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Schattenläufer
[...] als Antwort auf letztere jedoch vorab: In dem Clip kommt ja nur ganz schwach durch, was du an seinen Theorien kritisierst. Er sagt, dass Unterschiede in den Sprachen nur oberflächlich herrschen, aber wie genau er das meint, sagt er nicht - ich z.B. hatte gedacht, dass er in seiner Theorie solche Dinge wie Körpersprache und Mimik miteinbezieht, und diese sind ja wirklich weltweit relativ ähnlich. Und da fand ich den Marsianer-Vergleich passend - wenn wir andere Tiere betrachten, interpretieren wir meistens auch nur ganz einfache Körpersprache, viel tiefer können wir gar nicht gehen. Wale und Elephanten kommunizieren miteinander, und wir kratzen immer noch an der Oberfläche, wenn es um die Bedeutung geht - ob es da verschiedene Sprachen gibt, können wir nicht feststellen, für uns klingt erst einmal alles gleich.
Die relative Einheitlichkeit von Mimik-Gestik/Körpersprache ist eigentlich ein sehr hübscher Ansatz, an den ich bisher gar nicht gedacht habe; den Chomsky aber, soweit mir bekannt, auch nirgendwie mit anführt; bei ihm geht es, neben anderem, tatsächlich um ein biologisch festgelegtes Modell zum Spracherwerb (das zum language acquisition device, kurz LAD-Modell), eben ganz in der Tradition des Nativismus und der Annahme von Universalien. Mit letztere sind schon ganz andere gescheitert, aber selbst C.G. Jung war da (vor etwa hundert Jahren, mind you) umsichtiger und teilweise -- bemerke ich etwas hämisch -- besser informiert.
Ich würde aber selbst die Universalität von Mimik und Gestik, teilweise selbst von Körpersprache bestreiten. Einerseits weil vieles davon (nicht alles, das muss man natürlich dazusagen) tatsächlich kulturell bzw. persönlich geprägt ist -- das sind keine sonderlich zeitgemäßen oder repräsentativen Beispiele, aber das mimische Bearbeiten des Sprechens in den asiatischen Ländern ist vielfach verschieden, lass das nur mal diesen Stereotypen vom Lächeln der Asiaten sein; oder Komfortzonen spielen da eine große Rolle, in manchen Ländern oder bei manchen Menschen sind die viel intimer als in/bei anderen; oder das Gestikulieren der Italiener (noch so ein Stereotyp, sorry ^^) im Vergleich zu anderen Sprachgemeinschaften bzw. persönlich (ich gestikuliere in der Regel viel) oder gar situativ (ganz besonders, wenn ich nervös bin) unterschiedliches Gestikulieren. Andererseits sind die tatsächlich universellen Anteile (diese acht oder zwölf oder schießmichtotwieviele Gesichtsausdrücke, die jeder Kultur inhärent und verständlich sind; Selbstberührung, wenn man sich unwohl fühlt; Deprivationsverhalten wie etwa Körperschaukeln) genauso gut mit der Nutzenlogik zu erklären, selbst wenn sie angeboren sind; etwa in dem Rahmen, wie es für Babys durchaus "nützlich" ist, dass sie zuckersüß aussehen oder dass sie schreien -- das sind halt Dinge, die sich offensichtlich evolutionsbiologisch durchgesetzt haben. Die universell verständlichen Gesichtsausdrücke würde ich auch in diese Richtung verorten, wurde sogar sagen, dass sie eine der Prädispositionen für Sozietät über die Sippschafts-/Familienbindung hinaus und essentieller Katalysator des Sprach- und Werteerwerbs sind. Auch bestimmte paraverbale (Intonation, Prosodie) würde ich -- mit aller Vorsicht -- hier einorten, weil wir wissen, dass bestimmte Klangfarben und Laute auf uns wie auch auf Tiere ähnlich wirken; das wären dann eben wahlweise im Evolutionsprozess erworbene oder als strategisches Mittel identifizierte Anteile der gesprochenen Sprache. Hier würde ich es sogar einsehen, würde man einen Nativismus damit begründen, dafür müsste man nur die -- vielleicht durchaus vorhandene -- kulturübergreifende Systematik der nonverbalen und paraverbalen Verfahren feststellen. Das geht nur mit authentischem Material von face-to-face Kommunikation. Also zufällig genau das, womit sich die Chomsky-Schule am wenigsten beschäftigt. ^^
Und ja, mein Lachen macht wohl ohne Chomskys Theoriebau wenig Sinn. Der steckt in dem Clip aber tatsächlich tief drin; und das wurmt und amüsiert mich am meisten, weil er so tut, als wäre das die einzige Betrachtungsmöglichkeit in der Linguistik. Tatsächlich schließt er damit einen Haufen fruchtbarer Ansätze aus -- die teilweise gar nicht mal seiner Theorie unbedingt widersprechen --, die die Entstehung von Sprache einigermaßen sauber, wenn auch mit kleinen Lücken, herleiten können. Gegen die Beantwortung der Frage, warum die Sprachen der Welt so divers sind (man muss, u.a., die Indoeuropäische These nicht bejahen, um zu sehen, dass sie zumindest eine sehr schlüssige Antwort liefert), steht tatsächlich aber nur die Unzulänglichkeit seiner Theorie, die diese Diversität eben verneint, weil sie nicht in die Theorie passt. In einer scientific community, die über die Wirklichkeit sprechen will, macht es keinerlei Unterschied, ob die Theorie der Wirklichkeit widerspricht, oder ob die Wirklichkeit der Theorie widerspricht: Chomsky philosophiert vermutlich über sein Schlaraffenland, jedenfalls nicht über unsere Wirklichkeit.