Zitat:
Ein Smartphone-Zombie, der auf dem Friedhof spielt
Bild zu Pokémon Go
Diese Skulptur ist ein offizieller Pokéstop - und steht mitten auf einem Friedhof. © Andreas Maciejewski
Besonders bizarr wird es, wenn "Pokémon Go" auf eine Wirklichkeit trifft, in der die Fiktion nichts verloren hat. Das Spiel zeigt mir zwei bisher nicht besuchte Pokéstops an. Ich gehe in diese Richtung und stelle fest: Ich stehe vor einer Aussegnungshalle. Einem offiziellen Pokéstop. Das Spiel hat mich tatsächlich auf einen Friedhof geführt.
Ich stelle mir vor, wie zwischen Grabsteinen ein Pokémon auftaucht und ich mit dem Handy davor stehe und versuche, es zu fangen. Ein Smartphone-Zombie, der auf einem Friedhof spielt. Makaber.
Doch es geht weiter. Ein Pokéstop befindet sich mitten im Friedhof. Was hat der dort verloren? Ich ringe mit mir, ob ich wirklich mit dem Smartphone in der Hand hineingehe.
Ich tue es. Weil ich wissen will, ob das Spiel hier eine Grenze zieht, ob Niantic aus Pietätsgründen an Orten wie einem Friedhof auf Kämpfe verzichtet.
Ich schalte die Musik aus und betrete die Ruhestätte. Den Kiesweg entlang, an Grabsteinen vorbei hin zum Pokéstop, eine Steinskulptur namens "Tröstender Engel". Zu ihren Füßen kniet ein trauernder Mensch aus Stein. Zwei kleinere Engel blicken auf den größeren hinauf. Sie halten Harfen in den Händen. Weil ich den Wegpunkt aufgesucht habe, erhalte ich drei Pokébälle als Belohnung. Es erscheint mir falsch.
"Pokémon Go" überschreitet eine Grenze
Schnell mache ich mich auf den Rückweg. Dann vibriert das Handy. Zweimal innerhalb kurzer Zeit. Jedes Mal erschrecke ich, bleibe stehen und starre auf den Bildschirm. Sind hier tatsächliche Pokémon-Figuren? Doch es sind nur zwei WhatsApp-Nachrichten. Gott sei Dank.
Immerhin begegnet mir kein einziges Pokémon im Friedhof auf dem Smartphone. Warum es hier überhaupt einen Pokéstop gibt, ist mir unerklärlich. Auf Twitter kursieren auch schon Bilder aus dem ehemaligen KZ Auschwitz, wo man die Figuren fangen kann.
Ein Pfarrer in Kutte kommt mir auf dem Kiesweg entgegen. Neben ihm gehen zwei Frauen, sie tragen Gitarren. Dahinter folgt eine Menschenmenge. Die meisten tragen schwarze Anzüge und Kleider. Eine Trauergesellschaft.
Nur noch raus, denke ich mir. Ich stecke mein Handy weg und gehe zügig Richtung Ausgang. Auf meinem Weg nach draußen laufe ich an einem offenen Grab vorbei. Frische Erde liegt daneben. Die Realität hat mich eingeholt.