Ich hab das englische Original gelesen. Ich finde nicht, dass dein Argument zieht - es ist längst nicht das einzige Buch, das ich aus der Zeit (oder früher) gelesen habe, trotzdem ist es mir nur hier so unangenehm aufgefallen.
Und die spannende Geschichte, die sich in dem Text versteckt, habe ich ja durchaus gesehen, deswegen rede ich von verschenktem Potential. Ich finde es halt schlimm, dass man dafür wirklich mindestens 50% der letzten beiden Drittel des Buches wegstreichen könnte. Er schreibt ein riesiges Kapitel darüber, dass Wale ganz eindeutig Fische sein müssen. Er schreibt ein ganzes Kapitel darüber, dass weiß zu sein erstmal natürlich besser ist als alles andere und generell weiße Dinge näher an göttlicher Perfektion sind - weil er erklären will, wieso ein weißer grausamer Wal nochmal schlimmer als ein normaler grausamer Wal ist, denn ersterer pervertiert die göttliche Idee seiner Hautfarbe. Er schreibt über künstlerische Darstellungen von Walen und so weiter. Das kann man alles in der Geschiche unterbringen, aber es hat wahnsinnig von der Handlung abgelenkt und war viel zu sperrig eingebracht.
Es gibt noch ein paar andere Punkte, die ich problematisch fand. Beispielsweise fängt Ishmael irgendwann an, sich selbst als Walfänger zu bezeichnen, aber bis dahin hatte man nicht den Eindruck, dass er daraus einen Beruf machen wollte, und man erfährt auch später nie, warum er nach DER Erfahrung (war immerhin sein erstes Mal) jemals wieder Fuß auf ein Walfängerschiff setzen sollte. Man erfährt ja generell nichts mehr über ihn. In manchen seiner Ausschweifungen ist er aber eben ein vollkommener Walfänger, kein Lehrer mehr wie am Anfang. Mich hätte interessiert, was ihn dazu bewegt, im Buch las es sich eher so, als hätte der Autor nach all der Zeit vergessen, wie er den Roman begonnen hatte.
"Call me Ishmael" ist ein berühmter erster Satz, der ziemlich gefeiert wird dafür, wie viel er in drei Worten sagt. Ishmael ist ein biblischer Charakter, ein Ausgestoßener meines Wissens. "Nennt mich" impliziert, dass er vielleicht gar nicht so heißt, was Spannung erzeugt (warum will er seinen Namen nicht sagen?) und den symbolischen (d.h. biblischen) Charakter des Namens hervorhebt. Der Satz wirft also sofort Fragen auf und erzeugt Interesse und Spannung - in Bezug auf den CHARAKTER Ishmael. Zudem sagt der gesamte Anfang, dass es sich hier um eine Geschichte aus seinem Leben handelt, er ist ganz klar kein reiner Erzähler und ist das auch gut für ein Drittel des Buches nicht, sondern aktiver und zuweilen sehr unterhaltsamer Protagonist.Zitat