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Thema: Reading Challenge 2018 – Zeit zum Lesen! [Abgeschlossen]

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  1. #11
    Lang nicht mehr gemeldet, aber ich habe dank eines längeren Urlaubs es endlich wieder geschafft, ein bisschen am Stück zu lesen. Und zwar habe ich Homers Ilias gelesen.
    (Den Erfahrungsbericht über Scotts Antarktisreise habe ich für's erste auf Eis gelegt, da er mich nicht ganz packen konnte und etwas zu lang war, aber ich komme hoffentlich bald darauf zurück.)

    Die Ilias ist super spannend. Ich habe sie in der englischen Prosa-Übersetzung von Samuel Butler gelesen, was mir sehr geholfen hat, die Geschichte richtig zu verstehen. Kann ich jedem zumindest für die erste Lektüre ans Herz legen - da hier nichts der Poesie wegen verkürzt oder kryptisch formuliert wird, ist es auch eine sehr korrekte Übersetzung. In der Version liest es sich wirklich wie ein Action-Blockbuster, der sich an grausamen Gewaltszenen ergötzt. Da werden Leute geköpft, durch die Nippel erstochen, aufgeschlitzt dass alle Gedärme herausquillen usw., und danach stehen die Helden lachend und höhnend über den Leichen und erklären fröhlich, dass Frau und Familie dieses Mannes nun bitter weinen werden.
    Aber kurz worum es geht: um den trojanischen Krieg. Die Stadt Troja heißt nämlich eigentlich auch Ilios, und die Ilias ist also der Gesang vom Krieg um diese Stadt. Dabei werden nur ca. 50 Tage des Krieges beschrieben, der eigentlich 10 Jahre lang ging. Das Ende, wie Troja/Ilios schließlich fällt, wird nur vorhergesagt, aber nicht beschrieben. Tatsächlich arbeitet das Gedicht aber stark damit, dass irgendwelche Charaktere von vergangenen oder kommenden Geschichten erzählen, so dass man am Ende des Gedichtes eigentlich alles Wesentliche über den Krieg weiß.
    Das Gedicht selbst fokussiert sich aber auf ein Schlüsselereignis, nämlich auf die Tage, in denen Achilles sich weigert zu kämpfen, und wie diese schließlich beendet werden. Es fängt damit an, dass Agamemnon eine Gefangene an ihren Vater zurückgeben muss, weil Apollo wütend ist und Unheil über die Griechen bringt. Weil Agamemnon aber nicht weniger Raubgut als die Männer unter ihm haben will, verlangt er von Achilles, dass dieser seine liebste Gefangene ihm gibt. Achilles ist super angepisst, fügt sich aber letztendlich. Aber er sagt, dass er und seine Myrmiden dann nicht mehr kämpfen werden. Da Achilles der größte Held der Griechen ist und das auch alle wissen, ist das also sehr heftig. Außerdem bittet er seine göttliche Mutter, dass die Zeus bitten soll, es den Griechen besonders schwer zu machen, damit sie sehen, was für ein Idiot Agamemnon ist. Zeus stimmt zu, und was folgt ist ein heftiges Hin und Her, weil manche Götter auf der Seite der Griechen sind, manche auf der Seite der Trojaner, und alle versuchen ihrer Seite zu helfen und kämpfen teilweise auch im Getümmel mit. Irgendwann schreitet Zeus ein, sagt dass ab jetzt keiner mehr helfen darf, und lenkt das Schicksal des Krieges höchstpersönlich: er lässt Hektor und seine Trojaner bis zu den Schiffen der Griechen kommen, so dass die Griechen schon in heller Panik sind. Dann sieht er vor, dass der Kumpel von Achilles durch Hektor getötet wird, woraufhin Achilles grenzenlosen Zorn, Trauer und Rachsucht spürt, sich von einem Gott eine neue Rüstung machen lässt und wieder mitkämpft, wodurch sich letztendlich das Blatt wendet. Er tötet Hektor, zerrt seinen Leichnam dann mehrere Tage hinter seinem Streitwagen her und ist generell ein riesiger Arsch. Dann kommt der trojanische König Priamos höchstpersönlich zu ihm und fleht ihn an, ihm seinen toten Sohn zurück zu geben. Die beiden haben einen Moment zusammen, weinen gemeinsam, und Achilles gewährt den Trojanern 12 Tage Waffenstillstand, um in Ruhe um Hektor zu trauern. ENDE.

    ... Wie, Ende? Wo ist der Rest? Muss nicht noch Paris Achilles umbringen? Muss der dann nicht wiederum getötet werden? Was ist mit dem trojanischen Pferd? Und wie entkommt Aeneas aus der Stadt? Tja, das dachte ich mir dann auch, aber wie gesagt, die Geschichte erzählt nur einen Ausschnitt. Es geht letztendlich um die Tage, wo die Götter selbst maßgeblich am Krieg beteiligt sind, und wo Achilles seinen Wunsch erfüllt bekommt, dass der Krieg mies für seine eigene Seite läuft. Zwar wird der Rest angedeutet, und auch Achilles' Tod auf dem Schlachtfeld wird ihm prophezeit (von einem sprechenden Pferd ^^), aber das Gedicht endet dann doch relativ unvermittelt mit einer langen Reihe von Trauerbekundungen der Trojaner bezüglich des toten Hektors.
    Was ich halt sehr überraschend, aber auch spannend und unerwartet finde. Das ist das älteste erhaltene Epos der westlichen Zivilisation! Und es hat trotzdem schon wahnsinnig "modern" wirkende erzählerische Mittel und ist überhaupt nicht das, was ich von einem 3000 Jahre altem Epos erwartet habe. Allein auch, dass die Griechen und die Trojaner in fast gleichem Maße beschrieben werden, und dass dabei immer ihre Sichtweise eingenommen wird und keine Seite stärker dämonisiert oder glorifiziert wird, finde ich beeindruckend. Jeder der Helden ist sowohl ein glorreicher Held aus auch ein unglaubliches Monster. Alle haben niedere Beweggründe und alle kämpfen dreckig.

    Spaß gemacht haben außerdem die Beschreibungen der Götter, die unglaublich eitel sind und sich ständig gegenseitig manipulieren. Spannend auch, weil sie eben konsequent als Ausrede benutzt werden - der Held hat nicht getroffen, weil Athene gegen ihn war, Zeus hat Agamemnon Flausen in den Kopf gesetzt und er kann deshalb ja nichts dafür, dass er so töricht war usw. Die Sekundärliteratur hierzu ist auch lesenswert, weil es z.B. möglich ist, dass die Götter der Ilias letztendlich nur eine Interpretation des Denkens selbst sind - also eine Erklärung für diese komische Stimme in deinem Kopf. Es gibt Leute, die sehen darin eine allmähliche Entdeckung des menschlichen Bewusstseins.

    Jetzt lese ich erst einmal Homers Odyssee, wieder in Samuel Butlers Übersetzung.
    Hier wird das trojanische Pferd dann übrigens kurz erwähnt, in Erzählungen. Spannend ist hier auch bereits, dass 80% der Probleme von Odysseus zu Beginn der Geschichte bereits geschehen sind (Zyklopen, Schafe von Helios, Sirenen usw.). Die Geschichte beginnt damit, dass er für tot gehalten wird, weil er seit 7 Jahren auf Kalypsos Insel gefangen gehalten (und vergewaltigt!) wird. Als er endlich gehen darf, ist seine Irrfahrt kurz darauf schon fast vorbei. Die Geschichte wird zwar erzählt, aber extrem nicht-chronologisch durch Erzählungen verschiedener Charaktere.

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    Geändert von Schattenläufer (11.09.2018 um 08:54 Uhr)

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