedem zweiten Schritt über Deine eigenen Füße stolperst?« Eine Augenbraue hochgezogen starrte sie ihn einen Moment lang schweigend an und beobachtete mit großem Genuss, wie die Worte in seine sich langsam weitenden Pupillen einsanken. Für die Dauer eines Blinzelns lächelte sie, dann wurde sie ernst und schlug ihm die geballte Faust gegen die andere Schulter. »Du bist noch immer dran.« Schnell, bevor er sich von der Überraschung erholen konnte, brachte sie sich auf Abstand und spurtete anschließend, wenn auch etwas langsamer als zuvor, tiefer in die Stadt hinein.
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Das Rennen setzte sich unverändert fort. Zwar gab Vesa Olen immer wieder die Möglichkeit aufzuschließen, aber sie war trotz ihrer geringeren Größe die eindeutig schnellere. Das lag nicht zuletzt an den Wegen, die sie einschlug. Egal ob an einer Treppe vorbei in die schmale Spalte zwischen einer Hauswand und dem Podest, zu dem die Stufen führten, nur um anschließend mit zwei, drei schnellen Schritten im Wechsel gegen den Holzbalken in der Seite des Hauses und den groben Steinen der künstlichen Erhöhung plötzlich auf dieser zu landen. Oder ob sie sich spielend über das steinerne Geländer einer Terrasse schwang und sich behände auf der anderen Seite hinabgleiten ließ. Der blonde Nord ließ sich so spielend abhängen und blieb oft fluchend zurück.
Gelegentlich spürte die Kaiserliche die ehemalige Verletzung im Fuß noch. Besonders dann, wenn sie unglücklich auftrat und den Knöchel etwas verdrehen musste oder heftig auf sehr unebenem Grund landete. Abgesehen davon jedoch schien sich ihr Körper schnell wieder an die Belastung anzupassen. Vielleicht war sie aber auch einfach besser darin geworden, das Meckern und Murren ihres Leibes auszublenden. Womöglich auch ein bisschen von Beidem Es spielte keine Rolle.
Ein schneller Blick über die Schulter verriet ihr, dass ihr Auszubildender etwas aufgeholt hatte. Gerade in der Nähe des einzigen Stadttores, etwas abseits hinter der alten Kriegsjungfer bremste sie binnen weniger Schritte zum Stillstand ab und zückte wie zu unregelmäßigen, vorherigen Anlässen das Übungsschwert. Olen kannte das Spiel bereits, doch war er noch immer zu langsam. Er versuchte, anstatt auszuweichen, weiterhin die eigene Waffe zu ziehen und ihren Hieb zu blocken – ein fataler Fehler, auf den sie ihn erst am Ende des Tages hinweisen würde, sollte er es bis dahin noch immer nicht verstanden haben. So umfasste seine Rechte gerade erst den Griff des Schwertes als ihre stumpfe Holzklinge seinen Oberarm traf und ihm danach hörbar die Luft aus den Lungen trieb. Jaulend wie ein getretener Hund stürzte er auf die nur spärlich mit Gras bewachsene, feuchte Erde nieder.
Seufzend verstaute Vesana ihre Waffe und setzte sich im Anschluss auf einen nahen, aus dem Boden ragenden Stein. Den triefenden Schweiß wischte sie sich wenigstens aus dem Gesicht und stützte das Kinn anschließend über die von der Anstrengung zitternden Finger auf die Beine. So harrte sie aus und beobachtete schwer atmend den sich windenden Nord. Er rang noch immer nach Luft, wobei es ihm bereits leichter fiel. Vielmehr schien es der zweifelsohne kräftigte Schmerz im Arm und in den Rippen zu sein, der ihn besonders plagte. Allerdings würde sich auch das bald geben.
»Verrate mir: Würdest Du lieber wieder mit Athis üben?«
Olen antwortete zunächst nicht und rollte sich stattdessen auf den Bauch. Als bestünden seine Glieder aus Blei stützte er sich auf die Knie hoch, harrte einen Moment mit den Händen gegen den Grund gepresst aus und richtete sich erst danach richtig auf, nur um gleich im Anschluss mit dem Gesäß auf die Fersen hinabzusinken. »Nein«, keuchte er und schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. Vesa rang es ein Lächeln ab, kein überraschtes, aber ein verstehendes.
»Dann sollten wir die Pause nicht allzu lang werden lassen.«
Das Blondchen nickte heftig und hob gleichzeitig beide Hände zur Beschwichtigung. »Einen … Moment … bitte.«
»Einen kurzen.«
»Gut … genug.« Inzwischen streckte Olen die Beine durch und setzte sich direkt auf die Erde. Aus seinen dunklen Augen heraus musterte er sie. »Vesana, richtig?«, wollte er nach einigen deutlichen Atemzügen wissen.
Zunächst verdutzt fiel ihr erst danach ein, dass sie sich nie selbst vorgestellt hatte – nicht, dass es etwas änderte, aber wenigstens erschien es ihr angebracht, das nachzuholen. »Ja.«
»Sehr … erfreut.«
Ruckartig stand sie auf und warf ihm einen ausdruckslosen Blick zu. »Die Pause scheint lange genug gewesen zu sein. Aufstehen.«
Augenrollend kam der Nord ihrer Aufforderung nach, doch da war sie schon wieder fort. Auch wenn es ihr selbst zunehmend schwerer fiel, die Geschwindigkeit zu halten und ihr gelegentlich die Sicht verschwamm, aufhören wollte sie gewiss nicht. Die in ihren Lungen tanzenden, glühenden Dolche verhinderten zwar immer mehr, festzustellen, ob sie tatsächlich Olen ausbildete oder womöglich doch eher sich selbst züchtigte, aber letztlich machte es keinen Unterschied, kam es doch auf dasselbe hinaus.
Die Menschen, die sich trotz des Windes und der kühler werdenden Luft auf den Straßen aufhielten, sprangen gelegentlich empört zur Seite und riefen ihnen kaum verständliche Flüche nach. An Vesana blitzten sie damit jedoch ab. Weder war es eine Seltenheit, noch störten sie mit ihrer Übung jemanden ernsthaft. Von den Hauptstraßen der Stadt hielten sie sich allemal weitestgehend fern. So blieb ihnen überhaupt erst richtig Raum. Dennoch bog die Jägerin vorrübergehend auf eine etwas längere, gerade Gasse ein und drosselte ihre Schrittfrequenz marginal, dass es dem sie verfolgenden Nord kaum auffallen dürfte, auch wenn er sie plötzlich schneller einzuholen begann. Einholen würde er sie ohnehin auf gerader Linie, sie half ihm nur etwas auf die Sprünge. Zwei weitere Lektionen standen für ihn auf dem Programm der Kaiserlichen.
Es dauerte auch nicht sehr lange, bis sie seine schweren, stampfenden Schritte direkt hinter sich wahrnahm und seinen heißen, feuchten Atem beinahe in ihrem Nacken zu spüren glaubte, während ihr langer Pferdeschwanz wild hin und her schlug als versuchte er ihn wegzufächern. Kurz darauf schlug ihr etwas kräftig gegen die linke Schulter und brachte sie ins Taumeln, provozierte ein Stolpern, das sie nur durch starkes Abbremsen unter Kontrolle bekam. Olen blickte im Rennen zu ihr hinüber, hielt jedoch nicht an und so drehte sich der Spieß das erste Mal um. Obwohl hierin gerade schon die erste Lektion für den Nord bestanden hatte, bezweifelte die Kaiserliche, dass er sie bemerkt hatte.
Ohne noch länger zu verharren nahm Vesa die Verfolgung auf. Zunächst spurtete sie hinter dem Nord her, allein aus Neugierde, welche Wege er einschlug, immerhin kannte er sich hier nicht aus – und genau darin würde seine letzte Lektion vor der Mittagspause bestehen. Anstatt ihm nach einem plötzlichen Haken direkt zu folgen spurtete sie gerade aus weiter. Zwei Häuser später – unmittelbar vor der inneren Stadtmauer, die die tieferliegenden Handelsviertel von den höheren trennte – schoss Olen aus der Gasse zwischen Haus und Wall hervor. Darum wissend, dass aus der Gasse, die der Nord genommen hatte, nur dieser Weg hinausführte, war die Kaiserliche vorbereitet und rechtzeitig ebenfalls dort angelangt. Das Holzschwert im Rennen gezückt hieb sie ihm tief gegen die Beine. Völlig überrumpelt und im Entsetzen schrie der Mann auf. Vom eigenen Schwung getrieben flog er einen Herzschlag lang durch die Luft bevor er dumpf auf dem harten Boden aus Erde und groben Pflastersteinen aufschlug.
Vesana taumelte selbst noch gegen die Stadtmauer, fing sich jedoch schnell. Keuchend lehnte sie sich gegen den feuchten Stein und verstauchte das Schwert in der Scheide. Tiefes, schmerzverzerrtes Stöhnen schwappte über das Pfeifen eisiger Böen zu ihren Ohren hinauf. Olen rollte sich zunächst auf den Rücken, dann auf die Seite, und rieb sich erst die deutlich aufgeschürften Unterarme und umklammerte anschließend die Beine. Gelegentlich wandelte sich sein klägliches Jammern zu langsamem Heulen. Etwas mitleiderregend sah er schon aus, wie er sich dort zu ihren Füßen im Dreck wandte – aber andererseits war er genau deswegen hier. Sollte er unter ihrer Anleitung nur ruhig noch unzählige Male mehr so daliegen. Besser jetzt als später mit der Spitze des Schwertes eines Banditen auf der Brust.
»Steh auf«, wies sie ihn an, als sich ihr Auszubildender allmählich beruhigte. Er spurte nicht sofort. »Steh auf!«, wiederholte sie nachdrücklicher und stieß sich von der inneren Stadtmauer ab. Träge robbte er zu dieser hinüber und nutzte die groben Steine und die Spalten zwischen ihnen, um sich hochzuziehen. Wankend kam er zum Stehen. Keine ernsthaften Verletzungen – wie erwartet, aber dennoch eine erleichternde Gewissheit und so atmete Vesa kurz durch.
»Scheiße … das tat richtig weh«, fluchte er.
»Lerne daraus«, konterte sie. »Und genau dafür gibt es jetzt erst einmal eine Pause.«
Kurz blieben sie voreinander stehen, er starrte sie unverhohlen an und schien in ihrem sicherlich angestrengten, schweißverklebten, aber ansonsten ausdruckslosen Gesicht nach Gefühlsregungen zu suchen. Sie würde ihm den Gefallen nicht schenken und ihm offen zeigen, dass sie sich fühlte als hätte ihr ein wütender Bauer seine Mistgabel durch die Brust gerammt. Ganz zu schweigen von den heiß in den Schläfen pulsierenden Adern, durch die ihr Herz unaufhörlich und in hohem Takt kochendes Blut presste. »Bis wann ist Pause?«, fragte Olen schließlich.
»Geh essen und trinken, ruhe Dich etwas am Feuer aus und komme dann zurück nach Jorrvaskr. Ich werde da sein«, erklärte Vesa. »Und denke über das bisher Geschehene nach. Wenn wir uns nachher wiedersehen, will ich wissen ob – und wenn was – Du daraus gelernt hast.«
»Außer, dass es zukünftig noch schmerzhafter werden könnte?«
Die Kaiserliche kommentierte es nicht, schüttelte nur kaum merklich mit dem Kopf, und ließ den Nord einfach stehen. Seine ironischen Kommentare würde sie ihm schon noch austreiben. Eigentlich hatte sie überlegt, ihm im Zweifel bei den Lehren aus dem heutigen Rennen auf die Sprünge zu helfen, aber vielleicht würde sie das noch einen Tag aufschieben und sehen, ob eine unkommentierte Wiederholung des Ganzen fruchtete. »Vermutlich nicht«, murmelte sie zu sich selbst und erklomm schwerfüßig die Stufen hinauf zur Halle der Gefährten.
Von der Kälte spürte sie zwar in diesen Momenten nichts, aber der Kontrast zum warmen Innern des Gildenhauses fiel dann auch ihr auf. Vilkas saß für sich am langen Tisch, Athis und Brill nebeneinander, aber am anderen Ende, und einige der anderen Mitglieder verteilten sich in die zwielichtigen Randbereiche der Halle – entweder allein oder in Paaren. Niemand schenkte der Kaiserlichen sonderlich Beachtung, als sie eintrat und sich anschließend gegen das dicke Holz der Pforte lehnte, um den pfeifenden, schneidenden Wind von draußen auszusperren. Im Vorbeigehen schnappte sie sich einen Apfel von einem Tablett, warf Athis, der sie zunächst gar nicht bemerkte, einen flüchtigen Blick zu und gesellte sich dann zu Vilkas.
»Wie schlägt er sich?«
»Im Moment frisst er noch reichlich Dreck, aber er ist starrköpfig wie alle Nord«, erwiderte Vesa und bis in die von der Lagerung inzwischen mehlig gewordene Frucht. Es störte sie nicht weiter, süß und verglichen mit den sonstigen Speisen Himmelsrands recht exotisch schmeckend genoss sie es. Lachend reichte ihr das befreundete Zirkelmitglied einen Krug mit Wasser.
»Er kneift also nicht?«, mischte sich unvermittelt der Dunmer vom langen Ende des Tisches in ihr Gespräch ein.
»Noch nicht, nein. Aber ich glaube ihm dämmert, dass ihm noch so manche schmerzhafte Lektion bevorsteht«, erklärte sie. »Einige davon vermutlich doppelt oder dreifach, wenn er sie weiterhin so großzügig übersieht.« Vilkas und Brill lachten leise auf, Athis schnaufte – was bei ihm wohl auch so etwas wie ein Lachen sein mochte. Sicher war sich die Jägerin nicht.
»Er wird’s schon überleben«, meinte Vilkas.
»Das mit Sicherheit.« Der Dunkelelf widmete sich nach ihren Worten dem Mittagessen und redete gelegentlich leise mit Brill. »Es fühlt sich gut an, wieder eine Aufgabe zu haben«, sprach Vesa gedämpft an den Nord an ihrer Seite gewandt.
»Ich kann’s mit einigermaßen vorstellen.« Er lächelte mild. »Freut mich, dass Du endlich richtig zurück bist.«
Sie erwiderte das Lächeln. »Mich auch.« Zwar wussten sie beide, dass nichts wie früher war, auch nie mehr sein würde, aber das zählte gerade nicht.
»Was hast Du heute mit dem Blondchen alles gemacht?«
»Fangen gespielt.«
Vilkas verzog das Gesicht als könne er den Schmerz, den Olen bislang wegen seiner Ausbilderin empfunden haben musste, mitfühlen. »Du bist wirklich nicht zimperlich.«
»Warum auch?«, konterte sie. Der Nord nickte still. »Ist ja nicht so, dass ich ihn zum Spaß ausbilde.«
»Wohl wahr. Er scheint ja auch robust zu sein.«
»Das ist er. Ich will ihm ja auch nichts brechen.«
Ihr Freund lachte leise. »Bist Du Dir da sicher?«
Gespielt nachdenklich legte sie die Linke ans Kinn und stierte kurz zur Decke hinauf. »Hmm … Vielleicht nicht vollkommen, aber ziemlich.« Fettes Grinsen trat auf Vilkas raue Lippen. Sie schmunzelte und bestrich sich endlich eine Scheibe Brot mit Blutwurst.
»Was wirst Du nach der Pause mit ihm anstellen?«
»Ich denke, für die Ausdauer und das Geschick mit den Füßen haben wir heute genug getan«, überlegte sie laut. »Gleichgewichtsübungen würden ihm sicherlich guttun. Aber das kommt etwas darauf an, in welcher Verfassung er sich befindet, wenn er hier aufschlägt.« Vilkas nickte lediglich und schenkte sich aus dem Krug Wasser ein.
»Wie geht’s Farkas?«, schwenkte Vesa auf ein anderes Thema um.
»Gut, denke ich. Zumindest prügelt er hinten kräftig auf eine Übungspuppe ein – ich glaube, das ist ein gutes Zeichen«, erwiderte der Nord und brachte Vesa zum Feixen. Typisch Farkas. Immer in Bewegung.
»Ja, ich glaube auch«, bestätigte sie und biss vom Brot ab. Im Hintergrund trat wieder jemand in die Halle der Gefährten ein. Davon ausgehend, dass es Olen sein musste, schaute sie gar nicht erst auf. Aber er war erstaunlich früh dran. »Wie man richtig trinkt, solltest Du Deinem Bru-«
»Oh, Scheiße«, unterbrach sie Vilkas. Alarmiert schaute sie erst zu ihm, bemerkte aber, dass es nichts mit ihm zu tun hatte und folgte anschließend seinem eingefrorenen Blick zum Haupteingang des Gildenhauses. Zwei Männer in schweren Plattenrüstungen und dem Wappen des Fürsten von Weißlauf auf einem über der Brust hängenden Banner standen dort. Lange, lederumwickelte Schwertgriffe ragten über ihre stählernen Schultern und hinter den von glänzenden Vollhelmen verhüllten Köpfen auf.
»Scheiße«, entfuhr es auch Vesa, als sich ihr Herz in die Kniekehlen verzog und die Eingeweide auf dem Weg unangenehm verwirbelte. Nicht einmal der empfundene Fausthieb in die Magengrube provozierte bei ihr noch eine Regung. »Nicht schon wieder.«
Einer der Gardisten aus der Drachenfeste nahm derweil seinen Helm ab und entblößte das selbst auf diese Entfernt gekerbt wirkende, harte Gesicht. Sie kannte es bereits, ebenso wie die bis auf die Wangen fallenden, graumelierten Haare und das glattrasierte Kinn. »Ich dachte, die Sache wäre erledigt gewesen?«, wunderte sich Vilkas und aus dem Augenwinkel heraus bemerkte Vesana, wie er ihr das Haupt zuwandte. Sie hielt die Augen starr auf die beiden Gardisten gerichtet.
»Das hatte ich gehofft.«
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Geändert von Bahaar (26.12.2014 um 08:33 Uhr)
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Waldläufer
Fürstentum Reach, Karthwasten -> Fürstentum Reach, Broken Tower Redoubt
„Seit ihr alle hier? Gut. Wurde auch langsam mal Zeit.“ Hrard wandte sich von der ihm unterstellten Truppe aus Kämpfern ab und deutete auf die Karte, die auf einem klapprigen Holztisch ausgebreitet lag, und um die sie alle versammelt standen. Hrard hielt die Karte mit einer Hand gut fest, da der Wind immer wieder an den Ecken des großen Lederfetzens zerrte, wie ein rotznäsiges kleiner Bengel, der versucht, einem anderen Kind ein Spielzeug wegzunehmen.
Stephanus' Mundwinkel zogen sich leicht nach unten. Schon an seiner Tonart konnte man abhören, dass Hrard nicht gerade bester Laune war.
Hier ist die Festung, das hier ist die Brücke.“ Damit meinte der Nord die uralte Burg Broken Tower Redoubt und die Brücke, die über den Karth führte. Beide waren auf der Karte mithilfe von Holzkohle durch zwei einfach gezeichnete Türmchen und zwei übereinander liegende Bögen gekennzeichnet.
„Soweit wir wissen, wurde Broken Tower direkt an einer Bergflanke erbaut. Zwei Türme, zwei oder drei Plateau-ähnliche Etagen. Und egal, wie wir es anstellen, ohne Bergsteigausrüstung werden wir sie wohl frontal stürmen müssen.“
„Sag, Hrard“, wunderte sich Cocius, „warum riskieren wir nochmal unsere Hälse, um dieses Ding einzunehmen?“
Der Nord blickte zu ihm auf. „Hat Soldin dir das nicht gesagt, als er dich hergeholt hat?“
Sowohl Cocius als auch Soldin Stahlzapfen schüttelten verneinend die Köpfe.
Hrard warf Soldin einen tadelnden Blick zu und sprach dann etwas lauter weiter.
"Okay. Diese Festung hier,“ er unterstrich seine Worte, indem er auf der Karte herumtippte, „Diese Festung liegt genau auf unserer Straße nach Hjaalmarsch. Der Vorhut zufolge ist sie nicht sehr stark bemannt. Menarven will aber, dass ein Trupp von Veteranen da rein geht und die Bude ausräumt. Er hat keine Lust darauf, dass die Abgeschworenen uns nachher flankieren oder uns in den Rücken fallen. Außerdem hat uns einer der Dorfbewohner erzählt, dass diese Wilden dort auf den Türmen des öfteren Rauchsignale versenden, wenn eine größere Gruppe die Straße oder die Festung passiert. Die Bergaffen wissen ohne Zweifel bereits von unserer Anwesenheit hier im Reach und in Karthwasten, ihre Kommunikation zu stören wäre aber ein Vorteil für uns alle.“
„Die Dorfbewohner?“ erkundigte Stephanus sich skeptisch, „Warum sollten die uns helfen? Wir sind für die doch nur irgendwelche Fremden Eindringlinge, die ihnen das Leben schwer machen.“
„Die Nords hier im Reach hassen die Riekmannen,“ erklärte Bodeado vorsichtig, und alle Gesichter wandten sich ihm zu. „Ich meine, sie stören den Handel und töten Reisende. Für die Dorfbewohner ist es doch nur gut, wenn wir auf ihren Straßen ein wenig aufräumen.“
Stephanus wiegte den Kopf hin und her. „Eigentlich hast du ja recht.“
Hrards Blickt wanderte zwischen Stephanus und Bodeado hin und her. „Seit ihr beiden dann mal fertig?“ Er fuhr dann mit der Lagebesprechung fort, ohne eine Antwort abzuwarten.
„Sie werden erwarten, dass wir über die Brücke kommen, und dort gibt es bestimmt ein paar Späher, die dann loslaufen, um ihre Freunde in der Burg zu warnen, damit die sich schon mal auf uns einstellen können. Die Vorhut sagt, sie habe zwei-drei Silhouetten auf der anderen Seite der Brücke gesehen, die sich sofort aus dem Staub gemacht haben, als unsere Leute sich daran gemacht haben, den Fluss zu überqueren. Etwas den Fluss hoch im Süden gibt es eine Furt, die wir nehmen werden, um auf das andere Ufer zu gelangen. Wir können dann über eine Reihe von Pässen die Burg so weit umgehen, dass wir die Straße hoch hinter der Festung rauskommen. Wir teilen uns zuvor auf der anderen Seite des Flusses auf, danach wartet die kleinere Gruppe um die zwanzig Minuten, schnappt sich die Brückenwächter, marschiert hoch zu den Broken Towers und zieht die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Der Rest von uns attackiert dann aus der anderen Richtung, und wir greifen uns danach die Festung. Noch Fragen?“
Harun meldete sich zu Worte: „Wie groß ist die Festung eigentlich im inneren? Geht sie in den Berg rein?“
Hrard zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Der Jarl in Markarth und seine Vorgänger haben die Burg schon lange vernachlässigt, und wir haben keine genauen Berichte. Scheiße, Menarven selbst hat als wir noch dort waren Markarth nach verlässlichen Karten und Grundrissen abgesucht, aber nichts gefunden.“
„Was ist mit Gefangenen?“ raunte Fleisch.
„Keine Gefangenen. Ihr könnt von mir aus mit ihnen machen, was ihr wollt, solange ihr sie am ende umlegt. Wir haben schon genügend Mäuler zu stopfen, und für diese verlausten Säcke würde sowieso niemand Lösegeld zahlen.“
Das zauberte ein unangenehm perverses Grinsen auf Fleischs Gesicht, das Stephanus hoffen ließ, niemals diesen Menschen im Kampf als Widersacher zu haben. Nicht, dass er nicht glaubte, in einem Kampf die Oberhand erringen zu können. Vielmehr war da das Risiko, den Kürzeren zu ziehen und dann diesem Monstrum ausgeliefert zu sein. Fleisch gönnte seinen Gegnern in der Regel keinen schnellen Tod, wenigstens wenn er es vermeiden konnte.
„Warum greifen wir nicht bei Nacht an?“ fragte Stephanus.
„Menarven will nicht so lange warten. Je schneller wir bei der Legion in Hjaalmarsch sind, desto eher bekommt er seine Bezahlung, und wir unseren Lohn.“
Der Kaiserliche nickte und fuhr sich nachdenklich mit der Hand durch den Bart. Ein paar Männer zu riskieren um somit Zeit zu sparen und schneller an sein Geld zu kommen, das sah dem Feldherren der Kompanie ähnlich.
„Natürlich geht es dem verdammten Dunkelelfen wieder nur um die Septime. Wie konnte ich das nur vergessen?“
„Gibt's noch was? Nein?“ Hrard blickte sich einmal in der Gruppe um und rollte dann die Karte mit seinen behandschuhten Händen zusammen. „Gut. Dann macht euch bereit. In zwanzig Minuten an der Straße, und bringt ein zweites Paar Socken mit. Heute werden ein paar Bergfrauen zu Witwen gemacht.“
Da waren sie nun, auf der westlichen Seite des Karth. Misstrauisch beäugte Stephanus den Fluss. Die Luft war erfüllt vom Getose der nahe gelegenen Wasserfälle, dass von dem Rauschen des Flusses begleitet wurde, und sie war auch schwanger mit Feuchtigkeit. Ebenso erfüllt war sie von einem Nebel aus winzigen Wassertröpfchen, der wie ein freigeistiges Gespenst zwischen den Bergen umher schwebte und sich nicht weit von den Kaskaden ins Nichts auflöste, aber nicht ohne sich leicht prickelnd auf jedem Stück freier Haut abzusetzen und bei ihr durch seine Frische die Erinnerung an Nieselregen zu wecken. Skyrim hatte eine wilde Schönheit an sich, die Stephanus schon immer bewundert hatte.
Hier und da konnte man Libellen durch die Luft sausen sehen, und über dem Flusstal glitten in großer Höhe vereinzelte Adler dahin und spähten in der Nähe des Flusses und der zerklüfteten Landschaft nach Beute. Der Fluss roch nach wildem, sauberem Wasser, ganz anders als der Strom, der durch die Stadt Markarth und Umland floss und die Gesamtheit an Exkrementen und anderem Unrat aus der ummauerten Ortschaft wegschaffte.
Nein, an der Stelle, an der die gerüstete Truppe jetzt stand, hatte sich der kleine Fluss aus Markarth bereits mit zwei weiteren Zuflüssen zum großen Karth vereinigt. Das glasklare Bergwasser überwog die Verunreinigung, den Makel der Zivilisation, und würde die kräftige Strömung die Oberfläche des Fließgewässers nicht so stark verzerren, so würde man an vielen Stellen sogar das steinige Flussbett sehen können, dem war sich Stephanus sicher.
„Da sollen wir rüber?“ fragte der bärtige Kaiserliche gerade laut genug, um die herabstürzenden Wassermassen in ihrer Umgebung zu übertönen. Sein Helm verdeckte dabei nicht nur den Rand seines Sichtfeldes, sondern selbst seine eigenen Worte klangen durch das Metall und das darunter liegende Leder gedämpft und hohl. Die Skepsis in seiner Stimme verriet jedoch ganz deutlich, für wie fragwürdig er die Zuverlässigkeit ihres Weges zur anderen Flussseite hielt.
Die „Furt“ bestand gerade mal aus einigen kleinen Inseln im Fluss, die miteinander und den beiden Böschungen durch fast an die Oberfläche ragende Felsformationen verbunden waren. Das war genau genommen schon genug, um diese Stelle als Furt zu bezeichnen – schließlich konnte man hier zu Fuß auf das andere Ufer hinübersetzen. Aber selbst mit bloßem Auge konnte man sehen, wie stark die Strömung das nasse Element über die steinige Untiefe schob.
Stephanus hatte schon oft genug gesehen, wie Mitstreiter bei Flussüberquerungen nach einem Fehltritt von Wasserströmen mitgerissen wurden, um dann durch das Gewicht ihrer Ausrüstung in ein unangenehm feuchtes und kaltes Grab gezogen zu werden. Wie es für ihn aussah, reichte es in diesem Falle bereits aus, mit den Füßen ein wenig den Halt zu verlieren, um sein Ende zu finden.
Allein der Gedanke daran, auf diese weise zu sterben, sorgte dafür, dass dem Kaiserlichen mehr als nur mulmig zumute wurde. Von den Wassermassen erdrückt zu werden, orientierungslos und ohne Hoffnung. Verzweifelt gegen die Fluten anzukämpfen, bis man den Drang zu Atmen nicht mehr unterdrücken konnte und sich die Lungen mit stechend kaltem Wasser füllten.
Soldin grunzte belustigt. „Hrard, ich glaube etwas stimmt mit dem Herrn Levinius nicht. Wir sind noch nicht mal im Wasser, und er hat schon kalte Füße!“
Dem Kaiserlichen stand es nicht danach, jetzt einen Streit anzufangen, also antwortete er nur mit einem kurzen und müden „Halt die Klappe.“
„Stellt euch auf,“ befahl Hrard dann, der dem Geplänkel zwischen Stephanus und Soldin offenkundig keine Beachtung schenkte. „Bodeado, Sylaen. Bereitet eure Bögen vor und deckt uns von dieser Seite. Ich gehe vor, der Rest folgt mir. Levinius, Meum-Te, ihr seid genau hinter mir. Sobald wir drüben sind, bereitet eure Bögen vor und haltet Wache. Jungeiche, Bärenpelz, Harun, Berend,“ rief Hrard dann. „Lauft vor zur Brücke und tötet die Späher. Der Weg an Festung der Festung vorbei verläuft durch ein kleines Tal in der Seite des Berges. Wir werden am Rand davon auf euer Signal warten, während Spurius, Levinius und Sylaen schon mal einen kleinen Blick auf die scheiß Burg werfen. Los jetzt.“
Die Kämpfer setzten sich in Bewegung, nachdem Hrard einem der Männer der sich jetzt vom restlichen Tross abspaltenden Gruppe ein Horn in die Hände gedrückt hatte, ein eindringliches „dreißig Minuten“ auf den Lippen, und Stephanus konnte beim Anblick des reißenden Flusses nicht anders, als in seinen Gedanken ein kleines Stoßgebet an die Neun zu richten.
Wenngleich seine Füße kalt und nass waren, so war Stephanus bei der Überquerung des Karth nichts weiter zugestoßen, und auch nicht seinen Mitstreitern. Unter der Deckung von einigen Kameraden wechselten die Söldner nun eilig ihre Socken, und wrangen die durchnässten Strümpfe aus.
„In diesem Zustand sind sie nichts weiter, als Krankheiten anziehende, kräftezehrende Lumpen,“ dachte sich Stephanus, während er mit bleich werdenden, zittrigen, etwas tauben und kalten Händen kraft auf seine zusammen gedrehten Socken ausübte und darauf wartete, bis kein Wasser mehr aus ihnen hervortrat. „Feuchte Füße töten Armeen,“ hieß es in einem Sprichwort, und Stephanus' Meinung nach war es ein sehr gutes, das sich ganz schnell bewahrheiten konnte, wenn man es nicht beachtete.
Schritt für Schritt hatten sich die Heuerlinge durch die Strömung des Karth gekämpft. Zunächst hatte der frische Fluss Stephanus' Füße nur umspült, aber je näher sie der Mitte zwischen zwei der kleinen Felsbrocken und Möchtegern-Inseln kamen, desto tiefer wurde auch das Wasser. Stellenweise waren seine Beine weit genug unter die Oberfläche getaucht gewesen, um seine Stiefel in verdammte Eimer wider Willen zu verwandeln. Als erstes hatte die Kälte auf der Haut gebrannt, währenddessen sich seine Strümpfe wie Schwämme gierig mit dem eisigen Nass vollgesogen hatten. Anschließend hatte die schmerzhafte Taubheit eingesetzt, und seine Füße hatten damit begonnen, sich wie dumpfe, kalte Säcke voller Sand anzufühlen, und gerade jetzt machte es der Wind im Flusstal nicht viel erträglicher. Der Karth würde sie vielleicht passieren lassen, aber er machte ihnen ganz klar, wer hier eigentlich die Naturgewalt war, und dass sie ihm auch in Zukunft gefälligst Respekt erweisen sollten.
Kurz nachdem sie den Fluss wieder verlassen hatten und das Gebiet um sie herum durch nachfolgende Kumpanen gesichert war, hatte der Kaiserliche seine Stiefel ausgezogen und das Wasser wieder in den Karth gekippt, derweil seine bleichen Quadratlatschen stark zitternd ihren Tastsinn zurückgewannen und seine Haut von einem nervigen Kribbeln geplagt wurde, dass sich wie tausende von winzigen Nadelstichen anfühlte.
Nun hatte er seine Socken so gut es ging ausgequetscht, und schnell stopfte er die noch recht Feuchten Fußwärmer in einen der Lederbeutel, die an seinem Gurt befestigt waren. Normalerweise bewahrte er in ihnen kleine Streifen Dörrfleisch, Heilsalben und anderen nützlichen Krimskrams (wie zum Beispiel Ersatzsocken) auf, doch diesen einen Beutel hatte er vor dem Ausrücken geleert, und auch sonst erlaubte ihm die relative Nähe zum Lager, bei der Wahl seiner Ausrüstung andere Prioritäten zu setzen.
Beim Stundenlangen marschieren konnte der kleinste Kilo Zeugs, denn man nicht mitschleppen musste, ein wahrer Hochgenuss sein. Jetzt musste er sich darüber keine Gedanken machen, er konnte einfach seinen Bogen und einen Überschuss an Pfeilen mitbringen. Bodeado hatte sogar ein langes Seil mitgenommen. „Man weiß ja nie, wann man ein Seil gebrauchen kann. Man will schließlich nicht vergammeln, in irgendeinem Loch gefangen, oder?“, war die Erklärung gewesen.
Hier saßen sie nun im Schatten, denn die Sonne wurde von den Höhen, an dessen Fuß sie sich befanden, verdeckt. Es schien so, dass man sich immer am Fuße irgendeines Berges wiederfand, wenn man im Reach unterwegs war.
Danach kam der Befehl zum weiterziehen, denn sie hatten einen straffen Zeitplan einzuhalten.
„Du weißt doch, dass Kaiserliche für ihre geschickten Zungen bekannt sind,“ flüsterte Cocius vielsagend, und Sylaen entgegnete dem mit einem verspielten Kichern.
„Halts Maul, Spurius,“ presste Stephanus zwischen den Zähnen hervor, ohne sich zu ihm oder zu Sylaen umzudrehen, während sich seine Stirn in Falten legte. Er musste die Festung im Auge behalten. Von diesen zwei Idioten durfte er sich nicht ablenken lassen.
Vor und kurz nach der waghalsigen Flussüberquerung war er zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um sich darüber zu ärgern, dass Hrard ihn zusammen mit diesen beiden Witzfiguren zum voraus spähen losgeschickt hatte.
Sylaen war auf gefährliche Weise geisteskrank, und Cocius Spurius ein kurzsichtiger und ungeduldiger Idiot. Diese zwei Klötze, die jetzt an Stephanus' Bein hingen, hatten nach der letzten Schlacht, die sie in Hochfels geschlagen haben, zwei gefallene Mitglieder von Hrards Einheit ersetzt. Der Kaiserliche hatte die beiden kaum gekannt – eine Rothwardonin mit schiefen Zähnen und eine pockennarbige Nord.
Sie waren nicht die schönsten Vertreter ihrer Völker, dennoch hatten sich seine beiden verblichenen Gefährten wenigstens professionell verhalten. Sowohl Sylaen als auch Cocius hatten noch den Makel der jugendlichen Unerfahrenheit und Ungeduld an sich, wobei bei Sylaen der mörderische Schwachsinn noch hinzu kam. Aus diesem Grund hatte Hrard wohl Stephanus mitgeschickt. Er sollte darauf aufpassen, dass die beiden Jungspunde nicht alles verdarben. Warum er nicht einfach drei Leute mit Erfahrung im Kundschaften vorgeschickt hatte blieb dem Kaiserlichen ein Rätsel. Hrard hatte ihm zuvor ebenfalls ein kleines Horn mit eiserner Kette gegeben und ihm gesagt, er solle Bescheid geben, sollte irgendetwas nicht in Ordnung sein. Hrard liebte diese kleinen Hörner, wohl wegen der einfachen Kommunikation über längere Entfernung, die sie ermöglichten.
Jetzt gerade verbargen sie sich hinter einem größeren Felsbrocken auf einer kleinen Anhöhe. Die Festung lag in einem schmalen Tal und schmiegte sich, wie Hrard es zuvor erwähnt hatte, an die Seite des Berges.
Von ihrer Position aus konnten die drei einen guten Blick auf den Eingangsbereich des steinernen Bollwerks werfen, ohne, dass die Gefahr selbst erspäht zu werden sehr groß war.
Stephanus sah gerade einmal drei Personen, die angespannt in der Nähe einer dunklen und abgenutzt aussehenden Holztür herumlungerten. Sie alle waren in zerfranste und abgetragene Tierfelle gekleidet und trugen primitive Waffen, gefertigt aus Stein, Holz und Knochen.
„Und dann wundern diese Leute sich, wie die Nords es je geschafft haben, sie zu vertreiben.“ dache der Kaiserliche sich mit einem Kopfschütteln.
Die Tür, die die Abgeschworenen bewachten diente wohl als einer der Eingänge zum Interior des Gemäuers. Zusätzlich erblickte er auf einem der beiden rundem Türme der Festung einen Kopf, der ab und an zwischen den Zinnen hervorlugte und in Richtung Fluss spähte. Dann war da noch ein Bogenschütze, der auf einem der Plateaus patrouillierte.
Diese Plateaus boten viel Platz, wie es schien, denn die Abgeschworenen hatten hier und da ein Zelt auf ihnen aufgeschlagen.
Die drei Söldner würde diese - so glaubte Stephanus erkennen zu können – unsicher und nervös dreinblickende Gestalt wohl nur aus dem Augenwinkel sehen, wenn überhaupt.
„Seht ihr den Rotschopf da?“ fragte Cocius Spurius, wobei er sich flach gegen den Felsen drückte und über den Rand hinweg lugte.
Stephanus konnte die rothaarige Frau durchaus sehen. Sie gehörte zu dem Trio vor dem Eingang und trug einen provisorischen Helm gemacht aus einem Tierschädel, der ihren Kopf nur schwerlich schützte. Ihre fettigen Haare waren Schulterlang, und selbst aus ihrem Versteck aus konnten die Heuerlinge deutlich ausmachen, dass sie ein recht attraktives, wenn auch verdrecktes Gesicht besaß.
Cocius wartete die Antwort seiner beiden Mitstreiter nicht ab. „Die gehört mir. Also Finger weg.“
Stephanus' Stirn legte sich noch tiefer in Falten. Er hatte aufgeschnappt, dass Cocius auf der Flucht vor seiner Hinrichtung ins Rekrutierungszelt der kleinen Söldnerarmee geraten war, und wofür er hingerichtet werden sollte, war nun auch kein Geheimnis mehr.
„Ich dachte, ich wäre die Einzige für dich,“ sagte Sylaen mit gespieltem Entsetzen.
„Bei Stendarr, haltet endlich die Schnauze, ihr beiden!“
Der Abstand zwischen ihrem Versteck und ihren Feinden war zwar nicht sehr klein, dennoch wusste der Kaiserliche aus Erfahrung, wie unberechenbar sich Schall vor allem in steinigen Gebirgen wie diesem hier verhalten konnte. Das letzte, dass sie noch brauchten, war eine alarmierte, verrammelte Festung voller wütender Bergleute, die von den Türmen herab mit Pfeilen schossen und mit Steinen nach ihnen warfen.
„Okay... Zurückfallen. Die anderen sind bestimmt schon von der Brücke zurück.“
„Was, damit einer von diesen klobigen Schweinekinder oder Talosfatzken mir diese vom Feuer geküsste Schönheit unter der Nase wegschnappen kann, oder sie sogar umbringt? Wir sind zu dritt, die sind zu dritt. Wir sind besser ausgerüstet!“
Cocius sprang auf, und als Stephanus versuchte, nach ihm zu greifen und ihn verfehlte, zog der jüngere der beiden Kaiserlichen sein Schwert, während er aufrecht einfach geradeaus auf die Festung zulief.
Stephanus fluchte und griff nach seinem Bogen. „Sylaen, lauf und geb Hrard bescheid!“
„Und ich soll den ganzen Spaß verpassen? Hah, niemals!“ Auch sie griff nach ihrem Bogen und legte im Laufen einen Pfeil auf.
„Molag Bal, verfluchter,“ rief der Kaiserliche, als er nach dem Horn griff und kräftig hinein pustete.
Sofort echote der tiefe Klang des Instruments durch die Berge, während duch Stephanus' Kopf nur ein Gedanke widerhallte:
„Ich werde ihn umbringen. Ich werde diesen rotznäsigen kleinen Bastard umbringen.“
Er sprang auf, zückte seinen Bogen und hastete hinter seinen beiden Mitstreitern her. Eigentlich hätte er einfach auf den Rest von ihrem Trupp warten können und die beiden verrecken lassen – sein Schaden wäre es nicht gewesen – aber er würde wohl versuchen müssen, Schadensbegrenzung zu betreiben. Vielleicht würden sie es zu dritt noch hinbekommen, zu verhindern, dass jemand die Eingangstore verriegelte.
Geändert von Kampfkatze2 (14.07.2015 um 23:57 Uhr)
Grund: Vorweihnachtliches Fontageddon
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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»Vesana Calvianus«, sprach der von unzähligen Kämpfen gezeichnete Gardist und durchbrach unsanft die Ruhe der Gildenhalle. »Eure Präsenz wird gewünscht.«
Tonlos stand die Kaiserliche auf und überließ Vilkas ihr Übungsschwert. Zähneknirschend, plötzlich federleicht in der Magengrube, umrundete sie die große Tafel und näherte sich den nahe dem Haupteingang stehen gebliebenen Wachen. »Um was geht es diesmal?«, verlangte sie zu wissen und fixierte das Gesicht des helmlosen Gerüsteten. »Oder könnt Ihr mir dies abermals nicht mitteilen?«
»Ihr sagt’s. Bereitet uns keine Umstände und Ihr mögt bald wieder hierher zurückkehren können.« Sie blieb ihm eine Antwort schuldig und folgte, als ihr Geleit Jorrvaskr verließ. Zum zweiten Mal binnen einer Woche wurde sie nun also vorgeführt wie eine Kriminelle. Voll Wut und Zorn ballten sich ihr die Hände zu Fäusten, als die Jägerin sie in den Rücken legte. Es stand außer Frage, dass Hrothluf – oder besser Trargolf – erneuten Anlass für ihre Vorladung bot und der bloße Gedanke an seinen Namen ließ ein nur mühsam zurückgehaltenes Knurren in ihrer Kehle aufsteigen. Wenn er nicht bald am Strick baumelte oder ihm ein schlimmeres Schicksal zuteilwurde, Vesa würde ihm nur allzu gern auf die Sprünge helfen. Sollte er im Rausch von seiner eigenen Schmuggelware von einer Klippe in den Abgrund stürzen und von wildem Getier in alle Richtungen zerrissen werden, sie würde es mit Freude beobachten.
Doch dafür bot sich bisweilen noch keine Gelegenheit und es stand ohnehin abzuwarten, welche Äußerungen dieses Bastards ihrer Anwesenheit zur Klärung bedurften. Wenigstens das sollte sich jedoch früh genug offenbaren. Inzwischen bereits am Verlies der Drachenfeste angekommen, öffnete der zweite, stumme Gerüstete die dicke Holzpforte, während ihr der Helmlose gebot einzutreten. Knarrend und krachend schlug die Tür ins Schloss und sperrte sie im flackernden Halbdunkel des Kerkers ein, umgeben von feuchtem Moder und dem flüsternden Wehklagen eingepferchter Verbrecher aus den fernen Enden der Gewölbe. »Hier entlang«, forderte der Anführer ihres Empfangskomitees und bedeute der Kaiserlichen ihm zu folgen. Den Weg kannte sie bereits, hatte er sich doch bei ihrem ersten Besuch mit der Glut heißer Wut bereits zur Genüge in ihr Gedächtnis gebrannt.
Wenig später erreichten sie den Verhörraum, in dem auch schon die erste Konfrontation mit Hrothluf und Elgryr stattgefunden hatte. Kurzes Klopfen und ein dumpfes Brummen aus dem Innern später, trat ihre kleine Gruppe ein. Der Justiziar saß genau an derselben Stelle, wie auch schon eine Woche zuvor. Seine kurzen, dunkelblonden Haare lagen mit Fett zur Seite gestrichen eng am schneidigen Kopf, die Haut wirkte gepflegt, rein und glänzte im flackernden Schein der Wandleuchter als bräuchte er sich nie rasieren. Eine smaragdgrüne, seidige Tunika hüllte seine schlanke Statur ein, goldene Stickmuster entlang der Ränder rundeten die prunkvolle Erscheinung ab. Den Rest verbarg der schwere Holztisch.
Doch es reichte, um bei Vesana unangenehme Erinnerungen vom letzten Zusammentreffen und überwältigende Abscheu gegenüber seiner scheinheiligen, überbordenden Erscheinung hervorzurufen. Erst danach streiften die Augen der Kaiserlichen die Umgebung ab. Vier weitere Gerüstete standen in den dunklen Eckend es Raumes und abgesehen von Elgryr saßen zwei weitere Personen am Tisch. Eine von ihnen war, wie vermutet, Hrothluf – inzwischen deutlich heruntergekommen, magerer und verdreckt bis zu den Haarwurzeln. Ein wenigstens vorrübergehend befriedigender Anblick, der ihr ein kurzes Zucken im Mundwinkel bescherte bevor die dritte Person am Tisch ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
Im Halbdunkel zunächst unsicher, bestätigte sich nach schnellem Blinzeln Vesanas Vermutung: Es war Arcadia, die dort in abgetragener, langer Tunika und brauner Schürze saß. Die Finger ineinander verschränkt und nervös mit den Daumen ringend blickte die magere, von zahlreichen Falten im Gesicht gezierte Alchemistin auf. Die Jägerin zog in Verblüffung eine Augenbraue hoch.
»Willkommen. Setzt Euch«, durchschnitt unvermittelt Elgryrs eiskalte Stimme das Schweigen, das sich wie ein Spinnennetz zwischen den Anwesenden aufgespannt und sie festgehalten hatte. Wortlos folgte die Kaiserliche der Aufforderung und nahm Platz. Wie auch bei ihrem letzten Zusammentreffen breitete der Justiziar vor sich eine leere Pergamentrolle aus und tunkte seinen Federkiel ins Tintenfass. Diesmal saß sie jedoch nicht Hrothluf, sondern dem Verhörmeister gegenüber. »Ihr kennt die Anwesenden?« Der blonde, für sein Volk viel zu schwach gebaute Nord fixierte Vesana, die klaren, graublauen Augen schimmerten wie Edelsteine vor der Flamme einer Kerze, als er sie musterte und die ringbesetzten Hände ineinander faltete.
»Ich kenne Hrothluf, wie Ihr wisst«, antwortete sie wahrheitsgemäß ohne den Abschaum zu ihrer Linken eines Blickes zu würdigen. »Und ich kenne Arcadia«, setzte sie fort während ihre Augen zu dieser hinüberwanderten. »Sie ist die örtliche Alchemistin.«
»Hmhmm.« Elgryr nahm sich seine Feder und kritzelte etwas auf das Pergament und wie ein nervöses Kind ertappte sich Vesa dabei, wie sie mit den Füßen zu Wippen begann. Der messerscharfe Gesetzeshüter verunsicherte sie, ließ sie sich fühlen, als wäre sie tatsächlich schuldig und nackt. »Arcadia. Kennt Ihr diese Frau?«
Die Angesprochene zuckte heftig, als erwachte sie aus einer Art Trance. »Ja«, entgegnete sie in seidendünnem Ton und verfiel danach in erneutes Schweigen. Der Jägerin zogen sich die Eingeweide schmerzhaft zusammen und beinahe hätte sie sich murrend vorgebeugt, um das Ziehen in der Bauchdecke zu vertreiben. Aber genau das lenkte sie immerhin vom anschwellenden Hämmern in den Schläfen ab.
»Woher kennt Ihr sie?«, hakte der Justiziar ungerührt nach.
»Sie …«, Arcadia schluckte, »Sie gehört zu den Gefährten und kau- … kauft gelegentlich bei mir ein«, erläuterte die Alchemistin. Es ließ sich kaum übersehen, dass die Situation der Ladenbesitzerin bereits bis in die Knochen gedrungen war und in Vesana sank allmählich ein völlig gegenstandsloses Unbehagen ein, das der formlosen Furcht in der Finsternis des Tunnels im Hügelgrab beängstigend nahe kam. Mühevoll zog sie die Zehen in den Stiefeln an, als könnte sie sich so im Boden festkrallen und das Wippen und Scharren unterbinden. Vergebens.
Im Augenwinkel beobachtete Vesa ab und an Hrothluf, doch der krümmte sich nur und blickte geistesabwesend auf die Tischplatte. Entweder es gehörte zu seinem Spiel dazu, oder aber die Tage im feuchten, dunklen Kerker machten ihm wahrhaft zu schaffen. Vermutlich ein wenig von Beidem, denn ohne irgendeine neue Geschichte des rothaarigen Nord müsste sie sich wohl gar nicht erst mit ihm hier befassen.
»Was kauft sie ein und wie oft tut sie das?«, wollte der Justiziar unterdessen wissen und hob das Kinn, um der Alchemistin ins Antlitz zu sehen. Was für ein hochnäsiger Bastard, wie er mit einer bloßen Geste und emotionslosen Worten andere völlig aus der Balance bringen konnte. Auf der einen Seite musste Vesana ihm zugestehen, dass es sicherlich sehr praktisch war, andererseits verachtete sie ihn dafür und fürchtete ihn gleichermaßen.
»Kleinere Mengen an Zutaten … für Tränke und Salben, und manchmal auch gleich fertige Tränke«, erklärte Arcadia. »Zur Wundheilung«, setzte sie schnell nach, wohl um die möglichen Verwendungszwecke der gekauften Zutaten wissend.
»Wie oft kauft sie bei Euch ein?«
Die Ladenbesitzerin kam abermals ins Stocken und ihr Blick verlor sich irgendwo im Dunkel. »Nicht sehr oft«, antwortete sie letztlich. »Ein-, vielleicht zweimal im Monat.« Vesa atmete leise durch. Trotz dessen, dass die zweite Kaiserliche am Tisch vom Stress der Situation erheblich zitterte, schien sie ihre Erinnerungen gut im Griff zu haben. »Obwohl in letzter Zeit … also … vor etwa einer Woche war sie wieder bei mir«, redete sie unverhofft weiter, in hohem Takt zwischen schnellen und langsamer Sprechweise wechselnd. »Davor habe ich sie lange nicht gesehen.«
Das schien Elgryrs Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er lehnte sich ein Stück vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Die Hände ineinander gelegt tippte er sich mit dem Zeigefinger in die Mulde am glattrasierten Kinn. »Wie lange?« Obwohl die Alchemistin nichts unwahres erzählte, fühlte sich Vesana ertappt als wäre sie irgendein dreister Dieb. Sie wusste nicht, worauf der Justiziar hinauswollte oder was hinter seinem ausdruckslosen, spitzen Gesicht für perfide Gedanken einander jagten. Aber die Tatsache, dass sich das Verhör gerade nur um sie drehte und augenscheinlich schon eine Weile vor ihrer Ankunft begonnen haben musste, gefiel der Jägerin überhaupt nicht. Erst als sich ihre Fingernägel schmerzhaft in die Handrücken drückten, merkte sie wie verkrampft ihre Hände sich aneinander krallten.
»Bestimmt zwei Monate nicht. Vielleicht auch drei?«
»Hmhmm.« Der Nord schrieb etwas nieder. »Trargolf«, sprach er anschließend lauter, hob den Kopf und schaute den rothaarigen, zerzausten Nord an während er ohne hinzusehen den Federkiel ins Fässchen einfädelte. Der Angesprochene zuckte und hob seinerseits das Haupt. Tiefe Ringe zierten seine eingetrübten Augen, getrockneter Speichel verklebte den Bart an den Mundwinkeln. Eine kümmerliche Erscheinung, die die kühle Feuchtigkeit des Kerkers selbst im wärmeren Ambiente des Verhörraumes nicht gänzlich aus den Knochen zu vertreiben mochte. Die schmutzigen Finger der in Eisen geschlagenen Hände zitterten. »Erklärt nochmals, worin Eure Verbindung zu diesen Frauen besteht.«
Hrothluf atmete tief durch, dann ließ er die Augen über Arcadia zu Vesana schweifen. Auf ihr ruhend klärten sie sich plötzlich auf und funkelten mehr listig und abschätzig, als sich im Trübsinn eines gebrochenen Mannes zu verlieren. Er war – das stand außer Frage – noch nicht fertig mit Vesana. Was auch immer er sich dieses Mal ausgedacht hatte, es konnte nichts Gutes sein, und der bloße Gedanke an die Möglichkeiten ließ ihr das Herz einige schmerzhafte Lidschläge lang aussetzen. »Vesana hier, meine Geschäftspartnerin«, begann der heruntergekommene Nord zu sprechen, »mit ihr habe ich seit einigen Jahren zusammengearbeitet.« Er lehnte sich vor. »Ziemlich erfolgreich bis sie mich verraten hat«, zischte er, ballte die Fäuste und presste die Kiefer zusammen, bis die Adern unter der Haut an den Schläfen hervortraten.
Der Kaiserlichen fiel es schwer, sich zu beherrschen. Zähneknirschend versuchte sie die aufkeimende Wut hinunterzuschlucken. Immerhin schaffte sie es, ihn nicht lauthals einen Lügner zu schimpfen und vermied es, ihm an die Kehle zu springen. »Arcadia stieß erst vor etwa einem Jahr dazu«, fuhr Hrothluf fort.
»Lügner!«, entglitt es Arcadia, die feuerrot angelaufen war und der Tränen in den Augen standen. Bevor Elgryr, der blitzschnell mit dem Kopf herumschnappte, etwas sagen konnte, redete sie mit sich überschlagender Stimme weiter: »Was auch immer ihr zwei da am Laufen habt, lasst mich da raus!« Danach begann sie zu schluchzen und vergrub das Gesicht in den hohlen Händen.
»Wir haben gar nichts am Laufen!«, fühlte sich nun auch Vesana genötigt, in die Bresche zu schlagen, solange der Justiziar mehr interessiert schwieg, als sich von der Unterbrechung belästigt zu fühlen.
Doch letztlich hob er die schlanke, ringbesetzte Rechte. »Genug. Ich bestimme, wer redet.« Dennoch war sich die Jägerin ziemlich sicher, dass ihm der Einwurf der Alchemistin irgendwie doch in sein Konzept des Verhörs passte. »Trargolf, fahrt fort.«
»Durch ihre Arbeit mit den Gefährten wusste Vesana, dass Arcadia Schulden hatte und diese durch die Gefährten eingetrieben werden sollten«, log der Kerl weiter und Vesa gefror das Blut in den Adern. Ein eisiger Schauer jagte ihren Rücken hinab und ließ den Mund leicht offen stehen. »Also haben wir das genutzt, um Arcadia ein lukratives Angebot zu unterbreiten. Wir benötigten ohnehin alchemistische Expertise, um die Qualität unseres Skoomas sicherzustellen«, setzte er fort. Er schien jeden Gedanken an eine mildere Strafe verworfen zu haben und wollte scheinbar nur noch Vesana mit sich in die Tiefe reißen. Elgryr hörte ihm mit ausdrucksloser Miene zu, aber so wie sie ihn seit dem letzten Verhör einschätzte, mochte er im Anschluss mit einigen unangenehmen Fragen auf sie zukommen. Vermutlich aber erst nachdem er sie reagieren ließe. Ein Kloß formte sich in ihrem Hals und sie fand sich unfähig, Hrothluf in seinen anstandslosen Lügen zu unterbrechen, obwohl sie es gern getan hätte. Selbst das Verlangen, ihn in Fetzen zu reißen, verfolg vorrübergehend.
Das Schlimmste für Vesa war jedoch nicht, dass er log, sondern die Gelassenheit, mit der er es tat. Nach einer Woche im Verlies hatte sich seine Stimme mit derartig viel Müdigkeit angereichert, dass er abwesend, vor allem aber ungerührt und gleichgültig erschien. Attribute, die ihn selbst für ihre Ohren beängstigend glaubwürdig klingen ließen.
»Jedenfalls ist Arcadia eingestiegen und das Skooma auf meinem Karren sollte zu ihr«, endete der Nord und lehnte sich zurück. Allerdings erst, nachdem er der Jägerin noch einmal ein dämonisches Funkeln in den Augen geschenkt hatte.
»Gutgut.« Elgryr schrieb erneut. »Fräulein Calvianus«, der Justiziar lenkte seine eisigen Augen auf sie, dass ihr das Blut aus dem Gesicht wich, »weshalb wart Ihr vor etwa einer Woche bei Arcadias? War dies vor oder nach unserem ersten Gespräch?«
»Einen Tag davor«, antwortete sie. »Ich habe Vorräte aufgefrischt, die ich auf der Reise nach Solstheim verbraucht hatte.«
»Ah ja, richtig. Eure Reise nach Solstheim.« Ob er sie gerade verspottete oder ihre nicht zu überprüfende Expedition in den hohen Norden als Beweis schlicht nicht ernst nahm, mochte die Jägerin nicht sagen können. Flau wurde es ihr allemal und das spärliche Mittagessen begann sich unangenehm im Magen zu wenden. Arcadia sah gar nicht erst auf, zuckte nur gelegentlich mit den Schultern und schwieg mit dem Gesicht in den Händen. »Seid Ihr sicher, dass Ihr sie nicht vielleicht über Hrothlufs Verhaftung informiert habt?«, hakte Elgryr nach. Fassungslos starrte sie den Mann an. Wie konnte er ihr nicht glauben? Es musste doch mehr als offensichtlich sein, dass sich dieser erbärmliche Haufen Lumpen von einem Nord, der ihr zur Linken saß, nur weiter in Lügen und Märchen verstrickte.
»Natürlich hat sie sie gewarnt und jetzt spielen sie hier etwas vor!«, fuhr ihr der Rothaarige dazwischen, bevor sie antworten konnte.
»Schweigt! Ich bat Euch nicht zu Wort«, schnappte der Justiziar zurück und Hrothluf schnalzte abschätzig mit der Zunge. »Also?«, wandte er sich an Vesa.
»Warum sollte ich sie gewarnt haben? Wir haben nichts mit Hrothluf zu schaffen und kennen uns außer über das sporadische Geschäft nicht«
»Das bleibt zu beurteilen.«
Unwillkürlich ballte sie die Fäuste. »Schwachsinn!« Bevor sie sich des Wortes, das da von ihrer Zunge floss, wirklich gewahr wurde, ließ sich der angerichtete Schaden bereits nicht mehr begrenzen.
»Bitte?« Elgryr neigte das Haupt zur Seite und schaute sie nun zum ersten Mal mehr als nur überlegen und herablassend an. Er wirkte, als wollte er die Kaiserliche genau dort haben, wo sie sich gerade befand: In der Zwickmühle, weil ihr der Geduldsfaden gerissen war.
Hilflos blickte sie zurück, vorerst unfähig zu sprechen. Dass ihr mit einem Mal ein gletscherkaltes Messer durch die Schläfe in den Schädel fuhr, half überdies nicht gerade, sich zu konzentrieren. Letztlich aber schien es nur noch den Weg nach vorn zu geben. »Das ist Schwachsinn«, wiederholte Vesa, ihre Stimme zum Zerreißen dünn gestreckt.
»Was ist … Schwachsinn?«
»Mir nicht zu glauben. Es gibt genügend Zeugen, die sie bestätigen können«, erklärte die Kaiserliche an Festigkeit gewinnend, verhinderte aber auch nur mit Mühe, dass sich ihre Zunge beim Sprechen überschlug.
»Zeugen, die nicht hier sind«, spotte Hrothluf dazwischen und verzog das Gesicht zu einer Grimasse des Hohns.
»Halt Deinen Rand, schäbiger Lügner!«, zischte sie. Arcadia schwieg während des Austauschs betreten und irritiert, Elgryr wirkte scharfsinnig und emotionslos wie immer.
»Und so fällt die Maske«, kicherte der Rothaarige nun und strich sich mit den gefesselten Händen durch den Bart.
»Mas-?« Oh, wie sie ihn zerreißen würde. Ihre Geduld gelangte am Nullpunkt an und der Plan offensiverer Gesprächsführung verging in dichtem Rauch. Blitzschnell sprang sie auf und langte über den Tisch, zog Hrothluf heran und knallte ihn Gesicht voran auf die Tischplatte, dass es abscheulich knackte. Der Mann heulte schmerzerfüllt auf, doch noch ehe Vesana weiter gewaltsam mit ihm umspringen konnte, wurde sie von hinten gepackt und erbarmungslos in ihren Stuhl gedrückt.
»Fesselt ihre Hände«, gebot Elgryr und beobachtete beinahe gelangweilt, wie sich Vesa unter dem festen Griff zweier Wachen wand.
»Lasst mich in Frieden«, knurrte sie. »Das ist unnötig!«
»So?« Der Justiziar zog eine Augenbraue hoch und ließ die Augen zu Hrothluf mit der blutigen Nase schweifen.
»••••!«, fauchte der und drückte die Nasenflügel zusammen.
»Geschieht Dir Recht!« Was für ein Bastard. Die Wut hielt noch vor, unterdrückte die Scham, die sich in ihr anbahnte. Jetzt war sie selbst zur Verbrecherin degradiert worden und das nur wegen diesem dreckigen Straßenköter.
»Zu Eurer früheren Bemerkung, Fräulein Calvianus«, wandte sich Elgryr nun wieder an sie, auch wenn sie ihn nicht anschaute und stattdessen die Augen auf den kalten Eisenschellen ruhen ließ, die ihre Handgelenke zierten. »Durchaus möglich, was Ihr sagt, aber es bin noch immer ich, der hier entscheidet, was ich für die Wahrheit befinde.« Vesana ersparte sich die Demütigung zu Hrothluf zu schauen. Ihr genügte die empfundene Gewissheit, dass sich ein schmieriges Lächeln auf seinen spröden Lippen im blutgetränkten Bart abzeichnen mochte. »Seid froh, dass es nur Fesseln sind.« Was auch immer er genau damit meinte. Vielleicht eine Anspielung auf Hrothlufs Mundfessel des letzten Gesprächs. Vesa wusste es nicht und es sollte ihr auch egal sein.
»Arcadia«, lenkte Elgryr seine Aufmerksamkeit von der Jägerin ab. »Habt Ihr etwas hinzuzufügen?«
»Ich … ich habe mit diesen Beiden nichts zu schaffen. Es ist wahr, ich habe … hin und wieder Schulden, die von den Gefährten eingetrieben werden. Aber nie waren die Beiden bei mir mit einem derart verwerflichen Angebot«, erklärte die Alchemistin.
»Aber sie waren bei Euch mit einem Angebot?«
»W-was?!«
»Ihr sagtet ›mit einem derart verwerflichen Angebot‹. Heißt das, sie waren tatsächlich einmal bei Euch mit einem Angebot?«
»Nein! Nein! Sie waren nie bei mir mit einem Angebot. Fräulein Calvianus kauft nur ab und an bei mir ein, sie hat nie Schulden eingetrieben, und den Mann habe ich nie zuvor gesehen«, widersprach die Ladenbesitzerin.
»Hmhmm.« Kurzes, an den Nerven zehrendes Schweigen hielt Einzug, während der Justiziar abermals das Pergament beschrieb. »Woher kennt er dann Euch?« Für einige Herzschläge schloss Vesana die Augenlider und versuchte den aufquellenden Schrei der Verzweiflung im Angesicht scheinbar immer dichter werdender Lügen zu unterdrücken. Arcadia schwieg auf die Frage, offenbar völlig aus der Fassung gebracht. »Hm?«
»Ich … ich wei- … weiß es nicht.«
»Sie ist die einzige Alchemistin der Stadt. Jeder kennt sie«, gab Vesa zu bedenken, während sie langsam Lider und Kopf hob.
»Möglich.«
»Das ist wirklich Schwachsinn!«, warf Hrothluf ein. Der Kaiserlichen fehlten die Worte, um darauf überhaupt noch einzugehen. Elgryr schwieg derweil und schrieb weiter auf seine Schriftrolle. Verglichen mit dem ersten Gespräch erschien sie Vesa noch ausgesprochen leer, aber wer wusste schon, was genau ein Mann wie der Justiziar wirklich für wichtig genug befand, dass es niedergeschrieben werden musste?
»Gut.« Letztlich strich er überschüssige Tinte am Rand des Fässchens ab, legte die Feder daneben und blies über das Pergament, bevor er es zusammenrollte. »Ich nehme an, dass es keine weiteren Ergänzungen gibt?« Arcadia und die Jägerin schüttelten gleichzeitig die Köpfe. Hrothluf zuckte mit den Achseln, schwieg jedoch ebenfalls. »Gutgut. Wachen, führt diesen Mann zurück zu seiner Zelle.« Ohne sich zu wehren ließ sich der Rothaarige aus dem Raum schleifen. Erst als die Tür ins Schloss fiel, stand der Verhörmeister auf und lief um den Tisch herum. Seine kurze Tunika wurde auf der Hüfte von einem dunklen Ledergürtel mit goldener Schnalle zusammengehalten. Die beige Stoffhose kannte Vesa von ihrem letzten Zusammentreffen, ebenso wie die Wildlederschuhe. Schnösel. Schneidig; aber ein arroganter Schnösel.
Neben der Kaiserlichen blieb er stehen, ließ sich etwas von einer Wache geben und griff anschließend nach ihren Händen. Leise klickend glitt der Eisenschlüssel ins Schloss der Fesseln. »Antwortet wahrheitsgemäß und lasst mich meine Arbeit machen«, sprach er und klang zum ersten Mal weit weniger überheblich und schneidend, wenngleich noch immer mitgefühlslos, »dann habt Ihr nichts zu befürchten.« Er nahm die Fesseln und legte sie auf den Tisch. Für Vesana fühlte es sich so an, als hätte er ihr gerade eine zentnerschwere Last abgenommen. Unwillkürlich hob sie die Schultern und ebenso verblüfft wie erleichtert rieb sie sich die Handgelenke. »Das nächste Mal landet Ihr in der Zelle neben ihm, egal ob Ihr seiner Anschuldigungen schuldig seid, oder nicht.« Seine Eiseskälte kehrte zurück und der Jägerin fröstelte es unvermittelt. »Bringt sie nach draußen«, gebot Elgryr zum Abschluss und verließ mit seinen Schreibsachen noch vor Arcadia und Vesa den Raum.
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Geändert von Bahaar (03.01.2015 um 03:58 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Das überwältigende Chaos der Gefühle, dass sie seit dem Ende des Verhörs zwischen dem Bedürfnis laut zu schreien, sich weinend auf ihr Zimmer zu verkriechen oder irgendetwas in Stücke zu zerschlagen pendeln ließ, hielt Vesana noch immer in festem Griff, als sie vor dem Eingang Jorrvaskrs angelangte. Obwohl die Alchemistin einen langen Teil ihres Weges geteilt hatte, tauschten sie keine Worte aus. Es gab nichts, das sie sich hätten sagen können. Sie wollten beide einfach nur vergessen oder zumindest verdrängen.
Ihre Rechte lag auf der Klinke der Pforte, übte jedoch noch keinen Druck aus. Wollte sie tatsächlich bereits zur Gemeinschaft zurückkehren? Ihr war nicht nach Gesellschaft und die Gedanken kreisten zu weit, um sie tatsächlich leicht wieder einfangen zu können. Weder stand ihr der Sinn danach, von den Vorfällen zu erzählen, noch sah sie sich dazu in der Lage. So nahm sie letztlich die schlanken Finger vom spröden Eisen und umrundete stattdessen das Gildenhaus. Dumpfe Schläge hallten von dort durch den windigen Nachmittag. Stumpf und zu regelmäßig, um von einem Übungskampf zu stammen. Gelegentliches Grollen, das eher unmenschlich und für den unbedarften Beobachter sehr bedrohlich klang, verriet noch bevor sie es sah, was vor sich ging. Farkas musste noch immer auf die Übungspuppe einprügeln und als die Kaiserliche auf den Platz hinter der Halle trat, bestätigte sich die Vermutung.
Der kräftige Nord bemerkte sie erst gar nicht, drosch unverblümt brachial weiter mit seinem Zweihänder auf das stark ramponierte Holz. Große Stücken des Kopfes und des Schildes fehlten, auch an den Schultern mangelte es der Puppe an Substanz. Nur tiefe Schläge schien der Kämpfer nicht sonderlich zu mögen. Der hölzerne Rock wirkte weitestgehend unbeschadet. Ganz im Gegensatz zum von Stichen zerschlissenen Torso.
Erst als die Kaiserliche sich nach kurzem Beobachten auf die Terrasse zubewegte, hielt der Nord inne und bedachte sie mit langen Blicken. »Du siehst aus, als hättest Du gerade Molag Bal persönlich gegenübergestanden.« Mit langsamen Schritten begann Farkas, ihr zu folgen. Derweil nahm sie auf einem Stuhl unter dem Vordach Platz. »So in der Art.«
»Was‘ los?« Metallisch schabend und scheppernd setzte sich der Nord ihr gegenüber, seine silbergrauen Augen auf ihr ruhen lassend. Knarzend ächzte sein Stuhl unter der Belastung.
Vesa winkte ab. »Lass gut sein.« Sie schloss die Augen und strich sich mit den Händen über das Gesicht, klatschte sich kurz auf die Wangen und versuchte die verkrampften Gedanken wegzurütteln. Mit einigen tiefen Atemzügen brachte sie wenigstens einen Anflug von Ruhe in ihren ungeordneten Geist. »Später«, bekräftigte sie, als ihr Blick auf Farkas wenig beeindrucktes Antlitz fiel.
Er schwieg und betrachtete sie einige weitere Augenblicke lang. »Na von mir aus.« Schnaufend stand er auf, nahm sein langes Schwert als Stütze, um sich hochzuhieven, und kehrte ihr den Rücken zu.
»Ist das Blondchen schon wieder da?«, warf sie ihm hinter her und rang dabei die Schuldgefühle nieder, den Freund so kühl abgeblockt zu haben.
Das Zirkelmitglied hielt inne und schaute über die gepanzerte Schulter zu ihr zurück. »Keine Ahnung, aber wenn, wartet er wohl drinnen.« Gleich darauf setzte er seinen Weg fort und drosch von neuem auf die Übungspuppe ein. Die Kaiserliche harrte noch einen Moment im kalten Wind aus, bevor es ihr die Gänsehaut auf die Arme trieb. Kopfschüttelnd stand sie auf und betrat das Gildenhaus.
Olen und Vilkas saßen am Tisch. Im dunkleren Hintergrund, am Rand der Halle, erspähte sie Kodlak in einem Stuhl neben Vignar und einige andere Mitglieder der Gefährten verteilten sich in alle Ecken des Hauses. Das Zirkelmitglied neben ihrem Auszubildenden wandte gerade den Kopf, um zu sehen, wer eingetreten war, doch noch bevor seiner erleichterten Miene ein Kommentar entwischen konnte, hob sie abwehrend die Hand. Sein Mund wandelte sich zum schmalen Strich und er nickte. Anstatt aufzustehen und sie weiter in Empfang zu nehmen, klopfte er dem blonden Nord auf die Schulter, deutete mit dem Daumen auf die Kaiserliche und drückte ihm ihr Übungsschwert in die Hand.
»Ausgeruht?«, begrüßte sie ihn.
»Soweit möglich.« Er sah schrecklich aus. Der Dreck stand ihm noch im Gesicht, getrocknete Blutreste von seinen Stürzen zeichneten seine Hände und dunkle Flecken hoben sich von seiner hellen Tunika ab.
»Gut.« Die Jägerin nahm ihr Schwert entgegen und gemeinsam verließen die Beiden Jorrvaskr.
»Was machen wir jetzt?«
»Bevor wir etwas machen«, erklärte sie und band sich ihr Schwert auf den Rücken, »erzählst Du mir, was Du heute vor der Pause gelernt hast.« Vesa würdigte ihn nicht eines Blickes, während sie ihn unterhalb der Himmelsschmiede vor die Halle der Gefährten führte und von dort die Treppe zum Güldengrünbaum hinabstieg.
Olen überlegte einen Großteil des Weges. »Dass Du schneller und geschickter bist, als ich«, antwortete er schließlich und provozierte damit ein gedehntes Seufzen ihrerseits. Bevor sie etwas erwiderte, hielt sie an der niedrigen Steinmauer an, die den kurzen Hang zwischen dem Grund und Boden der Gemeinschaft und dem weiten Platz im Zentrum der Stadt am unteren Ende abgrenzte. Ein kurzes Zucken des Sprunggelenks und sie stand auf dem schmalen Steinwall.
»Geschickter? Ja. Schneller? Nein«, kommentierte sie seine scheinbare Lektion. »Ich suche nach grundsätzlicheren Lehren. Wir werden unser Spiel morgen wiederholen. Jetzt kümmern wir uns erst einmal um Dein Gleichgewicht.« Ihr Auszubildender blickte wie ein enttäuschter Köter zu ihr hinauf, während sie auf einem Fuß stand, mit den Zehen des zweiten direkt dahinter nur leicht auf den Stein tippte und in perfekter Balance die Arme anlegte. Eine kinderleichte Übung für sie. »Komm hoch«, forderte sie ihn auf.
Er folgte der Anweisung, wenn auch deutlich schwerfälliger als sie, und hielt die Arme weit von sich getreckt, stets mit den flachen Händen rudernd, um Ungleichmäßigkeiten im Gleichgewicht auszugleichen. »Gleichge-« Weiter kam er nicht, bevor sie ihm mit der Faust kräftig gegen die Schulter schlug und ihn ins Taumeln brachte. Wild mit den Armen wedelnd trat der vom rückliegenden Übergewicht ausgehebelte Fuß ins Leere, als der Nord ihn nachsetzen wollte und noch im selben Augenblick lag er im feuchten Gras des Abhangs.
»Richtig, Gleichgewicht«, bemerkte sie und blickte mitgefühlslos zu ihm hinab. Vom Schrecken geweitete, große Augen betrachteten sie und der Mund stand geöffnet. »Nochmal.« Der Frust, den sie wegen Hrothluf wie einen dicken Bauch vor sich herschob, entlud sich in ihren Kommentaren. Ungeduld, Zorn und aufgeriebene Nerven mussten ihren Ton für den Nord zweifelsohne deutlich aggressiver klingen lassen, als er von ihrer vormittäglichen Übungsrunde gewohnt war. Dass ihn das in leicht am Lippenkauen erkennbare Unsicherheit und wohl einen gewissen Anflug von Furcht versetzte, kümmerte die Kaiserliche jedoch wenig. So würde er womöglich sogar aufmerksamer sein.
Egal was er empfand, Olen spurte wie ein treuer Hund. Erneut stand er vor ihr, die Arme weit ausgestreckt, den Torso frontal auf sie und die Füße haargenau parallel mit dem Grat der Mauer ausgerichtet. Sein volles Gewicht verteilte sich dem Anschein nach einigermaßen gleich auf beide Beine. Für einen Herzschlag schloss Vesana die Lider, um ihr Augenrollen zu verbergen, dann öffnete sie sie und schnellte mit dem hinteren Bein nach vorn. Kräftig gegen sein Schienbein tretend schlug sie ihm den Fuß zur Seite weg und brachte ihn abermals dazu ins Gras zu stürzen. »Scheiße!«, stieß er aus. »Das ist keine gerechte Übung!«
»Ich habe Dir schon einmal gesagt, dass es hier nicht um Gerechtigkeit geht. Die Banditen in Deinem Dorf scheren sich einen Dreck darum, was Du als gerecht oder ungerecht empfindest!«, fuhr sie ihn an und nahm derweil ihre Ausgangsposition ein.
Er schluckte deutlich an der Kehle erkennbar. »Dann verrate mir wenigstens, was wir hier machen«, lenkte er deutlich kleinlauter ein.
»Wenn Du Deine Augen benutzen und Deinen Kopf etwas intensiver bemühen würdest, wüsstest Du das bereits«, konterte Vesa. Ahnungslos starrte er sie an. Sie schüttelte nur mit dem Kopf und gebot ihm per fahrigem Fingerzeig abermals auf die Mauer zu steigen.
»Dann lasse mich wenigstens einen Moment länger stehen, damit ich beobachten kann«, bat er, während er aufstand.
»Nein.« Ihm bot sich genug Zeit, das zu tun, während er im Dreck lag und sich ausruhte. Doch diesmal, noch ehe sie ihn abermals aus dem ohnehin kaum vorhandenen Gleichgewicht zu bringen vermochte, griff er Vesana mit einem unbeholfenen Fausthieb an. Im letzten Moment wich sie ihm durch eine viertel Drehung aus, packte seinen Arm am Handgelenk mit der Hand und hob ihn auf ihre andere Seite. Sich in die zu zuvor entgegengesetzte Richtung eindrehend zog sie ihn näher zu sich, hob den freien Arm und hieb ihm den Handrücken mitten ins Antlitz. Gleichzeitig zog sie ihm mit dem kaum belasteten und somit frei beweglichen Bein den vorderen Standfuß weg. Es geschah zu schnell für ihn, als dass Olen noch in irgendeiner Weise zu reagieren vermochte und so stürzte er Gesicht voran in den Dreck. Zum Abschluss nahm sie ihre Grundhaltung ein und blickte unbeeindruckt auf ihn hinab, während er sich Gras aus dem Mund fischte und angewidert Erde ausspuckte.
»Es geht nicht darum, der erste zu sein, der angreift«, erläuterte sie. Der Nord rollte sich derweil auf den Rücken und stützte sich auf die Ellbogen hoch.
»Um was dann?«
»Verrate mir, was habe ich jetzt dreimal in jeweils immer deutlicherer Weise getan?« Vielleicht half es, wenn sie ihn mit Fragen versuchte auf die richtige Spur zu lenken. Erkenntnisse aus eigenem Antrieb hielten in der Regel länger, als wenn es direkt vorgekaut serviert wurde.
»Du hast mich dreimal aus dem Gleichgewicht und somit zum Fallen gebracht.«
»Du warst nie im Gleichgewicht, genau deswegen hat es funktioniert«, konterte sie und merkte am starken Stirnrunzeln des Nords, wie es in seinem dicken Schädel zu rattern begann.
»Hm … Du hast mich zweimal angegriffen und einmal meinen Angriff gegen mich gedreht«, verkündete Olen nach einigen lang erscheinenden Momenten des angestrengten Schweigens.
»Grundsätzlich richtig, aber nicht präzise genug. Wo habe ich Dich angegriffen?«
Er setzte sich auf und nahm die Hände ans Kinn als könne er so den Fluss seiner Gedanken ordnen. »An … meiner Schulter … und am Bein.«
»Korrekt. Was hatten diese Stellen gemeinsam?«
Olen schaute angestrengt die Brauen zusammenziehend zu Boden und drückte die Faust gegen den Mund. Einige Herzschläge erstarrte er in dieser Pose, dann hob er seinen Blick zurück zu Vesa und schüttelte sacht das Haupt. »Ich habe keine Ahnung.«
Sie seufzte. »Sie haben Deinen Schwerpunkt verschoben.« Zunächst verzog er das Gesicht, als verstand er nicht und wollte sie fragen, wie sie es meinte, doch dann klärte sich seine Miene auf. Offenbar ein Aha-Effekt. Gleich darauf verfinsterte sich der Ausdruck allerdings wieder und er warf abermals den Kopf hin und her. Die Kaiserliche atmete tief durch. »Steh auf, nochmal.« Umstandslos leistete er Folge und kam vor ihr auf der Mauer zum Stehen. »Was fällt Dir auf?«
Kurz musterte er sie. »Du brauchst Deine Arme nicht, um im Gleichgewicht zu bleiben?«
»Ja. Was noch?«
Seine Augen wanderten an ihr hinab zu den Beinen und blieben schließlich auf ihren Füßen ruhen. »Du … stehst auf einem Bein?«
»Fast, aber richtig. Schlag mir gegen die linke Schulter.« Olen spurte und ihr Oberkörper schnappte begleitet von einem heißen Stechen herum. Das linke, hintere Bein streckte sie von sich über den Abgrund und hob die Arme. Der Rechte zwischen sich und dem Nord, der andere parallel zur Mauer hinter ihr. Es mochte seltsam aussehen, doch sie stand noch immer. Kurz darauf nahm sie zum wiederholten Male ihre Grundstellung ein. »Jetzt die rechte Schulter.«
Erneut traf er sie kraftvoll, doch auch dieses Mal fing sie den auf ihren Körper übertragenden Schwung ab. »Wie machst Du das?«
»Zum Schluss mein Bein.« Er holte kräftig Schwung und mental bereitete sich die Jägerin bereits auf den bevorstehenden, heftigen Schmerz vor. Doch mehr als das heiße aufflammen im Unterschenkel und dem Knie, das die Wucht seines Tritts hervorrief, geschah letztlich nicht. Verblüfft und ahnungslos glotzte er sie anschließend an wie eine Kuh. »Die Frage, die Du zu beantworten hast, ist einfach: Warum?« Kurz pausierte sie, unschlüssig, ob der Nord verstand, worauf sie anspielte. »Zunächst: Warum es mir so leicht gefallen ist, Deine Schläge abzufedern und warum es Dir so schwer fiel. Und außerdem: Warum konnte ich, mit deutlich weniger Kraft, derart leicht Dein vorderes Standbein aushebeln während Du es mit all Deiner Masse nicht bei mir geschafft hast«, fügte sie sicherheitshalber an.
Unvermittelt hüpfte sie von dem niedrigen Wall und begann damit den anhaltenden Schmerz aus den Muskeln im Bein herauszulaufen. Zunächst humpelnd, bald jedoch wieder mit normalen Schritten. »Ich soll sie jetzt beantworten?« Olen setzte sich auf die Mauer und beobachtete die Jägerin.
»Nein. Das ist Deine Hausaufgabe bis morgen. Ebenso wie nochmal genau über unsere Verfolgungsjagd von vorhin nachzudenken.«
»Und jetzt?«
»Hast Du frei. Obwohl ich Dir nahe legen würde, das mit dem Gleichgewicht noch etwas zu üben.« Er nickte nur und sie wandte sich zum Gehen. Nach einigen Schritten hielt sie allerdings noch einmal inne und drehte sich um. »Eines noch, über das Du nachdenken solltest: Was unterscheidet einen mittelmäßigen Kämpfer von einem herausragenden?« Olen schüttelte den Kopf. »Ein Tipp: Es hat nichts mit der grundsätzlichen Fähigkeit zu tun, aus Fehlern zu lernen und sich an neue Umstände anzupassen. Die brauchen Beide.« Abermals ließ ihr Auszubildender die blonden Haare pendeln. »Es ist die Geschwindigkeit, mit der sie es tun, die sie voneinander unterscheidet«, beantwortete die Kaiserliche schließlich die Frage für ihn und erntete nur ein Gesicht wie fünf Fragezeichen als Reaktion. »Ab morgen ziehen wir das Tempo an.« Damit überließ sie ihn sich selbst und kehrte nach Jorrvaskr zurück.
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Geändert von Bahaar (10.01.2015 um 03:34 Uhr)
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Tilma trug gerade in jeder Hand je einen überschwappenden Eimer Wasser die Stufen zur Halle der Gefährten hinauf und Vesana schloss zügig zu ihr auf. »Brauchst Du Hilfe?«, wollte die Kaiserliche wissen und verlangsamte ihre Schrittfrequenz neben der Haushilfe.
Erschrocken hob die Nord den Kopf, blieb stehen und schüttelte erst einige Herzschläge später den Schrecken aus den Augen. Sie begann zu lächeln. »Danke, Liebes, aber lass mich alte Frau nur machen«, entgegnete sie und setzte eine geheimnisvolle Miene mit gespitzten Lippen auf. »Da fühl‘ ich mich gleich jünger, wenn ich die noch heben kann«, fügte sie zwinkernd und leiser hinzu. Vesa versetzte es ins Schmunzeln. Tilma mochte keine Frohnatur sein, aber sie wusste die kleinen Dinge und Feinheiten des Lebens zu schätzen, eine Gabe, die gelegentlich auf andere überschwappte und so genoss die Kaiserliche oft genug die wenigen Worte der alten Dame.
»Wie Du willst«, räumte sie somit ein. »Aber einen Schwall Wasser könnte ich gut vertragen«, offenbarte sie.
»Da sagst Du ‘was. Hier.« Tilma stellte einen der Eimer ab und hob den anderen mit beiden Händen auf Brusthöhe, damit Vesana ihn leichter erreichte.
»Danke.« Das kühle Nass ließ sie zwar im ersten Augenblick in sich zusammenzucken, brachte die feinsten Härchen auf ihrem Körper dazu, sich aufzurichten, aber schon im nächsten Moment schien es, als wüsche es ihre Gedanken fort. Zwar nur kurz, doch befreite es genug, um sie erleichtert durchatmen zu lassen und die Augen für einen weiteren Schwall zu schließen. Einige Strähnen ihres Haares blieben auf den feuchten Wangen kleben, doch störte es sie nicht. Kleine Perlen klaren Wassers rannen ihr über die Haut, kitzelten sie und benetzten die trockenen Lippen.
Tilma lächelte ihr entgegen, als sie das Haupt schließlich hob und überschüssige Tropfen von Stirn und Nase strich. »Besser?«
»Viel.«
Die Magd nickte und nahm den zweiten Eimer auf. »Geh nur voraus, mach Dir um mich keine Gedanken«, bekräftigte sie und scheuchte die Kaiserliche somit fort. Zügig umrundete diese das Gildenhaus und traf abermals mit Farkas zusammen.
»Das ging schnell«, bemerkte der und schaute über die Kante des Schildes der Übungspuppe zu ihr hinüber. Erst einen Augenblick später bemerkte Vesana, dass der kräftige, in Stahl gehüllte Nord den Schildarm der Puppe in seiner rechten Pranke hielt und das Schwert an der nahen Wand lehnte.
»Er hat genügend Aufgaben bis morgen, kein Grund, ihn mit weiteren zu überfordern.«
Farkas nickte, senkte anschließend den Blick und versuchte vergeblich den Arm des Übungsapparates irgendwie zu befestigen. »Scheiß Puppe, wir brauchen besseres Zeug«, knurrte er und warf das abgeschlagenen Glied auf den Boden.
»Nimm es als Zeichen, dass Du genug geübt hast für heute.«
»Pah! Ich kann nie genug geübt haben.«
Vesana schenkte ihm ein mattes Schmunzeln. Sicherlich war der Nord nicht ohne Grund ein so großer und furchtgebietender Kämpfer geworden, aber er übertrieb bisweilen häufiger. Schnaufend krallte sich der Nord sein Schwert, grollte im nächsten Moment und schlug einhändig aus der Drehung nach dem Hals seines hölzernen Widersachers. Das Metall summte durch den Aufprall, das angeschlagene Holz knirschte und knackte kurz, dann riss die schwere, normalerweise zweihändig zu führende Klinge das plumpe Haupt vom Torso. Es rollte eiernd auf Vesa zu und sie stoppte es mit den gehobenen Zehen vor sich. Farkas wirbelte noch weiter um die eigene Achse, zu groß war der Schwung gewesen, als dass er einfach hätte stehen bleiben können. »Tot«, brummte er schließlich doch noch zum Stillstand kommend und verstaute schließlich seine Waffe in der Scheide auf dem breiten Rücken.
»Schluss für heute?«, fragte die Jägerin, als sie zusammen mit Farkas im nachmittäglich lang werdenden Schatten Jorrvaskrs zur Terrasse stapfte. Einzelne Strähnen vom Wind umherpeitschend, die Tunika vom Schweiß klamm und die Glieder müde, mochte es das erste Mal seit Monaten sein, dass sie von einem mehr oder weniger vollen Arbeitstag zur Gilde zurückkehrte. Ein trotz der Widrigkeiten gutes, befriedigendes Gefühl.
»Hmpf«, schnaufte Farkas unterdessen. »Muss wohl.« Sie lächelte lediglich und trat mit dem deutlich größeren Nord durch den Eingang ins warme Innere. Gerade in dem Moment schepperte es irgendwo zu ihrer Rechten gewaltig. Zinngeschirr und einige Tonbecher flogen durch die Gegend oder zerschellten klirrend am Holz des Hauses. »Was bei Ysgramor…?!«, entfuhr es Farkas, der ihr in ihrer vor Überraschung eingefrorener Pose die Sicht versperrte. Gleich darauf verfiel er in heftiges Gelächter, dass er sich im Türrahmen abstützte und der Kaiserlichen einen Blick ermöglichte. Stöhnend hievte sich in diesem Moment Athis aus den Trümmern eines Beistelltischchens und putzte kleinere Scherben von der Kleidung. Njada stand in einigen Schritten Entfernung mit gehobenen Fäusten und gespreizten Beinen. Rhythmisch wippte sie auf den Fußballen vor und zurück.
»Netter Schlag«, knurrte der Dunmer unterdessen und wischte sich Blut von den Lippen. Gleich darauf wirbelte er herum, täuschte mit der linken einen Schlag an, drehte sich jedoch weiter und hackte mit der Ferse nach dem Knie der Nord. Gerade rechtzeitig wich sie aus, jedoch nicht weit genug und kassierte sie die flache Kante der rechten Hand gegen die Schläfe als Athis die Drehung beendete. Sie taumelte, fing sich an einem Stuhl ab und blockte mit gekreuzten Armen einen frontalen Hieb des Elfen.
»Nicht übel«, murmelte Farkas, der ebenso gebannt wie Vesa das Geschehen beobachte.
»Was denkst Du, wegen was sie sich diesmal schlagen?«, meinte die Kaiserliche und lehnte sich gegen die Wand zwischen den zwei Türen nach draußen.
»Wird wohl wieder darum gehen, dass der Elf nicht verlieren kann.«
Die Jägerin nickte. »Ja, möglich. Oder Athis hat sich in seiner elfischen Ehre gekränkt gefühlt.«
»Überraschenderweise ist es nichts dergleichen«, vernahm sie auf einmal Kodlaks raue, dunkle Stimme von der Seite und schrak herum. Das Herz kurz aussetzend, legte sie sich die Hand auf die Brust, atmete tief durch und starrte den Herold unverwunden an. »Verzeih, ich wollte Dich nicht erschrecken.«
Kurz schüttelte sie das Haupt und lächelte ihm anschließend mild entgegen. »Schon in Ordnung. Um was geht es diesmal?«
»Das ist jetzt nicht so wichtig«, erwiderte der Alte lediglich, ließ die grauen Augen für einen Moment zum anhaltenden Kampfgeschehen gleiten, richtete sie anschließend jedoch wieder auf Vesa. »Wichtiger ist: Wie geht es Dir?«
Für einen kurzen Augenblick versagte sie darin, ihr ohnehin schmales Lächeln aufrechtzuerhalten, und bemühte sich wohl deutlich verkrampft es wiederzugewinnen. »Besser als wohl zu erwarten wäre«, entgegnete sie letztlich und erntete ein mildes Nicken.
»Vilkas sagte nur, dass Du in vielerlei Hinsicht furchteinflößend gewirkt hättest, als er Dich zuletzt gesehen hat«, gestand Kodlak und bat sie per Handzeig ihm zu folgen.
Sie stieß Luft aus und brummte. »Gut möglich.«
Der Alte blickte ein letztes Mal zu der sich allmählich beruhigenden Schlägerei hinüber und lenkte die Kaiserliche anschließend ins Kellergewölbe des Gildenhauses. Erstaunlicherweise brandeten hier unten noch deutlich mehr Stimmen durch die Hallen der Gemeinschaft, als oben, und das obwohl sich dort ein guter Pulk aus Vignar, Ria und einigen Welpen gebildet hatte. »Ich wusste gar nicht, dass heute Leute von uns zurückgekehrt sind«, bemerkte sie und warf einen neugierigen Blick in den Schlafsaal der einfachen Mitglieder.
»Ja, ein paar sind zurückgekehrt.«
»Erfolgreich?«
»Einige sind verletzt, aber nichts, dass sich fatal auswirken wird. Ihre ursprüngliche Aufgabe haben sie allerdings nicht erfüllen können«, erklärte Kodlak und senkte kurz das Haupt. Noch bevor sie jedoch weiter nachzufragen vermochte, erreichten sie die Unterkunft des Herolds. Vilkas wartete an einem runden Tisch in der Ecke, lehnte sich im Stuhl zurück und richtete seine schwarzbraune Tunika.
Obwohl ihr die Situation, so unvermittelt und direkt von dem Alten mitgeschleppt zu werden, etwas merkwürdig erschien, verdrängte die Kaiserliche ihre Skepsis. Es stand außer Frage, dass es um ihren Besuch in der Drachenfeste gehen würde, und inzwischen fühlte sie sich auch einigermaßen dazu in der Lage, darüber zu sprechen. Entsprechend setzten sich die Neuankömmlinge mit an den Tisch.
»Hrothluf?«, fragte Vilkas und lehnte sich vor, den Körper auf der Tischplatte abstützend.
»Hrothluf«, nickte Vesa ab.
»Was wollte er diesmal?«, hakte Kodlak nach.
»Es scheint, dass er keinerlei Interesse mehr daran hat, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Seine Rachsucht scheint ihn übermannt zu haben«, fasste sie zusammen.
»Gut«, murmelte der Alte und erntete einen in Fassungslosigkeit völlig entglittenen Blick ihrerseits.
»Wie kann das gut sein?!«
»Du bist noch immer hier.«
Kurz schwieg sie, nickte dann allerdings zurückhaltend. Sie war in der Tat noch hier. Und das obwohl sie dem rothaarigen Nord die Nase ramponiert hatte. »Er hat versucht Arcadia in die Sache mit reinzuziehen«, ergänzte sie ihren Bericht.
»Inwiefern das?« Vilkas verzog das Gesicht in Ungläubigkeit.
»Als Prüferin für die Qualität des Skoomas.« Der jüngere der Nord lachte schallend, jedoch wenig amüsiert auf. »Ernsthaft«, bekräftigte sie. »Irgendeine kuriose Geschichte, ich hätte durch Kenntnis ihrer Schuldenlage vor einem Jahr sie mit Hrothluf in die Machenschaften reingezogen.«
»Das ist gut«, bemerkte Kodlak nochmals. »Es erleichtert es uns, ihn zu widerlegen. Obwohl vermutlich dieser Justiziar …«
»Elgryr.«
»Genau. Obwohl er vermutlich ohnehin schon durch die Lügen sehen kann.«
»Hoffen wir es.«
»Ganz sicher. Er scheint scharfsinnig genug zu sein«, bekräftigte der Alte. »Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Hrothluf sein Leben mehr zu schätzen lernt, als seine Rache.« Er ließ den Rest, den er damit verband, unausgesprochen. Vesa wusste nur zu genau, dass er auf ihre erste Unterhaltung zu diesem Thema vor einer Woche anspielte. Früher oder später würde der Schmuggler damit beginnen, die Wahrheit zu sagen. Jetzt, wo sie etwas Ruhe fand und darüber nachdenken konnte, erschien ihr sogar die Art des Justiziars verständlicher. Seine Bemerkung zum Schluss … Wahrscheinlich wusste er tatsächlich längst, dass Hrothluf ihm Märchen auftischte. Es gab jedoch noch eine Frage, die danach aber weiterhin offen blieb: Warum musste er sie und Arcadia in die Qual versetzen, zur Drachenfeste zu kommen?
Vesana bemerkte erst gar nicht, dass die beiden Nord sie beobachteten, schreckte dann jedoch hoch und schaute hastig zwischen ihnen hin und her. »Was?«
»Das haben wir Dich gefragt«, entgegnete Kodlak mit einem väterlichen Lächeln.
»Oh … Ich habe mich nur gewundert, warum Elgryr sich überhaupt die Mühe macht, Arcadia und mich zu sich ins Verhör zu rufen, wenn er ohnehin schon von der Schuld Hrothlufs überzeugt ist.«
»Vielleicht weil es nicht mehr um die Schuldbestimmung geht?«, wandte der Graue ein und lehnte sich zurück. Vilkas stand unterdessen auf und holte Tonbecher aus einem nahen Regal. Gleich im Anschluss goss er jeden von ihnen Wasser aus einem Krug auf dem Tisch ein. »Danke, Vilkas.« Kodlak nahm das Gefäß und trank, beobachtete die Kaiserliche aber weiter über den Rand des Bechers.
Sie überlegte einen Augenblick. »Du meinst, er spielt mit Hrothluf?« Kodlak nickte.
»Ein gefährliches Spiel. Bekommt jemand in der Stadt davon Wind, ist es für Arcadia und Vesa gelaufen«, murmelte Vilkas, wohl mehr aus Frust zu sich selbst. Der Gedanke bescherte der Jägerin ein flaues Stechen in der Magengrube. Ein wütender Mob, der mutmaßliche Drogenschmuggler als Zielscheiben für ungestraftes Entladen generellen Lebensfrustes nutzte, konnte bisweilen tödlich sein.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dieses Risiko leichtfertig eingeht.«
»Hoffen wir es. Sonst fällt es auch auf unsere Gemeinschaft zurück.« Abermals nickte der Alte. Es stand außer Frage, dass er sich dieser Gefahr bewusst war.
Unterdessen ballte Vesana die Rechte zur Faust und stieß damit sacht gegen die Tischkante. Die Zähne mahlten in Frustration. »Es ist schon schlimm genug, dass er es überhaupt eingeht«, knurrte sie und griff anschließend fahrig ihren Becher.
»Sehe ich auch so«, unterstützte sie Vilkas. Die Tatsache, dass sie nicht völlig allein mit dieser Meinung stand, linderte für einen Augenblick die aufkeimende, heiße Wut, die ihr die Kehle zuzuschnüren begann.
»Natürlich«, nickte Kodlak sacht. »Aber es ist nicht so, dass wir etwas daran ändern können.« Jetzt war es an den anderen Beiden mit den Köpfen zu wippen und Vesas Zorn verging in Rauch, den sie mit dem Wasser aus dem Becher versuchte zu vertreiben.
»Scheiße«, murrte sie und setzte das Gefäß hart auf dem Tisch ab.
Der Alte lächelte lediglich, beugte sich vor und legte ihr die prankenhafte Linke auf ihr Knie. »Verrate mir: Hattest Du jemals eine Jagd, bei der Dir Deine Beute immer und immer wieder entwischt ist, Dich hinters Licht geführt und ausgetrickst hat, dass Du nicht einmal auch nur einen Finger an sie legen konntest?«, wollte er wissen und goss einhändig Wasser in die leeren Becher, ohne seine Linke von ihr zu nehmen. Die Kaiserliche, ob des plötzlichen Themenwechsels leicht irritiert, neigte nach einigen Augenblicken des Überlegens das Haupt. »Hast Du sie letztlich dennoch erlegt?« Abermals nickte die Kaiserliche und brachte den Grauen dazu, ein neues, diesmal wesentlich deutlicheres Lächeln auf die rauen Lippen zu setzen. Er lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Finger im Schoß ineinander. »Wie hast Du sie gefangen?«
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»Ich hatte schlicht den längeren Atem«, antwortete Vesa nach einem Moment des Schweigens.
»Das ist sicherlich Teil davon, aber bestimmt nicht alles«, räumte Kodlak ein.
»Hmm. Ich habe nichts anders gemacht, als sonst. Nur länger.« Der Herold lächelte weiterhin, redete jedoch nicht dazwischen, als erwartete er weitere Ausführungen ihrerseits. »Ich habe mich dem Spiel angepasst, habe sie manches Mal in Sicherheit gewogen, nur um sie dann aus dem Hinterhalt zu erschrecken und schließlich bis zur Verausgabung zu hetzen«, führte sie ihre Erklärung daher fort.
»Also mit Geduld. Geduld und Beherrschung.«
»Ja.«
Offenbar musste sie ihn deutlich irritiert angestarrt haben, denn Kodlak seufzte schließlich, als sie sich weiterhin in Wortlosigkeit hüllte. »Warum behandelst Du Hrothluf anders?« Die Jägerin legte den Kopf schräg und zog eine Augenbraue hoch. »Betrachte es als Jagd und ich bin sicher, dass es Dir leichter fallen wird, mit der Situation umzugehen.«
»Mit dem Unterschied, dass Hrothluf keine Beute, sondern selbst ein Jäger ist«, gab Vilkas nach langem, stillem Zuhören zu bedenken.
»Die Gefährten und besonders die Mitglieder des Zirkels haben sich seit jeher in der Jagd auf Jäger gestählt. Nach einfacher Beute und Opfern stand dieser Gemeinschaft nie der Sinn«, konterte der Alte und ließ den jüngeren Nord nickend verstummen. Auch die Kaiserliche musste einräumen, dass er Recht hatte. So schwer es ihr auch fiel das so zu sehen, weil er sie in einer eigentlich abgekapselten Sphäre ihres Lebens, ihrem Heim, bedrohte, war Hrothluf nichts weiter als eine neue Herausforderung – eine Jagd mit anderen Mitteln, die zum Ziel nicht das nächste Abendessen, sondern das Finden einer Wahrheit hatte.
»Aber genug davon«, brach Kodlak das Thema unvermittelt ab. Es sollte Vesana nur recht sein, bescherte ihr das Thema doch lediglich unnötigen Frust. »Ich wäre überrascht, wenn Du ein drittes Mal in die Drachenfeste gebeten würdest.«
»Hoffen wir es«, murmelte sie und trank noch einen Schluck Wasser, um den zugeschnürten Hals freizubekommen.
»Bestimmt. Und falls es doch anders kommt, denke daran, dass es noch uns hier gibt.« Immerhin diese Bemerkung schaffte es, ihr versteinertes Gesicht wenigstens ein bisschen zu erweichen. Einen Mundwinkel zur Vorahnung eines dankbaren Lächelns verziehend, nickte die Kaiserliche.
Einige lange Momente des Schweigens hielten zwischen ihnen Einzug. Vesa verspürte Dankbarkeit dafür, konnte sie so doch zumindest einen Teil der wild kreiselnden Gedanken einfangen und wieder unter ihre Kontrolle bringen. Zwar empfand sie noch immer die Unruhe eines Bienenschwarms in Brust und Bauch, doch wenigstens legte sich das Brummen hinter der Stirn. Tief durchatmend goss sie nochmals Wasser aus dem großen Krug nach.
»Wie schlägt sich Olen bislang?«, durchstieß schließlich Vilkas die Stille.
»Erstaunlich gut«, entgegnete Vesa und erhob sich mit ihrem Trinkgefäß in der Hand. Langsam pirschte sie durch den Vorraum von Kodlaks eigenem Gemach und ließ ihre Augen über die Regale schweifen. »An seiner Auffassungsgabe müssen wir noch arbeiten, ihm fehlt bisweilen der Sinn für die wichtigen Details des Kämpfens, aber er ist lernwillig und hat Durchhaltevermögen«, fuhr die Jägerin fort und blieb an einem Bücherregal stehen. Mit den Fingerspitzen der freien Linken strich sie sanft über die Ledereinbände, sog den alten Duft von Pergament und Tinte in die Nase und zeichnete hellere Spuren durch den feinen Staub auf ihren Rücken.
»Denkst Du, er hätte das Zeug zum Gefährten?«
Vesana hielt in der Bewegung inne und ließ die Hand auf einem der Bücher ruhen. Langsam wandte sie den Kopf und schaute über die Schulter zurück, antwortete jedoch nicht sofort. »Schwer zu sagen, dafür ist es zu früh«, antwortete sie. »Möglicherweise schon.« Vilkas nickte nur und die Kaiserliche widmete sich wieder dem Bücherregal.
Den Becher auf einem der Zwischenböden abgestellt, griff sie sich nach einigen Momenten des schweigsamen Stöberns einen der Folianten über Alchemie und blätterte durch. »Allerdings«, unterbrach sie letztlich gedämpft und ohne die Augen von den Buchseiten zu heben die Stille, »bezweifle ich, dass er – seine Eignung vorausgesetzt – so einfach bereit wäre, sich uns anzuschließen.«
»Du meinst, solange sein Heimatdorf der Bedrohung der Banditen ausgesetzt ist?«
»Hmhmm.«
»Wenn Du während der fortgesetzten Ausbildung das Gefühl bekommst, er könnte geeignet sein«, mischte sich nun Kodlak ein, »versuche herauszufinden, was er tun würde, wenn die Banditen nicht länger eine Bedrohung wären.«
»Ich wusste gar nicht, dass wir wieder rekrutieren.« Vesa schlug den staubigen Einband zu, dass ihr ein trockenes Wölkchen entgegenblies, und schob das Buch zurück ins Regal. Mit dem Tonbecher an den Lippen wandte sie sich um und lehnte sich zurück bis sie gegen die hölzernen Planken stieg.
»Offiziell ist das auch so«, bestätigte der Graue und ließ sie hellhörig werden.
»Aber?«
»Wir können immer rechtschaffene, gute Kämpfer gebrauchen. Athis zeigte sich, trotz all seiner üblichen Abneigungen gegen jedermann, führsprechend über Olens Kampfeswillen. Farkas und Vilkas, die gelegentlich den Übungen beigewohnt haben, bestätigen das«, erklärte Kodlak. Die Kaiserliche nickte lediglich verstehend. Der Alte hatte natürlich Recht. Gerade unter den Welpen verloren sie öfter Mitglieder – nicht immer durch Tod oder schwere Verletzungen, das eher selten sogar, wesentlich häufiger schlicht durch Ausstiege aus der Gemeinschaft oder notgedrungene Verbannungen aufgrund von Fehlverhalten. Eine standfeste Persönlichkeit, wie Olen sie derzeit zu sein erschien, mochte da durchaus Hoffnung auf einen langfristigen Zugewinn machen.
»In Ordnung«, stimmte die Jägerin somit zu. »Aber ich werde ihn erst noch ein paar Tage quälen, bevor ich eine Einschätzung abgebe.«
»Nichts anderes hatte ich erwartet«, bestätigte der Herold und auch Vilkas nickte.
»Nun gut.« Vesa stieß sich vom Regal ab und leerte ihren Tonbecher, während sie zurück zum Tisch mit den beiden Männern lief. »Wenn es sonst nichts weiter gibt, würde ich mich jetzt erst einmal frisch machen.«
»Besser so«, stimmte Vilkas zu und fing sich einen sauren Blick der Kaiserlichen ein. Gleich darauf grinste er jedoch und sie lächelte ebenfalls. »Geh nur.«
Damit verließ sie die beiden Zirkelmitglieder und trat auf den langen, gewölbten Korridor aus groben Steinen hinaus. Die Tür hinter sich schließend, verharrte sie einen Augenblick mit der Hand auf der Klinke und schloss die Augen. Nur langsam sank die von Kodlak gemahnte Ruhe in sie hinein, aber je länger sie in der Stille des schummrigen, warmen Flures mit ihren Gedanken allein war, desto mehr vor ihnen vermochte sie einzufangen. Es überraschte sie, wie schwer es ihr doch fiel, sich nach den Worten des Grauen zu richten. Im Zirkel galt sie als exzellente und geduldige Jägerin, doch sobald sie in der Integrität ihrer Person und ihres persönlichen Umfeldes bedroht wurde, verlor sie die Kontrolle über sich selbst. Dabei handelte es sich auch um nichts grundsätzlich Neues, auch wenn Darius Verschwinden es hatte schlimmer werden lassen – nicht zuletzt deshalb, weil er zuvor für die Jägerin ein Ruhepol gewesen war.
Mühsam schüttelte Vesana das Haupt und richtete ihre Augen aus der leeren Formlosigkeit ihrer Gedanken und Gefühle zurück auf ihr Heim, die grauen Steine der Wände und des Bodens, die roten und braunen Teppiche und die Kerzenleuchter, die flackerndes Licht spendeten. Schlussendlich glitten auch ihre Finger von der eisernen Klinke. Es war Zeit, sich aus dem Sorgenkleid zu pellen. Irgendwo tief in ihr glaubte sie fest daran, dass Kodlak rechtbehalten sollte, sie musste diesen Glauben nur noch nach außen kehren.
»… -t sich noch in Schweigen, wie sie es immer tun, aber er wird schon noch brechen«, vernahm die Kaiserliche nach einigen Schritten durch das Gewölbe eine nur allzu vertraute, kraftvolle Frauenstimme hinter sich und blieb stehen. Aus dem Seitenflur, an dem Aelas und Skjors Gemächer lagen, traten in diesem Moment gerade eben jene Beiden heraus. Die Nordfrau schien gerade zu weiteren Worten ansetzen zu wollen, doch brach sie ab, als sie mit dem einäugigen Kahlkopf an ihrer Seite auf den Hauptkorridor trat und Vesana bemerkte. »Vesa!«, stieß sie nach kurzem Zögern aus und wirkte erstaunlich überrascht.
»Aela?«, fragte die Kaiserliche zurück und fühlte sich nicht weniger übertölpelt als die zwei Zirkelmitglieder vor ihr aussahen. Sie benötigte einen Augenblick, um die Überraschung mit einem sachten Kopfschütteln niederzuringen. »Ich dachte, ihr beide wärt auf der Weststraße eingespannt?«
Die rothaarige Nord antwortete erst nicht. »Die Arbeit hat wohl leider jemand für uns erledigt«, entgegnete stattdessen Skjor, dessen Miene schnell wieder versteinerte.
»Bedauerlich.« Nach Überwinden der letzten Reste des anfänglichen Schocks lächelte Vesa schließlich und ließ die warme Freude über das Wiedersehen durchscheinen. »Aber schön euch beide zu sehen.«
»Ebenfalls«, erwiderte nun Aela und neigte anerkennend das Haupt. »Du siehst auch deutlich besser aus als noch vor zwei Tagen.«
»Dank euch, ja.« Skjor nickte nur und seine Partnerin hob abwehrend die Hand.
»Wohin bist Du unterwegs?«, wollte letztere wissen.
»Zur Waffenkammer«, antwortete die Kaiserliche und deutete mit dem Daumen über die Schulter, wo noch immer das Übungsschwert hing. »Und danach ein paar sauberere Sachen holen.« Ohne dass es eines Wortes bedurfte, setzen sie sich gemeinsam in Bewegung. »Wann seid ihr angekommen?«
»Etwa zeitgleich mit den Welpen. Haben einigen von den Verletzen zurück zum Gildenhaus geholfen«, erklärte Skjor, der gleichauf mit der Kaiserlichen lief, Aela hielt sich hinter ihnen.
»Ah, sehr praktisch.« Der Nord nickte. »Hm. Um wen ging es, als ihr euch eben unterhalten habt?«
Er verfiel ins Schweigen. »Diesen … Nord. Talgolf? Targolf?«, setzte Aela an.
»Trargolf. Oder Hrothluf«, berichtigte Vesana.
»Ja, richtig. Vilkas hat erzählt, dass Du heute wieder in der Feste warst.« In der Zwischenzeit gelangten sie an der dunklen, schweren Tür zur Waffenkammer an und hielten inne. Skjor wirkte unbeweglich wie stets, die rothaarige Jägerin, frisch gewaschen und ohne Kriegsbemalung, erschien ungewohnt freundlich. Aber das mochte wohl schlicht auch genau daran liegen, dass ihr die Farbe fehlte und sie sich über das Wohlbefinden der Kaiserlichen freute. Zumindest vermutete diese das.
»Es scheint sich schnell rumzusprechen«, gestattete sich Vesa die tadelnde Bemerkung. Der Gedanke, dass sich alle darüber unterhielten, missfiel ihr. Es brachte nur die Gefahr mit sich, dass irgendwann einmal jemand unerwünschtes mithörte.
»Nur im Zirkel, keine Sorge«, beschwichtigte Skjor und schnaufte. Er mochte ihre unterschwellige Anspielung durchaus verstanden und für unnötig befunden haben. Auch Aela wirkte nun wieder etwas ernster.
»Natürlich«, wiegelte sie ihre Bemerkung ab.
»Lass Dich jetzt erst einmal nicht aufhalten«, schweifte Aela ab. »Wir haben später noch genug Zeit miteinander zu sprechen.«
»Ich denke auch.« Damit trennten sie sich voneinander. Die beiden Nord verschwanden nach oben, Vesana verstaute ihre Übungswaffe in der Kammer und kehrte anschließend auf ihr eigenes Gemach zurück. Es erschien ihr noch etwas unwirklich, dass Aela und Skjor bereits zurückgekehrt waren und das Gildenhaus mit all den Welpen und einfachen Mitgliedern plötzlich wieder regelrecht voll wirkte. Überhaupt, schien dies allen etwas aufs Gemüt zu schlagen. Aela ungewohnt mild, Skjor leichter zu bewegen und auch Kodlak deutlich direkter als sonst. Kopfschüttelnd versuchte die Kaiserliche ihre eigene Irritation mit den veränderten Gemütern und das Chaos ihrer eigenen Gefühle über das unverhoffte Wiedersehen mit Hrothluf zu verdrängen. Wenngleich die Aufträge schiefgegangen waren, ein Grund zur Freude bot die Wiederkehr aller Beteiligten dennoch. Aufträge über lange Distanzen bargen stets die größten Risiken – viel mochte auf dem Weg zum Auftragsort und zurück passieren. Umso glücklicher also, dass sie keine Verluste zu beklagen hatten.
Entsprechend motiviert entledigte sich die Jägerin ihrer verschwitzten Kleidung und rieb sich mithilfe eines Stofftuchs und dem Wasser ihrer Waschschüssel grob ab. Keine wirklich effektive Reinigung, aber genug, um nicht mehr auszusehen wie ein Kind, das mit seinen Freunden zusammen im Wald gespielt hatte. Mit den Füßen in den warmen, niedrigen Stiefeln, die sie schon während des Tages getragen hatte, warf sie sich ihre rotbraune, bestickte Tunika über. Da sie nicht plante, nochmals außer Haus zu gehen und das Bedürfnis verspürte, wenigstens einmal wieder bewusst eine Nacht in ihrem Bett zu verbringen, sollte der etwas dickere Stoff genügen. Kodlak mochte es allemal freuen, dass sie nicht vorhatte, auf die Jagd zu gehen und auch das Biest schien sich damit anfreunden zu können, bescherte ihr doch der Gedanke an den Verzicht auf Beute keine neuen, oder zumindest verstärkten, Kopfschmerzen.
Die langen Ärmel ein Stück hochgeschoben verließ sie ihre Kammer und kehrte nach oben in die große Gildenhalle zurück.
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Mit dem nächsten Morgen nach einer zumindest für sie ruhigen Nacht machte der Monat Eisherbst seinem Namen gebührende Ehre. Der Wind hatte in der Nacht gedreht und trug eisige Luft, dass Vesa glaubte sie klirren zu hören, aus dem Norden über die Tundrasteppen des Fürstentums und über die Stadt. Beide hüllten sich in ein funkelndes Gewand aus gefrorenem Niederschlag. Als läge Sternenstaub auf allem, hatte sich die Feuchtigkeit des letzten Tages auf dem Land abgesetzt.
Die Hände in ihren gefütterten Handschuhen, die dicke Jacke über einer molligen Tunika und Hose und ihre hohen Wildlederstiefel an den Füßen hielt die Kaiserliche die Arme unter der Brust verschränkt. Am Rand der Terrasse stehend, fielen ihr einzelne, in der glasklaren Luft verloren wirkende Flocken auf den Leib. Gelegentlich landete die eine oder andere von ihnen auf der freien, empfindlichen Haut in ihrem Antlitz, brannte kurz und löste sich anschließend in kleine Tröpfchen auf. Die kalten Nadelstiche versetzten sie ins Zittern, obwohl sie nicht einmal fror. Ohren- und Nasenspitze beklagten sich flammend ob des mangelnden Schutzes.
Gedankenverloren lehnte Vesa sich an den Pfosten oberhalb der Treppe, die zum Übungsplatz führte, und das Vordach stützte, starrte durch ihre mit jedem Atemzug ausgestoßenen Nebelschwaden in den rotgoldenen Sonnenaufgang, der allmählich ins Weißgold verblasste, als sich die feurige Scheibe über die Gipfel der Berge schob. Ein friedlicher Anblick, der ihrem unruhigen Gemüt zurück in die Balance half. Eine passende Ergänzung zum ereignislos verlaufenen Abend, der nur Geschichten und viel Gelächter bei derben Witzen der Nord mit sich gebracht hatte. Wie stets wenig erholt von der Nacht im eigenen Bett genoss die Jägerin nun nur noch die Erinnerung der warmen, weichen Decke auf der Haut, ein sanftes Kitzeln, kaum stärker wahrzunehmen als das Schnurren eines Kätzchens.
Langsame, tiefe Atemzüge sogen die kalte Nordluft ein, kühlten sie allmählich von innen aus und bescherten ihr zunehmend häufigere Schauer entlang des Rückgrates. Wenigstens verlor der Wind zunehmend an Kraft und fuhr nicht mehr in jede noch so kleine Lücke in der Kleidung. Ein schwacher Trost, hieß es doch auch, dass das eisige Klima wenigstens für die nächsten Tage vorhalten würde. Andererseits hatte sie sich das Land ausgesucht, also wollte sie sich nicht beschweren, seufzte stattdessen nur und zog die Schultern hoch, um den Kragen der Jacke zu heben. Sanfte Windstöße spielten mit ihren offenen Haaren und trieben ihr Strähnen ins Gesicht. Unwillig die Hände aus den warmen Achselhöhlen zu nehmen, beließ sie ihr wildes Haar und schloss stattdessen die Augen.
»Verfluchtes Himmelsrand, viel zu kalt, wenn Du mich fragst«, knurrte ein Mann mit rauer, scharfer Stimme hinter ihr und trat dem Klang der Schritte nach zu urteilen neben sie.
»Du hättest nicht herkommen brauchen, Athis«, erwiderte sie und wusste, dass es dem Dunmer bösartig aufstoßen würde.
»Pah.«
»Worum ging’s gestern eigentlich bei Deinem Gerangel mit Njada?«, schwenkte sie auf ein anderes Thema um, das sie am vergangenen Abend nicht mehr hatte zur Sprache bringen können, ihr aber noch unter den Nägeln brannte.
Er zögerte einen Moment. »Das … ach … das war nur, um auszufechten, wer … heute Tilma bei den Einkäufe hilft«, erwiderte der Elf. Die Kaiserliche verzog die Augenbrauen und drehte den Kopf soweit, dass sie Athis aus dem Augenwinkel beobachten konnte. Nicht, dass sie ihm nicht glauben wollte, aber er wirkte seltsam unruhig. Allerdings fing er sich auch gleich darauf, gewann seine allumfassende Bitterkeit zurück und starrte tonlos nach Osten in den Sonnenaufgang. Vesa schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Das erklärt, warum Du so früh auf den Beinen bist«, kommentierte sie die ziemlich unglaubwürdige Antwort und beobachtete ihn weiter. Zwar bezweifelte sie, noch irgendetwas aus seinem aschgrauen, fiesen Gesicht lesen zu können, aber vielleicht würde er sie ja zur Abwechslung einmal überraschen.
»Ja, tut es.« Mehr sagte er nicht und zog stattdessen die schwere Lederjacke mit Fellkragen enger, als er allmählich zu zittern begann. Für einige Momente schwiegen sie sich an und Vesana lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf den Horizont, wo sich die zunehmend farbloser werdende Sonnenscheibe hinter Schleierwolken und über der Tundra aufsteigenden Dunstschwaden versteckte. Kraft besaß sie zwar noch, aber längst nicht mehr genug, um den frostigen Atem des aufkommenden Winters niederzuringen oder gar zu vertreiben. »Du bist selbst ziemlich früh auf«, ließ sich der Dunmer letztlich zu einem weiteren Kommentar hinreißen, klang jedoch wenig motiviert das Gespräch fortzuführen.
»Bin ich immer.«
»Hm.«
»Wie dem auch sei, viel Spaß beim Einkaufen.« Damit stieß sie sich vom Pfosten ab und wandte sich dem Gildenhaus zu. Athis hob lediglich eine Hand zum Gruß, obwohl es mehr wie ein entnervtes Abwinken aussah, und kurz darauf trat die Kaiserliche in die Halle ein. Die Spuren des vergangenen Abends waren noch nicht einmal beseitigt. Überall lagen noch Teller mit Essensresten, umgekippte Becher in Lachen aus Met und anderem alkoholischen Gebräu. Allerorten lagen sie auch auf dem Boden. Ein chaotisches Bild, das einzig und allein Vilkas an der langen Tafel mit Leben füllte.
Er blickte auf und über die Schulter aus tiefen, dunkel unterlaufenen Augenhöhlen zu ihr hinüber. »Guten Morgen«, brummte er.
»Morgen.«
»Bist Du schon lange auf?«
»Eine Weile.« Sie setzte sich zu ihm und griff nach dem Brot.
»Hätte nicht gedacht, dass nach der letzten Nacht so schnell jemand aufsteht, aber vermutlich sollte es mich bei Dir nicht überraschen«, meinte der Nord und reichte ihr das Streichfett.
»Athis ist auch schon auf den Beinen.« Dem Gefährten entglitt beinahe der Tonkrug mit Wasser und ließ im Versuch ihn zu fangen die Schüssel mit dem Fett fallen. »Noch nicht ganz wieder wach, was?«
»Scheint so«, schmunzelte er und schenkte ihr vom Wasser ein. »Was macht Athis so früh auf den Füßen?«
»Er meint, er muss Tilma bei den Einkäufen helfen. Hat wohl gestern im Kampf mit Njada verloren, als sie ausgefochten haben, wer es übernimmt«, erklärte sie.
»Ah ja, richtig. Da war was.«
»Sag mal, haben wir eigentlich noch irgendwo ein paar lange Bretter und Holzklötze rumliegen?«, ließ sie das anfängliche Thema fallen und biss in ihr Frühstück.
»Hm. Möglich wäre es, dass bei Eorlund oben noch irgendwas rumliegt. Ansonsten hat vielleicht Belethor noch das eine oder andere. Warum fragst Du?«
»Ich hab‘ da so eine Übung im Kopf, die ich mit Olen ausprobieren möchte. Dafür brauche ich das«, erklärte sie und stürzte das kühle Wasser aus dem Becher hinter. Gleich darauf stand sie auf, zog sich die Handschuhe über und schob den Stuhl zurück an den Tisch. »Mal schauen, ob ich bei Eorlund fündig werde. Meinst Du, ihn stört es, wenn ich mich bediene, falls er noch nicht da ist?«
»Bestimmt nicht. Wenn, dann hat er ohnehin genug.« Sie nickte nur, schenkte dem müde wirkenden Nord ein dankbares Lächeln und machte sich auf. Genau zum richtigen Zeitpunkt, wie es schien, denn der alte Schmied stapfte gerade die Stufen zu seiner Arbeitsstatt hinauf. Vesa hatte es nicht eilig und folgte ihm eher gemächlich, zog die Jacke enger und ordnete unterwegs die langen Haare links des Nackens. Noch hielt sich der Frost in Grenzen und bot als rauer, weiß schimmernder Reif auf der steinernen Treppe zur Himmelsschmiede zusätzlichen Halt, aber es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis dickes Eis und angetauter Schnee eine spiegelglatte Schlittenbahn daraus zauberten.
Oben angekommen erspähte sie schnell, wonach sie suchte. Am hinteren Rand des Plateaus langen dicke Planken und einige Stapel mit Holzscheiten. »Frühe Kundschaft«, empfing sie der alte Graumähne, der silberne Schopf im Zopf zusammengebunden und der massige Leib in ein warmes Gewand aus derber Wolle gehüllt. Er bediente gerade den Blasebalg, um die Restglut in Schach zu bringen.
»Nicht ganz«, erwiderte die Kaiserliche und blieb in einigen Schritten Abstand stehen.
»So? Was kann ein alter Wirt des Feuers dann für Dich tun?« Er wandte die weiß schimmernden Augen von ihr ab und blickte in die scharlachroten Funken, die aus der Asche aufstiegen.
»Ich wollte fragen, ob ich mir heute ein, zwei von den Planken dort und ein paar Holzkeile leihen kann.«
»Leihen? Das kannst Du auch behalten«, winkte er ab. Es entlockte ihr ein Schmunzeln und sie nickte dankbar. »Brauchst Du Hilfe, es fortzuschaffen?« Der Nord lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sie, während er abermals am langen Hebel des Balgs zog.
»Danke, aber da habe ich schon jemanden, der das für mich macht.«
»Ah, gut. Bedien‘ Dich. Nicht alles, aber was Du brauchst.«
»Keine Sorge, ich brauche nicht viel.«
»Gut, gut. Kann ich Dir sonst noch helfen?«
Die Jägerin war gerade im Begriff zu gehen, da fiel ihr ein, dass sie noch immer nicht mit Eorlund über einen Ersatz für ihr Schwert gesprochen hatte. »Wo Du es sagst, ich brauche ein neues Schwert«, eröffnete sie und folgte seiner Anweisung sich an den Rand der Schmiede zu setzen, als er es ihr per Handzeichen bedeutete.
»Ich erinnere mich, dass ich Dir vor nicht allzu langer Zeit ein Schwert angefertigt hatte, oder war das jemand anderes?« Eorlund musterte sie von oben herab, als er sich mit einem Schürhaken über die Glut beugte und neue Kohlen verteilte.
»Naja, vor etwa vier Monaten müsste das gewesen sein«, räumte sie ein.
»Manch einer hat seine Waffe sein ganzes Leben«, tadelte der Schmied und warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. »Wann hast Du sie verloren?«
»Lass es gut einen Monat sein«, räumte Vesana ein.
Der alte Schmied hielt in seiner Bewegung inne und starrte sie einen Augenblick unverwunden an. »Mit was hast Du in der Zwischenzeit gekämpft?«
»Ich hatte unterwegs ein weiteres Schwert … aufgenommen. Das ging vor ein paar Tagen verloren.« Inzwischen kehrte Eorlund an den Blasebalg zurück und verfiel in dröhnendes, wenn auch verbittertes Lachen.
»Fast schon Verschwendung, Dir ein neues Schwert zu fertigen, bei Deinem Verschleiß.« Er wirkte wahrhaftig bestürzt und die Kaiserliche wollte es ihm nicht verübeln, auch wenn ihr seine zynischen Bemerkungen sauer aufstießen. »Aber in Ordnung, lass mal hören, wie Dir Deine letzten beiden Waffen gefallen haben.«
Für einen Moment musste sie überlegen, nach einer Weile gingen ihr die Waffen zu sehr in Fleisch und Blut über, ihre Eigenheiten nahm sie dann meist erst wieder wahr, wenn sie zu einer anderen Klinge wechselte. »Das Stahlschwert hatte die ideale Länge und Klingenform. Gerade, schlank, spitz und vielseitig verwendbar bei herausragender Geschwindigkeit«, resümierte sie mit geschlossenen Augen, um sich die Bilder der Waffen in Erinnerung zu rufen. »Die andere Waffe war … anders. Geschwungen mit einer Hauptseite, das Rückenstück nicht durchgängig geschliffen. Der Schwerpunkt lag anders, weiter in die Klinge hinein verlagert und sie hatte einen Widerhaken. Auch der Griff war gebogen.«
Als Vesa die Lider hob, stand Eorlund mit verschränkten Armen vor ihr und stützte das Kinn auf die linke Hand. »Dir hat die gerade Klinge also besser gefallen?«
»Ja. Langfristig schon. Die geschwungene Schneide mit vorgelagertem Schwerpunkt hatte interessante Eigenschaften, ein bisschen wie eine Axt, nur leichter. Das hat kraftvolle Schwünge von oben ermöglicht, aber Hiebe von unten wurden deutlich schwerer. Sie war also nicht so flexibel einsetzbar.«
»Hmm, ja. Verstehe. Gefiel Dir überhaupt etwas an der zweiten Waffe?«
»Zum einen, dass sie mit Silber veredelt war, vor allem aber der gebogene Griff«, erklärte sie und der Schmied nickte.
»Ja, das ergibt auch Sinn. Komm mit, ich zeig‘ Dir ‘was«, forderte der Nord sie auf und führte sie anschließend zu einem Tisch am Rand des Plateaus, auf dem einige verschiedene Waffen lagen.
»Warum ergibt es Sinn?«, fragte die Kaiserliche auf dem Weg.
»Weil es zu Deinem Kampfstil und überhaupt Deinen Kämpfen als Mitglied der Gefährten passt. Hier, halte das«, sprach er und reichte ihr ein einfaches Schwert mit geradem Heft und glatter Parierstange. »Gerade Griffe sind Standardware. Weißt Du warum?« Sie wog die Waffe in der Hand hin und her und schüttelte den Kopf. »Sie sind universal. Sie passen zu jeder Hand und zu jedem Kampfstil. Besonders aber auf Schlachtfeldern, wo häufig blind aus der Deckung von Schilden gestochen wird, ermöglichen sie gute Kraftübertragung in die Stöße. Probier’s aus.«
Die Kaiserliche tat, wie ihr geheißen und führte einige Stiche in die Luft aus verschiedenen Positionen des Schwertarms. »Die Hand ist nicht angewinkelt, oder nicht sehr stark, das erleichtert einen festen Griff der Finger um das Heft und somit hohe Kraftübertragung. Schläge mit der Schneide sind dafür weniger effektiv, weil Du, um die Klinge als Verlängerung des Armes zu führen, die Hand stärker abwinkeln musst. Dabei geht viel Kraft verloren. Die Finger verkrampfen schneller, wenn die Schneide auf Widerstand stößt und verlieren auch leichter den Hal«, erklärte der Schmied weiteer, hob die Hand und zuckte mit Ring- und kleinem Finger. »Nicht alle Finger greifen richtig um den Griff.« Im Anschluss bat er sie mit offener Hand, ihm die Waffe zurückzugeben. Sie leistete schweigend Folge und lauschte stattdessen nur gebannt auf seine Worte.
»Du kämpfst anders und Deine Kämpfe sind auch grundsätzlich anderer Natur. Ich glaube, seit Ysgramor hat kaum ein Gefährte jemals wieder auf einem echten Schlachtfeld von Armeen gestanden.« Der Nord reichte ihr eine kürzere Waffe mit gebogenem Heft. »Du fechtest eher so etwas wie Duelle aus. Wenige oder ein Gegner auf einmal. Noch dazu bist Du nicht gerade kraftvoll gebaut, Du legst Wert auf Geschwindigkeit und Geschick, das ist richtig so. Ein gebogener Griff unterstützt das. Probier’s aus.« Einige Augenblicke lang beobachtete Eorlund wie Vesana surrende Schläge in die Luft führte. Scharf pfeifend glitt die Schneide durch den Hauch des Winters. »Die Griffform erlaubt es Dir, die Klinge bei nur schwach angewinkeltem Handgelenk sehr gerade zu führen. Du kannst also mehr Kraft in Deine Schläge übertragen ohne wirklich mehr Kraft für die Hiebe aufwenden zu müssen.« Vesa ließ die Klinge kreiseln und setzte zum Abschluss einen Stich von der Körpermitte aus nach vorn in die Luft. »Andererseits sind vielleicht etwas weniger kraftvoll, da Du nur aus bestimmten Winkeln wirklich effektiv zustechen kannst, ohne das Handgelenk nach oben oder unten abwinkeln zu müssen.« Er hob jedoch gleich beschwichtigend die Hände, als sie sich ihm zuwandte und das Schwert hinhielt. »Das macht jedoch nichts, denn in Duellsituationen sind Stiche deutlich gezielter als auf Schlachtfeldern. Du suchst also Schwachstellen und musst nicht Rüstungen durchdringen.«
Der Schmied nahm die Waffe entgegen und legte sie zurück auf den Tisch. »Was Du brauchst ist also eine gerade, schlanke Klinge und einen gebogenen Griff. Das macht sie leicht und schnell, aber gibt ihr gleichzeitig mehr Kraft in Deinen Schwüngen«, fasste der Nord zusammen. »Und natürlich kämpfen nicht viele Leute dort draußen mit solch feingestimmten Waffen. Du wirst sehen, dass die neugewonnene Flexibilität im Handgelenk für Änderungen im Schlagwinkel den einen oder anderen Vorteil für Dich und eine böse Überraschung für Deine Gegner bereithält.«
»Jetzt, wo Du es so direkt sagst, ja. Da hast Du Recht.«
»Ein Schmied kennt seine Produkte und wofür sie gut sind.« Der Nord ließ sich zu einem grimmigen Zwinkern hinreißen. »Du hast ein Talent für die Klinge, das sehe ich sogar von hier oben, wenn Du unten übst. Du nimmst ein Schwert auf und brauchst zwei, drei Schwünge, dann weißt Du, wie Du mit ihr umzugehen hast. Vermutlich kannst Du es nicht immer erklären, Du weißt es einfach. Aber was ich eben gesagt habe, hilft vielleicht auch Dir noch etwas weiter.
»Ja, das klingt in der Tat sehr gut«, bestätigte sie und lächelte dankbar. »Allerdings wäre eine etwas stabilere Klinge als die letzte und eine Silberveredelung nicht schlecht.«
»Stabiler? Und dann Silber?« Eorlund zog die Augenbrauen zusammen.
»Ja. Das Stahlschwert ist in der Kälte auf Solstheim gebrochen und das Silber ist …«, sie brach bei dem Gedanken an die Untoten im Hügelgrab ab und biss sich schwer durchatmend auf die Zunge. »… nützlich.«
»Gebrochen?« Der Graumähne wirkte schockiert. Die Augen aufgerissen und die Rechte im Bart vergraben. »Das sollte selbst bei der Kälte auf Solstheim nicht passieren. Das ist immerhin Himmelsschmiedenstahl!«
»Mein Gegner hatte … Bärenkräfte«, erklärte Vesa dem Schmied.
»Hmpf. Grundsätzlich ist das machbar. Allerdings dauert das etwas länger als herkömmlich.« Sie nickte lediglich zur Bestätigung. »Sonst noch irgendetwas?«
»Hm, nein. Das wäre soweit alles.«
»Gut. Ich gebe Bescheid, sobald die Klinge fertig ist. Feinheiten an Griff und Scheide lassen sich später anbringen, aber Du warst ohnehin nie sehr für unnötige Verzierungen zu haben, wenn ich mich richtig erinnere?«
»Richtig.« Die Kaiserliche lächelte im zu, auch wenn auf dem rauen, schweiß- und rußverschmutzten Antlitz des Nords wenig davon zurückkam.
»Zwei Wochen, mindestens. Eher drei, aber ich werde Dich zwischendurch noch einmal dazurufen«, bekräftigte er lediglich und Vesana neigte das Haupt zum Abschied.
»Das Holz lasse ich nachher holen«, rief sie ihm über die Schulter zu und verschwand vom Plateau der Schmiede.
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Geändert von Bahaar (30.01.2015 um 14:52 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Nachdem die Kaiserliche das untere Ende der Treppe erreicht hatte, beschleunigte sie ihr Schritttempo zu einem leichten Trab. Es bestand keine Notwendigkeit dafür, sich nochmals ins Innere Jorrvaskrs zu begeben und häuslich warm zu werden. Stattdessen würde sie die Zeit bis Olen eintraf nutzen, sich ein bisschen aufzuwärmen. Also rannte sie zunächst einige Runden um das Gildenhaus bis nicht einmal mehr die feuchten Nebelwolken, die sie mit jedem Atemzug ausstieß, auf den nackten Wangen brannten. Zwar stach die eisige Luft noch an den Ohren, doch das sollte sich bald legen.
Mit den ersten Schweißperlen auf der Stirn begann Vesana die restlichen Übungen in ihre Umläufe einzubauen. Einige Liegestütze und Rumpfbeugen auf dem Übungsplatz, Klimmzüge an den Holzbalken des Vordachs. Das Herz gleich einer Dwemerpumpe trieb es ihr das Blut rauschend durch die Adern und letztlich verschwand auch jedes verbliebene Bisschen Kälte aus ihren Gliedern. Für die Jägerin war es ein befreiendes Gefühl, ließ es doch die Erlebnisse und Erinnerungen der letzten Tage ebenso verblassen wie die Dunstschleier über Himmelsrand die Sonne. Geisterhaft glühte diese als weiße Scheibe im Hochnebel, unfähig diesen zu zerreißen. Vesa nahm es als Ansporn und zog sich grollend ein weiteres Mal am Balken hoch, bevor sie sich auf die Füße fallen ließ und eine weitere, schnelle Runde um Jorrvaskr drehte, die offenen Haare hinter ihr wehend.
Gerade im Liegestütz, wilde Strähnen auf dem gefrorenen Grund unter ihrem Gesicht verteilend, hörte sie knirschende Schritte aus der Richtung der Himmelsschmiede kommend. »Und ich dachte, die Übung wäre reine Schikane gewesen«, grüßte Olen und Vesana hob nur im Ansatz den Kopf, bis sie seine in dicken Stiefeln steckenden Füße erspähte.
Sie beendete ihre Wiederholungen, bevor sie ihm eine Antwort gönnte. »Nichts, das ich mit Dir tue, ist reine Schikane.« Sie setzte sich und begann mit einer Einheit Rumpfbeugen. Die Tatsache, dass ihr der Frost dabei durch die mollige Hose und die unteren Zipfel der Jacke ins Gesäß biss, half ihr trotz schmerzender Bauchmuskulatur dabei, sich zu motivieren und die Repetition möglichst schnell hinter sich zu bringen.
»Schon gut, war ein Witz«, beschwichtigte er und fing sich ein Augenrollend er Kaiserlichen ein.
»Will ich hoffen.« Letzte Station waren die üblichen fünf Klimmzüge am Balken. Inzwischen fiel es ihren Fingern schwerer, Halt auf dem kalten, überfrorenen Holz zu finden, aber da sie sich nun unter den kritischen Augen ihres Auszubildenden bewegte, durfte sie sich keinen Fehler erlauben. Wie sähe es auch aus, wenn gerade sie, die sie ihn striezte und züchtigte, bei ihren eigenen Übungen versagte? Während die Kaiserliche verbissen dort baumelte, erlaubte sie es sich den blonden Nord von oben herab genauer zu mustern. Die Haare wie gewohnt geordnet, wirkte sein grobes Gesicht mit der großen Nase neugierig und gebannt, als hoffte er nur darauf zu sehen, wie seine Mentorin einknickte. Sein kräftiger Leib verbarg sich unter einer blassblauen Jacke mit Fellsäumen, die braune Hose steckte in den hohen Stiefeln. Zufrieden stellte sie fest, dass er daran gedacht hatte das Übungsschwert mitzubringen, das sie ihm am vergangenen Tag nicht abgenommen hatte. Das aufkommende Schmunzeln konterkarierte sie mit einem letzten Klimmzug, bevor sie sich fallen ließ und vor Olen auf die Füße kam.
»Was machen wir heute?«, fragte er schließlich, als sie nicht zu einer neuen Runde um die Halle der Gefährten ansetzte.
»Du wirst erst einmal zwei dicke Planken und genügend Holzkeile von Eorlund auf der Himmelsschmiede holen, um hier auf dem Platz einen Steg zu bauen«, erläuterte sie und deutete mit dem Zeigefinger an ihm vorbei. »Das heißt: Du wirst einen solchen gleich bauen.« Olen nickte und wandte sich zum Gehen, hielt jedoch inne, als er merkte, dass Vesana nicht folgte sondern sich selbst dem Eingang zu Jorrvaskr zuwandte. »Ich bin schon warm«, strafte sie ihn scharf ab und machte sich daran, etwas zu trinken aufzutreiben.
»Hat Dich Olen gescheucht?«, lachte Vilkas, als er sie mit wohl deutlich rotem Gesicht und anhaltenden Schweißperlen an den Schläfen eintreten sah.
»Träum‘ weiter.« Sie blieb neben dem Nord, der noch immer allein am großen Tisch der Halle saß, stehen und griff an ihm vorbei zum Tonkrug. Ohne sich einzugießen, stürzte sie das kühle Nass hinter.
»Hast Du das Holz bekommen?«
»Olen holt es gerade, ja«, erwiderte sie und stellte das Gefäß auf dem massiven Holz der Tafel ab.
»Nett von ihm.« Er bemühte sich um Ernsthaftigkeit in der Stimme, aber ein müdes Feixen durchbrach die Maskerade. Vesa schmunzelte und klopfte ihm mit der Linken auf die Schulter. »Viel Spaß.«
Sie nickte ihm zu und kehrte auf die kalte Terrasse zurück. Der blonde Nord kam im selben Moment mit je einem Brett unter einem Arm um die Ecke des Gildenhauses. »Leg‘ sie direkt in die Mitte des Platzes«, wies sie ihn mit erhobener Stimme an, damit er sie auch hörte. Das Gewicht des gefrorenen Holzes schien ihm deutliche Scheuklappen zu verleihen. Regelrecht erschrocken und hastig hob er das Kinn und blickte erst irritiert, dann erkennend zu ihr hinüber. Im Gehen zog er die Augenbrauen hoch. »In die Mitte«, wiederholte sie langsamer und deutete mit dem Zeigefinger auf die Planken. Olen ließ sie an der Stelle fallen und laut dröhnend klatschten sie auf den Boden, dass es ihr in den Ohren stach.
»Wie viele Scheite?«, wollte er wissen und rieb die vom eisigen Druck sicherlich taub gewordenen Finger aneinander.
»Sechs sollten reichen«, erwiderte Vesa und trat näher. Ihr Auszubildender verschwand mit eiligen Schritten. Derweil begann sie damit das Holz mit den Fußspitzen in Position zu schieben. Sie musste sich eingestehen, dass es schwerer war, als es aussah, aber es mochte wohl gerade das Richtige für Olen sein. Eine kleine Kraftübung zum Aufwärmen schadete ihm gewiss nicht. »Baue uns einen Steg, drei Scheite pro Brett«, wies sie den Nord an, als er mit einem Stapel Klötzer zurückkehrte. »Während Du das tust, fasse mir noch einmal zusammen, was wir gestern alles geübt und gelernt haben.«
Wie ein hungriger Wolf pirschte die Kaiserliche um den sich hinknienden Nord und beobachtete seine Bewegungen. Die Finger zitterten trotz der Handschuhe, die er trug. Eiskristalle bildeten sich in seinem kurzen Bart und schmolzen kurz darauf wieder. »Wir haben mit einer Verfolgungsjagd begonnen. Du warst schneller als ich-«
»Falsch«, unterbrach sie ihn und sorgte für ein vorrübergehendes Stocken seiner Bewegungen.
»Aber Du bist bis auf ganz zum Schluss stets vorausgerannt, das bedeutet, dass Du schneller gewesen bist.« Der Blondschopf blickte auf, erst fragend, dann mit Verwirrung in den dunkelbraunen Augen. »Nicht?«
»In einem Wettlauf zu führen bedeutet nicht immer der Schnellere zu sein«, erwiderte Vesana und fuchtelte mit der Linken, damit er weiter an ihrem Steg arbeitete. »Womit habe ich Dich abgeschüttelt?«
»Mit … Änderungen des Laufweges?«
»Richtig. Und glaubst Du, diese Änderungen hatten irgendetwas damit zu tun, dass ich schneller gewesen wäre, als Du?«
Olen schwieg einen Moment und bockte den letzten Holzklotz unter das erste Brett. »Nein«, antwortete er schließlich, klang dabei jedoch sehr unsicher und sprach gedämpft. »Nein«, wiederholte er einen Moment später bestimmter.
»Gut. Weiter, was noch?«
»Du hast mich verprügelt, während wir gerannt sind.«
»Und wie das?«
»Du hast mich überrascht … und warst schneller.«
»Richtig. Und falsch.« Abermals blickte der Nord zu ihr auf, Augen weit geöffnet und die Stirn gerunzelt. Musste sie ihm denn wirklich alles vorkauen? Sie seufzte gedehnt. »Ich habe Dich überrascht, ja. Aber ich war nicht schneller als Du. Zumindest wäre ich es nicht gewesen, hättest Du richtig reagiert«, erklärte Vesa. Olen sagte keinen Ton und werkelte stattdessen weiter am zweiten Brett herum. »Spätestens nach dem dritten Mal hättest Du doch merken müssen, dass es nicht funktioniert, das Schwert zu ziehen, um meinen Schlag zu blocken oder abzulenken, meinst Du nicht auch?«
»Was hätte ich denn sonst tun sollen?«, schnaufte er und stand fahrig auf, als der letzte Keil unter der Planke lag.
Die Kaiserliche legte das Haupt kaum merklich schief und lächelte dünn. »Ausweichen?«
»Blödsinn!«
»Wohl kaum. Ich habe viel Schwung in meine Schläge gelegt. Ließest Du sie ins Leere laufen, hätte mich das aus der Balance gebracht und in der Zeit, die ich benötigt hätte mich zu fangen, wäre es Dir ein Leichtes gewesen Dein Schwert zu ziehen«, konterte sie und hüpfte unbekümmert auf den gebauten Steg. Das Holz bog sich ächzend, berührte jedoch nicht den Boden zwischen den Klötzen und wippte stattdessen mit jedem ihrer Schritte. Die Hände auf dem Gesäß ineinandergelegt lief die Jägerin zum anderen Ende der Konstruktion. »Weiter, was hast Du noch gelernt?«
»Zum Schluss war ich schneller, allerdings hast Du mir kurz darauf den Weg abgeschnitten«, führte der Nord weiter aus.
Sie nickte. »Das ist zweimal richtig. Mit der kleinen Korrektur, dass Du immer schneller warst. Warum konnte ich Dir den Weg abschneiden?« Sich dem Nord zuwendend bedeutete sie ihm, ebenfalls auf ihren Steg zu treten.
»Du … kanntest einen besseren Weg«, entgegnete Olen und tat wie ihm geheißen.
»Richtig. Was war so schwer daran, dass zu verstehen?« Ihr Auszubildender schüttelte ratlos den Kopf. »Die letzten beiden Erkenntnisse sind die wichtigsten, Olen. Merke sie Dir gut. Egal wie schnell Du glaubst zu sein: Es gibt immer jemanden, der unter den richtigen Umständen schneller ist als Du. Auf gerader Linie holst Du mich nicht nur unverzüglich ein, sondern hängst mich auch ebenso schnell ab. Jeder noch so kleine Fehler Deinerseits kann diesen Vorteil aber schnell zunichtemachen«, führte Vesana aus. »Der größte Vorteil, den Du Dir je aneignen kannst, ist das Terrain um Dich herum besser zu kennen, als Deine Widersacher. Geschick und Trittsicherheit sind dann wertvoller als schnelle Schritte.« Die dunklen Augen des Nords funkelten, flammten regelrecht mit dem Feuer der Erkenntnis, als die Kaiserliche ihre Ausführungen beendete. Einen Mundwinkel leicht nach hinten gezogen, erweichte sie sich zu einem aufmunternden Lächeln.
Kurz darauf zückte sie das Übungsschwert aus der Scheide auf dem Rücken. »Du wolltest Übungen mit dem Schwert? Bitte.« Ihr Gewicht legte sie auf das rechte Bein, hielt die hölzerne Klinge schräg vor den Leib und hielt die übrigen Glieder hinter dem Körper. Aufregung stieg in ihr auf, wie sie es immer vor einem Kampf tat, brachte das Herz zum Rasen und beschleunigte den Atem, den sie mühsam und gezwungen wieder verlangsamte. Der Nord schluckte deutlich am Hals sichtbar und zog seine eigene Waffe, hielt sie jedoch nach wie vor sehr verkrampft. »Ein Schwert ist im Kampf mehr als nur ein Werkzeug«, sprach Vesana weiter, setzte aber im gleichen Augenblick einen schnellen Nachstellschritt nach vorn und hieb, die Spitze des Schwertes in einer Bogenbahn von ihrer linken auf die rechte Seite schwenkend, nach Olens Brust. Ungelenk und stümperhaft riss er seine Klinge herum. Rechtzeitig, um ihren Schlag mit dumpfem Hämmern abzufangen, aber nicht geschickt genug, um in der Balance zu bleiben. Rücklings taumelte er vom Brett. »Es ist ein Teil von Dir«, erläuterte die Jägerin und nahm ihre Ausgangsposition ein.
»Ein Teil von mir?« Der Nord stieg zurück auf den Steg.
»Der Verlauf einmal begonnener Bewegungsabläufe lässt sich vorhersagen. Ein Schwert, oder auch jede andere Waffe, ist eine Verlängerung Deiner Arme und somit durch die Bewegung dieser bestimmt«, setzte sie fort und ließ diesmal die Spitze sinken, dass sie ihn am Knie traf, ohne dass er seine eigene Waffe überhaupt nahe ihrer brachte. »Es gibt Spielraum im Handgelenk, aber Schwünge aus den Armen können nicht einfach mitten im Verlauf abgebrochen und in eine andere Richtung gelenkt werden«, bekräftigte Vesa ihre vorherige Aussage und führte einen langen Bogen über den Kopf auf die Schulter seines Schlagarms. Er blockte, stolperte jedoch abermals vom Brett. »Gleichgewicht, Olen, Gleichgewicht. Du stehst falsch«, tadelte sie und kaum stand er erneut auf den Planken hieb sie auch schon wieder zu. Es waren keine sehr kraftvollen Schläge, sie wollte ihn nicht sofort mit blauen Flecken und Prellungen zu Boden senden, aber immerhin stark genug um zu schmerzen. »Fühle Dein Schwert. Die Vibrationen nach einem geblockten Schlag, das Surren wenn es durch die Luft schneidet. Sein Gewicht gehört zu Deinem Körper, gleiche es aus, egal wo es sich befindet.«
Gerade wollte die Kaiserliche zu einem erneuten Angriff ansetzen, da kam er ihr zuvor und preschte los. Er stach zu. Ein an der nahe am Körper geführten Waffenhand leicht vorhersehbares Manöver. Geschickt schlug sie seine Klinge mit der ihren nach oben weg und drehte sich so ein, dass sie ihn am Schlagarm packen konnte, als er durch seinen Schwung an ihr vorüberstrauchelte. Sie nutzte seinen massigen Leib, um sich auf dem Brett zu halten und wirkte für ihn gleichzeitig als destabilisierendes Gewicht. Mit dem nächsten Schritt traf er nur noch auf die Kante des Brettes und stürzte als Folge zu Boden. Stöhnend wälzte er sich auf dem hartgefrorenen Grund und spuckte roten Speichel, als er sich versuchte aufzurichten.
»Steh auf, wir sind noch nicht fertig«, trieb ihn Vesana an und er hob beschwichtigend die Linke. Als sich Olen ihr zuwandte, sah sie, dass er sich auf die Lippe gebissen hatte. Nichts Schlimmes also, die Übung konnte weitergehen. »Ein nettes Manöver, aber sehr ungestüm und vorhersehbar.« Lob und Tadel, Zuckerbrot und Peitsche. Daran würde er sich gewöhnen müssen, egal wie grimmig ihre Worte sein Gesicht jetzt auch verzerren mochten. »Also nochmal von vorn.«
Abermals überließ sie ihm den Angriff, gespannt, was er sich einfallen lassen würde. Es folgte ein gegen die Hüfte geführter Hieb mit kräftigem Schwung aus der Schulter, dem die Jägerin mit einem schnellen Schritt nach hinten entging. Doch danach geriet sogar sie ins Straucheln. Aus dem Nichts heraus wechselte er die Schwerthand und stach zu als er sich in die entgegengesetzte Richtung eindrehte. Im letztmöglichen Moment lenkte Vesa die hölzerne Schneide ab, hieb ihm die Faust gegen die rechte Schulter und zog die eigene Waffe quer über den Unterarm noch bevor der Nord damit begann nach hinten in den Dreck zu fallen.
Vor Überraschung schwer atmend und das Herz schmerzhaft krampfend brachte sie zunächst keinen Ton hervor, als sie Olen rücklings zu ihren Füßen liegend betrachtete. Auch sein Brustkorb hob und senkte sich schwer und schnell. Sein Übungsschwert war ihm entglitten und lag außerhalb der Reichweite seiner Arme. »Wechsle im Kampf niemals die Schwerthand, wenn Du es nicht tausendmal vorher geübt hast!«, fuhr sie ihn an und trat ihm wuchtig gegen den Unterschenkel dass er aufstöhnte.
»Au!«, fluchte er und zog die Beine an. »Warum?«
»Weil sonst sowas hier passiert. Deine Zweithand ist schwächer, ungeschickter und die anfängliche Überraschung kann schnell umschlagen und tödlich für Dich enden«, mahnte sie anschließend ruhiger, aber noch immer mit leisem Grollen im Unterton.
»Wie soll ich meine Gegner denn dann überraschen, wo doch meine Schläge so berechenbar sind?« Sprachlos starrte sie ihn einige Herzschläge lang an. Erst nach und nach verzog sich ihre steinerne Miene in ein breites, die Zähne entblößendes Wolfsgrinsen. Um nicht zu Lachen, biss sich Vesa auf die Zunge und verlegte sich dann auf ein einfaches Schmunzeln. Vielleicht mochte doch noch etwas aus ihm werden.
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Geändert von Bahaar (06.02.2015 um 16:07 Uhr)
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Himmelsrand, Weißlauf
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»Eine gute Frage«, lobte sie Olen, wandte sich ab und lief zu ihrem Ende des Stegs zurück. »Nochmal von vorn.« Der Nord rappelte sich schwerfällig auf, nahm seine Übungswaffe und kehrte zu seiner Ausgangsposition zurück. Seine Bewegungen wirkten noch immer fahrig, regelrecht ungelenk, ohne Grazie und Form, aber das würde sie ihm früh genug austreiben, dessen war sich Vesa inzwischen sicher. Wie allen seines Volkes schien auch ihm eine angeborene Affinität zum Kampf innezuwohnen, er musste das nur noch begreifen, dann würde sie auch einen passablen Schwertkämpfer aus ihm zaubern können.
»Du hast im Kampf mehrere Möglichkeiten, Deinen Gegner zu übertölpeln«, begann sie zu erklären, atmete ein letztes Mal tief durch und versuchte das wild bis zum Hals schlagende Herz zu beruhigen, dann eilte sie auf ihren Auszubildenden zu. »In Deinem Fall … sind es vier … wesentliche … Grundsätzlich hängt ... es aber vom … Einzelnen ab, was … ihm offensteht«, setzte sie zwischen eher langsamen Hieben abgehackt fort. Der Schlagabtausch endete, als die Kaiserliche dem Blondschopf die hölzerne Klinge an die Kehle setzte. »Was denkst Du, was Dir offensteht?«
Schwer atmend gingen die Beiden auseinander und Vesana wischte sich dicke Schweißperlen aus den Brauen. Ein kurzer Blick in den Himmel verriet ihr, dass die Sonne allmählich doch die Oberhand gewann und die trüben Dunstschleier auflöste. Sie also nach und nach Väterchen Frost doch noch zurück. Der Jägerin sollte es recht sein. Olen musterte sie bereits, als sie sich schließlich umdrehte und die Klinge hob. »Also?«, fragte sie erneut.
»Kraft, schätze ich«, antwortete er.
»Richtig. Körperlich schwächere Gegner lassen sich durchaus mit Gewalt einschüchtern oder überwältigen. Für jemanden Deiner Statur eine sehr effektive Methode, allerdings auch eine, die sich schnell aushebeln lässt«, erklärte Vesa und wartete noch ab, bevor sie angriff.
»Hmm. Schnelligkeit?«
»Richtig. Bist Du schneller als Dein Gegner, kannst Du seinen Schlägen ausweichen und ihn so aus der Balance bringen, oder aber ihn mit Deinen eigenen Schlägen treffen, bevor er eine Abwehr zustande bringen kann«, führte die Kaiserliche aus und setzte schnelle Nachstellschritte auf ihn zu. Ein angedeuteter Stich auf die Brust brachte Olen dazu in einem Versuch ihn abzulenken sein Schwert von schräg oben nach unten zur Seite schwingen zu lassen. Noch bevor die hölzernen Schneiden aufeinandertrafen ließ Vesana ihre Waffe im Handgelenk kreiseln und so über der Waffe ihres Kontrahenten zu einem weiteren Stich bereit auftauchen. Die Spitze in die Mulde unter seinem Kehlkopf zu legen setzte dem Manöver nur noch die Krone auf.
»Geschick, wie mir scheint«, fasste der Nord den Schlagabtausch zusammen und erntete ein schmales, zufriedenes Lächeln seiner Ausbilderin.
»Richtig. Täuschungen, Finten, und Flexibilität in den Gelenken – nicht nur die im Schwertarm – erlauben es Dir, Deinen Gegner auszutricksen.« Um ihre Worte zu unterstreichen wippte sie kurz aus den Sprunggelenken auf und ab. »Wichtig dabei ist aber, dass Du das richtige Maß findest, denn eine zu kraftvoll geführte Finte kann schnell die Dynamik eines normalen Angriffs entwickeln und sich entsprechend nur noch schwer abbrechen lassen.« Erst jetzt nahm sie ihre Waffe von seinem Hals und brachte einige Schritte Abstand zwischen ihn und sich. »Was bleibt noch übrig?«
Olen senkte seine Waffe und starrte in die Luft, als er überlegte. Umstandslos nutzte die Jägerin das aus und rannte ansatzlos los. Lang bevor sich der Nord wirklich gewahr wurde, was geschah, klatschte die flache Seite ihres Schwertes seitlich gegen sein Gesicht. Scharf sog er Luft in die Lungen und taumelte mit einer Hand an der Wange vom Steg herunter. »Aauu!«, brüllte er und beugte sich schleifend atmend über seine eigenen Knie.
»Nimm niemals die Augen von jemandem, der eine Waffe auf Dich richtet, egal ob in einer Übung oder ernsthaften Konfrontation«, mahnte Vesa und nahm ihre Ausgangsposition ein.
»Und was ist, wenn ich es mit mehreren zu tun kriege?« Seine linke Gesichtshälfte glühte feuerrot, als er sich ihr zuwandte und zu ihrer Konstruktion zurückkehrte.
»Schärfe Deinen Sinn für die Geschehnisse am Rand Deines Sichtfeldes und halte Deinen Rücken frei«, antwortete sie. »Aber wir schweifen ab. Der vierte Weg, wie Du Deine Gegner übertrumpfen kannst.«
»Ich weiß es nicht.« Nochmals rieb sich der Nord über die glühende Wange und hob erst danach die Waffe. Seine Bewegungen erschienen allmählich träger, sein Atem anhaltend stoßweise. Die Auseinandersetzung zeigte Spuren, deutliche Spuren. Die Jägerin wunderte es nicht. Natürlich merkte auch sie das Ziehen in den Muskeln, das Ächzen der Gelenke und die hohe Schlagfrequenz ihres Herzens. Doch im Vergleich zu dem ungeübten Nord wusste sie damit umzugehen und sich an der anfänglichen Erschöpfung eher zu laben denn sich niederringen zu lassen. Diese aufkommende Müdigkeit war etwas, das jeder Kämpfer zu schätzen lernen musste, denn sie bedeutete, dass er noch lebte und der Kampf zumindest nicht zu seinen Ungunsten verlief. Natürlich zog das nach sich, dass auch der Gegner nicht grundsätzlich unterlegen war, aber ein guter Duellant offenbarte seine Trümpfe ohnehin nie, bevor er die erste Erschöpfung an den Rand verdrängt hatte. Überraschungen mussten für den richtigen Moment aufgespart und durften nicht ungelenk verpulvert werden.
»Verrate mir: Wie fühlst Du Dich?«, versuchte Vesana ihn schließlich auf die richtige Spur zu führen.
»Etwas ausgezehrt, erschöpft«, gestand Olen.
»Das sehe ich. Glaubst Du, das wird Deinen Gegner großartig anders gehen?«
Er schüttelte das Haupt. Noch während er es tat blieb ihm der Mund offen stehen und weiteten sich seine Augen in Erkenntnis. »Aaah, Ausdauer.«
Die Kaiserliche nickte. »Richtig. In ausgeglichenen Kämpfen entscheidet nicht das Geschick, die Kraft oder Schnelligkeit – sonst wären sie wohl auch nicht ausgeglichen. In solchen Auseinandersetzungen geht es einzig und allein darum, wer den längeren Atem besitzt. Müdigkeit provoziert Fehler. Wer zuerst müde wird, hat in der Regel verloren.«
Er hob sein Schwert, bereit für einen neuerlichen Schlagabtausch. Durch die trübe Müdigkeit, die sich auf seinen Zügen zeigte und den Blick vernebelte, flammte etwas in seinen dunklen Augen auf, das zweifelsohne Kampfeslust sein mochte. Auch die Kaiserliche griff fester um ihr Heft und hob die Spitze der Waffe ein Stück. Schnell folgten die anschließenden Schläge. Einen kurzen Stich gegen ihre Hüfte abgelenkt, setzte er mit einer Aufwärtsbewegung gegen ihre Schulter fort. Sie fing ihn mit der Parierstange ab und trat ihm, noch während sie ihre Waffen bewusst verkeilte, vor das Knie. Stöhnend taumelte er zurück und hob nur mühevoll das Schwert zum Block, als ihre Schneide auf ihn niedersauste.
Das Spiel drehte sich um und diesmal verfing sich ihre Klinge an seiner Parierstange. Genau so, wie sie es wollte. Mit einem schnellen Ausfallschritt trat die Jägerin auf Olen zu, drückte ihr Schwert mit dem Gewicht ihres Leibes herum und hebelte so die gegnerische Waffe aus dem Weg. Den Knauf schlug sie ihm zum Abschluss der Bewegung kraftvoll gegen die Stirn. Der Nord stürzte nach hinten vom Steg in den allmählich auftauenden Dreck. »Dein Schwert besteht aus mehr als nur der Klinge, merke Dir das.« Er nickte und setzte sich auf. Eilig zog er sich die Handschuhe von den Fingern und löste das Lederband, das seine Haare zusammenhielt. Zahllose Strähnen hatten sich aus dem Pferdeschwanz gelöst und waren ihm wild ins Antlitz gefallen, jetzt versuchte er sie wieder zu zähmen. Unterdessen verstaute die Kaiserliche ihre Übungswaffe in der Scheide auf dem Rücken, hob die Hände vors Gesicht und atmete einige Male tief durch, sog den Duft des alten Leders ein und genoss die Wärme des eigenen, zurückgestauten Atmens auf der Haut.
»Deine Gegner haben dieselben Möglichkeiten, Dich in die Irre zu führen«, setzte sie schließlich an und ließ ihren Blick auf ihm haften bleiben. »Und keiner der Wege wird Dir allein zum Sieg helfen. Wechsle ab, um unberechenbarer zu werden«, erklärte sie und starrte ihm ins verkrampfte Gesicht. Einige Adern standen unter der Haut hervor, sein Atem zeichnete sich als konstante Dunstwolke vor ihm ab. Es bestand kein Zweifel, dass ihn die Übung erheblich angestrengt hatte. Dennoch wusste Vesa auch, dass seine volle Aufmerksamkeit auf ihr lag. Nicht überraschend, aber zufriedenstellend.
»Gibt es noch mehr Möglichkeiten, einen Gegner im Kampf zu überraschen, als diese vier?«, fragte Olen im Aufstehen und verstaute seine eigene Waffe im Anschluss.
»Ja. Magie beispielsweise. Allerdings sind das Wege, die an sich nichts mehr mit dem eigentlichen Kampf mit der Waffe zu tun haben«, entgegnete sie und trat vom improvisierten Steg hinab. So richtig wurde ihr erst jetzt wieder bewusst, wie groß ihr Auszubildender eigentlich war. Er konnte ihr beinahe auf den Kopf spucken, so er denn wollte. Ein Hüne wie Farkas, nur nicht gar so muskelstrotzend. »Und als solche werden werde ich sie Dich nicht lehren können«, fügte sie sicherheitshalber hinzu. Olen nickte nur.
»Ich nehme an, nicht alle Wege stehen jedermann gleichermaßen offen?«, sprach der Nord weiter, als sie gemeinsam zur Terrasse hinüberschritten.
»Korrekt. Nicht jeder hat den Vorteil langer Arme oder kräftiger Statur.«
»So wie Du, zum Beispiel.«
Sie schmunzelte und stieß Luft durch die Nase aus. »Ja, zum Beispiel. Andererseits ist nicht jeder flink wie ein Wiesel. Die Mischung aus den verschiedenen Möglichkeiten muss jeder für sich selbst bestimmen. Farkas beispielsweise ist groß und somit langsamer. Durch den Zweihänder sind seine Schwünge gleichzeitig auch nahezu unmöglich zu Blocken, möchte man sich nicht gerade den Arm brechen. Da er mit einem zweihändigen Schwert aber auch nicht alles Blocken kann, trägt er dicke Rüstungen. Für jemanden, der nicht so kräftig ist, sind leichte, weniger einengende Rüstungen und kürzere Klingen besser, um die Geschwindigkeit nicht einzuschränken.« Die Beiden setzten sich an einen der Tische. Vesa löste ihre Augen kein einziges Mal von ihm. Sie wollte sehen, wie er ihre Worte aufnahm und ob seine Aufmerksamkeit ungeteilt ihr galt. Nichts war für einen Kämpfer so tödlich wie eigene Unachtsamkeit und sie würde ihm das noch schmerzhaft einprügeln, sollte er es nicht von selbst erkennen. »Wir werden in Zukunft weniger Theorie behandeln und mehr üben. Immer und immer wieder, bis Du Deinen eigenen Weg gefunden hast.«
»Klingt gut«, meinte Olen leichthin und lächelte.
»Schauen wir mal, wie lange Du das noch so siehst.« Seine Miene verfinsterte sich wieder, als ihm wohl dämmerte, dass sie bis eben eigentlich nur gespielt hatten. Für die Dauer einiger Herzschläge schloss der Nord die Augen und atmete durch. Schon darauf lauernd, brauchte die Kaiserliche nur noch über den Tisch langen und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, die trotz des weichen Handschuhs zweifelsohne schmerzen würde. Genau dort, wo sie ihn zuvor schon mit der flachen Seite des Schwertes gewatscht hatte, glomm nun ein neuer roter Fleck. »Verdammt! Ich dachte, wir wären in der Pause!«, brummte ihr Auszubildender und rieb sich mit in Zorn zusammengezogenen Augenbrauen über die Haut des Antlitzes.
»Wir sind in der Pause, wenn ich sage, dass wir in der Pause sind. Nicht vorher wenn Du es gerne hättest«, konterte sie und spitzte die Lippen. »Jetzt sind wir in der Pause. Geh etwas essen und ruh Dich aus.« Damit erhob sich Vesana und schritt an ihm vorüber auf den Eingang des Gildenhauses zu. An der Pforte hielt sie aber noch einmal inne und blickte über die Schulter zu dem Nord zurück, der sich noch immer die Wange hielt, ihr ansonsten aber den Rücken kehrte. »Eines noch«, begann sie und beobachtete Olen, wie er sich im Stuhl zu ihr umdrehte. »Unterschätze Deine Gegner nie.« Er nickte lediglich und die Jägerin trat in die Halle der Gefährten ein.
Die warme, stickige Luft brannte regelrecht auf der Haut und in den Augen, als sie die Tür hinter sich ins Schloss drückte und somit die kalten Vorboten des Winters aussperrte. Als hätte sie jemand in eine Räucherkammer gesteckt, kratzte ihr die Wärme und Trockenheit in den Atemwegen. Der Duft von altem Essen und verschüttetem Alkohol verstärkte dieses Gefühl nur noch. Leise und laute Stimmen drangen aus allen Teilen des Raumes zu ihr hinüber. Leben war nach Jorrvaskr zurückgekehrt. Einige Welpen halfen Tilma dabei, die Spuren des vergangenen Abends zu beseitigen, andere hingen zusammengesackt und noch immer trunken wirkend in Stühlen oder stützten die schweren Köpfe über die Arme auf die Tische. Vilkas war verschwunden, oder zumindest sah sie ihn nirgends. Auch die übrigen Zirkelmitglieder machten sich rar. Lediglich Athis als eines der älteren Mitglieder der Gemeinde bemühte nahe der Kammer für Vorräte und Tilmas Habe einen Besen. Ein buntes Durcheinander, das stand fest, und niemand interessierte sich dafür, dass Vesa eingetreten war.
»… den Gefangen wohl härter rannehmen, der schweigt wie ein Grab«, überhörte die Kaiserliche im Näherkommen eine Gruppe jüngerer Mitglieder, die an der langen Tafel saß und die Köpfe zusammengesteckt hatte. Gefangener? Vesa verlangsamte ihre Schritte zum tonlosen Schleichen und spitzte die Ohren.
»Denkst Du? Gib ihm noch einen Tag, dann bricht er«, redete ein anderer.
»Härter rannehmen werden sie ihn bestimmt nicht. Sonst hätten sie’s ihr schon gesagt«, sprach der Dritte im Bunde.
Der Kaiserlichen zog sich der Magen zusammen, ballten sich die Hände zu Fäusten. Ihr zersprang das Herz in der Brust und noch während sich die drei Nord am Tisch gegenseitig zunickten, trat sie hinter sie. »Was für ein Gefangener?«, zischte Vesana mit bebenden Lippen. Ein kräftiger Ruck, als wären sie gleichzeitig vom Blitz gerührt, fuhr durch die drei Welpen. Furchtsam blickten sie über die Schultern hinter sich und anschließend zu ihr auf. Die Kiefer der Kaiserlichen mahlten dass ihr die Zähne schmerzhaft knirschten. »Welcher … Gefangene?«, presste sie hervor und packte den nächsten der Welpen am Kragen.
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Geändert von Bahaar (13.02.2015 um 11:16 Uhr)
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