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Thema: [Sky] Rollenspielthread #1 (Signatur aus)

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  1. #1

    Solstheim, nordöstliches Inland, Fjalding-Plateau, Skaal-Dorf

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    Die Rückreise zum Dorf der Skaal gestaltete sich als anspruchsvolle und kräftezehrende Angelegenheit, die außerdem viel Zeit einnahm. Zwar verlief sie komplikationsfrei, das änderte aber nichts an der Tatsache, dass sich die vier Jäger in die gut und gerne über zweihundert Pfund schweren Reste des Hirsches und die zwei Rehe reinteilen mussten. Während die Frauen schon mit den beiden kleineren und leichteren Tieren als zusätzliche Last zum Reisegepäck zu kämpfen hatten, keuchten die beiden Männer unter dem Gewicht des Bullen. Zwar trugen auch Vesa und Finna noch kleinere Stücke, aber den Gutteil übernahmen dann doch Wulf und Oslaf. Wenigstens gab es keinen Zwischenfall mit Raubtieren, dafür verschlechtere sich das Wetter zusehends.
    Insgesamt brauchten sie volle drei Tage für den Rückweg zum Skaal-Dorf und am Ende sahen sie im dichten Schneetreiben kaum noch die eigene Hand vor Augen. Es stürmte zwar nicht, stattdessen fielen aber Flocken so groß wie Fingerkuppen in rauen Mengen vom Himmel. Immerhin wurden sie im Dorf nach ihrer neuntägigen Expedition herzlich in Empfang genommen – zumindest von jenen, die sich zum Abend noch draußen im Wetter aufhielten. Das Ergebnis der Jagd konnte sich auch durchaus sehen lassen, so dass es Vesa nicht völlig ungerechtfertigt erschien. Der Trubel war ihr dennoch nicht geheuer, weshalb sie sich möglichst im Hintergrund hielt, wenn gerade einmal wieder jemand dahergelaufen kam, um den Jägern zu danken. „Wulf?“, wandte sich die Kaiserliche in einem ruhigen Moment an den Einäugigen. Er schaute zu ihr auf und hielt mit dem Auspacken des Fleisches inne.
    „Ja?“
    „Ihr meintet, ich könne nun fortsetzen, weshalb ich hier bin?“
    „Das tue ich nach wie vor.“
    „Wäret Ihr so frei Eure Empfehlung an Storn zu übermitteln?“
    „Natürlich. Helft mir nur noch mit den restlichen Arbeiten hier, dann werde ich mit ihm sprechen.“ Sie nickte und hängte mit Finna die Rehe am Unterstand des Nords auf. Das restliche Fleisch verstauten sie in einer mit Holz verkleideten und abschließbaren Grube, wo es gefroren blieb und vor Räubern sicher war. Im Anschluss verabschiedete sie sich von Oslaf und Finna. Der Einäugige machte sich direkt auf zum Haus des Schamanen und Vesa folgte ihm. Er klopfte und trat auch als erster ein.
    „Es ist schön, euch wohlbehalten wiederzusehen“, begrüßte sie der graue Nord im Innern.
    „Das verdanken wir nicht zuletzt unserem Gast hier“, entgegnete Wulf und deutete auf die Kaiserliche an seiner Seite. „Lass‘ uns doch noch einmal über ihr Vorhaben sprechen, ja?“ Der Dorfschamane musterte die Frau und nickte dann.
    „Bitte, setzt euch doch.“ Sie nahmen am Tisch Platz. „Ich vermute, dass Ihr möglichst schnell aufbrechen möchtet?“, fragte er an Vesana gewandt.
    „Sofern sich das Wetter nicht noch weiter verschlechtert, ja.“ Wieder nickte der Nord.
    „Habt Ihr schon einmal von den magischen Steinen auf Solstheim gehört?“
    „Nein.“
    „Es sind Steine an verschiedenen Positionen auf der Insel. Woher sie kommen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Sie sind Teil unseres Glaubens, den Ihr nicht zu teilen braucht“, erklärte Storn. „Es gibt sechs an der Zahl. Jeweils einen für Sonne, Erde, Wasser und Wind, sowie einen für die pflanzliche Natur, den wir schlicht Baumstein nennen, und einen für die tierische Natur, den wir Bieststein nennen“, setzte er fort. Vesana hörte ihm aufmerksam zu. „Jeder dieser Steine verleiht jenen, die sich seiner Macht würdig erweisen, eine magische Fähigkeit.“
    „Verstehe. In wieweit hilft mir das?“
    „Geduld, Geduld!“ Die Kaiserliche beugte den Kopf kurz und knapp nach vorn, um sich zu entschuldigen. „Für Euch spielt der Bieststein eine Rolle, denn in seiner Umgebung wurden zuletzt vermehrt jene Kreaturen gesehen, nach denen Ihr sucht. Werbären. Er befindet sich etwas nördlich des Passes vom Fjalding-Plateau zur südlichen Inselmitte. Ich schätze, dass Ihr diesen Pass bereits auf Eurem Weg zu uns überquer habt.“
    „Das habe ich.“
    „Der Stein ist eher schwieriger zugänglich und steht auf einem sehr kleinen Absatz in der östlichen Bergflanke der Ausläufer des Moesring-Massivs. Im Grunde oberhalb des Fjalding-Sees.“
    „Gut, damit werde ich ihn finden.“
    „Daran habe ich keine Zweifel.“ Er schaute die Frau ihm gegenüber ernster und fester an. „Doch ich möchte Euch nochmals warnen: Weder besteht eine Garantie dafür, dass diese Kreaturen dort noch anzutreffen sind, noch dafür, dass Ihr sie einzeln abpassen könnt. Darüber hinaus müsst Ihr Euch im Klaren sein, dass sie ihren Fluch auf Euch übertragen und Euch in Menschengestalt leicht in eine Falle locken könnten, bevor sie sich in die Gestalt ihrer wahren Natur verwandeln.“ Vesana hätte beinahe mit den Augen gerollt, verkniff es sich aber im letzten Moment, um nicht zu unhöflich zu sein. Stattdessen seufzte sie nur und nickte, bevor sie sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte und eine der langen Strähnen, die das Gesicht einrahmten, hinter das Ohr strich. Sie mochte es nicht, wenn man ihr auf die Nase band, was sie schon längst wusste.
    „Ich danke Euch, Storn, für Eure gut gemeinten Worte. Seid versichert, dass ich vorsichtig sein werde.“ Das schien den Schamanen zumindest im Ansatz zufrieden zu stellen, wenngleich er sie weiterhin musterte und versuchte, aus der vor ihm sitzenden Kaiserlichen schlau zu werden. Außerdem musste er nicht wissen, dass sie sich nicht vor dem Fluch der Werbären fürchtete und auch nicht fürchten brauchte.
    „Wulf?“, der Schamane wandte sich an den einäugigen Nord, der bislang schweigend mit am Tisch gesessen hatte. „Möchtet Ihr noch etwas sagen?“
    Er atmete tief durch. Vesana schaute ihn an. „Es gibt da etwas, um das ich Euch bitten möchte.“ Er klang schwermütig, als ob ihn etwas belastete. Ein Hauch von Sorge mischte sich in sein noch klares Auge. „Mein … Bruder, Torkild. Wenn Ihr ein Auge nach im offen halten könntet, wäre ich Euch sehr dankbar.“
    „Ihr glaubt, dass er sich in der Nähe des Bieststeins aufhält?“
    „Ich erinnere mich, als ich ihn das letzte Mal vor einigen Jahren gesehen habe, ein unbändiges Feuer in seinen Augen gesehen zu haben, wie es für die Skaal sehr ungewöhnlich ist“, wich er der Frage aus.
    „Ihr glaubt, er ist ein Werbär geworden?“
    „Es wäre möglich.“
    „Verstehe.“ Sie überlegte kurz. Es konnte nicht schaden, dem Nord einen Gefallen zu tun. „Sollte ich ihm begegnen, werde ich Euch berichten“, stimmte Vesana deshalb zu.
    „Habt Dank.“ Der kräftige Nord neigte den Kopf einige Augenblicke lang und lehnte sich erst danach wieder zurück.
    Dann erinnerte sich die Kaiserliche an die Worte des Grauen. „Storn“, wandte sie sich an den Schamanen. „Was für magische Fähigkeiten verleihen diese Steine und wie erweist man sich ihnen als würdig?“
    „Darauf kann ich Euch keine Antwort geben. Was für den einen reichte, war für den anderen nicht genug. Wir Skaal streben auch nicht nach dieser Macht. Es blieb meist an Außenseitern wie Euch, dies herauszufinden. Die meisten überlebten nicht oder kehrten nicht zu uns zurück, um zu berichten. Seid jedoch versichert, dass wenn Ihr Euch würdig erweist, der Stein es Euch zu erkennen gibt.“ Die Erklärung half wahrhaftig wenig, aber Vesana hakte nicht weiter nach.
    „Kann ich die Nacht wieder bei Euch hier verbringen?“, schnitt sie stattdessen ein anderes Thema an.
    „Natürlich. Es ist genug Platz für Euch hier.“
    „Danke.“ Sie rutschte mit dem Stuhl ein Stück zurück, um Platz zum Aufstehen zu haben. „Ich habe noch etwas bei Baldor, das ich holen muss. Wenn es sonst nichts Wichtiges gibt, würde ich das noch erledigen.“ Wulf und Storn nickten beide. Sie überließ die Männer sich selbst und verließ das Heim des Schamanen. Draußen begrüßte sie eisige Luft, die Flocken raubten ihr unverzüglich die Sicht und schmolzen auf der Haut in ihrem Gesicht. Schnell schlug sie die Kapuze über den Kopf und zog die unteren Enden enger zusammen, um das Weiß davon abzuhalten, an ihrem Hals entlang unter die Jacke zu fließen. So schnell es ging stapfte sie mit schweren Schritten durch die hereingebrochene Nacht hinüber zum Haus des Schmieds und klopfte. Es dauerte einen Moment, dann regte sich etwas im Innern und die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet.
    „Ja?“
    „Baldor Eisen-Former?“, fragte Vesana zur Sicherheit, sie erkannte kaum etwas im Gegenlicht aus dem Wohnraum der Hütte.
    „Der bin ich.“
    „Ich habe vor neun Tagen ein geschwungenes Schwert abgegeben, um es mit silbernen Einlagen zu versehen“, erklärte sie sich.
    „Ah ja, richtig. Ihr seid mit der Jagdgruppe zurückgekehrt. Kommt kurz herein, dann hole ich das Schwert.“ Der kräftige Nord mit dem markanten Schnauzpart und der kahlen Schädeldecke trat zur Seite und öffnete seine Eingangstür weit genug, damit die Kaiserliche hindurchschlüpfen konnte. Während sie wartete, schlug sie sich die Flocken von Kopf und Schultern, damit sie sich die Kapuze zurücklegen konnte. Die Wärme im Innern des Hauses tat gut. Die Kälte auf der Haut brannte und zwickte unangenehm – durch das Tauwasser noch wesentlich mehr, als sie es ohnehin schon tat. Wenig später kehrte der Nord aus dem hinteren Teil seines Heims mit der Klinge zurück. Er schlug das Leinentuch zur Seite, in das er sie eingewickelt hatte und zog sie aus der Scheide.
    Das Silber in den Seiten der Waffe, das nun die Riefen der ehemaligen Gravuren ausfüllte, schimmerte in einer Mischung aus seiner typisch milchigen Färbung und schwarzem Kohlenstaub. „Ich habe sie nicht eben mit dem Stahl eingebettet und nur diesen poliert, so dass das Muster der Gravuren weiterhin zur Geltung kommt.“ Er reichte der Kaiserlichen die Waffe. Sie balancierte sie in der Hand. „Sie hat nichts an Stabilität verloren. Ich habe den Stahl gerade so erwärmt, dass sich die Einlagen mit ihm im Ansatz verbinden und nicht einfach wieder herausplatzen, aber nicht genug, um die Festigkeit der Klinge zu beeinträchtigen“, erklärte der Nord nicht ohne erkennbaren Stolz. „Ihr haltet hier eine ausgesprochen gut gelungene Waffe in den Händen. Wo auch immer Ihr sie her habt, schätzt Euch glücklich.“ Vesana konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen und fuhr mit den Fingern der Linken die bearbeiteten Seiten entlang. Ihre Augen musterten sie eingehend. Der Mann, der ihr dieses Schwert eingebracht hatte, war dem Anschein nach in der Tat ausgesprochen ertragreich gewesen.
    „Zweihundertvierzig Septime, sagtet Ihr?“, fragte sie schließlich und richtete ihre Augen wieder auf den Schmied.
    „Das sagte ich, ja. Aber Erzählungen machen hier im Dorf schnell die Runde. Für Eure Hilfe bei der Jagd gebe ich Euch weitere zwanzig Rabatt.“ Die Kaiserliche schob die Waffe zurück in die Scheide und band sich diese auf den Rücken. Anschließend griff sie nach ihrem Geldbeutel und zählte den Betrag ab.
    „Habt Dank.“
    „Ich danke. Viel Erfolg auf Euren weiteren Wegen“, verabschiedete sich Baldor und schloss hinter Vesana die Tür. Diese würde sich alsbald zur Ruhe begeben und am nächsten Morgen so zeitig, wie es möglich war, aufbrechen. Das Ziel nun in greifbarer Nähe, breitete sich auch ein gewisses Gefühl der Aufregung in ihr aus. Ihr Herz schlug etwas höher, nervös spielten die Finger ihrer linken Hand miteinander und vor ihrem geistigen Auge visualisierte sie ihren möglichen Kampf mit einem Werbären. Es sollte bald so weit sein und sie wollte jetzt keine Zeit mehr verlieren.



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    Geändert von Bahaar (12.07.2013 um 11:08 Uhr)

  2. #2

    Solstheim, nordöstliches Inland, Inselmitte

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    Es schien Vesana beinahe so, als ob sich die Insel gegen sie verschworen hatte. Drei volle Tage und einen Teil des Morgens des vierten Tages benötigte sie, um zurück zum Pass zu kommen. Zwar kam es bis dahin nicht zu Zwischenfällen – weder stieß sie mit gefährlichen Tieren zusammen, noch traf sie ein weiteres Mal auf Rieklinge, diese kleinen, blauen Biester, vor denen sie auch noch einmal Storn gewarnt hatte – aber dafür musste sie sich durch teilweise knietiefen Schnee und dichtes Unterholz im zwielichtigen Treiben der Flocken kämpfen. Beinahe wünschte sie sich, lieber einmal mit einem Raubtier zusammenzustoßen, wenn sie dafür schönes Wetter und optimale Reisebedingungen erhielt. Aber es sollte wohl nicht sein. Die Füße taub, die Hände steif, das Gesicht vereist – einem Schneemann gleichend machte sich die Kaiserliche schließlich daran, den völlig zugeschneiten Pass hinaufzusteigen. Ein gefährliches Unterfangen, ohne Frage, und sie bereute in Momenten besonderer Entkräftung, dass sie vor über drei Tagen im schlechten Wetter aufgebrochen war, aber es half nun nichts mehr. Es gab nur noch Vorwärts, kein Zurück.
    Ihre Reise brachte sie an völlig neue Grenzen ihrer körperlichen und geistigen Kräfte – das stellte sie nicht zum ersten Mal fest. Sie lief weiter, obwohl ihre Schenkel längst brannten, als stäche jemand mit nadelfeinen Eiszapfen in sie hinein; sie hielt sich an Felsvorsprüngen fest, obwohl ihre Finger seit Langem nur noch schmerzten und kraftlos waren. Ihre Gedanken fixierten mehr noch als zuvor das Ziel – den Bieststein und Werbären jagen – obwohl die Zweifel an ihrer Fähigkeit erfolgreich sein zu können kaum noch zu verdrängen und zu bändigen waren. Hoffnung wurde zu einem Luxus, den sie sich nicht mehr leisten konnte. Einzig und allein der nächste Schritt zählte, nicht, was sein mochte oder hätte sein können. Ein gleichermaßen beängstigendes, wie befreiendes Gefühl. Trotz der Kälte schlief sie etwas besser – wenngleich immer noch schlecht – und empfand auch weniger, wenn sie in den kurzen Momenten der Rast dann doch einmal dazu kam, zurück zu denken. An die Gefährten, was davor lag. So widersinnig es schien, aber sie ging aus diesen Momenten mit neuer Zuversicht gestärkt hervor.
    Während das Fjalding-Plateau zusehends unter ihr im grauen Schleier des Wetters verschwand, näherte sich die Jägerin immer weiter dem Stein. Sie hielt sich dafür soweit möglich am nördlichen Rand des Passes und suchte nach einem Weg, den beschriebenen Vorsprung in der Felswand zu finden, auf dem er stehen sollte. Zum frühen Nachmittag fand Vesana dann einen schmalen Grad nach Norden, der gerade breit genug war, um darauf gehen zu können. Rechts viel der Fels so tief ab, dass sie das Ende im dichten Schneetreiben nicht mehr sah und links ragten die schroffen, vereisten Formationen der östlichen Moesring-Berge in den Himmel empor, wo sie sich im Grau verloren. In derart exponierter Lage zerrten nun auch die Windböen an ihrer Kleidung, so dass sie sich gezwungen sah ihre Schritte noch bedachter zu setzen, als sie es ohnehin schon stets getan hatte. Ein einziger Ausrutscher und es mochte aus mit ihr sein. Zum ersten Mal seit Langem schien sie jedoch auch einmal wieder Glück zu haben. Es handelte sich nur um eine kurze Passage und nach einer hervorstehenden Kante im Fels, um die sich ihr Pfad herumwand, erreichte sie ein etwas breiteres Plateau, das auch noch weitestgehend windgeschützt lag.
    Tief durchatmend ließ sie sich für einige Augenblicke zwischen mehreren großen Felsen nieder, um Schnee und Eis aus dem Gesicht zu entfernen. Kleine Eiszapfen klimperten an den Enden der Haarsträhnen. Mühsam und ausgesprochen grobmotorisch fischte sie nach den Beuteln mit den Herzsteinsplittern. Das Gestein aus dem Roten Berg verlor einfach nie seine konstante Wärme. Das kam ihr gelegen, so konnte sie sich mit ihnen wenigstens etwas die Finger auftauen. Dennoch blieb ihr nur wenig Zeit zum Verschnaufen vergönnt. Noch befand sie sich nicht direkt am Ziel ihrer Reise. Erst musste sie den Stein finden. Deshalb raffte sich die Kaiserliche auf, bevor sie zu sehr ins Grübeln geraten konnte, und erkundete das Plateau.
    In seinen Abmessungen eher klein, fiel es ihr nicht schwer sich zu orientieren. Die Abbruchkante im Osten wäre von den Felswänden im Westen an einem schönen Tag ohne Probleme zu erkennen. Nur einige hundert Schrittlängen langen zwischen ihnen, schätzte Vesana. Die Länge bemaß sich auf etwas mehr, aber blieb überschaubar. Den Bieststein fand sie im nördlichen Drittel. Eine schiefe Felsnadel, die weder so richtig natürlich, noch künstlich, aber doch irgendwie nach beidem aussah. Umgeben von einem kreisrunden Teich aus seltsamerweise nicht gefrorenem Wasser stach er leicht erkennbar mehrere Mannsgrößen in die Höhe. Es bot einen kuriosen Anblick, dieses Gebilde. Vorsichtig setzte die Kaiserliche den Tornister ab und kniete sich an den Rand der dampfenden Wasserscheibe. Sie war nicht tief, reichte höchstens bis zum Knöchel, und entpuppte sich nach zögerlicher Fingerprobe als ausgesprochen warmer Quell.
    Kurzerhand zog sie die Handschuhe aus und tauchte die Hände flach in die klare Flüssigkeit. Es brannte auf der Haut, als ob ihr jemand geschmolzenes Eisen darüber kippte. Sie stöhnte und zog die Hände reflexartig zurück. Im zweiten Versuch tauchte sie behutsamer, langsamer ein. Sie spürte, wie das Wasser ihre Fasern, ihr Fleisch erwärmte und neue Kraft spendete. Noch immer brannte es höllisch, doch sie gewöhnte sich zusehends daran und am Ende lockerten sich ihre Finger, das Gefühl der Kontrolle über sie kehrte zurück und die Kälteschwellungen klangen ab. Erst dann nahm sie sie zurück, trocknete sie schnellstmöglich ab und schob sie zurück in die Handschuhe. Es wurde Zeit, sich auf die Lauer zu legen.
    In Sichtweite des Bieststeins grub sich Vesana ein. Zwischen einigen größeren Felsen fand sie eine windgeschützte Stelle, an der sie eine kleine Mulde ausheben konnte, um die Lücke hinter sich mit dem ausgehobenen Material einigermaßen als Sichtschutz abzudichten und gleichzeitig von vorn schwerer zu erkennen zu sein. Sie kleidete die Senke mit ihrer Schlafunterlage aus, um sich nach unten gegen die Kälte zu isolieren, verzichtete jedoch auf die Decke, da diese sie sonst nur behindern würde. Den Speer verkeilte sie als zusätzliche Absicherung nach hinten so, dass ein Angereifer in ihn hineinlaufen oder -springen würde. Das Felleisen deponierte sie zwischen ihren Beinen, nahm die Armbrust in die Hände, die Schwerter trug sie überkreuzt auf dem Rücken und legte sich schließlich bäuchlings auf die Unterlage. Ab diesem Zeitpunkt hieß es warten und ausharren. Früher oder später würde sich zeigen, ob die Bemühungen und Strapazen der Jägerin belohnt werden sollten, oder sie umsonst gewesen waren.
    Während sie so dalag und nichts weiter tun konnte, als die Umgebung im Auge zu behalten, ließ es sich nicht verhindern, dass ihre Gedanken zu einer ähnlichen Situation abdrifteten. Seither waren über vier Jahre vergangen und wenngleich sie damals am Ende nicht gänzlich allein dagestanden hatte, so musste sie auch dann allein warten.

    Ein Überfall mit den Gefährten auf einen Konvoi der Silbernen Hand im Jahr 4Ä 197. Es sollte ihre richtige Bewährungsprobe sein, um den Status eines Frischlings der Gemeinschaft von Jorrvaskr abzulegen und zu einem vollwertigen Mitglied zu werden. Vesana zählte zu einer kleinen Gruppe um Aela, die auf der Straße südlich von Flusswald in den Büschen und Bäumen auf der Lauer lagen. Jeder in seinem eigenen Versteck und in ausreichendem Abstand zueinander. Der Fluss rauschte unweit von ihnen entfernt, der befestigte Weg ging noch nicht in die sich steil windenden Serpentinen nach Helgen über. Die Kaiserliche saß auf einem Ast in der Krone eines großen Laubbaumes und verkeilte sich mit den Beinen so, dass sie sich oberhalb der Hüfte problem- und bedenkenlos frei bewegen konnte, ohne fürchten zu müssen, herunter zu fallen. Ihren Jagdbogen hielt sie in der rechten Hand, der Köcher beherbergte wenige Dutzend Pfeile, das Stahlschwert lag ihr quer über dem Rücken.
    Es war ein kühler, verschneiter Wintertag in den frühen Stunden des Abends. Nur leichte Windböen fuhren durch das kahle Geäst und ließen lockeren Schnee zu Boden rieseln. Die grauen Wolken am Himmel sorgten für schummriges Zwielicht, das den lauernden Jägern zusätzliche Deckung bot. Einer von ihnen hatte zuvor die Straße Richtung Helgen ausgekundschaftet und berichtet, dass der Konvoi in Kürze eintreffen würde. Es war ausgemacht, dass Aela den ersten Schuss abgab und die übrigen einstiegen, die Gefangenen, die die Gruppe der Silbernen Hand mit sich führte, sollten möglichst geschützt und anschließend in die Freiheit entlassen werden. Die kalte Luft knisterte förmlich mit Anspannung, Tiere wagten sich nicht in ihre Nähe.
    Dann war es soweit. Hufklappern hallte durch den sich schnell verdunkelnden Abend. Eine Gruppe von fünf Reitern und sechs Bewaffneten zu Fuß, die ein weiteres halbes Dutzend Gefangene einrahmten, näherte sich aus dem Süden. Einige von ihnen trugen Fackeln. Vermutlich wollten sie es an diesem Tag noch bis zu dem kleinen Ort wenige Meilen weiter nördlich schaffen. Vesanas Atem beschleunigte sich, die Rechte griff fester um den Bogen, die Linke holte vorsichtig und darauf bedacht, möglichst keine Geräusche zu erzeugen, einen Pfeil aus dem Köcher. Die zuvor gelegentlich aufquellenden Dampfwolken vor ihrem Mund wurden zu einem konstanten Nebelschleier, der sich kühl auf ihre Haut niederschlug. Die Kälte wich aus den Fingern. Das alles geschah in nur wenigen Augenblicken, in denen sich die Kämpfer der Silbernen Hand weiter näherten und inzwischen unterhalb von Vesas Baum angelangt waren. Sie spannte den Bogen, leise knarrte die Sehne unter der Last, und visierte einen der Reiter an. Aela saß nur ein kurzes Stück weiter Richtung Flusswald auf der anderen Seite der Straße – es würde also bald beginnen.
    Gerade dachte die Kaiserliche diesen Gedanken zu Ende, da erfüllte ein scharfes Surren die nächtliche Luft. Es folgte ein dumpfer Schlag, den ein schmerzerfülltes Stöhnen begleitete. Daraufhin rutschte der augenscheinliche Anführer der Gruppe vom Rücken seines Pferdes, ein dunkler, dicker Schaft ragte aus seinem Oberkörper. Seine Rüstung schepperte laut. Doch noch bevor er wirklich aufgeschlagen war, entließ Vesana ihren eigenen Pfeil in die Nacht und legte schon den nächsten auf. Auch dieser flog noch im selben Augenblick davon. Überhaupt brach in den folgenden Momenten ein wahrer Sturm über die ahnungslosen Männer auf der Straße herein. Das Surren und Pfeifen von schnell durch die Luft schneidenden Geschossen hielt einige Herzschläge lang ununterbrochen an. Es endete erst, als keiner der Bewaffneten mehr auf den Füßen stand und sich die Gefangenen völlig verstört schützend zusammenkauerten. Die Jägerin hatte in der kurzen Zeit sieben Pfeile davon gesandt und schwang sich nun, da sie zwei ihrer Gefährten aus den Büschen treten sah, von ihrem Ast herunter.
    Die Knie federten den Sprung ab, beschwerten sich jedoch über die rüpelhafte Behandlung nachdem sie so lange starr stehen mussten. Vesana verstaute den Bogen im Köcher und zog stattdessen das Schwert aus der Scheide. Suchend schritt sie zwischen den am Boden liegenden Kämpfern der Silbernen Hand. Nur drei von ihnen hatten es überhaupt geschafft die eigenen Waffen zu ziehen und die Schilde zu heben. Dafür wurden sie aber auch gleich von mehreren der insgesamt fünf Gefährten mit Pfeilen bedacht und so verwunderte es nicht, dass ihnen drei oder vier der todbringenden Geschosse aus dem Rücken ragten. Wer sich jetzt noch bewegte, stöhnte, röchelte, oder anderweitig auf sein Überleben aufmerksam machte, wurde von der Kaiserlichen und Farkas kurzerhand abgestochen. Ein schneller Stich in die Brust oder den Bauch, und das Problem erledigte sich rasch von selbst. Lediglich der Anführer durfte länger leben, er sollte zurück nach Jorrvaskr gebracht und auf Informationen ausgefragt werden. Aela kümmerte sich darum, ihn zu fesseln und transportfähig zu machen. Die übrigen beiden Gefährten blieben noch in ihren Schützenstellungen, um ein wachsames Auge auf die weitere Umgebung zu behalten.
    Während der große, schwer gerüstete Nord mit dem Zweihandschwert zur Leiterin ihres Unterfangens und dem Führer der überfallenen Gruppe schritt, wandte sich Vesana den Gefangenen zu. Das Schwert verstaute sie wieder auf dem Rücken und nahm stattdessen einen Dolch, mit dem sie die Fesseln der vier Männer und zwei Frauen durchtrennte. Mit großen Augen schauten die völlig verdreckten und verstörten Menschen sie an. Sie hatten wohl noch immer nicht begriffen, was genau überhaupt gerade vor sich gegangen war. „Geht“, sagte die Jägerin deshalb jedem einzelnen von ihnen. „Macht schon, verschwindet von hier! Ihr seid frei!“ Lediglich ein Kaiserlicher, wohl nur wenige Jahre älter als Vesa selbst, mit dunklem, vollem Haar und einem aufgrund der Gefangenschaft ungepflegten Bart blieb danach immer noch. Sie hatte ihm kaum Beachtung geschenkt, sich nur auf die Fesseln an Händen und Füßen konzentriert.
    „Habt Dank“, sprach er. Seine Stimme ruhig, fast schon kühl. Ganz anders als sich die übrigen Befreiten verhalten hatten. Vesana schaute ihn an, musterte seine heruntergekommene, in nicht viel mehr als Lumpen gehüllte Gestalt. Er zitterte vor Kälte am ganzen, trotz des abgehungerten Zustandes die Ansätze von Muskeln erkennen lassenden Leib – und dennoch: Er wirkte gefasst.
    „Es war nicht Euretwegen“, entgegnete die Kaiserliche. Seine dunkelbraunen Augen ließen nicht auf etwaige Enttäuschung nach ihrer Aussage schließen.
    „Nein, sondern seinetwegen“, er nickte in die Richtung des gefesselten Anführers. „Dennoch: Habt Dank.“
    „Gern.“ Sie wandte sich ab und wollte zu Farkas und Aela gehen.
    „Bitte“, er hielt sie hastig am Arm fest, so dass sie gezwungen war, sich im wieder zuzuwenden, „ich weiß mit Waffen umzugehen und kann kämpfen. Wenn Ihr nur halb so viel gegen die Silberne Hand habt, wie ich, und Eure Aktionen lassen darauf schließen, möchte ich mich Euch anschließen. Ich weiß Dinge, habe sie belauschen und beobachten können. Lasst mich Euch helfen.“ Vesana riss sich mich einer kurzen Bewegung des Armes los.
    „Das ist nichts, das wir hier entscheiden können. Kommt nach Jorrvaskr in Weißlauf. Kodlak wird darüber entscheiden“, mischte sich Aela in das Gespräch ein und kam näher. Farkas folgte hinter ihr und hielt den Anführer der überfallenen Gruppe an den Gefesselten Händen hinter seinem Rücken. Ein abgebrochener Pfeilschaft ragte aus seiner rechten Schulter. Schmerz zeichnete seine Züge und Blut tropfte vom Holz und aus seiner Nase.
    „Darf ich Euch dorthin begleiten?“
    „Wenn Ihr mithalten könnt“, stelle die hochgewachsene Nord-Frau fest. „Wer seid Ihr überhaupt?“
    „Darius. Darius Gallean.“

    Am Rand des Teiches um den Bieststein, an der ihr gegenüberliegenden Seite, bewegte sich etwas. Augenblicklich schnappte Vesana aus der Erinnerung zurück in die Gegenwart. In flickenartiger Fellkleidung stand dort ein schlanker Mann. Die Kaiserliche beobachtete ihn zunächst aus ihrer Deckung heraus. Offensichtlich fühlte er sich sicher und rechnete nicht damit, dass irgendwo eine potenzielle Gefahr auf ihn lauern könnte. Der Größe und den Gesichtszügen nach zu urteilen mochte es sich durchaus um einen Nord handeln, befand Vesa.
    Nach kurzem Warten am Rand der Wasserfläche, begann der Neuankömmling damit, sich auszuziehen. Zunächst die Felllappen um den Oberkörper, dann die Stiefel und zuletzt die Hose. Nackt stand er im Wetter. Die Kälte der Umgebung schien ihn nicht zu kümmern. Völlig unbedarft setzte er den ersten Fuß ins dampfende Wasser und holte den zweiten gleich darauf nach. Er kniete sich in kurzem Abstand von der feinen Felsnadel nieder und setzte im Anschluss auch noch die Hände in den Teich, der Oberkörper vornüber gebeugt. Der Moment der Ruhe hielt jedoch nur einen Augenblick an. Schlagartig fuhren Krämpfe durch den Leib des Mannes, seine Muskeln spannten sich, verzogen seine Glieder in ungewöhnliche Winkel. Der Nord stöhnte zunächst, dann wandelte es sich zu tiefem, animalischem Grollen. Dichtes, dunkles Fell spross ihm aus der hellen Haut. Sein Gesicht verformte sich zu einer langgezogenen Fratze, die erst nach und nach die Züge eines Bären annahm. Lautes Knacken ging mit den massiven Veränderungen in der Form und Stellung der Knochen einher. Die Brust schwoll an, der Rücken krümmte sich. Seine Arme wuchsen in die Länge, Muskeln prägten sich aus. Es dauerte nur wenige Augenblicke bevor ein gut und gerne sechs Fuß großes Werwesen in seiner vollen Größe im Wasser um den Bieststein stand. Hatte Vesana die Veränderungen der Gestalt mit einer Mischung aus Faszination und Ekel verfolgt, so empfand sie jetzt, da der Prozess abgeschlossen schien, vor allem Bewunderung und Respekt für die Majestät und Perfektion dieses Geschöpfes. Erst nach und nach mischte sich Furcht mit darunter.
    Es sollte nun also ernst werden. Die Jägerin biss die Zähne zusammen, unterdrückte die aufquellende Leichtigkeit in den Eingeweiden und schluckte den sich anbahnenden Kloß im Hals hinunter. Ihre Rechte griff fester um den Kolben der Armbrust, die Linke fischte zum wiederholten Male die Strähnen aus dem Gesicht, bevor auch sie sich an die Schusswaffe legte. Vesa kniff das linke Auge zusammen und schielte mit dem rechten über den Rücken der Waffe, entlang des Bolzens und in verlängerter Linie zu dem Werbären. Dieser stand noch immer ruhig vor dem magischen Stein, als ob er für ihn eine besondere Anziehungskraft ausübte.
    Bevor sich dieses Geschöpf der Jagd entfernen konnte, oder durch seine feine Nase auf die in Deckung liegende Kaiserliche aufmerksam wurde, entschloss sich diese zu handeln. Die freien Fingerkuppen der rechten Hand legten sich auf den schmalen Metallbügel an der Unterseite der Armbrust und drückten dieses an das Holz. Klickend löste der Mechanismus aus, die stählernen Haken, die die straffe Sehne zurückhielten, gaben diese freie und das kurze, dicke Geschoss flog davon. Die Spannung übertrug sich mit einem kräftigen Ruck auf den Bolzen und surrend pfiff er zielfixiert durch die Luft.



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    Geändert von Bahaar (19.07.2013 um 11:13 Uhr)

  3. #3

    Solstheim, Inselmitte

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    Das Geschoss benötigte höchstens die Dauer eines Lidschlages, dann drang es tief in die linke Schulter des Werwesens ein. Tiefes Knurren und Grollen quoll aus der Kehle der Kreatur, die sich nun in ihrem Ritual gestört nach der Quelle des Schusses umschaute. Die feuchte Nase hob es in die Luft und schnüffelte, das kraftvolle Luftholen hörte Vesana bis zu ihrem Versteck. Sie ließ sich nicht beirren und legte einen weiteren Bolzen auf den Rücken der Armbrust. Als der Mechanismus einrastete, fixierten sie die bösartigen, aggressiven Augen der Bestie. Die Lefzen zurückgezogen und die langen Eckzähne entblößend knurrte sie und breitete die Arme herausfordernd aus. Der Schaft in ihrer Schulter schien sie in keiner Weise zu stören, und wenn doch, so vermochte sie es gut zu verbergen.
    Vesana schoss ein weiteres Mal. Das Surren hielt kurz an, dann traf das Geschoss etwas weiter unten und mehr zur Körpermitte hin in die Brust des Werbären. Dessen Grollen gewann anschließend nur an Intensität. Anstatt sich von den Treffern eingeschüchtert zu geben, begann er damit sich der Kaiserlichen zu nähern. Mit der rechten, durch ihre fünf Finger noch halbwegs menschlich wirkenden Hand, zog er sich die kurzen Holzschäfte aus dem Fleisch und warf sie achtlos zur Seite. So langsam dämmerte Vesana, dass es ein Kampf werden würde, der ihre Fähigkeiten als Jägerin und Kämpferin mehr als nur auf die Probe stellte. Während der Bär näher kam und Geschwindigkeit aufnahm, warf die Kaiserliche die Armbrust zur Seite und sprang auf die Füße. Sie griff nach dem Speer und hielt ihn schützend vor sich, das hintere Ende im Schnee versenkend. Mehr vermochte sie auch nicht mehr zu tun, dann war das Werwesen heran. Es rannte aus vollem Lauf brüllend und knurrend in die stählerne Spitze, die sich ihm in den Bauch bohrte und gleich drauf abbrach.
    Wegen seiner enormen Größe und vor allem Breite hielt nicht die lange Waffe die Kreatur davon ab, zu der Kaiserlichen vorzudringen, sondern die Felsen selbst, gegen die sie mit brachialer Gewalt krachte. Der Spalt war zu schmal, so dass sie nicht dazwischen passte. Vesana befand sich gerade so außer Reichweite der mächtigen Arme mit den scharfen Klauen an den Enden der Finger. Ihr Widersacher tobte, brüllte, Speichel flog ihm aus dem nach ihr schnappenden Maul. Immer wieder rammte es mit den Schultern die Felsen. Die Krallen zogen Furchen durch das spröde Gestein. Es half nichts, das Biest kam nicht an sie heran – zumindest nicht von vorn. Unvermittelt hielt es in seinen Bemühungen inne, zog sich die abgebrochene Speerspitze unter dem dichten, langen Fell hervor – Blut tropfte von ihr – und kletterte anschließend auf die großen Steine, um es von oben zu versuchen.
    Erst in diesem Moment überwand die Kaiserliche ihre erste Schockstarre und duckte sich nach unten unter den ersten Schlägen weg, kroch ein Stück zurück und verließ anschließend den Spalt. Im Rennen zog sie ihre Schwerter aus den Scheiden – das Stahlschwert in der linken, die mit Silber verfeinerte Klinge in der rechten Hand. Hinter ihr vernahm sie einen dumpfen Aufschlag und anschließend die schweren Schritte der Bestie, die ihr schnellen Fußes folgte und wohl nicht lange brauchen würde, um sie einzuholen. Genau darauf setzte die Kaiserliche. Sie rannte genau auf einen weiteren großen Gesteinsbrocken zu und trat aus dem Lauf heraus direkt auf eine der zahlreichen hervorstehende Kante. Der andere Fuß setzte noch ein Stück höher an und brachte sie in starke, fast waagerechte Rückenlage. Das nachgeholte Bein sorgte für den nötigen Schwung, um den rückwärtigen Überschlag zu vollenden. Der Werbär rannte unter ihr gegen den Felsen und sie kam hinter ihm zurück auf die Füße. Gleichzeitig zog sie ihm beide Klingenwaffen über den Rücken und drehte sich noch mit derselben Bewegung in die entgegengesetzte Richtung. Das Spiel begann von neuem, als sie genau zurück zu dem Spalt rannte, der ihr zuvor Deckung geboten hatte. Die Bestie tobte, wütete und brüllte ihr hinterher, während es die Benommenheit des Aufpralls schnell abschüttelnd abermals die Verfolgung aufnahm.
    Fieberhaft rasten ihre Gedanken, schlug das Herz bis zum Hals. Sie musste sich etwas einfallen lassen! Die bisherigen Verletzungen, die sie dem Werbären zugefügt hatte, schienen nichts weiter als einfaches Piesacken für diesen zu sein! Er störte sich schlicht nicht an den Schnitten und Stichen. Bevor sie die rettenden Felsen erreichte, wurden ihre Gedanken jedoch jäh unterbrochen. Ein heftiger Schlag in die linke Seite und sie flog mehrere Schrittlängen durch die Luft. Hart schlug die Kaiserliche auf dem gefrorenen Grund auf, verlor das silberveredelte Schwert aus den Fingern und rollte noch etwas weiter. Ihr blieb die Luft aus den Lungen, feurige Stiche und Wogen des Schmerzens, die sich in Ächzen und Stöhnen entluden, fuhren Vesana durch den Leib. Blut troff aus einer Wunde an der Schläfe. Hustend rang sie nach Atem und spuckte gleichzeitig blutigen Speichel. Die Bestie hatte sie mit dem Rücken der rechten Hand einfach zur Seite geschmettert und kam nun erneut schnell näher.
    Sich aufrappelnd schaffte es die Jägerin gerade noch rechtzeitig das Stahlschwert aus der knienden Position schützend über den Kopf zu heben, um einen Schlag abzufangen, bevor er ihr sie zerfetzen konnte. Das Werwesen holte aus und hieb nach der sich im Vergleich winzig vorkommenden Frau. Warme Flüssigkeit spritzte dieser ins Gesicht, während der Angreifer schmerzerfüllt brüllte. Ring- und kleiner Finger der rechten Pranke hatte er sich mit der Wucht seines eigenen Schlages abgetrennt und lagen nun vor der Kaiserlichen noch zuckend im Schnee. Diese wandte sich unter Schmerzen in der zuvor kalt erwischten Körperhälfte und gleichzeitig aufstehend der Bärenkreatur zu, die etwas auf Abstand ging. Aus bitterbös funkelnden Augen schaute es sie an, während es sich die rechte, stark blutende Hand hielt. Eine solche Gelegenheit würde sich nicht noch einmal bieten, also handelte die Jägerin. Mit einem in tausenden Nadelstichen fast erstickenden Kampfschrei auf den Lippen mobilisierte Vesana letzte Kraftreserven, setzte einen schnellen Satz vorwärts und rammte dem Biest die Klinge bis über die Hälfte zwischen die Rippen. Brüllend drehte es sich und schlug die Kaiserliche abermals zur Seite, dieses Mal mit dem linken Unterarm. Es trieb ihr die Luft aus den Lungen und ließ den gesamten Brustkorb aufflammen. Gleichzeitig flog sie zurück und landete rücklings im Schnee neben ihrem zweiten Schwert, das sie schnellstmöglich versuchte in die zittrigen Finger zu bekommen. Sie schmeckte Eisen und den bitteren Geschmack ihres Lebenssaftes auf der Zunge. Sie hatte sich auf die Unterlippe gebissen. Das linke Hüftgelenk beschwerte sich und das Bein wurde steif in seiner Beweglichkeit. Schützend hielt sie die Klinge über sich und wartete einen Moment, um sich zu sammeln.
    Doch der Werbär blieb ihr fern. Zwar behielt er sie im Auge, zeigte jedoch vorübergehend keinerlei Ambitionen sie anzugreifen. Stattdessen fischte er sich mit den Pranken vor der Brust und versuchte den für sie viel zu kleinen Schwertgriff zu fassen zu bekommen, da sie von der scharfen Schneide stets zurückwichen. Währenddessen rappelte sich Vesa abermals hoch. Es fühlte sich bei jeder Bewegung so an, als ob tausend glühende Nadeln in ihre Brust stachen und ihr den Atem rauben wollten. Wenn sie nicht alles täuschte, hatte sie sich durch die zwei heftigen Schläge die eine oder andere geprellte und angebrochene Rippe zugezogen. Wäre es nicht für ihren gehärteten Lederharnisch, könnte sie möglicherweise schon jetzt nicht einmal mehr atmen und sähe sich dem Tod geweiht.
    Durch den Schmerz leicht vornübergebeugt und wegen des steifen Beins schief stehend, beobachtete die Kaiserliche den Werbären. Seine Hände bekamen in diesem Moment das Schwert zu fassen, verdrehten es allerdings so ungünstig, dass sich die Klinge zwischen zwei Rippenbögen verkeilte und an einer durch das Fell verborgenen Stelle klirrend abbrach. Es entlockte der Bestie ein grauenvolles, ohrenzerreißendes Heulen. Völlig in Rage gebracht tobte sie und bereitete sich darauf vor, ein weiteres Mal auf die Jägerin zuzustürmen. Diese bemerkte jedoch schnell, dass die schwere Verletzung durch das Schwert der Kreatur heftig zusetzte und jede Bewegung das steckengebliebene Fragment wohl weiter durch ihr Fleisch trieb. Ihre Schritte waren unsicherer, sie lahmte rechtsseitig und wirkte aus der Balance gebracht. Alles, das Vesana tun musste, war sich rechtzeitig zur Seite zu werfen, um dem ungezielten Angriff auszuweichen. Über das schwache Bein fiel das auch nicht allzu schwer. Noch in der Bewegung hieb sie nach dem näheren Fuß ihres Kontrahenten und traf ihn an der hohen Ferse. Grollend stolperte das Werwesen und überschlug sich mehrmals, während Vesa versuchte sich auf den Bauch zu rollen und anschließend auf die Knie zu stemmen. Die Kaiserliche hielt sich die Seite und keuchte schwer. Die Bewegungen raubten unglaubliche Mengen ihrer Kraft und sie verlor beinahe das Gleichgewicht, obwohl sie nicht einmal stand.
    Mühsam kam sie auf die Füße und näherte sich anschließend dem Wesen, das es nicht mehr schaffte, zum Stehen zu kommen. Mit den zerschnittenen Sehnen im Fuß ließ sich dieser nicht mehr belasten, weshalb es immer wieder einknickte. Blut tränkte den weißen Grund um es herum, das Knurren und Stöhnen erhielt zunehmend eine verzweifelte Note und trug sich schwanger mit Schmerz. Vesana wischte sich einige Tropfen ihres roten Saftes vom Kinn und unter der ebenfalls blutenden Nase weg, dann war sie heran. Die trägen Schläge der kraftlos gewordenen Bestie verliefen ins Leere, zu ungezielt und langsam hieben sie nach der Kaiserlichen. Diese nahm die Klinge mit beiden Händen und stieß sie, nachdem Vesa einen weiteren Hieb abgewehrt hatte, von oben herab durch die Schulter in den Brustraum. Sämtliches Grollen der Kreatur erstarb zu einem feuchten Gurgeln, flüssiges Rot quoll aus dem Maul, die Zunge hing labbrig heraus und der Kopf sackte stumpf auf den Boden. Die Glieder erschlafften und blieben regungslos. Einzig der Brustkorb deutete darauf hin, dass noch nicht sämtliches Leben aus dem bewundernswert kräftigen Leib gewichen war.
    Den Augen des respektgebietenden Geschöpfes entwich jedweder Zorn, vielmehr wirkten sie nun traurig, etwas angsterfüllt vielleicht, vor allem aber auch müde. Es ging keine Bedrohung mehr von ihm aus, egal wie nahe sie ihm kommen würde. Vesana ließ ihr Schwert los, ohne es herauszuziehen. Ein gewisses Maß an Trauer legte sich auf ihre Eingeweide, Leichtigkeit machte sich breit, dem Gefühl nach verknotete sich ihr Magen mit dem Darm. Ein Lächeln des Trübsinns und des Trostes stahl sich auf die blutbesudelten, teils schon verkrusteten Lippen, während sich die Jägerin neben den massigen Kopf des zotteligen Wesens kniete. Vorsichtig hob sie diesen an und legte ihn sich in den Schoß. Sie schaute direkt in das gelb schimmernde, teils ockerfarbene Auge der oberen Schädelhälfte, während sie mit den schlanken Fingern durch das Fell des Hauptes strich. „Hircine ruft Dich zu sich, mein Freund“, flüsterte sie dem Werbären vorgebeugt ins verhältnismäßig kleine Ohr. „Gute Jagd.“ Eine kleine Träne entrang sich ihrem Augenwinkel und auch sein Auge wurde glasig. Es trennte sie nicht allzu viel voneinander, sie waren von derselben Natur, und diese Nähe spürte Vesana. Der Abschied in Respekt von einem majestätischen Jäger war für sie eine Selbstverständlichkeit.
    Der Todeskampf des Werbären dauerte letztlich nur wenige Minuten. Behutsam erhob sich die Kaiserliche und legte seinen Kopf zurück auf den Boden, nachdem sie ihm die Lider geschlossen hatte. Kurz blieb sie stehen, die Augen streiften unfokussiert über den massigen Leib. „Irgendwann sehen wir uns wieder und dann jagen wir zusammen“, sprach sie nun mehr zu sich selbst. Ein langes Seufzen entlassend wandte sie sich ab und humpelte hinüber zu ihren Sachen. Die Schlafunterlage rollte sie zusammen, verpackte sie auf dem Tornister und schnappte sich anschließend noch ihre Armbrust. Die Reste des Speeres ließ sie im Schnee zurück. Unter der Last des Gepäcks keuchend, Hustenanfälle niederkämpfend, kehrte die Jägerin zu dem Toten zurück und setzte es neben diesem auf den schneebedeckten Grund. Mit einem kräftigen Ruck zog sie das geschwungene Schwert aus dem Körper vor ihr heraus und verlor zunächst das Gleichgewicht. Auf die angeschlagene Seite der Hüpfte fallend, stöhnte sie und rang mit einigen Tränen des Schmerzes. Nachdem sie sich gesammelt hatte, reinigte Vesana die Klinge und schob sie zum Schluss zurück in die Scheide auf ihrem Rücken. Erst danach kniete sie sich wieder in den Schnee und nahm sich einen ihrer Dolche. Ihre geübten Hände wussten genau, wie sie die kurze, scharfe Schneide ansetzen mussten, um den Bauch zu öffnen und damit zu beginnen, die obersten Hautschichten mitsamt dem Fell vom Rest zu trennen. Durch die Schnitte und Öffnungen zum Innenraum drang die Wärme der Organe und des Fleisches nach draußen und schlug sich in Form von kleinen Dunstschwaden nieder. Bevor die Kaiserliche jedoch den massigen Leib drehte, um auch auf der anderen Seite noch die zweite Hälfte des Fells vom Körper zu lösen, hielt sie abermals inne und atmete tief durch.
    Den Dolch legte sie in den Schnee und reinigte mit diesem zunächst ihr blutverschmiertes Gesicht. Das Tropfen der Nase hatte inzwischen aufgehört und auch der Riss in der Lippe war mit Grind verklumpt. Die Wunde an der Schläfe war ohnehin nur sehr oberflächlich gewesen. Es dauerte eine Weile bis sich das Wasser des geschmolzen Schnees nicht mehr rotbraun färbte, sondern schlicht farblos ihre Handflächen benetzte. Erst dann schob Vesana die Finger der linken Hand bis zu den Knöcheln in den blutigen Brustraum des Werbären. Den Daumen sparte sie aus. Tiefrot gefärbt holte sie sie wieder heraus und zog sie sich in einer langsamen Bewegung diagonal über das Gesicht. Sie führte diese Handlung mehrere Male durch, bis sie sich sicher fühlte, das Zeichen der erfolgreichen Jagd für einige Zeit haltbar aufgetragen zu haben. Das Blut trocknete schnell und hinterließ dunkle Streifen, die als Mahl in Ehren des erlegten Tieres für alle erkennbar in ihrem Antlitz prangten. Es war eine der letzten Würdigungen, die sie einem durch ihre Hand verstorbenen Geschöpf der Jagd erbrachte und so ihren ganz eigenen Tribut zollte.
    Die Finger reinigte sie gar nicht erst, sondern langte direkt nach ihrem Felleisen, um anschließend darin herumzukramen. Es brauchte einige Zeit bis Vesa das Totem fand, nach dem sie suchte – ihr ganz persönliches Totem der Jagd. Ein selbstgeschnitzter Wolfskopf mit einem unterproportionierten Leib aus hartem Eichenholz. Es maß kaum mehr als die Handlänge eines erwachsenen Nord in der Größe. Um den zu kurz und dick geratenen Hals baumelte eine lederne Halskette, an der sich verschiedengroße Eckzähne unterschiedlicher Raubtiere aufreihten. Es waren die Zähne von vier Wölfen, drei Eiswölfen, zwei Schwarzbären und einem Höhlenbär. Als Ersatz für den zu großen Zahn eines Säbelzahntigers fügte sich noch eine Kralle dieser majestätischen Raubkatze an der Kette ein. Das Holz der Wolfsform selbst erschien schwarz und leicht gefleckt von unterschiedlichen Mengen Flüssigkeit, die es aufgesaugt hatte. In wenigen Momenten sollte es abermals das Blut des erlegten Jägers aufnehmen, zuvor löste die Kaiserliche jedoch die Lederkette und legte sie zur Seite. Anschließend öffnete sie erneut den Schnitt zum Brust- und Bauchraum und schob die Holzfigur hinein. Behutsam bewegte sie sie hin und her, dann ließ sie los.
    Während sich das Holz vollsog, stand Vesana auf und mühte sich, den Körper des Werbären auf die andere Seite zu drehen. Unter hoher Kraftanstrengung und erneut aufgrund der flammenden Stiche in ihrer Brust aufstöhnend, gelang es ihr im fünften Versuch. Geduldig setzte sie die Arbeit des Häutens fort, kratzte im Anschluss Fleisch- und Blutreste von der Innenseite der abgelösten Haut und rollte das neugewonnene Fell schließlich zusammen. Nur noch an den Armen, Beinen und am Kopf blieben Teile der Behaarung übrig, sonst erschien die Gestalt nackt. Nach einigen weiteren geübten Handgriffen hielt die Jägerin auch noch das Herz des Werbärens in den Händen und verstaute es in einem freien Lederbeutel aus dem Felleisen. Es würde das einzige Körperteil sein, das sie als Proviant mit sich nahm, den kaum genießbaren, zähen Rest sollte sich die Natur zurücknehmen. Letztlich holte die Kaiserliche auch das Totem wieder heraus. Feucht schimmernd erhielt es die Halskette zurück und wurde neben dem Tornister zum Trocknen abgelegt. Erst dann begann Vesa damit, die Krallen von den Fingern und Zehen, sowie die Eckzähne aus dem Maul herauszubrechen. Wenn sie zurück in Rabenfels war, würde sie einen der letzteren mit einem kleinen Loch zum Auffädeln an der Kette versehen. Bis dahin mussten sie in einem Ledersäckel verweilen. Auch die Klauen an den abgeschlagenen Fingern vergaß die Jägerin nicht.
    Ihre Sachen zusammengepackt wandte sie sich nach einem abschließenden Blick auf die kümmerlichen Reste der einst furchtgebietenden Kreatur ab. Sie wollte etwas Abstand zwischen sich und sie bringen, damit sie Aasfressern nicht als lebender Happen im Weg stand. Erst dann kam es, dass sie wieder auf den Bieststein schaute und kurz überrascht den Atem anhielt. Eine leichte Aura aus grün schimmerndem, ja flammendem Licht umgab ihn von der Wasseroberfläche bis hinauf zur Spitze. Vorsichtig und ohnehin noch etwas wackelig auf den Beinen näherte sie sich. Die Augen hielt sie fest auf die Felsnadel gerichtet. War dies das Zeichen, von dem Storn gesprochen hatte, als er sagte, die Steine würden einem erkenntlich machen, wenn man sich als würdig erwiesen hatte? Denkbar, andererseits wollte sich Vesana nicht unbedingt blind darauf verlassen. Mit Magie blieb es immer so eine Sache und ihr traute die Kaiserliche grundsätzlich nicht weiter, als sie spucken konnte. Dennoch mochte sie nicht leugnen, dass dieser kuriose Stein mit seinem warmen Teich eine gewisse Anziehungskraft ausübte und Faszination hervorrief.
    Entgegen ihrer sonstigen Vorsicht entschied sich die Jägerin dem Schamanen etwas mehr Vertrauen zu schenken, als möglicherweise gut sein mochte. Am Rand der Wasserfläche legte sie den Tornister ab und zog ihre Stiefel aus. Langsam gewöhnte sie ihre Füße an die Wärme der Flüssigkeit und schritt anschließend auf den Stein zu, blieb jedoch vorerst mit einem letzten Sicherheitsabstand zu diesem stehen. Argwöhnisch begutachtete sie das dunkle Gestein, fand jedoch nichts Außergewöhnliches, abgesehen von verschlungenen Gravuren im Mittelteil, die ein unbekanntes Muster formten und natürlich auch von dem leicht pulsierenden Schimmer. Erst nach einer Weile des Beobachtens rang sich Vesa dazu durch – nein, gab sie dem tief in ihr aufquellendem Verlangen der Neugier nach – auch noch den letzten Abstand zu schließen und streckte schließlich die Finger aus. Kurz bevor sie in die Aura eintauchten, hielt sie ein weiteres Mal inne, atmete tief durch und schloss die Augen. Dann berührten ihre Finger die kühle Oberfläche des Bieststeines. Sie glitten über die Gravuren und folgten den Linien.
    Erst bemerkte es die Kaiserliche nicht, doch dann spürte sie wie sich die Aura aufheizte und auch der Fels Wärme abzustrahlen begann. Noch bevor sie die Hand zurückziehen konnte, fühlte sie vier heiße Stiche in der Handfläche. Erschrocken riss sie die Augen auf und entfernte sich von dem Stein. Die glühende Hülle um diesen war verschwunden. Das Stechen in der Linken klang schnell ab und da der Bieststein, seiner außerordentlichen, in diesem Moment zunehmend unheimlich erscheinenden Anziehungskraft beraubt, keinerlei Anstalten mehr machte, sich magisch zu betätigen, richtete sie ihre Augen auf die Linke. Vesana erkannte vier rote Punkte, die ein wenig nach frischen Narben aussahen. Zwei Davon lagen dicht beieinander nahe an der Handkante und am -gelenk, die anderen beschrieben einen leichten Bogen in größeren Abständen entlang der Vertiefung, durch die auch die Lebenslinie verlief. Seltsamerweise erweckte es für die Kaiserliche etwas den Eindruck einer stilisierten Klaue. Ähnlich einem Sternzeichen, wo um wenige einzelne Lichtpunkte ein Bild konstruiert wurde. Unbewusst strich sie mit dem Zeigefinger der Rechten über die Punkte, die sich tatsächlich auch anfühlten wie Narbengewebe. Allerdings wirkten sie sich nicht behindernd auf die Beweglichkeit aus, weshalb Vesa vermutete, dass es sich eher nur um oberflächliche Mahle handelte. Inzwischen war von den eingangs empfundenen heißen Stichen nichts mehr zu spüren, stattdessen machte sich leichter Ärger über ihre eigene Neugier breit. Was auch immer der Stein mit ihr gemacht hatte, physisch spürte sie keinerlei Veränderungen.
    Allein schon wegen dem zuletzt Erlebten erschien es der Kaiserlichen als notwendig, noch einmal zu den Skaal zurückzukehren und ein paar Worte mit Storn dem Schamanen zu wechseln. Dass sie wenig später unter den abgelegten Sachen des Werbären am anderen Ufer des Teiches einen verschlossenen Briefumschlag fand, auf dem in einfachen Lettern „Wulf“ als Adressat vermerkt war, führte schließlich zur unumstößlichen Entscheidung, noch einmal das Dorf im Norden zu besuchen. Zwar würde sie das nochmals eine ganze Woche mehr Zeit kosten, aber es bestand eine nicht zu leugnende Notwendigkeit. Sowohl das eigene Interesse, als auch das gegebene Versprechen gegenüber dem einäugigen Nord mussten befriedigt und erfüllt werden.



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    Geändert von Bahaar (26.07.2013 um 10:36 Uhr)

  4. #4

    Solstheim, nordöstliches Inland, Skaal-Dorf

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    Den Weg zum Dorf legte Vesana, trotz ihrer nicht unerheblichen Verletzungen, in drei Tagen zurück. Das Wetter beruhigte sich schon zu Beginn der Rückreise, so dass sich die allgemeinen Bedingungen ihrer Wanderschaft verbesserten. Zwar löste sich erst auf halbem Wege die blockierende Schwellung in ihrem Hüftgelenk, die sie zuvor hatte humpeln lassen, und das Atmen fiel ihr auch zur Ankunft bei den Skaal noch immer schwer. Zu allem Überfluss kamen auch wieder ihre üblichen Kopfschmerzen auf, die dem Vollmond voraus eilten und folgten, seit die Anspannung vor dem Kampf mit dem Werbären verflogen war. Das ewige Stechen und Ziehen in den Schläfen verhinderte zunehmend, dass sie klare Gedanken fassen konnte. Vor allem nachts tobte das Gewitter in ihrem Kopf. Aber wenigstens beschleunigte der Marsch über das flache Fjalding-Plateau und die sonst überwiegend abschüssigen Passagen die Reise. Nicht, dass das in irgendeiner Weise ihr körperliches Wohlbefinden steigerte, aber es half zumindest psychisch dabei, sich voranzutreiben.
    Erst lange nach dem Einbruch der Dunkelheit fand sich die Kaiserliche ein weiteres Mal auf dem Platz des Dorfes im Nordosten Solstheims wieder. In schiefer Körperhaltung stand sie vor der Hütte des einäugigen Nords. Den rechten Arm hatte sie unterhalb der Brust um den Oberkörper geschlungen und hielt sich die Rippenbögen linksseitig auf Höhe des Herzens. Schmerzen zuckten Vesana von ihnen ausgehend jedes Mal durch den Brustraum, wenn sie zu tief Luft holte und sich die Lungen zu stark aufblähten. Ein ungemütlicher Umstand. Letztlich fing sie sich aber, straffte sich ein wenig und klopfte kräftig gegen das alte Holz der Tür. Da noch Licht aus den schmalen Fenstern des Hauses schien, konnte sie sich wenigstens sicher sein, dass auch jemand öffnen würde. Es dauerte zwar einige Augenblicke, aber letztlich vernahm sie Schritte aus dem Inneren und das Rutschen eines Holzriegels auf der anderen Seite des Durchgangs. Leise quietschend schob jemand die Tür einen Spalt auf.
    „Hallo?“, verlangte die raue Stimme des Einäugigen.
    „Ich bringe Kunde von Eurem Bruder“, entgegnete die Kaiserliche.
    „Beim All-Schöpfer!“ Augenblicklich öffnete sich der Durchgang vollständig und ein überraschter Wulf stand im Gegenlicht. „So kommt herein!“ Vesa ließ sich nicht lumpen und folgte der Aufforderung. Erst jetzt schien der vom Leben gezeichnete Nord zu bemerken, wie sein Gast eigentlich aussah. „Meine Güte, was ist Euch widerfahren? Ihr saht wahrhaftig schon lebendiger aus!“ Die Kaiserliche schenkte dem Mann nur ein schiefes, eher gezwungenes Lächeln und setzte sich schwerfällig an den einzigen Tisch im Haus. Den Tornister neben sich, begann sie darin zu wühlen und holte den Briefumschlag heraus.
    „Das“, sie reichte das Papier weiter, „habe ich bei den Sachen eines Werbären beim Bieststein gefunden. Ich habe ihn nicht gelesen, aber es liegt nahe anzunehmen, dass er von Eurem Bruder ist.“ Wulf schaute zunächst die Frau an, dann auf den gefalteten, ziemlich zerknitterten Brief, und wieder zurück zu Vesa. Erst danach schlug er das Pergament auseinander und begann zu lesen. Sie ließ ihm Zeit und wartete schweigend. Das Sitzen, die Wärme, das Gefühl von häuslicher Sicherheit, all das tat ihr gut und es linderte ihre Leiden zumindest etwas. Der Einäugige verlor während er las für einige Momente die Fassung, Trauer zeichnete seine gegerbten Gesichtszüge und brach sein noch intaktes Auge. Als er seine Gegenüber aber erneut anschaute, schien er seine männliche Selbstbeherrschung wiedergefunden zu haben.
    „Danke“, gab er leise kund. „Ihr habt mir einen großen Dienst erwiesen und Jahre dunkler Ungewissheit ins Licht gerückt. Danke.“ Der Nord faltete die Seite zusammen und legte sie zurück auf den Tisch. „Hat er Euch das angetan?“ Er deutete auf die verkrusteten Wunden an Schläfe und Lippe, sowie die Stelle an der Seite, die sich Vesana noch immer hielt, auch wenn sie saß. Einen Augenblick lang musste sie überlegen, was sie darauf erwidern sollte.
    „Ich habe mich für diese Jagd entschieden. Wenn, dann habe ich es mir selbst zuzuschreiben“, erklärte sie letztlich und Wulf nickte verständnisvoll. Ein Jäger schob nie die Schuld auf seine Beute.
    „Ich würde Euch zwar gerne einige Jagdtricks und Kniffe mit auf den Weg geben, als Dank für Euren Dienst“, begann der Nord nach einige Momente anhaltendem Schweigen zwischen den beiden, „aber ich fürchte, dass ich Euch kaum noch etwas mitteilen kann, das Ihr nicht schon längst wisst. Ihr mögt nicht danach aussehen, aber Ihr seid eine verdammt gute Jägerin.“ Er griff sich mit den großen, kraftvollen Händen in den Nacken und löste ein ledernes Band um seinen Hals. Er zog mit ihm vier lange, spitze Eckzähne unter seiner dicken Kleidung hervor. „Stattdessen möchte ich Euch als Erinnerung etwas mitgeben, das für uns Skaal-Jäger besonderen Wert genießt.“ Wulf breitete die Zähne auf der Tischplatte vor der Kaiserlichen aus, die sich von neuerlichen Stichen in der Seite begleitet leicht vorbeugte und mit beiden Händen nach der Kette griff. „Es sind die vier Eckzähne meines ersten eigenhändig erlegten Bären. Sie sollen uns Glück bringen und die Gunst des All-Schöpfers sichern.“
    „Der All-Schöpfer?“, fragte Vesana und legte den Talisman in die flache Hand.
    „Wir Skaal glauben nicht an die großen Acht des Kaiserreichs. Der All-Schöpfer ist der, der unserem Glauben nach das Land, die Pflanzen, die Tiere, ja auch uns Skaal selbst geschaffen hat und zu dem wir zurückkehren werden, wenn wir sterben.“ Erst jetzt schaute die Jägerin auf und direkt zu Wulf. Sie schenkte ihm ein Lächeln und nickte.
    „Habt Dank, es ehrt mich sehr.“ Sie legte sich sein Geschenk demonstrativ um den Hals und stopfte es von oben unter ihre Kleidung. „Ich hoffe, dass Ihr damit nicht zu viel Eures Glücks und der Euch zustehenden Gunst vergebt?“, scherzte sie ein wenig. Wulf lachte kurz auf.
    „Nein, macht Euch keine Sorgen. Ich bin sicher, der All-Schöpfer wird diese Gabe anerkennen. Und unter uns: Meine besten Tage als Jäger liegen schon lange hinter mir. Früher oder später wird mich zweifellos jemand ablösen müssen. Seid also versichert, Ihr habt es Euch redlich verdient.“ Abermals nickte die Kaiserliche.
    „Ob ich wohl Storn noch in seiner Hütte antreffe, oder ihn schon bei der Nachtruhe störe?“, lenkte diese dann auf ein weiteres wichtiges Thema um.
    „Ich bin sicher, dass er noch auf sein wird. Für Euch hat er aber sicher in jedem Fall noch etwas Zeit.“ Mühsam stand Vesana auf und schulterte ihr Gepäck. Gemeinsam gingen die beiden Jäger zur Tür und Wulf öffnete sie für seinen Gast. „Wohin wird Euch Eure Reise noch verschlagen?“, leitete letzterer die Verabschiedung ein.
    „Zunächst zurück nach Rabenfels und von dort nach Windhelm in Himmelsrand. Von da an, wird das Schicksal entscheiden müssen“, erwiderte sie. Wulf nickte und ließ sich nun ebenfalls zu einem grimmigen Lächeln verleiten.
    „Wann auch immer Ihr einmal wieder auf Solstheim sein solltet, vergesst nicht, dass Ihr hier stets willkommen seid.“
    „Danke, das werde ich nicht. Gute Jagd.“
    „Gute Jagd.“
    Die Kaiserliche begann ihren Weg hinüber zur Hütte des Schamanen. Erst nach einigen Schritten in das leichte Schneetreiben und die windstille, absolut ruhige Nacht hinaus vernahm sie das Quietschen der Scharniere und Rumpeln der Tür, wie sie ins Schloss fiel. Es war zweifelhaft, dass sie jemals wieder so hoch in den Norden reiste, aber der Gedanke daran, willkommen zu sein, blieb angenehm. Nicht häufig empfand sie so, und auch jetzt blieb ein fader Beigeschmack, immerhin kannte noch nicht einmal jemand ihren richtigen Namen, aber sie versuchte ihn zu ignorieren. Kurz darauf erreichte sie dann die Behausung des grauen Nords. Auch hier drang Licht aus den Fenstern und so klopfte sie gegen das Holz des Eingangs. Die Tochter des Schamanen öffnete ihr. „Ja?“
    „Ich würde gerne zu Storn und mit ihm über etwas sprechen.“
    „Wisst Ihr, wie spät es ist?“
    „Ja.“
    „Frea, lass sie herein“, klang aus dem Hintergrund Storns Stimme hervor. Die hochgewachsene Nord-Frau trat zur Seite und öffnete die Tür vollständig. Vesana schlüpfte hinein. Hinter ihr schlug Frea die Tür zurück ins Schloss. „Ihr seht furchtbar aus, wenn ich das so sagen darf“, begrüßte sie der Schamane.
    „Das höre ich nicht zum ersten Mal, wenngleich Wulf es etwas weniger direkt zu verstehen gegeben hat“, erwiderte die Kaiserliche und setzte sich nach Bitten des Grauen an den Tisch. Dessen Miene verdunkelte sich auf ihren Teilsatz hin etwas.
    „Seid Ihr deswegen zurückgekehrt? Habt Ihr seinen Bruder gefunden?“
    „Allem Anschein nach, ja.“
    „Da Ihr hier seid und lebt, vermute ich, dass …
    „… er tot ist? Ja.“ Storn nickte nur und schien etwas in Gedanken zu sein. „Aber deswegen bin ich nicht bei Euch“, setzte Vesa fort. Kurzerhand zog sie ihren linken Handschuh aus und hielt die Hand mit der narbenähnlichen Zeichnung über den Tisch. „Sondern deswegen.“
    „Was … Oh.“ Der alte Mann beugte sich vor und nahm ihre Hand mit den seinen hoch. Vorsichtig strich er mit den rauen Fingerkuppen über die Mahle. „Wie habt Ihr dieses Zeichen erhalten?“
    „Nach meinem Kampf mit dem Werbären habe ich mich um die verwertbaren Teile seines Körpers gekümmert. Als ich aufbrechen wollte, umgab den Bieststein eine Art grün schimmernde Aura. Ich berührte den Stein und erhielt dieses Mahl“, erläuterte sie. Einige Zeit schwieg der graue Nord und betrachtete sich die vernarbten Punkte. In der Zwischenzeit rang die Kaiserliche mit sich selbst, um den Frust über ihre elende Neugier und die Anziehungskraft des Steines niederzuringen.
    „Nun“, begann er schließlich, „wie es scheint, hat Euch der Bieststein mit seiner Magie gesegnet, nachdem Ihr Euch im Kampf gegen der Werbären als würdig erwiesen habt.“
    „Soweit vermutete ich bereits.“ Vesana zog ihre Hand zurück und legte sie mit der Rechten zusammen auf die Tischplatte. „Die Frage ist: Was kann ich damit machen und wie kann ich es?“ Abermals verfiel Storn in Schweigen. Die Stirn in Falten gelegt und sich am Bart zupfend dachte er nach.
    „Kind, wenn ich das wüsste, ich würde es Euch sagen. Doch übersteigt die Macht der Steine, die Magie der Insel, bei weitem meine Kenntnisse und Fähigkeiten. Alles, das ich Euch mit auf den Weg geben kann, ist Folgendes: Zu Zeiten der Bedürftigkeit wird sich Euch ein Weg offenbaren, diese Macht zu Euch zu rufen“, sprach er und fixierte seinen Gast mit beiden Augen, „und zwar nur dann. Die Steine mögen großzügig sein, doch verleihen sie keine Allmacht. Welche Begabung Euch der Bieststein auf den Weg gegeben hat, ist einzig und allein an Euch herauszufinden.“ Vesa lehnte sich zurück und musste sich mühen, das Gesicht nicht zu verziehen. Die rechte Hand legte sie wieder an ihre Seite und strich sich mit der linken über das Gesicht. „Es ist nicht das, was Ihr Euch erhofft habt, und seid enttäuscht. Das kann ich nachvollziehen. Niemand der sich Antworten erhofft, gibt sich mit leeren Floskeln und mystischen Prophezeiungen zufrieden. Leider kann ich Euch mit nichts anderem dienen, als solchen.“
    „So, ich bin also gezeichnet und verfüge über irgendeine ominöse Fähigkeit, deren genaue Nützlichkeit und Funktion ich nicht kenne, von der ich nicht weiß, wie ich sie einsetzen kann und von der ich hoffen muss, dass sie zur rechten Zeit von selbst zuschlägt. Richtig?“ Storn nickte. „Klasse“, flüsterte sie mehr zu sich selbst. Ein starkes Ziehen an den Schläfen ließ sie stöhnen, was sie jedoch nach außen versuchte als Schnaufen zu tarnen. Mit den Zeige- und Mittelfingern massierte sie die Stellen und rieb sich anschließend nochmals über das Gesicht. Offenbar merkte Storn nichts weiter von ihren Schmerzen und nahm es eher als – tatsächlich echte – Verärgerung wahr. Warum musste sie auch den Stein anfassen? Sie hätte einfach gehen können, aber nein, sie musste neugierig sein. Und nun? Nun verfügte sie über eine magische Fähigkeit, von der sie nicht einmal in Ansätzen eine Ahnung hatte.
    „Schädlich sollte sie zweifelsohne nicht sein“, tröstete der Schamane. Vesana lachte auf, weniger aus Belustigung denn Verbitterung. Dass ihr diese unbekannte neue Macht nicht so recht schmecken wollte, ließ sich kaum verbergen. „Wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr die Nacht wieder hier verbringen, bevor Ihr morgen wohl endgültig abreist.“
    „Danke.“
    „Ihr habt sicher unverändert alles Nötige. Wenn Ihr sonst keine weiteren Fragen an mich habt, würde ich mich gern zur Ruhe betten. Es ist bereits sehr spät.“
    „Natürlich.“ Der Graue nickte nur, stand auf und verschwand in den hinteren Teil des Hauses. Nachdem sie noch kurz grübelnd am Tisch saß, begab sie sich zu ihrem zuvor bereits bemühten Schlafplatz und breitete die Fellunterlage aus. Darauf legte sie ihre Decke. Anstatt sich jedoch einfach hinzulegen, zog sie sich noch aus. Die Stiefel stellte sie an den Rand, die Rüstungsteile legte sie dazu. Jede noch so kleine Bewegung ließ sie das Gesicht verziehen und trieb ihr die Luft aus den Lungen, als würde ihr jemand einen Dolch zwischen die Rippen stoßen. Danach folgte die dicke Jacke. Sofort roch sie ihren eigenen Mief aus Schweiß, Talg, Fett und Dreck. Dass sie sich seit drei Wochen nicht einmal grob hatte waschen können machte sich inzwischen duftstark bemerkbar. Angewidert rümpfte die Jägerin die Nase. Schweißränder und Flecken zeichneten sich überdeutlich auf der eigentlich ohnehin relativ dunklen Tunika ab.
    Keuchend ließ sie sich auf dem Fell nieder und verschnaufte einige Momente lang. Anschließend holte sie Verbandszeug und zwei Schatullen aus ihrem Tornister. Eine davon war bereits fast leer, nachdem sie sie Oslaf gegeben hatte. In der anderen stand die Heilsalbe noch bis zum Rand. Erst als die Schatullen direkt neben ihr lagen, zog sich die Kaiserliche weiter aus. Die Tunika über den Kopf abstreifend entblößte sie den schlanken, femininen Oberkörper. Dunkles Blau, fast schwarz, unterlegte die Haut um die Busen und umspannte den Brustkorb vom Zwerchfell bis unter die Achseln vor allem linksseitig. Nur durch das Fettgewebe der Brüste schimmerte es nicht. „Scheiße“, hauchte sie. Wenigstens standen keine ungewöhnlichen Spitzen hervor, die auf verschobene Rippenbrüche schließen lassen würden. Bevor die Kaiserliche damit begann, sich mit der Salbe einzureiben, streifte sie noch die Halsketten ab. Die von Wulf stopfte sie in ihr Felleisen, sie würde sich diese später nicht mehr umlegen, das Hirschkopfamulett legte sie auf die Decke. Im Anschluss leerte sie beide Metallschatullen als sie sich ausnahmslos alles oberhalb des Bauchraumes bis zum Hals einrieb. Mehr als einmal musste sie innehalten und tief durchatmen, um die Fassung zu bewahren. Besonders Bewegungen mit dem linken Arm schmerzten und zogen lange, feurig brennende Stiche durch die Herzseite.
    Mit dem letzten Rest heilender Salbe verstrichen wartete sie einige Momente lang und ließ sie zumindest etwas einziehen. Danach wickelte sich Vesana ihr Verbandszeug vollständig und so straff, wie es sich aushalten ließ, um Busen und Brustkorb. Einige Schlaufen legte sie für besseren Halt um den Hals. Abschließend hängte sie sich ihr silbernes Amulett um und schlüpfte zurück in die Tunika. So versorgt legte auch sie sich schlafen und hoffte, dass die Arznei möglichst bald damit begann, ihre Arbeit zu verrichten. Aber selbst wenn, die Pein im Kopf würde sie vermutlich ohnehin länger wachhalten.



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    Geändert von Bahaar (02.08.2013 um 10:49 Uhr)

  5. #5

    Solstheim, nordöstliches Inland, Fjalding-Plateau

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    Während die Kaiserliche es zuvor durch das Wetter weniger stark wahrgenommen hatte, machte sich das konstante Brennen der Augen im Zuge hoher Lichtempfindlichkeit am Tag nach ihrem Aufbruch im Skaal-Dorf durch den auflockernden Wolkenhimmel schlagartig und ungewohnt heftig bemerkbar. Sie zog die Kapuze weit hinab ins Gesicht, um sich zumindest so etwas von oben abzuschirmen. Die Reflexion des grell glitzernden Schnees ließ sich dadurch jedoch nicht abwehren. Es war ihr Glück, dass Vesana noch vor den ersten Sonnenstrahlen aufgebrochen war und sich dadurch einen kleinen Vorsprung hatte erlaufen können. In ihrem jetzigen Zustand kam sie jedenfalls nur noch langsam voran und musste sich das Ganze auch noch selbst zuschreiben. Über der ganzen Jagd-Sache und dem ewig schlechten Wetter blieb ihre Beobachtung des nächtlichen Himmels auf der Strecke, so dass sie ihr Zeitgefühl in Relation zum nächsten Vollmond völlig verloren hatte. Er mochte genauso gut morgen kommen, oder erst in drei Tagen. Mit etwas Pech, hätte er auch gestern sein können. Jedenfalls spürte sie jetzt überdeutlich, dass es nicht mehr lange hin sein würde. Das Augenbrennen und die Lichtempfindlichkeit sprachen eine deutliche Sprache. Von der Migräne ganz zu schweigen und auch ihr Gehör gab sich zunehmend empfindlicher. Jedes noch so kleine Knacken ließ sie zusammenzucken, sich instinktiv umschauen und schmerzte darüber hinaus im Gehör. Hin und wieder ertappte sie sich dabei, wie sie die Nase in die Luft hob und die Gerüche der Umgebung einsog, wie ein Raubtier auf Beutesuche.
    Die Nacht des ersten Tags verbrachte sie rastlos. Mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit verschwanden zwar die Lichtempfindlichkeit und das Brennen der Augen, dafür verstärkten sich die Kopfschmerzen bis ins Unerträgliche. Ein konstantes Hämmern im vorderen Schädel und hinter den Augen. Es fiel ihr zunehmend schwerer sich unter Kontrolle zu halten – besonders dann, wenn das silbrige und rote Licht der fast vollen Monde durch die Wolkendecke brachen. Sie verspürte Heißhunger auf Fleisch, sowie die Lust zu töten und die Muskeln im ganzen Körper zuckten willkürlich unter der Haut, wie nervöse Finger, die trippelten. In Verbindung mit dem stark angeschlagenen Brustkorb keine besonders günstige Kombination. Es machte sie aggressiv, das gequälte Stöhnen klang fast schon wie ein Knurren und dennoch wollte sie sich nicht einfach aufgeben. Es mochte in dieser Gegend noch zu viele unabsehbare Folgen haben, wenn sie das tat. Dieser letzte Rest menschlichen Verstandes, irgendwo tief in ihrem Unterbewusstsein, war es auch, der wohl Schlimmeres in dieser Nacht verhinderte.

    Am nächsten Tag blieb ihr Befinden konstant schlecht. Das Gewitter hinter der Stirn flaute zwar mit dem Aufstieg der Sonne wie gewohnt etwas ab, aber der Rest blieb übermäßig empfindlich. Wie sie es dennoch schaffte, bis zum Fuße des Passes zur südlichen Inselmitte vorzudringen, blieb auch ihr selbst ein gewisses Rätsel. Möglicherweise war ihr jemand wohlgesonnen genug, ihr die Kraft zu geben auch ohne einen einzigen klaren Gedanken den Weg zurück zu finden – zurück in die Heimat. Heimat? Wollte sie das wirklich? Das Wort hallte in ihrem Kopf wider, doch war es nicht mehr als ein hohles Echo, das in diesen Stunden kaum noch eine Bedeutung für sie besaß. Das Bild von Fesseln schoss ihr als erstes durch den Kopf bei dem Gedanken. Regeln, die sie banden wie Fesseln, die ihr Vorschriften machten und sie einschränkten – das wollte sie nicht. Sie wollte frei sein, ausbrechen, wild und ungezügelt. Tollen und toben, tagelang nur jagen, ohne Rücksicht, ohne Kontrolle.
    In den immer selteneren Momenten der Klarheit schalte sich Vesana selbst dieser Gedanken, die aus den Untiefen ihrer tierischen Triebhaftigkeit emporstiegen. Nicht, dass sie nicht verlockend waren, oder sie sich nicht damit anfreunden konnte, aber bei klarem Verstand lagen ihre Prioritäten etwas anders. Doch so schnell und unverhofft diese Augenblicke auch kamen, so verschwanden sie auch wieder und nach dem Verschwinden des Tagesgestirns hinter den Bergen im Westen verschlechterte sich ihr Zustand noch weiter. An sich kannte sie diese regelmäßig wiederkehrende Phase nur zu gut, aber es blieb jedes Mal aufs Neue eine unglaubliche Qual. Als schließlich die Wolkendecke ein weiteres Mal aufriss, gab es kein Halten mehr.
    Ihr schmerzerfülltes Stöhnen wandelte sich zu tiefem Grollen, die Hände krallten sich erst in den losen Untergrund als heftige Spasmen durch ihren Körper fuhren, dann zogen sie ihr die Kleidung vom Leib. Der Verband um ihren Brustkorb riss auf und fiel von ihr ab. Die Kette landete im Schnee. Was zuvor für Schmerzen gesorgt hatte, empfand sie alsbald als berauschend. Jeden noch so kleinen Laut nahm sie wahr, ob das Scharren einer Wühlmaus unter dem Schnee oder das Schnaufen eines Hirsches in weiter Ferne. Die Geräusche der Umgebung sog sie gierig auf, während die Augen mit scharfem Blick und im silbrigen Zwielicht jede Kleinigkeit in Sichtweite musterten. Die Schmerzen im Kopf waren verschwunden, die in der Brust schienen verdrängt. Alles um sie herum wurde auf einmal zur Spielwiese und sie fühlte sich wie ein Kind im Wunderland – überall Spielzeug und Süßigkeiten, die es einzusammeln galt. Hinter jedem Busch, jedem Baum oder Stein mochte eine Überraschung lauern, alles weckte ihr Interesse und wollte eingehend gemustert werden. Völlig aufgeregt und mit wild schlagendem Herzen rollte sie sich im Schnee hin und her, wühlte das kalte Weiß auf einem Haufen zusammen, nur um anschließend hineinzuspringen und es wieder zu verteilen. Dabei kamen ihr einige der eisigen Flocken in die Nase. Schnaufend hielt sie inne, kratzte und rieb an ihrer herum, um sie von den unangenehmen Spielverderbern zu befreien.
    Als sich das Brennen etwas gelegt hatte hob sie den Kopf in die Luft und schnüffelte laut. Schnell nahm sie die Duftspur eines nahen Tieres auf. Ruckartig und mit einem Gefühl von Euphorie wandte sie sich in die Richtung um, in der sie es vermutete. Rasend schnell rannte die Jägerin durch den Wald und ignorierte peitschende Zweige des Unterholzes, als wären es kitzelnde Federn. Der Rausch beschleunigte ihren Puls, versetzte das Herz in aufgebrachte Sprünge. Die Anstrengung ließ sie alsbald hecheln, ohne dass sie jedoch müde wurde. Im Gegenteil: Je näher sie ihrer Beute kam, je mehr Indizien sie in Form von Geruch und Geräuschen auf dessen Position aufnahm, desto freudiger wurde sie. Die Füße der Kaiserlichen fanden trotz der Geschwindigkeit stets halt. Steine nutzte sie, um sich zu weiten Sätzen abzudrücken und nahm sogar die Arme und Hände intensiv mit zur Fortbewegung zu Hilfe. Die Lust auf Fleisch, die Süßigkeit ihres Wunderlandes, trieb sie immer weiter. So interessant die passiven Objekte auf der Spielwiese des Waldes auch sein mochten, einzig echtes Spielzeug reizte sie wirklich.
    Ihre scharfen Augen erspähten weit vor ihr zwischen den lichter stehenden Bäumen und über einiges Gebüsch hinweg ein Reh, das dort gerade noch graste, allerdings im nächsten Moment durch das Knacken im Unterholz aufgeschreckt wurde. Wach standen die Ohren ab und es schaute sich aufmerksam um. Dann entdeckte es die herannahende Jägerin und ergriff die Flucht. Allerdings half es nichts, Vesana war zu schnell. Auf Sprungweite heran nutzte sie den nächsten Baum, indem sie ihn ansprang, sich mit einer Hand an einem Ast festhielt und sich tief knurrend mit den Füßen kraftvoll am Stamm abdrückte. Das junge Wild besaß nicht den Hauch einer Chance, als sie auf seinem Rücken landete, die Finger und Zehen Knöcheltief in sein Fleisch schlug und sich in seinem Nacken festbiss.

    Erbärmlich frierend, zitternd und vor allem splitterfasernackt wachte die Kaiserliche inmitten ihrer wild durcheinander liegenden Kleidung auf. Blut besudelte sie von Kopf bis Fuß, verdeckte sogar stellenweise die dunkel unterlaufene Haut des Brustkorbs, und verklumpte ihr Haar. Obwohl die vergangene Jagd ganz offensichtlich ein Erfolg gewesen war, fühlte sie sich nicht gestärkt, eher wie nach einer durchzechten Nacht mit viel zu viel Alkohol und anderen Rauschmitteln. Die Vollmondnächte besaßen diese unangenehme Eigenart, dass sie entgegen ihrer üblichen Disziplin und langjährigen Gewöhnung nur ganz bestimmte, ja ursprüngliche Beute fangen musste, um sich überhaupt zu regenerieren und zu erholen. Sonst half sie zwar in gesteigertem Maße, aber auch andere – kräftige und gesunde – Beutetiere konnten dienlich sein. Alsbald kehrten auch die Plagen der letzten Tage zurück und quälten und lähmten sie von neuem. Das Hämmern in den Schläfen, das Zwicken in den Ohren bei jedem noch so leisen Geräusch und die brennenden Augen, die schmerzhafte Blitze durchzuckten, wenn sie zu lange auf das grelle Weiß des Schnees schaute. Stöhnend stemmte sich Vesa auch, die Schmerzen in der Brust trieben ihr die Luft aus den Lungen. „Scheiße“, fluchte sie leise und versuchte sich so weit unter Kontrolle zu bringen, dass sie ihre Sachen einsammeln und sich anziehen konnte.
    Mühsam und steifbeinig gelang es ihr und kurz nach Sonnenaufgang setzte sie ihre Reise fort. Es dauerte lange, bis die Kälte auch nur ansatzweise aus ihren Gliedern verschwand und die nach dem Rausch, ja dem beinahe-Traum, der letzten Nacht umso härter auf sie einprügelnden Beschwerden machten ihr das Leben nicht viel leichter. Wenn sie in den nächsten zwei Tagen tatsächlich einigermaßen gut vorankommen und ihren Zeitplan halbwegs einhalten wollte, musste sie sich trotz ihrer Klagen zusammennehmen und tagsüber zügig wandern, denn mindestens die nächsten zwei Nächte – zu Vollmond und die Nacht danach – würden ähnlich wild werden, wie die vergangene, egal, ob Vesana es wollte, oder nicht.



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    Geändert von Bahaar (16.08.2013 um 12:26 Uhr)

  6. #6

    Cyrodiil, Kaiserstadt, Hafenviertel: Herberge zum aufgetriebenen Floß

    Das aufgetriebene Floß war zu dieser Tageszeit noch leer, wenn man von dem Wirt, dem Rausschmeißer und ein paar Dauergästen absah, die immer im Schankraum anzutreffen waren. Natürlich könnte immer ein Spitzel darunter sein und selbst wenn nicht, die Aussicht darauf die nächsten Tage ohne Probleme seine Sucht zu finanzieren ließ diese teilweise erbärmlich aussehenden Gestalten sich an Gespräche und alles mögliche erinnern, je nach dem was benötigt wurde. Allerdings war es für sie ein schmaler Grad: Sagten sie zu viel, lebten sie nicht mehr sehr lange und wurden entweder tot in einer Gasse gefunden oder verschwanden im Hafenbecken. Sagten sie zu wenig, blieben sie zwar am Leben, bekamen aber kein Geld und wurden vom Rest gemieden, da ihr loses Mundwerk irgendwann bekannt wurde.
    Diejenigen, die viel sagten und Glück hatten lange genug zu überleben, wurden von den Thalmor rekrutiert und genossen einen gewissen Grad an Schutz, der je nach Nützlichkeit der bisherigen Informationen größer oder kleiner war. Eines war sicher: Die Thalmor konnten ihrer Informanten jederzeit fallen lassen, was zu einer gewissen Konkurrenz unter ihnen führte. Manche sehr fleißige Zeitgenossen, gingen sogar dazu über, aktiv Diebe und Mörder zu jagen, welche den Thalmor schaden zugefügt hatten. Im Gegenzug verbündeten sich viele Unabhängige oder suchten Schutz in der Diebesgilde, gründeten kleinere Banden oder heuerten Attentäter der Dunklen Bruderschaft an. Das Resultat war ein regelrechter Krieg in der Unterwelt der Kaiserstadt. Zeitweise fand man täglich mehr Opfer von Attentaten und Überfällen wie auf natürliche Weise Gestorbene. Nicht zu vergessen diejenigen die einfach verschwanden. In dieser Zeit war es eine Kunst neutral zu bleiben. Den wenigen Individuen, die dieses Kunststück schafften, genossen hohes Ansehen, wurden verehrt und gefürchtet. Diese Verehrung und Furcht galt sowohl für die Unterwelt, die Thalmor, den Penitus Oculatus und die kaiserliche Wache, die in diesem Krieg hoffnungslos unterlegen war. Das einzige, was das totale Chaos scheinbar verhinderte, war die Tatsache das immer noch recht einträgliche Geschäfte gemacht wurden. Ein offener Krieg würde diese ruinieren und so wurden die Kriegstreiber meist schnell zum Schweigen gebracht. Ein Frieden wurde hauptsächlich durch die Thalmor verhindert und so entstand eine sehr angespannte Situation, die irgendwann gelöst werden würde, so viel stand fest. Die einzige Frage war nur: Wie wird sie gelöst?

    Für Revan war dieser Konflikt ein alter Hut. Zwar waren er und sein Mentor keiner Seite verpflichtet, allerdings gehörten sie auch nicht dem fast schon elitären Kreis der Neutralen an, die als graue Eminenzen dafür sorgten das weiterhin viele Waren im Hafen der Kaiserstadt umgesetzt wurden, legale wie illegale. Dies sicherte nach außen hin den Frieden. Wenn das trotzdem nicht genug war, wurden an die betroffenen Personen eindeutige Nachrichten versandt. Bei Missachtung waren die Konsequenzen schwerwiegend, mitunter auch tödlich. Da die Methoden aber nur dem Kreis selbst und wenigen Eingeweihten bekannt war, munkelte man vor allem beim plötzlichen Verschwinden von Personen oder deren plötzlichem Tod, dass der Kreis seine Finger im Spiel hatte. Und niemand war wirklich versessen darauf zu viele Fragen zu stellen. Wer konnte noch zwischen Wahrheit und Gerücht unterscheiden?
    Bisher konnten sie es vermeiden, von einer Partei bedrängt zu werden. Dies war nur möglich, indem sie möglichst unauffällig blieben und nur ganz wenige Einbrüche durchführten. Die wenigen waren dann auch meist nicht sehr lukrativ, aber ohne Geld konnten sie ihren bescheidenen Wohlstand nicht halten. Daher waren Taschendiebstähle oder das plündern von Waren aus einem der unzähligen Lager an der Tagesordnung. Das war fast schon zu leicht, allerdings hielt die Routine die Sinne beisammen und die Finger kamen nicht aus der Übung. Jetzt stand aber wohl wieder ein größerer Einbruch an. Mit etwas Glück war er danach zumindest so weit unabhängig, dass er eigene Raubzüge planen konnte. Die Tatsache dass sein Mentor von den Einnahmen einen Teil bekommen würde, hatte Revan damals akzeptiert. Jedoch würde es nicht immer so weitergehen. Sein Mentor war alt geworden, die Anzahl der Jahre die er noch zu leben hatte, war recht überschaubar geworden. Danach konnte er uneingeschränkt auf die Verbindungen seines Mentors zurückgreifen. Alles in allem schien es endlich bergauf zu gehen, trotz der heiklen Situation in der Kaiserstadt. Das diese Postion immer mehr Neider anzog, war nichts neues. Genauso wenig die Verfahrensweise mit solchen Schmarotzern: An dem oder denen, die einem am gefährlichsten werden konnten, wurde ein Exempel statuiert, danach verschwanden die Mitläufer schneller wie Ratten die von einer Katze gejagt wurden. Das war der beständige Lauf der Dinge in dieser Welt. Sobald man die wichtigste Regel verstanden hatte, nämlich dass nichts bestand hat, außer der Tod, konnte man mit ein wenig Geschick und den richtigen Leuten besser leben als viele Andere. Auch wenn dieser Umstand manchmal nur von kurzer Dauer war, so galt diese Zeit vielen als die Beste die man in seiner erbärmlichen Existenz erreichen kann. Diese Denkweise bestimmte das Leben des Dunkelelfs seit seiner Geburt. Erst während der Ausbildung durch seinen Mentor änderte sich seine Sichtweise langsam und er fing an Vorbereitungen zu treffen, um eines Tages dem Netz aus Intrigen, Verrat und Bestechung zu entkommen. Auch wenn die Chancen groß waren, das Risiko war es auch. Es gab andere Orte an denen man als Dieb leben konnte, ohne ständig ein Messer im Rücken zu erwarten. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg.

    Der Dunkelf wählte einen Tisch am Rande, damit er den ganzen Schankraum beobachten konnte. Kaum saß er auf dem Stuhl, da erschien auch schon der Wirt, ein älterer Altmer namens Ormil. Hin und wieder unterhielt er die Gäste mit Geschichten aus der Zeit der Oblivion-Krise. Auch wenn sie glaubhaft erzählt wurden, so konnte sich Revan nur schwer vorstellen, das ausgerechnet der Held von Kvatch in dieser Kaschemme genächtigt haben soll. „Ein Dunkelbier“ - „Kommt sofort“ Wortkarg wie immer bestellte der Dunmer, damit er möglichst schnell wieder in Ruhe gelassen wurde. Warum ausgerechnet hier? Das der Besitzer ein Altmer war beunruhigte jeden Besucher, aber wenn sein Mentor ihn hier treffen wollte, dann hatte das sein Gründe. Dadurch das sie Elfen waren, wurden sie nicht ganz so herablassend von den Thalmor behandelt, wie die kurzlebigen Rassen. Dennoch war jedem klar, wer sich für die beste Rasse auf Tamriel hielt. Und zur Zeit waren sie auf dem besten Weg, diesen Anspruch mit allen Mitteln durchzusetzen.
    Kurz darauf stand das Bier vor ihm, ein paar Münzen wechseln den Besitzer und schon hatte der Dunmer wieder seine Ruhe. Bis zum Treffen waren es noch ein paar Stunden, daher war wieder Zeit für ein Karten- oder Würfelspiel. Dabei konnte man schön den anderen Parteien das Geld aus der Tasche ziehen ohne das sie etwas merkten. Dazu war aber auch immer ein wenig Alkohol nötig. Ohne Alkohol waren nur kleine Beträge möglich, wenn die gleichen Leute auf in Zukunft mit einem spielen wollten. Es musste immer so aussehen, als habe man besonders viel Glück oder die Anderen besonders viel Pech. Interessant wurde es, wenn ein zweiter Falschspieler am Tisch saß und gegen einen spielte. Diese Partien waren immer fordernd und man lernte manch neuen Kniff. Auch heute fanden sich schnell wieder ein paar spielfreudige Gesellen zusammen, die Karten wurden ausgepackt, die Einsätze bestimmt und schon ging es munter los.

    Ein paar Stunden später, das Floß war fast schon überfüllt, hatte Revan einen mäßigen Gewinn erzielt und war, nachdem die Runde den Tisch verlassen hatte, wieder alleine. Plötzlich entdeckte Revan eine Gestalt, die sich zwischen 3 eingetroffenen Soldaten der kaiserlichen Armee in den Schankraum zwängte. Er ist spät dran. Die Gestalt ging kurz zum Tresen und bahnte sich danach mit zwei Flaschen Wein und 3 Gläsern ihren Weg durch den Schankraum. Wortlos setzte sie sich an den gleichen Tisch, entkorkte die erste Flasche und füllte 2 Gläser mit Wein.
    „Du bist heute spät dran, Cale“, sagte Revan und nahm das Glas entgegen.
    „Ich musste noch ein paar Sachen regeln, Golion“, erwiderte Faldil
    „Das Übliche?“
    „Das Übliche.....Seit wann sitzt du hier?“
    Der Dunkelf schüttelte den Kopf. „Die geben wohl niemals auf, oder? Seit heute Nachmittag.“
    Der Waldelf lachte kurz und trocken. „Nein, du kennst doch die Regeln. Diese Regeln sind fast so alt wie Götter selbst.
    „Nur das die Regeln von sterblichen gemacht wurden, und alle mischen mit. Egal ob Bettler, Soldat oder König. Den Göttern muss das ziemlich egal sein, sonst hätten sie es längst unterbunden.“
    „Wer weiß, vielleicht ist es auch eine Prüfung um die Würdigen von den Unwürdigen zu trennen.“
    „Hör auf, die klingst wie diese selbstgerechten Priester. Schon vergessen: Angeblich sehen die Götter alles, wozu dann dieses Gerede von Prüfungen?“
    Faldil schüttelte den Kopf. „Lassen wir das. Es ist draußen schon dunkel und der Kontakt sollte jeden Moment auftauchen. Er hat eine Aufgabe für uns, angeblich ein sehr heikler Auftrag. Hast du irgendwas besonderes bemerkt?“
    „Einmal abgesehen von der Tatsache, dass wir uns in einer Kaschemme am Hafen treffen, die von einem Altmer geführt wird, den Dauergästen die bei genügend Gold alles gehört haben, ein paar Soldaten der Armee und dem selben Spion der Thalmor, der am anderen Ende des Raumes sitzt und heute ein zweiter Spion samt Schlägern eingetroffen ist,..... abgesehen davon nichts auffälliges.“
    „Also nur das Übliche. Halte trotzdem Augen und Ohren offen. Wenn der Kontakt eintrifft, verständigen wir uns auf die übliche Art und Weise.“
    „In Ordnung, aber mir bereiten die Spione immer ein wenig Kopfzerbrechen. Man weiß nie ob man einen Übersehen hat. Diese Halunken sind wie die Ratten. Wo du einen siehst, ist der Rest nicht weit entfernt. Und ich habe dieses mal kein gutes Gefühl“, entgegnete Revan.
    „Leidest du unter Verfolgungswahn? Es ist das gleiche Spiel wie in den letzten Jahren auch. Entspann dich ein wenig und........er ist da“, erwiderte Faldil.
    Ein ziemlich blasser, aber gefasst wirkender Kaiserlicher betrat den Schankraum und ließ den Blick kurz schweifen. Ein kurzer Blick auf die Tür hinter ihm, dann bewegte er sich langsam durch den Schankraum. Fast konnte man meinen, er würde im Gedränge ertrinken, doch er kämpfte sich bis zu dem Tisch, an dem Revan und Faldil saßen. Ein kurzes Nicken seitens des Bosmers, genügte dem Kaiserlichen um sich auf den freien Stuhl zu setzen. Mit einem gemurmelten „Danke“ nahm er das Weinglas entgegen und trank einen tiefen Schluck, ehe er die beiden Elfen eingehend musterte. Ehe er ansetzen konnte nahm Revan die Karten aus seiner Manteltasche und begann zu mischen. Der fragende Blick seitens des Kaiserlichen wurde von einem bestimmten Nicken Faldils beantwortet. Seufzend akzeptierte der Kaiserliche, dass der Abend wohl ein wenig länger werden würde.

    Nach der dritten Runde stellte Faldil die erste Frage an den Kaiserlichen, der sich selbst Tiro nannte. „Ich hörte du hättest Neuigkeiten für uns?“
    Tiro nahm einen weiteren Schluck Wein, ehe er mit zittriger Stimme antwortete: „D-du-durchaus, ihr kennt doch den...den reichen Altmer, der sich aufführt als wäre er der Herrscher über diese Stadt? Wie war der Name noch gleich......Eraami, Eraami heißt er.“
    „Ist ja auch schwer diesen dekadenten Mer nicht zu kennen“, grummelte Revan Während er missmutig nach der Bedienung Ausschau hielt, da die letzte Flasche Wein gerade geleert worden war. Mit gespieltem Erstaunen warf Faldil seinem Schüler einen tadelnden Blick zu, was dieser nicht sehen konnte.
    „Ja, wir kennen Eraami. Was ist mit ihm?“
    „Nun, man munkelt das er beabsichtigt auf Reisen zu gehen und eine nicht geringe Anzahl seiner Wächter mitzunehmen.....“
    Derweil hatte Revan die Aufmerksamkeit einer Schankmaid erlangt und gab ihr mit wenigen Handbewegungen zu verstehen, das noch eine Flasche Wein benötigt wurde. Derweil ließ er immer wieder den Blick schweifen. Selbst die beiden Spione waren nicht auffälliger als sonst, auch zeigten sie kaum Interesse an dem Gespräch zwischen dem Kaiserlichen und seinem Mentor. Sie tun so, als wäre ihnen alles egal. Oder haben sie wirklich keine Ahnung? Einer der Spione stand auf und verließ das Floß. Der Andere konnte sich nicht zwischen 2 Sorten Wein entscheiden. Vermutlich leide ich langsam wirklich unter Verfolgungswahn.
    „Und, was sagt ihr?“
    „Durchaus ein wertvoller Tipp. Was willst du für dein Wissen und was haben wir davon?“
    „Ein goldenes Amulett, es ist ein Familienerbstück.....er ist reich, nehmt euch so viel ihr tragen könnt. Ich kann euch kein Geld anbieten.“
    „Gut, wir werden das prüfen. Wenn sich wirklich eine Gelegenheit ergibt, werden wir sie nutzen. Ich gebe dir in spätestens 7 Tagen auf dem bekannten Weg eine Antwort“
    „In Ordnung. Der Wein geht auf uns. Wenn du dich hier so unwohl fühlst, kannst du gehen sobald die Runde zu Ende gespielt wurde.“
    Der Kaiserliche war während des Gesprächs noch blasser geworden, als er es bereits war. Mit sichtlicher Erleichterung verließ er ein paar Minuten später das Floß.
    Schweigend saßen die beiden Elfen am Tisch und tranken den Rest des Weins. Per Handzeichen hatte Revan seinen Mentor auf dem Laufenden gehalten, ob sie beobachtet wurden.
    „Und, irgendetwas verdächtiges bemerkt?“
    „Nein und gerade das bereitet mir ein wenig Sorgen. Die Spione hatten für alles Augen, nur nicht für uns.“
    „Ich sagte doch, du leidest langsam aber sicher unter Verfolgungswahn. Mit etwas Glück können wir diese Arbeit genau so unerkannt vollenden wir damals bei dem Schiff.“
    „Wäre schön mal zur Abwechslung nicht verfolgt zu werden.....Ja das Schiff war ein wahres Kunstwerk.“ Revan trank den Rest seines Glases und stellte fest, das ihm der Wein langsam zu Kopf stieg. „Kam dir der Kaiserliche seltsam vor? Ich meine....“
    „Jetzt hör schon auf die Geister da zu suchen wo keine sind! Geh nach Hause und ruhe dich aus, wir haben in den nächsten Tag viel Arbeit vor uns.“
    Seufzend erhob sich der Dunmer. „In Ordnung, du weißt ja wo du mich findest.“ Revan schwankte die ersten paar Schritte, da das lange Sitzen und der Alkohol nicht förderlich für seine Beine und sein Gleichgewicht waren. Grübelnd verließ er das Floß und atmete zuerst die kalte, stinkende Nachtluft ein, ehe er ein paar Schritte der Kaimauer folgte. Vielleicht haben wir ja wirklich Glück und ich sehe nur wieder Verrat wo keiner ist. Trotzdem, der Vorfall vor 3 Jahren......ich bin zu müde und die letzte Flasche Wein entfaltet ihre Wirkung. Es wird Zeit. Die Zweifel verdrängend wandte er sich von der Kaimauer ab und verließ so schnell wie möglich das Hafenviertel, in dem es seit geraumer Zeit schlimmer stank als in der Kanalisation. Der Dunmer wollte nur noch eins: Schlafen.



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    Geändert von Skyter 21 (04.02.2014 um 16:21 Uhr)

  7. #7

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Vier Tage später durchschritt Vesana etwa um die Mittagszeit das Bollwerk, das die kleine Stadt Rabenfels von der Aschewüste trennte. Beim Anblick der schwarzen Mauer aus Basalt empfand sie ein gewisses Maß an Erleichterung. Ihre nicht ganz ungefährliche Reise über die frostige Insel kam damit zu einem Ende und irgendwie fühlte sie sich befreiter. Zwar würde sie noch einige Zeit mit den körperlichen Nachwehen zu kämpfen haben, aber insgesamt war dieser Ausflug doch positiv – und vor allem erfolgreich – verlaufen. Sie hatte gefunden, weshalb sie gekommen war und konnte sich um einige Erfahrungen reicher fühlen. Wenngleich das Unterfangen erheblich auf ihren Geldbeutel schlug, so fand sie es die Kosten wert. In der letzten Nacht hatte sie auch endlich wieder ein Auge zu machen können und seither ließ auch ihre Licht- und Geräuschempfindlichkeit nach. Wenngleich die Kopfschmerzen vorerst blieben, so wusste sie wenigstens, dass sich auch diese in ein paar Tagen für einige Zeit verflüchtigen würden. Solange musste sie noch aushalten, aber mit den Erfahrungen der letzten Tage noch frisch im Hinterkopf blieben sie das geringste Übel. Auf ihre Stimmung schlugen sie trotzdem.
    Ihrem Gesicht schienen die Leute in der Küstensiedlung wohl anzusehen, dass die Kaiserliche, die immerhin nun schon vier Wochen unterwegs gewesen war, einiges durchgemacht hatte. Die Zeichnung mit dem Blut des Werbären ließ sich zweifelsfrei auf keinen Fall mehr als solche erkennen, aber inwieweit das Blut anderer Opfer der letzten Zeit noch auf ihren Zügen auszumachen war, vermochte Vesana nicht einzuschätzen, immerhin besaß sie keinen Spiegel, in dem sie sich hätte selbst betrachten können. In jedem Fall blieben noch genug Dreck, die Asche der letzten Tage, und die noch verheilenden Reste der zahlreichen Platzwunden als Mahle der Strapazen zurück. Nicht zu vergessen zeichneten sie auch noch die von Kälte, Wind und Wetter spröde Haut auf den Wangen, Lippen und an der Nase. Dass sie sich nach wie vor leicht schief stellen musste, um die Stiche in ihrer linken Flanke einigermaßen einzudämmen, sah man ihr mit Sicherheit ebenfalls mehr als deutlich an, da die Nächte im Rausch in Ermangelung der richtigen Beute kaum zum Heilungsprozess begetragen hatten. Die Jägerin störte sich jedoch nicht an den flüchtigen Blicken der Verwunderung und des Schreckens. Stattdessen lief sie zielstrebig zurück zur Ebenerzmine, um mit Crescius zu sprechen und nach ihrem Karren zu sehen.
    Die kühle, feuchte Luft im Innern des Felsens bot wie damals zu ihrer Ankunft auf der Insel auch jetzt eine mehr als willkommene Abwechslung zur in Augen und Lunge brennenden Luft draußen. Erleichtert zog sich Vesa das Tuch von Mund und Nase und nahm einige tiefe Atemzüge. Erst danach setzte sie ihren Weg den Eingangstunnel hinab fort, vorbei an dem Emblem der ostkaiserlichen Handelsgemeinschaft und in die zentrale Kaverne mit den Verwaltungsunterlagen des alten Kaiserlichen. Dieser saß wie damals im ersten Stock der hölzernen Räumlichkeiten am anderen Ende der Höhle. Kurz schaute sie sich um und fand ihren Wagen genau an der Stelle, an der sie ihn abgestellt hatte. Ein zufriedenes, kaum merkliches Lächeln umspielte ihre geschundenen Lippen. „Guten Tag“, grüßte Vesana, die Stimme laut erhoben, damit sie auch ganz sicher nicht überhört würde. Der alte Mann erhob sich von seinem Tisch und kam zum oberen Ende der Treppe, die ihn nach unten führen würde.
    „Du meine Güte! Ihr seid zurück!“ Ehrliche Überraschung und ein Grundtenor von Freude zeichneten seine alte, rauchige Stimme. Eilig kam er die knarzenden Holzstufen hinab und auf seinen unerwarteten Gast zu.
    „Das bin ich“, entgegnete Vesa und schlug in seine Hand ein, als er sie ihr reichte. „Ich wollte nach dem Rechten sehen und fragen, ob Ihr wisst, wann Gjalund das nächste Mal nach Windhelm übersetzt“, kam sie möglichst schnell zum Geschäftlichen. Trotz der langen Einsamkeit auf ihren Wegen über die Insel verspürte sie nach wie vor wenig Verlangen, sich länger als unbedingt nötig mit anderen zu unterhalten. Das anhaltende Stechen in den Schläfen trug ebenfalls seinen Teil dazu bei. Außerdem lag ihr der alltägliche Plausch ohne ein Ziel, ohne eine konkrete Notwendigkeit nicht. Wenn sie so recht darüber nachdachte, hatte es ihr noch nie wirklich gelegen, seit ihre Familie auseinandergefallen war. Und das lag inzwischen schon lange Jahre genug zurück, um die Erinnerungen an die Zeit davor fast bis zur Unkenntlichkeit verblassen zu lassen. Es gab seither niemanden mehr, der sie zu einem ungezwungenen Gespräche hätte motivieren können. Nun ja, fast niemanden, aber daran wollte sie in diesem Moment lieber nicht ausführlicher denken und Crescius Caerellius half ihr dabei, ob er es nun beabsichtigte, oder nicht.
    „Gjalund wird in drei Tagen nach Windhelm übersetzen“, erwiderte er. „Und Euer Wagen steht unverändert und unangetastet dort drüben.“
    „Danke. Ihr bekommt damit dann noch zweihundertfünfzig Septime für die Zeit seit meinem Aufbruch und die zwei noch folgenden Tage. Richtig?“
    „Richtig. Kommt.“ Der alte Kaiserliche bat sie hinüber zu dem Tisch, an dem sie schon vor vier Wochen gesessen hatten, um dort die Finanzen zu erledigen.
    „Kann man sich hier irgendwo für etwas Geld baden?“, fragte Vesana, während sie in ihrem Tornister nach dem Goldsäckel kramte.
    „In der Taverne dürftet Ihr das können, wenn Ihr Euch dort ein Zimmer mietet. Wo die ist, wisst Ihr ja bereits.“
    Sie schob ihm das abgezählte Geld zu. „Ja, weiß ich.“ Während er grob und dem Anschein nach eher nur unaufmerksam zählte, erhob sich die Jägerin wieder und schritt hinüber zu ihrem abgedeckten Wagen. Sie warf die Plane zurück und suchte sich einige Sachen zusammen, die sie nun in der Siedlung benötigen würde. Die Schlafunterlage, die Decke und das Werbärenfell verstaute sie auf der Ladefläche. Ebenso die Armbrust und übrigen Bolzen. Allgemein legte sie zunächst sämtliche Waffen ab und entledigte sich anschließend sowohl ihrer Rüstung, als auch ihrer dicken Leder- und Felljacke. Während sie auch noch den Inhalt des Felleisens neben ihren übrigen Sachen einsortierte, erhob sich Crescius und näherte sich bis auf ein paar Schritte. In gebührendem Abstand blieb er auf der anderen Seite des Wagens stehen.
    „Es stimmt soweit alles. Ich hoffe, Eure Reise hat sich für Euch gelohnt. Es freut mich jedenfalls, Euch mehr oder weniger wohlbehalten wieder hier zu sehen.“
    Vesana schaute kurz auf und in das faltige Gesicht des alten Mannes. „Das hat sie. Danke.“ Ein kurzes, etwas verunglücktes Lächeln und Nicken des Kaiserlichen später wandte sich dieser von ihr ab und widmete sich seiner Arbeit. Sie selbst war froh darüber, endlich ihre Ruhe zu haben, seufzte kurz und kramte weiter auf ihrem Karren herum. Während sie sich etwas unbeobachtet fühlte, wechselte sie noch die völlig verdreckte und unangenehm riechende Tunika mit einer frischeren aus. Zum Schluss band sie sich ihr verbliebenes Schwert erneut auf den Rücken und einen der Dolche an den Gürtel. Mit einem kaum gefüllten Tornister machte sie sich auf den Weg zur Taverne. Das reduzierte Gewicht auf den Schultern und der mangelnde Druck auf den Brustkorb erleichterten ihr diesen. Leichten Fußes trat die Kaiserliche zurück ins Freie, zog das Tuch vor Mund und Nase und begann damit zu planen, was sie in nächster Zeit tun würde. Vermutlich sollte erst einmal eine Rückkehr zu Jorrvaskr und den Gefährten folgen. Der eine oder andere Auftrag käme sicher ganz gelegen, nicht zuletzt weil sie ihre Goldreserven im Heim der Gilde eigentlich nur ungern antasten wollte, sich ihr Geldsäckel jedoch erheblich verkleinert hatte in den letzten Wochen. Natürlich wäre es wohl auch an der Zeit überhaupt mal wieder ihr Gesicht dort zu zeigen, da sie mittlerweile doch schon lange abwesend war und nicht gänzlich in Vergessenheit geraten wollte. Die einzige Gemeinschaft, in der sie sich einigermaßen sicher und wohl fühlte zu vergraulen, lag keinesfalls in ihrem Interesse. Es wäre wohl das Beste, wenn sie nach ihrer Ankunft in Windhelm möglichst schnell zurück nach Weißlauf kam, und sich erst dann so richtig Gedanken über alle weiteren Schritte machte.
    Zunächst musste sie ohnehin ein Bett und ein Bad organisieren. Im unteren Teil der Taverne grüßte auch gleich der Wirt. „Ihr seid zurück. Was kann ich für Euch tun?“
    „Ich bräuchte ein Bett für die nächsten drei Nächte und ein Bad.“
    „Selbstverständlich. Das Zimmer kostet zehn Septime die Nacht. Das Bad zwanzig“, erwiderte der Dunmer und zupfte sich am Kinn herum, wie ein bedachter Geschäftsmann.
    „Zwanzig?“, fragte die Kaiserliche nach. Eine stattliche Summe für einen Zuber voll mit warmem Wasser.
    „Sauberes Wasser ist hier kostbar. Ihr wisst schon, wegen der vergiftenden Asche des Roten Berges. Dafür bekommt Ihr aber auch noch Seife und ein Tuch zum Trocknen“, erläuterte ihr Gegenüber und stützte sich mit den Händen auf seinem Tresen ab. Wenigstens etwas.
    „Von mir aus.“ Vesa reichte ihm das Geld. Sie verspürte keine Lust, noch großartig zu verhandeln. Sie wollte einfach nur noch ein Bett und ein Bad, um die Anspannung der letzte Wochen abzuwerfen. Mehr nicht.
    „Vielen Dank! Lasst mich Euch zu Eurem Zimmer führen. Bitte“, er wies sie an ihm zu folgen. Gemeinsam schritten sie in den hinteren Teil der Taverne und der Wirt schloss einen kleinen Raum auf, der über das Nötigste an Einrichtung verfügte. Anschließend reichte er ihr den Schlüssel. „Soll ich Drovas anweisen, Euch eine Wanne mit warmem Wasser einzulassen?“
    „Ja, bitte.“
    „Gut, er wird klopfen, sobald das Bad bereit ist.“ Er überließ sie sich selbst. Die Tür hinter sich schließend, legte die Kaiserliche zuerst Gepäck und Waffen ab, dann entledigte sie sich ihrer Stiefel und Hose. Nur noch mit der Tunika bekleidet ließ sie sich auf dem Strohbett nieder und verschränkte die Hände auf dem Bauch. Mit geschlossenen Augen versuchte sie an nichts zu denken, sondern einfach die Seele baumeln zu lassen. Ruhige Atemzüge sorgten für Entspannung, das weiche Fell und die Decke zwischen ihr und dem Stroh sorgten für den nötigen Komfort. Obwohl sie sich vornahm, nicht einmal das zu tun, ließ sie die Tage auf Solstheim Revue passieren und ging gedanklich zurück zu ihrem Kampf mit dem Werbären, dachte an die Tage der Jagd mit Oslaf, Wulf und Finna, ja sogar bis zu ihrem ersten Tag auf der Insel und der Auseinandersetzung mit dem Plünderer in der Aschewüste. Zu ihrem Bedauern kehrten damit aber auch die unbequemeren Erinnerungen zurück. Darius‘ Gesicht schälte sich ein weiteres Mal aus der Dunkelheit vor ihren Augen. Unwillkürlich griff ihre Hand nach dem Amulett um ihren Hals.
    Bevor sie sich jedoch in ihren Erinnerungen gänzlich verlieren konnte, klopfte es an der Tür und die Jägerin riss die Augen auf. Sich mit den Händen über das Gesicht fahrend stand sie auf und öffnete. Ein alter Dunmer mit magerem Gesicht und wulstigen Augenbrauen stand dort vor ihr. „Ja?“
    „Euer Bad ist eingelassen. Wenn Ihr mir folgen würdet?“, entgegnete er und sie nickte. Das Zimmer schloss sie ab und lief barfuß hinter dem schon etwas in die Jahre gekommen wirkenden Elfen her. Er führte sie zu einem größeren Raum, in dem am Rand und hinter einer verschiebbaren Abtrennung ein Holzzuber stand. Auf einem einfachen Ständer hing ein großes Wolltuch und etwas Seife lag auf einer Ablage. „Sagt Bescheid, wenn Ihr fertig seid.“ Abermals nickte die Kaiserliche und wurde sich selbst überlassen.
    Ihre Tunika zog sie über den Kopf und legte die Halskette ab. Den Verband hatte sie nach der ersten rastlosen Nacht nicht wieder anlegen können, zu zerschlissen waren die Wickel gewesen. Ohne Salbe und in dem teils zerrissenen Zustand hätte er ohnehin keinerlei Wirkung mehr gehabt. Ihr Brustkorb schimmerte mittlerweile in kräftigem Gelb und Grün. Immerhin ein Zeichen dafür, dass die inneren Verletzungen verheilten. Letztlich rutschte sie nach kurzer Gewöhnung an das wirklich sehr warme, leicht dampfende Wasser in die ovale Holzform. Zwar vermochte sie nicht, sich darin lang zu machen, aber immerhin passte sie mit angewinkelten Beinen problemlos hinein. Vesana löste nun auch noch das Lederband, das ihren Pferdeschwanz und die dorthin laufenden Zöpfe zusammenhielt, und schüttelte die langen Haare aus. Erst dann schloss sie die Augen und tauchte völlig ab.



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    Geändert von Bahaar (23.08.2013 um 14:19 Uhr)

  8. #8

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Die Zeit bis zur Abreise verbrachte Vesana überwiegend damit, sich zu erholen. Sie blieb lange im Bett liegen, frühstückte spät und spazierte etwas durch das Städtchen. Wenn sie nicht gerade oben auf dem basaltenen Bollwerk zwischen und auf einigen Kisten am hintersten Ende saß und in einem ihrer Bücher las oder einfach die Augen über den grauverhangenen Himmel schweifen ließ, weil ein laues Lüftchen aus dem Norden vorrübergehend die Asche in der Luft vertrieb, so blieb sie meist im Schankraum sitzen oder auf ihrem Zimmer. Einzig zum Abziehen des Fells des Werbären blieb sie schlechteren Luftbedingungen zum Trotz länger draußen. Die Kaiserliche mied soweit möglich die Gesellschaft anderer und hielt sich zurückgezogen. Die Entspannung und Ruhe taten ihrem Körper gut. Die Kopfschmerzen verflogen zusehends, die Schmerzen in der Brust reduzierten sich auf ein Minimum und die Kraft kehrte nach und nach in die müden Glieder zurück. Von den Dunmer der Siedlung erhielt sie kaum noch außerordentliche Beachtung. Die Gegenwart eines länger bleibenden Besuchers verlor schnell an Ungewöhnlichkeit. Nicht, dass es sie großartig kümmerte. Im Gegenteil, dass man sie in Frieden ließ und ihr nicht ständig nachsah, kam Vesa ganz gelegen.
    Am späten Nachmittag des zweiten Wartetages saß die Jägerin gerade wieder auf ihrem angestammten Platz oben auf dem Bollwerk und blickte hinab in die kleine Stadt. Wären da nicht die patrouillierenden Wachen des Hauses Redoran gewesen, sie hätte den Ort für verlassen und der Asche überlassen halten können. Die wenigen Händler auf dem Marktplatz boten ihre Waren den üblichen Verdächtigen feil, die vermutlich schon längst kein Bedürfnis mehr an noch einem neuen Schwert, einer Schaufel oder noch einem leeren Leinensack hatten. Die einzige wirklich potenzielle Kundin saß hoch oben und schaute aus weiter Ferne auf sie hinab, alle anderen hielten nur einen Schwatz mit dem Verkäufer und entfernten sich im Anschluss wieder. Eigentlich eine traurige Situation für die Händler, aber jeder von ihnen hätte genauso gut wieder auf das Festland Morrowinds zurückkehren können, insofern bestand keine Notwendigkeit für Mitgefühl. Vermutlich waren sie ohnehin weitestgehend zufrieden mit ihrem Leben in Frieden und Ruhe, abseits großer Politik und den Problemen des Festlandes.
    Zwei Wachen kamen gerade wieder in Vesanas Richtung. Die Platten ihrer schweren Knochenrüstungen schlugen weithin vernehmbar aufeinander und die harten Stiefelsohlen hämmerten mit markantem Klacken auf den Steinboden ein. Es waren zwei ihr bereits bekannte Gesichter. Einer von ihnen mit weitflächigen Tätowierungen in der linken Gesichtshälfte und feuerrotem Haar bis auf die Schultern, der andere mit fies geschnittenen Zügen und pechschwarzer Mähne. Ein Ziegenbart zierte sein Kinn. Als sie das erste Mal hier vorbei gekommen waren am Tag zuvor, hatten sie noch mit der Kaiserlichen diskutiert, dass sie doch hier oben eigentlich nichts zu suchen hatte und sich doch ein anderes Fleckchen in der Stadt aussuchen sollte. Nach einer kurzen Debatte in der sich die Jägerin uneinsichtig und stur zeigte, ließen sie sich jedoch davon überzeugen, dass von einer einfachen, zierlichen Frau mit einem Buch kaum eine Gefahr für die Festungsanlagen oder die Bewohner der Siedlung ausging und es am Ende nicht schaden konnte, den Gast die Aussicht genießen zu lassen bis er in Kürze ohnehin wieder abreiste. Inzwischen grüßten sie sogar.
    Der Wind hielt glücklicherweise noch etwas an und ließ die sonst trockene, brennende Luft der Gegend etwas milder werden. Die Füße hochgelegt zwischen zwei Zinnen, auf einer Kiste sitzend und gegen eine weitere lehnend, schloss Vesana die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Einige Momente lang verharrte sie so und atmete tief ein und aus. Nur langsam öffnete sie die Lider und griff sich im Anschluss ihr Buch. Ein einfacher Bericht über die Geschichte Himmelsrands mit einem kleinen Exkurs zu den Falmer, diese widerspenstigen, garstigen und blinden Kreaturen in den alten Dwemer-Ruinen, von denen sie schon so einiges gehört hatte, aber zum Glück noch nie selbst einem über den Weg gelaufen war. Derartige sachliche Literatur gab ihr irgendwie mehr, als simple Unterhaltungskunst, die von Barden und jedem Schnösel zusammengekritzelt werden konnte, der wusste, wie er einen Federkiel zu halten hatte. Mancher verkaufte seine grandios zusammengebastelte Geschichte sogar als Wahrheit. Zum Glück ließen sich solche für einen halbwegs gebildeten Leser wie sie schnell von echter Fachliteratur unterscheiden, die dann doch meist auf verschnörkeltes Floskelbeiwerk verzichtete.
    Vesa merkte gar nicht, wie schnell tatsächlich die Zeit verstrich. Die blutrote Sonne neigte sich steil dem Horizont zu und erst als die Zinnen lange Schatten direkt auf die vergilbten Pergamentseiten warfen, schaute sie auf. Einige der Wachen in Rabenfels hatten bereits Fackeln herausgeholt und entzündet, weil Teile der Niederlassung schon in beinahe nächtlicher Dunkelheit lagen. Die Kaiserliche entschied sich noch das Kapitel, das sie begonnen hatte, zu Ende zu lesen und würde dann zur Taverne zurückkehren. Vorfreude auf die bevorstehende Abreise und ein baldiges Wiedersehen mit den Gefährten machten sich merklich in ihr breit. Der Hunger im Bauch wich sachtem Kribbeln und einem Gefühl von Leichtigkeit. „Bald“, flüsterte sie zu sich selbst, ein Lächeln stahl sich auf die schmalen Lippen.
    Leichtfüßig schwang sich die Jägerin über den Stapel Kisten zurück auf den steinernen Boden und spazierte lockeren Schrittes oben auf der dicken Mauer entlang. Einen letzten Blick warf sie hinüber in die Aschewüste vor dem Städtchen. Sie würde das Grau wahrhaftig nicht vermissen. Und als ob ihr jemand dieses Gefühl bestätigen wollte, drehte plötzlich auch der Wind und trug neuerlichen Ascheregen aus dem Südosten über die Insel. Die dicken Flocken verkleisterten augenblicklich ihre Haare und verschmutzten die Haut auf den freien Armen. Das Buch unter den rechten geklemmt beschleunigte sie ihr Schritttempo und zog Gjalunds Tuch vor Mund und Nase. Wenig später kam sie an den beiden Wachen vorbei. Auch sie trugen inzwischen Tücher vor den Gesichtern und grüßten ein letztes Mal als die kleine Frau an ihnen vorbeikam. Diese armen Hunde konnten nicht einfach irgendwo hineingehen, wenn es ihnen zu ungemütlich wurde.
    Eilig trabte Vesana die schwarzen Stufen hinab, bog vor dem Tempeleingang ab und schritt eine weitere Treppe hinunter. Dann fehlte auch nicht mehr viel bis zur Taverne. Unten in der Senke, in der die Siedlung lag, hüllte inzwischen die Nacht alles ein, dass nicht im Schein der Fackeln der Redoranwachen erleuchtet wurde. Einzig am Marktplatz ein Stück vor ihr flackerte es auch ohne die mobilen Leuchter. Abgesehen davon schien sie jedoch die einzige zu sein, die sich tatsächlich noch mehr oder weniger freiwillig draußen aufhielt.
    Sie durchquerte gerade einen besonders dunklen Abschnitt auf ihrem Weg zum Wirtshaus, als sich von hinten ein Arm um ihre rechte Seite legte und jemand von unten ihre Kehle mit festem Griff packte. Die Augen weiteten sich vor Schreck und sie sog scharf die Luft ein, während das Herz einige aufgeregte Sprünge vollführte und ihr das Buch entglitt. „Guten Abend, Nevara“, flüsterte ihr eine messerscharfe Männerstimme ins linke Ohr. „Oder sollte ich sagen: Vesana?“ Eine kalte Spitze drückte sich von hinten gegen ihre linke Körperhälfte, etwa auf Höhe des Herzens. „Ihr hieltet Eure Namenswahl wohl für sehr ausgefuchst, nicht wahr?“ Seine Worte schnitten kühl durch die nächtliche Luft, keine Emotion spiegelte sich in ihnen, außer einer Brise Verachtung vielleicht. „Möglicherweise war sie das auch“, der Sprecher wechselte die Seite und drückte sich nahe ihrem rechten Ohr gegen ihren Kopf, um noch leiser sprechen und sich dennoch sicher sein zu können, dass sie ihn verstand. „Überall, nur nicht hier.“ Nach Überwinden der ersten Schockstarre und der Rückgewinnung einiger klarer Gedanken, griffen die Hände der Kaiserlichen instinktiv nach dem kräftigen Arm des Mannes, der sie von hinten festhielt. Weit und breit war keine Wache zu sehen und zu sprechen vermochte sie nicht mit den kraftvollen Fingern, die ihr die Luft im Hals abschnürten. „Tsts, nicht doch“, kommentierte der Fremde und drückte die Spitze stärker gegen ihren Rücken. Sie spürte einige Blutstropfen über ihre Haut rinnen.
    „Ich vergesse nicht, Vesana“, sprach er weiter, abermals die Seite wechselnd und sich erneut gegen sie drückend, „und ich vergebe nicht.“ Ein Bauchgefühl ließ der Kaiserlichen den kalten Schweiß ausbrechen. Zunehmende Unruhe und ein Anflug von Panik ergriffen von ihr Besitz, während sie zuvor zunächst noch versucht hatte, Geduld zu wahren und auf eine vorbeikommende Wache gehofft hatte. Inzwischen waren sowohl die Hoffnung, als auch ihre Selbstbeherrschung zunichte. Sie wand sich in seinem Arm und versuchte sich trotz des Messers in ihrem Rücken zu befreien. Allerdings schnitt sie sich damit nur selbst und löste den Schraubstock um ihre Brust und den Hals keineswegs. Der Mann hinter ihr, von dem Vesa inzwischen annahm, dass es sich um einen Dunmer handelte, lachte verächtlich. Sie brauchte nur noch einen Hinweis, um sich sicher zu sein und den lieferte ihr der Angreifer kurz darauf freiwillig, wenngleich die Jägerin gerne darauf verzichtet hätte. „Seid so freundlich und grüßt Eure Mutter von mir, ja?“
    Genau in diesem Moment stach der Fremde zu. Unglaubliche Pein durchfuhr ihre linke Körperhälfte. Die Luft blieb jetzt gänzlich weg, das Herz schlug unkontrolliert und sprunghaft. Sie begann zu zittern und griff sich unter die Brust. Feuchtigkeit benetzte ihre Finger. Wie in Trance schaute sie an sich hinab. Im spärlichen Licht der Nacht und dem weit entfernten Flackern blitzte eine stählerne, schlanke Spitze auf, die sich kurz darauf schmatzend aus ihr zurückzog. Der Schraubstock lockerte sich und sie sackte in die Knie, unfähig zu stehen. Entsetzt blieb ihr Mund offen stehen, der Druck der eigenen Hände verhinderte nicht, dass ihr Lebenssaft aus der Verletzung quoll. Qualvoll versuchte sie zu atmen, doch funktionierte es kaum, als ob die Luft an anderer Stelle aus ihr entwich. Mit dem Ausatmen blubberte noch mehr Blut aus der Stichwunde. Auch aus Mund und Nase tropfte das Rot.
    Kraftlos fiel sie zur Seite in die Asche und schaffte es nicht einmal mehr, sich mit den Händen abzufangen. Stattdessen fuhren nur einige weitere Stiche durch die linke Hand, als ob sie in einen Igel gegriffen hatte. Aber auch dieses Gefühl ließ schnell nach und verschwand in den Hintergrund unendlicher gedanklicher Leere. Aus weiter Ferne, als ob es aus einer anderen Zeit und Welt käme, drangen Kampfgeräusche zu ihr. Animalisches Brüllen, schmerzerfüllte Schreie und bald darauf Waffenklingen und Rüstungsklappern. Es spielte keine Rolle.
    Irgendwo zwischen Leben und Tod gefangen versuchte sich die Kaiserliche wegzuschleifen und irgendwie näher an Lichtschein zu gelangen. Langsam wie eine Schnecke, wenn überhaupt, kam sie vorwärts. Schmerzen lähmten sie, wenngleich auch sie allmählich abflauten und zum Einheitsbrei der Ohnmacht verschmolzen. Kaum zwei Schrittlängen weit bewegte sie sich fort, bevor sie völlig entkräftet liegen blieb. Wenige letzte Gedankeblitze schossen ihr vor der hereinbrechenden Finsternis durch den Kopf, doch hatten sie nichts mehr mit ihrem verflogenen Kampfeswillen zu tun, der zuvor noch alles an ein mögliches Überleben gesetzt hatte. Dieser Bastard, dieser räudige Bastard eines Assassinen hatte sie tatsächlich gefunden. Hier, am Hinterteil der Welt. Es war unfassbar. Zu Schrecken, Entsetzen und Schock mischte sich nun auch Fassungslosigkeit. Bald darauf erloschen auch diese letzten Gedanken und selbst die aufkeimende Wut verglühte im Nichts.



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    Geändert von Bahaar (30.08.2013 um 13:11 Uhr)

  9. #9

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Sie rannte durch die Dunkelheit, ziellos einfach nur gerade aus. „Wie konntest Du nur?!“, schrie sie. Ihre Stimme drohte zu brechen.
    „Wo willst Du hin, Vesa?“, klang es hohl aus weiter Ferne, obgleich schon fast omnipräsent von überall her.
    „Sag‘ Du mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe!“
    „Ich bin Dein Vater, natürlich sage ich Dir das!“ Tränen rannen ihr über die Wangen in den Mund. Die Nase verstopft bekam sie kaum noch Luft.
    „Lass‘ mich in Frieden! Du bist nicht mehr mein Vater!“

    Sie stolperte, strauchelte und fiel. Auf einem Flecken Gras kauerte sie vor etwas, das von Tränen verschwommen beinahe wie ein Grabstein aussah. Regen durchnässte sie bis auf die Knochen. Die zitternden, eiskalten Finger der linken Hand strichen am Stängel einer Todesglockenblume entlang und hoben die schwere Blütenstaude an. Zahllose dieser traurigen Gewächse zierten das Grün um sie herum. Glasklare Perlen, die bei der leichtesten Berührung das Weite suchten und sich gegenseitig verjagten, schmückten jede einzelne. „Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid“, flüsterte sie. Ihre Worte verschluckte der Regen. „Ich werde euch in nächster Zeit nicht mehr besuchen kommen können. Bitte vergebt mir.“ Sie blickte von der Blume auf, der graue, moosbewachsene Stein schien sich von ihr zu entfernen und tauchte zunehmend in Finsternis. „Grüßt Mutter von mir.“ Das Gras zerfiel unter ihr, löste sich in Schwärze auf.

    Wärme, ein flackerndes Feuer in einem molligen Raum. Holzstreben, die die natursteinernen Wände und die Holzdecke stützten. Einige Stühle und ein paar Frauen und Männer der verschiedensten Rassen. Ein paar trugen Waffen. Alle schienen einen ruhigen Abend mit Bier und Essen zu verbringen. Vesa schaute erst zu Boden, anschließend leicht zur Seite in das Gesicht eines Orks. „Es tut mir leid, ich muss fort.“
    „Wohin willst Du?“, fragte er zurück, die wulstigen Lippen standen sich beim Sprechen selbst im Weg.
    „Weiß ich noch nicht.“
    „Warum willst Du fort?“
    „Ich muss. Tut mir leid.“ Sie wandte sich ab, trat auf eine Tür zu und noch bevor der Orsimer sie aufhalten konnte verschwand sie durch den Ausgang in ein Meer aus Pech.

    Ein männliches Gesicht, voller Hingabe und Zuneigung, gleichsam von Sorge und Bedauern gezeichnet. „Geh‘ nicht!“, fehlte Vesana.
    „Ich muss. Aber ich verspreche Dir, dass sie mich nicht kriegen werden und wir uns bald wiedersehen.“ Die Züge des Kaiserlichen mit den schwarzen Haare im Linksscheitel und dem gepflegten Kantenbart verschwammen im Nichts.
    „Nein, bleib!“ Rief sie in die Dunkelheit hinein und blieb allein zurück.

    Die Luft blieb ihr weg. Die Eingeweide wurden leicht, Wind zerrte an ihrer Kleidung und dem Haar. Füße und Hände fanden keinen Halt. Sie fiel. Sie fiel in einen Ozean der Unendlichkeit, unfähig zu denken oder zu sprechen. Hilflos trudelte sie durch die Ewigkeit, kaum in der Lage die eigene Hand vor Augen zu sehen, denn geschweige ihre Umgebung, den Himmel oder den Grund, auf den sie zutrieb. „Vesa“, drang eine sorgenvolle Frauenstimme aus der dunklen Ferne zu ihr vor, „es … es tut mir leid, aber …“
    „Aber, was?“ Ein Kloß formte sich in ihrem Hals, raubte ihr die Fähigkeit zu sprechen.
    „Ich … glaube, er wird … er ist schon so lange fort …“ Sie wollte etwas sagen, widersprechen, schreien. Es ging nicht. Kaum öffnete sie den Mund, fühlte es sich so an als ob Wasser gewaltsam ihren Rachen hinab in Magen und Lunge presste – es fühlte sich wie ertrinken an und erstickte so sogar den eigentlich unbändigen Drang zu fliehen, einfach wegzurennen. Sie bekam keine Luft, musste husten, griff sich an die Kehle, spürte den unbändigen Drang sich zu übergeben. Doch noch vorher schwanden ihre Sinne und sie verlor jedes Empfinden für Zeit. Einzig der Schmerz blieb.

    Vesana sog die Luft ein, als wäre sie ihr viel zu lange weggeblieben, und bäumte sich auf. Ein feuriger Stich in der linken Brust ließ sie qualvoll aufschreien, doch endete es abrupt in heftigem Husten, das einen kleinen Schwall Blut hervorwürgte. Benommen und orientierungslos fiel sie zur Seite um, spuckte das Rot aus, ohne zu wissen wohin, und stürzte aus erhöhter Position auf harten Grund. Instinktiv griff sie sich an die schmerzende Stelle und drückte dagegen, als ob sie so die Pein zerquetschen konnte. Stattdessen schossen nur zusätzliche Blitze durch den Leib, die für Krämpfe, Zuckungen und weiteres Stöhnen, Schreien und blutiges Husten sorgten. Kälte zog ihr in die Glieder, ließ sie zittern, und dennoch stand ihr der Schweiß auf der Stirn.
    Es dauerte lange, bis das Stechen nachließ und sich ihr gequältes Ringen um geistige Fassung in Schluchzen und einfaches Weinen wandelte. Nur in ein weißes, ihr viel zu groß geratenes Hemd aus Leinen gehüllt schlang sie die Arme um sich selbst und zog die Beine an, um die Muskeln um den Brustkorb zu entspannen. Eine einfache Decke aus Wolle hatte die Kaiserliche mit sich gezerrt, als sie aus dem gefallen war, das sich erst nach und nach im deutlicher werdenden Sichtfeld als ein Bett entpuppte. Einige Öllampen sorgten für schummriges Zwielicht. Allmählich gewann ihr Umfeld an Klarheit, verschwamm jedoch bei jeder noch so geringfügigen Bewegung und selbst die Atemzüge, egal wie flach und langsam sie sie hielt, brannten wie flüssiges Feuer. Das Zucken in ihren Gliedern ließ nach, doch die Tränen flossen unaufhörlich. Sie nahm eine ihrer Hände und hielt sich den Kopf, in dem ein Gedanke den anderen jagte und vertrieb. Nichts blieb fassbar, ein ewiges Karussell, das sich hinter ihrer Stirn drehte. Hin und wieder geriet es aus dem Takt und hämmerte von innen gegen die Schläfen bevor es sich fing und weiterdrehte, als wäre nichts gewesen.
    Ihr wurde schwindelig davon und bald drehten sich nicht nur die Gedanken im Kreis, sondern auch ihr Gleichgewicht. Bevor sich jedoch ihr Magen umdrehen und verkrampfen konnte, spürte sie wie jemand je einen Arm unter ihre Kniekehlen und ihre Schultern schob. Kurz darauf verlor Vesa den Bodenkontakt, fand sich jedoch gleich danach auf einer weicheren Unterlage wieder. Die Arme wurden weggenommen und sie sackte in sich zusammen. Jemand deckte sie zu und hob anschließend ihren Kopf. Sie spürte einen sanften Druck an ihrer Unterlippe und erkannte gerade so aus dem Augenwinkel eine grauhäutige Hand, die ein Schälchen hielt. „Trinkt das und schlaft. Ihr braucht Ruhe.“ Die weichen, einfühlsamen Töne weckten Vertrauen. Mühsam öffnete die Kaiserliche ihren Mund einen Spalt weit und ließ die bittere, kühle Flüssigkeit hineinlaufen. Einen Großteil schluckte sie, doch musste sie zum Schluss husten, weil ihr einige Tropfen in die Luftröhre geflossen waren. Was heraus- und ihre Wange hinabrann wurde wenig später mit den Blutreste von zuvor weggetupft. „Schlaft“, flüsterte die Männerstimme erneut. Kurze Zeit später fühlte sie, wie die Schmerzen nachließen, sich der Knoten in ihrem Kopf löste und sich ihre Muskeln entspannten. Sie fand etwas Frieden.

    Weniger gepeinigt schlug Vesana später abermals ihre Augen auf. Sie lag auf dem Rücken, die Wolldecke reichte, trotz des zerwühlten Zustandes, bis zum Halsansatz. Ihre Haut im Gesicht fühlte sich verklebt an, wie am Morgen nach einer langen Fiebernacht. Die Hände befanden sich an ihren Seiten und hielten sich flach unter dem dicken Tuch versteckt. Langsam schärften sich die Konturen der Umgebung. Es schien ihr, als befände sie sich in einem typischen Redoran-Haus. Die gewölbten, beigefarbenen Wände und der Mangel an Fenstern sprachen dafür. Ansonsten verriet nichts in dem kleinen Raum, wo genau sie war. Ein einfacher Schrank, eine Kommode mit einem Tonkrug und dazugehörigem Schälchen, zwei Stühle an einem kleinen Tisch und ein runder, gemusterter Teppich auf dem dunklen Boden aus groben Steinen. Es fiel ihr schwer alles auszumachen, nicht nur, weil Dinge in weiterer Entfernung verschwammen, sondern auch weil sie den Kopf auf dem steifen Hals kaum zu bewegen vermochte.
    Trotz der Schwierigkeiten, die sie bereits damit hatte, wollte sie versuchen aufzustehen. Wo auch immer sie sich aufhielt, es konnte nicht außerhalb von Morrowind sein und das musste sie schnellstmöglich verlassen. Mit etwas Schwung versuchte sie sich auf die Seite zu drehen und drückte sich gleichzeitig mit der linken Hand am Bett ab. Die Beine hingen halb aus ihrer Schlafstatt heraus, als sie stöhnend innehalten musste und beinahe vornüberkippte, weil ihr die ein Schwerttänzer durch die Brust wirbelte. Die Luft blieb ihr weg und trieb Tränen in ihre Augen. So verharrte sie einige Momente, um Kraft und Fassung zu sammeln. Die Rechte zu Hilfe nehmend, stemmte sich die Kaiserliche in eine sitzende Position hoch und rang mit sich, nicht gleich wieder umzufallen, weil ihr der Schwindel zu Kopf stieg und sich die Umgebung zu drehen begann. Vorsichtig übte sie mehr Druck auf die kraftlosen Füße aus und blieb zunächst gebückt, damit sie sich weiter an dem niedrigen Bett abstützen konnte und die Muskeln am Oberkörper nicht auseinander zog. So schaffte es die Jägerin immerhin, einen kleinen Schritt nach dem anderen und mit vielen Sammelpausen, sich bis zur Kommode durchzuschlagen.
    Dort angekommen setzte sie beide Hände an der Kante der Ablagefläche ab und versuchte sich weiter in eine aufrechte Haltung zu hieven. Doch mit hoch erhobenem Kopf übernahm sie sich schließlich. Die Knie wurden weich und gaben nach. Unbeholfen versuchte sich Vesana abzufangen, räumte jedoch nur die Tongefäße ab, die daraufhin lautstark zerberstend auf dem Boden aufschlugen. Sie ging in die Knie und der Kopf fühlte sich so bleiern schwer an, dass er einfach nach vorn auf den Steingrund sackte. Der Schwindel ließ sie zur Seite gegen das dunkle Möbel sinken.
    Eine gefühlte Ewigkeit später vernahm sie, wie eine Tür aufgeschoben wurde und anschließend zurück ins Schloss fiel. Schnelle Schritte näherten sich ihr und ein Schatten tauchte über ihr auf. Jemand in einer hellblauen Robe kniete sich neben die Kaiserliche und nahm ihren linken Arm hoch. „Ihr solltet doch ruhen!“ Es handelte sich um die Stimme, die sie schon zuvor vernommen hatte. Er legte sich ihren Arm um die Schulter und half ihr auf die wackeligen Beine. „Kommt, lasst mich Euch zurück zu Eurem Bett bringen. Da Ihr nun schon wach seid und einfache Anweisungen nicht zu wirken scheinen, erkläre ich Euch, warum es gut für Euch wäre, zu ruhen.“ Der Unbekannte geleitete sie zu ihrer vorherigen Ruhestätte und half ihr dabei, sich zu setzen. Im Anschluss legte er ihr die Decke um die Schultern. Erst jetzt realisierte die Jägerin richtig, dass es sich um einen Dunmer handelte und er seiner aufwändig gearbeiteten Robe nach zu urteilen als Geistlicher diente. Allmählich dämmerte ihr, wo sie sich befand.
    Doch Worte zerflossen ihr auf der schweren Zunge, noch bevor sie überhaupt dazu kam die erste Silbe auszusprechen. Als wäre sie betrunken drehte sich ihr Sichtfeld und wie ein Sack Reis plumpste sie nach hinten gegen die Wand. Glücklicherweise war es bis zu dieser nicht sehr weit und so blieb sie einigermaßen aufrecht, der Kopf im Nacken. Während sie so dasaß und sich kaum zu rühren vermochte, rückte jemand einen Stuhl zurecht. „Trinkt das“, der Dunmer von zuvor setzte ihr wieder etwas an die Lippen. „Es wird Eure Gedanken etwas klären.“ Vesana schluckte die widerlich saure und zugleich ekelhaft bittere Flüssigkeit, musste dann jedoch aufhören, weil ihr der Trunk aufstieß.
    Immerhin, der Mann hielt Wort. Es dauerte zwar einige Zeit, doch stabilisierte sich ihr Gleichgewicht danach etwas und auch Worte zerronnen nicht gleich, wohl aber noch bevor sie sie zu einem Satz zusammensetzen konnte. „Wo?“, brachte sie heraus, zu sprechen brannte in ihrer Lunge. Die Augen streiften weiterhin unruhig, ohne Fokus über die Umgebung und an der Decke entlang.
    „Ihr befindet Euch im Tribunals-Tempel in Rabenfels. Ich bin Ältester Othreloth.“
    „Was?“
    „Ihr wurdet vor fünf Tagen angegriffen. Der Angreifer konnte fliehen und wurde noch nicht gefunden. Ihr überlebtet knapp. Der Stich führte wohl nur um Haaresbreite am Herzen vorbei. Die Verletzung an Eurer Lunge blieb in einem heilbaren Rahmen, weil die Waffe schmal und scharf war, weshalb sich das zerstörte Gewebe in Grenzen hielt. Dennoch, die Heilung braucht Zeit und obwohl die äußeren Wunden verschlossen sind, bleibt das Gewebe im Innern verletzt.“
    Langsam gewann Vesana genügend Selbstbeherrschung zurück, um die Augen auf den Priester zu lenken. Seine alten Züge mit den langen weißen Haaren und dem spitzen Bart verschwammen jedoch häufig. Einen Funken Sorge glaubte sie aber trotzdem zu erkennen. „Ich … weg“, versuchte sie auszudrücken, dass sie schnellstmöglich verschwinden musste.
    „Es tut mir leid, aber Ihr befindet Euch noch lange nicht in einer Verfassung, in der Ihr längere Reisen unternehmen könnt.“
    „Gjalund … Windhelm …“
    „Er kommt erst in einigen Tagen zurück. Ich glaube nicht, dass Ihr dann schon in der Verfassung sein werdet, zu reisen.“ Unbeholfen suchten ihre Hände nach etwas, an dem sie sich festhalten konnten. Sie musste hier weg. Schnell. Sofort. Ihr Magen drehte sich um, als sie ihre eigene Hilflosigkeit realisierte. Wie so oft in Momenten, in denen sie sich einsam und ungeschützt fühlte, griffen ihre Finger an ihre Brust wo sonst das Amulett hing. Sie fanden es nicht. Die Lippen begannen zu beben, Tränen entwanden sich den Augenwinkeln und sie krallte sich in die Decke. Nicht einmal mehr die sonst letzte rettende Insel in den schlimmsten Stürmen blieb ihr noch.
    „Meine … Sachen?“, würgte sie hervor, als ihr ein vereinzelter klarer Gedanke Hoffnung gab.
    „Was Ihr bei Euch getragen habt und in Eurem Zimmer in der Taverne gelegen hat, befindet sich in dem Schrank dort drüben.“ Er deutete mit einer Hand in die Richtung. „Euer Wagen steht unverändert in der Ebenerzmine. Crescius Caerellius wacht über ihn.“ Othreloth stand auf und beugte sich vor. „Bitte, ruht Euch aus. Wenigstens noch ein, zwei Tage.“ Unter sanftem Druck sah sich Vesana gezwungen, wieder in die Waagerechte zu gehen. Der alte Dunmer schien in der Tat sehr um ihr Wohlbefinden besorgt. „Wenn es Euch dann besser geht und das Fieber und der Schwindel von allein nachgelassen haben, habt Ihr meine vollste Unterstützung schnell wieder auf die Beine zu kommen. Solltet Ihr bis zu Gjalunds Abreise nach Windhelm allein stehen und gehen können, so werde ich Euch nicht am Aufbruch hindern.“ Er deckte sie zu und tupfte über ihre Stirn. „Dass Ihr von hier fort möchtet, kann ich gut verstehen, glaubt mir, doch kann ich nicht verantworten, Euch in Eurem jetzigen Zustand ziehen zu lassen.“ Der Geistliche saß inzwischen wieder aufrecht auf seinem Stuhl. „Bis dahin seid Ihr hier sicher. Vor Eurer Tür stehen zwei Wachen, die dazu angehalten sind nur mich hineinzulassen und bei jedem Geräusch aus diesem Raum nachzuschauen und mich zu Hilfe zu holen. Euch kann hier nichts geschehen, wenn Ihr nicht selbst Eure Fähigkeiten überstrapaziert.“ Mit diesen Worten erhob er sich, schob seinen Sitz zurück an die Seite und verschwand aus dem Raum. Vesana blieb in Schmerz und Einsamkeit zurück.



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    Geändert von Bahaar (07.09.2013 um 15:59 Uhr)

  10. #10

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Ein Krug und Schälchen standen inzwischen nicht mehr auf der Kommode, deren Vorgänger Vesana von dieser gefegt hatte, sondern ganz am Rand auf dem kleinen, runden Tischlein mit den zwei Stühlen. Ihr Tornister lehnte von außen am einzigen Schrank im Zimmer. Ansonsten entdeckte sie nichts, dass sie nicht zuvor schon schemenhaft wahrgenommen hatte, während sie auf der Seite lag und zum ersten Mal wieder einigermaßen klar zu denken vermochte. Das Atmen fiel ihr nach wie vor schwer, aber immerhin schmerzte es nicht mehr so sehr, dass es ihr jedes Mal die Sehschärfe raubte. Außerdem schien der Schwindel verschwunden zu sein, zumindest solange sie lag. Aber genauer würde sie es in Kürze wissen. Entschlossen, dieses Mal weiter als bis zum niedrigen Ablageschränkchen zu kommen, streckte die Jägerin die Füße unter der Bettdecke hervor und stützte sich zunächst auf den rechten Ellbogen. Anschließend brachte sie sich in eine sitzende Position und schlang die Wolldecke um die Schultern. Ein wenig fröstelte es ihr noch, aber das mochte gut auch am Hunger, Durst und dem allgemeinen Gefühl von Schwäche liegen und nicht an einer kühlen Umgebung.
    Sich auf jede einzelne Bewegung konzentrierend begann Vesa damit aufzustehen. Anschließend tastete sie sich gebückt erst am Bett und anschließend an der Kommode entlang. Dort hielt sie wie zuvor inne und brachte sich in eine normale Körperhaltung. Das Ziehen in der Brust strafte sie jedoch unverzüglich ab, weil sie zu hastig agierte und so krümmte sie sich erst noch einmal, bevor sie wieder normal Luft bekam. Im Anschluss setzte sie den Weg zur Tür fort und hatte dabei immer eine Hand an der Wand, um sich selbst ein gewisses Sicherheitsempfinden bei ihren Schritten zu vermitteln. An der Tür angekommen, lehnte sie sich mit der Schulter gegen die Wand und drückte die alte Eisenklinke hinunter. Ein Dunmer mit feuerrotem Haar und einem linksseitig umfassend tätowierten Gesicht wandte sich ihr augenblicklich zu. Etwas Überraschung huschte über die sonst steinernen Züge. Vesana brauchte einen Moment, um die bekannte Erscheinung zuzuordnen, aber schenkte der Wache von der Basaltmauer schließlich ein völlig entglittenes, schiefes Lächeln zum Gruß. „Könntet Ihr“, begann sie mit kraftloser Stimme zu sprechen, „den Ältesten Othreloth holen?“ Der Dunmer nickte und verschwand aus dem Sichtfeld der Kaiserlichen.
    Diese schloss den Durchgang und kämpfte sich zurück zu ihrer Schlafstatt, auf die sie sich schließlich sinken ließ und erschöpft zurück gegen die Wand lehnte. Die Augen geschlossen wartete sie darauf, dass der Priester kam. Erst, als sie vernahm, wie die Tür aufgeschoben wurde, hob sie die Lider. Der alte Dunmer mit den langen, weißen Haaren und in einem Zopf auslaufenden Kinnbart nahm sich einen Stuhl und setzte sich vor die Jägerin. „Wie geht es Euch?“, seine dunkelrot glühenden Augen strahlten zwar eine gewisse Bedrohlichkeit aus, doch die feinen Falten an den Augenwinkeln und die weiche Tonlage ließen diese schnell vergessen werden.
    „Kraftlos“, entgegnete Vesa. „Und hungrig.“ Othreloth lächelte.
    „Dagegen können wir etwas unternehmen. Hunger ist ein gutes Zeichen. Wie geht das Atmen?“
    „Schwer. Aber besser.“ Der Geistliche nickte und zupfte sich am Bart.
    „Was haltet Ihr davon, wenn ich Euch eine Suppe und etwas Wasser bringe und wir uns versuchen zu unterhalten?“
    „In Ordnung.“ Als ob sie auch eine Wahl hätte. Aber sie wollte nicht klagen, immerhin verdankte sie diesem Mann ihr Leben, da ließ sich ein kleines Gespräch schon verkraften. Im Zweifel konnte sie immer noch abbrechen, weil ihr die Kraft zum Sprechen fehlte.
    „Setzt Euch doch schon an den Tisch, ich komme gleich zurück.“ Damit erhob sich der Priester und schob den Stuhl zurück an seinen vorherigen Platz. Vesana harrte noch einen Moment auf dem Bett aus, dann kämpfte sie sich zum Rundtisch vor und setzte sich. Die Decke hielt sie nach wie vor um die Schultern geschlungen, obgleich es nichts gegen die frierenden Zehen und Füße half. Wenig später kehrte der grauhäutige Weise zurück, stellte eine dampfende, herb duftende Suppenschüssel vor sie, legte etwas Brot dazu und schenkte aus einem Krug Wasser in eine Tasse. Er ließ die Kaiserliche erst einmal einige Löffel voll der kräftigen Kräuter- und Gemüsebrühe schlucken und schwieg.
    Das heiße Mahl weckte frische Lebensgeister in Vesa. Sie spürte förmlich, wie neue Energie durch ihren Körper strömte und das leichte Zittern, das ihren Körper fest umklammert hielt, allmählich zurückdrängte. Ihre leichenblassen Hände und Unterarme erhielten bald darauf eine leichte fleischige Färbung und nach der Hälfte der Schüssel verebbte auch das Beben der Lippen. Geschmack zählte in diesem Moment nicht, die neugewonnene Kraft rechtfertige zu diesem Zeitpunkt so gut wie alles. Zusammen mit dem Brot sättigte die warme Mahlzeit auch noch in völlig ausreichendem Maße. Zufrieden lehnte sich die Kaiserliche zurück, trank noch einen Schluck und fasste anschließend die Enden der Decke, um sie dichter um sich zu schlingen.
    „Besser?“, fragte Othreloth.
    „Ja.“
    „Denkt Ihr, wir können uns etwas über die Geschehnisse von vor einer Woche unterhalten? Was Ihr gesehen habt und was genau eigentlich passiert ist?“
    Sie schaute den Geistlichen an, musterte seine tiefroten Augen und die Regungen auf dem Gesicht, um ihn besser kennenzulernen, doch verrieten die Züge wenig mehr, als ihr schon bekannt war. Es schien, als wollte er zu Schonungszwecken die Befragung der Verletzten übernehmen und sie nicht den Gardisten der örtlichen Behörden überlassen. „Ich werde Euch sicherlich nur wenig erzählen können, aber ja“, stimmte Vesana zu. Einiges wollte sie auch nicht erzählen, aber das musste der Priester nicht wissen.
    „Wisst Ihr, wer Euch angegriffen hat?“
    „Nein.“ Die erste Lüge gleich zu Beginn. Sie kannte nur nicht seinen Namen. „Der Waffenwahl nach zu urteilen aber ein Assassine.“ Einer aus der Morag Tong, um genau zu sein. Allein der Gedanke an diese Organisation ließ gleichermaßen Wut wie Furcht in ihr aufsteigen. Welches genau es war, das sie die Faust unter der Decke ballen ließ, wusste sie nicht. Auf jeden Fall stieß ihr die Suppe im Magen auf und nur mühsam gewann sie die Oberhand über die aufquellenden Gefühle.
    „Ja, das liegt nahe. Auch, da er sich schnell entfernen konnte und unverändert verschwunden bleibt“, dachte der Älteste des Tempels laut darüber nach. Er zupfte sich grübelnd unaufhörlich an Kinn und Bart herum. „Könnt Ihr Euch an irgendetwas genauer erinnern? Hat er etwas gesagt? Wie hat er Euch überfallen? War es ein Mann, oder eine Frau?“
    „Ich vermute, dass es ein Dunmer war. Ein Mann. Er hat mich von hinten festgehalten und niedergestochen. Mehr ist da nicht.“ Die Worte des Meuchlers spielten keine Rolle und waren ohnehin privat. Selbst wenn sie sie kundgab, änderte das nichts. Ihren Angreifer würden die Wachen hier ohnehin nie zu fassen bekommen.
    „Hm, das ist nicht sehr viel.“
    „Tut mir leid, es ging alles so … so verdammt schnell“, sie brach künstlich ab, strich sich mit der Linken über das Gesicht und massierte die Augen. Diese Standardfragen führten zu nichts.
    „Schon in Ordnung, verzeiht“, entschuldigte sich der Priester. „Nur eines noch, zum Abschluss: Habt Ihr etwas von einem Bären mitbekommen, der sich in der Nacht in Rabenfels aufgehalten hat?“
    Jetzt wurde die Kaiserliche hellhörig und schaute auf. „Ein Bär?“ Konnte es das gewesen sein, was sie kurz vor der Ohnmacht noch vernommen hatte? Dieses animalische Grollen begleitet von Kampfgeräuschen?
    „Ja. Es scheint, als hätte er sich zum Zeitpunkt des Überfalls auf Euch in der Straße aufgehalten und Euren Angreifer attackiert. Die Wachen sind erst durch ihn darauf aufmerksam geworden, dass sich etwas ereignet hat. Als sie eintrafen, rannte er jedoch durch den Tunnel im Bollwerk hinter einer schlanken Gestalt her.“
    Vesana überwand ihre erste Neugier und Überraschung und schüttelte sacht mit dem Kopf. „Nein, tut mir leid. Ich habe nichts bemerkt.“ Für die Zeit vor und während des Überfalls traf dies auch zu.
    „Schon in Ordnung. Wenigstens habt Ihr es überstanden.“ Freundlichkeit stahl sich auf die Züge des Dunmers und er faltete endlich die Hände im Schoß zusammen. Das Fummeln am Bart hatte mit der Zeit zu stören begonnen.
    „Ich würde mich gerne noch etwas bewegen. Umherlaufen, vielleicht“, wechselte Vesa das Thema. Wenn sie sich jetzt wieder hinlegte oder allein zurückblieb, wären unangenehme Gedanken und Erinnerungen vorprogrammiert. Mit der kalten Wut im Bauch und der Furcht in den Knochen in einem stillen Raum und allein zu ringen erfüllte nicht gerade ihre Vorstellungen von Erholung und Rückgewinnung von Kraft. Sie musste sie herauslaufen und irgendwo vor der Zimmertür abladen.
    „Natürlich. Lasst mich Euch aufhelfen, dann bringen wir die Schüssel weg und gehen etwas durch den Tempel.“ So taten sie es dann auch.

    In den folgenden Tagen erlangte die Jägerin sehr rasch ein Grundmaß ihrer Kräfte zurück und sah sich letztlich in der Lage, auch ganz ohne fremde Hilfe zu gehen. Zwar hatte sich noch längst nicht ihre übliche Verfassung wiederhergestellt, aber immerhin ließen sich einfache Wege erledigen – regelmäßige Pausen zum Luft holen und Sammeln vorausgesetzt. Othreloth befand am Morgen des zehnten Tages nach dem Überfall, dass sie soweit ausreichend genesen war, dass sie die Rückreise nach Himmelsrand antreten konnte. Nicht zuletzt verdankte sie das den Heilkünsten des Priesters und der Unterstützung der örtlichen Alchemistin.
    „Die salzhaltige Seeluft sollte Euch gut tun“, erklärte der Geistliche, als sie sich verabschiedeten. „Und hier habt Ihr noch drei kleine Heiltränke, die Ihr in den nächsten Tagen zusätzlich als Dampfbad einatmen solltet, damit die regenerierende Wirkung ohne Umwege direkt an die verletzten Stellen dringt. Ihr kennt das ja bereits. Danach sollte der Heilungsprozess von alleine rasch voranschreiten und Ihr Eure alte Stärke zurückgewinnen.“ Vesana nickte und nahm den Beutel mit den Fläschchen entgegen. „Es tut mir leid, dass man Euren Angreifer noch immer nicht gefunden hat. Passt auf Euch auf.“
    „Habt Dank für Eure Fürsorge. Das werde ich.“
    „Lebt wohl.“
    „Ihr ebenso.“ Mit diesen Worten wandte sich die Kaiserliche von dem Priester ab und trat vom Anlegesteg auf Gjalunds Kahn. Sie hatte Othreloth noch eine kleine Spende für den Tempel dagelassen, aber das wusste er noch nicht. Vermutlich hätte er sie nicht angenommen. Möglichst schnell verschwand sie unter Deck und legte sich in eine Hängematte. Wenig später ließen sie Rabenfels hinter sich. „Bloß weg von hier“, flüsterte sie zu sich selbst. Weit, weit weg von allem, das auch nur ansatzweise im Zugriffsgebiet der Assassinengilde aus Morrowind lag. Zurück in heimische Gefilde. „Alles nur wegen Dir, Vater, nur wegen Dir. Gut gemacht!“ Der Magen krampfte und die Finger gruben sich in den Stoff ihrer Tunika auf dem Bauch. Hass vergiftete ihren Hunger bis er schließlich daran verstarb und verhinderte überdies, dass sie Schlaf fand.



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    Geändert von Bahaar (13.09.2013 um 18:17 Uhr)

  11. #11

    Geistermeer, Nordmaid

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    Vermutlich war es ohnehin noch zu früh, um sich wirklich wieder zur Ruhe zu begeben. Wenn Vesa so recht darüber nachdachte, erschien es ihr fast schon lächerlich sich noch vor dem Mittag, wenige Stunden nach dem Aufstehen, erneut in die Waagerechte zu begeben und zu glauben, sie könne den brachialen Tumult, der sich durch ihre Eingeweide kämpfte, verschlafen. Fast schon animalisch knurrend und zähneknirschend hievte sich die Kaiserliche aus der im Seegang schwingenden Hängematte. Kurzen Schwindel rang sie nieder indem sie sich an einem der Spanten festhielt. Hin und wieder machte die langsam heilende Lunge auf diese Weise und mit schnellen, heftigen Stichen durch die Brust auf sich aufmerksam. „Danke, Vater, danke. Du elender Hund“, murrte sie, während sie sich die schmerzende Stelle unterhalb des Busens hielt.
    Als sich der Schmerz wieder legte, sie normal Luft bekam und sich nur noch bei besonders großen Wellen festhalten musste, versuchte sie schließlich die kalte Wut im Bauch niederzuringen. Sie musste endlich damit abschließen. Demonstrativ schnappte sie sich ihr Buch über die Geschichte Himmelsrands, sowie einen der kleinen Heiltränke und ein Tuch. Sie würde im Frachtraum der alten Nordmaid nach ihrem Karren sehen und von diesem eine feste Tonschüssel holen, die sich über einer Kerze erhitzen ließ. Da sie ohnehin nichts Besseres zu tun hatte, mochte sie auch gleich mit dem ersten Dampfbad für die Reise beginnen und im Anschluss ihren Geist mit Sachinformationen ablenken. Es brachte nichts, wenn sie in alten Sentimentalitäten verharrte. Sie wusste das, wenngleich es nichts daran änderte, dass sie oft genug daran hängen blieb und sie in vergrabenen Emotionen ertrank.
    Die Balken und Holzstreben des Schiffes knarzten unter der Last, die sie zu halten hatten, hielten aber trotzdem allen Wellen stand, als wollten sie ihnen zeigen, wer hier stärker war. Die Spuren der Sturmschäden von vor einigen Wochen hatte der bärige Nord inzwischen flicken lassen. Neue metallene Platten und Spangen hielten schwach gewordene Stellen zusammen, einige Balkenteile hatte der Kapitän auch ganz austauschen lassen. Es handelte sich um durchaus teure Reparaturen. Ob ihre kleine Spende wenigstens im Ansatz etwas geholfen hatte, wusste die Kaiserliche nicht, aber letztlich bescherte ihr der Gedanke an die Möglichkeit trotzdem ein gutes Gewissen. Ein schmales Lächeln auf den Lippen schlängelte sich die Jägerin zwischen den Kistenstapeln hindurch bis zu ihrem Karren und kramte auf der Ladefläche herum, bis sie letztlich ihren Mörser fand. Dessen Schale eignete sich bestens für das Dampfbad – robust und groß genug für den Inhalt des kleinen Trankfläschchens.
    Im Anschluss suchte sie im Schiffsrumpf ein geeignetes Plätzchen, um sich zu setzen. Der einzige Ort, an dem sie das fand, war im Gemeinschaftsraum im hinteren Teil des Kahns, unweit ihrer Hängematte. Die zwei Matrosen, die Gjalund zur Hand gingen, schienen sich mit diesem an Deck aufzuhalten und Vesa war der einzige Fährgast, also blieb sie allein in dem von schummrigen Laternenlicht erhellten Raum. Sie setzte sich an den langen Tisch in dessen Mitte auf eine der Bänke und stellte ihre Sachen ab. Einen Moment harrte sie so aus, holte Luft und ließ die Augen über das stumpfe Holz der Umgebung schweifen. Das eintönige Braun bot wenig Abwechslung, aber die suchte sie auch nicht. Stattdessen hoffte sie auf eine Art Teekanne, genauer deren Unterkonstruktion, um den Inhalt warm zu halten. Am ehesten würde sie wohl in dem schiefen Schrank am Ende des Esstisches fündig werden, also erhob sich die Kaiserliche wieder und stöberte darin. Tatsächlich fand sie, wonach sie suchte und das sogar mit einer passenden Kerze. Zurück am beanspruchten Platz ging das regelmäßige Ritual der letzten Tage in die nächste Runde. Trank in die Schüssel, Kerze anzünden und darunter stellen, sobald die Flüssigkeit zu dampfen begann Kopf über die Schüssel und mit dem Tuch abdecken.
    Sie hasste dieses Ritual. Der Heiltrank stank erbärmlich nach alten, feuchtgewordenen Kräutern und undefinierbaren anderen Inhalten. Ein wenig erinnerte es sie sogar in ihren eigenen Körpergeruch, den sie erst mit dem Bad in der Taverne hatte ablegen können. Aber es half nichts. Sie musste hier durch und immerhin spürte sie mit jedem tiefen Atemzug, wie die aufgelösten Pflanzen und ihre Wirkstoffe über den Dampf in ihre Lungen drangen und die ihnen zugetragene Aufgabe erfüllten. Vesa fühlte förmlich, wie sich das verletzte Gewebe regenerierte. Ein gutes Gefühl, das endlich auch den Rest ihres Zorns verfliegen ließ. Ersetzt wurde er mit dem wiederauferstehenden Hunger und einer gewissen Regung von Erleichterung. Erleichterung vor allem darüber, dass sie noch lebte und sich endlich auf der Heimreise befand. Die vergangenen Wochen hatten ihr einige neue Erkenntnisse beschert, die sie erst einmal nach und nach verarbeiten musste. Allen voran jedoch vor allem die, dass sie sich freute zu den Gefährten zurückzukehren.
    Freude. War es wirklich Freude? Ein Gefühl, das sie seit Monaten nicht mehr im Stande gewesen war zu empfinden. Nicht nach Darius‘ spurlosem Verschwinden, nicht nach seinem gebrochenen Versprechen und der sich über die verstreichende Zeit immer stärker aufdrängenden Erkenntnis mit anschließender Resignation, dass er wohl auch nie wieder zurückkehren würde – der eigentliche Ausgangspunkt ihrer Reise nach Solstheim, vor dem sie allerdings, wie sie mehrfach hatte schmerzlich feststellen müssen, nicht im Stande war davonzulaufen. Diese Hoffnung enttäuschte ihr Unterfangen am meisten. Und da war sie plötzlich wieder. Die Wut, Enttäuschung und Trauer. Nichts mit Freude. „Scheiße!“, fluchte sie viel lauter, als es ihr lieb sein mochte. Mit spürbarer Zornesröte auf dem Gesicht stand sie auf bis ihre Oberschenkel an die Tischkante stießen, während sie mit der rechten den Stößel derart heftig zur Seite schlug, dass er über das lange Ende der Tafel und an die Wand dahinter flog. Schellend zersprang die Schüssel in viel zu viele Teile, als dass sie sich zählen ließen. Das schnelle Aufstehen und der wutige Ausruf fuhren ihr durch die Brust und zu allem Überfluss riss gerade auch noch eine Welle am Schiffsrumpf, die den Kahn nach oben wuchtete, so dass die Bank unter Vesana kraftvoll gegen ihr Gesäß geschlagen wurde. Die Stauchung des Oberkörpers verleitete sie zu weiterem schmerzerfüllten Schreien. Kraftlos und paralysiert fiel sie zur Seite auf die Sitzgelegenheit, ihre Hände gegen die Brust gepresst. „Verfluchte Kacke“, stöhnte sie unter Tränen und nach Luft ringend, bevor sie seitlich von der Bank rollte und sich gerade noch rechtzeitig genug abfing, um schlimmere Schmerzen zu verhindern.
    Niemand schien sie über das Knarzen der Planken und Spanten, wie auch das Schlagen der Wellen gegen den Kahn, gehört zu haben. Zum Glück, denn Gesellschaft konnte sie in diesen Momenten der Schwäche nicht gebrauchen. Auch nachdem die feurigen Stiche nachließen wollten die salzigen Perlen nicht aufhören zu fließen. Das Zittern in den Händen ließ nicht nach, bis sie die Scherben beseitigt, den verschütteten Trank aufgewischt und alles in einem Eimer entsorgt hatte. Zurück am Tisch pustete sie die Kerze aus, nahm sie sich das Buch, schlug die zuletzt angefangene Seite auf und starrte durch das Pergament. Sollte es denn niemals aufhören, der Verlust und Schmerz? „Scheiß Silberne Hand!“, knurrte sie und krallte sich fester an den Ledereinband. „Soll euch Hircine holen!“ Irgendwann, das wusste und schwor sich Vesana, würde sie an der Seite der Gefährten die letzten dieser räudigen Bastarde jagen, töten und sich so lange an ihren Leibern laben, bis nicht einmal mehr der hungrigste Straßenköter Windhelms noch etwas von ihnen haben wollte. Das war das Ende, das sie verdienten – kein anderes.
    Bei dem Gedanken an ein derartiges Bankett kam ihre Jagdstimmung und ihr heißes Blut erst so richtig in Wallung. Ihr wurde heiß, das Herz begann zu rasen, die Atmung beschleunigte sich. Bilder wie sie durch die Nacht hastete, knurrend und heulend, immer hinter den nach Angst stinkenden ••••n der Silbernen Hand her, und sie einen nach dem anderen zerfetzte, blitzten ihr vor das geistige Auge. Völlig willkürlich zuckten ihre Muskeln im Gesicht und den Schultern, ließen den Kopf herumrucken und sie die Augen immer häufiger schließen. Die Gerüche der Umgebung intensivierten sich und die Geräusche klangen klarer in ihren Ohren wider. Erregt bleckte sie mit der Zunge über die Zähne im halb geöffneten Mund. Die Eckzähne schoben sich bereits in die Länge und wurden zu scharfen Fängen. Die Fingernägel wuchsen weit über die Finger hinaus und kratzten als Krallen über den Rücken des Buches, das sie noch immer in den Händen hielt.
    Erst als Vesana die Augen nach langer Zeit der imaginären Jagd auf die Jäger von Fabelwesen wieder öffnete und ihr Blick auf die allmählich grau-schwarz werdende Haut an den Händen fiel, vermochte ihr völlig in den Hintergrund getretener Verstand erste Ansätze von Selbstbeherrschung durchzusetzen. Unter unheimlicher Anstrengung rang sie mit dem Biest in sich und ihren animalischen Trieben. Der Hunger nach Fleisch und Blut ließ sich zu diesem Zeitpunkt kaum noch bändigen. Abermals sprang sie auf, ein wutiges Grollen auf den Lippen während die Sitzbank nach hinten umfiel und pfefferte dieses Mal den warmhaltenden Ständer der Teekanne zur Seite. Glücklicherweise blieb er ganz. Jetzt war es schon so weit, dass sie die Silberne Hand dazu brachte, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren. Wo sollte das denn noch hinführen? Seit Jahren hatte sie sich außer in den Nächten um Vollmond soweit unter Kontrolle, dass sie sich nicht willkürlich jede Nacht verwandeln musste, und jetzt auf einmal trieb sie der ihr über Darius zugefügte Schlag dazu, all das zu vergessen? Nein! Soweit durfte es nicht kommen. Soweit würde es nicht kommen. Nie!
    Sie schloss die Augen und atmete langsam und tief. Die geschärften Sinne normalisierten sich, die Zähne und Krallen schrumpften auf ihre menschliche Erscheinungsform zurück und das Herz beruhigte sich. Niemals würde sie dieser Gilde von ehrlosen Hunden eine derartige Kontrolle über sie erlangen lassen.
    Nachdem die Kaiserliche den Teeständer zurück im Schrank verstaut und die Bank hingestellt hatte, sah sie sich endlich in der geistigen Verfassung, tatsächlich in ihrem Buch zu lesen. Gleichzeitig glitten dadurch ihre Gedanken zurück zu jener Nacht des Überfalls und zu dem Assassinen. Sie empfand in diesen Momenten nichts als Gleichgültigkeit diesbezüglich. Der Schock darüber, was Wut und Trauer mit ihr anzustellen vermochten, saß zu tief und eindrücklich, als dass sie sich gleich ein weiteres Mal mitreißen ließ. Immerhin bescherte ihr dieser Umstand auch einen klareren Blick auf die Ereignisse des Abends. Nicht, dass sie sich an besondere neue Einzelheiten erinnerte, die Hinweise auf den Angreifer gaben, die sie noch nicht kannte, aber immerhin streiften die Gedanken der Kaiserlichen unter anderem die Waffe des Meuchlers. Ein Stilett, oder ein schmaler Dolch, es war nicht so wichtig um was es sich für eine Waffe handelte – typisch für jemanden seines Berufes allemal. Viel entscheidender war die Tatsache, aus was diese Waffe bestand. Nämlich nicht aus Silber, sondern aus Stahl. Ein breites Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Obgleich Wunden mit herkömmlichen Materialien im ersten Moment nicht weniger gravierend sein mochten, so brauchte es dann doch wenigstens ein klitzekleines Bisschen mehr, um jemanden von ihrem Schlag totsicher zwar blutend, aber noch atmend zurücklassen zu können. Im Umkehrschluss bedeutete das, dass die Morag Tong keine Ahnung davon hatte, was aus Vesana nach all den Jahren geworden war.
    Selbstzufrieden vergrub sie die Nase wieder zwischen den Seiten des Buches und wischte das Grinsen nach einer Weile ganz bewusst von ihrem Gesicht. Es mochte schon etwas seltsam anmuten, wenn doch noch einer der Schiffsmannschaft unerwartet zu ihr stieß und sie derart seltsam dreinblickend am Tisch vorfand.
    Bis zum frühen Abend tauchte sie schließlich ungestört von unkontrollierten Gedanken und Überlegungen in den Text des Sachbuches ab. Nur selten schaute sie auf, als einer der dreiköpfigen Mannschaft in einer Arbeitspause unter Deck kam und sich ausruhte. Sie wechselten dann kein Wort, was Vesa recht zuvorkam. Nach einem spärlichen Mahl zum Abend empfahl ihr Gjalund einmal an Deck zu gehen, da sie inzwischen den Einflussbereich des Roten Berges hinter sich gelassen hatten. „Die frische Luft sollte Euch gut tun“, meinte der bärtige Kapitän. Sie dankte ihm für die Empfehlung und zog sich in die Dunkelheit der Nacht oben auf dem Kahn zurück.
    Am Bug hockte sich die Kaiserliche wie auch auf ihrer Hinreise zur Insel schon zwischen einige Kisten und starrte in die Finsternis vor dem Schiff. Die See schlug reichlich Wellen, aber der Himmel leuchtete klar von zahllosen hellen Punkten erfüllt. Schimmernd spiegelten sie sich auf den Wipfeln der Wasserberge, die rauschend gegen die Holzwände schlugen. Leichtigkeit breitete sich in ihrem Unterleib aus, keine unangenehme, ein Lächeln stahl sich auf die Lippen und Bilder der Heimat schossen ihr durch den Kopf. Die Freude über die Heimreise kehrte zurück. Diesmal ungestört und ungebrochen.



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    Geändert von Bahaar (20.09.2013 um 14:15 Uhr)

  12. #12

    Geistermeer, Nordmaid, Himmelsrand, Windhelm

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    Der zweite Tag der Reise verlief im Vergleich zu dem vorherigen noch um einiges ruhiger. Keine unschönen emotionalen Ausbrüche, keine Stürme, und auch sonst blieb es weitgehend still auf dem Kahn. Um die Mittagszeit hing Vesana mit dem Kopf über einer Keramikschüssel, die sie sich von Gjalund geliehen hatte und sog die stinkenden Dämpfe des blubbernden Heiltranks ein. Das Stechen und Ziehen in der linken Lunge, das noch im Hintergrund stets Präsens zeigte, legte sich für die Dauer dieser Prozedur völlig. Da es über diese Behandlungen immer weiter zurückgegangen war, hoffte die Kaiserliche nun, dass es nach der letzten schließlich ganz verschwinden würde. Im Anschluss an das Dampfbad kümmerte sie sich im Frachtraum des Schiffes um ihre Sachen und die Vorbereitung der weiteren Reise. Sie zog sich wärmer an, lagerte die Sachen ausbalanciert auf der Ladefläche des Karrens um und zog zum Schluss die Plane fest.
    Bald darauf gesellte sie sich zu Gjalund und seinen Matrosen an Deck. „Hat Eure Behandlung geholfen?“, erkundigte sich der bärtige Nord mit der bärigen Stimme.
    Die Kaiserliche nickte. „Das hat sie.“
    Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Bootsführers. „Sehr schön.“ Er wandte den Blick nach vorn in die Ferne. Vesa folgte ihm dabei und entdeckte blassblau schimmernd die Umrisse der Nordküste Himmelsrands. Nach Westen hin zog es sich bis auf ihren Breitengrad und verschwand schließlich in der weiten Ferne des Geistermeeres. Bei dem Anblick konnte auch sie nichts daran ändern, dass sich ihre Mundwinkel leicht nach oben zogen. Bald zu Hause, der Gedanke sorgte für Freude. „Der Wind steht günstig. Wir sollten in den nächsten Stunden in den Fjord von Windhelm einfahren. Von da an ist es nicht mehr sehr weit“, berichtete Gjalund. „Ich denke wir erreichen den Hafen noch vor Mitternacht“, fügte er an, als die Jägerin ihm wieder ihr Gesicht zuwandte und bereits zur Frage danach ansetzte. „Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich Euch nach Einbruch der Dunkelheit gerne mit an Deck haben.“
    „Weshalb?“
    „Bei Nacht den Fjord zu manövrieren ist keine leichte Sache. Eisschollen und scharfe Felsen gibt es überall. Ein weiteres Paar wachsamer Augen würde mir sehr helfen.“
    „Ah, natürlich gerne.“
    „Habt Dank.“ Die Kaiserliche schenkte dem Kapitän ein Lächeln und überließ ihn dann seiner Aufgabe. Zielstrebig nahm sie ihren angestammten Platz am Bug des Kahns ein, zog die Stiefel aus und legte die nackten Füße hoch, während ihr die nachmittägliche Sonne ins Gesicht schien. Mit der wohligen Wärme auf der Haut und dem frischen Seewind zum Trotz schloss Vesana die Augen, legte die Hände auf dem Bauch und den Kopf in den Nacken auf einem Fass ab. So positioniert genoss sie das Rauschen der Wellen, die salzige Luft, welche ihren Atemwegen guttat, und das sachte Schaukeln des Schiffes. Auf, und ab. Auf. Und ab. Auf … und ab. Auf … und … ab. Auf …

    Vorsichtig berührte jemand ihre Schulter und holte sie aus ihrem Schlummer. Zunächst orientierungslos, dann erschrocken, zuckte die Kaiserliche zusammen und musste mehrmals blinzeln, bevor sie ihre Umgebung deutlich wahrnahm. Lyrgleid stand über ihr und seine rechte, kraftvolle Hand ruhte auf ihr. „Entschuldigt.“ Er nahm seine Finger zurück. „Es wird bald Dunkel und Gjalund meinte, Ihr wolltet vielleicht noch etwas essen, bevor wir in den Fjord einfahren.“ Erst jetzt bemerkte Vesa den niedrigen Stand der Sonne und die frostigen Böen, die sie zittern und ihre Härchen auf den Armen sich aufstellen ließen. Noch immer etwas schlaftrunken nickte sie einfach nur und begann damit, ihre Stiefel über die eiskalten Füße zu ziehen.
    Nach der kräftigen Suppe, und in ihre dicke Jacke gehüllt, hielt sie vorn Ausschau. Glücklicherweise zogen nur wenige kleine Wolken am Himmel entlang, so dass die funkelnden Sterne die Umgebung ausreichend erhellten. Da die Monde kaum mehr als haarbreite Sicheln abgaben, mussten die übrigen Lichtpunkte ausreichen. Ohne den klaren Himmel wäre es wohl unmöglich gewesen bei Nacht den Fjord zu befahren, was ihre Reise unnötig verzögert hätte. Insofern widmete sich Vesana nach dem nachmittäglichen Nickerchen und der stärkenden Mahlzeit mit gewissem Elan der ihr zugewiesenen Aufgabe. Dass Gjalund die Geschwindigkeit erheblich reduziert hatte, half beim Manövrieren und gab den Ausgucken genug Zeit, Objekte zu erspähen. „Links! Etwa dreißig Meter“, warf sie über die Schulter dem Kapitän zu. Mit der nautischen Sprache von Backbord und Steuerbord kam sie nicht zurecht. Ständig verwechselte sie die beiden, also blieb sie lieber gleich bei den normalen Begriffen. Mit ausreichend Spielraum umschifften sie die Eisscholle.
    Das Spiel setzte sich eine ganze Weile lang fort. Zum Glück zog sich über den Sommer das Eis reichlich zurück, wie ihr Lyrgleid über dem Abendessen erklärt hatte, so dass der Zufahrtsweg nach Windhelm ausreichend breit für bald drei Frachtkähne war. Allerdings trieben in dieser Zeit auch die meisten Schollen umher, weshalb es oftmals nicht weniger tückisch sein mochte. Mit Ausnahme einer einzigen Scholle, die sie aber auch nur sacht tuschierten, kamen sie ohne Komplikationen bis zum Hafen Windhelms durch.
    Die dicken, hohen Mauern der Stadt, die wohl eine der größten Himmelsrands war, wirkten selbst bei Nacht noch imposant und machtvoll. Obwohl ihr der Konflikt zwischen Kaiserreich und Sturmmänteln wenig bedeutete und sie sich auch herzlich wenig darum scherte, wer gewann, musste Vesa dennoch einräumen, dass sich Ulfric mit Windhelm einen eindrucksvollen Sitz seines eigenen kleinen Reiches gesucht hatte. Ähnlich Einsamkeit für die Kaiserreichsympathisanten, nur etwas schmutziger und älter. Sich als jemand des Kaiservolkes in der Hochburg der Sturmmäntelrebellen aufzuhalten blieb zwar immer noch ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, aber auf der anderen Seite reichte es in den meisten Fällen zu sagen, dass sie den Gefährten angehörte. Der härteste rassistische Bodensatz der Rebellion, der diesen Hinweis ignorierte und am liebsten ein Reich nur von Nord schaffen wollte, ließ sich zwar nicht verleugnen und reichte wohl weit höher in der Hierarchie, als der unbedarfte Betrachter vermuten mochte, aber dieser in Grüppchen auftretenden Spezies von Rebellen ließ sich überwiegend aus dem Weg gehen. Im Zweifelsfall besaß der Status als Gefährte aber so viel Beachtung, dass bei einer handfesten Auseinandersetzung die Sympathien der beistehenden Beobachter auf ihrer Seite lagen und diese ihr dann beisprangen. Nicht zuletzt lag das wohl an Ysgramor, dem ersten Menschenherrscher Himmelsrands, dessen Name mehr Gewicht besaß als jeder nach ihm gekommene und kommende Unabhängigkeitskämpfer im Namen der nördlichen Provinz.
    Ein kräftiger Ruck am Schiffsrumpf ließ die Jägerin aus ihren nicht ganz verachtungsfreien Gedanken hochschrecken. Sie hatten angelegt und die Matrosen zogen die Taue am Steg fest. Während sich die Männer abmühten, kehrte die Kaiserliche unter Deck zurück und sah abermals nach ihren Sachen, band sich einen der Dolche an den Gürtel und prüfte den Sitz ihres Geldsäckels. Es wurde Zeit, dass sie heimkehrte. Das Gold ging ihr allmählich aus und von dem spärlichen Rest mussten noch Gjalund, eine Tavernenübernachtung und die Reise nach Weißlauf bezahlt werden. Nur noch das Finanzbuch fehlte und dann suchte sie auch schon wieder nach dem Kapitän. Im Gemeinschaftsraum traf sie ihn. „Wenn Ihr möchtet, können wir Euren Karren noch bis zur örtlichen Taverne bringen“, schlug dieser vor und bot Vesana an, sich mit ihm an den Tisch zu setzen. Sie folgte ohne groß zu zögern.
    „Das würde mir sehr helfen, danke.“
    „Selbstverständlich gern.“ Sie schenkte ihm ein schmales Lächeln. So viel aufrichtige Freundlichkeit begegnete der Kaiserlichen eher selten, weshalb sie ihr manche Reaktionen schon fast aus Reflex und Überraschung abrang. Nach kurzem Schweigen zählte sie sich die Septime ab, die nach ihrem Rechnungsbuch noch für sie selbst übrig bleiben sollten, den Rest des Geldes schob sie dem Nord zu. Die spärliche Summe, mit der sie bis nach Weißlauf kommen musste, verstaute sie im kleinen Säckel am Gürtel. „Danke.“ Gjalund nickte ihr mit hochgezogenen Mundwinkeln zu und erhob sich. „Nun, wollen wir Euch zum Haus Kerzenschein bringen?“
    „Bitte.“ Auch die Jägerin stand auf und ging an Deck. Wenig später hievten die drei Seemänner den Karren aus dem Frachtraum auf den Anlegesteg.
    „Lyrgleid, bring sie bitte zur Taverne.“ Der blonde, jüngere Mann begann damit den Wagen der Kaiserlichen zu ziehen und führte diese vom Hafen durch ein Seitentor ins Innere der Stadtmauern. Kaum noch jemand trieb auf den engen, dunklen Straßen sein Unwesen, auch Lichter brannten nur wenige hinter den Fenstern. Die Stadt schlief tief und fest unter dem Tuch des glitzernden Sternenhimmels. Eisige Kälte hielt es straff, damit niemand unter ihm hervorgekrochen kam. Vesa hauchte in ihre hohlen Hände während sie neben dem Nord herlief.
    „Ziemlich kalt heute Nacht, selbst für Windhelm“, stellte dieser fest und warf einen Blick über die Schulter zur Kaiserlichen hinüber. Sie ging nicht weiter darauf ein. Nach einem reichlich anstrengenden Fußweg durch die schmalen Gassen und über das holprige Pflaster erreichten sie schließlich ein größeres Gebäude mit hohem Spitzdach, direkt an den Toren im Innern der Stadt. Lichtschein drang durch die kleinen Fenster nach draußen, hin und wieder huschten Schatten an den trüben Glasscheiben vorbei. „So, da wären wir. Euren Karren stellen wir am besten dort an der Seite unter“, meinte Lyrgleid und wies auf einen Unterstand aus Holz.
    „Einverstanden.“ Vesa nahm sich noch die wichtigsten Sachen von der Ladefläche, verstaute sie in einem ihrer Tornister und schulterte diesen sehr vorsichtig. Mit den Waffen, dem Geld und einigen verbliebenen Vorräten auf dem Rücken verabschiedete sie sich von dem Nord, der ihren Karren gezogen hatte, und trat auf einen seitlich liegenden Eingang des Wirtshauses zu. Knarzend schob sie die dicke Holztür auf und trat in die wohlige Wärme des schummrigen Innenraumes ein. Fast niemand mehr hielt sich darin auf. Ein ziemlich mitgenommen aussehender Nord in wettergezeichneter Leinenkleidung saß an einem Tisch in der Ecke des langen Gastraumes, ein Barde in farbigen Kleidern saß am Feuer im zentralen Kamin, die Laute neben ihm am Stuhl lehnend, und eine junge Frau des Nordvolkes mit aufreizend tiefem, prallgefülltem Ausschnitt kam gerade eine Treppe am langen Ende des Raumes empor. Sie trug einen Krug, auf dem eine Schaumkrone stand, und reichte ihn dem Barden. Erst danach wandte sie sich dem neuen Gast zu.
    „Kann ich Euch helfen?“, wollte sie mit übertriebener Freundlichkeit wissen.
    „Ich bräuchte ein Zimmer für die Nacht“, erwiderte Vesana.
    „Ah, redet mit Elda. Einfach die Treppe hinab am Tresen.“ Die Kaiserliche folgte der Geste der Nord und stieg die knarrenden Stufen nach unten in den kleinen Eingangsbereich. In einer seitlichen Nische lag eine Theke hinter der eine hochgewachsene, blonde Frau Geschirr trocknete. Sie blickte auf, als sie Vesas Kommen vernahm.
    „Guten Abend“, grüßte sie.
    „Ich bräuchte ein Zimmer für die Nacht“, erklärte sich die Kaiserliche.
    „Zehn Septime. Es liegt am Ende des Ganges links“, erläuterte die Wirtin und deutete auf den Flur zwischen Tresen und Treppe.
    „Danke. Sagt, Ihr wisst nicht zufällig, wo ich jemanden finde, der mich gegen Geld nach Weißlauf bringt?“ Elda begann damit, weiter Geschirr zu trocknen, ohne jedoch die Augen von ihrer Kundin zu nehmen.
    „Doch, Ihr habt Glück.“
    „So?“
    „Direkt bei mir oben im Schrankraum. Hrothluf, der Nord hinten in der Ecke. Rotbraunes, zerzaustes Haar, wilder Bart und zerfurchtes Gesicht – leicht zu erkennen – er hat einen Karren und fährt öfter in die Richtung. Fragt ihn.“
    „Danke“, die Jägerin nickte und ging wieder nach oben. Die Bedienstete räumte gerade einen Teller und Tonkrug vom Tisch des beschriebenen Mannes ab. Er wirkte müde und schon arg angetrunken. Unbeholfen kratzte er sich mit seinen dicken, rauen Fingern im Bart herum, während er mit der Zunge seine spröde wirkenden, wulstigen Lippen benetzte. „Seid Ihr Hrothluf?“, wollte sie wissen und blieb hinter einem freien Stuhl am Tisch des Nords stehen. Ihre Hände ließ sie auf der Lehne des Sitzes ruhen und fixierte ihn mit festem Blick.
    Der reagierte träge. „Der bin ich!“, gab er kund. Erst danach fanden seine braunen Augen die junge Frau, die mit ihm sprach. „Was kann ich für Euch tun?“ Obwohl seine Bewegungen und Reflexe eine andere Sprache sprachen, gaben seine Worte keinen handfesten Anlass dazu zu glauben, dass der Mann schon ein paar Krüge Met zu viel hatte.
    „Ich muss nach Weißlauf weiterreisen und die Wirtin sagte mir, Ihr könntet mir dabei helfen.“
    „Nach Weißlauf sagt Ihr?“
    „Ja, genau.“
    „Hm.“
    „Ich kann Euch selbstverständlich bezahlen. Allerdings habe ich noch einen kleinen Karren bei mir, den wir ebenfalls mitführen müssten.“
    „Hm.“ Hrothluf strich sich scheinbar nachdenklich durch den wüsten Bart. „Könnt Ihr kämpf‘n?“
    „Warum?“
    „Weil auf der Straße nach Weißlauf ein Geschäftspartner von mir verschwund‘n ist und ich mich sorge. Sollte ihm ‘was widerfahr‘n sein, möcht‘ ich nicht, dass mir dasselbe zustößt. Ich sitz‘ schon vier Tage mit einer Lieferung Schmiedeeis‘n und Werkzeug hier in Windhelm fest, weil diese verflucht faul‘n Sturmmäntel keine ihrer Leut‘ als Söldner abstell‘n und alle Söldner anwerb‘n!“, erklärte der Mann und es trat Zorn in seine Augen, die Brauen zog er enger zusammen und die freie Hand ballte er zur Faust. Die Kaiserliche überlegte einen Moment. Obgleich sie sich nicht unbedingt in der Verfassung befand, zu kämpfen, würde sie in jedem Fall demselben Risiko eines Kampfes ausgesetzt sein, egal mit wem sie nach Weißlauf reiste – zumindest wenn der besagte Geschäftspartner überfallen worden war und nicht einfach von einem Steinschlag oder Tier dahingerafft wurde.
    „Ich kann kämpfen, ja“, erwiderte sie schließlich.
    „Gut. Gut!“ Hoffnung spiegelte sich nun auf dem Gesicht des Nords wieder. Er strich sich das kinnlange, fettige Haar nach hinten und stand auf. Mit den Oberschenkeln stieß er unbeholfen gegen den glücklicherweise leeren Tisch, dafür verschüttete er eine beträchtliche Menge seines Getränks, das er noch immer in der Hand hielt. „Ihr sorgt für meine Sicherheit und dafür bring‘ ich Euch nach Weißlauf. Um Proviant und Unterkunft unterwegs braucht Ihr Euch nicht zu kümmern. Eur‘n Karr‘n krieg‘n wir schon mit weg. Einverstand‘n?“ Er reichte Vesana die Hand. Offensichtlich würde sie doch noch mit ihrem wenigen Geld zurechtkommen.
    „Einverstanden.“ Sie schlug ein.



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    Geändert von Bahaar (27.09.2013 um 17:00 Uhr)

  13. #13

    Skyrim, Fürstentum Reach, vor den Mauern Markarths

    Der junge Bretone fluchte als er zu stolpern anfing und ihm die gesammelten Holzscheite aus den Armen purzelten. Sie schlugen mit einem dumpfen Geräusch auf der staubig lockeren Erde auf und stießen auch gegeneinander, wodurch sie noch weiter vom dem jungen Mann wegrollten.
    Um ihn herum lachten einige der Männer und Frauen, während andere nur schwiegen. Doch alle verloren schnell wieder das Interesse und zogen kurz darauf weiter um ihre Erledigungen zu machen. Stephanus schüttelte kurz den Kopf, löste sich aus der sich erneut rührenden Menge und ging dann auf den Bretonen zu, der mit rotem Gesicht in die Knie gegangen war und hektisch versuchte, das verlorengegangene Holz wieder einzusammeln und so wenigstens einen Teil seiner Würde zu erhalten. Es misslang ihm offenkundig, denn immer wieder fiel einer der Scheite nach Freiheit suchend zurück auf den Boden. Zu seinem Glück schien es jedem außer Stephanus egal geworden zu sein, was der Junge tat, denn niemand blickte auch nur in seine Richtung.
    Stephanus kniete sich nun ebenfalls hin und half dem verschreckten und beschämt dreinblickenden Bretonen, welcher kurz vor dem Kaiserlichen zurückschreckte, ihm jedoch ein dankbares Nicken entgegenbrachte als er verstand, dass von Stephanus keine Gefahr für ihn ausging.
    „Bringt man euch Leuten in Hochfels nicht bei wie man Feuerholz trägt?“
    Der Bretone blickte nun wieder gekränkt drein und schwieg für einen Moment, in dem die beiden Männer stumm das Holz zusammentrugen.
    „Es war der verfluchte Nord. Er hat mir ein Beinchen gestellt.“
    Stephanus richtete sich auf, ebenso der Bretone, und er legte einen letzten Holzscheit auf den Stapel in den Armen des jungen Mannes.
    „Du müsstest da ein wenig spezifischer werden, Junge,“ merkte der Kaiserliche an. „Die Kompanie ist voll mit Nords.“
    „Ich habe keine Ahnung wie er heißt,“ antwortete der junge Mann zögerlich. „Der Nord, der sich das Wappen auf den Nacken tätowiert hat.“ Dabei deutete er mit dem Kopf auf einen Mast in ihrer nähe, an dem eine Flagge verspielt im Wind wehte. Sie zeigte einen sitzenden schwarzen Raben im Profil auf dunkelgelbem Grund. Dunkelgelb war auch die Farbe, die die Söldner als eine Art Uniform für die Verzierungen an ihren Rüstungen und Schildern und auch für ihre Kriegsbemalung verwendeten. Auch die meisten Bestandteile aus Stoff an ihren Rüstungen waren dunkelgelb gefärbt.
    Stephanus wusste sofort von wem der Bretone sprach und musste erst nicht in seiner Erinnerung nach einem zur Beschreibung passenden Gesicht kramen.
    „Ja, das müsste wohl Idolg von den Inseln sein.“ Stephanus hatte viele Mitglieder der Kompanie in seinem Kopf in eine Liste sortiert. Mit Ausnahme vom Bretonen vor ihm war jeder in ihr gefährlich, doch verrückte und unberechenbare Schweinehunde wie Idolg verdienten einen besonderen Platz ganz oben.
    „Vergiss am besten, dass es passiert ist, Junge. Sprich ihn erst gar nicht darauf an, sonst hackt er dir in aller Öffentlichkeit den Kopf ab und benutzt ihn als Nachttopf.“
    Der Bretone machte sich auf, das Feuerholz zur Sammelstelle in der Mitte des Söldnerlagers zu bringen, und Stephanus folgte ihm. Als der Bretone dies merkte, blieb er kurz stehen und wandte sich dem Kaiserlichen zu.
    „Ich hatte nicht vor, ihn anzusprechen, oder mich auch nur in seine Nähe zu begeben. Ich danke Euch aber für die Warnung.“
    Stephanus schüttelte leicht den Kopf als er den schwarzhaarigen Bretonen musterte, der nun wieder mit dem Rücken zu ihm weiterging. Einfache Kleidung, Staub und Schmutz von der beschwerlichen Reise, ein leichter Anflug von Bartstoppeln. Doch seine Bewegungsabläufe, seine Stimme und die Art, wie er seine Worte betonte verrieten eine adlige Herkunft. Sie hatten den Jungen aufgegabelt, als sie Evermor in Hochfells passierten. Ganz klar war er wild darauf gewesen, so schnell wie möglich von dort wegzukommen. Und es war sehr offensichtlich, dass er nicht die Art von Mensch war, die sich freiwillig einer kleinen Armee aus gekauften Kriegern anschloss. Außer wenn es sich um eine unbedingte Notwendigkeit handelte. Ein wenig erinnerte der Junge Stephanus an ihn selbst als er noch jünger war. Blind auf der Flucht vor seiner Vergangenheit, auf der Suche nach dem schnellsten Weg fort von Zuhause. Er schlussfolgerte das dies vielleicht der Grund war aus dem er dem Bretonen jetzt half.
    Sie erreichten das Ziel des Bretonen und der junge Mann aus Evermor legte das Brennmaterial auf einem größeren Stapel ab, an dem ab und an ein anderes frisches Mitglied der Kompanie ankam und seinerseits Holz aufschichtete. Jeder Schritt wirbelte ein Stück lockere und trockene Erde auf, das in winzigen Partikeln wieder auf den festeren Grund hinab schwebte.
    Stephanus klopfte dem jungen Mann nach getaner Arbeit beruhigend auf die Schulter.
    „Ich gehe dann jetzt, Junge. Halt dich von Ärger fern.“
    Der Bretone streckte stöhnend den Rücken und drehte sich danach Stephanus zu, der schon im Begriff war zu verschwinden.
    „Vielen dank. Und nennt mich bitte nicht andauernd Junge. Ich habe einen Namen.“
    Stephanus blieb stehen und wandte sich mit hochgezogenen Augenbrauen wieder dem anderen Mann zu.
    „Ach? Und der wäre?“
    „Delstian,“ stammelte der Bretone schnell und verlegen, fast als hätte er das Gefühl, er wäre vorhin bei seinem letzten Satz nicht demütig genug gewesen, und befürchtete jetzt vom Kaiserlichen eine Ohrfeige zu bekommen.
    „Mein Name ist Delstian.“
    Stephanus ging wieder einen Schritt auf ihn zu, was Delstian dazu brachte verängstigt ein wenig zurück zu zucken. Der Kaiserliche ärgerte sich leicht über sich selbst, denn das war keinesfalls seine Absicht gewesen.
    „Nun gut, Delstian,“ sagte er nun in einem ratgeberischen Ton. „Pass auf dich auf, und starr niemanden an, und glotze erst recht niemandem direkt in die Augen. Dann solltest du die nächsten Tage ohne Prügel durchkommen.“ Danach ließ der Kaiserliche Delstian stehen und ging seines Weges.

    Die Kompanie hatte eine einfache Rangordnung: Der Anführer hatte vier Leutnants, die ihrerseits zwei ihnen direkt untergestellte Offiziere hatten. Diese wiederum hatten einige Unteroffiziere unter ihrem Kommando, die für eine verschieden große Anzahl an Kämpfern zuständig waren. Diese Gruppen hatten während eines Marsches die Last ihres in Einzelteile zerlegten Zeltes unter sich aufgeteilt zu tragen, nicht unähnlich dem Verfahren, dass die kaiserlichen Legionen verwendeten. Und genau zu diesem Zelt war Stephanus jetzt unterwegs.
    Es war ein schöner und nur leicht bewölkter Tag, selbst wenn der kühle Wind in den Hochlanden von Reach die wärme der Sonne effektiv verminderte und den Kaiserlichen bei besonders kalten Böen unter seinem Lederharnisch frösteln ließ und sich ihm immer wieder die Nackenhaare aufrichteten. In einiger Ferne konnte Stephanus die Mauern und Dächer der Stadt Markarth sehen. Sie war vor Jahrtausenden in das sie umgebende steile Gebirge gehauen worden, welches sich zu beiden Seiten der Stadt in die Ewigkeit erstreckte und sich zum Himmel hin seine Gipfel immer stärker in zunächst unbeständige, dann jedoch dichter werdende weiche Nebelschwaden hüllte. Stolze grüne Banner mit einem weißen stilisierten Bergziegenbockschädel darauf wehten über Türmen und änderten ihre Richtung mit dem Wind.
    Würden einige der prächtigen goldenen Dächer nicht das Licht der Sonne reflektieren, gäbe es die Banner nicht und würde auch kein Rauch aus den Schornsteinen von Markath aufsteigen so könnte man fast glauben die Stadt sei ein Teil der hellgrauen Felsen. Markath hatte seinen Ruf als „Stadt des Steins“ verdient. Sie sah zeitlos und uralt aus, als hätte es sie schon lange vor ihren Erbauern gegeben. Als wäre sie vor Urzeiten einfach aus dem Berg heraus gewachsen und stumm ihren Platz auf Nirn eingefordert.
    Der Wind drehte sich und trieb den gemischten Geruch und die Klänge der Zivilisation an Stephanus' Nase und Ohren heran: Nahrungsmittel, Duftstoffe, Abfall, schwitzende Menschen und Mer, laute Hammerschläge, das unverständliche Gemurmel tausender Münder und das bellenden von Hunden. Aber der Geruch von Markarth hatte etwas besonderes an sich. Das hölzerne Aroma verbrannter Kohle und der eigentümliche Duft von geschmolzenem Metall lag besonders schwer in der Luft, und beides hebte die Geruchspalette Markarths von der anderer Städte ab. In der Ferne rauschte zudem ein Fluss.
    Stephanus ging über einen breiten Weg, der durch das Lager führte, auf das imposante Torhaus zu, auch wenn es noch weit weg lag. Doch sein Ziel befand sich einfach nur in der selben Richtung. Er kam an vielen Zelten verschiedener Machart und Farbe vorbei, und die Leute, die müßig, gleichgültig oder zielstrebig an ihm vorbeizogen, unterschieden sich ebenso stark voneinander wie ihre zeitweiligen Behausungen, auch wenn viele von ihnen dennoch eines gemeinsam hatten: Man konnte ihnen sofort ansehen, dass sie sich ihr Brot mit dem Schwert in der Hand verdienten und auch keine wirklich angenehmen Zeitgenossen waren. Viele von ihnen gehörten Rassen an, von denen man eine kriegerische Natur erwartete. Gerade jetzt ging eine Gruppe aus fünf Rothwardonen an Stephanus vorbei. Aber eigentlich war jede Rasse mindestens acht mal in der Kompanie vertreten, sei es bei den Nahkämpfern, den Bogenschützen oder den wenigen Kampfmagiern.
    Die Mietklingen der Kompanie hatten ihr Lager in einigem Abstand von den steinernen Mauern der Stadt aufgeschlagen, denn außer den Quartiermeistern durfte keiner von ihnen die Hauptstadt des Fürstentums betreten. Die Stadtwache bestand darauf, dass sie ohne eine kleine randalierende Armee aus zwielichtigen Heuerlingen bereits genug Probleme in der Stadt hätte. Es stellte auch eine Sicherheitsmaßnahme gegenüber Krankheiten dar. Im Krieg fielen die Meisten nicht im Kampf oder fielen schlecht behandelten Verletzungen zum Opfer. Nein, den Großteil der Todesopfer des Krieges forderte die herzlose Pestilenz. Sobald eine Seuche einmal in einem Lager oder einer Stadt ausbrach war sie nur noch schwer wieder einzudämmen. Sie machte keinen Unterschied zwischen Bettlern und Königen, wie man sagte, auch wenn die Letzteren dank der modernen Alchemie mit genügend Gold in Wirklichkeit nicht viel zu befürchten hatten.
    Seltsamerweise hatte Stephanus aber vor einigen Stunden einen Wachmann in Grün sagen hören, es gäbe keinerlei Probleme in Markath. Doch dass hatte er mit einem Achselzucken abgetan und keine weiteren Gedanken daran verschwendet. Was in der Stadt passierte ging ihn nichts an, denn das Söldnerheer würde nur einige Nächte vor der Stadt verbringen, um nach dem langen Marsch über die Bergpässe zwischen Skyrim und Hochfels wieder Energie zu tanken und Vorräte aufzustocken. Stephanus taten jetzt noch die Füße weh. Vielleicht konnten sie auch neue Rekruten anwerben. Ihr eigentliches Ziel aber war Hjaalmarsch, ein versumpftes und sagenumwobenes Gebiet im Nordwesten von Himmelsrand. Dort wollten sie mit ihrem neuen Arbeitgeber aufschließen: Ein Kaiserlicher Feldherr, der seine Ränge auf die Schnelle mit zusätzlichen bereits ausgebildeten Truppen verstärken wollte. Zuvor war die Kompanie in Hochfels aktiv gewesen. Die kleinen Königreiche der Provinz und die sie regierenden Adelsfamilien bekriegten sich am laufenden Band, vor allem in dieser Zeit der Instabilität, so dass es nie an Arbeit für Schwertarme und Bogenschützen gemangelt hatte. Ein kleinerer Teil des Söldnerheeres war auch in der Heimat der Bretonen geblieben um bestimmte vertragliche Voraussetzungen zu erfüllen, doch der Anführer der selbsternannten Militärunternehmer witterte das große Geld im frisch entflammten Bürgerkrieg der Nords. Bei dem besagten Anführer handelte es sich um einen Dunkelelfen namens Ganlydyn Menarven. Stephanus war ihm mehrere Male persönlich begegnet, doch er versuchte, diese Treffen so selten wie möglich zu halten. Wenn Menarven etwas von einem einfachen Fußsoldaten wollte, dann war das nie ein gutes Zeichen. Nach Außen hin wirkte der rotäugige Elf immer ruhig und freundlich, und er sprach auch immer in einer leisen Tonlage, so dass jeder Anwesende die Stimme senkte, um ihn reden zu hören. Aber nur Neulinge und Naivlinge fielen auf diese nur aus Tradition aufrecht erhaltene Illusion herein: Ganlydyn war rücksichtslos und blutrünstig. Stephanus konnte sich noch gut daran erinnern, was mit dem Vorgänger des jetzigen Zahlenmeisters der Kompanie geschehen war, auch wenn er dessen Namen über die Jahre hinweg vergessen hatte.
    Ungefähr zwei Jahre nachdem Stephanus beigetreten war – damals befanden sie sich in Hammerfell - hatte Menarven über seine Offiziere jeden dazu auffordern lassen, sich in der Mitte ihres damaligen Lagers zu versammeln. Dort war auf die Schnelle ein kleines Podium aus Holz errichtet worden, zusammen mit einem Pranger. Ganlydyn Menarven zog höchstpersönlich den ehemaligen Schatz- und Zahlenmeister hinter sich durch die Menge hindurch und zwang den unter Todesangst stehenden Mann anschließend, sich selbst am Pranger festzumachen. Nachdem die klappe zufiel befestigte der Dunmer ein einfaches Schloss am Holzobjekt und für seinen armseligen Gefangenen gab es kein Entkommen mehr. Stephanus fiel auf, dass er sich nicht einmal daran erinnern konnte, welcher Rasse der Zahlenmeister angehört hatte. Er wusste nur noch, dass er ein Mensch gewesen war und sein Gesicht und sein nackter Oberkörper von blauen Flecken übersät worden waren, als ein Raunen durch die schroffe Menge ging und der Anführer der Heuerlinge seine Hand erhob, um Ruhe einzufordern. Das gesamte Lager verstummte sofort. Doch Menarven sagte nichts um die Stille auszufüllen. Stattdessen trat er seinem ehemaligen Angestellten in die Seite und legte dann mit einer schnellen Bewegung eine Hand auf dessen Mund, als dieser ihn aufschlug um einen Seufzer der Pein rauszulassen und verzweifelt die gewaltsam aus seinen Lungen entwichene Luft wieder einzufangen. Wenige Sekunden danach leuchtete es aus dem Inneren des Schatzmeisters, wobei sich seine Rippen dunkel abzeichneten und er wie eine morbide Laterne die abendliche Szenerie erleuchtete. Dann fing auch sein Äußeres an zu brennen. Die magisch verstärkten Flammen hatten den Mann innerhalb von einer Minute mitsamt Knochen vollkommen in Asche verwandelt, den Pranger und das Podium jedoch seltsamerweise von dem tödlichen Tanz ihrer feurigen Zungen verschont gelassen.
    „Das passiert mit jenen, die denken, sie könnten der Kompanie ihr Geld stehlen und damit davon kommen.“
    Ohne ein weiteres Wort verließ der Dunkelelf das Podium wieder, wobei er kein ein einziges Mal in die Menge sah, und ging dann mit erhobenem Haupt auf direktem Wege zu seinem Kommandozelt zurück. Jeder auf seinem Weg wich sofort vor ihm zurück und machte ihm Platz, als wäre er ein pestkranker Bettler. Jedoch war die Angst vor Ganlydyn auch heute noch viel größer und realer als die vor der Pest.

    Stephanus zog sich selbst mit einer leichten Gänsehaut wieder aus der Erinnerung, denn er erreichte nun endlich sein Ziel. Nachdem er einige Male abgebogen war und sich geistesabwesend zwischen etlichen Zelten vorbei schlängelte kam er an der Zeltbaracke an, in der er heute Abend schlafen würde. Innen war es wärmer als draußen, sogar ein bisschen stickig. Die Sonne hatte das vor ungefähr fünf Stunden errichtete Zelt aufgewärmt und der stetige Wind, der durch die zerklüftete Bergregion wehte, hatte hier nicht besonders viel Einfluss. Die eng zusammenstehenden Baracken spendeten sich gegenseitig Windschatten, auch wenn durch die eine oder andere nicht geflickte Lücke im Stoff ein leises freches Pfeifen ertönte, sobald der Wind ein wenig an Geschwindigkeit zunahm. Stephanus zog hinter sich die als Tür dienende Klappe im Stoff zu und schnürte sie wieder fest an ihren Platz, selbst als der Wind leicht daran zerrte, als wolle er seine neu gefundene Geliebte nicht mehr loslassen. Auf der mit Stroh ausgelegten trockenen Erde lagen rund dreißig Bettrollen dicht an dicht. Jeder Meter Platz wurde effektiv genutzt. So gab es außer den einfachen Schlafstätten der Mietklingen und den kleinen Haufen ihrer transportablen Besitztümer nur einen einzigen Tisch und den an ihn ran geschobenen Stuhl in der Mitte des Zeltes, genau dort, wo ein dünner Baumstamm als einsame Säule für die Last des Daches aus Stoff und Seil diente.
    Außer Stephanus waren noch zwei andere Personen im Zelt: Ein auf seinem Bett vor sich hin summender Rothwardon mit einer abgegriffenen Harfe in den Händen, und ein den Vorherigen finster anfunkelnder Ork, der ebenfalls in einiger Entfernung zum Harfenspieler auf seiner eigenen Bettrolle saß.
    „Stephanus, sag dieser vermaledeiten Wüstenratte sie soll endlich die Klappe halten.“
    „Ihr habt einfach keinen Geschmack für Musik, mein Freund Rognag,“ sagte der Rothwardone mit einem fachmännischen und bedauerlichen Tonfall in der Stimme und einem breiten Grinsen im Gesicht, bevor er sein Summen der Klangkulisse der Baracke wieder hinzufügte und sich knapp mit dem hin und wieder zögerlich hereinpfeifenden Wind messte.
    Stephanus schüttelte nur leise lachend den Kopf und begab sich näher an den Orsimer heran, welcher leise in sich hinein fluchte und mit seinen gelben Augen immer noch mit Messern nach dem Rothwardonen warf.
    „Wie geht’s dem Bein, Rognag?“ Der Kaiserliche ließ sich neben seinem Lagergenossen auf den Boden sinken.
    Rognag gro-Golug war der Kompanie vor etwa fünf Jahren beigetreten. Auf den Tag genau war auch der Rothwardone Bodeado unter Vertrag genommen worden, und seit der ersten Stunde, in der sie in Stephanus' Einheit gelandet waren, stritten sich die beiden wie kleine Kinder. Bodeado trieb den Ork durch sein Harfenspiel, seine Sticheleien und sein konstantes Gerede immer wieder zur Weißglut. Rognag hingegen überschüttete den anderen des Nachts manchmal mit seinem Müll, „verlegte“ dessen Sachen oder verbrachte Stunden damit sich besonders kreative Flüche für seinen Mitstreiter aus Hammerfell einfallen zu lassen. Es war ein sehr merkwürdiges und auf jeden Außenstehenden wohl verwirrend wirkendes Verhältnis: Nur ein einziges Mal war es zu einer physikalischen Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen, nachdem sie nach einer gewonnenen Schlacht die ganze Nacht hindurch getrunken hatten und Beleidigungen zu Faustschlägen wurden. Beide hatten sich gegenseitig windelweich geprügelt und danach sofort zusammen weiter getrunken. Das war einige Wochen nach ihrer Rekrutierung gewesen, und seitdem verband die beiden Männer eine Art von verdrehter Freundschaft. Auch Stephanus sah die beiden als seine Freunde an. Die Freundschaft unter gekauften Schwertern hatte jedoch sehr oberflächliche Eigenschaften: Man half sich gegenseitig im Kampf und bei den täglichen Arbeiten im Lager. Man tauschte Geschichten aus , trank und scherzte miteinander. Manchmal kam es sogar dazu, dass eine ungeschriebene Regel unter Söldnern gebrochen wurde und man sich über die Vergangenheit vor der Kompanie ausfragte. Bis dahin und darüber hinaus ging es jedoch nur selten. Man würde für den anderen niemals sein eigenes Leben riskieren, wenn für einen selbst nichts dabei raussprang.
    Rognag gro-Golug stöhnte leise als er sich schwerfällig vom Rothwardonen abwandte und seinen entnervten Blick nun auf Stephanus fixierte.
    „Dem Bein geht es bestens. Mache mir nur sorgen, dass mir bald die Ohren anfangen zu bluten.“ Beim letzten Teil seines Satzes hob er gereizt die Stimme und nickte ruckartig in Richtung Bodeado, welcher dies mit einem dankbaren Nicken erwiderte, als wäre die Wut des Orks genau die Anerkennung die er brauchte. Der Ork selbst war im liegen groß, im Stehen sogar größer als ein wohlgenährter Durchschnittsnord und damit eine respekteinflößende Gestalt. Seine tiefschwarzen öligen Haare ließen einen großen Teil der Stirn offen und waren am Hinterkopf zu einem sehr kurzen Zopf zusammengebunden, so wie viele Orks ihre Haare arrangierten. Er war mittleren Alters, hatte olivgrüne Haut, ein typisch orkisches und rundes Gesicht und Zähne mit einem leichten Gelbstich. In ihrem Lager für die nächsten Paar Nächte hatte er seine imposante grün-braune Rüstung aus orkischem Stahl mit den dunkelgelben Verzierungen abgelegt und trug stattdessen einfache Kleidung aus brauner und grauer Wolle.
    Bei ihrem letzten Kampf in Hochfels - sie waren von ihrem Arbeitgeber gegen den Söldnertrupp eines rivalisierenden Adligen losgeschickt worden - hatte ein Nord mit einem gigantischen Hammer aus Stahl und einer gigantischen Gier nach Blut Rognags Beinschiene eingedellt und sein Bein mit einem einzigen Schwung gebrochen. Der Ork hatte überlebt, und dank Medizin und der vergangenen Zeit konnte er ab der ungefähren Mitte ihrer Reise nach Himmelsrand wieder aufrecht auf zwei Beinen stehen und sich ohne Hilfe fortbewegen. Dass Orks an sich sehr zähe Schweinehunde sind hatte dabei sicher auch geholfen.
    „Nun gut. Bodeado, wirf mir mal mein Geld zu.“
    „Natürlich doch! Geh und kauf dir eine Flöte damit, dann könnte die Truppe als Musiker durch Tamriel ziehen, eine Spur aus gebrochenen Herzen und gebrochenen Schädeln hinter sich herziehend. Unser grüner Freund Rognag bekommt aber nur eine Trommel. Außer einer Triangel wäre alles andere viel zu kompliziert für ihn!“
    Während der Ork irgendeine erzürnte Erwiderung stammelte, setzte sich der Rothwardone auf und tastete in einem naheliegenden Tornister nach dem gesuchten Säckchen mit Münzen. Nicht lange darauf drehte er sich wieder zum Kaiserlichen um und warf ihm die Septime zu.
    Bodeado trug einen einfachen Lederharnisch und hatte dunkelbraune stoppelige Haare. Seine lebenslustigen Augen waren Haselnussbraun und ein spitzes Bärtchen zierte sein Kinn. Von sich selbst hatte er immer behauptet, dass er einst mal ein Pirat auf dem Abeceanischen Meer gewesen sei, doch glaubte ihm das niemand so wirklich. Jedes Mal, wenn er davon erzählte - und er erzählte sehr oft davon - kamen neue Details hinzu, und alte Details veränderten sich oder verschwanden völlig.
    Stephanus fing den Geldbeutel in der Luft auf. Es war natürlich nicht sein ganzes Geld, denn die meisten seiner Septime existierten nur auf Papier. Die Kompanie hatte eine eigene kleine Bank, die einige Truhen in drei mit stabilen Käfigen versehenen Wagen umfasste. Die Kosten für Nahrung, Wasser und der Gleichen wurden vom Sold abgezogen, und der Rest nur stückweise und auf Nachfrage ausgezahlt. Einerseits konnte man sich seine Münzen so gut einteilen und vertrank oder verzockte nicht alles an einem Tag, andererseits war man finanziell plötzlich von der Kompanie abhängig. Je größer die Summe an abgehobenem Geld, desto mehr Fragen stellten der Schatzmeister und seine Gehilfen, und ohne guten Grund würde man seine Septime auf die Schnelle nicht bekommen. Das Gold wagte niemand zu stehlen, da die Geschichte des verbrannten Schatzmeisters immer noch die Runden machte und Ganlydyn an den wenigen, die es trotzdem versuchten, brutale Exempel statuierte: Ihnen wurden die Zunge und beide Hände entfernt, anschließend wurden sie im Lager vorgeführt und dann setzte man sie in der Wildnis aus.
    Stephanus zählte schnell die Münzen durch - man konnte ja nie wissen - und steckte das Säckchen in eine seiner Gürteltaschen, während seine beiden Zeltgenossen wieder anfingen zu streiten. Mit einem Nicken verabschiedete er sich von ihnen, auch wenn sie es nicht wirklich bemerkten. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Stephanus nahm es einfach so hin, und er konnte nicht anders als zu schmunzeln als er die Baracke wieder verließ und das letzte, das er von den beiden hörte war:
    „Holla holde Herrin von Wegrast-“
    „Halt endlich die Klappe!“

    Einige Minuten später hatte Stephanus zielstrebig das halbe Lager durchmessen, als seine Suche nach einem bestimmten runden Zelt endete, dessen Dach aus Planen ein kreisförmiges Loch hatte aus dem ohne Pause Rauch aufstieg, der den Stoff um die Rundung herum bereits geschwärzt hatte. Diese vom Wind weggetragene und unförmige Säule aus dichtem Qualm war nicht nur schwarz oder grau. Ab und zu war sie auf kurioser Weise grün verfärbt, manchmal sogar violett bis pink. Es war das teilweise mobile Labor des Alchemisten und seiner Gehilfen. Der Kaiserliche betrat den breiten Eingang des Zeltes und wurde sofort von einer Wolke aus den verschiedensten Gerüchen begrüßt: In einem Moment wohlriechend rosig, im anderen Moment eine deftige Ladung an Gewürzen, dann wieder scharf und eigenartig unbeschreiblich. Und diesen an manchen Stellen besonders konzentrierten Dunst konnte man trotz des offenstehenden Ausgangs sogar sehen. Wie leicht durchsichtiger Nebel trieben aus den unterschiedlichsten komplizierten alchemistischen Apparaturen aufsteigende Schwaden durch das Innere der Behausung aus Stoff und trieben Stephanus je nach Konsistenz Tränen in die Augen, während sie zugleich auch das Licht im inneren des Zeltes dämpften. Er kämpfte sich durch die mit Gasen geschwängerte Luft bis zu einem mit Büchern zugepflasterten Tresen nicht weit von der offenen Pforte vor und nickte den dahinterstehenden Mann mit einem einzelnen kaum unterdrückten Huster zum Gruß an. Dieser nickte zurück und Lächelte sanft, während er damit begann seine majestätischen Schnurrhaare abzutasten und die vor alchemischen Gasen wimmelnde Luft tief und genussvoll einzuatmen. Der Alchemist – unverkennbar ein Khajiit – trug eine an den Rändern verzierte Robe aus tiefvioletter Seide. Eine dazugehörende Kapuze lag tief im Gesicht des Tiermenschen, so dass seine licht reflektierenden und bernsteinfarbenen Augen nur knapp darunter hervorlugten. Über den Händen trug er einfache an den Fingerspitzen leicht grünliche Handschuhe aus Leder, so dass sich sein braun, schwarz und weiß geschecktes Fell nur in seinem Gesicht entblößte. Während die Katze noch mehr von der trägen und unsauberen Luft um sie herum einsog begnügte sich Stephanus damit, diese in einem Versuch mit zweifelhaftem Ausgang von seinem Gesicht weg zu fächern. Dies quittierte der Khajiit mit einem belustigten Blick. Mit einem lauten und entzückten „Ahh!“ stieß der Alchemist schließlich die Luft wieder aus und schenkte dem Kaiserlichen nun seine vorerst ungeteilte Aufmerksamkeit. Stephanus konnte mit zusammengekniffenen Augen die Gehilfen des Khajiiten durch den Dunst hindurch im Zelt herumirren sehen, doch er schenkte den schemenhaften Bewegungen im Hintergrund kaum Beachtung.
    „Was führt den Menschen in mein Reich der Kolben, Kalzineröfen und Retorten? Plagt ihn wieder die Schlaflosigkeit, ja?“
    „Richtig. Ich brauche fünf Flaschen.“
    Stephanus dankte den Neun, dass Bodeado nicht ihr Alchemist war. Er hätte, wie es eben seine Art war, nur geredet und geredet, während der Kater vor ihm sehr schnell zum Punkt kam. Der Kaiserliche wollte schnell wieder aus dem Zelt raus, denn das Gemisch aus bunten Dämpfen fing langsam an in seiner Nase und – was noch viel schlimmer war – in seinen Lungen zu brennen. Dem Alchemisten waren wohl schon alle Geruchsnerven vor Ewigkeiten weggeätzt, so dachte sich Stephanus.
    „Kommt sofort. Legt schon das Geld hin. Fünfzig Septime.“
    Ohne weitere Umschweife verzog sich der Khajiit in die Tiefen des künstlichen Nebels. Als eine Art Luxusartikel mussten Stephanus' Nachtschlaftränke separat bezahlt werden, und der Kaiserliche leerte den Beutelinhalt ohne noch einmal die Münzen zu zählen auf eine freie Stelle auf dem Tresen. Er kaufte immer die gleiche Menge, und der Preis veränderte sich nicht, so dass er immer genau wusste, wie viele Septime er bei seinen Besuchen dabei haben musste. Im ersten Moment würde man bei den Preis, den Stephanus jedes mal aufs Neue zahlen musste an Wucher denken. Aber fünf Flaschen reichten durchaus für eineinhalb bis zwei Monate aus. Genug für lange Märsche ohne besondere Zwischenstopps, mit Ausnahme der Nachtruhe. Warum der Preis gleich blieb wusste Stephanus nicht zu beantworten. Wenn es um den Handel ging kannte er außer einigen Tricks beim gelegentlichen Feilschen eigentlich gar nichts. Der Alchemist könnte die Preise diktiert bekommen, oder er wollte von sich aus seinen Kunden entgegen kommen, was der Kaiserliche allerdings anzweifelte. Der Khajiit setzte immer eine freundliche Miene auf und erhob seine Stimme nur selten zum Fluchen oder zum Schreien, was aber eher eine Fassade war.
    Der Alchemist, dessen Namen Stephanus selbst über all die Jahre hinweg nie erfahren hatte, verteilte nun geschickt fünf mittelgroße Flaschen auf der hölzernen Auflagefläche und auf den Einbänden der achtlos darauf gestapelten Bücher.
    „So. Die Zahl der Münzen stimmt. Der Mensch weiß, wie man dosiert. Habt noch einen schönen Tag in der Sonne,“ beendete der Khajiit die Transaktion und verabschiedete sich auch damit.
    Stephanus erwiderte dies mit einem von einem Grunzen begleiteten Nicken, verstaute die röhrenförmigen Glasbehälter und machte sich daraufhin mit fast schon zugekniffenen und tränenden Augen fluchtartig zum Ausgang auf, bei jedem Schritt damit beschäftigt zu husten und ein Würgen zu unterdrücken. Seine letzte Mahlzeit wollte er noch drinnen behalten, aber sie schien nicht einer Meinung mit ihm zu sein.
    Er dankte still den Neun als er schlussendlich aus der Öffnung stolperte und den in der Luft gelösten Chemikalien entkam. Seine selbst unter den Augenlidern brennenden Augäpfel mussten sich erst wieder an das Tageslicht gewöhnen, aber die saubere Luft sog er mit einigem Abstand vom Alchemistenzelt mit den Händen auf die Knie gestützt gierig und tief ein. Ob ihn jemand so sah war ihm im Moment egal. Seine Gedanken klärten sich wieder, als sein Hirn wieder an kostbaren Sauerstoff kam. Die Gase waren ihm wortwörtlich zum Kopf gestiegen.
    „Das wäre schonmal überstanden,“ sagte er zu niemandem besonders als er sich wieder aufrichtete und sich daraufhin schon wieder auf den Weg machte. Im Lager gab es bestimmt noch Arbeit zu verrichten. Und wenn er keine Arbeit fand, konnte er immer noch an Übungskämpfen teilnehmen.
    Geändert von Kampfkatze2 (04.06.2014 um 01:04 Uhr)

  14. #14

    Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab

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    Es schien, als wären die Wolken in tiefste Traurigkeit und Trübsinn verfallen, derart heftig ließ die graue Masse am Himmel ihren Inhalt hinabgießen. Als dichte Schleier, die im Wind wogten, versperrten sie Vesa die Sicht auf ihre Umgebung, hüllten sie in Verschwommenheit und undeutliche Formen. Der Himmel selbst schien auf die Erde zu stürzen und entsprechend roch es auch. Nicht nur die kalte Feuchtigkeit des Regens, die wie eine Glocke über dem Land hing, nein, auch Fäulnis und Verwesung, als wäre die Welt bereits tot und löse sich auf. Die Kaiserliche schüttelte sich, als ihr der Geruch heftig in die Nase stieß, und bereute es sofort. Jede Faser ihres Leibes schien aufzuflammen als stünde sie in einem großen Feuer. Sie wollte schreien, doch erstarb ihr der Laut im Hals. Mehr als ein raues Krächzen brachte sie nicht hervor.
    Je länger sie völlig durchnässt im Regen lag, grobe, unbequeme Steine im Rücken, ohne dass sie sich zu bewegen vermochte, desto größer schienen die Regentropfen zu werden. Irgendwann dröhnte jeder einzelne Aufschlag durch ihren Kopf wie ein Hieb mit dem Hammer. Paralysiert im Schmerz blieb ihr nichts anderes übrig, als die Beben im Schädel zu ertragen, hoffend es würde aufhören zu regnen. Doch das tat es nicht und so schrumpfte sie in sich zusammen, ohne Kontrolle über ihren Leib, zusammengerollt wie ein Kleinkind. Die Hände auf die Ohren gepresst, als könnten sie so das Donnern aussperren. Es endete in größerer Enttäuschung und Wut darüber, dass es nicht funktionierte. Im Gegenteil, es schien vielmehr so, als hielten sie das Dröhnen davon ab, aus ihrem Haupt zu entweichen und verstärkten es noch mehr.
    Platsch, platsch, platsch. Jeder Tropfen weckte ein heißes Brennen, dass vom Hinterkopf aus um sich griff wie ein Waldbrand. Heiße Bahnen zogen sich von dort ausgehend über ihre Kopfhaut, brannten sich gleich flüssigem Eisen ein. Tiefes Grollen begleitete die brennenden Schmerzen, wurde lauter und umfing sie als Gewittersturm. Vibrierend fraß es sich Vesana hinein, jede noch so kleine Erschütterung ließ heiße Stiche durch ihren Schädel fahren bis sie sich schließlich fest in den Untergrund krallte und vor Schmerz stöhnend in den Boden biss. Krampfend bohrten sich ihre Finger durch die groben Steine unter ihr während sich der bitter-schmierige Geschmack von feuchtem Holz auf ihrer Zunge ausbreitete.
    Erst als sie das widerlich pelzige Gefühl im Mund spuckend versuchte loszuwerden und sowohl ihr eigenes Stöhnen, wie auch das Grollen gleichzeitig erstarben, wurde sie sich bewusst, dass letzteres nicht aus den Wolken zu ihr hinabgerollt kam, sondern sich ihrer eigenen Kehle entwunden hatte. Dem nicht genug, das Sonnenlicht schien zu sterben, wich einem milderen, schwächeren Schimmer, der flackerte und den Himmel in Schwärze verdunkelte. Die kontinuierlichen Regenschauer wichen einzelnen, schweren Tropfen, die ihr auf den brennenden Hinterkopf klatschten und jedes Mal ein Schwert durch ihr Haupt rammten. Unter ihr lag Vesas Bogen auf schwarzem, brüchigem Steinboden. Er schien als hätte jemand mit spitzen Zähnen in ihn hineingebissen.
    Mühsam stemmte sich die Kaiserliche hoch, unendlich kraftlos und zittrig, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen. Gerade so erkannte sie noch, wie die freigelassenen Finger, die aus ihren Handschuhen herausstanden, ihre Farbe von aschgrau zu einer menschlicheren Farbe änderten und sich die Fingernägel von, eben noch scharfe Klauen, zurückzogen und sich an den Fingerkuppen dunkel unterlaufen verkürzten. Tropfen rannen ihr durch das Haar auf die Wangen bis zu den Mundwinkeln und verbreiteten dort einen matten, bitteren Geschmack von Eisen. Auf allen Vieren hob sie die Rechte, schüttelnd als erfriere sie gerade, dabei besaß sie schlicht keine Kraft um mehr als sich selbst zu halten, und griff sich mit den schmutzverkrusteten Fingern ins Haar am Hinterkopf. Stöhnend und gleichzeitig grollend zog sie sie ruckartig zurück, als ihr ein neuerlicher Hammerschlag für einen Moment die Sehkraft schwinden und sie auf die rechte Schulter hinabsinken ließ. Knackend schoben sich augenblicklich wieder ihre Krallen und scharfen Eckzähne hervor.
    Hunger, Wut und Schmerz schwächten ihre menschliche Form und brachten das Biest zum Toben und doch schaffte es keiner Beiden die Oberhand zu gewinnen. Der Kampf schwächte sie zusätzlich und zwang sie dazu, liegen zu bleiben. Der Wolf spürte die Vollmonde während der Mensch sich nach Ruhe und Erholung sehnte, wissend, dass es hier unten ohnehin keine Beute zu holen gäbe und mit dem angeschlagen Fuß käme auch ihre Tierform nicht aus dem Loch.
    Übel, vom krampfenden Magen, der nach mehr verlangte als Brot und Fett, mit flammender Brust im Kampf zwischen Mensch und Tier und einem Kopf so schwer wie ein Amboss und ähnlich starken Schlägen ausgesetzt, lag die Kaiserliche am unteren Ende des Schutthaufens und krümmte sich. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, während ihr Tropfen von der Tunneldecke auf den Schädel schlugen und ihr Lebenssaft heiß aus einer kleinen Wunde am Hinterkopf auf die Steine sickerte. Salzige Tränen, so voll mit Frust, Wut und Schmerz, dass sie hätten töten können, brannten ihr in den Augen und ergossen sich über ihre schmutzige Haut.
    Wie lange war sie wohl bewusstlos gewesen? Ein paar Stunden? Minuten? Einen Tag? Vermutlich ersteres und doch hätte es ebenso gut Morgen oder Mittag, Abend oder noch dieselbe Nacht sein können.
    Noch immer mit ausgefahrenen Krallen und Eckzähnen nahm Vesa die Hände vom Gesicht und schaute hinauf zum oberen Ende des Steinhaufens. Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Träge, gleich einer Schildkröte, begann sie damit, sich die losen Steine hinaufzuschleifen. Ein mühsames Unterfangen, das sich derart lange hinzog, dass ebenso gut ein Tag vergehen mochte. Dennoch schaffte sie es nach oben und blieb so ausgelaugt wie selten zuvor bäuchlings liegen. Schnaufend hob sich ihr Brustkorb schwer, brannte als wäre er mit heißem Öl ausgegossen und gelegentlich glaubte sie die Rippen knacken zu hören, während das Biest versuchte auszubrechen aber augenscheinlich nicht genug Kraft zu besitzen schien.
    Vorsichtig, darauf bedachte nicht anzuecken, wandte die Kaiserliche nach schier ewigen Momenten den Kopf und versuchte aus dem Augenwinkel heraus in das Loch hinaufzuspähen. Noch immer erfüllte völlige Schwärze den senkrechten Tunnel. Doch an seinem Ende ließ sich etwas erkennen, mehr eine Ahnung denn etwas wirklich greifbares, das aussah wie erstes Tageslicht, das in morgendlicher Schwäche versuchte durch dichtes Astwerk zu dringen. Konnte es wirklich sein? Sollte es tatsächlich schon Morgen sein? Sie musste wirklich Stunden bewusstlos gewesen sein. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder entsetzt sein sollte. Doch der Wolf machte ihr die Entscheidung letztlich leicht, als er sie sich aufbäumen und wütend grollen ließ. Klauen weit ausgefahren und das Gebiss bereits verschoben hob sich ihr Oberkörper auf die Ellbogen gestemmt und der Kopf in den Nacken gelegt. Der Kraftakt erstarb bald, endete in einem kläglichen Wimmern und ließ die Kaiserliche in sich zusammenfallen wie ein Schluck Wasser.
    Dafür fiel ihr Blick nun dorthin, wo sie zuletzt den Waschbären gesehen hatte. Entsetzt weiteten sich ihre Augen und das Herz krampfte derart, dass sie sich mit der Hand gegen die Brust langte und die Finger fest in das Leder ihrer Jacke krallte. Unregelmäßig atmend musste sie sich zusammenreißen, um nicht sofort wieder ohnmächtig zu werden oder laut zu aufzuschreien. Sogar das Biest in ihrer Brust hielt inne. Noch immer zeichneten Fellfetzen und dunkle Blutflecken die Stelle, an der das Tier aufgeschlagen war. Einige der völlig zerschellten, winzigen Knochen lagen auch noch herum. Aber etwas ganz Entscheidendes hatte sich an der Aufschlagstelle verändert und allein der eine Gedanke vertrieb sämtliche Fähigkeit an irgendetwas anderes zu denken, als wäre ihr Kopf mit einem Mal mit Nebel gefüllt.
    Mit unsteten Augen schaute sie in die Dunkelheit auf der anderen Seite des Trümmerhaufens hinab. Nichts. Zurück zur Stelle, wo der Waschbär gelandet war. Nichts. Vesana schloss die Lider, rieb kurz darüber und öffnete sie erneut. Nichts. Langsam, den rasselnden Atem zu beruhigen versuchend, schob sie sich zu ihrer Nachtstatt hinab und nahm sich ihre Laterne mit, die noch immer oben gestanden hatte und inzwischen gefährlich weit abgebrannt war. Ein letzter Blick, um sicher zu gehen, dass sie nicht völlig verrückt wurde. Nein, wurde sie nicht. Der geschundene Leib des Waschbären fehlte.



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    Geändert von Bahaar (19.07.2014 um 13:46 Uhr)

  15. #15

    Skyrim, Fürstentum Reach, vor den Mauern Markarths

    Sylaen richtete sich auf und warf einen weiteren Scheit ins Feuer. Er landete mit einem knistern auf seinen bereits verkohlten Artgenossen, wobei er ein wenig Asche aufwirbelte. Während der nach Kohle riechende Rauch zusammen mit einigen Funken in den ruhigen nächtlichen Himmel aufstieg, starrte Stephanus in die tanzenden Flammen und wunderte sich, ob es durch die Verworrenheiten des Schicksals dazu gekommen war, dass es sich bei dem frischen Holzscheit um einen von eben jenen handelte, die der Bretone heute Mittag fallen gelassen hatte. Wie war sein Name noch gleich gewesen? Delstian? Elstian? Er wusste es nicht mehr. Er hatte ihn über den Tag hinweg völlig vergessen. Stephanus und seine Gedanken waren durchgehend beschäftigt gewesen. Vom Training und von der Arbeit im Lager wehklagten seine mittlerweile müden Muskeln. Seine Waffen hatte er erneut geschärft, zudem hatte er bei den letzten Arbeiten an der lächerlichen Holzpalisade geholfen, die jetzt das Lager umspannte.
    Das meiste Holz wurde importiert, denn Reach war nicht für seine dichten und tiefen Wälder bekannt. Im Gegenteil. Neben vertrocknet aussehendem Gras und den stellenweise wachsenden Büschen gab es kaum erwähnenswerte Vegetation. Mit Ausnahme der vereinzelten Bäume. Die knorrigen dürren Pflanzen trugen kaum Blätter und schienen aus den unerbittlichen Felsen der Umgebung und allen Widrigkeiten des trockenen Klippenlandes zu trotz stur dem Himmel entgegen zu wachsen. Sie sahen uralt aus, verhärmt und verbogen. Sie waren starrköpfige, trotzige Greise, die es obgleich ihres Alters der erbarmungslosen Natur zeigen wollten, und sich auch noch fest vorgenommen hatten, die Berge selbst zu überdauern.
    Und während die Funken wie rote Glühwürmchen aufstiegen, musste Stephanus plötzlich an lang vergessene Abende denken, bei denen er ebenfalls vor einem Lagerfeuer gesessen hatte. Damals war er aber von anderen Leuten umgeben gewesen. Von vertrauteren Leuten, und vertrauenswürdigen. Unverhofft überrumpelten ihn Melancholie, Sehnsucht und Einsamkeit, als er an die in seinen Erinnerungen bereits verschwimmenden Gesichter seiner verflossenen Mitstreiter dachte und seine Gedanken sich auf Wanderschaft begaben.
    Als er die Augen schloss konnte er sie unter seinen Lidern deutlich am Feuer sitzen sehen, noch lebendig und glücklich miteinander lachend. Die Erinnerung schmerzte, und es fiel ihm schwer sich zusammenzureißen und vor den ihn in der Gegenwart umgebenden Zeitgenossen zu verbergen, was in ihm vorging.
    Ein Schemen an der Feuerstelle in seinem Kopf winkte ihm zu. Elberond, ein Bosmer, an einem Hitzschlag in der Alik'r Wüste gestorben, circa fünf Jahre nachdem Stephanus sich eingeschrieben hatte. Als das Kaiserreich 4Ä 175 Hammerfell als Provinz verstieß, wurden die Rothwardonen sehr misstrauisch allen Ausländern gegenüber, und die Söldner wurden nur für Ziele von sekundärer Bedeutung genutzt. Dies hinderte sie nicht, ihre angekauften Waffenträger wortwörtlich in die Wüste zu schicken. Ein Jahr nach Elberonds Tod hatten es die stolzen Einwohner Hammerfells schließlich fast im Alleingang geschafft, die Armeen des Aldmeri-Bundes vollständig zurückzuschlagen. Der Elf war einer seiner ersten und besten Freunde gewesen. Ungefähr im gleichen Alter, aufgeweckt, und entgegen allen Erwartungen ein miserabler Bogenschütze. Sie hatten sich die Strapazen der Kampfausbildung und der niederen Arbeiten der Rekruten geteilt, ihr Essen, ihre Geschichten, Witze und Philosophien. Er war wie ein Bruder für ihn gewesen. Sie mussten ihn am Ende zurücklassen. Die Sonne hatte gleichgültig und zerschmetternd auf sie herabgebrannt, und auf niemanden wurde während des Marsches Rücksicht genommen.
    Wer hinfiel und nicht mehr die Kraft fand von alleine wieder aufzustehen war tot.
    Neben ihm saß ein weiterer Kamerad aus seinen ersten Jahren: Der Ohrlose Oswald, ein Nord, der noch vor ihrer Begegnung beide Ohren an den Frost verloren hatte. Der trinkfesteste Mann, den Stephanus je gekannt hatte, mit dem Körperbau eines Bären und der geballten Kraft eines Erdrutsches. Für Stephanus war er ein Ersatzvater gewesen. Ein klobiger Prolet, der sich aber auch selbst Grenzen gesetzt hatte, und auch nicht so dumm war, wie er aussah. Der Nord hatte ihm vieles über den Nahkampf mit Schwert und Schild beigebracht. Seine Moral hatte Stephanus geformt. Im Scherz hatte Elberond einst gesagt, man könnte den Ausgang einer bevorstehenden Schlacht voraussagen, wenn man auf Oswalds kahlen Schädel spuckte und alles gut auf voller Fläche verteilte und dann lange genug in sein vom Kahlkopf reflektiertes Gesicht sah. Oswald war an der Grenze zwischen Morrowind und Schwarzmarsch bei einem Scharmützel gefallen, aber nicht bevor er womöglich übertriebenen Berichten zufolge zehn Argonier mit in den Tod gerissen hatte. Der Nord hatte eine Halskette aus Stahl getragen, rief sich Stephanus in Erinnerung. Eine Kette, die er selbst geschmiedet hatte.
    In seinem Kopf hörte er ihn wie damals brummen: „Sie her, Stephanus. Dinge die du selber machst, halten am besten. Wie diese Kette hier. Ich habe sie mit meinen eigenen verdammten Händen gefertigt. Sie ist nicht von weltlichem wert, nicht aus Gold, auch nicht aus Silber, aber bei Ysmir, ich kann dir garantieren, sie wird uns beide überdauern.“
    Trotz seiner Bemühungen war es Stephanus damals nicht vergönnt gewesen dieses Erinnerungsstück zu bergen.
    Dann waren da noch Dan-Za, Madril, Sorink, der grünhändige Malik und Viania Catraso. Aber die Liste der Namen ging immer weiter und verlor sich zum Teil in der trüben Tiefe des Vergessens. Mit Vielen von ihnen hatte Stephanus gute Erinnerungen, mit einigen hatte er sich nur das Zelt, den ein oder anderen Schlauch Wein und die Wärme des Feuers geteilt. Allein das galt unter manchen Umständen schon als Freundschaft. Seit fast schon 30 Jahren kamen und gingen die Gesichter. In seinem Beruf wurde man nur selten alt.
    Er lächelte dann doch gequält, als er sich vor allem an die Zeit mit Viania zurückerinnerte. Beim Gedanken an sie fühlte der Kaiserliche noch stärkere Sehnsucht in sich aufsteigen. Seine erste Liebe außerhalb der Kaiserstadt. Die Zeit mit ihr war unbeschreiblich gewesen, die besten Jahre seines damals jungen Lebens. Deutlich sah er ihre smaragdgrünen Augen und ihre freche, lebensfrohe Art. Diese Eigenschaften waren, neben ihren besonderen gemeinsamen Momenten, die einzigen Erinnerungen die er an sie noch hatte.
    „Du hast echt eine bemerkenswerte Fähigkeit, dich nur an die Augen deiner Mitmenschen zu erinnern,“ stellte der Kaiserliche selbstkritisch fest.
    Stephanus seufzte und fuhr sich durch den Bart. Die Zeit in der Oswald, Viana und Elberond noch lebten... Damals war er ein wahrer Schönling gewesen, doch dass war bevor er aufgehört hatte, sich zu rasieren, bevor er vom Krieg und den beschwerlichsten Umständen gezeichnet wurde (seine Nase tat ihm hin und wieder immer noch weh), und bevor die Spuren der Zeit sich geduldig und unaufhaltsam in sein Antlitz schlichen. Über die Jahre hinweg war er verbittert und zynisch geworden. Wie war es nur so weit mit ihm gekommen?
    „Nein, nicht zynischer,“ dementierte ein Teil von ihm. „Du bist nur weniger Dumm und Naiv als früher.“
    Er wurde jäh aus seinen Gedanken geschreckt, als Sylaen ihn leicht in die Seite stieß.
    „Schlaft nicht ein, alter Mann. Hrard kommt gleich und teilt die Wache ein.“
    Stephanus quittierte die Bemerkung der Elfe mit einem leisen Murren und nickte dann Cocius, dem anderen Kaiserlichen in der Gruppe zu, der ebenfalls unweit von ihm am Feuer saß. Nachdem er sich seiner Aufmerksamkeit sicher war, sagte er:
    „Cocius, reich mir mal den Wein.“
    Der angesprochene Kaiserliche nahm noch einen letzten Schluck aus dem ledernen Behältnis und streckte seinen Arm dann mitsamt Weinschlauch Stephanus entgegen. Dieser griff sich den Lederbeutel, löste den an einem Seil befestigten Korken und setzte die nun freie Öffnung an seinen Lippen an, nicht ohne dem anderen Kaiserlichen ein dankbares Nicken entgegenzubringen. Er schloss die Augen als die süße Flüssigkeit in seinen Hals ran und ihn mit Wärme erfüllte. Das Feuer hielt zwar einen Teil seiner Vorderseite warm, aber jedes Stück seines Körpers, das Stephanus von den Flammen abwandte oder das zu weit weg lag wurde Opfer der nächtlichen Kälte und ihrer seltsam milden Umarmung. Dieser zwielichtige Zustand hatte einen eigenartigen Reiz. Der Kaiserliche zog es aber vor, sich vollständig in wohlige Wärme zu wiegen, wobei der Wein gut half.
    Grillen zirpten um sie herum und wetteiferten mit Bodeado, der irgendwo in der Nähe gedankenverloren an den Seiten seiner Harfe zupfte.
    Sylaen stellte unvermittelt eine Frage: „Hat jemand 'ne Ahnung, warum wir überhaupt hier sind? Ich meine, was läuft in Himmelsrand ab?“
    Niemand antwortete. Sie stieß Stephanus erneut an und stellte ihre Frage ein zweites Mal.
    Der Kaiserliche seufzte und rückte ein wenig von ihr weg. Er wollte von der Waldelfe wirklich nicht angefasst werden. Besser jetzt reden, dachte er dann, während er ganz diszipliniert seine aufkochende Wut unterdrückte.
    „Einfach,“ erwiderte er dann so gleichgültig, wie er nur konnte, „Ulfric Sturmmantel will den Thron von Himmelsrand und hat dafür den Hochkönig umgelegt. Das Kaiserreich hat das natürlich nicht einfach so hingenommen, und jetzt hat er einen Bürgerkrieg angestachelt.“
    Als Söldner behielt Stephanus seine Meinung für sich, aber das bedeutete nicht, dass er sich keine bildete. In seinen Augen war Ulfric nichts weiter als ein weiterer Adliger, der bei seinen Versuchen Macht zu gewinnen gescheitert war und nun einen zweiten Anlauf startete. Dass Sturmmantel dabei vorgab, allein für die Unabhängigkeit von Himmelsrand zu kämpfen, hielt der Kaiserliche für absolut verdammenswert. Wie viele arme Naivlinge würde er unter seinem Banner vereinen können? Stephanus verabscheute Menschen wie Ulfric, die andere manipulierten und ihre Ängste und Träume ausnutzten um dadurch an ihre eigenen Ziele zu kommen. Wenn es die Situation nicht unbedingt erforderte verbarg Stephanus seine Absichten nicht. Wollte er jemanden töten, dann versteckte er das nicht.
    „Aber wenn du ganz ehrlich bist,“ forschte eine nachdenkliche Stimme in seinem Kopf nach, „würdest du unter den gleichen Umständen nicht das selbe tun?“
    Ja. Ja, das würde er wohl.
    „Verdammter Narr,“ verbesserte er sich selbst im Nachhinein, „du bist keinen Deut besser.“
    Was war heute Abend los mit ihm? Über Dinge wie Moral und die Menschen aus seiner Vergangenheit hatte er lange nicht mehr nachgedacht.
    „Wie viele Leute hat er?“ erkundigte sich die Elfe weiter.
    Stephanus wusste, dass sie keine Angst vor einer Überzahl an Feinden hatte. Das Miststück wollte nur wissen, wie lange sie in der nordischen Provinz bleiben würden.
    „Hrard meint, er hat den ganzen Osten hinter sich.“
    „Den ganzen Osten?“
    „Ja,“ knurrte er.
    „Dann bleiben wir wohl ein Weilchen hier.“
    „Ja.“
    Sie verzog den Mund und blickte finster drein. „Ich mag's hier nicht. Himmelsrand ist zu kalt.“
    „Musst dich wärmer anziehen,“ brachte Cocius sich ins Gespräch ein.
    Stephanus wand sich von seiner Sitznachbarin ab und lehnte sich zurück, während Cocius und Sylaen die Unterhaltung weiterführten. Er wechselte normalerweise keine Worte mit ihr und erwiderte nur selten etwas, wenn sie ihn ansprach. Seine Miene verfinsterte sich, während er am Rande mitbekam, wie Cocius anfing, mit der blonden Waldelfe zu flirten. Dieser Idiot hatte ja keine Ahnung. Aber er wollte sich nicht die Mühe machen ihn vorzuwarnen. Nein, dass war jetzt nicht seine Angelegenheit. Sollte der andere Kaiserliche von alleine darauf kommen, wie psychotisch Sylaen sein konnte. Ihren Beinamen „Jungelfe“ hatte sie dadurch bekommen, dass sie einmal erwähnt hatte, dass sie mit ihren fünfzig Lebensjahren im Vergleich zu anderen Elfen recht Jung war. Im Augenblick hatte sie eine gute Phase, aber ihr Gemütszustand konnte sich drastisch von einen Moment auf den anderen ändern. Er verspürte Ekel bei der Erinnerung an eine ihrer neulichen Episoden. Er hatte sie bei einer Pause auf ihrem beschwerlichen Trip über die Grenze von Hochfels dabei erwischt, wie sie ihre krankhaften Zwänge an einem armen Hasen ausließ. Das Tier war offensichtlich paralysiert gewesen, denn unter normalen Umständen hätte es sich gewehrt und geschrien wie am Spieß, während seine Peinigerin ihm systematisch jeden einzelnen Knochen brach. Dabei hatte Slyaen die ganze Zeit über vor Verzückung gekichert, und Stephanus hatte an den Augen des Tieres gesehen, dass es bei vollem Bewusstsein war. Das stumme Leid und das perverse Gackern der Frau hatten in dem Kaiserlichen eine Mischung aus Wut und Ekel ausgelöst. Bis dahin hatte er zwar gewusst, dass sie geisteskrank war, aber ab diesem Augenblick war ihm bewusst, wie tief der gewalttätige Wahnsinn in ihr steckte. Als sie ihn letztlich doch bemerkte hatte sie ihn böse angefunkelt und ihm gesagt, er solle sich gefälligst um seinen eigenen Kram kümmern. Er hatte es nicht gebraucht, ihr zu sagen, wie krank sie ihn machte. Sein Gesichtsausdruck allein hatte Bände gesprochen, und sie hatte zu genüge darin gelesen. Zu gerne hätte er sie in diesem Moment umgebracht, doch ein gefolterter Hase war leider keine ausreichende Berechtigung. Solange man der Kompanie Geld einbrachte und seine eigenen Leute nicht wegen jeder beliebigen Belanglosigkeit tötete, konnte man so viele Hasen malträtieren, wie man wollte. Er arbeitete nun mal mit Mördern zusammen. Berüchtigte Ex-Banditen, entlaufene Sträflinge, Vergewaltiger.
    „Wann werden denn jetzt die Wachen eingeteilt?“ fragte jemand unvermittelt.
    Wie auf ein geheimes Zeichen hin schälte sich von einen Moment auf den anderen Hrards Umriss in einigem Abstand auf der anderen Seite der Feuerstelle aus der Dunkelheit. Die knisternden Feuerzungen beleuchteten sein Gesicht, tauchten es in dunkles Orange und Gelb und ließen die Furchen in seinen harten Gesichtszügen noch tiefer als sonst erscheinen. Der kräftig gebaute Nord war frisch rasiert, und seine strohblonden Haare lagen zu dünnen Zöpfen geflochten auf der linken Seite seines Kopfes. Seine dunklen Augen gingen fast im Flimmern der über den Flammen erhitzen Luft und den Schatten in seinem ernsten Gesicht unter, und nur das sich in ihnen spiegelnde Feuer versicherte dem Betrachter, dass sich in Hrards Augenhöhlen tatsächlich Augäpfel befanden und nicht nur dunkle Leere. Stephanus korkte den Weinbeutel wieder zu und begrüßte den Neuankömmling dann mit einem Kopfnicken. Er respektierte den Mann.
    Alle Gesichter, die sich um das Feuer herum versammelt hatten, waren nun auf Hrard gerichtet und alle Gespräche zwischen ihnen waren verstummt.
    Ohne Umschweife erhob der Nord seine tiefe und etwas monoton klingende Stimme, während er seinen gespenstischen Blick über jeden einzelnen von ihnen wandern ließ:
    „Wir bewachen diese Nacht das östliche Ende des Lagers an der Straße. Levinius, Stahlzapfen, gro-Ogdum, Meum-Te. Ihr Vier habt bis Eins Wache. Bodeado, Jungelfe, Spurius, Bärenpelz, bis vier. Fleisch, gro-Golug, Jungeiche und ich bis Morgenappell. Ich stelle gleich die Sanduhren. Der Rest von euch kann heute Nacht ausschlafen.“
    Danach ging der Nord wieder seines Weges und verschwand im Schatten der Umgebung.
    Sofort regte sich die Meute um das Lagerfeuer herum wieder, als währen sie aus einer Kältestarre gebrochen und hätten sich an den Ofen erinnert, den sie zuhause angelassen hatten. Stephanus und die drei anderen Erstschichtler zogen sich auf ihre Beine und machten sich auf, um ihre Ausrüstung zu holen. Zuvor reichte der Kaiserliche aber den sich in seiner Hand leicht verformenden Schlauch an seine Kumpane zurück.
    Sie befanden sich in der Nähe der Stadt und außerhalb eines potenziellen Kriegsgebiets in relativer Sicherheit und konnten sich kurze Wachschichten leisten. Zusätzlich konnte Stephanus unter diesen Umständen auch seine Paranoia überwinden und er hatte für die vorhergegangene Arbeit seine Rüstung und sein Schwert beim Quartiermeister abgegeben. Seinen Dolch behielt er selbstverständlich immer bei sich.
    Reach war selbst im Ausland berüchtigt für seine unsicheren Straßen. Die „Abgeschworenen“, wie sie sich nannten, griffen Gerüchten zufolge jeden an, der das Pech hatte, in ihre nähe zu kommen oder in einen ihrer Hinterhalte zu geraten. Bis jetzt hatte die Kompanie aber keinen einzigen von ihnen zu Gesicht bekommen. Auf der Reise nach Himmelsrand erlitt ihr Trupp auch keine Nennenswerten Verluste, weder durch Banditen oder durch Unfälle. Stephanus konnte also mit weniger Streng verteilten Wachschichten leben. Er bevorzugte es auch in die erste Schicht eingeteilt zu werden, was Hrard bewusst war. Vielleicht wollte der Nord ihn für irgendwas belohnen, oder es war auch nur kompletter Zufall. Für das letztere Sprach, dass eine durchgeschlafene Nacht viel eher eine Belohnung gewesen wäre.

    Man hörte die Zeltgruppe der Schmiede bevor man sie sah: Selbst noch in der Nacht arbeiteten einige Schmiede unter der Leitung eines Meisters an ihren improvisierten Schmelzöfen und hämmerten an Ambossen auf metallene Rohlinge ein.
    Hier und da konnte man auch das quietschen und kratzen eines Schleifsteins hören. Gesellen besserten Rüstungen aus und reparierten Waffen und machten sie wieder kampfbereit. Sie stellten einfache Äxte, Kolben und Schwerter her, Hufeisen, Nägel, eiserne Heringe und dergleichen. Die Herstellung von Rüstungen war allein die Aufgabe des Meisterschmieds. Wie über dem Zelt des Alchemisten stieg hier Rauch auf, dieser blieb im Gegensatz zu der anderen Wolke aus Qualm naturbelassen. Der Geruch von Ruß und verbrannter Kohle erfüllte die Luft, eine rauchige Note, die Stephanus schon immer gefallen hatte, und hier war sie stärker noch als vergleichsweise der Duft, der im Wind von der Stadt bis ins Lager mitschwang. Die gesamte Ausrüstung war schwer zu transportieren, und sie wurde auch erst dann aufgebaut, wenn ein längerer Aufenthalt sicher war.
    Trotz des Lärms und der immer noch aktiven Arbeit schlief der große Teil der Handwerker bereits, in den meisten Öfen brannte die Glut einsam pulsierend vor sich hin und wartete darauf, wieder aufgeheizt zu werden und durch ihre künstlichen Lungen – die Blasebälge - neue Luft und damit neues Leben einzuatmen. Am Rand des kleinen Abschnitts im Lager befand sich eine Reihe von Baracken die als Waffenkammer herhalten mussten. Zwei Männer bewachten den Eingang, und im Innern trieb einer der Quartiermeister sein Unwesen: Ein magerer, kleiner und kahlköpfiger Bretone in einem speckigen, dunkelgelb gefärbten Lederwams. Stephanus kannte ihn beim Namen.
    „Maniel. Meine Sachen.“
    „Nachtwache?“
    „Ja.“
    Der Bretone nickte daraufhin, und ohne weiteren Wortwechsel pfiff der Mann dann nach seinen Assistenten, die faul im Halbschlaf zwischen Waffen- und Rüstungsständern hervorguckten und sofort um einiges wacher wurden, als der Quartiermeister sich vom Kaiserlichen wegdrehte und sie scharf Anschrie und ihnen einen schönen Urlaub in Oblivion selbst versprach, sollten sie sich nicht gefälligst in Bewegung setzten.
    Wie von Molag Bal verfolgt trugen sie in Windeseile Stephanus' Ausrüstung zusammen. Kurze Zeit später steckte er dann auch schon in seiner Rüstung und fühlte sich gleich viel wohler. Es war, als würde man an einem klammen kalten Tag einen Mantel überziehen, um sich vor dem frostigen Wind zu schützen. Oder als würde man bei strömenden Regen eine wasserfeste Kapuze aufsetzen. Doch noch wichtiger war ihm sein Schwert. Erst jetzt gestand er sich ein, wie nackt er sich ohne seine Waffe gefühlt hatte.
    Mit einem kindischen Lächeln hielt er die Klinge gegen eine Fackel in seiner Nähe und beobachtete, wie sich das Feuer darin spiegelte. Es war eine schöne Waffe. Für den größten Teil war die zweischneidige Klinge aus dunklem Stahl auf den ersten Blick schnurgerade und verjüngte sich nur allmählich, lief am Ende aber Ende unvermittelt zu einer dreieckigen Spitze zusammen, dem Ort. Die Hohlkehle des Schwertes hatte eine mattere Beschaffenheit, als zum Beispiel die wie ein Spiegel glänzende Schneide, und endete kurz vor der Fehlschärfe.
    Der Schwertknauf besaß die Form einer großen Münze und war aus Eisen gefertigt. Sein Gewicht gab Stephanus' Waffe mehr Balance, da es das Gewicht der Klinge ausglich. Zudem eine Parierstange aus Stahl. Viele seiner Mitstreiter besaßen Schwerter mit Parierstangen aus Messing, doch war dieses Metall einfacher zu bearbeiten, wies im Ausgleich aber eine geringere Haltbarkeit vor. Eine sich verformende – oder im schlimmsten Fall sogar zerbrechende – Parierstange konnte einem Schwertkämpfer schnell das Leben kosten.
    Und dann war da noch das Heft aus Hartholz, umwickelt mit dunkelbraunem Leder. Es lag gut und stabil in der Hand, und es bot gerade genug platz für zwei Hände. Dadurch konnte Stephanus das Schwert je nach Situation mit einer oder mit zwei Händen führen: Entweder mit einem Schild für zusätzlichen und vor allem beim Kampf gegen Bogenschützen entscheidenden Schutz, oder mit beiden Händen für zusätzliche Schlagkraft. Diese Waffe war geschmiedet, um gerüstete Gegner zu bekämpfen, genau was Stephanus brauchte. Zwar war sie beim Handgemenge in engen Bereichen durch ihre Länge weniger effektiv als kürzere Blankwaffen, aber in solchen Umständen fand der Kaiserliche sich nur selten wieder. Das offene Feld war sein übliches Kampfgebiet.
    Stephanus schob sein Schwert in die mit Fell gefütterte Scheide und befestigte sie auf der linken Seite seines Körpers an seinem Gürtel. Hiernach wünschte er Maniel und seinen faulen Lehrlingen eine gute Nacht und machte sich dann auf.

    Er war auf halben Wege zu seinem Posten, als Jemand Stephanus im gehen auf die Schulter klopfte, und er brauchte sich nicht erst umzudrehen, um zu wissen, um wen es sich handelte. Das Gewicht der großen Pranke zu spüren war schon genug, und nun gingen er und Soldin Stahlzapfen nebeneinander her. Unweit hinter sich konnte Stephanus noch die Schritte der anderen Männer hören, die ebenfalls der ersten Wache zugeteilt wurden, als der Wind zunahm und sich in ihren Haaren verfing. Hier und dort klatschten die Zeltplanen dumpf auf, wie Segel, die den Wind einfingen.
    „Na, Levinius? Wie gefällt Euch Himmelsrand?“ Mit einem herzlichen Lachen und einem vor Glück strahlenden Gesicht ließ Soldin von der Schulter des Kaiserlichen ab, und breitete stattdessen die Arme aus und deutete sie auf das das Land umgebende Gebirge. Masser und Secunda vermochten es an diesem Tag kaum die Nacht zu erhellen, so dass sich die Berge als gigantischer Schatten fast schon bedrohlich vor dem Sternenhimmel abzeichneten. Die Augen des Nord funkelten bei seiner Pose wie die eines Diebs, der es nach langen Strapazen endlich geschafft hatte, in ein Goldlager von unschätzbaren Ausmaßen zu gelangen.
    „Könnt Ihr es sehen? Es riechen? Einfach verdammt wunderbar wieder in der Heimat zu sein!“, brüllte er schon fast.
    „Alles was ich sehen kann ist Euer Großkopf, Stahlzapfen,“ erwiderte Stephanus trocken.
    „Wie meinen?“ Der massige Nordmann hielt inne und drehte sich zu ihm um.
    „Ja. Und je mehr ihr über Himmelsrand erzählt, desto mehr wächst er auch an.“
    Der Nord hatte der gesamten Mannschaft schon seit dem Moment an, an dem sie zur Grenze aufgebrochen waren, mit der glorreichen Heimat der Menschen auf Tamriel, Himmelsrand in den Ohren gelegen. Langsam reichte es.
    „Wenn Ihr nicht aufpasst, dann platzt er gleich.“
    „Vielleicht sollte ich Euren Kopf platzen lassen, kaiserlicher Hundesohn.“
    „Ach ja?“
    Stahlzapfen nickte mit einem finsteren Lächeln auf dem Gesicht: „Ja. Und wenn dann mein eigener Kopf platzt, muss ich wenigstens nicht Euren stinkenden Leichnam auf den Abfall schaffen.“
    Er zog sein Schwert. Stephanus ließ sich nicht lumpen und tat es ihm gleich. Eine Weile standen sie sich mit gezogenen Waffen gegenüber und starrten sich gegenseitig an, zwei Wölfe kurz vor dem Angriff. Der Kaiserliche konnte den Wahnsinn und die Mordlust in Soldin's Augen sehen. Eine fast zwei Meter hohe und erzürnte Ansammlung von Muskeln und Hass. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie sich gegenseitig an die Kehle gehen würden. Die Zeit schien wie in Zeitlupe zu vergehen, sein gesamter Körper war gespannt, Adrenalin raste durch seine Blutbahnen. Ihre anderen Mitstreiter hatten beide vollkommen aus ihren Gedanken verbannt, da diese nur stehenblieben und teilnahmslos hinsahen, ohne merkliche Absicht in den Konflikt einzugreifen.
    Plötzlich brüllte der Nord vor lachen und steckte sein Schwert weg. Alles war also nur ein neunverdammter Scherz gewesen. Ein kranker Streich.
    „Verrückter Schweinehund,“ fluchte der Kaiserliche mit einem falschen Lächeln auf den Lippen, sein Gesicht immer noch Soldin zugewannt.
    Dieser klopfte sich einmal auf den Oberschenkel und fasste sich dann langsam wieder, und nickte dem anderen Mann belustigt zu.
    „Ach, wenn ich Euch umbringen würde, Stephanus, dann hätte ich niemanden mehr zum töten!“ Damit ließ der Nord die Sache bei sich beruhen, und Levinius war froh über den plötzlichen Sinneswandel des Nords. Für einen Moment blieb er noch verdutzt stehen während Soldin bereits weiterging.
    Stephanus sah ihm im Gehen nach, als Meum-Te an ihm vorbeizog.
    „Sah kurz aus, als würde Nord dich töten,“ bemerkte der Argonier im Vorbeigehen in gebrochenem kaiserlich.
    Der Kaiserliche zuckte die Achseln. „Stahlzapfen ist eben verrückt. So was macht er manchmal.“
    Dadurch, dass er es als verkorkste Gewohnheit des Nords verkaufte, versuchte Stephanus sich nicht von der Echse anmerken zu lassen, dass der Nord ihn zumindest genauso sehr überraschte wie jeden Außenstehenden. Seine Nackenhaare waren immer noch aufgerichtet und sein Herz kehrte nur nach und nach zu seinem gewohnten, langsameren Rhythmus zurück. Er war schon bereit gewesen, vorzuschnellen und zuzustechen, bevor er die plötzliche Veränderung im Verhalten des Nordmannes gemerkt hatte. So leicht es auch gewesen war, ihn zu provozieren, so leicht hatte Stahlzapfen sich auch spontan entschieden, heute kein Blut zu vergießen.

    „Wenn ich's Euch doch sage! Der Typ hat die Wahrheit gesagt!“
    Stephanus stieß ein ungläubiges Lachen hervor und schüttelte den Kopf.
    „Der einzige Drache auf der Welt steht im Tempel des Einen, und ist zudem seit fast zweihundert Jahren versteinert.“
    Stahlzapfen funkelte den Kaiserlichen von der Seite an.
    „Ihr seit ein miesepetriger, skeptischer, verdammter Bastard, wisst Ihr das?“
    „Das ist durchaus begründet. Ihr müsst schon sehr Dämlich sein, wenn Ihr jeden Scheiß glaubt, den irgendein verängstigter Reisender erzählt.“
    Nun war es an Soldin den Kopf zu schütteln.
    „Ich sehe schon seit Jahrzehnten die Furcht in den Gesichtern Anderer. Der Typ hat sich vor Angst fast in die Hosen gemacht. Der hat uns nichts vorgespielt, um sich interessant zu machen.“
    Der Kaiserliche schnaufte.
    „Ich hab ja nicht gesagt, das er gelogen hat. Er hat durchaus geglaubt, er habe einen Drachen gesehen.“
    „Das hat er.“
    „Hat er nicht. Diese verflixten Leute vom Land sind schreckhaft wie sonst was. Da hat ihm wohl eine Wolke für eine Sekunde die Sonne verdunkelt und er ist in Panik verfallen.“
    „Wolken brennen keine Häuser nieder,“ erwiderte der Nord.
    „Der Penner ist wohl verängstigt losgelaufen und hat sich den Rest nur eingebildet. Erinnert Ihr Euch noch an den Werwolf von Wegrast?“
    Soldin nickte.
    „Und was war der am ende gewesen?“
    „Ein verdammter Obdachloser mit Wolfsmantel.“
    „Sehr wohl. Ein verdammter Obdachloser mit Wolfsmantel. Und die ganze verdammte Stadt hat mit ihren Gerüchten die Angst an die Spitze getrieben.“
    Stephanus fröstelte. Seit ungefähr einer Stunde Standen sie schon bei der Kontrollstelle am Wegesrand. Ganz in der Nähe hörte er gro-Ogdum husten, und Meum-Te als Rückmeldung darauf wütend auf Argonisch schnattern. Zu ihrem Glück hatte sich der Wind im Laufe der Nacht gelegt, aber während der Tag durch die Wärme der Sonne unglaublich heiß gewesen war, war die Nacht ohne die Sonne umso kälter. Dieser krasse Gegensatz zwischen Heiß und Kalt war Stephanus durchaus bekannt. Dieser Effekt war besonders in Wüsten zu spüren.
    Und der besagte Fremde war vor einigen Minuten an ihrem Posten vorbeigezogen, aber nicht, ohne ihnen hastig von dem angeblichen Drachenangriff auf der Straße vor ein paar Tagen zu erzählen.
    „Diesmal ist es aber anders,“ beharrte der Nord. „Brarek Jungeiche hat mir erzählt, wie er mit einem von der Stadtwache geredet hat, und der hat ihm auch von Drachen erzählt. Kennt Ihr Helgen? Niedergebrannt, von einem einzigen Drachen allein. Ulfric Sturmmantel war da, und General Tullius auch.“
    „Und wahrscheinlich auch noch der Kaiser selbst, während Sheogorath auf der Wiese nebenan Blümchen pflückte.“
    „Ach, halt doch einfach die Klappe. Die gesamte Stadt redet davon. Und auch jeder andere Reisende,“ ereiferte sich der Nord.
    „Gesamte Städte reden von einem Werwolf, der eigentlich nur ein Obdachloser ist.“
    „Ihr seit zu ungläubig.“
    „Ich bin zu vernünftig.“
    Stahlzapfen spuckte verächtlich aus.
    „Vergesst es einfach. Mit Euch zu reden hat keinen Sinn.“
    Einige Minuten später brach der Nord dann wieder die Stille.
    „Wie steht Ihr eigentlich zum Bürgerkrieg, Levinius?“
    Stephanus seufzte leise und zuckte dann die Achseln. „Ein Krieg wie jeder andere auch.“
    „Für welche Seite seit ihr?“
    „Macht doch keinen Unterschied, oder?“
    Eigentlich wollte er die Frage nicht beantworten... Aber, so überlegte er, selbst die unbedeutendste Konversation versicherte, dass er sich nicht allein mit seinen Gedanken an vergangene Zeiten wiederfand.
    Er wog den Kopf hin und her, ließ geschlagen die Schultern sinken und sagte dann: „Legion.“
    „War ja klar. Der Strahl möge dich treffen, Kaiserlicher Hundesohn.“
    „Ach?“ Stephanus drehte sich zu Soldin um. „Und Ihr seit also ein Anhänger des großen Freiheitskämpfers Ulfric?“
    „Himmelsrand sollte frei sein,“ erwiderte Stahlzapfen.
    „Euch ist aber schon bewusst, dass wir auf der Seite der Legion kämpfen, oder? Also gegen die Sturmmäntel.“
    „Ja ja, das weiß ich doch,“ stellte der Nord mit einer Wegwurfgeste klar.
    „Ich will nur sicher stellen, dass die Qualität ihrer Truppen gewahrt wird.“
    „Achso?“, wunderte sich Stephanus.
    „Ja! Und außerdem stelle ich auch sicher, dass jeder Sturmmantel seinen Platz in Sovngarde verdient, bevor ich ihn ins Jenseits befördere.“
    „Bravo,“ lachte der Kaiserliche, „die werden Euch für Euren Dienst bestimmt eine Statue in Windhelm stiften.“
    Soldin lachte nun auch. „Das will ich aber schwer hoffen. Das währ doch das Mindeste.“
    „Wenn Ulfric aber gewinnt,“ sagte Stephanus, nachdem sich das verhaltene Lachen wieder gelegt hatte, „und Himmelsrand unabhängig wird, wird die gesamte Provinz mit Sicherheit den Bach runtergehen.“
    Stahlzapfen warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Glaubt Ihr etwa, Nords können sich nicht selbst regieren?“
    „Darum geht es nicht,“ stellte der Kaiserliche klar, „aber nach dem Bürgerkrieg würden zwei Generationen Nords fast am Stück durch die Kriege gebeutelt sein. Erst der große Krieg, und dann diese Scheiße jetzt.“
    „Worauf wollt Ihr hinaus?“
    „Die verdammten Hochelfen, Stahlzapfen. Die werden danach hierherkommen und einfach alles überrollen. Und das Kaiserreich wird dagegen auch nichts mehr tun können. Und danach...“ Seine Miene verfinsterte sich. „Danach schnappen sich die gelbhäutigen Bastarde eine Provinz nach der anderen.“
    Soldin schwieg daraufhin nachdenklich, redete nach einer Pause aber doch weiter.
    „Nein. Nein, so ist es nicht. Seht, das Kaiserreich ist so gut wie zerschlagen.Ein sterbender Schatten seiner Selbst. Alles, was es für Himmelsrand noch bewirkt, ist, dass die Menschen hier Steuern an den Kaiser zahlen müssen, ob sie wollen oder nicht. Hohe Steuern, um Cyrodiil und Was-weiß-ich wieder fein herzurichten. Im Gegenzug werden unsere Religion und unsere ältesten Bräuche verboten, damit ihr Kaiserlichen diese lächerlichen Forderungen der Hochelfen einhalten könnt. Das Kaiserreich zieht Himmelsrand nur runter. Und sobald es frei ist, können wir Nords eine vernünftige Verteidigung gegen die Aldmer aufbauen. Außerdem...“ Der Nord räusperte sich. Sein Gesicht war gerötet, denn er hatte sich wirklich in das Thema rein gesteigert. So viel an einem Stück hatte Stephanus ihn noch nie reden gehört.
    „Außerdem, der große Krieg ist schon was her. Ja, es gibt hier und da noch einige Kriegsversehrte, aber die gibt es überall auf Tamriel, und sie machen auch keinen Großteil der Bevölkerung aus.“
    „Und wenn der Bürgerkrieg so weitergeht, verkrüppelt Ulfric auch noch die jungen Männer und Frauen seines Landes.“
    „Nicht, wenn das Kaiserreich die Unabhängigkeit akzeptieren würde,“ konterte der Nord.
    Beide Männer schüttelten sacht den Kopf während sie wieder nach Osten schauten und das Thema fürs erste beiseite legten. Dass Soldin desertieren und sich auf die Seite der Sturmmäntel schlagen würde bezweifelte Stephanus aber. Nein, der Nord liebte es zwar zu töten, aber auch er hatte seine Prinzipien.
    Außerdem wusste jeder, was Ganlydyn Menarven mit Deserteuren anstellte.
    Stephanus zog seinen Mantel enger um sich, denn nicht nur seine Gedanken, sondern auch der wieder aufkommende Wind sorgten dafür, dass ihm unangenehm kalt wurde.
    Geändert von Kampfkatze2 (24.06.2016 um 00:04 Uhr)

  16. #16

    Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab

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    Zusammengerollt wie ein neugeborenes Kind in den Armen seiner Mutter lag Vesana auf ihrer Nachstatt, die Lider fest zusammengekniffen und in jeder Hand einen ihrer Dolche. Die Ohren gespitzt versuchte sie Geräusche aus ihrer Umgebung aufzunehmen, hoffen, dass es nichts zu hören gab. Doch anstatt die Stille als beruhigend zu empfinden, begann ihr Herz nur noch mehr zu springen und die Lungen nur umso heftiger zu brennen. Sie musste einen anderen Weg finden sich abzulenken. Zu liegen und zu warten würde früher oder später wohl ihren nervlichen Tod bedeuten. Wo war nur ihre Stärke hin? Sie setzte sich auf und lehnte sich gegen die Wand, den Tornister als Polster verwendend. War sie mit dem Sturz und ihrer Verletzung verflogen? An sich handelte es sich nicht um eine völlig neue Situation. Verletzungen hatte sie viele erlitten, einige noch weit schwerer als die jetzige. Allein war sie früher auch schon oft gewesen und dennoch machte es ihr gewöhnlich nichts, oder wenigstens nicht viel, aus.
    Die Kaiserliche schob es schließlich auf ihre Umgebung. In einem stinkenden Loch befand sie sich immerhin zum ersten Mal. Keine Erfahrung, die sie zu wiederholen wünschte, sollte sie hier herauskommen. Aber vielleicht belog sie sich auch selbst, wenn sie es so einfach abtat, und das anschwellende Zittern in ihren Fingern und der Unterlippe schien eine direkte Strafe dessen zu sein. Vielleicht handelte es sich um einen Test? Obwohl sie Situation selbst für Hircine ausgesprochen grausam und völlig untypisch schien. Nein, es lag einzig an ihr und die Tatsache, dass sie nicht wusste, warum ihr ihre Lage eine derart große Angst einjagte, verschlimmerte es nur noch.
    Wie Wasser am Bug eines Schiffes zerstoben ihre Gedanken, als die Jägerin kleine Steine rieseln hörte. Kaum mehr als ein Flüstern, aber doch deutlich über das schwache Rauschen des Blutes in ihren Ohren vernehmbar. Unwillkürlich hielt sie die Luft an und gefror zu Eis. Kaltes Wasser schien ihr den Rücken hinabzurinnen, doch vermochte sich ihr Leib nicht zu schütteln, zu verkrampft spannten sich ihre kraftlosen Muskeln. Kurz brach das Rasseln der Steinchen ab, dann ertönte es erneut und lauter, als schob sich etwas auf allen Vieren die andere Seite des Trümmerhaufens hinauf. Reflexartig deckte Vesa die flackernde Laterne mit dem unteren Ende ihrer Schlafunterlage ab und löschte sie das Licht. Die schlanken, schmutzverkrusteten Finger griffen fester um die Dolche. Mit verschränkten Armen wiesen die langen, scharfen Klingen von ihr wie die Stacheln eines Igels.
    Abermals endete das klickende, rasselnde Rauschen der Steine. Es wich einem leisen, haarsträubend-widerlichen Knacken, als brächen Knochen in einem winzigen Leib. Feucht, schmierig, schmatzend. Scharf sog sie die Luft ein, als ihre Lungen danach zu ächzen begannen. Zu lange hatte sie ihr Atmen zu unterdrücken versucht. Beinahe verschluckte sie sich daran und das glucksende Aufbäumen ihres Überköpers hallte plötzlich derart laut durch den Tunnel, dass ihr das Blut vor Schreck in den Adern gefror. Das Schmatzen auf der anderen Seite der eingestürzten Tunneldecke endete abrupt und die Kaiserliche biss sich in den Ärmel ihrer Jacke um weitere Geräusche ihrerseits zu unterbinden. Doch es war zu spät. Anstatt des feuchten Knackens vernahm Vesana nun wieder das Rauschen kleiner Steine, lediglich weitaus aggressiver und intensiver als zu vor.
    Gebannt und in völliger Starre, hoffend was auch immer dort den Trümmerhaufen erklomm, würde sie im Dunkel nicht erkennen, hielt sie still. Schwaches Licht drang inzwischen bis auf die Kuppe hinab und kleidete sie in gespenstig surreales Grau. Sie fühlte sich beinahe farbenblind, derart tonlos wirkten die Steine und das Erdreich, dass sie von ihrer Position aus zu erkennen vermochte. Wäre es nicht für die zwei plötzlich auftauchenden, eisblau leuchtenden Lichtpunkte gewesen, die in kalter Mordlust funkelten. Abermals hielt die Jägerin die Luft an, doch schien es nutzlos. Die Kreatur, die dort oben über die Trümmer gekrochen kam, musste sie bemerkt haben, denn nur kurz hielt sie inne. Dann setze sie ihren Weg kriechend fort und kam näher.
    Instinkthaft zog Vesa die Schlafunterlage von der Laterne und eben noch an die Dunkelheit gewöhnt, flutete ihr warmes Licht plötzlich durch den Tunnel. Ein Stöhnen, das ein Kreischen hätte sein sollen, entwand sich der Kehle der spindeldürren, grauen Kreatur, die nur Haut, Sehnen und Knochen war, Fleisch und Lebhaftigkeit jedoch vermissen ließ. Das Licht, das nach kurzer Gewöhnung zu seiner gewöhnlichen Schwäche zurückkehrte schien dieses tot aussehende Monstrum zu blenden und es fluchte unaufhörlich. Schleifend wie ein Schwert am Stein klangen seine Laute, als es sich über die groben Felsen der alten Tunneldecke wand. Fellfetzen und blutige Sehnen hingen ihm aus dem unmenschlich weit aufgerissenen Mund und zwischen den schwarzen, verfaulten Zahnstummeln. Die Kaiserliche stemmte sich in die Höhe und nutzte sie die Paralyse des offenkundigen Untoten, dessen Haut die Farbe der Wände besaß.
    Während sie an die Wand gestützt hinter ihre Laterne stolperte, nahm sie sich noch ihren Bogen und legte einen Pfeil auf die Sehne. Schief, den verletzten Fuß kaum belastend und vom im Bauch wild um sich schlagenden Hunger gekrümmt wartete sie ab. Das Kreischen der Kreatur riss nicht ab, es schmerzte ihr in den Ohren und schien unendlich weit durch den Tunnel hinter ihr zu hallen. Sie schüttelte sich und versuchte das Gefühl loszuwerden, dass es ihr in den Kopf zu kriechen versuchte. Benommen schüttelte sie das Haupt und spannte ihren Bogen. Mühsam beherrschte sie das Zittern, das ein genaues Zielen zu verhindern suchte.
    Der Untote schien mittlerweile weniger vom Licht abgehalten, als noch zu Beginn, und kroch weiter. Erst jetzt fiel Vesana auf, dass er keine Beine mehr besaß. Ab den Knien fehlten die Knochen. Die faulige Haut hing in Fetzen unter einer kurzen, abgerissenen Lederhose hervor. Helle Sehnen verfingen sich hin und wieder zwischen größeren Steinbrocken. Genervt wirkend zerrte dann das Biest daran und versuchte mit widernatürlicher Kraft sich zu befreien. Der Anblick drehte ihr den Magen um und vertrieb die Luft in den Lungen. Ihre schüttelnden Finger wollten nicht mehr wie sie. Notgedrungen musste sie die Waffe in ihren Händen sinken lassen, um den Pfeil nicht zu verschwenden, denn die Köcher befanden sich noch neben ihrem Felleisen. »Scheiße!«, zischte sie leise und strich sich den kalt ausbrechenden Schweiß aus dem Gesicht.
    Von dem von ihr ausgehenden Geräusch angespornt, krabbelte der faulige Torso weiter auf sie zu und erreichte inzwischen den Fuß des Trümmerhaufens. Ohne es beeinflussen zu können wich Vesa weiter ins Dunkel hinter ihr zurück, entfernte sich so von der Laterne und dem Untoten, dessen leuchtende, blaue Augen sie unentwegt anstarrten als könnten sie die Kaiserliche bereits schmecken. Hinter sich zog er eine frisch feuchte, dunkle Spur her, die gelegentlich kleinere Klümpchen und Brocken, manchmal im Kerzenschein rot schimmernde Splitter von Knochen unterbrachen. Die Reste des Waschbären zweifelsohne, die ihm aus den vergammelten Innereien fielen. Der Anblick und der ihn begleitende, süß-saure, ätzende Geruch von jahrhundertealtem Fleisch und Gewebe zwangen Vesana in die Knie. Kraftlos sanken ihre Hände und verkrallten sich im Stoff über dem pumpenden Bauch. Säure stieg ihr von Innen in die Nase, brannte in den Schleimhäuten und setzte sich auf die Zunge wie ein Pelz. Schon im nächsten Moment, noch bevor sie überhaupt zu realisieren vermochte, was ihr widerfuhr, krampfte ihr Magen und trieb ihr seinen blanken Saft durch den Hals zum Mund hinaus. Tränen traten ihr in die Augen und ließen die in Übelkeit ohnehin schon eingeschränkte Sicht weiter zerfließen.
    Blind tastete ihre Rechte nach dem fallen gelassenen Bogen und als sie das Holz mit dem noch immer an der Sehne hängenden Pfeil fand, zog sie sich unaufhörlich würgend weiter zurück, um Abstand zu dem Kriecher zu gewinnen. Mühsam stand sie erneut auf und wischte sich einzelne Tropfen ihres Erbrochenen von der Unterlippe bevor sie ihre Waffe abermals spannte und derart stark zitterte, dass sie sich gegen die Wand lehnen musste, um wenigstens einen Arm davon abzubringen. Nur noch wenige Schrittlängen trennten sie von der Kreatur. Es musste jetzt oder nie geschehen. Vesa zog noch einmal an und ließ dann das Geschoss surrend von der Sehne schnellen. Es traf die Kreatur in die Schulter nahe dem Hals und provozierte ein ächzendes, gedehntes Zischen mit weitaufgerissenem, schwarzem Mund. Ihre Lippen öffneten und schlossen sich tonlos als der Untote nochmals aggressiver weiter auf sie zugekrochen kam.
    Im blanken Entsetzen, das sich als eiskalte Faust um ihr Herz schloss und ihr die Eingeweide durcheinanderwirbelte, ließ die Kaiserliche den Bogen fallen und griff nach den zwei Dolchen am Gürtel, die sie zuvor dort hektisch deponiert hatte. Zitternd warf sie den ersten nach dem Monstrum, verfehlte ihn aber als ein neuerlicher Würgeanfall sie zu schütteln begann. Klirrend polterte die Waffe durch den Lichtkegel der Laterne und blieb nahe ihrer Nachtstatt liegen. Mühsam versuchte sie den starken Reflex zu unterdrücken, schaffte es aber nur ansatzweise. Die zweite Klinge surrte in einem besonders ruhigen Moment ebenfalls durch die Luft und traf das beinlose Biest in den Hals. »Verrecke Du Miestvieh!«, schrie sie ihm entgegen, als es noch immer nicht stillhielt und verausgabe so die brennenden Lungen nur noch mehr. Das Herz pochte ihr bis zum Hals und erfolglos versuchte sie einen klaren Gedanken zu fassen.
    Als letztes Resort zog sie ihr Schwert aus der Scheide und hielt die Klinge zitternd mit beiden Händen fest. Der silberveredelte Stahl schimmerte im schwachen Licht, funkelte regelrecht lüstern, und wirkte doch schwach während er vibrierte wie eine angeschlagene Triangel. Der Untote streckte ihr inzwischen die abgemagerten, gammligen Finger seiner Rechten entgegen und versuchte sie mit seinen eingerissenen, zerfurchten Fingernägeln zu kratzen. Gerade noch rechtzeitig wich sie aus und schlug mit dem Schwert zu. Mühelos durchdrang die scharfe Schneide die über die Jahre im Grab brüchig gewordenen Knochen des Unterarms. Stumpf schlug die abgetrennte Hand auf dem feuchten, schmierigen Steinboden auf und entriss der Kreatur abermals ein schleifendes Kreischen.
    Den verstümmelten Arm zurückziehend reckte es ihr nun unbeirrt die andere Hand entgegen. Die zu Klauen gekrümmten Finger hieben überraschend schnell nach Vesa. Mühevoll entging sie dem zweiten Angriff unversehrt. Durch all den Ekel und das Entsetzen, ja sogar vorbei an der Angst, die sie innerlich gefrieren ließ, quoll so etwas wie Wut in ihr auf. Es war nicht ihre, da fühlte sie sich sicher, aber die des Biestes. Zornig grollend schlug sie dem Untoten in dessen dritten Angriff auch die verbliebene Hand vom Leib. Diesmal blieb es aber nicht dabei. Tränenblind folgten weitere Schläge während denen sie sowohl den Torso, als auch die restlichen Armstummel und den Kopf traf. »Verrecke – Du – dreckiges – räudiges – stinkendes – scheiß – Vieh!« Ihr Widersacher kam nicht einmal mehr zum Stöhnen oder Zischen als sie ihn mit der Klinge malträtierte. Irgendwann ging die Jägerin kraftlos auf die Knie und stach auf den matschigen Haufen aus Knochen und Haut ein bis sie schließlich einfach umfiel und ihr der lederummantelte Griff ihrer Waffe aus den Fingern glitt. Auf den Resten der Arme und zwischen einigen haarträchtigen Fetzen der fauligen Kopfhaut blieb sie liegen, würgend, angewidert, und sich noch weitaus dreckiger fühlend als zuvor. Der bittere Duft des Todes zwang ihr neuerlich die Säure aus dem Magen. Hustend, spuckend und nach Luft ringend zuckte sie vor und zurück, blieb jedoch in dem liegen, was von dem Untoten nach ihrer blinden Hackorgie übrig blieb. Die erdbebenhaft zitternden Hände schlug sie vor das Gesicht und begann noch während sie sich erbrach zu weinen.



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    Geändert von Bahaar (26.07.2014 um 11:13 Uhr)

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