Komme grade aus der Vorpremiere von Icks Menn Apokalütze

Der Film war... nicht gut, aber besser als befürchtet. Kohärenter als Batman v Superman, aber meilenweit entfernt von den qualitativen Höhenflügen des MCU in letzter Zeit sowie von meinem Lieblingsteil der Reihe selbst, First Class. Auch an Days of Future Past kommt Apocalypse nicht heran, und an Deadpool natürlich schon gar nicht. Den nunmehr neunten Film der X-Men würde ich irgendwo im unteren Mittelfeld einordnen. Die erste Hälfte war sogar noch ziemlich fesch und brauchbar, aber danach ging es immer weiter steil bergab. Ich versuche mich mal an dem üblichen Breakdown:


Pro
  • Quicksilver, again. Jede Szene mit ihm hat enorm viel Spaß gemacht. Seinen "großen Auftritt" fand ich diesmal zwar nicht ganz so visuell beeindruckend wie beim letzten Mal, aber dafür ist er jetzt etwas länger dabei und kriegt mehr zu tun.
  • Die "neuen alten" Charaktere werden schön wieder eingeführt, das Casting haut hin. Sophie Turner als Jean Grey, Tye Sheridan als Cyclops /Scott Summers, Alexandra Shipp als Storm und vor allem Kodi Smit-McPhee als Nightcrawler haben eine gute Figur gemacht. Besonders letzterer hat mich positiv überrascht. Außerdem wars schön, endlich Rose Byrne als Moira wiederzusehen, nachdem sie den vorherigen Teil bekanntlich ausgelassen hatte. McAvoy und Fassbender liefern wie üblich tolle Leistungen ab.
  • Die Anfangsszene in Ägypten hat gerockt. Richtig groß und pompös und beeindruckend.
  • Schule! Finally! In den früheren Teilen hat man immer viel zu wenig davon gesehen, erst recht in den anderen beiden Prequels wurde diesem Aspekt kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Diesmal war es wieder etwas mehr, und das hat gut getan. Macht mir Lust auf einen vollwertigen New Mutants Film, in dem es bitte mal nicht um Weltuntergangsszenarien, sondern um persönlichere Stories geht.
  • Wütender Wolverine-Cameo.
  • Ich fands toll, wie sehr der Film sich zumindest mit den beiden Vorgängern First Class und Days of Future Past verbunden und verwoben hat. Dadurch fühlte es sich wirklich an wie der dritte Teil einer Trilogie, und nicht bloß wie ein stand-alone Abenteuer mit ein paar kleineren Verbindungen. Diverse frühere Ereignisse werden mehrfach erwähnt, und ein paar persönliche Plotpunkte spielen sogar eine recht wichtige Rolle.
  • Der Humor war angemessen, charmant-chillig und kam häufiger vor als gedacht. Macht diese Figuren gewiss um einiges glaubwürdiger und sympathischer.
  • Eriks Geschichte bricht einem das Herz. Schade, dass hinterher kaum mehr richtig darauf eingegangen wird.
  • Charles bekommt endlich seine wohlverdiente Glatze. Und das sogar storytechnisch begründet. Hört, hört!
  • Das Ending hat Bock gemacht. Fühlte sich so an, als sei das Team endlich versammelt und für kommende Abenteuer gerüstet. Sogar mitsamt sehr klassischen, an die Comics angelehnten Outfits! Hoffentlich behalten sie das bei, wäre lustig.


Con
  • Wie schon bei Days of Future Past für meinen Geschmack viel zu wenig neue Gesichter, gerade auf Seiten der Helden. Mir ist ja schon klar, dass die ganzen Leute aus dem Kernteam erstmal neu eingeführt werden müssen, aber das wird langsam langweilig, denn es sind am Ende eben doch nur neue Variationen der Charaktere, die wir schon lange, lange kennen. Ich hätte echt was drum gegeben, hier wenigstens eine neue wichtige Figur bei den Protagonisten zu haben. Und wenn jetzt jemand sagt "Aber sollte nicht Jubilee diesmal auftauchen?" dann muss ich leider mit einem bitteren Lachen entgegnen: Nein, die hat nur zwei oder drei superkurze Cameos, weniger Screentime als Wolverine, gefühlt vielleicht 30 Sekunden oder so. Das war echt ne heftige Enttäuschung, denn ich hatte mich auf ihren Auftritt und ihre Beteiligung gefreut, sogar das Outfit passte so genial in dieses 80er Setting. Nee, wurde alles unter den Teppich gekehrt. Im Vorfeld gab es Bilder von Filmaufnahmen, ich glaube zu einem Besuch in einer Mall (über den im Film kurz gesprochen wird). Diese Szene ist beim Schnitt offenbar komplett der Schere zum Opfer gefallen. Hmpf. Na gut, dann werdet ihr vielleicht entgegnen "Aber Psylocke macht doch bei den Bösewichtern mit, oder nicht?" Heh, ja, irgendwie schon, wenn man denn von einem Charakter sprechen möchte. Sie ist zwar im Endkampf dabei mit ein paar coolen Moves, aber hat davor im Grunde nur eine Rekrutierungsszene und im gesamten Film vielleicht drei Zeilen Text >_>
  • Im Gegensatz zu First Class und mit Abstrichen auch Days of Future Past wurde das Period Setting diesmal kaum ausgenutzt. Am Rande bekommt man ein bisschen was mit, zum Beispiel wenn die jüngeren Mutanten sich Return of the Jedi im Kino anschauen, im Fernsehn was von Spannungen im Kalten Krieg erwähnt wird oder ein kleiner Abschnitt in Ost-Berlin spielt. Aber das sind nur winzige Details. Die 80er hatten mehr zu bieten, was man direkt storymäßig hätte verwenden können.
  • Mystique. Jennifer Lawrence mag eine gute Schauspielerin sein, aber hier sieht man ihr die Lustlosigkeit förmlich an. Auch schien in ihrem Vertrag zu stehen, dass sie nur mitmacht, wenn sie nicht länger als vier Drehtage im blauen Outfit vor der Kamera rumrennen muss (glaube sie erwähnte auch mal, wie unangenehm sie das vorher fand), denn als Mystique ist sie kaum zu sehen. Was ihre Figur aber schlimmer macht, und dafür kann Lawrence selbst eigentlich nix, ist, dass die Autoren so weit gehen, die Geschichte wegen ihrer Star Power anzupassen. Ganz böser Fehler! Man schreibt eine Rolle, und sucht dann den besten Schauspieler dafür aus, und schreibt nicht umgekehrt die Rolle für den Schauspieler um, sofern es sich um eine schon existierende Figur aus einer Vorlage handelt. Genau das ist hier Geschehen - Mystique, die soweit ich weiß tendenziell sonst immer eher eine der Nebenfiguren und auf der Seite der Fieslinge war, ist jetzt, da Lawrence nach den Hunger Games inzwischen zu noch größerer Bekanntheit gelangte, auf einmal die große Heldin und sogar Anführerin der X-Men! Das wird einem andauernd unter die Nase gerieben, und es hat mich schon ein Stück weit genervt. Ich sag ja nicht, dass sie keine Änderungen gegenüber den Comics und bisherigen Filmen vornehmen dürfen, aber wenn die Beweggründe dafür so offen auf der Hand liegen und eben nicht zu allererst aus dem Erzählen der bestmöglichen Geschichte motiviert sind, dann läuft da was schief. Ist jetzt kein Riesen-Kritikpunkt gewesen, aber als gegnerische oder wenigstens zwielichtig-gefährliche Figur hat sie mir besser gefallen.
  • Wo ich schon die Schurken erwähne, da liegt irgendwie eines der größten Probleme des Films begraben. Wenn mein Film schon nach dem Oberbösewicht benannt ist, dann stell ich besser verdammt sicher, dass er storymäßig auch was zu bieten hat. Nope, war hier ganz und gar nicht der Fall. Apocalypse war von der Ausarbeitung her so ziemlich der mieseste Gegenspieler der ganzen Reihe. Wirklich nichts weiter als ein blauer Typ mit mega viel Power, der gerne als Gott über die Welt herrschen würde. Was für eine Verschwendung von Oscar Isaacs Talent, der wenigstens noch so viel wie möglich aus dem Wenigen, was ihm gegeben wird, herauszuholen versucht.
  • Zerstörungsorgie again. Langsam kann ich es echt nicht mehr sehen. Wenn da wenigstens handlungstechnisch richtig Gewicht dranhängt, okay. Aber das hier war doch nur wieder so ein "Wir machen ne Stadt platt, um ein gutes Setting für den Endkampf zu haben!" Der Joke ist dann auch, wie wenig hier auf Menschenleben geachtet wurde. Bei den Zerstörungen müssen ja echt zigtausende umgekommen sein. Und während Filme wie Civil War und sogar der problematische Batman v Superman das zu thematisieren versuchen, werden die Opfer in X-Men Apocalypse mit keinem einzigen Wort erwähnt. Hinterher sind alle happy. Da haben es sich die Verantwortlichen ein bisschen zu einfach gemacht. In diesem Zusammenhang war übrigens auch der Trailer echt irreführend bis manipulativ. Man sieht den coolen Jet im Hangar, aber er kommt nicht zum Einsatz. Man sieht Mystique krasse Reden schwingen, von denen man denkt, sie feuern vor der großen Schlacht an, dabei sind sie aus dem Schluss entnommen, nachdem alles gelaufen ist. Man sieht Atomraketen starten und massive Zerstörungen, eine echte Apokalypse eben, im Endeffekt wars jedoch halb so wild. Und die Atomwaffen wurden nur in den Himmel gefeuert, um sie zu neutralisieren >_> Also wenn man damit sowieso schon anfängt und der Film alleine durch das Konzept nicht ohne auskommen kann, dann sollte man das wenigstens durchziehen.
  • Unnötiger Col. Stryker Detour-Part ist unnötig. Bryan Singer scheint diese verdammte unterirdische Basis ja echt zu lieben. Ich denke, wir haben in der Reihe schon mehr als genug Zeit in dieser (oder vergleichbaren) Einrichtungen verbracht. Generell kommt es einem so vor, als würde ein signifikanter Teil der Handlung sich aus Versatzstücken aus früheren X-Men-Filmen zusammensetzen, die das jedoch alle besser hinbekommen haben. Wenn man einen Blick auf die Drehbuchschreiber wirft, fällt schnell auf, wo der eigentliche Knackpunkt liegt: War Matthew Vaughn an der Story und der Gesamtproduktion von First Class und Days of Future Past noch in mehrfacher Hinsicht intensiv beteiligt, hatte er mit Apocalypse nichts mehr zu tun. Wird dringend Zeit, dass Singer endlich (wieder) andere die Franchise übernehmen lässt, und zwar dauerhaft.
  • John Ottmans Soundtrack war minimal besser als erwartet, aber wirklich nichts, was ich irgendwie positiv hervorheben könnte. Er spult nur mal wieder sein uraltes eigenes X-Men Thema aus dem zweiten Teil von 2003 ab, das inzwischen echt ausgelutscht ist, zumal es schon in Days of Future Past wieder hervorgekramt wurde (der auf dem Gebiet auch nichts Neues geboten hat). Einfach superschade! Gerade bei der ganzen Massenvernichtung hätten ein paar eingängige musikalische Motive Wunder bewirkt. Stattdessen nichts Erinnerungswürdiges. Das steht im krassen Kontrast zu den mehreren genialen Werken, die John Powell mit X-Men: The Last Stand (vor allem die Stelle ab 2:26!) sowie Henry Jackman mit First Class (hab Sub Lift nicht einzeln hochgeladen gefunden, aber die komplette Sequenz ist geil, besonders die Minute ab 3:06) abgeliefert haben. Sowas kann John Ottman einfach nicht. Wenn er sowieso nur sich selbst kopiert, warum dann nicht wenigstens mal Zitate seiner weit überlegenen Kollegen verwenden? Speziell Phoenix Rises hätte perfekt zum Finale von Apocalypse gepasst, auch inhaltlich. Ich kann nur weiterhin darauf hoffen, dass jemand den Kerl rauswirft, wird aber nicht passieren so lange Singer beteiligt ist. Ein toller Filmsoundtrack geht jedenfalls anders, und ehrlich gesagt erscheint es mir ein bisschen überheblich, nachträglich dieses eine Thema von Ottman zur Erkennungsmelodie der X-Men machen zu wollen, nur weil er ursprünglich mit lediglich dem zweiten Teil seinen Hut in den Ring geworfen hat und danach erstmal wieder lange Zeit nichts davon zu hören war. Sich zur Abwechslung ein bisschen was anderes auszudenken wäre das Mindeste.
  • Die finale Auseinandersetzung hat sich hingezogen und war effekttechnisch viel zu überladen! Erinnerte mich ziemlich an BvS mit dem Kampf gegen Doomsday, auch wenn es bei Apocalypse durch die Anzahl der beteiligten Charaktere etwas interessanter wurde. Dennoch habe ich mir das ausgehend vom Trailer um einiges stylisher vorgestellt, die besten Momente hat man mal wieder in der Vorschau gesehen >_< Außerdem hat das im Handlungsverlauf zu viel Raum eingenommen.
  • Stattdessen wäre mir eine intensivere Charakterentwicklung lieber gewesen. Die Stärke von First Class und zum Teil auch Days of Future Past waren gerade jene Momente, die sich die beiden zentralen Figuren Charles und Magneto teilen. Ihr Konflikt, ihre unterschiedlichen Ideologien, aber auch ihr Respekt und ihre seltsame Freundschaft treibt vieles in den X-Men Geschichten an. Enter X-Men Apokalypse: Die beiden sind diesmal kaum gemeinsam auf der Leinwand zu sehen :-/ Dann wäre da noch diese potentiell interessante Sache mit Quicksilver, der bekanntlich der Sohn von Magneto ist. Und im entscheidenden Augenblick lässt Quicksilver das Publikum hängen, indem er es ihm doch nicht sagt. Damit wir das wenn überhaupt jemals in nem späteren Film nochmal durchkauen. Bummer.
  • Ich mag es, im Kino überrascht zu werden. Sowas wie die Auflösung gegen Ende von Civil War, die Bezug nehmen auf vorherige Geschehnisse im selben Film, hauen mich aus den Socken und steigern das Ansehen massiv in meinen Augen. Hey, sogar Werke wie The Wolverine (wer oder was ist der Silver Samurai?) hatten sowas in geringerem Maße zu bieten. Ich bin traurig, schreiben zu müssen, dass X-Men: Apokalypse keine einzige Überraschung parat hat, keinen einzigen cleveren Kniff, den man so nicht erwartet hätte.
  • Das mit der fehlenden Thematisierung von Konsequenzen habe ich oben ja schon erwähnt. Leider bezieht sich das genauso auf ein paar wesentliche Charaktere, was ich im Grunde bereits als brutal klaffende Plotholes empfinde: Magneto und Storm haben zum Tod von schätzungsweise mehreren Millionen Menschen auf der ganzen Welt beigetragen. Im Falle von Magneto sogar ziemlich direkt, bei Storm mindestens Beihilfe wegen Apocalypse. Und trotzdem tänzeln die am Ende in Xaviers wiedererrichteter Schule rum, Storm will sogar dort bleiben. Alles vergeben und vergessen, WTF?! Da sind längst diverse rote Linien heftigst überschritten worden, die jene Entwicklungen bei einem Mindestmaß an Logik unmöglich machen müssten.


Also unterhaltsam wars schon einigermaßen, aber definitiv einer der schwächeren Filme der Reihe. Vielleicht sogar einer der schwächsten, je nach dem, auf was man Wert legt. Bin schon enttäuscht, weil da so viel mehr drin gewesen wäre. Zwar war ich nach den Reviews stimmungsmäßig drauf vorbereitet, doch während ein paar Aspekte meine niedrigen Erwartungen übertreffen konnten, wurden sie in anderen noch unterboten, weil der Trailer das Ganze runder und cooler wirken lässt als es ist. Hoffnungsvoll stimmt mich, dass Singer mit den kommenden Filmen wie Gambit, Deadpool 2 oder New Mutants wahrscheinlich nicht so viel zu tun haben wird. Aber sollte Apocalypse als Indikator für die Zukunft der Reihe herhalten, besonders bei weiteren "Hauptteilen", sehe ich schwarz.
Singer muss weg, wenn diese Franchise erfolgreich weitergehen soll. X-Men Apocalypse steht gewissermaßen symptomatisch für das, was im Superhelden-Genre gerade alles schief läuft. Zu aufgeblasen, überfrachtet, keine vernünftige Grundidee mit vereinnahmend-fesselndem Konflikt, lazy bequemes Writing, das nicht alle Konsequenzen der Szenarien durchdenkt, und in dem zu oft ganze Plotpunkte auftauchen, die wenig zum übergreifenden Narrativ beitragen - also zum Teil effektiv Chekhov's Gun als Grundsatz missachten, oft nur um etwas Fanservice einzubauen oder die Basis für irgendwelche späteren Projekte zu schaffen. Die Marvel Studios sind noch am erfolgreichsten darin, solche Elemente nahtlos mit der Handlung in Einklang zu bringen.
Wenn ihr X-Men-Fans seid, dann würd ich schon sagen, dass man sich den im Kino angucken kann. Aber bei wem das Interesse von vornherein schon eher gering war und wer ohnehin unentschlossen zögert, dem würde ich umso eindringlicher davon abraten. Das lässt sich auch gut später noch per BD oder bei den Streaming Anbietern digital zu Hause nachholen. Und wenn Fox sich die harschen aber imho weitgehend korrekten Kritikermeinungen zu Herzen nehmen soll, um auch hinter den Kulissen Änderungen vorzunehmen, dann kann es nicht schaden, wenn der Film finanziell kein Überflieger wird. Im Moment reicht mir aber schon die unheimliche Genugtuung, dass Apocalypse, der mehr als vier Mal so viel wie Deadpool gekostet hat, mit Sicherheit nicht an den wirtschaftlichen Erfolg von eben jenem anknüpfen können wird ^^


Es gibt übrigens eine Post-Credits-Szene. War mir nicht sicher, ob noch was kommt, und bin froh, sitzen geblieben zu sein. Allerdings hätte ich ne Frage dazu, weil ichs ohne großes Comic-Vorwissen nicht kapiert habe: Anscheinend sammeln zwielichtige Regierungsleute das Blut von Mutanten und haben nun auch das von Wolverine. Was ist Essex? Hat das irgendeine besondere Bedeutung? Von der englischen Grafschaft mal abgesehen, meine ich. Ah, nevermind, hab grade nachgeschlagen, was das andeuten sollte.