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Mirokurator
Pathfinder: Kingmaker
Mir fällt gerade auf, dass schon der Name ein guter Hinweis darauf ist, was das hier doch für ein massiv seltsames und ... seltsam massives Spiel ist; mit 200+ Stunden definitiv das umfangreichste "klassische" West-RPG, das ich bisher gespielt habe! Wobei ich mir vorstellen kann, dass der Durchschnittsspieler selbst mit allem drum und dran ein paar dutzend Stunden abziehen kann ...? Laut How Long to Beat bin ich jedenfalls am oberen Ende der Spielzeit. 

Ich gebe ausnahmsweise eine kurze Synopsis.
Kingmaker spielt in den Stolen Lands, einer zu großen Teilen unerschlossenen und seit Ewigkeiten umkämpften Sumpfgegend voll uralter Ruinen. Mit dem "Stag Lord" gibt es hier auch einen Banditenlord, der zunehmend gierig wird, und so werden die Helden ausgeschickt, um das Problem zu lösen. Als Preis winkt ein Stück Land, denn das auftraggebende Adelsgeschlecht kann durchaus politische Verbündete in der Gegend gebrauchen. Nach dem Kampf mit dem Stag Lord (Spoiler: die Heldin stirbt nicht!
) geht es also darum, diese wilde Gegend zu "befrieden" und aufzubauen, bis man schließlich selbst eine Königskrone für sich beanspruchen kann. Zudem wird zunehmend deutlich, dass sich eine dunkle Macht in den Stolen Lands eingenistet hat, und oben drauf kommen natürlich noch zahllose andere Probleme, die es entweder reisend mit Schwert und Magie oder aus der Hauptstadt heraus politisch zu lösen gilt.
Und genau das ist das Spiel: Klassisches West-RPG-Gameplay mit Strategie-Kämpfen, langen Dialogen und ein bisschen Erkundung, dazu aber noch das komplexe Management eines größer werdenden Landstriches und seiner Politik. Die Story nimmt demensprechend wortwörtlich Jahre ein.


So. Die Liste für dieses Spiel heißt ...
Überlegungen, aus denen heraus man Pathfinder: Kingmaker (nicht) spielen sollte
Denn es ist wirklich, WIRKLICH kein Spiel für jedermann. Man spürt förmlich, dass die Entwickler ganz genau wussten, was sie machen wollten, und seien wir ehrlich, ohne Größenwahnsinn und Kickstarter wäre das NIEMALS durchgekommen, denn es ist wirklich kein valides Ziel für ein kommerziell entwickeltes Videospiel.
Kingmaker ist verschwenderisch. Während Disco Elysium, so als unumstrittener Genre-König, ganz gezielt die Dinge tut, die es braucht (und dadurch verdammt gut wird!), macht Kingmaker alles, was es irgendwie machen will (und wird dadurch mindestens ... faszinierend). Im Ernst, es gibt ganz SUBSYSTEME in diesem Spiel, die zwar absolut unnötig sind, aber trotzdem irgendwie funktionieren und zusammen mit 1500 anderen Sachen durchaus zu einem beeindruckenden Gesamtgefühl beitragen. Denn obwohl vieles hier irgendwie negativ klingt, möchte ich einmal betonen: Ich habe 200 Stunden in dieses Spiel gesetzt. Und das mache ich nicht mit Scheiße.
- Will ich eine epische Story? Dann kannst du Kingmaker spielen, aber du solltest Geduld mitbringen. Tatsächlich webt sich von Anfang an vieles in die Hauptstory, viel mehr als man erst denkt, und diese Hauptstory wird auch noch besser als man erst denkt. Mir hat sie im Gesamtbild echt gut gefallen, und sie profitiert von der Zeit und den zahllosen Perspektiven, die dabei eingenommen werden. Allerdings streckt sie sich halt auch über viele Spielstunden, in denen man überhaupt nicht daran denkt, und ein gewisses "Dungeon of the Chapter" Feeling kann sich durchaus einstellen.
- Will ich gutes Writing? Schwierig. Ich habe festgestellt, dass es echte Fans im Internet gibt, aber ich nehme mir mal die Macht der Erfahrung heraus und sage: Kingmaker ist durchwachsen geschrieben. Man merkt, dass hier unterschiedliche Leute dran saßen, denn es gibt durchaus richtig geile Momente, die sogar hängenbleiben! Aber es ist halt kein Vergleich mit der einnehmenden Konsistenz eines Disco Elysium oder Planescape Torment. In Kingmaker habe ich tatsächlich so eeeinige Dialoge übersprungen, was in diesem Genre immer schon kein gutes Zeichen ist. Besonders auffällig wird das ...
- Will ich coole Charaktere? ... hier. Die Heldengruppe ist auf dem Papier ziemlich cool, mit ein paar klassisch-bodenständigen (Valerie, Linzi, Amiri .. *yawn*) und ein paar WILDEN Charakteren (Jaethal, Regongar, Harrim). Aber gerade ihre Dialoge pendeln oftmals zwischen langweilig und offen heraus cringy. Die Zeit heilt auch hier viele Wunden, die Leutchen werden also interessanter und mit der Zeit schließt man die meisten auch ein bisschen ins Herz, aber gerade der Anfang ist rough. Und das kann in diesem Genre durchaus ein Todesstoß sein, zumal "der Anfang", also bevor es an die Charakter-Quests geht, durchaus 60+ Stunden einnehmen kann.

- Will ich selbst entscheiden, was ich spiele? Das kannst du! Nicht nur fünfhundert Optionen für die Schwierigkeit, auch so Optionen wie Echtzeit/Rundenbasiert und das komplette Automatisieren des Management-Systems sind WAHNSINNIG wertvolle Design-Entscheidungen. Selbst bei Fragen wie Kampfstil, moralischen Entscheidungen und dem Fokus, mit was man sich beschäftigen will, gibt es eine Menge Auswahl. (Auch wenn viele "böse" Dialogoptionen ganz klassisch-dämlich auf "Ich töte dich einfach lol!" hinauslaufen.) Das ist aber auch deshalb so wichtig, weil Kingmaker trotz aller Versuche, sich transparent zu gestalten, eine dicke Metallplatte bleibt, was die Durchschaubarkeit angeht. Wenn man dieses Spiel "richtig" spielen will, muss man eigentlich das Internet benutzen.
- Will ich gute Kämpfe? Wer D&D mag, wird hier fündig! Pathfinder ist eine der besten D&D-Varianten, wenn man Komplexität möchte, und einem Videospiel kommt das durchaus entgegen. Man muss sich aber halt wirklich mit dem System beschäftigen, gerade wenn man Pathfinder noch nicht kennt, und um es noch mal überdeutlich zu erwähnen: Es ist KOMPLEX. Wahrscheinlich das komplexeste CRPG, würde ich tippen. Dafür bekommt man dann aber auch eine wilde Vielfalt an cool gemachten Kämpfen und durch die Erkundung auch die Möglichkeit, sich öfter mal an Kämpfen zu versuchen, die den eigenen Schwierigkeitsgrad übersteigen. Ich freue mich auch ernsthaft auf den Nachfolger.
- Will ich Management? Puh. Das System für das Königreich ist ... nett? Eigentlich ganz okay, so für nebenbei, aber es ist GROTTIG erklärt, und selbst das Internet kriegt es irgendwie nicht hin, das vernünftig zu machen. Man Trial'n'Error't sich so durch, bis man irgendwann nach ... 50 Stunden die Grundlagen verstanden hat. Und selbst dann gibt es immer noch "Ooooh!-Momente". Wer keinen Bock drauf hat, sollte es aber wirklich auf Automatik stellen. Ich wette, ich hab 60+ Stunden nur mit diesem System verbracht, und SO geil (oder so gut mit dem Rest des Spiels verbunden) ist es dann doch nicht. Also, alleine schon, dass man die Gebäude in den Städten mehr oder weniger ignorieren und trotzdem erfolgreich sein kann ... wtf?

- Will ich gut gemachte Erkundung? Hmmm. Sagen wir es mal so: Kingmaker hat eine Aaaart Erkundung, und es ist auch eine Art Erkundung, die andere West-RPGs nur selten bieten. Das Bewegen auf der Karte ist außergewöhnlich, und echt ein cooles Abenteuer-Feeling. Aber am Ende des Tages habe zumindest ich mich nur selten so gefühlt, als hätte ich etwas entdeckt. Die meisten Sachen fühlen sich doch irgendwo selbstverständlich an. Insgesamt trotzdem ganz nice!
Okay, kommen wir zu vielleicht entscheidenden Frage:
Will ich eine Erfahrung? Denn eine Erfahrung kriegst du hier definitiv.
Ich bereue die 200 Stunden nicht, und das liegt allem voran an zwei Gründen: 1. Kingmaker ist ein wirklich gut gemachtes klassisches Rollenspiel mit einem stabilen Charaktersystem unter der Haube, wenn auch recht wonky hier und da. 2. Es ist einzigartig. Sowas entsteht nicht einfach mal so, sowas wird schreiend und tretend in die Welt gezerrt. Es gibt SO viel an diesem Spiel, das andere Spiele nicht mal versuchen (weil es eine dumme Idee ist) oder komplett anders machen (weil es die klügere Idee ist), aber DASS Kingmaker all diese Dinge auf diese Art und Weise tut und damit auch noch mehr oder weniger Erfolg hat, ist faszinierend as fuck.
Edit: Ich bin frei, FREI!
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