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  1. #21
    Zitat Zitat von Sylverthas Beitrag anzeigen
    Mit dem Dümpeln sprichst Du ja was an *g*
    Bei der Spiellänge von Omori kommt es, glaube ich, darauf an, worauf man scharf ist.
    Vielleicht. Und ich war durchaus scharf auf beides. Und fand, dass OMORI eigentlich beides gut vereint hat. Denn es ist ja durchaus ein Bestandteil der Kerngeschichte, dass "man" sich in den whacky Adventures verliert, während eigentlich etwas sehr Wichtiges zu klären respektive aufzuarbeiten wäre. Und dem Spiel gelingt es auch gut, genau mit diesem Dilemma beide Spielwelten und die sehr unterschiedlichen Erfahrungen narrativ zu legitimieren. Ich könnte und würde also nicht mal sagen, dass es zu lang für sein eigenes Wohl ist oder sich selbst damit prinzipiell im Weg steht. Es ist auch vom Pacing ziemlich gut gecraftet und es wird ja sogar ingame thematisiert, dass die Abenteuer die Gruppe vom eigentlich gesetzten Ziel abweichen, bis sie sich nicht mal mehr daran erinnern, wofür sie unterwegs sind. Also kein wirkliches Versäumnis des Spiels, wenn es nach mir geht. Nur eben etwas, dass sich dennoch mit leichten Nachteilen auf meine persönliche Spielerfahrung ausgewirkt hat. Das liegt aber eventuell auch zum Teil daran, dass ich relativ unempfindlich bin, was Unheimliches, Erschreckendes und Co. angeht und mich eben solche Sequenzen nicht so leicht wieder in die Ernsthaftigkeit des ganzen gezogen haben, wie es bei anderen womöglich der Fall wäre.

    Es zeigt sich aber durchaus jetzt schon, was ich im Review mit dem Wort "nachklingen" habe prophezeien wollen: Heute habe ich mir einige Reviews, Erfahrungen und sonstigen Kram zu OMORI angeschaut und nicht nur mehr Perspektiven auf das tolle Spiel gewonnen, sondern auch festgestellt, dass mich gewisse Stellen (bloß in zusammengefasster Manier) emotional plötzlich wesentlich mehr gerührt haben als während meines eigenen Playthroughs. Ich behalte mir also vor, meine Bewertung im Laufe der nächsten Tage, Wochen und Monate eventuell nach oben hin anzupassen, sollte ich weiterhin das Gefühl haben, dass OMORI nicht aufhört, nachzuklingen und zu "wachsen".

    Zitat Zitat
    Was ich aber hier schmerzlich vermisst habe: Die Erwähnung vom grandiosen Soundtrack! Einige der Bosstracks im Spiel sind so gut - wie World's End Valentine. Und jeder Boss hat nen eigenen! Denn das Spiel trumpft mit heftigen 179 erstaunlich qualitativen Tracks auf
    Du hast vollkommen Recht und jetzt schäme ich mich ein bisschen dafür. Ich habe eben erst noch das Battle Theme von Perfectheart gepumpt (weil es knallt, aber sicher auch, weil ich eine unverhältnismäßig große Zeit damit verbracht habe :x). Die Musik ist wirklich erstaunlich gut und erstaunlich vielfältig. Das Spiel bedient ja offensichtlich eine große Bandbreite an verschiedensten Emotionen und die Musik trägt jede dieser Stimmungen gekonnt mit. Man will zu ihr gemütlich mit seinen Freunden picknicken, sich auf den Dancefloor treiben lassen, High Intensity-Trainingsprogramme durchziehen oder hat eben Angst. Gerade Letzteres gilt übrigens nicht nur für den Soundtrack, sondern auch für das Sounddesign im Allgemeinen.

  2. #22
    Ich habe wieder zwei kleine Spiele auf der Liste gehabt...

    Milk inside a bag of milk inside a bag of milk

    Story?

    Ähm... man ist der Reader einer Visual Novel. Also eigentlich ist man man selbst. Und man "hilft" einem sozial unbeholfenen Mädchen dabei, Milch zu kaufen. Joa...

    Das Spiel

    Es ist mit Anlauf weird. Das besagte "Girl", wie sie sich selbst lediglich nennt, tritt mit der spielenden Person in den Dialog. Sie versteht, dass sie sich selbst in einem Visual Novel befindet und fordert Hilfe beim Milcheinkauf im Auftrag ihrer Mutter ein. Eine eher schlecht als Recht aufgestellte AI-Stimme liest die Dialoge vor. Man hat hier und da Auswahlmöglichkeiten. Wählt man die "falschen" (d.h. ist man besonders gemein zu ihr), erreicht man nicht das eigentliche Ende des Spiels. Das alles präsentiert sich in einer "Grafik", die nur aus zwei pixelhaft zusammengeschusterten Farben - schwarz und rot - besteht. Man sieht/erkennt quasi nichts. Im Zusammenspiel mit den Dialogen, dem seltsamen Setup, der weirden Audio-Präsentation und einer im Hintergrund schwelenden Bedrohlichkeit kommt dadurch tatsächlich sowas wie Atmosphäre und Horror auf.



    Wie war es denn nun?

    Ich kann nicht sagen, dass das Spiel schlecht ist. Dafür müsste ich wissen, für was es überhaupt antritt. Es wirkt wie das Hobbyprojekt einer sehr einsamen, intrasozial belasteten Person, die ein "Spiel" konzipiert und einen Self-Insert begeht. Aber keinen "Ich bin die Heldin dieser Geschichte"-Self-Insert, sondern einen, der von Selbstverachtung und Hoffnungslosigkeit geprägt ist. Das "Girl" sucht Hilfe bei einer alltäglichen Milchbeschaffungsmaßnahme und spricht dabei zu einer Stimme, die - je nach Tagesform (und Dialogwahl) - das Mindestmaß an eigener sozialer Funktionalität oder ihren tiefsitzenden Selbsthass repräsentieren könnte.

    Jedenfalls habe ich mir das so oder so ähnlich gedacht. Ich kann auch nicht sagen, dass das Spiel gut ist. Vielleicht ist es auch nur ein nihilistisches Meisterwerk, dass mich beim Versuch entlarven will, aus ihm eine nicht vorhandene Bedeutung zu quetschen. Vielleicht finde ich mehr heraus, wenn ich 'Milk outside a bag of milk outside a bag of milk' - den zweiten Teil(?) - spielen werde. Denn in meiner Library ist der bereits.

    Bis dahin bleibt mir nichts übrig als diese kleine... ähm... Perle mit einer Wertung von 5,5 von 10 Milchkartons in Milchtüten in Milchkartons abzuspeisen.


    __________________________________________


    missed messages.

    Story

    Eine junge Frau wohnt in ihrem College-Dormitory, sitzt auf dem eigenen Bett und hat den Laptop auf dem Schoß. Nebenan May, die herzallerliebste, aber zurückgezogen in ihrem Teil des Dorms lebende Zimmernachbarin der Protagonistin. Eigentlich sollte diese ja arbeiten, aber dann schickt eine attraktive Schülerin irgendwo aus dem Dorm eine Nachricht. Gehst du auf den Flirt ein oder fragst du dich, mit wem May sich in ihrem Zimnmer da gerade eigentlich so laut streitet?

    Das Spiel

    missed messages. ist einfach hübsch. Lo-Fi-Musik spielt im Hintergrund, während man die Aquarelloptik des Spiels genießt und sich im Zimmer der Protagonistin umsieht oder den Blick auf den Monitor ihres Macbooks richtet, um zu arbeiten oder die Neugier gegen die Vernunft siegen zu lassen. Dabei wird schnell klar: An einem harmlosen Flirt ist eigentlich nichts dran, aber hat man bei all der Hingabe nicht vielleicht etwas Wichtiges nicht bemerkt, für das es im Anschluss zu spät ist? Wie man sich auch entscheidet: In simpler, schicker Point-and-Click-Manier schaut man sich durch die Einrichtung oder arbeitet sich durch die Erzählung.



    Wie war es denn nun?

    Ich liebe diese Art von Spiel. Kreativ, schön und keine Minute länger als es sein sollte. 'Florence' war seiner Zeit der erste Vertreter dieser Art, der mir ins Auge gestochen ist. Und erst letztes Jahr gab es mit dem kleinen chinesischen Juwel 'LoveChoice' ein weiteres Spiel mit vergleichbarem Stil, das mir besonders gut gefallen hat. Ganz diese Höhen erreicht missed messages. für mich nicht. Vielleicht weil es dafür ein kleines bisschen zu on the nose ist. Vielleicht, weil es mich einfach nicht ganz so persönlich abholt wie LoveChoice das vor allem in und mit einer seiner Erzählungen getan hat. Aber das macht die Erzählung rund um die namenlose Protagonistin und ihre Mitbewohnerin nicht weniger gut. Es ist gleichzeitig emotional und schwer, aber irgendwie auch ein Wohlfühlort, weil es für die Probleme seiner zentralen Figuren eine einfache, aber deswegen nicht weniger richtige Lösung findet. Toll!

    Ich vergebe 8 von 10 im Wind des geöffneten Fensters wehende trans*Flaggen.

    ___________________________________________

    Damit habe ich mir also zwei ziemlich kurze Spiele auf den Zahn gelegt. Beide bedeuten für mich auch Progress in meiner Challenge und zählen zusammen als 2/4 vom Tiny Pleasures Achievement.
    Geändert von MeTa (18.01.2024 um 13:48 Uhr)

  3. #23
    Interessant, was Du zu Milk Inside A Bag of Milk Inside a Bag of Milk schreibst / denkst (btw. wie oft ich den Titel jetzt editieren musste, weil ich den immer wieder falsch hatte )
    Ich fand die beiden Teile ziemlich effektiv darin, wie sie extreme Social Anxiety vermitteln wollen, als wäre es Horror. Was es für Leute, die davon betroffen sind, wohl auch sein kann. Auch, wie sehr sie in ihrem eigenen Kopf unterwegs ist und die Außenwelt gar nicht ordentlich wahrnimmt trägt dazu bei. Sich selber die Schuld zu geben ist natürlich auch ein großes Ding davon. Alleine, wenn man am Ende nach Hause kommt und einen dann die Mutter begrüßt ist schon ein krasser Moment.

    Die negative Weltsicht kommt daher, weil man mit solchen Störungen dazu tendiert, anderen Menschen und sogar sich selber schlechte Attribute/Absichten zuzuordnen, auch wenn diese unbegründet sind. Das muss natürlich nicht jede Person mögen oder gar verstehen. Btw. denke ich nicht unbedingt, dass man "den Leser der VN" (aka sich selber *g*) spielt, auch wenn man das so nicht-diegetisch deuten kann. Viel mehr, dass man den unsichtbare "Freund" von dem Mädchen übernimmt, welcher ihr in der Einsamkeit hilft (oder nicht *g*). Was ja letztendlich nur die eigenen Gedanken sind, die man auf eine weitere nicht vorhandene Person projeziert. Oder halt ne Stimme in ihrem Kopf, wenn man ihr das noch zuordnen will - wobei es ja nicht selten ist, dass Personen mit gewissen psychischen Störungen auch noch als Komorbidität Social Anxiety entwickeln.

    Ich denke es ist kein Spiel, wo man wirklich viel reinlesen kann, es trägt doch das, was es tun will, ziemlich on the sleeve. Für die kurze Spielzeit fand ichs auf jeden Fall total in Ordnung, auch in der minimalistischen Präsentation.
    Geändert von Sylverthas (12.01.2024 um 13:58 Uhr)

  4. #24
    Zitat Zitat von Sylverthas Beitrag anzeigen
    Btw. denke ich nicht unbedingt, dass man "den Leser der VN" (aka sich selber *g*) spielt, auch wenn man das so nicht-diegetisch deuten kann.
    Zumindest wird das von "ihr" so benannt und ist damit diegetisch Das Mädchen ist sich über ihre Existenz in der VN bewusst und spricht den Teil, der ihr die Hilfestellungen (oder alles weitere) präsentiert auf diese Weise an. Aber diese Bipolarität der Spieler:innenrolle meine ich ja, wenn ich z.B. vom internalisierten Selbsthass spreche, der eben auf die spielende Person ausgelagert wird. Ich kann mich dazu entscheiden, ihr zu helfen, oder den Teil ihrer Störung/Anxiety (auch wenn ich kein Freund von dieser diagnostischen Zuweisung von pathologischen Begriffen auf fiktive Charaktere bin, wenn sie nicht explizit ausgedrückt werden, weswegen ich es anders auszudrücken versuchte) zu spielen, der ihren Selbsthass perpetuiert, sie beleidigt und von ihrer eigenen Hilflosigkeit genervt ist.

    Genau dahingehend lässt sich dem Spiel sicher auch eine gewisse Komplexität unterstellen. Das Girl ist zwar die Hauptfigur der Erzählung, aber dennoch ist es keine rein internalisierte Fokalisierung - eher vielleicht eine Dissoziation ihrerseits. Von wem wird erzählt, welchen POV nehmen wir ein? Das ist hier etwas verwischt - je nachdem wie man die Rolle interpretiert, die die spielende Person einnimmt. Darin liegt eventuell auch eine clevere Analogie zur Social Anxiety. Ich kenne mich nur - zum Glück - nicht genug mit der Erfahrungswelt betroffener Menschen aus und habe eben auch nicht den diagnostischen Anspruch, um das voll nachvollziehen zu können und zu wollen. Uninteressant ist das Spiel deswegen keinesfalls, aber einfach recht schwer in den Bewertungsrahmen zu quetschen, den ich ansonsten anlege (und mit dem ich ja schon ganz früh anfange zu strugglen ):

  5. #25
    Zitat Zitat von MeTa Beitrag anzeigen
    Zumindest wird das von "ihr" so benannt und ist damit diegetisch Das Mädchen ist sich über ihre Existenz in der VN bewusst[...]eher vielleicht eine Dissoziation ihrerseits.
    Das ist für mich der springende Punkt. Sie sagt es ja selber auch im Spiel mal an einer Stelle, dass sie sich gerne als Videospielcharakter sieht:

    Diese Dissoziation sorgt dafür, dass sie den Spieler... naja, wie den Spieler behandelt. Oder, besser gesagt: Wenn sie einen imaginären Freund / Stimme im Kopf hat, würde es wie einen "Lenker" aka Spieler ansehen. Es soll dargestellt werden, dass sie sich nicht in Kontrolle ihres Lebens fühlt - was ja auch ziemlich gut zum Thema vom Spiel passt. Aber ich glaube, dass wir beide fundamental schon von was ähnlichem Reden^^

    Zitat Zitat
    auch wenn ich kein Freund von dieser diagnostischen Zuweisung von pathologischen Begriffen auf fiktive Charaktere bin, wenn sie nicht explizit ausgedrückt werden, weswegen ich es anders auszudrücken versuchte
    Kann ich verstehen, weil man am Ende bei fiktiven Figuren irgendwo immer den Küchentischpsychologen rauslassen und alles mögliche reinlesen kann *g*
    Persönlich finde ich es aber besser, die (vermutliche) Intention zu nennen, als um den heißen Brei zu sprechen - auch wenn das Abgebildete oft nur ne Näherung oder (im schlimmsten Fall) klischeebehaftet ist. Bei To the Moon würde ich z.B. auch nie drumrumreden, dass River im autistischen Spektrum ist, auch wenn es im Spiel nicht direkt erwähnt wird - da das sehr sicher die Intention war. Wobei es bei dem Spiel hier nicht so klar ist, da sie ein Sammelsurium an ... Schwierigkeiten... hat. Der Kernpunkt mit Social Anxiety ist aber glaube ich recht safe

    Zitat Zitat
    Uninteressant ist das Spiel deswegen keinesfalls, aber einfach recht schwer in den Bewertungsrahmen zu quetschen, den ich ansonsten anlege (und mit dem ich ja schon ganz früh anfange zu strugglen ):
    Einer der Gründe, wieso ich seit langem keine Wertungen mehr vergebe. Ich denke, die werden bestimmten Spielerfahrungen einfach nicht gerecht. Und manchmal sorgts auch einfach dafür, dass man sich irgendwo an Nachkommastellen aufhängt oder in seltsame Vergleiche kommt, die eigentlich gar keinen Sinn mehr ergeben.
    Geändert von Sylverthas (12.01.2024 um 18:34 Uhr)

  6. #26
    Ich lese gespannt mit! Spielen will ich es nicht.
    Und ja, gerade solche minimalistischen Spiele beißen sich oft mit den großen, traditionellen Skalen, weil es oftmals gar nicht so viele relevante Kriterien gibt.

    Aber missed messages ist direkt auf der Liste!

    Die Texte sind auf jeden Fall eine fette Bereicherung für das Challenge-Forum! =3


    Ein klassisches Rollenspiel, reduziert auf den Zauber des alten Genres: Wortgewaltige Sprache. Fordernde Kämpfe. Drei, die einen Drachen töten – und was sie dazu führen mag ...
    Jetzt für 2€ auf Steam, werft mal einen Blick drauf! =D

  7. #27
    Ehrlich gesagt wirken beide Spiele absolut wie etwas, das mir gefallen würde und ich glaube Milk inside a bag of milk inside a bag of milk befindet sich auch schon auf einer "Wenn mal Luft für kleinere Spiele ist" Liste. Es ist auf jeden Fall interessant auch mal etwas über kleinere Spiele hier in dem Forum zu lesen, da man sonst nicht so sehr auf die aufmerksam werden würde!

  8. #28
    Milk outside a bag of milk outside a bag of milk

    Story?

    Es geht weiter. Wieder begleitet man das namenlose Mädchen im Anschluss an ihre Milchodyssee als Stimme in ihrem Kopf durch ihren einsamen, zurückgezogenen, aber nichtsdestotrotz gedankenreichen Alltag.

    Das Spiel

    Das "Girl" kommt in der Einleitung von 'Milk outside a bag of milk outside a bag of milk' noch ohne ihre Begleitstimme aus, deren Steuerung in Folge wieder die spielende Person übernimmt. Nach einiger Überforderung, einer horrenden Begegnung mit ihrer Mutter und dem Schlucken und Wegwerfen einiger Pillen ist sie aber wieder da: Die Stimme, über die die spielende Person Kontrolle übernimmt und die ihr dabei helfen soll, ihre Gedanken zu ordnen, die sich als Glühwürmchen in ihrem Zimmer manifestieren. Zur nach wie vor textreichen Visual Novel-Erzählweise des Spiels gesellt sich eine simpelste Point&Click-Mechanik hinzu, die die Interaktion mit diversen Gegenständen im Raum möglich macht.

    Wie war es denn nun?

    Puh. 'Milk outside a bag of milk outside a bag of milk' ist überraschend anders als sein Vorgänger. Zu Beginn, noch vor dem Starten des eigentlichen Spiels, werde ich erst mal mit einer animierten Cutscene überrascht. Und auch in Folge ist die Grafik des Spiels nicht mehr nur durch wirre, rotschwarze Farbmuster gekennzeichnet, die mal mehr und mal weniger kohärente Bilder ergeben. Schwarz und rot bleiben prädominante Farben, doch das Mädchen bekommt ein richtiges, erkennbares, animeartiges Gesicht.



    Und auch sonst ist alles hübscher, weniger vage und mehr... deliberate.
    Ob ich das gut finde, habe ich mich schon früh gefragt. Denn der vage, existenzielle Horror des ersten Teils findet sich auf diese Weise nicht ganz wieder. 'Outside' (auf diese Abkürzung lege ich mich jetzt fest) setzt vielleicht eher auf Body-Horror, bleibt im Vergleich zu den meisten anderen Spielen zwar speziell in seiner Ästhetik, fühlt sich in guter wie in schlechter Hinsicht aber auch viel professioneller und ordentlicher an als sein Vorgänger.

    Übel nehmen kann man das nur bedingt. Denn im Spiel geht es durchaus auch um Ordnung oder Unordnung. Wir werfen an der Seite der Protagonistin einen tieferen, mal expliziteren, mal symbolischen Blick auf ihre Psyche. Die Soundkulisse ist dabei weiterhin düster, während es in der Interaktion zwischen Girl und Stimme etwas mehr Bantering gibt. Freundschaftliches, aber auch bilateral abhängiges, toxisches Bantering. Das ist interessant, wie es der Einblick in ihre Lebens- und Erfahrungswelt überhaupt ist. Aber den Gedanken, dass die Stimmung mich nicht so abgeholt hat wie sie es in 'Inside' tat, bin ich nie ganz losgeworden. Und während ich mich dann durch die verschiedenen Enden klickte und das meiste dabei überspringen konnte, weil es sich wiederholte, hat sich die eigentlich kurze Spielerfahrung doch auch gezogen. Auch das muss nicht schlecht sein. Denn auch für sie gehören repetitive Prozesse, nach Innen wie nach Außen, zum Alltag, wie einige der Träume des Mädchen verdeutlichen. Aber so ganz den passenden Ton, um mich wirklich in diese Geisteswelt einzuladen und mitzunehmen, hat das Spiel nicht getroffen.

    Es ist naheliegend, aber auch unfair, die in gewissen Zügen ähnliche Thematik der Milk-Spiele mit OMORI zu vergleichen. Aber ich schildere ja auch nur meine Erfahrung. Und die ist, dass ich kurz vorher eben ein Spiel genießen durfte, dass in dieser Hinsicht den perfekten Einklang aus Gameplay und Erzählung bietet und mir eine psychologische Disposition, die ich selbst nicht kenne, wesentlich anschaulicher, (positiv) verstörender und nachvollziehbarer vermittelt hat als 'Milk'. Und während Teil eins noch den experimentellen Appeal eines Spiels hatte, das wie direkt aus der kaputten Psyche eines Menschen in Videospielformat gegossen wirkte, ist der zweite Teil zu clean um mich auf einer subtilen Ebene genau so zu rühren.

    Ich ziehe deswegen, verglichen mit 'Inside', ein bisschen ab und gebe 'Outside' 5 von 10 unter Tränen aus Albträumen aufwachenden Mädchen.

    _______________________________________________________

    Ich habe für 'Milk outside a bag of milk outside a bag of milk' 95 Minuten gebraucht. Damit qualifiziert sich das Spiel ebenfalls für das Tiny Pleasures-Achievement und soll meinen Progress für eben dieses auf 3 von 4 ausweiten.

    Außerdem: Was ich angekündigt habe, ist soweit. OMORI lässt mich nicht los, wie dieser Erfahrungsbericht (und noch viel mehr mein Youtube-Verlauf) beweist. Aus Gründen der Transparenz sei hier also erwähnt, dass ich den Score von OMORI nachträglich auf 9 (statt wie zuvor 8,5) anpasse.
    Geändert von MeTa (19.01.2024 um 14:40 Uhr)

  9. #29
    Jau, also mit Deiner Einschätzung zum 2. Teil stimme ich durchaus überein. Ich fand auch, dass der Teil weniger speziell war, weil viel vom ersten das wirklich Experimentelle ausgemacht hat. Fand auch, dass die "Probleme" von dem Mädchen in dem Teil noch ne ganze Ecke diffuser wurden und ich war nicht sicher, ob das einfach nur noch ein Durcheinander von allen möglichen Erkrankungen sein soll. Es war aber auf jeden Fall auch ne Erfahrung, und das Innenleben vom Mädchen wird wirklich interessant dargestellt, wie Du gut beschreibst.

    Ich finde auch dieses "ich erspiele jetzt mehrere Enden und skippe alle Dialoge" schadet solchen Spielen eigentlich mehr als das es nutzt, auch wenn ichs selbst öfter mache als gut ist. Keine Ahnung, wie das bei anderen ist, aber sobald ich anfange wirklich viele Dialoge zu skippen um zu den Entscheidungen zu kommen, um alle mal durchzuprobieren, entferne ich mich ziemlich vom Geschehen und bin dann irgendwie "raus". Kann sich natürlich wieder umkehren, wenn die Handlung dann gut an Fahrt aufnimmt (Zero Escape kann das z.B. ganz gut). Aber auch ein Grund, wieso ich Visual Novels eigentlich nicht mag, die erfordern, dass man alle Routen gesehen hat um das "true ending" zu erspielen. Viel lieber hab ichs, wenn man "die eigene Route" haben kann.
    Geändert von Sylverthas (28.01.2024 um 21:38 Uhr)

  10. #30
    Zitat Zitat von Sylverthas Beitrag anzeigen
    Ich finde auch dieses "ich erspiele jetzt mehrere Enden und skippe alle Dialoge" schadet solchen Spielen eigentlich mehr als das es nutzt, auch wenn ichs selbst öfter mache als gut ist. Keine Ahnung, wie das bei anderen ist, aber sobald ich anfange wirklich viele Dialoge zu skippen um zu den Entscheidungen zu kommen, um alle mal durchzuprobieren, entferne ich mich ziemlich vom Geschehen und bin dann irgendwie "raus". Kann sich natürlich wieder umkehren, wenn die Handlung dann gut an Fahrt aufnimmt (Zero Escape kann das z.B. ganz gut). Aber auch ein Grund, wieso ich Visual Novels eigentlich nicht mag, die erfordern, dass man alle Routen gesehen hat um das "true ending" zu erspielen. Viel lieber hab ichs, wenn man "die eigene Route" haben kann.
    Ich denke und finde auch, das steht und fällt mit dem Writing. Das Problem vieler Visual Novels dieser Art ist, dass sie darauf geschrieben sind, einzelne Routen darzustellen, aber trotzdem erfordern oder wollen, dass man mehrere spielt. Positive Beispiele (wie eben von dir genannt Spike Chunsoft Games) wissen um letzteren Umstand und schreiben sich auch genau darauf, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden oder die Repitition zum Teil der Geschichte zu machen. Ich mag das Konzept von vielen Routen und einem True oder Hidden Ending eigentlich, aber ein Spiel sollte sich im besten Falle eben auch darauf verstehen, das Erleben dann nicht zu einem Skipfest zu machen.

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    In other news:

    Spiritfarer (Farewell Edition)

    Story?

    Man übernimmt die Kontrolle über Stella, die anfangs nicht näher beleuchtete Protagonistin, die den Job des griechischen Unterweltfährmann Charon erbt. Mit einem Schiff, das weit mehr ist als ein kleines Fährboot, reist man über die See und zu verschiedensten Inseln, um ruhelose Spirits einzuladen, noch ein bisschen Zeit auf besagtem Fährhotel zu verbringen, bis die letzte Reise zur sogenannten Everdoor ansteht.

    Das Spiel

    ‚Spiritfarer‘ ist ein narratives Spiel. Aber auch ein sogenanntes Cozy-Game. Cozy soll daran das Management-Prinzip sein. Stella ist Herrin des Bootes. Sie umsorgt ihre Gäste mit Lebensmitteln, Umarmungen und all dem, was auch immer sie sich sonst so wünschen. Dafür muss sie Samen anpflanzen, fischen, kochen, Sternschnuppen fangen, Landgänge auf Inseln machen, Botengänge machen, neue Häuser auf das Boot bauen, Erze zu Metallen gießen, Metalle in der Schmiede verarbeiten, aus Holz Planken machen, Hühner für Eier umsorgen, Käse reifen lassen, Blitze einfangen, fischen, kochen, Erze zu Metallen gießen, Botengänge machen, Schafe scheren, Kühe melken, Blitze einfangen, fischen, kochen, Sternschnuppen fangen, fisch… und viel mehr. Belohnt wird man dafür gelegentlich mit Dialogen, die Licht auf die Vergangenheit und/oder Gefühlswelt der Gäste werfen. Wenn die Spirits lange Zeit auf dem Schiff verbracht hat und alle ihre Quests erfüllt sind, begleitet man sie auf dem Weg zur Everdoor, um dort mit einer letzten Umarmung Abschied zu nehmen.



    Wie war es denn nun?

    Ich bin und war ehrlich gesagt ein bisschen sauer und habe das in der vergangenen Woche auch häufig meckernder Weise kund getan.

    Ja, mir war bewusst, dass Spiritfarer ein "cozy game" ist - auch wenn ich mich frage, was an dem Grind, bei dem ständig irgendetwas zu tun ist, cozy sein soll. Denn mich hat es total gestresst. Aber das soll nicht mal mein Punkt sein. Trotz vermeintlicher Cozyness, Management-Gameplay und der Länge des Spiels habe ich mir trotzdem keinen akkuraten Begriff davon gemacht, wie viel Zeit ich mit dem ganzen Kram verbringen werde und wie belanglos er sich anfühlt. Nichts ist gameplaytechnisch anspruchsvoll. Und das muss und soll es auch nicht sein. Aber ich MUSS ja trotzdem sehr viel davon machen. Denn um Spirit X zufrieden zu stellen, brauche ich dieses und jenes Essen. Und dafür brauche ich zwei Zutaten. Die eine ist auf dieser einen Insel. Die andere... auf der anderen. Aber da komme ich noch nicht hin, weil dafür brauche ich erst mal eine Schiffserweiterung, für die ich wiederum das eine Material brauche, das ich aber erst kriege, wenn ich die Questline des anderen Spirits weit genug vorangetrieben habe. Alles daran ist Arbeit. Und zwar immergleiche Arbeit. Dass man mit der Zeit mühselig Materialien und Geld anspart, um das Schiff schneller von A nach B fahren zu lassen, macht das ganze nur geringfügig besser. Ich habe Spiritfarer bewusst nicht mit Guide gespielt, weil ich das zu oft mache und Angst habe, dass es eine tolle Spielerfahrung beeinträchtigt. Aber hier wünschte ich mir im Nachhinein doch, dass ich es getan hätte, um zu wissen, wo ich was herkriege, damit dieses Fegefeuer an Spiele-Loop wenigstens etwas kürzer wäre. Denn meine ca. 38 Stunden Spielzeit sind ja so schon nicht wenig, haben sich aber nach noch viel mehr angefühlt.

    Okay, es ist also nicht mein Spiel, nicht mein Gameplay. Objektiv ist daran gar nichts schlecht. Und mit einem anderen Mindset findet man das ganze vielleicht sogar wirklich cozy. Schön und gut. Enttäuscht sein, abhaken, nächstes Spiel, könnte man meinen. Also warum bin ich sauer?

    Weil ich das Gefühl habe, so viel zu verpassen. Die Charakterdesigns sind herzallerliebst und durchdacht. Die Monologe und Hintergründe der Spirits ergreifend und abwechslungsreich, die Themen könnten tief nachdenklich stimmen und werfen verschiedenste Blicke und Perspektiven auf das Thema des Sterbens, was mir sehr viel geben und mich sehr tief berühren könnte. Und ja - in manchen der seltenen Momente, in denen man einen dieser Spirits zur Everdoor bringt und ein letztes Mal mit ihm spricht, bin ich für einen Moment zu Tränen gerührt gewesen. Aber eben nur kurz und nur wegen des pointierten, fantastischen Writings. Und kurz danach ist alles vergessen. Die Gedanken, die die von mir gehende Figur gerade geteilt hat und die mich zum Nachdenken anregen könnten, tun das nicht. Weil ich mit ihr - über diesen Moment hinaus - auch gar nicht so richtig connecten konnte. Weil sie Bittsteller:in war und ich mich arbeitsam durch die Questline geschaufelt habe. Ich habe für diesen Charakter so viel grindiges Management betrieben, dass ich gefühlt dazu gezwungen werde, ihn als Questgeber in einem langweiligen Spiel wahrzunehmen. Nicht als die tolle, vielschichtige Person als die sie geschrieben wurde. Ich habe vielleicht 2 Stunden mit den Charakteren und ihren Geschichten verbracht. Und 36 damit, ihre Wünsche zu erfüllen. Die zwar in ihrer Geschichte verankert sind, aber deren Umsetzung mich dennoch nur davon ablenkt.

    Es tut mir Leid. Für mich. Für das Spiel. Für die tollen Writer. Aber so bleibt Spiritfarer für mich 1.000 Seemeilen hinter seinem großen erzählerischen Potenzial. Cozy Shmozy!

    Dafür bekommt das Spiel 4 von 10 tumorhaft aus dem Kopf eines Seedrachen wuchernde Erze.

    __________________________________________________________

    Als würde Spiritfarer mir aufzeigen wollen, wie wenig es und ich zueinander passen: Es passt auch zu keinem meiner Achievements. Ich hatte mir irgendwann mal vorgenommen, alle Achievements zu holen, aber der Grind hat mich dann doch davon abgebracht. Das ist aber auch gar nicht schlimm. Immerhin habe ich ein gutes Tempo drauf und bin zuversichtlich, dass ich in Bälde wieder echten Progress in Sachen Challenge mache.
    Geändert von MeTa (29.01.2024 um 23:01 Uhr)

  11. #31
    Sei froh und dankbar, dass du bei Spiritfarer nicht alle Achievements holen willst, denn dafür muss der dicke Frosch bis zum Ende auf dem Schiff bleiben und dich mit seinen Essenswünschen nerven und du musst alle Gerichte kochen und dafür die Rezepte und alle Zutaten farmen und alle Kunstgegenstände finden und das Schiff komplett ausstatten und alle Leuchttürme aktivieren und jedes einzelne Schaf auf der verdammten Map finden und alle, wirklich jeden einzelnen Spirit exstatisch machen (dafür brauchst du den Frosch auf dem Schiff) und jeden Raum voll ausstatten inklusive jeder einzelnen Handwerksanfrage mit jedem erdenklichen Material und währenddessen nicht an der Frage nach dem Sinn zugrundegehen. Achja, und dann musst du das Spiel nochmal bis zur Zweidrittelmarke spielen, um an einem Punkt eine andere Entscheidung in einem Dialog zu treffen.

    Weißt du jetzt, was ich mit der Wand gemeint habe?

    Selten waren Theorie und Praxis bei einem Spiel so weit voneinander entfernt wie bei Spiritfarer. Ich denke, wenn man sich Zeit lässt und über das Meer mäandert und hier mal einen Baum fällt und da mal eine Beere pflückt, könnte man glücklicher werden mit dem Spiel. Das sind jedoch Level an Zen, die ich in meinem Leben nicht zu erreichen vermag. Ich habe Dinge zu tun und möchte ein kleines bisschen effizient spielen, aber dann ist man halt sofort drin im Grindset. Aber vielleicht soll der ewige Grind im Hamsterrad eine Aussage treffen zu unserem allzukurzen Leben? Ich verstehe und teile deine Emotionen, denn ich will Spiritfarer mögen für seine Themen und sein Writing, aber wenn dieser beknackte Frosch noch einmal seine Flöte rausholt, zünde ich das Boot an.

    Geändert von Caro (29.01.2024 um 19:02 Uhr)

  12. #32
    Zitat Zitat
    Ich bin und war ehrlich gesagt ein bisschen sauer

  13. #33
    Zitat Zitat von Caro Beitrag anzeigen
    Weißt du jetzt, was ich mit der Wand gemeint habe?
    Oh ja! Da war von Beginn an eine kleinere Mauer, auf die man recht mühsam klettern musste, gefolgt von weiteren ähnlichen Hindernissen. Aber ab einem gewissen Punkt war da plötzlich diese riesengroße Mauer, die mir komplett den Weg versperrt hat und mühsames Drumrumwirtschaften erforderte - teils eben ohne dass ich wusste was ich mache. Und ich hatte keinen David Hasselhoff, der sie niedergesungen hat.

    Zitat Zitat
    Aaaah! Erinner mich doch nicht an diese Entscheidung. Es ist ein gedanklicher Grind, mir zu überlegen, worauf ich eher verzichten kann.

    @Liferipper: Vielen Dank. Ich werde langfristig beobachten, ob mir das geholfen hat.

  14. #34
    Raging Loop

    Story?

    Der aus Tokio stammende Haruaki Fusaishi fährt nach der Trennung von seiner Freundin mit seinem Motorrad ins japanische Nirgendwo. Er hat einen Unfall und strandet in einer kleinen, technikfernen Dorfgemeinde. Die dort lebende Bevölkerung reagiert mit Vorbehalten auf ihn und andere Nicht-Einwohner:innen. Doch mindestens genau so beunruhigend: Ein dichter Nebel zieht über die Stadt und in der Nacht kommt es zu mysteriösen Toden. Die Ansässigen sind sich sicher, dass ein Ritual beginnen muss, dass sich "Feast of the Yomi Purge" nennt. Während die von den Göttern auserwählten Wölfe in der Nacht vermeintlich unschuldige Dorfbewohner.innen töten, muss tagsüber darüber verhandelt werden, wer die Wölfe sein könnten, damit man sie hinrichten kann. Nur so kann eine Seite gewinnen und Schaden vom Dorf abgehalten werden. Doch die wahren Ursprünge dieses "Festes" sind längst nicht das einzige Mysterium, das es zu lösen gilt...



    Das Spiel

    Raging Loop ist - zum Teil - der feuchtgewordene Traum von Werwolf-Fans. Und ich meine nicht Werwölfe im Allgemeinen, sondern natürlich das beliebte Kommunikationsspiel "Werwölfe von Düsterwald" (oder auch "Mafia"). Denn das Feast of the Yomi Purge ist im Wesentlichen genau das. Nur eben mit mehr als den regeltechnischen Archetypen, sondern echten Menschen. Und das ist toll für Leute, die auch das Werwolfsspiel gerne um Rollenspielaspekte erweitern, um mehr Tiefe zu geben. Diesbezüglich macht es total viel Sinn, dass die Veranlassung für das Feast auf Mythologie zurückgeführt wird. Denn die Dorfgemeinde ist (mal mehr, mal weniger) hochgradig gottesfürchtig und hinterfragt das ganze deswegen automatisch weniger als sie könnten. Man (respektive der Protagonist) ist, je nach Route, also mal indirekt und mal direkt in dieses Werwolfsspiel involviert und nimmt unterschiedliche Rollen ein, die sein Verhalten stark beeinflussen - wie das auch bei allen anderen der Fall ist. Dazu kommt, dass schon der erste, recht frühe Tod, der Haruaki ereilt, nicht etwa das Ende bedeutet. Vielmehr wird er in der Zeit zurückgesetzt und erinnert sich in kritischen Momenten an seine zuvor gemachten Erfahrungen. Er loopt. Das gibt ihm - und mit ihm der spielenden Person - die Möglichkeit, Fehlentscheidungen noch mal zu überdenken und eine andere Route einzuschlagen. Das ganze funktioniert - wie in Visual Novels üblich - natürlich über die gute alte Dialogauswahlfunktion.

    Wie war es denn nun?

    Puh. Es fällt mir unheimlich schwer, ein einheitliches Urteil für Raging Loop zu finden. Zwar habe ich die wichtigen Zäsurpunkte nicht anhand meiner Spielzeit abgecheckt, doch ich habe das Gefühl, dass ca. 2/3 des Spiels mir verdammt gut gefallen haben. Noch dazu weiß ich nicht, wie ich meine Eindrücke gut spoilerfrei schildern kann. Dementsprechend wird dieser Eintrag vermutlich ein verhackstückeltes Schundwerk für alle, die die Spoiler nicht aufdecken. Aber wer das Spiel nicht kennen sollte und es noch spielen will, weiß inzwischen ja eh genug.

    Insbesondere die Route, in der Haruaki die Snake - also die Seherin - ist, hat mir hervorragend gefallen. Er muss taktieren und die Ziele seiner Untersuchung logisch auswählen, dabei darauf achten, die Informationen aus seinen vorherigen Loops nicht mit anderen zu teilen, Informationen für andere bereithalten, aber sich nicht zu sehr ins Fadenkreuz bringen. Das Konzept und der diverse Cast machen es möglich, dass dabei ein spannendes, unberechenbares und trotzdem nicht hanebüchenes Hin und Her zwischen erleichtertem Aufatmen und angespanntem Zittern entsteht. Obwohl man falsche Entscheidungen dank der Loop-Mechanik immer wiederholen kann, ist es keineswegs so, als würde die Tension dadurch verloren gehen. Denn man will es ja trotzdem so gut wie möglich überstehen und fragt sich zudem irgendwann, ob es selbst bei perfekten Entscheidungen überhaupt einen zufriedenstellenden Weg heraus aus dem ganzen gibt. Ähnlich stark setzt es sich in der Werwolfsroute fort - nicht was die Legitimation für die Kills angeht, aber das allgemeine Feast-Spiel. Man muss nun gegen logische Argumentationen aber auch treffende Intuitionen seiner smarten Mitstreiter vorgehen. Teilweise hat man das Gefühl: "Woher weiß der DAS denn jetzt? Wo hat Haruaki etwas Falsches gesagt?" Man beginnt, Leute zu fürchten und zu verabscheuen, die ja eigentlich nur smart und zum Wohle der Gemeinschaft (und ihres eigenen Lebens) handeln. Und das ist sehr stark. Doch gleichzeitig hatte diese Route - die auch die letzte der eigentlichen Werwolfsspielrouten ist - auch schon ein erstes Problem, das etwas an mir genagt hat:

    Ich hätte mir gewünscht, dass es eine wirklich gute Erklärung dafür gibt, dass die Werwölfe das tun, was sie tun. Das Spiel klärt auf, dass es die Outsider als Wölfe nicht so hart trifft wie die Dorfbewohner:innen, weil die kulturelle und religiöse Tradition bei ihnen einfach tiefer verwurzelt ist. Doch Freunde, Verwandte und Geliebte brutalst töten, weil Regeln das nahelegen erscheint mir krass. Hier hätte ich mir - wie an vielen späteren Stellen - mehr "Show" und weniger "Tell" gewünscht. Ja, ich sehe alles durch Haruakis Augen und der kommt immerhin von außerhalb. Aber ich will ja auch andere Charaktere mögen und verstehen, wie sie an diese Punkte kommen können. Das ist sicher auch ein individuelles Problem von mir. Denn ich spiele ja sehr bewusst ein Death Game, bei dem genau das passiert und muss mich eben darauf einstellen, dass da so etwas passiert. Vielleicht hätte ich das nötige Maß an Suspension of Disbelief aufbringen müssen, um das zu akzeptieren. Tue ich bei Danganronpa und co. ja auch, wo die Motive für Morde auch bei Charakteren, die ich dann womöglich noch mag, nicht immer alles Handeln rechtfertigen. Aber Danganronpa ist over the top, hat verrückte, überzeichnete Charaktrere und ist allein deswegen ganz anders als das anfangs viel bodenständigere Raging Loop. Hier sind die Figuren eben so bodenständig oder auch "echt", dass ich persönlich mehr brauche, um sie nicht abzun.


    So schlimm war das aber auch gar nicht. Der ein oder andere Charakter hat dadurch vielleicht an Faszination verloren, aber es gab immer noch viele, an die ich mich besser binden konnte. Doch der - für mich - spaßige Teil des Spiels war nun leider auch vorbei. Vor dem True Ending, dem letzten Pfad im Spiel, springt Haruaki nun noch mal durch ein paar Loops und nutzt die gesammelten Informationen, um weiteres Wissen aus den verschiedensten Charakteren hervor zu holen und das große Rätsel zu lösen. Das ist eigentlich eine coole Idee, hat mich aber mehr und mehr ermüdet, denn es wurde alles zu einem wahren Bombardement aus Exposition. Das hätte mich in jedem Fall überfordert. Noch dazu fand ich aber auch nicht besonders clever oder gelungen, worauf es hinausläuft. Wenn ich überhaupt richtig verstanden habe, was das so ist. Denn ich gebe zu, irgendwann nicht mehr ganz so aufmerksam gewesen zu sein. Ich liste einfach mal ein paar spoilerige Gedanken auf, die ich so hatte:


    - Die Auflösung ist, dass das alles eigentlich gar keinen Religiösen, Magischen oder sonstwie Übernatürlichen Hintergrund hat, sondern eine Verschwörung der größeren Gemeinde ist, zu der das Dorf gehört. Der angepriesene Gott ist kein Gott, sondern eine Fabrikation von eben diesen Menschen, um die dort Lebenden zu unterdrücken. Gott ist ohnehin nicht das, was die meisten darunter verstehen. Gott ist ein inneres Prinzip. Das ist, so wie es präsentiert wird, eigentlich schon ziemlich lame, verliert im Gesamtkontext aber noch mal an Kraft. Denn während all das als mundane Verschwörung erklärt wird, gibt es trotzdem krass übernatürliche Elemente. Ein gewaltiges, ganz Japan zerstörendes Monster zum Beispiel. Oder eine alles vergewaltigende Präsenz, die eine Dorfbewohnerin besessen hat, lange bevor die Erzählung beginnt.

    - Die erste Person, die man im Spiel trifft - noch außerhalb des Dorfes - ist die Ex-Freundin von Haruaki. Und er weiß das, sofort, auch wenn sie durchaus einige Geheimnisse parat hält. Als Spieler:in erfährt man das aber erst ganz am Ende des Spiels und kann es dann im Special Revelation Mode nachlesen. Warum? Einfach, weil es die spielende Person nicht wissen soll und man hier plötzlich erfährt, dass eben nicht jeder Gedanke mit einem geteilt wird. Nur damit es später mehr zu enthüllen gibt. Das gleiche lässt sich über Haruakis echten Namen sagen. Oder sicher über viele andere Details, die man noch aufdeckt, wenn man den Revelation Mode tatsächlich spielt, was ich nicht getan habe.

    - Etwas, was ich dem Spiel eigentlich nicht wirklich vorwerfen kann, meine Spielerfahrung aber trotzdem negativ beeinträchtigt hat: Begriffe und Namen. Das Spiel ist eben japanisch und nicht so polished wie andere Genrevertreter, bei denen man das Gefühl hat, dass Übersetzungen für den weltweiten Markt schon mitgedacht sind. Ich stolperte ständig über Namen und musste auch nach 20 Stunden überlegen: "Moment, wer war das noch gleich!" Das ganze ist nicht anders, wenn es um regionale Geschichte, Folklore oder Mythologie geht. Verschiedene Begriffe stehen teils für das gleiche und umgekehrt. Auch Begriffe, die etwas anderes bezeichnen, klingen oft einfach gleich. Und in all dem Chaos der letztendlichen Enthüllungen steige ich irgendwann einfach nicht mehr durch. Und dann steige ich aus.

    - Aus irgendeinem Grund machte Raging Loop am Anfang den Eindruck auf mich, als wäre es in bestimmten Klischeedingen weniger dramatisch als andere Spiele dieser Art (oder VN im Allgemeinen). Haha, wie naiv ich war. Das Frauenbild habe ich als schrecklich wahrgenommen. Teilweise habe ich das Gefühl, dass sich die paar konventionell hübschen weiblichen Figuren eigentlich nur darüber definieren, wie sie sich in Liebesdingen zum Protagonisten verhalten. Und dass sie hübsch sind, ist auch das Erste, das über sie gesagt wird. Die drei eigentlich tollen Haupt-Werwolfsrouten sind gleichzeitig irgendwie auch Romance Game-artige Routen, in denen sich Haruaki jeweils für eine dieser Frauen entscheidet und tiefe Gefühle für sie entwickelt. Naja, bis der Loop zu Ende ist und in der nächsten noch (literally) "some affection" übrig ist, aber er dann eben einer anderen an der Schürze hängt. Bis zur Mitte des Spiels (oder sogar weiter) hatte ich noch die Hoffnung, dass sich das irgendwie einordnet. Dass die seltsamen Gefühlsbeziehungen zwischen den Frauen und ihm auch nur ein Mysterium sind, zu dem es noch eine gute Erklärung gibt. Aber nein, Haruaki ist scheinbar einfach unwiderstehlich.


    Das reicht. Ich könnte wahrscheinlich noch mehr sagen, wo die Eindrücke noch frisch sind. Und meine Frustration wird deutlich genug. Aber ich bin eben auch frustriert, weil die Erwartungshaltung zwischendurch so hoch war. Und das nicht, weil ich Mystery-VNs eh mag und das Setting für mich besnderen Reiz hatte. Sondern weil das Spiel selbst so gut war, dass es mich voll in seinen Bann gezogen hat. Doch ein Teil dieses Banns war eben auch das Versprechen auf eine tolle Auflösung. Und während ich zwar immer noch positiv an die coolen Routen zurückdenke, muss ich doch sagen, dass das Ende, welches ich wirklich als fürchterlich empfunden habe, nicht nur für sich genommen schlecht war, sondern auch die besseren Teile runtergezogen hat. Und das macht meine Unentschlossenheit aus.

    Um diese Unentschlossenheit nicht nur in Worte, sondern auch in Zahlen zu fassen, vergebe ich 5 von 10 Wörter, die, wenn man sie mit anderen Kanji schreibt, etwas ganz anderes bedeuten können. Mehr kann ich dem Spiel für diese Auflösung nicht geben. Doch weniger wäre auch albern, wo es zwischenzeitlich doch auf einem fantastischen Kurs war und ich die tollen Aspekte auch im Nachhinein nicht missen möchte.

    __________________________________________________________

    Immerhin ist Raging Loop aber ein weiteres Häkchen auf meiner Challenge-Liste. Es ist ein Mystery UND Death Game-Visual Novel und beschert mir damit Progress in der Kategorie "999 - The Somnium Ronpa". Yay!

  15. #35
    Juniper's Knot ist mir bei einer einfachen Google-Recherche über gute, kurze Kinetic Novels über den Weg gelaufen. Da man in diese nicht viel Spielzeit zu investieren hat, brauchte ich nicht viel mehr, um überzeugt zu sein, dem ganzen eine Chance zu geben.

    Story?



    Ein "Fiend" - ein humanoides Wesen mit dämonischen Hörnern und elfischen Ohren - fristet ein tristes und einsames Dasein in einer verlassenen Ruine. Bis ein Mensch sich in ihre abgeschiedene Domäne verläuft und die beiden ungleichen Wesen sich unter größter Vorsicht kennenlernen. Zwischen Neugier, Vorbehalten, Versprechen und dämonischen Pakten entsteht eine fragile Bindung, die jederzeit an der Verschiedenheit der beiden zu zerbrechen droht.


    Das Spiel

    Was soll ich sagen? Es ist ein Kinetic Novel. Während ich zwar ein strarker Verfechter davon bin, dass auch das ein handfestes Gaming-Genre und nicht nur eine erweiterte Form der Belletristik ist, gibt es zum Spiel nicht viel mehr zu sagen. Einfache Hintergründe und - erstaunlich - stimmungsvolle Hintergrundmusik, auf der sich die zwei Charakterporträts befinden (und gelegentlich bewegen) bilden den Rahmen, in dem sich die aus den zwei verfügbaren Perspektiven gespeiste, kleine Geschichte entfalten kann.


    Wie war es denn nun?

    Bezaubernd, um es mit einem Wort zu sagen. Zu Beginn war ich noch sehr skeptisch. Ich konnte nicht ganz einordnen, ob die für ein Visual Novel untypische Sprache des Spiels auf einen Übersetzungsfehler zurückführen ist oder nicht. Schnell sollte sich das aufklären. My bad - kein Übersetzungsfehler. Ich bin nur fürchterlich konditioniert. Vielmehr sind die Texte toll, zeugen von großem Verständnis des Genres und der englischen Sprache und orientieren sich darin an den Eigenheiten ihrer Charaktere, die durch authentische Ambivalenz bestechen. Auf der einen Seite die Dämonin, die einsam, traurig und verletzlich ist, doch auch brutal und nihilistisch. Auf der anderen Seite der fremde Mensch, der ihr gegenüber mit großer Angst, doch auch einer forschen, couragierten Neugier ausgestattet ist.

    In der Geschichte, deren Erleben mich eine Dreiviertelstunde gekostet hat, habe ich trotz der kurzen Dauer das Gefühl, ein gutes Gespür für die Welt zu bekommen. Weil die Autor:innen die Existenz von Fantasyklischees nicht leugnen, aber vage genug bleiben, um das Gefühl einer eigenen kleinen Lore zu wecken. Kindermärchen, die von gerissenen Fiends berichten, die Erwähnungen von Städten und Mooren als Herkunft der verschiedenen Spezies. Eine lange, pulsierende Geschichte dieser Welt, mit der Hoffnung, dass heute alles besser sein könnte als früher. All das und mehr sind Dinge, von denen ich erfahre und die sich in meinem Kopf irgendwie zu einem Gesamtbild ergeben, wo ich doch eigentlich nur dem seltsamen Gespräch zweier Individuen lausche.

    Besonders beeindruckend habe ich kleine Details in der Präsentation wahrgenommen. Die Musik, die in den richtigen Momenten an Fahrt aufnimmt, habe ich bereits erwähnt. Ebenso wie die sich bewegenden Charaktersilhouetten. Denn Mensch und Fiend zögern an- und miteinander. Zum Teil wird das sehr gefühlvoll angedeutet, in dem sich eben diese Silhouetten ein kleines Stück mehr voneinander entfernen - oder eben näher kommen. Gelegentlich schweift "die Kamera" auch ab, zeigt mir karge Steinwände oder andere, mal mehr, mal weniger nennenswerte Details der Umgebung. Alles ist so stimmungsvoll und am Ende der kurzen, aber lebhaften Erfahrung habe ich das Gefühl, gerade eine wirklich toll mit den Stärken des Mediums arbeitende Geschichte bezeugt zu haben. Ich würde wahrscheinlich jede Person verstehen, für die das Spiel nichts Besonderes ist. Doch für mich sticht es gekonnt und auf Grund vieler Nuancen aus dem Genre heraus.

    Ich gebe diesem Erlebnis 9 von 10 feurige Bannkreise. Mal sehen, wie dieser tolle Eindruck mit der Zeit gedeiht oder verkommt.

    __________________________________________________________

    Juniper's Knot ist kurz genug, um mein Tiny Pleasures-Achievement voll zu machen. Doch kurze Spiele gibt es - zum Glück - wie Sand am Meer. Und auch wenn ich achievementhungrig bin, habe ich doch Lust auf eine andere Kategorie. Es soll also das erste der drei Kinetic Novels sein, die ich dieses Jahr (mindestens) spielen will. Also 1 von 3 für Click 'N Cry (was zwar nicht literally zutrifft, aber sich reimt - also sehr gut ist).
    Geändert von MeTa (18.02.2024 um 22:35 Uhr)

  16. #36
    Uh, direkt auf die Liste! =3


    Ein klassisches Rollenspiel, reduziert auf den Zauber des alten Genres: Wortgewaltige Sprache. Fordernde Kämpfe. Drei, die einen Drachen töten – und was sie dazu führen mag ...
    Jetzt für 2€ auf Steam, werft mal einen Blick drauf! =D

  17. #37
    Hab mir Juniper's Knot auch direkt in die Library geladen.




  18. #38
    Ich fand das damals auch sehr stark, auch wenn es mittlerweile wieder aus der Erinnerung entschwunden ist.

  19. #39
    Lynne

    Story?

    "Lynne is a short visual novel [...] about the scariest thing in the world - being a teenager" sagt die Spielebeschreibung auf itch.io. Aber es geht nicht einfach nur um irgendeinen Teenager. Sondern um ein 15-jähriges Mädchen aus einer White Trash Familie im Herzen von England. Lynns große Schwester hat mit 19 keinen Schulabschluss, dafür einen Babybauch. Ihr Vater hat cholerische Anfälle. Ihre beste Freundin hat einen über 30-jährigen Freund aus Japan, der ihre teure Geschenke kauft und dafür etwas mehr von ihr sehen will. Und Lynn selbst hat ein großes Problem mit ihrer Umwelt, aber vor allem mit sich selbst.


    Das Spiel



    Lynne ist ein weiteres, kurzes (ca. 1,5 Stunden) Kinetic Novel. In mancherlei Hinsicht erinnert es an die Milk-Spiele. Es ist aber weniger experimentell. Die Optik umfasst auf maximale Unschärfe gestellte Aufnahmen der Handlungsorte und schafft ein Atmosphäres Bild von Lynns Umgebung und ihrer Wahrnehmung dieser. Das ganze wird ergänzt durch obligatorische Charakterbilder im Zentrum des Bildes und über dem Text. Es gibt keine Entscheidungen und nur eine kleine Besonderheit: ein Stress-Meter, das in Momenten steigt, in denen Lynns negative Emotionen durch irgendetwas getriggert werden. Durch ihren Vater, der ihr mehr oder weniger direkt zu verstehen gibt, dass ihr (Bildungs-)Erfolg seine letzte Hoffnung ist. Durch das ständige Erinnertwerden an die bevorstehenden Abschlussprüfungen. Durch so viel mehr. Und auch durch schreckliche Albträume.

    "Warum ein Stress-Meter, wenn man doch eh nicht beeinflussen kann, wie es ihr geht?", mag die eine oder der andere fragen. Weil dieser kleine Kniff doch tatsächlich bewirkt, dass auch die Anspannung steigt, während Lynns Stress-Faktor in die Höhe rast.

    Wie war es denn nun?

    Ich bin wieder mal äußerst angetan. Und wieder mal hat das Spiel mich erst etwas gewinnen müssen. Denn es beginnt direkt mit einer Albtraumsequenz, in der Lynns Selbsthass und ihre dissoziative Neigung in dysmorpher Body Horror-Manier nur allzu deutlich werden. So deutlich, dass ich dachte: "Okay, ich hab's verstanden!" Und auch als ich dann in die wache Erlebniswelt der Protagonistin eintauchen darf, geht das eigentlich so weiter. Es ist alles trostlos und scheiße. So sehr, dass ich noch nicht ganz absehen kann, was mich daran jetzt reizen soll. Okay, ich höre seit einem Monat quasi pausenlos Olivia Rodrigo und ergötze mich an feinst vorgetragener Teen Angst und Insecurity. Aber so pessimistisch vorgetragen wie hier war ich mir zuerst nicht sicher, ob ich da der Stimme einer strugglenden Teenagerin lausche oder die Stimme in all dem Leid nicht einfach untergeht.

    Obwohl das Spiel auch im Folgenden keinen Zweifel daran lässt, dass es für Lynn nicht gut enden wird, veränderte sich mein Blick darauf doch zunehmend. Ich habe angefangen, Schlüsse zu ziehen. Zwischen ihren Erfahrungen, dem, was ihr erzählt wird und ihren Albträumen. Denn da gibt es - natürlich - Verbindungen. Und in dieser, sehr gelungenen, Hinsicht ist das Spiel nicht mit dem Holzhammer unterwegs: es legt diese Verbindungen nahe, behauptet aber nicht einfach einen Zusammenhang. Es überlässt mir, welche Elemente ich mit welchen verknüpfen kann. Wie der Hass, den Lynn gegenüber der ähnlich heißenden, ähnlich aussehenden, aber von ihr in jeder Hinsicht als überlegen empfundenen Lynne (mit E) hegt und der doch noch einen Twist bekommt (in einer wirklich fantastischen Sequenz).

    Lynn ist bemerkenswert aufmerksam. Also der Charakter. Aber das Spiel dadurch auch. Und sie ist das eben auch in den weirdesten Situationen. Ihre Gedanken schweifen ab und kehren früher oder später wieder zurück, als wäre nichts gewesen. Egal ob sie bei der Prüfung sitzt, sich mit einer Freundin unterhält oder masturbiert. Sie ist auch empathisch und klug. Doch diese Dinge sind gleichsam auch ihre Schwächen. Sie ist empfindlich und kann nicht auf die gleiche Weise über Dinge hinwegsehen oder sie abtun, wie es ihre große Schwester oder ihre Freundin Susie tun. Noch schlimmer: Sobald sie irgendetwas von anderen erfährt, bezieht sie es auf die negativstmögliche Weise auf sich. Es tut weh, sie bei dieser Reise hinein in das Auge des Sturms ihrens internalisierten Selbsthasses zu begleiten. Aber es ist eben auch wirklich grandios.

    Neben den Contentwarnungen, die diese Visual Novel ohnehin verdient hat, sei erwähnt: Ich habe Kopfschmerzen. Maßgeblich, weil die Soundkulisse des Spiels unter anderem aus einem dumpfen, dunklen Ton besteht, der einem die ganze Zeit im Ohr sitzt. Unangenehm, aber ich sag das nicht, weil es schlecht wäre, sondern weil es auch verdammt wirksam und dementsprechend cool ist. Erzählung und Machart geben sich die Hand, wie es sein sollte.

    Ich gebe 9 von 10 Namen, die beim Scrabble nicht zählen.

    __________________________________________________________

    Ich mach's kurz. Lynne ist meine 2/3 in der Kinetic Novel-Kategorie "Click 'N Cry".
    Geändert von MeTa (01.03.2024 um 22:59 Uhr)

  20. #40
    Ich habe einen Blick auf meine Steam Library geworfen und alle Spiele ausgeschlossen, die ich fest für andere Achievements einplane. Und dann habe ich einen Würfel geworfen, um zu wissen, was ich als nächstes Spiele. Die Göttin des Glücks hat entschieden und mich mit Folgendem beschenkt:

    WILL: A Wonderful World

    Story?

    Ein Mädchen wacht in einem gewöhnlich, doch lebhaft eingerichtetem Zimmer auf. Sie erinnert sich an nichts. Durch die Fenster dringt rötliches Licht, was dem Raum eine melancholische Stimmung verleiht. Ein sprechender Hund mit kleinen Hörnern auf der Stirn erklärt ihr, dass die beiden göttliche Wesen sind. Ihre Aufgabe: Menschen, die sich in auswegslosen Situationen an sie wenden, zu helfen. Denn die beiden können die Geschicke der Welt ändern. Anfangs harmlose, doch später ernste und auch tödliche Anfragen der Menschen (und Katzen) werden an die beiden herangetragen. Doch so sehr das Mädchen anfangs auch das Gefühl hat, den Leuten zu helfen und so viel Spaß ihr das bereitet, so merkt sie doch auch bald, dass das Verderben die armen Seelen immer wieder heimsucht und auch ihr Einfluss nur geringfügig scheint... psyke! Die Welt von WILL ist gar nicht so wonderful.


    Das Spiel

    Auch WILL: A Wonderful World ist ein Visual Novel. Allerdings ist er mechanisch doch besonders. Auf einer großen, pinnwandähnlichen Spielfläche schalten sich nach und nach neue Kapitel der Geschichten der verschiedensten Charaktere frei: Ihre "Briefe", wobei dieser Begriff nicht wörtlich zu verstehen ist. Denn was sich die Leute von den Göttern wünschen, kommt zwar als Brief bei den beiden an, kann aber jede erdenkliche Form haben.




    Dass es den beiden als Brief vorliegt, ist für die eigentliche Spielmechanik aber durchaus wichtig. Denn in diesen Briefen berichten die Betroffenen von dem Geschehen, das für sie ein Problem darstellt. Die Aufgabe der Götter - und damit auch der Spielenden - ist es also, das Geschehene zu ändern. Und das passiert, indem einzelne Textschnipsel von A nach B, B nach A oder D nach C bewegt werden.



    Zu Beginn ist das straightforward und einfach. Zwei bewegbare Textbausteine, zwei Möglichkeiten. Man muss nicht lange rätseln, um herauszufinden, was die Lösung wohl ist. In diesem ersten Beispiel hilft man Li Wen, einer Schülerin aus Beijing, dabei, nach Hause zu kommen. Ihr Problem: Sie hat auf dem Tennisplatz ihre Schlüssel vergessen, weil es dunkel war. Wäre es erst später dunkel geworden, hätte sie ihre Schlüssel beim Aufsammeln der Tennisbälle wohl nocht gefunden. Und genau deswegen ist das Problem gelöst, wenn man die Reihenfolge dieser beiden Events umdreht.

    Recht bald werden die Probleme der Leute ernster. Es geht nicht mehr um verschlossene Türen, sondern teils um Mord und... mehr. Gleichzeitig gestaltet sich auch die Mechanik komplexer. Man liest zwei Briefe zur gleichen Zeit und kann die beweglichen Textpassagen aus einem Brief in die andere Geschichte einfügen und umgekehrt, um so etwas am Schicksal beider Betroffenen zu ändern. Auch die Anzahl der beweglichen Bausteine verändert sich. Noch dazus gibt es Sonderregeln, wie und wo die Bausteine positioniert werden können. Jedes Kapitel hat so verschiedenste Ausgänge, wobei die meisten davon als "schlecht" gelten und weiteren Fortschritt auf der Route blockieren. Bekommt man aber das beste Ende, das meistens durch ein "S" gekennzeichnet wird, geht es weiter. In Ausnahmefällen können auch andere Enden eine bestimmte Route freischalten. Dabei entstehen quasi multiple Universen, in denen jeweils etwas anderes passiert.

    Zwischen diesen Briefen, durch die wir immer mehr über die Hilfesuchenden erfahren und die den größten Anteil des Spiels bilden, gibt es kurze Passagen, in denen der Fokus wieder auf das Mädchen und den Hund gelenkt wird. Denn irgendetwas kommt ihr auch an ihrer ganzen Situation komisch vor.


    Wie war es denn nun?

    Mein erster Gedanke zum grundlegenden Konzept des Spiels war sicher, dass es sehr cool und einzigartig ist, gleichermaßen Möglichkeiten für interessantes Gameplay und für einnehmendes Storytelling verspricht. Deswegen war ich auch keineswegs enttäuscht, als der Würfel für mich entschieden hat. Doch mein anfängliches Interesse hat schnell die ersten Dämpfer erfahren. Denn die Mechanik kam mir nicht sonderlich intuitiv umgesetzt vor. Vielleicht bin ich das Problem, aber wie die Textbausteine angeordnet werden sollen, um das bestmögliche Ergebnis heraus zu holen, hat sich mir nur in wenigen Fällen erschlossen.

    Es gab im Text der schlechten Enden Hinweise, die rot eingefärbt waren, was mir aber nur gelegentlich geholfen hat. Es war mehr ein Raten (oder bald auch ein Spielen nach Guide). Das müsste nicht total schlimm sein. Immerhin ist mir dieses Rätsel-Gameplay nicht so wichtig wie die Geschichten, die dabei erzählt werden. Doch beides hängt ja zusammen und wenn die Reihenfolge der Ereignisse konstruiert wirken und trotzdem nicht eingängig sind oder keinen Sinn ergeben wollen, schwächt das eben auch die Erzählung ab. Die Lösungen der Rätsel sind aber oft auch nicht nur logisch kaum zu erahnen, sondern inhaltlich hanebüchen. Positiver sticht heraus, dass die diversen negativen Enden eines Kapitels oft nicht einfach nur das sind: negative Enden ohne weiteren Sinn. In ihnen stecken häufig Informationen, die einem mehr über betroffene Charaktere (auch solche auf einer ganz anderen Route) verraten können oder sogar Hinweise zum Lösen eines Puzzles in einer dieser anderen Routen geben können. Auch das ist nicht wirklich eingängig, aber ebenfalls eine coole Idee.

    Kommen wir aber zur eigentlichen Erzählung. Ich hole aus. Folgende Charaktere zählen zu den Wichtigsten (sanfte Spoiler bzgl. Early- bis frühes Midgame):

    - Die bereits erwähnte Li Wen, einer siebzehnjährige Schülerin, die sich in ihren Kunstlehrer verliebt, der sie gleichermaßen an ihren verstorbenen Vater erinnert.

    - Wen Zhaoren, der künstlerisch begabte Mittdreißiger, der sich - (bitte in Mickey Mouse-Stimme lesen) oh, Junge - in seine siebzehnjährige Schülerin verliebt. Auch er hat einen dramatischen Background und will zu Beginn Suizid begehen.

    - Jimmy, der unattraktive Otaku, der frisch nach Beijing gezogen ist und Li Wen stalkt, weil er sie ganz toll findet. Er ist aber eigentlich ein gaaaanz harmloser, toller Typ. Klar.

    - Alicia und Carlos, mexikanische Geschwister. Alicia möchte eigentlich in die USA, um da an ihrer Gesangskarriere zu arbeiten. Stattdessen wird sie von Menschenhändler:innen nach Hongkong verschifft. Carlos sucht nach ihr.

    - Chang Gyeong-Min, ein frisch gebackener Polizist beim Busan Police Department und sein Vorgesetzter Kang Baek-Ya, die sich mit den korrupten Irrungen und Wirrungen des koreanischen Polizeiwesens herumschlagen.

    - Spottie, eine kleine Streunerkatze, die aufgrund ihres "Daddies" ein schwieriges Verhältnis zu Menschen hat.

    - Park Sang-Gun, ein koreanischer Junge, der (CW: körperliche, seelische & sexualisierte Gewalt) vermeintlich die Tötung seiner Mutter durch seinen alkoholisierten Vater verhindert und im Anschluss in der Psychiatrie wiederholt von seinem Arzt missbraucht wird.


    Wer diese Zusammenstellung an Charakteren schon irgendwie weird findet, der ist da was ganz Heißem auf der Spur. Nicht nur werden kritische Inhalte ohne jegliche Einordnung in einer bestimmten Weise behandelt, es wird auch schnell viel zu viel. Das Pacing ist früh zerstört, wenn schon in den ersten zwei Stunden die grausamsten Dinge passieren. Mind you: Die schrecklichen Schicksale sind nicht nur Bestandteil der schlechten Enden. Nein: Die schlimmsten Dinge passieren auf bestimmten Routen in den Good Endings. Ich verstehe, dass das für sich genommen nicht schlecht sein muss. Denn man soll erfahren, dass ein S-Rating nicht mit "gut" gleichzusetzen sein muss. Wofür genau "S" steht, habe ich bis zum Ende aber auch nicht begriffen. Und viel Wichtiger: Sonderlich viel Sinn für guten Geschmack beweisen die Writer allemal nicht. Es wird nicht (pornografisch) explizit, doch trotzdem habe ich das Gefühl, dass die entsprechenden Leidenspassagen sehr ausbeuterisch und voyeuristisch geschrieben sind, was dann auch noch durch eingespielte Sounds amplifiziert wird. Ich bin selbst relativ resilient und habe auch überhaupt kein Problem damit, wenn ein Medium dafür sorgt, dass ich mich zwischenzeitlich unwohl fühle (siehe Lynne), aber hier hatte ich das Gefühl aus den falschen Gründen.

    Auch in den Routen, in denen es eigentlich um etwas ganz anderes geht, werden scheinbar wahllos diese Leidensmomente eingestreut, dann eben tatsächlich nur als Bad Ending. Li Wen beispielsweise, bei der es ja eigentlich um die tragische Liebesgeschichte geht (die nicht mal beschissen ist), wird in einem Kapitel entführt und ich spare mir, aufzuschreiben, was bei der Entführung natürlich auch passieren MUSS. Das soll man dann verhindern. Keine Punchline, keine weitere Relevanz für die Story danach. Maximal ein paar Stunden später ein: "Aah, also der Typ, der da das gemacht hat, kommt dann auch in der Szene in einer ganz anderen Route am Rande vor. Verstehe!" Das ist so widerwärtig auf Schock und billige Twists geschrieben, dass ich jetzt gerade wieder richtig wütend werde.

    Apropos Twists: Die Geschichte um die beiden "Götter" bekommt ganz am Ende auch noch ihren Twist. Von dem ich nicht viel verstanden habe, der in keinster Weise Sinn ergibt und der so albern hoch hinaus will, dass es nur noch lächerlich ist.

    Ich will nicht leugnen, dass ich zwischendurch fast die ganze Zeit über trotzdem irgendwie interessiert war. Ich wollte wissen, wie die Geschichten der Betroffenen zu einem Abschluss kommen. Denn ich mochte die meisten von ihnen immerhin genug, um dieses leichte Gefühl von "hoffentlich endet ihre Story wenigstens auf einer positiven Note" zu haben. Trotz unnötiger Gewalt und Härte, trotz billigem Shock-Value, trotz schlechten Selbstzweck-Twists und trotz anderen, fürchterlichen Dingen wie der unwahrscheinlich schlechten Repräsentation von dissoziativer Identitätsstörung (und anderen psychischen Leiden). Und die beinahe gute Nachricht dabei, da ich das Spiel so nicht entgegen meiner Vernunft mögen muss: Alles endet ziemlich unrund und unzufriedenstellend. ("Wie das Leben", würden die Writer wohl sagen und dabei bedeutungsschwanger in die Ferne starren) Yay!

    Ich hatte weniger Spaß mit Spiritfarer, das mich aus Gameplay-Perspektive einfach komplett genervt hat. Aber während das, wie in meinem Review erwähnt, eben toll geschrieben war, gehört WILL trotz der Tatsache, dass es meine Motivation konstant auf einem annehmbaren Level gehalten hat, abgestraft. Da hilft auch das gute Oberflächendesign und die Musik nichts.

    Damit verdient WILL: A Wonderful World sich 3 von 10 Frauen, die eben noch der Gefangenschaft als Sklavin entkommen und in der nächsten Szene Sniper-Assassine sind, wofür sie das sexieste Outfit tragen, das den Writern (und Zeichnenden) eingefallen ist. Arrgh!

    (Ich ziehe mir den verbleibenden Abend jetzt erst mal die süßesten Genshin-Cinematics rein, um meine Seele wieder zu reinigen.)

    __________________________________________________________

    Der Silberstreif am Horizont, den mir das Spiel selbst verwehrt hat: Ich bekomme mal wieder ein Achievement! Denn ich habe gewürfelt und gespielt. Das Glück war mir nicht hold, doch leer ausgehen soll ich trotzdem nicht.



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