Zitat Zitat von Kelven Beitrag anzeigen
Ist es denn legitimer, wenn die Spieler wegen des Gameplays Einfluss auf den Entwicklungsprozess nehmen, als wenn sie es wegen der Politik tun, um mal wieder eine philosophische Frage zu stellen? Oder ist es grundsätzlich falsch, wenn Spieler (oder Publisher) versuchen, Einfluss auf die Kunst zu nehmen?

Das ist ein interessantes Thema. Und genauso interessant finde ich die Frage, ob es denn Kleinigkeiten sind, wie poetBLUE sagt, über die sich aufgeregt wird. Ich weiß gar nicht, worum es bei Kingdom Come ging, aber über Stellar Blade wurde hier ja ausgiebig gesprochen. Das Thema muss also zumindest wichtig genug sein, um dafür einige Zeit aufzuwenden.

Ich selbst finde es immer sinnloser, sich über etwas aufzuregen, obwohl ich es trotzdem noch tue und natürlich auch meine Vorlieben habe, und ich hab das Gefühl, dass sich in der heutigen Zeit besonders viel und oft aufgeregt wird. Fast so als wäre das Aufregen ein Selbstzweck. Was ich auf jeden Fall schade finden würde, ist, wenn Entwickler und Künstler ihre eigene Vorstellung hinten an stellen müssen, weil sie dazu genötigt werden. Und wenn man wirklich auf die Stimmung hören will, warum fragt man dann nicht die große Mehrheit? "Wollt ihr, dass die Spielfigur so aussieht wie in Stellar Blade oder wie im Trailer zum neuen Fable?" Das Design der Spielfigur war ja ziemlich umstritten.
Ich finde das eine spannende philosophische Frage und ich habe mehrere Gedanken dazu, warum ich nicht glaube, dass eine Spieleindustrie, welche durch die Mehrheit ihres Publikums gelenkt wird, eine wirklich gute und florierende Industrie wäre. Ich mache hier mal eine numerierte Liste, da es einfacher ist dieser zu folgen.

1. Ich mag es einfach, das Künstler sich kreativ ausleben können und das geht heute besser denn je zuvor. Indie Games haben eine gute Chance heute sichtbarer zu sein und häufiger entdeckt zu werden und das ist perfekt! Das heißt nicht, dass es leicht ist, das ist es immer noch nicht, GameDev ist immer noch eine harte Branche und gerade als kleines Studio ist es hart vernünftig für sein Spiel zu werben und auch finanziellen Erfolg zu haben, um halt diese kreative Freiheit weiterhin am Leben zu halten. Dennoch ist es heute einfacher als früher und das ist gut. Ich mag es, dass merkwürdigere Spielkonzepte eine Chance haben umgesetzt zu werden und das reicht von Sandbox Projekten wie Minecraft beispielsweise damals angefangen hat bis hin in die Schiene der Spiele, bei denen es artsy wird, wie beispielsweise Inscryption oder Iron Lung. Zudem gibt es viele Genres, die deutlich mehr Varietät sehen als wenn der Markt weiterhin zu 90% aus AAA oder AA Spielen bestünde. Boomer Shooters, gerade welche mit Retro-Optik und -Gefühl bekommen endlich mal wieder mehr Content und das wäre bei den üblichen Verdächtigen einfach nicht denkbar gewesen. Ich weiß auch nicht, ob das Roguelike Genre, welches doch sehr geliebt wird und ein großes Publikum hat, so heute existieren würde, wenn es die ganzen Indie Hits in der Riege nicht geben würde.

2. In gewisser Weise machen die großen Studios schon Spiele, die die Mehrheit so sehen will, denn das gesamte Publikum votet schon: Mit ihrem Geldbeutel. Natürlich ist das kein sensitives Mitbestimmen wie es bei Umfragen eines Early Access Titels beispielsweise wäre und in deinem hypothetischen Szenario wäre es natürlich auch deutlich detaillierter. Aber es gibt ja einen Grund, warum sich immer mehr große Firmen zu Service Games bewegen: Weil es einfach mit die beliebtesten Spiele sind mit der größten Spielerschaft und somit auch meistens viel Umsatz. Oder wieso Sony Story Spiele wie God of War, Horizon, Spider Man und The Last Of Us alle in ihrem Gameplay fast schon gewisse Schemata wiederholen und auch ja keine Frustration zulassen beim Spieler: Es ist meistens die sicherste Möglichkeit das Spiel zu verkaufen. Ich glaube nicht, dass es zum besten Spiel führt und auch nicht zu dem Spiel, mit dem die meisten Spieler glücklich sind, aber Spielemacher verfolgen schon gewisse Marktforschungen. Punkt 1 & 2 würde zu deutlich weniger Varianz in den Spielen führen und das ist glaube ich, was doch das Tolle an Videospielen ist: Wirklich jede Person wird was finden für sich! Ob es jetzt die Oma ist, die total gerne Candy Crush spielt, jemand, der sich total in Stardew Valley verliert oder eben Leute, die gerne mit Freunden online Raids machen wollen. Und so so vieles mehr. Ich glaube wir hätten deutlich mehr Einheitsbrei, wenn nicht hin und wieder Leute ihre unkonventionellen bis komischen Ideen verwirklichen würden.

3. Es ist schlicht unrealistisch zu denke, dass auch nur ein Großteil der Spielerschaft online partizipiert an irgendwas, sei es in der Community, aber auch an Umfragen. Ich bin mir sehr sicher, dass ich mal einen Artikel gelesen habe, indem es hieß, dass ca. 0,5 bis 1% des Publikums an Umfragen teilnehme, selbst wenn diese irgendwie im Spiel eingebettet sind als Notiz, dass man diese bitte machen solle. Bei Onlinespielen ist die Rate deutlich höher, weil da halt eben das gesamte Spiel online statt findet, aber wenn wir jetzt von Singleplayer Spielen oder offline Koop Spielen reden, dann ist es utopisch auch nur anzunehmen, dass allein 50% teilnehmen würden. Sprich egal was man online liest, es handelt sich eh oft um einen kleinen Teil der Spielerschaft. Das mag bei Indie Games wahrscheinlich auch wieder anders aussehen, da diese oft von Leuten gespielt werden, die deutlich passionierter im Hobby sind und eine engere Beziehung zu Indie Entwicklern besteht, da diese meist während der Entwicklung deutlich nahbarer kommunizieren. Aber trotzdem denke ich, dass es nie bei 50% ankommen wird. Heißt das alle Umfragen bezogen auf Spiele, um diese zu verbessern sind unnötig und man sollte auf Online Kritik nicht hören? Nein. Beides ist wichtig. Aber es gibt bestimmte Filter, die man da als Entwickler einsetzen sollte, damit das Spiel am Ende immer noch das Spiel des Entwicklers ist und nicht ein Frankenstein Monster ähnliches Konstrukt, welches nur von Ideen anderer getragen wird, welche wahrscheinlich auch alle nicht super gut miteinander interagieren.

4. Ich glaube das ist der wichtigste Punkt: Sehr viele Spieler haben einfach kein Gefühl für das bestimmte Design und Storytelling des Spiels. GameDevs kennen ihr Projekt am Ende des Tages immer noch am Besten und klar, Spieler und Fans können gute Impulse geben und einen Dialog starten, welche Dinge verbessert werden sollten. Und das ist auch ein guter und wichtiger Prozess. Aber es gibt auch sehr viele Spieler mit Anspruchshaltung, die denken sie wüssten besser als alle anderen, wie dieses eine Spiele genau und perfekt auszusehen hat und das ist sehr schwierig raus zu filtern. Und ich denke ein Spiel formularisch nach der Mehrheitsmeinung zu gestalten würde sich zeitgleich auch beißen und Möglichkeiten eröffnen für Probleme wie beispielsweise ludonarrativer Dissonanz oder halt eben Veränderungen, die absolut nichts mehr mit der Identität der Marke zu tun haben. Ich glaube einfach nicht, dass man Kunst und dazu zählen Videospiele auch, nach einer Formel erstellen kann und dabei ein Ergebnis bekommt, bei dem wirklich die Mehrheit glücklich ist, ich sehe eher mehr Fehlerpotential, da es keine Vision und keinen künstlerischen Antrieb gibt, welcher mit einem roten Faden alles zusammenhält. Meine Hypothese ist es komme am Ende nur ein zusammengestelltes Konstrukt dabei herum und wahrscheinlich wären die meisten Spieler, welche sogar noch mit teilnahmen an den Mehrheitsumfragen für die Features, trotzdem unglücklich mit dem Spiel wären.

Am Ende glaube ich auch, dass das alles gar nicht nötig ist: Der Markt ist eh so voll, man kann meistens nicht mal alles spielen, was einen wirklich interessiert, man wird immer Alternativen haben, egal was für Spiele man gerne spielt und das nächste Release steht schon wieder bevor. Jeder hat mehr als genug Auswahl und es gibt mittlerweile wirklich für jede Person etwas auf dem Markt.