@ Tyr
Ja gut, ich gebe dir mal ein Beispiel
Zitat
Ad erster Quote: du wirst wahrscheinlich noch merken, wie sehr sich die eigene Einstellung von praktiziertem Handeln unterscheiden kann, wenn es der situative Kontext schlicht nicht erlaubt der eigenen Einstellung zu folgen. Mit der eigenen Persönlichkeit oder das diese dadurch reduziert würde, hat das erstmal wenig zu tun, denn die Einstellung bleibt dir, du wirst wohl irgendeine Rechtfertigung für dich finden, um die Verhaltensweise hinreichend zu integrieren und sei es nur, dass du dies mit den Sachzwängen begründest ("eigentlich würde ich ja gerne, ich kann aber wegen x und y nicht")Zitat
Ad zweiter Quote: ich glaube, dass man hier nicht mit einer moralischen Wertung weiter kommt (richtig/falsch). Mit richtig/falsch an die Sache ranzugehen bringt schon die eigene (subjektive) Wertung ins Spiel, denn was richtig und falsch ist, definiert man ja anhand seiner persönlichen Sicht. Die eigenen Werte sind aber eben auch_nicht unantastbar wie du schreibst, sondern kritikwürdig (und Kritik meint hier nicht nur negative Kritik, sondern die Auseinandersetzung). Nur weil ich ein Ideal oder persönliche Werte kritisiere, heißt das ja nicht, dass ich die Person angreife, abwerte, aber ich kann durchaus diese Ideale und Werte zur Diskussion stellen und die abweichenden Haltungen ausdiskutieren. Aufgrund der Komplexität unserer Zeit, halte ich aber die Kategorien richtig/falsch insgesamt für recht problematisch, denn sie sind eben genauso absolut wie nie/immer etc..
Ich habe den Satz nicht so aufgefasst. Nutze den Tag, heißt für mich, dass man das Bestmögliche für sich aus dem Tag machen soll und zwar egal ob mit Müßiggang oder mit Arbeit. Für mich bedeutet das, sein Leben bewusst(er) zu leben, als es einfach "irgendwie" verstreichen zu lassen. Aktiv zu sein anstatt passiv. Das schließt aber für mich nicht aus, auch an Morgen zu denken, zu Planen und seine Zukunft zu gestalten. Warum sollte es auch? Wenn ich ein Feld bestelle, dann, damit ich die Ernte einfahre. Wenn ich mich Bilde, dann, damit ich in Zukunft eine gereiftere Persönlichkeit bin. D.h. viele Handlungen sind - bewusst oder unbewusst - zukunftsgerichtet und das schließt der Spruch für mich nicht aus, sondern mit ein.
Die Dinge die du beschreibst drücken doch gerade auch eine Zukunftsgerichtetheit aus. Ich glaube zwar schon, dass, wenn man jünger ist, stärker im Hier und Jetzt lebt, aber selbst die Beispiele die du nennst, zeigen, dass die Jugendlichen und junge Erwachsenen eben nicht nur im Hier und Jetzt leben, weil sie eben für einen Job studieren, für eine Familiengründung arbeiten, für das Erreichen ihrer Lebensziele (vielleicht auch für die Verwirklichung ihrer Ideale @ Tyr).
Du darfst auch nicht vergessen, dass wir alle in den uns gegebenen Strukturen leben, diese nur bis zu einem gewissen Grad (im Rahmen des uns zur Verfügung stehenden Spielraums sozusagen) verändern und formen können. Ich sehe jedenfalls nichts verwerfliches oder problematisches daran, die Dinge zu tun, die man sich vorgenommen hat bzw. die man gerne tun möchte. Eben gerade WEIL es in Zukunft auch ganz anders sein kann.
Ich glaube eben wie gesagt auch nicht, dass viele dieser Handlungen nicht zukunftsgerichtet sind. Zum einen, weil viele Verhaltensweisen intentional, an einen Zweck, eine Absicht oder ein Ziel gebunden sind. Egal ob das der Schulbesuch, das Arbeitengehen ist, oder der Versuch jemanden in einer Disko kennen zu lernen. Viele Handlungen haben für uns einen "Sinn" und diese Handlungen formen doch zu einem nicht unbeträchtlichen Teil unsere Zukunft, reduzieren Komplexität sozusagen, weil sie zwar keine Versicherung sind, Zukunft immer kontingent bleibt, aber die Wahrscheinlichkeit erhöht, das bestimmte Ereignisse eintreten. Wenn ich in die Schule gehe, einen Abschluss mache ist es eben sehr viel Wahrscheinlicher zu studieren oder eine Ausbildungsstelle zu finden, als wenn ich die Schule schwänze und ohne Abschluss abgehe (bzw. wird sich die "Qualität" der Arbeit zumindest unterscheiden). Wenn ich nicht weggehe, kann ich auch keine potenziellen Partner kennen lernen, egal ob ich gerne heiraten und Kinder kriegen würde. Wenn ich jedoch aktiv werde, erhöht sich zumindest die Chance.
Da den Individuen Abläufe und Strukturen, Voraussetzungen usw. bis zu einem gewissen Grad bekannt sind, versuchen sie natürlich im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine für sie positive Zukunft zu gestalten.
Ich vermute auch, dass man auch schon früher gesagt hat, die Jugend kümmere oder interessiere sich nicht mehr für dies oder das. Nur wird dabei glaube ich übersehen, dass gerade das Jugendalter eine Lebensphase ist, in der man vieles ausprobiert, ja ausprobieren muss, um eigene Erfahrungen zu machen. Natürlich sind diese Dinge oft nicht weit in die Zukunft gerichtet, d.h. aber nicht, dass junge Leute nicht an Punkte in ihrem Leben kommen, zu denen sie Entscheidungen für ihre Zukunft treffen. Das kann im Eingehen einer längeren Partnerschaft sein, das kann eine Familiengründung sein oder im Abschluss einer privaten Rentenversicherung. Mit all den Entscheidungen die man über den Lebensverlauf trifft, werden auch andere Möglichkeiten wieder ausgeschlossen und damit die Zukunft etwas konkreter und damit auch planbarer. Wenn ich eine Partnerin habe, kann ich mir um Kinder Gedanken machen. Wenn ich einen festen Job habe, kann ich ein Haus bauen. Viele junge Leute sind aber durch die Dinge, die mit der Lebensphase in der sie sich befinden, (noch) nicht mit solchen Aspekten konfrontiert. Insofern glaube ich nicht die These, dass die jungen Leute (oder Menschen allg.) nur noch im Hier und Jetzt leben.
Ich glaube, dass man viele der Dinge die du ansprichst gar nicht wissen KANN und das alle Dinge die vor zweihundert Jahren geschaffen wurden, heute Bedeutung haben, nicht aus der Intention heraus geschaffen wurden, dass diese Dinge in den nächsten zweihundert Jahren noch von Bedeutung sind. Klar wollen Erfinder nützliche Dinge erfinden, aber ob die Motivation ist, in die Geschichte einzugehen, halte ich zumindest für fragwürdig. Auch ob eine Beziehung "eh nicht lange halten wird" kannst du doch nur aufgrund deiner bisherigen Erfahrung einschätzen (und ggf. negativ beeinflussen), aber du kannst nicht wissen ob die neue Beziehung tatsächlich so sein wird, denn sie hat definitiv das Potenzial längerfristig zu sein. Die eigene Erfahrung ist hierbei nur ein Bewertungs- oder Analyserahmen der Situation (siehe Optimist und Pessimist).
Das Ritual Silvester, Weihnacht etc. sehe ich eher als Strukturierung die zwar geplant und oft auch öde ist, die aber Orientierung bietet. D.h. selbst wenn ich kreuz und quer in Deutschland unterwegs bin, kann ich ggf. wissen, dass ich an Heiligabend bei meiner Familie zu Hause bin.
Ich finde den letzten Teil deines Posts etwas wirr, denn einerseits sagst du, man solle auch Dinge tun, die man vielleicht nicht zuende bringen kann oder Dinge tun sollte, die einen Einfluss auf zukünftige Generationen haben etc. auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass du den Elan, sich die Finger wund zu schreiben, den Tag voll auszunutzen, um wirklich etwas zu schaffen, kritisierst oder in Frage stellst. Hier ist mir der Zusammenhang (oder die Abgrenzung) nicht klar.
Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass in all dem was du schreibst die Frage steckt, was man mit seinem Leben anfangen soll und wie man leben soll.