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Thema: Kummerkasten

Baum-Darstellung

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  1. #11
    (Wir brauchen ein Melancholiesamla. [lies: "Ich brauche ..."])
    Hm. Einer meiner Kommilitonen hat mich heute also gefragt, was ich so an "Mäuschenballast" hätte. Gemeint waren Beziehungsgeschichten, was liegt da so, was läuft da so. Nachdem wir eine Stunde über seine Freundin mit Essstörung geredet haben und er mit dem Spruch endete "Nu ja, s'hat jedor sei Päckl zu trahn, nu." (Ja, so sprechen Sachsen offenbar hin und wieder noch.) Und ich hab ihm gesagt, dass ich momentan mit dem Alleinsein echt ganz glücklich bin. Und er meinte so: "Das is aber oft schon'n bissl ne Ausrede. Dor Fuchs mitn Traubn quasi." (Der Vergleich war ziemlich niedlich. ^^) Und ich hab ihm versichert, dass mir das momentan sehr gut tut. Der Überzeugung bin ich auch. Oder war ich bis etwa ne Stunde danach.

    Es ist irgendwie so eine komische Angewohnheit von Menschen, wenn sie in einer Beziehung sein wollen. Also, eine schöne, aber eine komische. Irgendwie erkenne ich da immer noch nicht diese scheinbar rationale Begründung dahinter. Nicht, dass es die bräuchte. Offensichtlich braucht es die nicht, denn irgendwie ist mir der Gedanke, sei er nun völlig irrational, gar nicht so fremd oder zumindest fern, wie ich mir das gern vormache. Und es ist nicht das Sexuelle (irgendwie war das die letzten paar Mal relevanter als alles andere), ich könnte momentan nicht von "Druck haben" sprechen, ich hab in den letzten zwei Jahren meiner Beziehungslosigkeit 6mal Zucker bekommen, was für Menschen wie mich in beziehungsloser Lage ziemlich überdurchschnittlich ist. Da war es irgendwie so einvernehmliche Bedürfnisbefriedigung, die etwas seltsam, aber doch ganz gesund war.

    Aber irgendwas fehlt da. Wären's die "Angebote", wär's vermutlich sogar noch was anderes, aber eigentlich bin ich es, der die "Angebote" in den Wind schießt oder zu unverbindlichen Schäferstündchen umwandelt. Warum? Ich weiß nicht ganz. Auch hier fehlt der rationale Grund. Mein Leben läuft momentan absolut toll, ich bin einer dieser gelassenen Strebsamen geworden, die man offenbar irgendwie für eine ganz angenehme Gesellschaft hält. Ich bekomme sogar Komplimente für mein Aussehen und Auftreten. Das sage ich nicht aus Prahlerei, sondern weil das für Menschen wie mich eine absolut ungewöhnliche und fast glückbeseelte Situation ist; ich bin (oder war?) kein Mensch, dem man oft Komplimente machen würde. Schon gar nicht für Aussehen und Auftreten. Und was manche Leute an meiner Art finden, ist mir eigentlich auch schleierhaft, ich bin so smalltalkbegabt wie T-Rex dazu, sich am Po zu kratzen, ich bin ein mieser Klugscheißer und an Arroganz fehlt es mir im Grunde auch nicht, wenn in der Regel auch begleitet von quasi kanadischer Apologetik. Aber irgendwie werde ich gemocht und irgendwie scheine ich auch anziehend zu wirken. Manchmal flirte ich, ohne es zu merken. Manchmal flirte ich bewusst.

    Ich glaube hin und wieder, dass ich einerseits immer noch das suche, was ich mal hatte, und dann aber abgeben musste, weil das Universum entschieden hatte, dass man mit 16 Jahren nicht die Erfüllung leben darf, dass es da noch was zu lernen gibt, was offenbar nur mit Schmerz erkauft werden kann. (Was natürlich totaler Unfug ist, du garstiger Kosmos. Es ist immer sehr leicht, den Tod zu einer Lektion für die Lebenden umzudeuten; zu sagen, dass der Tod mich gelehrt hätte, wie ich das Leben zu sehen hätte, dass ich dankbar sein sollte für alles Gute, dass mich das Wissensinstrumentarium des Verlustes selbst jetzt noch in meiner akademischen Karriere voranbringt. Aber ich muss ehrlich gestehen [und John Green, den ich gerade sinnenthoben zitiere, gibt mir da recht], dass ich jede Lektion des Todes auch hätte auf anderem Wege lernen können. Ich muss ehrlich gestehen, dass du, liebes Kleingeistuniversum, um einiges schöner wärst, ohne solch bitter erkaufte Gnosis.) Ich glaube hin und wieder, dass ich andererseits nicht von der Vorstellung loslassen will, die ich mir einmal über die Beziehungsseite meines Lebens gemacht habe. Solche Vorstellungen sind natürlich personengebunden. Et voilà tout.

    Ich glaube eigentlich nicht, dass mir meine bisherigen Beziehungserfahrungen so sehr das Rückgrad gebrochen haben, dass ich jetzt beziehungsunfähig bin. Einiges davon war die Hölle; einiges hat in Querverbindung mit anderen Umständen die passende Styx- und Ewiges-Leid-Atmosphäre geschaffen; einiges davon war ganz nett, aber eigentlich nur so viel, als dass ich die Farces (ist das der Plural?) meiner bisherigen "erwachsenen" Beziehungen (die natürlich das genaue Gegenteil von "erwachsen" waren) nicht zur Ursache für all mein achso großes bisheriges Leid verklären kann. Es war immerhin genug, dass ich mit Leuten mit selbstverursachten Problemen nicht mehr umgehen kann. Dass ich diesen versteckten Zorn, der da irgendwo schwelt, nicht zurückhalten kann, wenn mir jemand aus seiner eigensverschuldeten Blödheit heraus das Leben schwer macht. Es war genug, um mich zu einem Menschen zu machen, der fortgehen kann, ohne dabei viel zu bereuen oder nach Gründen zu suchen, warum ich bleiben sollte, wenn mir die Situation missfällt. Man verstehe mich aber nicht falsch: Ich würde dieses Leben gegen kein anderes austauschen. Ich bin glücklich. Ich bin in allen Belangen, die ich mir als relevant vorstellen kann, kerngesund und in blendender Verfassung. Und wenn etwas stört, wird es reformiert; ich bin kein Utopist, der zum Scheitern verurteilt ist, ich bin handlungsfähig und veränderungswillig, sobald die Not dazu besteht.

    Nur diese eine Stelle gibt mir heftig zu denken. Die letzte Frau, mit der ich mir eine Beziehung hätte vorstellen können, von der habe ich mich so weit "weggelebt" (wir uns voneinander?), dass ich jetzt sogar ein bisschen Schiss davor habe, irgendeinen Kontakt herzustellen, der über Facebook hinausgeht. Das letzte Mädchen, mit dem ich mir ein Leben hätte vorstellen können, ist seit ziemlich genau drei Jahren nur noch in Thoughtland auffindbar. Der letzte intime Kontakt, den ich hatte, spielte sich im Herzen Polens ab; und dafür gilt wohl die Las-Vegas-Parole mit dem dort passieren und dort bleiben.

    Wenn ich an Liebe denke oder an Familie oder an Erfüllung, dann ist da immer noch diese eine Lebensoption (die moderne Philosophie lehrt uns ja, dass alles aus Wahlmöglichkeiten besteht), die das Universum vor ein paar Jahren als Tribut für seine Schulmeisterei eingefordert hat, die insgeheim noch heute mein Denken und Erkennen in gewisser, sehr ausschlaggebender Art und Weise beeinflusst. Ich glaube, wenn man den Gedanken ans Ende lange genug zu bekämpfen versucht, wird der Gedanke irgendwann das, was nicht enden soll: Eine unveränderliche Alter-Tu-Imago quasi (ja, jetzt spinne ich nur noch rum). Das ist für einen verkopften Menschen beruhigend und beunruhigend zugleich.

    Ich weiß nicht, ob das alles unter "Mäuschenballast" zählt. Ich weiß nicht, ob das irgendwie verständlich ist und ob ich hier auf einen Punkt gekommen bin. Vermutlich wache ich morgen auf und habe mit all dem erstmal wieder gar kein Problem. Es ist auch jetzt kein allzu großes Problem. Es ist nur schwierig, irgendwie. Da ist so eine ganze Empfindungswelt, die nur noch in meinem Kopf besteht, und die in einer Beziehung total gut ausgelebt wäre. Wo genau die Barrieren sind und ob es welche sind, die ich mir nicht nur einbilde, weil ich dem Schulgeld nachtrauere, weiß ich nicht. Es tut jedenfalls nicht weh. Es hat nur komische Ausläufer, beispielsweise den, dass ich homo-amouröse Experimentierwünsche entwickle, nur um zu schauen, ob das etwas änderte, ob ich mit einem Kerl das Imago-Problem umschiffen könnte. Auch hier fehlt es nicht an Angebot (man glaubt gar nicht, wie attraktiv man auf homosexuelle Männer wirken muss, wenn man noch etwas knabenhaft aussieht), allerdings völlig an Eignung -- beiderseitig. Ich weiß auch nicht, ob ich an sowas Spaß hätte oder ob das für mich überhaupt möglich wäre. Es ist komisch. Es ist komisch und ich spreche in diesem Moment ein Hoch auf das anonyme Internet aus, wo man solche Dinge erzählen kann.

    Geändert von Mordechaj (03.08.2012 um 10:52 Uhr)

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