Zuletzt wieder einmal gelesen: "The Summer of the Ubume" von Natsuhiko Kyogoku in der Übersetzung von Alexander O. Smith und Elye J. Alexander.

Das "Original", 姑獲鳥の夏, besitze ich ebenfalls, allerdings ist die Materie des Buches relativ komplex (insbesondere die Diskussionen des Protagonisten mit seinem Freund, dem exzentrischen Buchhändler und Priester Akihiko "Kyogoku" Chuzenji), sodass ich mich nach einigem Hin und Her dafür entschieden habe, die Übersetzung zu lesen und später ab zu gleichen. Eine Entscheidung, die ich nicht bereut habe, ist Smith doch ein mehr als guter Übersetzer, der sich bei diesem Buch merklich Mühe gegeben hat, sowohl Ton als auch Inhalt genau zu treffen. Und es ist gelungen.

Wie viele Detektivromane bedient sich "The Summer of the Ubume" dabei der altbewährten Watson-Holmes Dynamik: Der Protagonist Tatsumi Sekiguchi trifft sich mit seinem Freund Kyogoku, um einen scheinbar unmöglichen Fall zu besprechen: Die Schwangerschaft einer Frau, welche seit nunmehr zwanzig Monaten andauert. Die Gedanken Sekiguchis sind dabei für den Leser vollständig offen (sodass dieser beispielsweise an dessen Depressionen vollständig Teil hat), die zum Teil sehr exzentrische doch durch und durch rationale Weltsicht seines Freundes hingegen wird nur nach und nach offenbar. Sekiguchi entwickelt im Verlauf der Handlung ein immer größeres, da auch persönliches, Interesse an dem Fall der ungewöhnlich langen Schwangerschaft, die zu allem Überfluss noch dazu mit einem scheinbar unmöglichen Verschwinden einer Person aus einem definitiv verschlossenen Raum zu tun hat.

Gleich vorab: "Summer of the Ubume" ist auf Deutsch nicht erschienen und ich habe so meine Zweifel, ob das je passieren wird. Denn das Buch ist alles andere als leichte Kost. Das liegt nicht einmal unbedingt an der Handlung selbst, denn diese ist stringent und durchaus schlüssig erzählt, sondern vielmehr an dem philosophischen, religiösen und auch ethischen Inhalt, den vor allem der "Sherlock Holmes" dieses Buches vermittelt. Kyogoku (Charakter wie Autor) kennt sich exzellent in Mythen und Legenden aus, ganz besonders den Yōkai der japanischen Folklore, und vermittelt dieses Wissen nicht nur im Bezug auf ihre Kontextualität mit anderen Mythen sondern auch Dingen wie moderne Psychologie, Sternschnuppen oder die Lesart chinesischer und japanischer Schriftzeichen.
Das alles tut dem Vergnügungsfaktor des Buches natürlich keinen Abbruch, wenn man sich auf solche Dinge einlassen will, doch ich will auch nicht leugnen, dass die langen Monologe des "Detektivs", wenn man Kyogoku so nennen will, stellenweise durchaus ermüdend sind. Gerade zum Ende des Buches geht es daher auch immer weniger um die Lösung des konkret vorliegenden Verbrechens, sondern darum, ein kompliziertes Geflecht teils jahrhundertealter Gebräuche, Vorurteile und Missverständnisse zu durchbrechen. Wer an so etwas seine Freude hat, dem sei "The Summer of the Ubume" wärmestens ans Herz gelegt, wer jedoch einen einfachen Kriminalroman erwartet, der wird hier wahrscheinlich enttäuscht.

Gesamturteil: 9.5/10 Punkten mit leichtem Abzug für Langatmigkeit und kleinere Schwächen im Mittelteil.

Es sei nebenher nicht unerwähnt, dass "The Summer of the Ubume" zahlreiche Nachfolger mit derselben Figurenkonstellation hat, die zum Teil sogar aufeinander Bezug nehmen. Stets geht es um ein scheinbar übernatürliches Ereignis, das jedoch immer komplett rational gelöst werden kann. Die anderen Romane wurden bislang nicht ins Englische übersetzt, ein guter Teil von ihnen jedoch von der Zeichnerin Aki Shimizu unter Mitarbeit des Autors als Manga veröffentlicht.