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Wann ist eine Frau schön? Wollte man das für alle Kulturen aller Zeiten beantworten, könnte man ein Kabinett der Extreme reihen. Aber sobald wir anwendungsbezogen reden, tun wir gut daran, das Hier und Heute als Basis zu nehmen, ohne uns in Verumständlichungen zu verlieren. Und schon schnurt die Möglichkeitsmenge auffällig zusammen und daran ändert auch der Freund eines Bekannten nichts, der sich womöglich gegen den Strich verliebte.
Es geht überhaupt nicht um alle Kulturen aller Zeiten. Das geht schon wieder in eine völig andere Richtung, die gar nicht den Kern meines Argumentes trifft. Es geht nicht darum, dass sich die Anschauung auf etwas im Laufe der Zeit ändert oder kulturell verschieden ist - das ist es natürlich alles, aber das interessiert in diesem Fall erst mal nicht. Auch wenn wir, wie du ja auch meintest, das "Hier und Heute" als gesetzt annehmen, dann ist gut immer noch nicht klar definiert. Das Grundproblem, dass "gut" ein an sich unaussagekräftigen Begriff ist, bleibt davon völlig unberührt.
Wenn ich dich richtig verstehe, ist dein implizites Argument, dass uns das "Hier und Jetzt" den Bewertungsmaßstab mitgibt, der gut auszeichnet. Das gutes Essen also gut schmecken muss. Meiner Meinung nach ist das aber nicht so, denn es gibt keine verpflichtende Definition. Auch wenn du meinst, dass Essen ein schlechtes Beispiel ist, bleiben wir doch mal dabei. Denn Sättigung ist ja auch bei uns eine Kategorie. Nehmen wir mal wieder Beispiele:

Ein Eis ist sehr lecker, aber leider absolut nicht sättigend.
Ein Topf Gemüseeintopf ist nicht so lecker, aber er macht satt.

Ja, das sind mit Absicht Extrembeispiele. Keines von beiden ist absolut gesehen das bessere Essen. Eis ist leckerer, Gemüseeintopf ist sättigender. Selbst wenn die Extreme rausnimmst, bleibt das Prinzip das gleiche. Ich finde z.B. dass Crêpes viel leckerer sind als Salami-Pizza. Trotzdem glaube ich nicht, dass Crêpes ein besseres Essen ist - denn Salami-Pizza macht satt, und das ist mir meist wichtiger. Natürlich spielt der Geschmack immer noch eine Rolle, Haferschleim macht auch satt, und den finde ich nicht so gut. Aber er ist nicht allein entscheidende Kategorie und deshalb funktioniert die Gleichsetzung von "Essen 1 schmeckt besser als Essen 2" -> "Essen 1 ist besser als Essen 2" nicht. Selbst wenn ich alle möglichen Kategorien (Sättigung, Geschmack, usw.) mit Gewichtung auf eine einzelne Skala umrechne, kann ich trotzdem keine allgemeingültigen Aussagen machen. Ein Vegetarier wäre weit davon entfernt, meine Salami-Pizza als gutes Essen zu bezeichnen, denn sie enthält Fleisch. Andere Leute könnten dagegen argumentieren, dass Crêpes natürlich ein besseres Essen sei als Salami-Pizza - schließlich schmecken sie besser!
Ist jetzt verständlich geworden, was ich meine? Auch das "Hier und Heute" gibt uns keine Regeln vor, nach welchen Bewertungskriterien eine Sache gut oder schlecht ist. Selbst wenn wir annehmen, dass wir uns innerhalb der einzelnen möglichen Kategorien einig sind, also alle sagen würden, dass Crêpes besser schmeckt als Salami-Pizza und diese wiederum mehr sättigt, dann hilft uns das nur bedingt weiter. Denn das sagt uns immer noch nicht, ob wir jetzt den Sättigungsgrad oder den Geschmack stärker bewerten sollen.

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Vielleicht verstehe ich falsch und darum formuliere ich das auch nachfragend meinend, aber ich glaube, du gibst nicht viel auf Wahrscheinlichkeiten und Anschauungsmehrheiten, sondern siehst jeden Einzelnen als Wertungsabsolutum.
Für den ersten Schritt, sich klarmachen, dass es kein absolutes gut oder schlechtes ist, ignoriere ich Wahrscheinlichkeiten tatsächlich. Auf eine Definition haben Wahrscheinlichkeiten keinen Einfluss. Wenn Gegenstände in 90% der Fälle nach unten fallen, wenn ich sie loslasse, aber in 10% der Fälle in der Luft schweben bleiben, dann kann ich keine allgemeingültige Schwerkraft folgern. Dem Mathematiker ist dieses Problem bekannt: Schon ein Gegenbeispiel genügt als Beweis, dass eine Behauptung nicht allgemein gültig ist. Und wenn es das einzige für Millionen von Möglichkeiten ist, dann genügt es trotzdem.

In der Praxis spielen solche Wahrscheinlichkeiten natürlich eine größere Rolle. Das ändert aber erstens nicht daran, dass allgemeingültige Aussagen schlicht falsch sind. Wenn ich sage "Diese Geschichte ist schlecht" mache ich wieder meine Bewertungskriterien zu allgemeinen Bewertungskriterien von allen. Ich ignoriere, gewollt oder ungewollt, dass andere Leute völlig andere Prioritäten haben können, was die Qualität von Geschichten angeht.
Vor allem haben wir zweitens in dieser Community meiner Meinung nach keinen einheitlichen Massengeschmack, was Geschichten angeht. Es ist nicht so, als würden wir hier von ein oder zwei unverbesserlichen Abweichlern sprechen oder von dem Freund, der völlig gegen den Strich eine bestimmte Geschichte unglaublich toll findet, die sonst keiner mag. Meinungen gehen nun mal weit auseinander, was Geschichten und ihre Bewertung angeht. Das sollte man einfach anerkennen und nicht damit begründen, dass diese Leute eben noch zu jung, schon zu alt, borniert, aus einem anderen Kulturkreis oder einfach unlustig sind. Sondern einsehen, dass es jeder seine Prioritäten für eine gute Geschichte selbst wählen darf, denn es gibt keine Verpflichtung, dass ich mich z.B. nach deinen Prioriäten richten muss. Es gibt auch keine Verpflichtung, sich nach den Prioritäten der Allgemeinheit zu richten, denn auch deren Prioritäten wurden nirgends als verpflichtend gekennzeichnet oder definiert.

Um den Bogen zurück zu schlagen: Wenn man sich nach den Prioritäten der Allgemeinheit richtet, dann hat man gute Chancen, eine Geschichte zu schreiben, die von der Allgemeinheit als gut betrachtet wird. Das macht es aber immer noch nicht zu einer allgemeingültig guten Geschichte und jemand, der diese Geschichte schlecht findet, hat nicht automatisch unrecht oder einfach keine Ahnung.
Interessant wird es vor allem andersrum: Wenn die Allgemeinheit eine Geschichte schlecht findet, heißt das nicht automatisch, dass sie allgemeingültig schlecht ist und Leute, die diese Geschichte gut finden, haben alles Recht dazu und müssen auch nicht bekehrt werden, dass diese Geschichte doch eigentlich sehr schlecht sei.

Allgemeingültig über die Qualität einer Geschichte kann mit Wissen um den Allgemeingeschmack genauso viel ausgesagt werden wie ohne. Mit diesem Wissen können wir nur beurteilen, wie der Allgemeingeschmack diese Geschichte beurteilen wird. Der ja meiner Meinung nach auch nicht sehr einheitlich ist.

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Falls es sich so verhielte, wüsste ich nicht recht zu antworten, denn dann ist man zu schnell bei arg ausgefallenen Exempeln, die ich für nicht wirklich sinnhaftig erachte. Beispiel: Man kann nicht sagen, der Film hätte eine wirklich überwältigende Optik besessen, denn im Publikum saß ein Blinder.
Nein, das ist zum Beispiel purer Unsinn. Der Blinde legt vielleicht andere Maßstäbe an, ob der Film gut war oder nicht (die Optik ist ihm vermutlich egal). Aber das ändert nichts daran, dass wir die Optik eines Films beurteilen können. Was wir nicht sagen können ist: Der Film ist allgemeingültig ein guter Film, weil er eine überwältige Optik hat. Erlaubt ist aber natürlich immer "Ich fand diesen Film gut, weil er eine überwältigende Optik hat."