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Provinzheld
Solstheim, nordöstliches Inland, Skaal-Dorf
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Den Weg zum Dorf legte Vesana, trotz ihrer nicht unerheblichen Verletzungen, in drei Tagen zurück. Das Wetter beruhigte sich schon zu Beginn der Rückreise, so dass sich die allgemeinen Bedingungen ihrer Wanderschaft verbesserten. Zwar löste sich erst auf halbem Wege die blockierende Schwellung in ihrem Hüftgelenk, die sie zuvor hatte humpeln lassen, und das Atmen fiel ihr auch zur Ankunft bei den Skaal noch immer schwer. Zu allem Überfluss kamen auch wieder ihre üblichen Kopfschmerzen auf, die dem Vollmond voraus eilten und folgten, seit die Anspannung vor dem Kampf mit dem Werbären verflogen war. Das ewige Stechen und Ziehen in den Schläfen verhinderte zunehmend, dass sie klare Gedanken fassen konnte. Vor allem nachts tobte das Gewitter in ihrem Kopf. Aber wenigstens beschleunigte der Marsch über das flache Fjalding-Plateau und die sonst überwiegend abschüssigen Passagen die Reise. Nicht, dass das in irgendeiner Weise ihr körperliches Wohlbefinden steigerte, aber es half zumindest psychisch dabei, sich voranzutreiben.
Erst lange nach dem Einbruch der Dunkelheit fand sich die Kaiserliche ein weiteres Mal auf dem Platz des Dorfes im Nordosten Solstheims wieder. In schiefer Körperhaltung stand sie vor der Hütte des einäugigen Nords. Den rechten Arm hatte sie unterhalb der Brust um den Oberkörper geschlungen und hielt sich die Rippenbögen linksseitig auf Höhe des Herzens. Schmerzen zuckten Vesana von ihnen ausgehend jedes Mal durch den Brustraum, wenn sie zu tief Luft holte und sich die Lungen zu stark aufblähten. Ein ungemütlicher Umstand. Letztlich fing sie sich aber, straffte sich ein wenig und klopfte kräftig gegen das alte Holz der Tür. Da noch Licht aus den schmalen Fenstern des Hauses schien, konnte sie sich wenigstens sicher sein, dass auch jemand öffnen würde. Es dauerte zwar einige Augenblicke, aber letztlich vernahm sie Schritte aus dem Inneren und das Rutschen eines Holzriegels auf der anderen Seite des Durchgangs. Leise quietschend schob jemand die Tür einen Spalt auf.
„Hallo?“, verlangte die raue Stimme des Einäugigen.
„Ich bringe Kunde von Eurem Bruder“, entgegnete die Kaiserliche.
„Beim All-Schöpfer!“ Augenblicklich öffnete sich der Durchgang vollständig und ein überraschter Wulf stand im Gegenlicht. „So kommt herein!“ Vesa ließ sich nicht lumpen und folgte der Aufforderung. Erst jetzt schien der vom Leben gezeichnete Nord zu bemerken, wie sein Gast eigentlich aussah. „Meine Güte, was ist Euch widerfahren? Ihr saht wahrhaftig schon lebendiger aus!“ Die Kaiserliche schenkte dem Mann nur ein schiefes, eher gezwungenes Lächeln und setzte sich schwerfällig an den einzigen Tisch im Haus. Den Tornister neben sich, begann sie darin zu wühlen und holte den Briefumschlag heraus.
„Das“, sie reichte das Papier weiter, „habe ich bei den Sachen eines Werbären beim Bieststein gefunden. Ich habe ihn nicht gelesen, aber es liegt nahe anzunehmen, dass er von Eurem Bruder ist.“ Wulf schaute zunächst die Frau an, dann auf den gefalteten, ziemlich zerknitterten Brief, und wieder zurück zu Vesa. Erst danach schlug er das Pergament auseinander und begann zu lesen. Sie ließ ihm Zeit und wartete schweigend. Das Sitzen, die Wärme, das Gefühl von häuslicher Sicherheit, all das tat ihr gut und es linderte ihre Leiden zumindest etwas. Der Einäugige verlor während er las für einige Momente die Fassung, Trauer zeichnete seine gegerbten Gesichtszüge und brach sein noch intaktes Auge. Als er seine Gegenüber aber erneut anschaute, schien er seine männliche Selbstbeherrschung wiedergefunden zu haben.
„Danke“, gab er leise kund. „Ihr habt mir einen großen Dienst erwiesen und Jahre dunkler Ungewissheit ins Licht gerückt. Danke.“ Der Nord faltete die Seite zusammen und legte sie zurück auf den Tisch. „Hat er Euch das angetan?“ Er deutete auf die verkrusteten Wunden an Schläfe und Lippe, sowie die Stelle an der Seite, die sich Vesana noch immer hielt, auch wenn sie saß. Einen Augenblick lang musste sie überlegen, was sie darauf erwidern sollte.
„Ich habe mich für diese Jagd entschieden. Wenn, dann habe ich es mir selbst zuzuschreiben“, erklärte sie letztlich und Wulf nickte verständnisvoll. Ein Jäger schob nie die Schuld auf seine Beute.
„Ich würde Euch zwar gerne einige Jagdtricks und Kniffe mit auf den Weg geben, als Dank für Euren Dienst“, begann der Nord nach einige Momente anhaltendem Schweigen zwischen den beiden, „aber ich fürchte, dass ich Euch kaum noch etwas mitteilen kann, das Ihr nicht schon längst wisst. Ihr mögt nicht danach aussehen, aber Ihr seid eine verdammt gute Jägerin.“ Er griff sich mit den großen, kraftvollen Händen in den Nacken und löste ein ledernes Band um seinen Hals. Er zog mit ihm vier lange, spitze Eckzähne unter seiner dicken Kleidung hervor. „Stattdessen möchte ich Euch als Erinnerung etwas mitgeben, das für uns Skaal-Jäger besonderen Wert genießt.“ Wulf breitete die Zähne auf der Tischplatte vor der Kaiserlichen aus, die sich von neuerlichen Stichen in der Seite begleitet leicht vorbeugte und mit beiden Händen nach der Kette griff. „Es sind die vier Eckzähne meines ersten eigenhändig erlegten Bären. Sie sollen uns Glück bringen und die Gunst des All-Schöpfers sichern.“
„Der All-Schöpfer?“, fragte Vesana und legte den Talisman in die flache Hand.
„Wir Skaal glauben nicht an die großen Acht des Kaiserreichs. Der All-Schöpfer ist der, der unserem Glauben nach das Land, die Pflanzen, die Tiere, ja auch uns Skaal selbst geschaffen hat und zu dem wir zurückkehren werden, wenn wir sterben.“ Erst jetzt schaute die Jägerin auf und direkt zu Wulf. Sie schenkte ihm ein Lächeln und nickte.
„Habt Dank, es ehrt mich sehr.“ Sie legte sich sein Geschenk demonstrativ um den Hals und stopfte es von oben unter ihre Kleidung. „Ich hoffe, dass Ihr damit nicht zu viel Eures Glücks und der Euch zustehenden Gunst vergebt?“, scherzte sie ein wenig. Wulf lachte kurz auf.
„Nein, macht Euch keine Sorgen. Ich bin sicher, der All-Schöpfer wird diese Gabe anerkennen. Und unter uns: Meine besten Tage als Jäger liegen schon lange hinter mir. Früher oder später wird mich zweifellos jemand ablösen müssen. Seid also versichert, Ihr habt es Euch redlich verdient.“ Abermals nickte die Kaiserliche.
„Ob ich wohl Storn noch in seiner Hütte antreffe, oder ihn schon bei der Nachtruhe störe?“, lenkte diese dann auf ein weiteres wichtiges Thema um.
„Ich bin sicher, dass er noch auf sein wird. Für Euch hat er aber sicher in jedem Fall noch etwas Zeit.“ Mühsam stand Vesana auf und schulterte ihr Gepäck. Gemeinsam gingen die beiden Jäger zur Tür und Wulf öffnete sie für seinen Gast. „Wohin wird Euch Eure Reise noch verschlagen?“, leitete letzterer die Verabschiedung ein.
„Zunächst zurück nach Rabenfels und von dort nach Windhelm in Himmelsrand. Von da an, wird das Schicksal entscheiden müssen“, erwiderte sie. Wulf nickte und ließ sich nun ebenfalls zu einem grimmigen Lächeln verleiten.
„Wann auch immer Ihr einmal wieder auf Solstheim sein solltet, vergesst nicht, dass Ihr hier stets willkommen seid.“
„Danke, das werde ich nicht. Gute Jagd.“
„Gute Jagd.“
Die Kaiserliche begann ihren Weg hinüber zur Hütte des Schamanen. Erst nach einigen Schritten in das leichte Schneetreiben und die windstille, absolut ruhige Nacht hinaus vernahm sie das Quietschen der Scharniere und Rumpeln der Tür, wie sie ins Schloss fiel. Es war zweifelhaft, dass sie jemals wieder so hoch in den Norden reiste, aber der Gedanke daran, willkommen zu sein, blieb angenehm. Nicht häufig empfand sie so, und auch jetzt blieb ein fader Beigeschmack, immerhin kannte noch nicht einmal jemand ihren richtigen Namen, aber sie versuchte ihn zu ignorieren. Kurz darauf erreichte sie dann die Behausung des grauen Nords. Auch hier drang Licht aus den Fenstern und so klopfte sie gegen das Holz des Eingangs. Die Tochter des Schamanen öffnete ihr. „Ja?“
„Ich würde gerne zu Storn und mit ihm über etwas sprechen.“
„Wisst Ihr, wie spät es ist?“
„Ja.“
„Frea, lass sie herein“, klang aus dem Hintergrund Storns Stimme hervor. Die hochgewachsene Nord-Frau trat zur Seite und öffnete die Tür vollständig. Vesana schlüpfte hinein. Hinter ihr schlug Frea die Tür zurück ins Schloss. „Ihr seht furchtbar aus, wenn ich das so sagen darf“, begrüßte sie der Schamane.
„Das höre ich nicht zum ersten Mal, wenngleich Wulf es etwas weniger direkt zu verstehen gegeben hat“, erwiderte die Kaiserliche und setzte sich nach Bitten des Grauen an den Tisch. Dessen Miene verdunkelte sich auf ihren Teilsatz hin etwas.
„Seid Ihr deswegen zurückgekehrt? Habt Ihr seinen Bruder gefunden?“
„Allem Anschein nach, ja.“
„Da Ihr hier seid und lebt, vermute ich, dass …
„… er tot ist? Ja.“ Storn nickte nur und schien etwas in Gedanken zu sein. „Aber deswegen bin ich nicht bei Euch“, setzte Vesa fort. Kurzerhand zog sie ihren linken Handschuh aus und hielt die Hand mit der narbenähnlichen Zeichnung über den Tisch. „Sondern deswegen.“
„Was … Oh.“ Der alte Mann beugte sich vor und nahm ihre Hand mit den seinen hoch. Vorsichtig strich er mit den rauen Fingerkuppen über die Mahle. „Wie habt Ihr dieses Zeichen erhalten?“
„Nach meinem Kampf mit dem Werbären habe ich mich um die verwertbaren Teile seines Körpers gekümmert. Als ich aufbrechen wollte, umgab den Bieststein eine Art grün schimmernde Aura. Ich berührte den Stein und erhielt dieses Mahl“, erläuterte sie. Einige Zeit schwieg der graue Nord und betrachtete sich die vernarbten Punkte. In der Zwischenzeit rang die Kaiserliche mit sich selbst, um den Frust über ihre elende Neugier und die Anziehungskraft des Steines niederzuringen.
„Nun“, begann er schließlich, „wie es scheint, hat Euch der Bieststein mit seiner Magie gesegnet, nachdem Ihr Euch im Kampf gegen der Werbären als würdig erwiesen habt.“
„Soweit vermutete ich bereits.“ Vesana zog ihre Hand zurück und legte sie mit der Rechten zusammen auf die Tischplatte. „Die Frage ist: Was kann ich damit machen und wie kann ich es?“ Abermals verfiel Storn in Schweigen. Die Stirn in Falten gelegt und sich am Bart zupfend dachte er nach.
„Kind, wenn ich das wüsste, ich würde es Euch sagen. Doch übersteigt die Macht der Steine, die Magie der Insel, bei weitem meine Kenntnisse und Fähigkeiten. Alles, das ich Euch mit auf den Weg geben kann, ist Folgendes: Zu Zeiten der Bedürftigkeit wird sich Euch ein Weg offenbaren, diese Macht zu Euch zu rufen“, sprach er und fixierte seinen Gast mit beiden Augen, „und zwar nur dann. Die Steine mögen großzügig sein, doch verleihen sie keine Allmacht. Welche Begabung Euch der Bieststein auf den Weg gegeben hat, ist einzig und allein an Euch herauszufinden.“ Vesa lehnte sich zurück und musste sich mühen, das Gesicht nicht zu verziehen. Die rechte Hand legte sie wieder an ihre Seite und strich sich mit der linken über das Gesicht. „Es ist nicht das, was Ihr Euch erhofft habt, und seid enttäuscht. Das kann ich nachvollziehen. Niemand der sich Antworten erhofft, gibt sich mit leeren Floskeln und mystischen Prophezeiungen zufrieden. Leider kann ich Euch mit nichts anderem dienen, als solchen.“
„So, ich bin also gezeichnet und verfüge über irgendeine ominöse Fähigkeit, deren genaue Nützlichkeit und Funktion ich nicht kenne, von der ich nicht weiß, wie ich sie einsetzen kann und von der ich hoffen muss, dass sie zur rechten Zeit von selbst zuschlägt. Richtig?“ Storn nickte. „Klasse“, flüsterte sie mehr zu sich selbst. Ein starkes Ziehen an den Schläfen ließ sie stöhnen, was sie jedoch nach außen versuchte als Schnaufen zu tarnen. Mit den Zeige- und Mittelfingern massierte sie die Stellen und rieb sich anschließend nochmals über das Gesicht. Offenbar merkte Storn nichts weiter von ihren Schmerzen und nahm es eher als – tatsächlich echte – Verärgerung wahr. Warum musste sie auch den Stein anfassen? Sie hätte einfach gehen können, aber nein, sie musste neugierig sein. Und nun? Nun verfügte sie über eine magische Fähigkeit, von der sie nicht einmal in Ansätzen eine Ahnung hatte.
„Schädlich sollte sie zweifelsohne nicht sein“, tröstete der Schamane. Vesana lachte auf, weniger aus Belustigung denn Verbitterung. Dass ihr diese unbekannte neue Macht nicht so recht schmecken wollte, ließ sich kaum verbergen. „Wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr die Nacht wieder hier verbringen, bevor Ihr morgen wohl endgültig abreist.“
„Danke.“
„Ihr habt sicher unverändert alles Nötige. Wenn Ihr sonst keine weiteren Fragen an mich habt, würde ich mich gern zur Ruhe betten. Es ist bereits sehr spät.“
„Natürlich.“ Der Graue nickte nur, stand auf und verschwand in den hinteren Teil des Hauses. Nachdem sie noch kurz grübelnd am Tisch saß, begab sie sich zu ihrem zuvor bereits bemühten Schlafplatz und breitete die Fellunterlage aus. Darauf legte sie ihre Decke. Anstatt sich jedoch einfach hinzulegen, zog sie sich noch aus. Die Stiefel stellte sie an den Rand, die Rüstungsteile legte sie dazu. Jede noch so kleine Bewegung ließ sie das Gesicht verziehen und trieb ihr die Luft aus den Lungen, als würde ihr jemand einen Dolch zwischen die Rippen stoßen. Danach folgte die dicke Jacke. Sofort roch sie ihren eigenen Mief aus Schweiß, Talg, Fett und Dreck. Dass sie sich seit drei Wochen nicht einmal grob hatte waschen können machte sich inzwischen duftstark bemerkbar. Angewidert rümpfte die Jägerin die Nase. Schweißränder und Flecken zeichneten sich überdeutlich auf der eigentlich ohnehin relativ dunklen Tunika ab.
Keuchend ließ sie sich auf dem Fell nieder und verschnaufte einige Momente lang. Anschließend holte sie Verbandszeug und zwei Schatullen aus ihrem Tornister. Eine davon war bereits fast leer, nachdem sie sie Oslaf gegeben hatte. In der anderen stand die Heilsalbe noch bis zum Rand. Erst als die Schatullen direkt neben ihr lagen, zog sich die Kaiserliche weiter aus. Die Tunika über den Kopf abstreifend entblößte sie den schlanken, femininen Oberkörper. Dunkles Blau, fast schwarz, unterlegte die Haut um die Busen und umspannte den Brustkorb vom Zwerchfell bis unter die Achseln vor allem linksseitig. Nur durch das Fettgewebe der Brüste schimmerte es nicht. „Scheiße“, hauchte sie. Wenigstens standen keine ungewöhnlichen Spitzen hervor, die auf verschobene Rippenbrüche schließen lassen würden. Bevor die Kaiserliche damit begann, sich mit der Salbe einzureiben, streifte sie noch die Halsketten ab. Die von Wulf stopfte sie in ihr Felleisen, sie würde sich diese später nicht mehr umlegen, das Hirschkopfamulett legte sie auf die Decke. Im Anschluss leerte sie beide Metallschatullen als sie sich ausnahmslos alles oberhalb des Bauchraumes bis zum Hals einrieb. Mehr als einmal musste sie innehalten und tief durchatmen, um die Fassung zu bewahren. Besonders Bewegungen mit dem linken Arm schmerzten und zogen lange, feurig brennende Stiche durch die Herzseite.
Mit dem letzten Rest heilender Salbe verstrichen wartete sie einige Momente lang und ließ sie zumindest etwas einziehen. Danach wickelte sich Vesana ihr Verbandszeug vollständig und so straff, wie es sich aushalten ließ, um Busen und Brustkorb. Einige Schlaufen legte sie für besseren Halt um den Hals. Abschließend hängte sie sich ihr silbernes Amulett um und schlüpfte zurück in die Tunika. So versorgt legte auch sie sich schlafen und hoffte, dass die Arznei möglichst bald damit begann, ihre Arbeit zu verrichten. Aber selbst wenn, die Pein im Kopf würde sie vermutlich ohnehin länger wachhalten.
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Geändert von Bahaar (02.08.2013 um 09:49 Uhr)
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