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Hybrid-Darstellung

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  1. #1
    Through the Darkest of Times



    Through the Darkest of Times ist ein Simulationsspiel, in dem man eine Widerstandsgruppe aus Berlin durch die Nazizeit führt, von Hitlers Aufstieg bis hin zum Ende des Weltkriegs (und etwas darüber hinaus). Ich habe es in den vergangenen Wochen zusammen mit Lynx gespielt.

    Es wurde in Deutschland entwickelt und ist übrigens das erste Spiel, das die Erlaubnis erhielt, das Swastika-Symbol darzustellen.

    Through the Darkest of Times wird seinem Bildungsauftrag dabei auch durchaus gerecht – und das, ohne übermäßig belehrend zu wirken. Narrativ funktioniert das Spiel dabei auf drei ebenen.



    1) Die Hauptstory: Hier wird der historische Hergang aus der Sicht der Spielfigur (und gelegentlich einer Erzählerin) dargestellt. Es werden wichtige historische Ereignisse behandelt (z.B. Hitlers Putsch, die Olympischen Sommerspiele 1936 und der Kriegsverlauf), aber und vor allem auch fiktive Situationen aus dem Alltag der Menschen aller Art: Mütter, Kinder, Juden, Nazi-Sympathisanten, Soldaten, Widerständler und viele andere.

    Hier ist das Spiel richtig stark. Gut recherchiert und umfangreich natürlich. Am liebsten mag ich aber, wie facettenreich es ist. Man erlebt verschiedenste Perspektiven und sowohl große Ereignisse als auch kleine Alltagssituationen. Besonders stark finde ich auch, wie der allmähliche Wandel mit dem Aufstieg der Nazis, der zunehmenden Repression und das Stimmungsbild der Bevölkerung dargestellt wird. Man spürt diese Veränderung richtig und sie fühlt sich organisch an und nicht wie etwas, das von jetzt auf gleich geschieht.

    Spannend ist auch, dass man stimmungsmäßig sehr verschiedene Zeiten spielt. Die Zeit der Olympischen Sommerspiele fühlt sich beispielsweise ganz anders an als die von Hitlers Aufstieg oder die Kriegszeit.



    2) Zufallsereignisse, die die ebenfalls zufälligen Spielfiguren betreffen: Persönliche Probleme, Konflikte innerhalb der Gruppe, Kommentare zur aktuellen Situation.

    Hier werden mal alltägliche Banalitäten behandelt (Jan rantet über den Ersatzkaffee), größere persönliche Veränderungen (Gesine wird schwanger) oder richtig schlimme Tragödien (Michael verliert seine ganze Familie bei einem Bombenanschlag). Diese Ereignisse helfen, die spielerische Ebene (Zufallscharaktere) mit der Narrativen zu verbinden und den historischen Kontext lebendig wirken zu lassen. Allerdings gibt es nur wenig Kontinuität und Verbindung zwischen diesen Zufallsereignissen, weshalb sie in erster Linie isoliert funktionieren. Es ist ein wenig schade, dass z.B. selbst große Tragödien danach nicht noch mal aufgegriffen werden.



    3) Wöchentliche Ausschnitte aus Zeitungen, die aktuelle Ereignisse behandeln.



    4) Die Aktionen im Rahmen der Simulation. Siehe unten.

    Spielerisch ist Through the Darkest of Times nur so semi-gelungen. Es werden vier Segmente mit je 20 Wochen gespielt, wobei man jedes mal fast bei null anfängt.

    Zunächst baut man sich eine Gruppe von fünf Leuten auf. Diese Gruppe bleibt segmentübergreifend bestehen. Diese fünf Mitglieder kann man dann Woche für Woche Aktionen erledigen lassen, um Unterstützer zu rekrutieren, Ressourcen zu sammeln (Geld, Medizin, Waffen, gefälschte Pässe etc.) oder Vorhaben in die Tat umzusetzen, zum Beispiel:
    – Menschen verstecken
    – Informationen sammeln und verteilen
    – mit der ausländischen Presse in Kontakt treten
    – Kriegsverbrecher überführen
    – Anschläge verüben

    Es gibt zudem einen Moralwert, der jede Woche etwas sinkt. Erreicht er null, ist das Spiel vorbei (glaube ich). Auch die Zahl der Unterstützer nimmt jede Woche etwas ab.

    Jede Aktion hat eine Erfolgswahrscheinlichkeit und einen Gefahrenwert, die dadurch bedingt werden, wer diese Mission durchführt. Jede Figur hat nämlich eine politische Orientierung (z.B. christlisch-liberal oder kommunistisch), einen Berufszweig (Akademiker, Arbeiter) und verschiedene Statuswerte (Geheimhaltung, Mitgefühl, Propaganda, Bildung Stärke).

    Wird eine Person bei einer Aktion gesehen, erhält sie rote Punkte. Je mehr rote Punkte sie hat, desto höher ist die Chance, entdeckt, gefasst oder eingesperrt zu werden. Im schlimmsten Fall kann es sogar zum Tod kommen.

    Es gibt diverse Aktionen im Spiel, die diese roten Punkte wieder senken, doch diese Kosten Ressourcen (Zeit und Geld). Es ist also ein immer ein Abwägen, was man gerade priorisieren will.

    Narrativ funktioniert das ganze extrem gut. Die Aussichtslosigkeit der Lage wird durch die sinkenden Ressourcen gut verdeutlicht.

    Es gibt viele kleine Missionen, die aus der Hauptstory erwachsen, und einige größere, die erhebliche Vorbereitung benötigen. Schön ist, dass es hier nicht darum geht, historische Ereignisse zu untergraben und den Lauf der Geschichte zu verändern, sondern ein realistisches Szenario zu simulieren. Man kann die Tragödie nicht abwenden, aber im Rahmen dieser versuchen, das Beste daraus zu machen. Das Spiel verrät einem am Ende auch, wie viele Menschenleben man beispielsweise gerettet hat oder wofür die Widerstandsgruppe bekannt geworden ist.



    Spielerisch ist es ein zweischneidiges Schwert. Die Vielfalt der Aktionen ist cool und auch, wie verschiedene Werte zusammenspielen.

    Allerdings ist häufig etwas undurchsichtig, wie bestimmte Missionsziele zu erreichen sind. Manche Aktionen werden erst durch andere freigeschaltet und die begrenzte Zeit macht es oft schwierig, alle Bedingungen für die „großen“ Missionen zu erfüllen. Tatsächlich habe ich nur in einem der vier Spielsegmente eine der großen Missionen angetastet – einen Anschlag auf einen Turm während der Sommerspiele.

    Zugleich haben Handlungen auch keine wirklichen Konsequenzen. Gefährlichere Missionen wirken sich zwar oft positiv auf die Moral aus. Man kommt aber tatsächlich besser durchs Spiel, wenn man Risiken meidet.

    Es gibt zudem zahlreiche Icons, die nicht näher erklärt werden, sich aber so sehr ähneln, dass sie schwer auseinanderzuhalten sind (Papier, Bücher, Infos, Pässe).

    Wir haben das Spiel auf Deutsch gespielt. Sprachlich ist es grundsätzlich gelungen, aber man merkt leider, dass es zunächst auf Englisch geschrieben und dann rückübersetzt wurde. Es gab nämlich leider keine gute Qualitätskontrolle, weshalb sich vereinzelt englische Wörter im Text finden und so einige Bezugs- und Interpunktionsfehler zu finden sind (z.B. „you“ als „ihr“ übersetzt, obwohl nur eine Person gemeint ist). Die Erzählerin, die die Texte zwischen den Kapiteln vorliest, wirkt zudem auch etwas ungeübt. Abgesehen davon ist es aber auf Deutsch zu empfehlen.



    tl;dr: Through the Darkest of Times ist ein Spiel, das ich ohne zu zögern als „wertvoll“ bezeichnen würde. Es stellt die „dunkle Zeit“ Deutschlands gut recherchiert, ausgesprochen effektiv und mit viel Fingerspitzengefühl dar und behandelt dabei eine Vielzahl von Perspektiven über insgesamt vier Zeiträume. Auch das Gameplay arbeitet überaus gut mit der Erzählung zusammen, ist aus spielerischer Sicht aber nur so semi-gelungen. Als Gesamtwerk ist es aber absolut zu empfehlen – sowohl narrativ als auch für den Bildungseffekt!

    Ich freue mich übrigens schon sehr auf den Nachfolger „The Darkest Files“, der sich mit der Aufarbeitung der Naziverbrechen in der Nachkriegszeit beschäftigt.

    Spielzeit: 14:20h
    Wertung: 8/10
    Geändert von Narcissu (13.11.2024 um 16:17 Uhr)


  2. #2
    Tolle Eindrücke. Wieder ein Spiel mehr für das Backlog. Ohne es gespielt zu haben lehne ich mich mal aus dem Fenster und sage, dass es ein Beispiel dafür ist, dass auch Videospiele künstlerisch wertvoll sein können.

    Zitat Zitat von Narcissu Beitrag anzeigen

    Es wurde in Deutschland entwickelt und ist übrigens das erste Spiel, das die Erlaubnis erhielt, das Swastika-Symbol darzustellen.
    Das ist nicht ganz korrekt. Ich kann mich sehr gut erinnern, wie es dazu kam, dass dies erlaubt wurde. Es war ein Videospiel eines tschechischen Entwicklers, der sich in den sozialen Medien darüber beschwerte, dass sein Spiel von der USK zur Bewertung abgelehnt wurde. Attentat 1942 war der Name. Der darauf entstandenen Shitstorm bewegte die USK dazu, "ihre Spruchpraxis zu ändern".

    Die Erlaubnis für die Darstellung von Hakenkreuzen in Videospielen kam also ohne, dass ein einziges Gesetz geändert werden musste. Dieser Vorfall und das, was sich die BzKJ (ehemalig BPjM, ehemalig BPjS) seit Anbeginn ihrer Existenz, aber insbesondere in den letzten Jahren geleistet haben, lassen immer noch einen üblen, bitteren, verbitterten Nachgeschmack auf meiner Zunge und meiner Magengrube zurück.
    Gründer der JRPG-Challenge
    JRPG-Challenge 2018 - You'll never see it coming!



  3. #3
    Cool, danke!

    Zitat Zitat
    Als Gesamtwerk ist es aber absolut zu empfehlen – sowohl narrativ als auch für den Bildungseffekt!
    Denkst du, man kann das in einem Klassenverband mit einem einzelnen Beamer/Smartboard spielen? Ich denke da zuallererst an so Aspekte wie "Wie lang dauert ein kompletter Playthrough?" und "Bringt das Spiel auch was, wenn man es nur 90/180 Minuten spielt?" (Ich vermute nicht, aber fragen kann man ja mal. ^^)


    Ein klassisches Rollenspiel, reduziert auf den Zauber des alten Genres: Wortgewaltige Sprache. Fordernde Kämpfe. Drei, die einen Drachen töten – und was sie dazu führen mag ...
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  4. #4
    @Shieru: Ah, das wusste ich gar nicht – danke fürs Aufdröseln, wieder was gelernt^^

    @Cipo: Hmm, schwierig. Ich tendiere zu Jein – meine größte Sorge wäre, dass es etwas zu komplex dafür ist. Die Simulation ist zwar an sich eingängig, aber man muss zu Beginn trotzdem erst mal lernen, was diverse Icons bedeuten. Wir hatten am Anfang auch oft sehr viel Zeit damit verbracht zu diskutieren, was die sinnvollste Vorgehensweise ist. Das wiederum stelle ich mir auch in der Gruppe cool vor, aaaber 90/180 Minuten sind vielleicht doch zu kurz, um wirkliche Ergebnisse zu sehen.


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