Zitat:
Dazu wollte ich noch einwenden und dazu kam es ja eben dann nicht mehr, dass das so wäre als würden wir den Menschen im 16. Jahrhundert vorwerfen noch nie etwas von Feminismus gehört zu haben und das man schauen muss, was zu der Zeit überhaupt denkbar war. Der Film setzt sich ja mit der damals herrschenden Klassenkampflogik gerade auseinander und eben die "progressiven" Kräfte, die auf Revolution setzen, dachten eben auch nur im Bezugsraum der Klassen, wie wir sie hier dargestellt sehen und denen wäre der Gedanke mindestens ebenso abstrus erschienen die Arbeiter zur Burgeoisen zu machen, sondern stattdessen diese zu beseitigen, während die Burgeoisie eben um ihre bis dato bestehenden Vorrechte und gegen jegliche allzu starken Rechte der Arbeiter ankämpfte. Da ist diese Vermittlungsaussage (ich denke der Kitsch-Vorwurf der Zeitgenossen ist damit erklärlich, da die sicher Parteilichkeit für die eine oder andere Seite erwartet haben) dann wirklich revolutionär, gerade auch weil sie eigentlich so simpel erscheint, obwohl sie gerade in ihrer Umsetzung schwieriger ist, als die beiden anderen, die es sich dann eher leicht machen, die gegenseite zu vernichten/ unterdrücken.
Also einerseits stand von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Selbstverwirklichung über die angestammten Milieus hinaus, eher nicht großflächig auf dem Plan, auf der anderen Seite befinden wir uns gerade knöcheltief in der aufgewühlten Massengesellschaft, wie Carl Schmitt und andere sie ihrer Zeit diagnostizierten und das Individuum, was gerade kritisiert wird, in den Prozessen des modernen Zeitalters zerrieben wird, was ja auch andere Filme der Zeit ebenso kritisch beleuchten wie Chaplin in Modern Times und Metropolis das ja ebenso tut, in den Szenen an den Maschinen. Man da also unterschlägt, dass die Massengesellschaft nicht durch die Nazis geschaffen wird sondern durch Kollektivierung zu steuern versucht wird, was die Kommunisten ebenso wollten und als politische Antwort auf ein wahrgenommenes Problem der Zeit verstanden werden sollte.
Toll formuliert, stimme ich absolut zu. Ein paar Dinge davon sind mir zwar aufgefallen, aber habe denen nicht genug Beachtung geschenkt. Fest steht: Der Film ist nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum entstanden. Wie bei jeder Quellenanalyse ist der historische Kontext wichtig, und hier wäre es idiotisch, die unruhigen Weimarer Jahre nachträglich auf ein "Vorspiel zur Nazi-Diktatur" zu reduzieren. Sie war weit mehr als das, denn andernfalls hätten wir nicht diesen Film, der selbst als wunderbares Zeitdokument für sich steht.