Alle Jahre wieder kommt so ein schöner Thread.... Moment, eigentlich eher alle 2 Monate wieder.
Also, weil mir gerade danach ist, hier eine kleine Abhandlung über die soziologischen Entwicklungen bezüglich der "Anspruchshaltung der Makerszene" im Rückblick auf die letzten 5 Jahre. Und ich hoffe, dass der Thread offen bleibt, bis ich das Ganze fertig getippt habe.
Ich weise auch grundsätzlich darauf hin, dass die hier aufgestellten Thesen mangels zuverlässiger statistischer Erhebungen nur unreichend belegbar sind. Ein Defizit, bei dem ich mir eine baldige Abhilfe durch groß angelegte Umfragen unter repräsentativ ausgewählten Mitgliedern dieses Forenbereiches erhoffe.
Und nein, ich erwarte von keinem, dass er das alles durchliest. Ich hab einfach grade zuviel Zeit, fürchte ich...
[Er tritt in einem blauen Anzug ans Podest und vor die Menge, im Hintergrund knattert leise ein Diaprojektor der ein helles Licht auf die Leinwand hinter ihm wirft. Nach einem kunstvollen Räuspern erscheint auf der Projektionsfläche ein großer Schriftzug.]
Am Anfang war das RTP...
...und die Maker betrachteten das RTP, welches ihnen von Don Miguel mitsamt einem rudimentär übersetzten Maker überreicht wurde. Doch die Szene war noch jung und unerfahren, schließlich war der Maker in Deutschland noch etwas völlig neues. Es fehlte an allem, natürlich in erster Linie noch an Grafikressourcen, aber auch an technischen Kenntnissen. Man hatte also einen Alex, ein paar Switches und ein paar Variablen, aber niemand hatte zu diesem Zeitpunkt so recht eine Ahnung, was man mit den Teilen alles anstellen kann.
Das Zeitalter der Pioniere
Aufgrund dieser Ausgangslage verwundert es also kaum, dass die ersten Makerprojekte der deutschen Szene weit von dem entfernt sind, was wir heute kennen. Jedoch kristallisierte sich allmählich eine bestimmte Entwicklung heraus, indem sich die ersten Communities zusammenschlossen. Dies ermöglichte den raschen Austausch von Ideen und die gemeinsame Erkundung der technischen Möglichkeiten des Makers. Der eine hatte nun eine gute Idee für einen bestimmten Effekt und der andere die technischen Kenntnisse um diesen Effekt zu ermöglichen. Die ersten offen angebotenen Skripte kamen auf und jeder hatte nun die Möglichkeit, bei technischen Fragen sich an jemanden zu wenden und die Ideen anderer einzuholen. Im Zweifelsfall sah man sich halt einfach die Eventbefehle im Projekt von jemand anderem an. Auch die verfügbaren Ressourcen wurden allmählich ganz ansehnlich, nachdem die ersten auf die Idee kamen, sich in der Geburtsnation aller Makerkiddies umzusehen, wo man ja bereits über eine ganz ansehnliche Auswahl an Ressourcen verfügte. Auch begannen sich die ersten auf das Erstellen von Ressourcen zu spezialisieren, weil dies ihnen einfach mehr lag, als die Arbeit mit dem Maker an sich.
Kaum verwunderlich, dass die Anspruchshaltung in dieser Zeit noch eine völlig andere war, als heute. Eine einzige gute Idee konnte da ein Spiel schon zur technischen Revolution machen, siehe Dreamland 1 mit einem der ersten AKS der Makergeschichte (und das Ding ist dermaßen einfach gebaut, dass selbst ich es auf dne ersten Blick verstanden habe. Aber trotzdem musste man auf so eine Idee erst mal kommen.)
Das "goldene Zeitalter"
Was nun folgte, war zum einen - Screenfun sei's gedankt - ein rasanter Zuwachs an Mitgliedern der Makerszene und zum anderen eine noch schnellere technische Entwicklung. Was gestern noch als technische Revolution galt wurde jetzt schon allmählich zum Standard. Zusätzlich begann mehr und mehr ein Umdenken im Hinblick auf den eigentlichen Sinn und Zweck technischer Neuerungen. Während man vorher zum Beispiel bei Skripten mit bestimmten Bildeffekten neben dem optischen Effekt auch meistens irgendwo den Hintergedanken "Seht her, ich kann einen tollen Bildeffekt machen!" hatte, stand nun endlich das Erzeugen einer stimmigen Athmosphäre im Vordergrund. Die Technik sollte nicht mehr unnötig aufgesetzt wirken, sondern sich stimmig in die Spielidee integrieren.
Spätestens durch die ersten Patches verschwanden die technischen Grenzen des Makers zusehend. Die Frage war nun nicht mehr "Was kann ich in mein Spiel einbauen?", sondern "Wie kann ich das was ich will in mein Spiel einbauen?". Die Communitiy wuchs nicht nur in ihrer Größe, sondern auch immer näher zusammen. Irgendwo fast schon legendäre Projekte verzückten mit hervorragenden Ideen, interessanten Handlungssträngen und vor allem einem enormen Spaßfaktor.
Der grafische Overkill
Ab hier zeichnete sich allerdings auch schon allmählich eine neue Tendenz ab, die von vielen heute wohl auch als die "erhöhten Ansprüche" empfunden wird. Vor allem aber gingen die Ansprüche an den technischen Aspekt eines Makerspiels mehr und mehr zurück und wichen zunehmend der Frage nach einer beeindruckenden Grafik.
In dieser Zeit kamen in diesem Forum zwei neue Typen von Threads auf, die sich zum Dauerbrenner musterten. Zum einen Threads, wie dieser hier. Viele, die mit der Welle des "goldenen Zeitalters" in die Community geschwappt waren, sahen sich nun mit einer Entwicklung der grafischen und technischen Möglichkeiten konfrontiert, der sie selbst nicht mehr nachkommen konnten. Zumal sie deutlich weniger Zeit hatten, sich in die technischen Kniffe des Makers einzuleben. Zum anderen entstand jedoch die Art von Thread, die zum einen die Ansprüche an die Grafik massivst hochschraubte und zum anderen das subjektive Empfinden von den "gestiegenen Ansprüchen" massivst untermauerte.
Richtig, die Rede ist von den allseits beliebten Screenshotthreads!
Die gesellschaftlichen Auswirkungen des Screenshotthreads
Screenshotthreads haben ein paar nicht zu unterschätzende Vorteile bezüglich der... nennen wir es doch einfach mal ganz frech Selbstinszenierung.
1. Man muss ein Projekt nicht mehr zu Ende führen, um sich dafür Lob zu holen (Gut, das geht allerdings auch mit Spielvorstellungen, die irgendwann vom Ersteller mit einem 'Nö, doch kein Bock!' geendet werden.)
2. Genaugenommen muss man nicht einmal ein Projekt haben... Ein einziges schönes Bild reicht.
3. Der präsentierte Effekt kann in der Praxis ruckeln, stören, Fehler haben oder sonst was... auf der Momentaufnahme wirkt er immer beeindruckend.
So schraubten sich binnen dieser Threads die grafischen Ansprüche gegenseitig hoch ("Ja, sehr schöner Screen, aber wie wäre es da mit dem XY-Effekt oder etwas anderem Mapping?") während diejenigen, die eine derartige Grafik einfach beim besten Willen nicht erreichen konnten, teils entmutigt wurden.
Screenthreads sind wichtig, keine Frage. Für jemanden, der beispielsweise über das eigene Mapping oder eine seiner Ideen bezüglich der Grafik ins Grübeln kommt, sind diese Threads eine unbezahlbare Möglichkeit um die Meinung Dritter einzuholen. Für jemanden, der einfach nur ein kleines Lob als Motivationsschub braucht, ebenso. Aber von der Community als solche werden sie in ihrer Bedeutung noch immer überbewertet.
Die Ausgangslage
Was folgte, war eine Dreigliederung der Projekte, die es zwar schon immer gab, die sich jetzt aber in jeder erdenklichen Hinsicht verschärfte.
Episch - Adventure, Horror, Sci-Fi... alle Spiele dieser Kategorie zeichnet jedoch ein enormer Schwerpunkt auf Atmosphäre und Grafik aus. Der eigentliche Plot kann auch hinter den Effekten zurückliegen. Die Hollywood-Blockbuster-Kategorie unter den Makerspielen.
Technisch - Sonstiges, eine bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich fast unterschätzte Kategorie. Für Leute jedoch, die zwar ein enormes technisches Verständnis für den Maker, jedoch zu wenig Geduld oder grafische Fertigkeiten für ein 'episches' Projekt haben eine hervorragende Möglichkeit ihre Kenntnisse praktisch anzuwenden. Zeichnen sich eigentlich immer durch kreative Ideen aus.
Fun - Um Dennis K., den Sohn des großen Philosphen R. Epko zu zitieren: "Ich kann nichts, also mach ich Fungames!". Diese Kategorie stellt schließlich weder Ansprüche an Technik noch an Grafik, sondern viel mehr an Wortwitz, Unterhaltung und Humor. Ob dieser immer garantiert ist, das sei hier mal dahingestellt. Jedenfalls lässt sich diese Kategorie fast als das South Park der Makerszene bezeichnen.
Ach ja, natürlich gibt es - wie bei allem - auch hier Ausnahmen von der Regel. "Flame of Rebellion" beispielsweise fällt zwar zweifelsohne unter die Kategorie 'Epic', jedoch mit völlig anderen Schwerpunkten als der Standard. Und für so etwas wie... ein bestimmtes Spiel von Lachsen (Ihr wisst schon, was ich meine!) müsste man eigentlich noch die Kategorie 'Overkill' ergänzen.
[Der Projektor geht aus, das Licht im Saal wieder an.]
So, frägt sich jetzt eigentlich nur noch eines. Von was hat dieser Depp da jetzt seitenlang geschwafelt und was tun wir dagegen?
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach:
Ga nichts.
Gegen wachsende oder sinkende Ansprüche an etwas kann man eigentlich nichts tun. Entweder man zieht seine Sache durch und ist mit dem Endergebnis so zufrieden, dass man es veröffentlicht oder man lässt es sein. Aber das entscheidende Kriterium ist, dass man in irgendeiner Form Spaß an seinem Projekt hat. Entweder an der Arbeit mit dem Maker als solche oder aber an seinem Endergebnis. Für etwas, in dem man sich alleine nach anderen richtet, kann man nicht wirklich einstehen. Klingt profan, ist aber so. Wer keinen Spaß am Makern hat, sollte sich einfach ein anderes Hobby suchen, vielleicht Gitarre spielen, eine vernünftige Programmiersprache lernen oder sonstwas. Dann bleiben einem ier ja immer noch die WG und Threads wie dieser, in dem man sich auch völlig ohne laufende Projekte und ohne einen Maker am (virtuellen) Leben der Community beteiligen kann.
Wer trotzdem ein Problem mit den Ansprüchen hier hat und wem ich nicht ins Gewissen reden konnte, für den habe ich zwei tolle Vorschläge.
1. Klebt Warnhinweise auf die Screenthreads.
2. Sucht euch ein anderes Land. Das ist mein Ernst und per Internet ohnehin kein Problem. Nachdem ich für Luki mal einem Venezuelaner die Installation des Key Patches erklären durfte, lotste dieser mich auf die Seite seiner Com. Die südamerikanische Makerszene akzeptiert jederzeit Spiele in Englisch und verwendet derzeit noch fleißig das RTP. War für mich fast eine Zeitreise zurück zu den Anfängen meiner Makerzeit.
So, ich danke für ihre wertvolle Lebenszeit, die sie mit dem Lesen dieser Zeilen vergeudet haben.